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JAMES WITTS

TRAINIEREN WIE DIE

RADPROFIS

LERNEN VON DEN BESTEN

AUS DEM ENGLISCHEN VON RENÉ STEIN

Delius Klasing Verlag

© James Witts 2016 originally published by Bloomsbury Publishing Die englische Originalausgabe mit dem Titel »The Science of the Tour de France« erschien bei Bloomsbury Publishing Plc, London.

1. Auflage 2017

Die Rechte für die deutsche Ausgabe liegen beim Verlag

Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-667-10923-1 (Print)

ISBN 978-3-667-11223-1 (Epub)

Aus dem Englischen von René Stein

Lektorat: Mathias Müller, Klaus Bartelt

Titelgestaltung: Felix Kempf, www.fx68.de

Cover: © imago/Panoramic International

Layout: Austin Taylor

Datenkonvertierung E-Book: Integra Software Services Pvt. Ltd.

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

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Inhalt

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Prolog

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image   Wattmesser:

Die Geburtsstunde des modernen Radsports

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image   Bikefitting:

Position, Vorbereitung, Performance

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image   Auftanken für die Tour

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image   Training für die Tour

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image   Innovationen rund ums Rad

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image   Mach(t) dich schnell:

Kleidung, Helm und Sattel

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image   Mehr Sauerstoff

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image   Pyrenäen und Alpen:

Aufstieg zu den Gipfeln

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image   Wettkampfernährung

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image   Schnelle Erholung

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image   Schlag die Hitze!

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image   Expertentipps 2.0

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Glossar

Register

Danksagung

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Prolog

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Marice Garin, Sieger bei der ersten Tour de France 1903, fährt ein halbes Jahrhundert später eine Ehrenrunde im Parc des Princes: am 26. Juli 1953 zum Ende der 41. Tour-Ausgabe.

Maurice Garin gewann sein erstes Rennen 1893. Der 22 Jahre alte Franzose hatte sieben Jahre als Schornsteinfeger gearbeitet, bevor er mit seinen Brüdern Francois und César ein Fahrradgeschäft eröffnete. Aber er liebte es, Rennen zu fahren, also arbeitete er und nahm an Rennen teil. Den ersten Sieg fuhr er bei einem 24-Stunden-Rennen in Paris ein und lieferte einen Beweis für die Überlegenheit guten Materials für die Performance – Garin hatte sein eigentliches Fahrrad vor dem Wettkampf verkauft und war mit einem viel leichteren Modell gestartet. Es wog immer noch 16 Kilogramm, doch nach 701 Kilometern überfuhr er die Linie mit 49 Minuten Vorsprung vor seinem ärgsten Verfolger.

Garin hatte nicht nur mit der Streckenlänge zu kämpfen, sondern auch mit der Kälte. Das Rennen fand im Februar statt, was vielleicht den Ernährungsplan des Franzosen erklärt: acht gekochte Eier, 45 Lammkoteletts, eine unbestimmte Anzahl an Austern, alles zusammen runtergespült mit sieben Litern Tee und 19 Litern heißer Schokolade.

Zehn Jahre später hatte sich Garins Equipment und Ernährungsweise kaum verändert, dennoch gewann er die Erstaustragung der Tour de France im Jahre 1903. Die Zeit bei dem Rennen über sechs Etappen – die Etappenlänge variierte zwischen 268 und 471 Kilometern – blieb für den Franzosen bei 94 Stunden, 33 Minuten und 14 Sekunden stehen; seinen Landsmann Lucien Portier ließ er knapp drei Stunden hinter sich. Die Unterstützung war minimalistisch, sein Freund Delattre bereitete das Essen zu, außerdem stand ihm ein Soigneur zur Seite, der ihn massierte.

Über 100 Jahre später gewann Chris Froome die Tour von 2015 auf seinem Pinarello Dogma F8, einem Vollcarbonrad, das nur 6,8 Kilogramm auf die Waage bringt – knapp 10 Kilogramm leichter als Garins fahrbarer Untersatz. Während der Franzose allein fuhr, konnte Chris Froome auf die Unterstützung von acht Fahrern aus dem Team Sky bauen, die ihn nach 21 Etappen in 84 Stunden, 46 Minuten und 14 Sekunden in Paris über die Ziellinie eskortierten, nur eine Minute und 12 Sekun den vor dem Gesamtzweiten Nairo Quintana.

Zusätzlich zu den Fahrern verfügte das Team Sky über ein so großes Team zur Unterstützung, dass andere Mannschaften sich darüber beschwerten, Sky belege alle Hotelparkplätze. Mit zwei Lkw für Equipment und Küche und zahlreichen Mannschaftswagen setzten die Männer und Frauen in den Bereichen Ernährung, technischem und sportwissenschaftlichem Support neue Maßstäbe.

Das Team Sky mag Vorreiter hinsichtlich wissenschaftlicher Trainingssteuerung im professionellen Radsport sein, doch die anderen Mannschaften schlafen nicht. In der Vergangenheit ging das Budget einer Mannschaft hauptsächlich für die Fahrergehälter drauf. Mittlerweile haben die Mannschaften begriffen, dass es sinnvoll sein kann, einem Fahrer 1,9 Millionen Euro und einem Weltklasse-Sportwissenschaftler 100 000 Euro zu zahlen, anstatt dem Profi allein 2 Millionen per Annum zu überweisen (die Fahrergehälter machen aber immer noch den Löwenanteil aus – so sollen Peter Sagan und Alberto Contador von Tinkoff Saxo vier Millionen pro Jahr verdienen).

War es früher so, dass der Trainingsplan eines Fahrers sich danach richtete, wie viel Sonnen-stunden der Tag zu bieten hatte, bewegen sich die Athleten heutzutage in Trainingsbereichen; aber um wirklich zu verstehen, warum die einen eine bestimmte Felgengrößen bevorzugen und andere Fahrer Elektrolytgetränke gegenüber Cola, habe ich unzählige Männer und Frauen in »weißen Kitteln« rund um den Profizirkus im Radsport interviewt.

In den nächsten 12 Kapiteln stehen Sportwissenschaftler, Trainer und Ernährungsberater von Tinkoff Sport, Team Sky, Movistar, Giant-Alpecin, BMC Racing und vielen anderen Teams Rede und Antwort zu Fragen wie: Was ist die ideale Höhe für ein Höhentrainingslager? Wie kühlen die Fahrer sich, wenn das Quecksilber über 40 Grad Celsius ansteigt? Und warum um alles in der Welt besteht Giant-Alpecin darauf, dass die Fahrer vor einem Zeitfahren halbgefro-renes Trinkeis zu sich nehmen?

Für mich sind die angewandten Wissenschaften am Spannendsten. Fahrer und ihre Teams testen immer wieder neue, innovative Theorien – oftmals basierend auf brandneuen Forschungsergebnissen. Dr. Jonathan Baker, Sportwissenschaftler beim Team Dimension Data, verriet mir: »Weltweit arbeiten viele Wissenschaftler an Forschungsprojekten über Themen wie ›Was genau sorgt für Ermüdung?‹ oder ›Wie steigere ich die Leistung?‹. Jahr für Jahr sichten wir unglaublich viel Forschungsmaterial, etwa 10 000 Studien werden pro Jahr veröffentlicht. Mein Job besteht darin, aus der Masse die richtige auszuwählen und auf ihre Tauglichkeit zu prüfen; manchmal sind auch nur Teile einer Studie von Nutzen. Manchmal kann es auch sein, dass sich ein physiologischer Parameter unter Laborbedingungen verbessert, dies aber in der Welt des Profiradsports einfach nicht umsetzbar ist.«

Die Tour de France ist der Eckpfeiler in diesem Buch, aber natürlich werden viele Ideen und Grundsätze bei Profirennen auf der ganzen Welt angewendet. Aber bis zu 90 Prozent der Medienpräsenz eines Teams werden bei der Tour abgedeckt, damit ist es das Schlüsselrennen für jede Mannschaft. »Deshalb fährt jedes Team bei der Tour de France das beste Programm, reist mit dem besten Material und den besten Leuten an, egal ob Fahrer oder Mechaniker«, so der frühere Chefsportwissenschaftler von Tinkoff Saxo, Daniel Healey. »Die Tour ist wie die Formel 1, und das wirkt sich auf alle Aspekte aus, wie die Wahl des besten Reifens für einen schnellen Reifenwechsel. Deshalb stehen Ernährung, Trainingswissenschaft und Materialauswahl auf meiner Agenda für das Radsporttraining.«

Sie mögen sich fragen: Warum gerade jetzt? In den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren fuhren die Fahrer auch schon auf Carbon-Rädern und tranken Energy-Drinks, aber damit hatte es sich auch schon. Wissenschaftliche Bemühungen konzentrierten sich eher auf illegale Substanzen wie EPO oder Bluttransfusionen. Warum Geld für Trainer, Mannschaft und Bikefitter ausgeben, wenn man Teile des Budgets in Dopingmittel investierte? Der Kofferraum voller leistungssteigernder Substanzen, der die Festina-Affäre 1998 ins Rollen brachte, sowie Lance Armstrongs Geständnis, sich jahrelang eines Giftschranks bedient zu haben, kamen den Radsport teuer zu stehen. EPO mag die Leistungs- und Ausdauerfähigkeit verbessert haben, aber auf Kosten von Moral und Mensch.

Die Einführung des Blutpasses – genauer behandelt im Abschnitt über das Höhentraining – und Leistungsdaten, die seit den Tagen überführter Dopingsünder wie Bjarne Riis und Jan Ullrich gesunken sind, erwecken den Eindruck, der Radsport ist in neuerer Zeit sauberer geworden. Unzweifelhaft wird es immer Fahrer geben, die auf verbotene Weise schneller zu fahren versuchen; Experten weisen darauf hin, dass die Mikro-Verabreichung von EPO die größte Hürde auf dem Weg zu einem sauberen Sport ist. Deshalb muss die UCI und die WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur) mehr Gelder für die Arbeit von Forschern wie Yannis Pitsiladis zur Verfügung stellen, der einen Gentest entwickelt hat, mit dem sich Spuren von Mikro-Dosen in der DNA des Athleten nachweisen lassen (nicht nur die Teams stürzen sich auf Innovationen, Regierungen und Verbände tun dies auch). Doch die Dinge verbessern sich nach und nach, der Profiradsport ist transparenter denn je, mit Gruppen wie dem Mouvement pour un Cyclisme Crédible und Mannschaften wie Sky, die ehemalige Doper nicht mehr für das Team verpflichten. Auf diese Weise wächst sich hoffentlich die schreckliche Omertà-Kultur aus: das Gesetz des Schweigens, das diese ganze Betrügereien erst ermöglicht hat.

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image Die Tour ist wie die Formel 1. … Deshalb stehen Ernährung, Trainingswissenschaft und Materialauswahl auf meiner Agenda für das Radsporttraining. image

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Daniel HEALEY, Tinkoff Sport

Außerdem muss ich bekennen, dass ich mich in diesem Buch auf die wissenschaftlichen Aspekte des Trainings, der Ernährung und der Ausrüstung fokussiere. Wie ein Fahrer mental bestellt sein muss, und ein Profi innerhalb einer Mannschaft am besten interagiert, ist ein weites Feld, soll aber nicht an dieser Stelle behandelt werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass Wissenschaftler und Radsponsoren einen Freibrief haben, Fahrer wie Froome oder Degenkolb mit allen Mitteln über die Ziellinie zu pushen. Die UCI ist bekannt dafür, dass sie auch mal drakonische Strafen aussprechen kann, wenn es um die Konstruktion des Rennrads geht, womit sie sicherstellen möchte, dass sich dieser Sport nicht zu einer reinen Materialschlacht entwickelt. Die wichtigsten Regeln sind im Buch erfasst, und natürlich die wachsenden Bemühungen der Fahrradhersteller, diese Regularien weitestgehend aus zu reizen.

In keiner anderen Sportart werden die Grenzen so verschoben wie im Radsport, deshalb ist dieser Bereich auch so empfänglich für marginal gains (in etwa: kleinste Fortschritte), wie Team Sky es nennt. Also glauben Sie nicht, was Sie hier lernen, diene nur den Profis. Viele der Techniken und Übungen können auch für Ihre Leistung von Nutzen sein. Auch wenn Sie nicht mit der Grazie eines Nairo Quintana den Berg hinauffliegen oder die Zeiten der Konkurrenz im Zeitfahren wie Tony Martin pulverisieren werden, können Sie versuchen, so viele Tipps wie nur möglich mitzunehmen – vielleicht abgesehen davon, sich ein Rad für 10 000 Euro zu kaufen. Sie werden sich zu einem Radsportler entwickeln, der das Beste aus seinen Möglichkeiten gemacht hat. Damit kommen Sie zwar vermutlich nicht aufs Podium nach Paris, aber gelohnt hat sich das Buch für Sie dann allemal … Allez, Allez, Allez!

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image     Wattmesser

Die Geburtsstunde des modernen Radsports

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Eddy Merckx auf dem Weg zum vierten Sieg bei der Tour de France 1972. Er hatte die Power, verließ sich aber auf eine Stoppuhr.

»Fahren, sehr viel fahren«, lautet Eddy Merckx’ berühmtes Zitat auf die Frage nach Trainingstipps. Bei ihm hat es funktioniert, der Belgier weist ein Palmarès auf, das bis heute seinesgleichen sucht: fünf Siege jeweils bei der Tour de France sowie dem Giro d’Italia, 28-Klassikersiege, 96 Tage im Gelben Trikot … insgesamt 525 erste Plätze stehen auf dieser Liste. Mercks’ Ansatz des »viel hilft viel« hat sich für ihn ausgezahlt. Sein Kollege Jacques Anquetil, der die Tour ebenfalls fünf Mal gewinnen konnte, bevorzugte hingegen intensive Trainingseinheiten anstatt Kilometerfressen; zweistündige Hochgeschwindigkeitssessions hinter einem Auto bildeten den Kern seiner Trainingsphilosophie.

Wie immer das Training auch ausgesehen haben mag, die Leistung wurde mittels Karte, Stoppuhr und Schweißperlen gemessen, der Schwierigkeitsgrad der Einheit von gelegentlichen Sprints gegen die Teamkollegen oder Anstiegen bestimmt. Für viele war es die Regel, mehr als 400 km pro Woche zu fahren. Merckx ist der Beweis, dass es funktionierte, doch die Einführung diverser Trainingstools, die im kommerziell betriebenen Profiradsport immer wichtiger wurden, machte eine präzisere Methodik für Fahrer und Teams erst möglich. Über allen Neuigkeiten steht der Wattmesser – kein Trainingstool hatte eine so große Auswirkung auf den Radsport.

»Ich wünschte, du hättest das SRM erfunden, als ich 1983 das Trikot in der Schweiz gewonnen habe. Dann hätte ich viel mehr Siege eingefahren.« Diese Worte stammen vom dreifachen Tour-de-France-Gewinner Greg LeMond, handgeschrieben auf das Regenbogentrikot des Weltmeisters, dass er dem Gründer von SRM, Ulrich Schoberer, geschenkt hat (SRM ist ein Akronym und bedeutet: Schoberer Rad Messtechnik). Schoberer, ein Maschinenbaustudent und selbst Rennradfahrer, grübelte 1986 über die ineffizienten Methoden nach, Ergebnisse aus dem Feedback der Fahrer zu schließen: »Kadenz, Geschwindigkeit und Herzfrequenz«, überlegte er, »können allesamt beeinflusst werden von Wind, Temperatur und Streckenprofil.« Die Leistung in Watt hingegen nicht, also machte er sich daran, einen Wattmesser zu konstruieren, die berühmtgewordene SRM, die in der Kurbel sitzt, mit der er 1988 auf den Markt kam (zufälligerweise war LeMond einer von Schoberers ersten Kunden).

Über Jahre blieb die SRM nur einigen Freizeitfahrern sowie wenigen Profis vorbehalten, so teuer und komplex war das System. In den 1990er-Jahren wurde die Entwicklung zur Massen-kompatibilität durch den Sieg der Spritze weiter gebremst.

»Doping hat wissenschaftliche Methoden zur Leistungssteigerung zurückgeworfen, und das schließt die Weiterentwicklung und Integration von Wattmessern mit ein«, sagt Mikel Zabala, Sportwissenschaftler und Trainer bei Movistar, bei denen der kolumbianische Kletterkünstler Nairo Quintana fährt. »Es gab eine Handvoll Trainer, keine Psychologen, keine Biomechaniker … Die Leute glaubten, nur mit Doping sei es zu schaffen. Heutzutage ist der Sport sauberer, jeder Fahrer erhält ein speziell für ihn abgestimmtes Training. Dank Wattmessern werden nicht nur die Umfänge vorgegeben, sondern auch die Trainingsbelastung, man achtet auf den Effekt der Trainingsbelastung, analysiert bisherige Leistungen und korrigiert gegebenenfalls zukünftige Trainingspläne; selbst Änderungen der Taktik noch während des Rennens sind möglich.«

Gewissheit bringt vielleicht Chris Froomes Sieg auf dem Mont Ventoux bei der Tour de France 2013. Über 59 lähmende Minuten kann man Froome dabei beobachten, wie er regelmäßig auf das SRM schaute, bevor er schließlich als Erster über die Ziellinie fährt (und sich sofort eine Sauerstoffmaske überstreift). Fünf Mal griff er an, nach jeder Attacke prüfte er die Leistungsdaten auf seinem SRM. Er kannte seine Schwelle ganz genau, wusste, wie lange er am Anschlag fahren konnte und wie oft. Es hat sich ausgezahlt, Froome gewann seine erste von insgesamt drei Frankreichrundfahrten.

Watt gleich Leistung?

Auf der einfachsten Ebene ist Leistung gleich Kraft mal Weg, dividiert durch die Zeit, gemessen in Watt. In Radsportkreisen versteht man darunter, wie viel Energie ein Fahrer benötigt, um sich und das Fahrrad über eine bestimmte Strecke fortzubewegen. Die Wattleistung zu errechnen, die ein Fahrer erbringen muss, ist zwar ein wenig komplexer, doch je mehr Kraft ein Fahrer erzeugt, desto größer die Leistung und länger die Strecke, die er zurücklegt. Dehnungsmessstreifen innerhalb des Wattmessers zeichnen diese Leistung über einen gleichförmigen Stromkreis auf, sprich: Es existiert ein konstanter Widerstand.

Wenn eine Kraft einwirkt, verformt sich der Dehnungsmessstreifen, dessen elektrischer Widerstand sich verändert. Darüber hinaus kommt es zum Piezoelektronischen Effekt, bei der elektrische Spannung an festen Körpern auftritt, wenn diese verformt werden. Diese beiden Reaktionen auf die angewendete Kraft stören den gleichmäßigen Stromfluss, und exakt diese Differenz und die daraus resultierenden elektromagnetischen Kräfte können aufgezeichnet und in aussagekräftige Daten über die Kraftentfaltung umgewandelt werden. Denken Sie nur daran, wie die UCI Leistungsdaten von Fahrern Fernsehanstalten während der Berichterstattung von Rennen zur Verfügung stellt. Ich traf Jens Voigt bei einem Wohltätigkeitsrennen 2014 in New Forest, als er gerade seinen Rücktritt vom Radsport verkündete. Er wusste zu berichten, dass diese Werte sich über die Jahre immer mehr gesteigert haben: »Wenn ich am Anfang meiner Karriere für zehn Minuten 450 Watt trat, schaute ich mich um – und dann war da niemand mehr«, so der sympathische Rostocker, bekannt für seine Ausreißversuche. »Aber gegen Ende meiner Karriere, wenn ich das da gemacht hätte, hätte ich immer noch 80 Fahrer am Hinterrad gehabt.«

Schoberer erkannte, dass die Messung so nah wie möglich am Kontaktpunkt von Fuß und Fahrrad erfolgen muss, um ein möglichst akkurates Leistungsergebnis des Fahrers zu erhalten. Deshalb integrierte er das SRM in die Kurbel, und obwohl es mittlerweile leichtere Wattmesser gibt, bleibt SRM absoluter Standard in Bezug auf die Erhebung von Leistungsdaten.

»Jeder Fahrer, den ich kenne, verwendet Wattmesser, und wir fahren immer noch mit SRM«, so David Bailey, Sportwissenschaftler und als Trainer zuständig für die Leistungsentwicklung bei BMC Racing, wo u. a. Tejay van Garderen und Ex-Stundenweltrekordler Rohan Dennis unter Vertrag stehen. »Sie sind messgenau und gut einsetzbar, obwohl immer mehr Modelle auf den Markt kommen.«

2015 rüstete SRM insgesamt zehn WorldTour-Teams aus, darunter Trek-Segafredo, Astana und Tinkoff Sport. Team Sky verwendet Stages, ein Wattmesser, der die Daten aus der linken Kurbel ausliest und sie einfach mit zwei (für beide Beine) multipliziert. Ag2r La Mondiale fährt mit Quarq, Movistar und Etixx-Quick-Step mit Power2Max, Lampre-Merida mit Rotor, Cannondale-Garmin – kaum verwunderlich – mit Garmins pedal-basiertem Vector, während LottoNL-Jumbo und Giant Alpecin auf den Wattmesser von Pioneer vertrauen, der die Wattzahl individuell aus beiden Kurbelarmen ermittelt.

»Wir fuhren drei Jahre mit SRM, sind dann aber auf Pioneer umgestiegen«, erklärt Teun van Erp, der als Sportwissenschaftler John Degenkolb bei Giant-Alpecin betreut. »Die Daten gleichen ziemlich genau denen von SRM, also können wir die Ergebnisse sehr gut mit den alten Daten von SRM vergleichen.«

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SRM-Wattmesser an einem Rad von BMC bei der Tour de France.

Warum die Mannschaften auf eine größere Anzahl an Wattmessern zurückgreifen und nicht mehr allein auf die Dienste von SRM vertrauen, hängt mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen sind die Wattmesser mittlerweile viel genauer als die Konkurrenzprodukte von SRM es früher waren, zum anderen spielen Sponsorengelder eine wichtige Rolle – ohne sie lässt sich ein Profiteam, das einen Jahres-etat von mindestens 10 Millionen Euro mitbringen sollte, nicht finanzieren. Und wenn dein Sponsor schon Wattmesser produziert, bietet es sich ja an, auch das Team damit auszustatten.

Wattmesser traten erstmals bei der Tour de France 2012 so richtig in das Bewusstsein von Radsportfans, bei der Bradley Wiggins und sein Team, dem auch Richie Porte und Chris Froome angehörten, jede Opposition am Berg erstickten, indem sie die Anstiege watt-gesteuert hinaufjagten. Die Romantik des Panache war Geschichte (unter Panache verstehen die Franzosen den Mut und die Zähigkeit, Husarenritte entgegen aller Vernunft zu riskieren – Jens Voigt war bekannt dafür) – dies war der klinisch saubere Sieg der Zahlen.

Dowsetts Götterdämmerung

Zahlen und Daten sind auch die Domäne von Zeitfahrern, für die jede Sekunde zählt. Alex Dowsett von Movistar, der 2015 bei der Tour debütierte, fuhr im Mai des gleichen Jahres 52,937 km/h und holte sich den Stundenweltrekord, bevor er einen Monat später von Bradley Wiggins in einem Velodrome mit 54,526 km/h gebrochen wurde.

Der Brite Dowsett kam 2010 von der Trek-Livestrong-Entwicklungsmannschaft zum Team Sky, bevor er Ende des Jahres 2012 zu Movistar ging. Auch wenn sagt, dass er Sky verlassen musste, um seine Karriere voranzutreiben, ist der seinem ehemaligen Arbeitgeber dennoch überaus dankbar dafür, ihn auf das Potenzial von Wattmessern aufmerksam gemacht zu haben.

»Ich war es gewohnt, einfach nach Gefühl Rennen zu fahren«, erinnert er sich. »2012, bevor ich zu Movistar ging, trat ich bei den Weltmeisterschaften an, und ich dachte noch, dass ich ziemlich schlecht abschneiden würde. Nach einem Ellbogenbruch im Frühjahr war meine Form weg, und das Streckenprofil in Holland war brutal. Genau in diesem Moment nahm mich Sean (Yates, Sportlicher Leiter) beiseite und gab mir einen wirklich guten Rat.«

Der Start bei den Zeitfahrweltmeisterschaften 2012 fand in der niederländischen Grenzstadt Heerlen statt, das Ziel lag nach 46,2 Kilometern in Valkenburg. Es gab drei sehr anspruchsvolle Stei-gungen, inklusive dem Cauberg, einem Anstieg von 1,2 Kilometern mit durchschnittlich 5,8 Prozent und maximal 12 Prozent, der Bestandteil des Amstel Gold Races ist. Kurz gesagt – es war extrem schwierig.

»Weil es so hügelig und technisch anspruchsvoll war, hat Sean mir geraten, nur nach Watt zu fahren«, fährt Dowsett fort. »Er sagte, ich sollte sichergehen, dass ich nicht überhitze. Ich war noch nie nach Wattvorgabe gefahren, doch bei diesem Rennen trat ich 420 Watt in der Ebene, 450 in den Anstiegen, bergab ließ ich es rollen. Ich wurde Achter, womit ich nach der Saison hoch-zufrieden sein konnte. Training und Wettkämpfe fahre ich seitdem immer mit Wattmesser.«

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Alex Dowsett ließ sich von seinem ehemaligen Arbeitgeber Team Sky von den Vorteilen eines Wattmessers überzeugen.

Solche enormen Leistungen für über eine Stunde im Schnitt zu fahren, ist wirklich beeindruckend, aber noch nichts im Vergleich zu den kolportierten 1900 Watt, die der Sprinter Marcel Kittel zu leisten vermag, wenn auch nur für zehn Sekunden. Allerdings ist sich Kittel dessen gar nicht bewusst, denn er – wie so viele Profisportler – deckt das Display seines Wattmessers während des Rennens ab, um nicht abgelenkt zu werden und nur seiner Intuition zu folgen, wenn es an der Zeit ist zu sprinten. Ausgeglichene Leistung und Intuition sind Themenfelder, mit denen sich Movistars Sportwissenschaftler Zabala beschäftigt.

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Marcel Kittel (Mitte, im Trikot von Giant-Shimano) bringt es im Zielsprint auf bis zu 1900 Watt.

»Quintana würde am Berg etwas rausnehmen, wenn sowohl sein Gefühl als auch die Daten des Wattmessers es vorgeben«, so Zabala. »Aber der Fahrer, der sich allein auf die Zahlen verlässt, ist verloren. Man muss offen bleiben, auf sein Gefühl hören, vielleicht sind Nairo oder Contador deshalb so wagemutig und greifen auch mal früher an. Andere Fahrer denken dann beim Blick auf die eigenen Daten vielleicht, dass es Selbstmord sei, so viel Watt, das könne man nicht durchhalten. Aber Nairo achtet auf den Gesichtsausdruck der Gegner, die Position im Rennen, auf viele andere Dinge. Offen zu sein, angriffslustig, das ist einfach Teil des Ganzen.«

Zusammengefasst kann man also sagen, dass Wattmesser schon eine gewisse Rolle im Rennen spielen, aber ihr wahrer Wert zeigt sich im Training.

Allgemeines Trainingsvokabular

Der Zweikampf zwischen Chris Boardman und Graeme Obree in den 1990er-Jahren ist mittlerweile legendär. Beide waren Zeitfahrspezialisten, und beide träumten davon, den Stundenweltrekord von Francesco Moser aus dem Jahre 1984 zu brechen. Der Technik-Freak Boardman verbesserte den Rekord auf seinem sehr fortschrittlichen und überaus teuren Lotus Superbike, das über einen Monocoque-Rahmen aus Carbon verfügte. Obree, Sohn eines Polizeibeamten, verbesserte den Rekord ebenfalls, allerdings mit bescheideneren Mitteln: Er startete auf einem selbstgebauten Rad, bei dem Teile der Wasch-maschine Verwendung fanden.

»Graeme war unglaublich«, sagt Boardman, »und ich halte sehr viel davon, einfach nach Gefühl zu trainieren wie Graeme. Aber ich befürchte, die Tage für diese Trainingsart sind gezählt.«

Während Boardman Profi wurde und bei französischen Teams wie GAN und Crédit Agricole reüssieren konnte, blieb Obree stets Amateur, der erst kürzlich einen weiteren Geschwindigkeitsrekord auf dem Fahrrad aufstellte – in Bauchlage. Boardman beendete 2000 seine Karriere, ver-treibt mittlerweile seine eigene Fahrradmarke und arbeitet als Kommentator für ITV bei der Tour de France. Er gehörte zu den ersten Nutzern von Wattmessern und erkannte die Auswirkungen frühzeitig, die sie auf die Profis haben würden.

»Es gab viele, viele Fehlentwicklungen in den letzten 20 Jahren, aber still und leise ist im Hintergrund aus manch cleverer Idee etwas Tolles entstanden«, erklärt Boardmann in seinem so typischen Liverpooler Näseln. »Dazu gehört unzweifelhaft der Wattmesser, obwohl man ohne eine genaue Erklärung, was die Daten überhaupt bedeuten, nur Zahl en salat hat. Ohne Peter Keen [Boardmans Trainer] wäre es nicht gegangen. Er war großer Pionier wattgesteuerter Leistungsdiagnostik und hat dafür eigens eine Art Trainings-voka bular entwickelt.«

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Chris Boardman, hier im Trikot des französischen Teams GAN, war immer ein großer Befürworter der Leistungsmessung.

Keen war einer der ersten in England, der das neue Fach Sportwissenschaften an der Universität Chichester studierte, nachdem er als Junior bei der britischen Bahnradnationalmannschaft gestartet war. 1986, im Alter von nur 22 Jahren, begann er mit Boardman zusammenzuarbeiten. Sechs Jahre später fuhr Boardman in Barcelona im 4000-Meter-Verfolgungsrennen zu Gold – das erste britische Gold im Radsport seit 1920. Keen wurde 1996 Leiter der Leistungsdiagnostik bei British Cycling. Boardman glaubt, dass Keens Einfluss, besonders im Hinblick auf das Training in bestimmten Zielbereichen, die gesamte Kultur im britischen Radsport und schließlich auch im Profiradsport allgemein verändert hat.

»Keen hat Trainingsbereiche für Wattmesser konzipiert«, fährt Boardman fort. »Es gab Level eins bis vier, jeder Bereich legte den Fokus auf eine bestimmte physiologische Verbesserung. Heute gibt es sechs bis sieben Bereiche, das hängt vom Trainer ab, aber damals war es ein großer Schritt nach vorn, weil die gefühlsmäßige Einschätzung einer Leistung wegfiel, die von ›wirklich hart‹ zu ›wirklich einfach‹ schwankte … Solche Einschätzungen haben natürlich für jeden eine andere Bedeutung.«

Keens Entwicklung von Leistungs- und Trainingszonen wurden durch zwei weitere Messwerte ergänzt – Herzfrequenz und Feedback des Fahrers hinsichtlich der gefühlten Schwere der Aufgabe. Die drei P, wie Boardman sie nennt, also Power (Leistung), Puls und Perception (Wahrnehmung), leiteten eine Revolution im Radsport ein, die schließlich unter Dave Brailsford als Nachfolger von Keen gipfelte. Brailsford und British Cycling setzten die erfolgreiche Arbeit Keens fort, verbesserten die drei P und halfen dabei, dass das britische Team zwei weitere Goldmedaillen in Athen holte, bevor es schließlich bei den Spielen in Peking und London ganze acht Goldmedaillen einsacken konnte. Zwischenzeitlich wurde Brailsford Teammanager beim Team Sky (2010) und hatte großen Anteil am Gesamtsieg von Wiggins 2012 sowie den drei Erfolgen von Froome zwischen 2013 und 2016.

»Die Erfolge beim Team Sky und anderswo gehen auf Keen zurück«, erklärt Boardman, »denn Team Sky hat praktisch die Arbeit von Keen bei British Cycling kopiert.«

Boardman weist darauf hin, dass heutzutage zahlreiche WorldTour-Teams das Sieben-Zonen-System anwenden, dass die Amerikaner Dr. Andrew Coggan und Hunter Allen basierend auf den Arbeiten Keens entwickelt haben. Mehr Details hierzu finden Sie auf der Folgeseite, aber kurz gesagt teilen sich Coggans Kategorien auf in (in Abhängigkeit der Intensität): aktive Erholung, Ausdauer, Tempo, Schwellenbereich, VO2max, Anaerobe Kapazität und Neuromuskuläre Leistung. Sie werden situationsabhängig angewendet, aber die Zone »Aktive Erholung« steht beispielsweise nach anstrengenden Rennen auf dem Programm.

»Wattbasierte Leistungsmesser und eng umgrenzte Trainingszonen haben definitiv meine Herangehensweise ans Training verändert«, sagt der Amerikaner Brent Bookwalter, der für BMC Racing fährt und bisher drei Mal an der Tour teilgenommen hat. »Im Verlauf des Jahres trainieren wir in bestimmten Trainingszonen und haken die Sessions ab, obwohl es schon interessant ist, dass viele bei uns im Team bei der Einschätzung der Trainingsintensität wahrscheinlich sehr nah an die Werte der Leistungsdiagnostik heranreichen würden. Aber es gibt so viele Rennen innerhalb der ProTour heutzutage, das Trainingszonen-System ist schon gut, nur so ist verantwortungsvolles Training möglich.«

Der Universalgelehrte

Daniel Healey ist der ehemalige Kopf im Bereich Sportwissenschaften bei Tinkoff Sport. Healey kam von BMC Racing Ende 2014 und kennt die wachsende Bedeutung der Sportwissenschaft im professionellen Radsport. »Seit meinen Studienzeiten Mitte der 1990er-Jahre setze ich auf SRM und spezielle Trainingszonen«, sagte der Neuseeländer. »Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn damals hätte ich niemals einen Job bei Tinkoff bekommen – dieser Beruf existierte nicht im Profiradsport.«

Healey ist ein Universalgelehrter in Sachen Sportwissenschaft, seine Expertise reicht von Coaching bis Ernährung, von Physiologie bis Ausrüstung. Seine wissenschaftlichen Fähigkeiten haben den Milliardär Oleg Tinkoff ein weiteres Mal die Kreditkarte zücken lassen.

Training nach Zahlen

image Die amerikanischen Trainer Dr. Andrew Coggan und Hunter Allen entwickelten das folgende sieben-stufige Trainingssystem für Fahrer, um genauer mit bestimmten physiologischen und leistungsspezifischen Parametern arbeiten zu können. Profi-Mannschaften greifen auf diese Liste zurück, Fahrer kleben sich die individuellen Wattwerte bei Trainingsausfahrten auf das Oberrohr.

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»Ich gebe Ihnen ein Beispiel, wie die Trainingszonen angewendet werden«, erklärt Healey. »Nehmen wir Alberto Contador. Im Dezember fangen wir damit an, ihn für die Tour vorzubereiten. Damit meine ich: Wir machen ihn erst fit und danach stark, wobei wir darauf achten, noch nicht zu viel an der Kraft oder in hohen Intensitäten zu arbeiten. Was wir mit Sicherheit wissen: Training in bestimmten Trainingsbereichen bewirkt eine ganze Reihe physiologischer Veränderungen, die einen Fahrer wie Alberto für eine lange und erfolgreiche Saison vorbereiten.«

Im Dezember lautet das primäre Ziel, eine starke Grundlagenausdauer aufzubauen, als Basis für die härteren Einheiten, wenn die Silvesterraketen langsam verglüht sind und die Saison startet – für die meisten Profis im Januar mit der Tour Down Under.

Die früh in der Saison angestrebten Verbesserungen betreffen die Fähigkeit des Fahrers, Sauerstoff zu transportieren und zu verwerten – unabdingbar, wenn extrem anstrengende Ausdauer-Events wie die Tour de France anstehen. Es gibt zahlreiche Anpassungserscheinungen des Körpers, aber die wichtigsten sind: Erhöhung der Anzahl an Mitochondrien in der betref-fenden Muskulatur, Erhöhung der Größe und Anzahl von Kapillaren in den Muskeln; Erhöhung des Hämoglobin- und Blutplasmawertes, um den Sauerstofftransport zu verbessern; bessere Thermoregulation im Hinblick auf das erhöhte Plasmavolumen und die erhöhte Blutzirkulation; sowie Erhöhung der Speicherfähigkeit von Glykogen, extrem wichtig, wenn es bei hochintensiven Rennen in die entscheidende Phase geht. »Um das zu erreichen, weisen wir unsere Fahrer im November und Dezember an, hauptsächlich Wattzahlen im Erholungs- oder hohen Tempobereich zu fahren (bei relativ kleiner Intensität)«, fügt Healey hinzu.

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Wie nahezu alle Profiradsportler trainiert auch Alberto Contador in bestimmten Trainingszonen.

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Bradley Wiggins’ Tour-Sieg 2012 basierte auf einer simplen, aber effizienten Methode: Fahren nach Zahlen.

Das klingt ja alles gut und schön, aber wie legen Healey und Kerrison beim Team Sky die Trainingsbereiche wie aktive Erholung und Tempo fest? »Wir erstellen von jedem Fahrer während der Trainingslager außerhalb der Saison ein Profil. Wir testen nicht nur, ob sich ihre Kondition verbessert hat, sondern entwerfen für jeden Fahrer einen individuellen Trainingsplan«, erklärt Healey. »Um die Trainingsbereiche zu definieren, brauchen wir einen Referenzwert – und das ist die Laktatschwelle. Eine Definition dafür lautet: Die maximale Leistung, die ein Fahrer eine Stunde lang erbringen kann. Aber das kann sehr ermüdend sein und die Fortschritte, die der Athlet im Training bereits gemacht hat, wieder zunichte machen; also lassen wir die Fahrer am Ende des Trainingslagers für 20 Minuten ihr Maximum geben; von dem so ermittelten Wert ziehen wir fünf Prozent ab und erhalten eine belastbare Schätzung, wieviel der Fahrer pro Stunde leisten könnte, sowie die Laktatschwelle.«

Die Bedeutung der Laktatschwelle

Der Grund dafür, warum die Laktatschwelle oder kurz Schwelle als Maßstab herangezogen wird, um alle anderen Bereiche zu definieren, liegt darin, dass sie die aussagekräftigste physiologische Determinante in Bezug auf Ausdauerleistungen darstellt, denn sie erfasst drei Schlüsselwerte: VO2max, die Prozentzahl von VO2max, die für einen gewissen Zeitraum aufrechterhalten werden kann, sowie die Effizienz beim Radfahren.

»Grundsätzlich liegt die Laktatschwelle genau in dem Bereich, in dem der Körper genau so viel Laktat (Milchsäure) abbaut, wie er produziert«, fügt Healey hinzu. »Man kann das meiste Laktat wiederverwerten und dieses doch sehr ungemütliche Level für eine lange Zeit durchhalten. Alles, was darüber hinausgeht, führt zu einer Ansammlung von Laktat im Muskel, der Fahrer kommt in den roten Bereich bzw. die VO2-Zone. Man darf nur eine bestimmte Menge in diesem Bereich trainieren. In der Hauptsache gilt: Je höher die Laktatschwelle, desto stärker ist der Fahrer.«

Die funktionale Laktatschwelle der Fahrer wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis, obwohl bekannt ist, dass beispielsweise die funktionale Laktatschwelle von Bradley Wiggins zwischen 440 und 460 Watt liegt, wodurch er in der Lage war, den Stundenweltrekord zu pulverisieren; ein Foto, das bei der Tour de France 2015 durchsickerte, zeigt Alberto Contadors Schwelle bei 420 Watt. Ein guter Freizeitfahrer, der zwischen fünf und sieben Stunden pro Woche trainiert, kommt auf einen Wert von knapp unter 250 Watt. Tatsächlich sind die Daten über die Laktatschwelle eines Fahrers so wichtig, dass Team Sky sich wegen Dopingspekulationen im Jahre 2013 genötigt sah, in der L’Equipe Chris Froomes Leistungsdaten zu veröffentlichen (Experten nahmen an, dass Froomes kräftige Antritte mit hochintensiven, einstündigen Leistungssteigerungen von 60 Watt dem entsprechen, was man von einem sauberen Fahrer im Verlauf der Tour erwarten kann). Das Team sah sich im Jahre 2015 erneut dazu genötigt; eine Analyse der Daten finden Sie auf folgender Doppelseite im »Chris Froome«-Kasten.

Sind die individuellen Trainingsbereiche ermittelt, ist es üblich, dass die Trainer die Werte ausdrucken und an das Oberrohr des Rades kleben. »Das habe ich im Team eingeführt«, sagt Healey. »Es gibt eine graue Linie in der Mitte der Karte, dort befindet sich die Laktatschwelle. Im frühen Winter müssen die Fahrer im Bereich darunter trainieren. Wenn Sie über das Ziel hinausschießen, zeigt der Körper Trainingsanpassungen, die nicht in unserem Sinne sind.«

Viel von dem, womit Healey und Konsorten in Bezug auf Trainingsbereiche und -ziele arbeiten, ist ganz klar ein Wettbewerbsvorteil, und daher Teamsitzungen vorbehalten und leider nicht Redaktionssitzungen, auch wenn Healey immerhin die Leistungsdaten von Tinkoff-Sport-Fahrern aus den Wintermonaten veröffentlicht.

»Eine Session, die sich im Lauf der Zeit bewährt hat, ist ein zweistufiges Bergfahren, wobei es ganz simpel darum geht, einen Anstieg in zwei verschiedenen Belastungsintensitäten hinaufzufahren. Zusammen mit speziellen Kraftübungen absolvieren die Fahrer diese Sessions zur Grundlagenbildung. Dabei geht der Fahrer mit Ausdauer-Level in den Berg, hält die Leistung bis etwa zur Mitte des Anstiegs, dann aber steigert er die Leistung (in den Bereich der Tempo-Zone, also zwischen 266 und 318 Watt) und hält diese bis zum Ende durch.«

Healey sagt, dass ein Fahrer in einem vierwöchi-gen Trainingsblock diese Sessions zwei Mal pro Woche absolvieren und ausbauen soll, integriert in eine längere Ausdauereinheit von 3–4 Stunden im Ausdauer-/Tempo-Bereich. In Woche drei wird die Anzahl der Wiederholungen dann schon auf acht erhöht, innerhalb einer fünf-stündigen Ausfahrt; die Intensität hingegen bleibt immer gleich.

Chris Froome     image

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image Die Frankreichrundfahrten 2015 und 2016 wurde von Chris Froome und dem Team Sky dominiert, so sehr, dass Dopingspekulationen aufkamen. Sky versuchte gegenzusteuern und veröffentlichte einige Leistungsdaten Froomes von der 10. Etappe, als der Brite das Rennen an sich riss, besonders auf dem 15,3 Kilometer langen Anstieg hinauf zur Bergankunft in La Pierre-Saint-Martin.

Der Leiter der Athlete Performance vom Team Sky, Tim Kerrison, sagte auf der Pressekonferenz: »Wir haben eine ganze Menge Daten über unsere Fahrer, und wenn wir diese Daten richtig anwenden, besitzen wir natürlich einen Wettbewerbsvorteil. Wie in der freien Wirtschaft ist ein Wissensvorsprung immer auch mit einem Wettbewerbsvorteil verbunden.«

»Es ist ziemlich schwierig, den exakten Beginn des Anstiegs zu beziffern«, fuhr er fort, »also haben wir die letzten 15,3 Kilometer analysiert, die Froome in knapp 42 Minuten zurücklegte.«

Kerrison legte dar, dass Froomes Durchschnittswattzahl bei 414 Watt lag. Froomes funktionelle Laktatschwelle – die Wattzahl, die ein Radsportler für eine Stunde treten kann – ist nicht bekannt, aber wenn man die Zahlen seiner Konkurrenten untersucht (Sir Bradley Wiggins Schwelle liegt bei 440–460 Watt), dann scheinen Froomes Daten plausibel.

Für viel Verwirrung sorgte das Verhältnis von Kraft pro Kilogramm Körpergewicht (siehe auch Kapitel 8). Zunächst mit 6,31 Watt/Kilogramm Körpergewicht angegeben, korrigierte Sky es später auf 5,78 Kilogramm hinunter und begründete den zu hohen Wert mit den ovalen Kettenblättern, die Froome verwendet.

Sportwissenschaftler Ross Tucker analysiert und veröffentlicht bereits seit Jahren Leistungsdaten auf seiner Website. Er hat diese Zahlen zunächst infrage gestellt und gemeint, mit diesen Wattzahlen hätte Froome nicht so schnell den Berg hinauffahren können.

»Allerdings gibt es zwei Erklärungsmodelle für diese Werte, und eine Kombination aus beiden macht es für mich dann doch möglich«, so der Forscher auf seiner Homepage. »Der Hersteller (der Kettenblätter) nennt vier Prozent als die korrekte Reduktion für den zu hohen Wattwert, doch Tim Kerrison verringerte den Wert tatsächlich um sechs Prozent. Ich denke, wenn er es wie vom Hersteller empfohlen nur um vier Prozent korrigiert hätte, wäre die Wattzahl natürlich höher gewesen – wenig zwar, aber immerhin. Auf 414 Watt beläuft sich der Messwert. Wenn Sie 414 Watt um sechs Prozent reduzieren, erhalten Sie 389 Watt; diesen Wert hat Sky durch 67,5 kg geteilt (Froomes Körpergewicht) und schließlich 5,77 erhalten. Aber wenn man 414 Watt als Grundlage nimmt, es um 4 Prozent reduziert, dann erhält man 397 Watt oder 5,89 Watt pro Kilo bei gleichem Gewicht.«

Tucker schlägt weiterhin vor, Froomes Gewicht vor der Dauphiné heranzuziehen (das Rennen konnte Froome im Juni 2015 gewinnen), dort brachte er nur 66 Kilogramm auf die Waage, was zu einer Wattleistung von 6,02 Watt pro Kilogramm Körpergewicht führt. »Dann stimmt es so langsam.«

Im August 2015 unterlief Froome zahlreiche Test beim GSK Human Performance Lab in London, um zu beweisen, dass seine Leistung auf natürlichem Wege zustande gekommen ist und nicht 2015 veröffentlicht und zeigten, dass Froomes maximale Leistung bei 525 Watt liegt und er 419 Watt für 20–40 Minuten fahren kann. Sein VO2max liegt bei 84,6ml/kg. Alle drei Parameter konnten den Verdacht auf Doping nicht erhärten. Seine verbesserten Leistungsdaten im Vergleich zum Jahre 2007 führt man auf seinen Gewichtsverlust zurück, damals wog er noch 75,6 kg, bei der Tour 2015 nur noch 67 kg.

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Der Brite Chris Froome vom Team Sky feiert seinen Sieg auf der Etappe nach La Pierre-Saint-Martin am französischen Nationalfeiertag bei der Tour de France 2015.

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Die Fahrer von Tinkoff Sport, inklusive Alberto Contador, verwenden Leistungsmesser von SRM.

Auswertung der Daten

Natürlich ist es eine Sache, Trainingsbereiche zu definieren – eine ganz andere Sache ist es, zu überwachen, dass die Fahrer sie nicht auf die leichte Schulter nehmen (unwahrscheinlich) oder zu viel wollen (eher der Fall). »Nach jeder Trainingsfahrt laden wir die Daten für die Trainer hoch«, sagt Bauke Mollema von Trek-Segafredo, Siebter bei der Tour 2015. »Das lohnt sich, denn Fahrer und Trainer können gemeinsam die Werte mit den Daten aus vorherigen Monaten oder Wochen vergleichen.«

Der Vorteil bei der Wireless-Technologie liegt ganz einfach darin, dass die Informationen aus dem Wattmesser in Sekunden auf einen Computer oder ein Smartphone hochgeladen werden können, doch ohne eine Analyse-Tool zwecks Untersuchung und Auswertung der Daten stünde der Fahrer ratlos vor einem Zahlenwust. »Wir werden von TrainingPeaks unterstützt, jeder Fahrer verwendet deren Software für das Training«, so David Bailey, Trainer bei BMC. »Mittlerweile gilt: Hält sich der Fahrer nicht an die Vorgabe, nimmt er nicht an Rennen teil.«

TrainingPeaks ist ein Online-Training-Anbieter, der – so könnte man argumentieren – existiert, eben weil die Teams sich nun auf die Wattzahlen verlassen. »Früher mussten wir Stift und Papier benutzen und die Zahlen mühsam aufschreiben«, so Boardman. »Heute sind die Werte einfach zugänglich und nicht mehr so komplex.«

TrainingPeaks ist das Kind von Dirk Friel, Sohn des berühmten amerikanischen Trainers Joe Friel, und Gear Fisher, einem Ingenieur und Radsportler. »Wir haben TrainingPeaks 1999 entwickelt und gingen damit 2000 online«, erklärt Friel. »Die ersten Kunden waren Triathleten, aber unser Durchbruch im Radsport kam 2007 – in dem Jahr, als Bob Stapleton T-Mobile übernahm. Er wollte mehr Verantwortung und einen sauberen Sport. Unter Bob arbeiteten wir mit dem Team zusammen, kurz darauf folgte das belgische Team Lotto. Im darauffolgenden Jahr begann unsere bisher längste Partnerschaft mit dem Team Saxo«, fährt Friel fort. »Wir haben keinen Pulsschlag seit 2008 verpasst. [Trainer] Bobby Julich hat uns zu Saxo gebracht, dann ging er zu Sky, dann BMC, um schließlich zu Saxo zurückzukehren, einmal im Kreis also. In Bobbys zweitem Jahr bei Sky verhalf Tim Kerrison dann unserem System zum Sieg.«

TrainingPeaks bereitet eine ganze Reihe von Grafiken auf, die wiedergeben, wie sich die Leistung des Fahrers während der Fahrtstrecke einer Trainingsausfahrt oder eines Rennens entwickelt hat. Diese Daten können Tag für Tag, Woche für Woche verglichen werden, sodass schnell ersichtlich wird, ob der gewünschte Effekt eintritt: länger und schneller zu fahren. Wahrscheinlich liegt die größte Entwicklung in dem Bereich, der Ermüdung Herr zu werden, sowie in der perfekten Vorbereitung auf ein Rennen, meint Friel, aber sein schlagendes Verkaufsargument lautet Flexibilität.

»Es gibt nicht den einen Weg, unser System zu verwenden«, so Friel weiter. »Jedes Team und jeder Trainer hat seine eigene Methodik, seine eigenen Messwerte und Daten, auf die er jeden Tag achtet. Bei manchen Teams schaut sich der Trainer jede einzelne Datenaufzeichnung einer Tour-Etappe an und erhält so sein Feedback. Ist der Fahrer heute in den Bereich seiner Maximalleistung vorgestoßen? Wie schwer war die Etappe? Wie hoch war die Belastung an diesem Tag? Wie wirkt sich das auf die Folgeetappen aus? Wo sollte der Athlet zu diesem Zeitpunkt des Rennens stehen? Ist die Ermüdung noch nicht zu weit fortgeschritten, sodass die Fahrer in fünf Tagen an den schweren Anstiegen noch Leistung bringen können? Viele Trainer schauen sich jeden Wert an, jeden Tag, und besprechen sich dann mit dem Sportlichen Leiter«, erklärt Friel weiter. »Die Unterhaltung mag dann vielleicht folgendermaßen ablaufen: ›Sie werden in vier Tagen bereit sein‹, oder: ›Push sie nicht zu hart morgen, schone sie etwas.« So wird die potenzielle Strategie für die nächste Etappe ermittelt.«

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Bradley Wiggins im Gespräch mit Mannschaftstrainer Shane Sutton bei einer Trainingspause in Les Herbiers, Frankreich.

Rogers’ Etappensieg

Ein weiterer Vorteil von TrainingPeaks: Einer größeren Personenzahl wird ein Einblick in den Alltag eines Profis ermöglicht. Wie viel Watt treten die Fahrer an schweren Anstiegen? Wie schnell fahren sie und wie viele Kalorien werden dabei verbrannt? Nehmen wir als Beispiel die Tour de France 2014.

TrainingPeaks veröffentlichte – mit Erlaubnis der Teams – Daten von jeder einzelnen der 21 Etappen. Michael Rogers lud seine Daten für den Grand Départ von Leeds nach Harrogate herauf. Während der 190 Kilometer langen Etappe konnte man aus einer kleinen Kurve, ähnlich eines EKGs, entnehmen, dass Rogers 4007 Kilokalorien verbrannt hatte und immerhin 445 Watt für 11:23 Minuten am ersten Anstieg treten konnte. Am zweiten Anstieg waren es noch 388 Watt für insgesamt 8 Minuten. Die Daten ergaben außerdem, dass Rogers mit einer ungewöhnlich niedrigen Kadenz von 79 U/min fuhr. Am nächsten Tag, auf der 201 Kilometer langen Etappe von York nach Sheffield, verbrannte Rogers 4860 Kalorien während der fünf-einhalb Stunden im Sattel und trat am Anstieg zum Cote de Holme Moss durchschnittlich 361 Watt (die gesamte Etappe leistete er im Durchschnitt 319 Watt).

Diese Daten wurden automatisch an die Smartphones der Trainer gesendet. Mit ihnen gelang es dem Team, ein detailliertes Bild von der Verfassung des Fahrers zu zeichnen und seinen Ernährungsplan zu verfeinern. Rogers sandte in der Folge auch weiterhin seine Daten an TrainingPeaks. Die 15. Etappe, 222 Kilometer von Tallard nach Nimes, war einer der windigsten und regnerischsten Tage bei der Tour 2014. Rogers verbrannte 800 Kalorien pro Stunde, trat im Schnitt 336 Watt in der hektischen letzten Stunde des Rennens, bevor er fünf Kilometer vor dem Ziel für 30 Sekunden lang 634 Watt leistete – eine beeindruckende Performance am Ende einer schweren Etappe, aber nicht genug, um Alexander Kristoff von Katusha zu schlagen.

Obwohl ein harter Tag hinter ihnen lag, untersuchten Rogers und sein Team die Werte. Schnell wurde deutlich: Rogers war in Form. »Wir hatten uns die 16. Etappe ausgeguckt«, so der Profi, »und das Team stand hinter mir. Es war die längste Etappe bei der Tour, aber auch die letzte Gelegenheit für Ausreißer, von den führenden Teams in Ruhe gelassen zu werden, sofern sie im Gesamtklassement keine Gefahr darstellten.«

Rogers war Teil einer 21-köpfigen Ausreißgruppe, die schnell einen zehnminütigen Vorsprung auf das Peloton herausgefahren hatte. Immerhin fünf schafften es hinauf zum Gipfel des schwersten Anstiegs an diesem Tag, dem Port de Balès: Michael Rogers, Vasil Kiryienka, José Serpa, Thomas Voeckler und Cyril Gautier.

Die Etappe schien wie bereitet für den französischen Sprinter Gautier, doch Rogers über-raschte seine Konkurrenten mit einem Angriff vier Kilometer vor dem Ziel. Gautier – kalt erwischt – verpasste Rogers’ Hinterrad, und der frühere australische Meister in der Verfolgung sicherte sich mit all seiner jahrelangen Erfahrung endlich den ersten, lang ersehnten Etappensieg.

»In der Rückschau glich es bisschen Harakiri«, erklärt Rogers. »Es war ein Katz-und-Maus-Spiel, aber ich wollte zu Beginn des Ausreißversuchs noch nicht alles geben, schließlich fährt niemand gern 200 Kilometer allein. Ich war der einzige aus meinem Team, Europcar war allerdings gleich mit mehreren Fahrern vertreten. Doch ich bin lange genug dabei, um zu wissen: Wenn sich die Chance bietet, musst du sie ergreifen.«

Obwohl er zugibt, dass er diesen entscheidenden Angriff nicht durch Leistung allein bewerk-stelligt hat, zeigen seine Datenaufzeichnungen (siehe auch den Kasten »Leistungsprofil«), dass Rogers nach sechs Stunden in der Ausreißgruppe auf den letzten knapp viereinhalb Minuten im Schnitt 377 Watt getreten hat, bei einer Durchschnittgeschwindigkeit von 57,7 km/h. Darüber hinaus verbrannte er 6639 Kalorien. Obwohl Rogers aufgrund seiner Werte im Sprint keine Chance gehabt hätte, kann man sich ziemlich sicher sein, dass sein Trainer um die Chancen auf einen Sieg bei dieser Etappe wusste und sich auf Rogers Vergangenheit in der Bahn-Verfolgung verließ. Sie hatten die Werte der 15. Etappe analysiert, sie konnten sehen, dass er die Kondition hatte, bei einer Ausreißgruppe mitzugehen und – obwohl er kein Sprinter ist – sich noch genug »Körner« für die nicht zu unterschätzenden letzten vier Kilometer für eine hohe Durchschnittswattzahl aufzusparen.

»Wie Michael gezeigt hat, ist TrainingPeaks