image

DR. INGEBORG RAUCHBERGER

SCHREI
KIKERIKI,

WENN DU EIN EI LEGST

10 goldene Erkenntnisse,
wie Frauen sich im Berufsleben besser verkaufen

image

image

Copyright 2019:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Bildquelle: Shutterstock

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Gesamtherstellung: Daniela Freitag

Lektorat: Sebastian Politz

Korrektorat: Elke Sabat

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-640-0

eISBN 978-3-86470-641-7

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

image

Postfach 1449 image 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 image Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: buecher@boersenmedien.de

www.books4success.de

www.facebook.com/books4success

Dieses Buch widme ich meinen Eltern, die viel dazu beigetragen haben, dass ich bin, wer, wie und was ich bin.

Manches konnten aber auch sie nicht verhindern. image

INHALT

WER BIN ICH?

WARUM SCHREIBE ICH DIESES BUCH?

MEINE ERSTE GOLDENE ERKENNTNIS:
MACH DOCH, WAS DU WILLST! (ABER TRAGE AUCH DIE VERANTWORTUNG DAFÜR.)

Lebst du dein Leben?

Warum lebst du nicht das Leben, das du möchtest? Wer oder was hält dich davon ab?

Als was würdest du am liebsten arbeiten, wenn dir alle Türen offenstünden und du die freie Auswahl hättest? Wenn du ganz allein, nach deinen Wünschen entscheiden könntest?

Die Erfahrungen, die ich im Laufe meines Lebens gemacht habe

MEINE ZWEITE GOLDENE ERKENNTNIS:
SEI KEIN HÄTTIWARI!

Meine „Happy-Birthday-Briefe“ oder Grüße aus der Vergangenheit

„Wer viel fragt, geht viel irr!“

Was es mir (zumindest ein wenig) leichter macht, solche Niederlagen zu verarbeiten

Meine Suche nach dem ersten Job

Wie ich es mir erlaubte, meinen gut bezahlten, „sicheren“ Angestelltenjob aufzugeben, um Verhandlungstrainerin zu werden

Entscheide dich, was du machen willst, mach es und sei gut darin

Vorschlag für ein 10-Punkte-Programm für dein Leben

MEINE DRITTE GOLDENE ERKENNTNIS:
WENN DU DICH KLEINMACHST, BRAUCHST DU DICH NICHT ZU WUNDERN, WENN DIR ANDERE AUF DEN KOPF STEIGEN

Sprechen wir zuerst über graue Mäuse

Die kleinen Veilchen im Moose

Ich bin noch klein, mein Herz ist rein

Du schaffst, was du dir selbst zutraust

Was du anziehst, strahlst du aus. Was du ausstrahlst, ziehst du an

MEINE VIERTE GOLDENE ERKENNTNIS:
EVERYBODY‘S DARLING IS EVERBODY’S DEPP

Kennst du schon die vier Ohren von Herrn Schulz von Thun?

Auch die falsche Wortwahl macht uns klein

Auch deine Stimme kann dich kleinmachen

Dem Liebsten zuliebe klein oder: Augen auf bei der Partnerwahl!

Die Mama, der Papa, der ältere Kollege …

Meine Tipps, wenn du andere überzeugen willst

Wenn du dich nicht freiwillig kleinmachst, sondern kleingemacht werden sollst

Nur so tun, als wäre man klein

MEINE FÜNFTE GOLDENE ERKENNTNIS:
DU ERLEDIGST ALLES SELBST? DU MACHST ALLES ALLEIN? DAS IST SCHÖN BLÖD

Was, bitte, ist denn ein Mentor?

Du erledigst lieber alles selbst, als jemand anderen darum zu bitten? Warum ist das so?

Hilfe holen oder selbst erledigen? – Eine generelle Entscheidungshilfe

Nach welchen Kriterien du dich am besten entscheidest

Du erledigst lieber alles selbst, als jemand anderen darum zu bitten? Hinterfragen wir deine Gründe

Die Vorteile, wenn du delegierst – für dich und die anderen

Wenn jemand Arbeit an dich delegieren will, für die du eigentlich nicht zuständig bist

Wie du professionell delegierst

Entscheidung: Kind oder Karriere?

MEINE SECHSTE GOLDENE ERKENNTNIS:
SCHREI KIKERIKI, WENN DU EIN EI LEGST! NICHT DIE, DIE DIE ARBEIT MACHEN, ERNTEN DIE LORBEEREN, SONDERN DIE, VON DENEN MAN ANNIMMT, DASS SIE SIE GEMACHT HABEN

Kikeriki zu schreien kann vieles bedeuten

Wenn man nicht weiß, wer du bist, weiß man nicht, was du kannst. Mit allen Konsequenzen

Präsentieren geht über Lamentieren

Du fürchtest dich vor Fragen nach deiner Präsentation

Kikeriki im Chefbüro oder: die „Problem-Franzi“

Wenn ein Kollege Kikeriki schreit, obwohl du das Ei gelegt hast

Warum werden Frauen oft nicht gehört? Was du tun kannst, damit man dir zuhört

Spiel über die Bande

MEINE SIEBTE GOLDENE ERKENNTNIS:
UNTERSCHÄTZE NIE DIE VORTEILE DES NETZWERKENS UND KNÜPFE GEZIELT KONTAKTE

Meine Netzwerke und ich

Netzwerk – wozu?

Unterschied Männernetzwerke – Frauennetzwerke

Ein paar Worte über Small Talk

MEINE ACHTE GOLDENE ERKENNTNIS:
FRAUEN VERDIENEN NOCH LANGE NICHT, WAS SIE WERT SIND

Wie denkst du über Geld?

Frauenlohn – Männerlohn

Wer oder was ist schuld daran, dass Frauen weniger verdienen?

Fangen wir mit den Männern an

Oft sind wir Frauen selbst schuld, dass wir weniger verdienen!

Geld für dein Mittelalter und Alter

Anfangsgehalt

Gehaltsverhandlungen

Bei Gehaltsverhandlungen geht es nicht um Geld, es geht um Gerechtigkeit

Die Grundvoraussetzungen für eine Gehaltserhöhung

MEINE NEUNTE GOLDENE ERKENNTNIS:
DU SOLLST NICHTS ALS GEGEBEN HINNEHMEN!

Nimm nicht an, dass alles, was geschieht, mit dir zu tun hat

Einfache Mittel, um nicht gleich den Hammer zu schwingen

MEINE ZEHNTE GOLDENE ERKENNTNIS:
GUT IST BESSER ALS PERFEKT

Wir alle müssen Powerfrauen sein? Ich will aber nicht

Ein Blick hinter die Perfektionsfalle

Fehler machen ausdrücklich erlaubt

Ich liebe das Paretoprinzip

DIE BEEINDRUCKENDE LEBENSGESCHICHTE DER INY KLOCKE

GÄSTELISTE

Hier stelle ich dir meine Gäste vor, die in diesem Buch aus ihrem Leben erzählen und uns ihre wertvollsten Tipps verraten

Außerdem kommen kurz zu Wort, ohne es zu ahnen

LITERATURLISTE

WER BIN ICH?

In den 1960er-Jahren soll ich im Kindergarten auf die Frage, was ich einmal werden möchte, geantwortet haben: „Ich werde Mutter und Chef.“ Damals kannte man das Wort gendern noch nicht. In den 1970er-Jahren wollte ich eine Band gründen, die so berühmt werden sollte wie die Beatles, und es hieß, das ginge nicht, weil ich ein Mädchen bin. Das fand ich höchst ungerecht.

In den 1980er-Jahren habe ich mein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen, geheiratet, bin zwei Mal Mutter geworden, begann die Karriereleiter hinaufzuklettern, war aber noch nicht Chefin. Damals kannte man das Wort gendern schon.

In den 1990er-Jahren habe ich meinen Mann beerdigt und betrauert, wurde Prokuristin eines internationalen Handelsunternehmens, flog durch die Welt und führte mit Menschen aus den verschiedensten Kulturen Verhandlungen und Gespräche, war mit Leidenschaft Mutter, hatte bis zu 40 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, meine historischen Sophia-Farago-Romane begannen die Bestsellerliste zu erklimmen und ich habe, alles in allem, auf hohem Energielevel einfach nur funktioniert.

In den 2000er-Jahren fand ich die zweite Liebe meines Lebens, habe wieder geheiratet, mehrere Trainer- und Coachingausbildungen abgeschlossen, mich als Unternehmensberaterin und Verhandlungstrainerin selbstständig gemacht, drei Kabarettprogramme geschrieben, auf Bühnen in Deutschland, Österreich und Südtirol gespielt und noch mehr Bücher verfasst. Ich habe begonnen, mich selbst wieder mehr wahrzunehmen.

In den 2010er-Jahren bin ich mit Verhandlungstrainings und Coachings durch die Lande gedüst und als Rednerin das Highlight auf so mancher Veranstaltung gewesen. Ich habe mich gefreut, dass mein Verhandlungsbuch „Schlagfertig war gestern“ in die dritte Auflage ging und mein Roman „Die Braut des Herzogs“ die Top 10 bei Kindle erreichte und damit „Shades of Grey“ verdrängte. Zwar nur kurzfristig, aber immerhin. image Meine derzeitigen beiden neuen Herzensprojekte sind: mein Wissen und meine Erfahrungen, gepaart mit meinem Humor, auch digital weiterzugeben und ganz besonders dieses Buch.

WARUM SCHREIBE ICH DIESES BUCH?

In all den Jahren habe ich viel ausprobiert, war erfolgreich, bin auf die Nase gefallen, war glücklich, überfordert, am Boden zerstört, habe mich gekränkt gefühlt, geärgert, mich wieder aufgerichtet und weitergemacht. Ich habe mir neue Ziele gesetzt, diese verworfen, weiterentwickelt, angesteuert und erreicht. Immer wieder hat man zu mir gesagt: „Wenn du als Frau etwas erreichen willst, musst du doppelt so gut sein wie ein Mann!“ Das sah ich gar nicht ein. Ich wollte gleich gut sein und dasselbe erreichen. Wir Frauen haben doch ohnehin schon viel zu viel um die Ohren, wenn wir dann auch noch doppelt so gut sein müssten, dann wären wir doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Also entlarvte ich den Satz als Versuch, Frauen zu entmutigen, und machte mich auf die Suche nach etwas, was mich stattdessen ermutigen würde. Um wie vieles einfacher wäre es für mich gewesen, wenn ich ein weibliches Role Model gehabt hätte, das mir verraten hätte, wie der Hase läuft, ohne dass ich jeden Fehler selbst hätte machen müssen. Natürlich gab es in allen Generationen großartige Frauen, so auch in meiner Familie. Doch Großmutter, Mutter und Tanten in Ehren – was berufliche Top-Positionen betraf, so hatten wir in den 80er-Jahren gegenüber Männern noch größeren Aufholbedarf als heute. Als ich jung war, gab es in meiner Heimatstadt von immerhin mehr als 200.000 Einwohnern eine einzige niedergelassene Rechtsanwältin. Das ist heute zum Glück nicht mehr vorstellbar. Auf der ganzen Welt fand man kaum Politikerinnen und die, die es gab, hatten wenig zu entscheiden. In der Wirtschaft sah es ähnlich aus. Soweit ich mich erinnern kann, war Beate Uhse die einzige Frau in einem deutschen Vorstand. In Österreich fällt mir auch nur Maria Schaumayer als Präsidentin der Nationalbank ein. Kurz, es gab noch keine Frau, an deren Werdegang ich mich hätte orientieren und von deren Wissen ich hätte profitieren können. Du hast Glück, heute ist das anders. Inzwischen gibt es in allen beruflichen Bereichen erfolgreiche Frauen. Wenn auch noch immer viel zu wenige.

Dieses Buch soll der Mutmacher sein, den ich als junge Frau vergeblich gesucht habe. Es bringt dir meine geballten Erfahrungen aus vielen Jahren, mein Insiderwissen, meine Gedanken dazu und jede Menge bunter Beispiele, die tatsächlich stattgefunden haben, auch wenn ich Namen, Orte und manchmal auch Branchen verändert habe (Datenschutz, du weißt schon …), aus denen du deine eigenen Schlüsse ziehen kannst. Ich verrate dir meine zehn goldenen Erkenntnisse mit dem Ziel, dir Fehler, Umwege und so manches Auf-die-Nase-Fallen zu ersparen. Meine zehn Lieblingsweisheiten bekommst du als kleines Geschenk obendrauf.

Ich bin offen und ehrlich und habe mich von der Wirksamkeit all meiner Tipps tatsächlich überzeugt – alles nach bestem Wissen und Gewissen und bisweilen unkonventionell. Denn ich bin gern unkonventionell. image Wer mich kennt, wundert sich nicht, dass meine Erkenntnisse in so manchem vom Mainstream abweichen.

Es ist ein sehr persönliches Buch geworden. Doch das war mir noch nicht genug. Ich habe zu bestimmten Wissensgebieten Expertinnen mit ins Boot geholt und Kolleginnen meiner Netzwerke um ihren wertvollsten Rat gebeten. Außerdem startete ich auf Facebook die Umfrage „Welche Frauen bewundert ihr? Wer ist euer Vorbild?“. Daraus entstand eine lange Liste großartiger Frauen. Ich habe mich sofort darangemacht, mit einigen von ihnen Kontakt aufzunehmen – zumindest mit denen, die noch nicht verstorben sind, in den USA wohnen oder ihre Tage als Bundeskanzlerin verbringen. Es ist mir daher eine Ehre und Freude, in diesem Buch viele beruflich und privat erfolgreiche Frauen als Gäste zu Wort kommen zu lassen. Ein großes Dankeschön an alle! Erst euer Input macht dieses Buch zu einer runden, besonders wertvollen Sache.

Also sei gespannt, was dich erwartet. Es liegt an dir, was du dir aus diesem Buch mitnimmst und wie du das umsetzt, denn die Verantwortung bleibt natürlich weiterhin bei dir.

Ach ja, noch eine kleine Erklärung vorweg. Ich stelle mir vor, dass du, die das Buch oder den E-Reader in Händen hältst, eine Frau bist. Bist du ein Mann, so freut es mich genauso. Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht ein Gegeneinander, sondern nur ein Miteinander von Frauen und Männern zum Erfolg führt. Obwohl es manchmal lustvoll sein kann, Männer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. image

image

Mit 20 war ich das Aschenputtel, von Selbstzweifeln geplagt und unsicher. Mit 40 war ich dann schon die Macheten-Frau, mit Schwertern in jeder Hand. Ich kämpfte mit Vorliebe gegen Männer und meine Feinde fielen links und rechts zu Boden. Bis ich merkte, dass man sehr einsam wird mit zwei Macheten in der Hand. Da werden auch Freunde zurückhaltend. Und schließlich entdeckte ich die Macht des Charmes, also gelebter Wertschätzung. Seither ist mein Leben leichter. Und auch Männer lieben mich.

Sabine Asgodom, Keynote-Speaker, Coach, Bestsellerautorin

MEINE image GOLDENE ERKENNTNIS

MACH DOCH, WAS DU WILLST! (ABER TRAGE AUCH DIE VERANTWORTUNG DAFÜR.)

image

image

MACH DOCH, WAS DU WILLST! (ABER TRAGE AUCH DIE VERANTWORTUNG DAFÜR.)

LEBST DU DEIN LEBEN?

Starten wir doch gleich mit dieser wichtigen Frage. Die Betonung liegt einerseits auf dem Wort Leben. Lebst du es oder lässt du einen Tag nach dem anderen vorbeigehen? Andererseits liegt die Betonung auf dem Wort dein. Machst du, was du wirklich willst oder lebst du das Leben von jemand anderen? Zum Beispiel das der braven, folgsamen Tochter, die tut, was die Eltern sich wünschen oder gar verlangen? Obwohl du schon über 18 bist? Oder lebst du als graue Maus, die so gern bunt wäre? Oder bist du die hart arbeitende Mitarbeiterin, die nie Nein sagen kann? Und die bei Gehaltserhöhungen trotzdem stets übergangen wird? Lebst du das Leben einer Frau, die alles allein schaffen will, auch wenn der Tsunami der Überforderung schon dabei ist, sie in den Abgrund zu reißen? Lebst du das Leben der … – ich bin mir sicher, dir fällt ohne langes Nachdenken ganz spontan die passende Ergänzung für diesen Satz ein, die dein eigenes Leben perfekt beschreibt. Wenn du deine Antwort auf diese Frage gefunden hast, kommt schon die nächste Frage:

WARUM LEBST DU NICHT DAS LEBEN, DAS DU MÖCHTEST? WER ODER WAS HÄLT DICH DAVON AB?

Beginnen wir mit Maries Geschichte: Die Karrieremesse war in vollem Gange, ich war soeben auf dem Weg zum großen Saal, wo ich einen Impulsvortrag zum Thema „Gehaltsverhandlungen“ halten sollte, da lief mir Marie, die Tochter einer alten Bekannten, über den Weg. Sie trug das mittelblaue Polyesterkostüm der Hostessen und wirkte alles andere als motiviert. Ich war ein wenig verwirrt. Meines Wissens hatte Marie Mathematik und Physik für Lehramt studiert, müsste jetzt, mit Ende 20, längst damit fertig sein und sollte vor einer Schulklasse stehen, anstatt hier Flyer zu verteilen. Wir verabredeten uns zum Mittagessen.

„Reden wir nicht über das blöde Studium“, sagte sie mir bei Tisch. „Ich bin jetzt im 19. Semester und immer noch kein Ende in Sicht. Physik! Als ob mich das je interessiert hätte. Die Mama hat sich das eingebildet und jetzt sieht sie, was sie davon hat.“

Wie lange wollen wir anderen die Schuld geben, wenn es in unserem Leben nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen?

Etwa so lange wie meine frühere Nachbarin, die sich 1969 scheiden ließ und noch heute ihren untreuen Gatten namens „Affenkopf“ (tatsächlicher Ausdruck von der Autorin erheblich entschärft image) für alles verantwortlich macht, was ihr in ihrem Leben nicht passt? Natürlich war es gemein von ihm, sie mit drei kleinen Kindern sitzen zu lassen, um mit der Sekretärin ein neues Leben zu beginnen. Natürlich war das damals nicht ihre Entscheidung und sie hatte völlig recht, wütend, traurig, gekränkt und enttäuscht zu sein. Andererseits aber war es ihre Entscheidung, die Verantwortung für ihr Leben auch nach der Trauerphase nicht wieder zu übernehmen und ihrem Ex-Mann weiterhin die Macht über ihr Schicksal zu geben – in ihrem Fall sogar über seinen Tod hinaus.

Es wird immer eine Mama, einen Papa, eine Oma, einen Opa, eine Nachbarin, einen Affenkopf, gewisse Umstände oder die schlechte Marktlage geben, die dir die Richtung für dein Leben vorgeben wollen. Doch es ist dein Leben und nur du kannst es leben. Entscheide dich also, ob und welchen Rat du annehmen willst, übernimm aber die volle Verantwortung und geh deinen Weg.

In den Generationen vor uns hatten Kinder, meist waren es die Söhne, oft keine Wahl. Der Vater war Schuster, der Sohn hatte die Werkstatt zu übernehmen. Schluss der Diskussion. Der Papa war Chefarzt, der Sohn hatte Medizin zu studieren. Der Vater war Bauer, da hatte der Älteste, in manchen Regionen auch der Jüngste, den Bauernhof zu übernehmen. Egal, ob er wollte oder nicht. Und sagte etwa seine Schwester: „Ich würde gern den Hof weiterbetreiben“, dann war das für die Familie keine ernsthafte Überlegung wert. Eine Frau hatte zu heiraten und sich um Mann, Kinder und alte Schwiegereltern zu kümmern. Fertig, aus.

Ich liebe die Geschichte von Brigitte aus der schönen Wachau. Ihr Vater hatte das kleine Weingut seines Vaters zu einem größeren ausgebaut und beklagte sein schweres Schicksal, nur mit drei Töchtern gesegnet zu sein. Brigitte, die älteste, hatte in Krems Weinbau studiert und bekundete – es war immerhin schon Mitte der 90er-Jahre und nicht das Mittelalter – reges Interesse an der Übernahme des Betriebs. Doch der Vater fand diese Idee lächerlich. Zu seinem Glück brachte dann die Jüngste einen passenden Schwiegersohn ins Haus. Dem wurde der Hof übergeben. Brigitte wurde ausbezahlt, kaufte ihren ersten Weinberg und … zählt heute zu den Topwinzern der Region. Ihre Weine sind preisgekrönt, ihre Einnahmen übersteigen die ihres Schwagers um ein Vielfaches. Ist das nicht schön? Ich war so hellauf begeistert, als sie mir ihre Geschichte erzählte, dass ich Brigitte gleich die doppelte Anzahl Weinflaschen abkaufte, als ich eigentlich geplant hatte. Am liebsten wäre ich ihr zudem auch noch um den Hals gefallen, um ihr zu bestätigen, wie stolz sie auf sich und das, was sie erreicht hat, sein kann. Immerhin hätte sie auch sagen können: „Ich wäre so gern Weinbäuerin geworden, aber der Papa war so ungerecht …“, und ihren Traum aufgeben können. Hat sie aber nicht. Sie hat ihn nie aus den Augen verloren und lebt ihr eigenes Leben.

Was die Berufswahl betrifft, so haben sich die Dinge in den letzten Jahren, zumindest in unserem Kulturkreis, zum Glück geändert. Ich kenne viele Familien, in denen die Töchter ganz selbstverständlich und mit Erfolg die Unternehmen ihrer Eltern weiterführen. Eine davon ist Dr. Verena Majer, die im elterlichen Maschinenbaubetrieb nachgefolgt ist. Ich habe sie gefragt, wie es denn so war, Firmenchefin in einer männerdominierten Branche zu werden.

„Familienintern war die Nachfolge gut strukturiert und verlief reibungslos“, erzählte sie mir, „auch kundenseitig gab es keine Probleme. Allerdings hatte sich der damalige Betriebsleiter Hoffnungen auf den Chefsessel gemacht, im wahrsten Sinn des Wortes.“ Einen massiven Lederstuhl habe er gefordert, gepolstert mit Rückenlehne. Verena lacht: „Wie aus einem Film. Außerdem dachte er, dass ‚die Frau‘, also ich, nur alle zwei bis drei Tage ein bisschen durch den Betrieb spazieren und die Post lesen würde. Als klar war, dass ich das Unternehmen zu führen gedachte, kam es zum Konflikt und letztendlich zur Trennung. Ich denke, jedes betriebliche Umfeld ist anders. Gute Unterstützer sind aber auf jeden Fall hilfreich. Ich bin einige Jahre nach der Übernahme EWMD-Mitglied1 geworden. Im Gespräch mit den Kolleginnen habe ich dann gemerkt, dass es für alle anderen auch Herausforderungen der unterschiedlichsten Art gibt und ich nicht die einzige mit anstrengenden Themen bin. Das hilft enorm.“

Natürlich habe ich Verena auch nach ihrem wertvollsten Tipp für Betriebsnachfolgerinnen gefragt. Ihre Antwort spiegelt die Härte der Realität wider, macht aber auch Hoffnung:

image

Mein wichtigster Tipp

Rechne als Betriebsübernehmerin mit Skepsis, Anfeindungen und Beleidigungen. All das hat nichts mit dir als Person oder als Frau zu tun. Männlichen Nachfolgern geht es genauso, sie geben es nur seltener zu. Die Gründe sind vielfältig. Das kann Verunsicherung sein, „Abtasten“ auf Belastbarkeit, Suche nach Manipulationsmöglichkeiten oder auch die Diskussion um eine neue Rangordnung. Skepsis gegenüber einem oder einer neuen Vorgesetzten ist normal. Nimm das alles nicht persönlich. Berate dich mit Freunden in ähnlichen Situationen und gehe voll Selbstvertrauen deinen eigenen Weg.

Dr. Verena Majer, Geschäftsführerin ihres eigenen Maschinenbauunternehmens

Ich kenne auch viele Beispiele, in denen Firmen verkauft wurden, weil der eigene Nachwuchs sich ein anderes Leben vorstellt als das, das in früheren Jahrhunderten vorgezeichnet gewesen wäre. So weit, so erfreulich. Damit wir uns richtig verstehen: Ich sage nicht, dass das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu leben immer einfach und lustig ist. Aber es ist bei Weitem einfacher, lustiger und auch erfüllender, als das Leben einer anderen zu leben. Bleibt die Frage, warum dann immer noch so viele Menschen das machen, was sie eigentlich gar nicht wollen.

Vor ein paar Jahren, ich war Leiterin einer Rechtsabteilung, wurde mir für die Dauer ihrer Semesterferien eine Praktikantin namens Saskia angekündigt. Ich bezweifelte zwar, dass mir eine Studentin im vierten Semester eine große Hilfe sein könnte, aber die Firmenleitung hatte ihr bereits zugesagt; also beschloss ich, das Beste daraus zu machen. Da ich es nicht mag, wenn Praktikanten ihre wertvolle Lebenszeit damit verbringen, sinnlos herumzusitzen und ab und zu den Kopierer zu bedienen, habe ich spannende Rechtsfälle herausgesucht, um Saskia einen guten Einblick in die Praxis zu geben.

„Was möchten Sie von mir lernen? Was interessiert Sie denn besonders?“, fragte ich sie an ihrem ersten Arbeitstag.

„Jus“, sagte sie und meinte damit ihr Studium, das in Deutschland Jura heißt, „interessiert mich gar nicht. Ich wollte eigentlich Konditorin werden, aber meine Eltern haben darauf bestanden, dass ich studiere. Also habe ich sechs Studienrichtungen auf einen Würfel geklebt und den Zufall entscheiden lassen. Jus hat gewonnen.“

Bravo. Ich war mir sicher, die junge Frau stand vor einer bahnbrechenden Karriere. Nur zur Sicherheit: Das meine ich natürlich ironisch. image Für mich war spannend, dass man nicht nur aus Zwang oder aus Liebe ein Leben führen kann, das man nicht will, sondern auch jemandem zum Trotz. Sollen die Eltern doch sehen, wie weit sie kommen, wenn ich jahrelang ohne Erfolg studiere! Oder gar für immer in einem Beruf lande, der mich nicht freut.

„Saskia“, sagte ich, „es ist Ihr Leben, nicht das von Mama und Papa. Warum nehmen Sie es nicht in die Hand und suchen sich eine Lehrstelle als Konditorin? Wenn Sie sich richtig reinhängen, bin ich sicher, es wird Ihnen gelingen, Ihre Eltern zu überzeugen.“

Die Antwort kam postwendend: „Ich bin doch nicht blöd. Wieso soll ich denn jeden Tag früh aufstehen, wenn ich es so viel chilliger habe? Außerdem würde ich als Konditorin bei Weitem weniger Geld verdienen, als mir meine Eltern jetzt bezahlen.“

Da haben wir ihn wieder – den Grund, warum viele nicht das erfüllte Leben führen, das sie führen könnten: die eigene Faulheit und Bequemlichkeit. Dieses Verhalten rächt sich früher oder später. Denn die Zeit und die Chancen, die sie dadurch vergeudet haben, bringt ihnen niemand zurück.

Nach einem Vortrag bin ich meist von Leuten umringt, die mich um Rat fragen oder mit mir diskutieren wollen. So erzählte mir Luisa stolz, dass sie vor Kurzem ihr Studium der Betriebswirtschaft abgeschlossen habe und auf Arbeitssuche sei. Nun ist Betriebswirtschaft ein Studium, das vielseitig einsetzbar ist, und so fragte ich: „In welchem Bereich möchten Sie denn am liebsten tätig werden?“ Darauf ihre Antwort: „Ich habe ohnehin schon im Internet nachgesehen, welche Firmen jemanden suchen.“

Ich stutzte, denn das hatte ich sie gar nicht gefragt. Wirklich gewundert hat mich die Antwort allerdings nicht. Viele Leute richten sich nach Ende ihrer Schule, Lehre oder ihres Studiums nach den offenen Stellenangeboten. Stehen mehrere zur Auswahl, bevorzugen sie meist den Job mit dem höheren Gehalt, den besseren Sozialleistungen oder den in räumlicher Nähe. Statt sich zuerst die wichtigen Fragen zu stellen: Was will ich wirklich? Warum habe ich diese Ausbildung absolviert? Die Antwort lautet dann hoffentlich: aus eigenem Interesse. Wie stelle ich mir meinen Arbeitsalltag vor? Bin ich eine Teamplayerin oder arbeite ich lieber allein? Liegt mir Kundenkontakt? Welche meiner Talente möchte ich vor allem einbringen können? Wie sieht mein optimales Arbeitsumfeld aus? Auch wenn du weißt, dass kein Job immer und in allen Facetten spannend oder angenehm ist: Was muss unbedingt vorliegen, damit du dich, zumindest in den nächsten Jahren, mit Freuden dort siehst?

Die jetzigen Berufsanfängerinnen sind zum Großteil in einer besseren Position, als wir Babyboomer es waren. Babyboomer, also die Generation eurer Großeltern und Eltern, die zwischen 1955 und 1964 geboren wurden, nennt man nicht umsonst so: Von uns gab es stets viele, und wie ihr sicher selbst festgestellt habt, gibt es die immer noch. image Meist mussten wir um einen einzigen Arbeitsplatz kämpfen. Ihr, die man so schön Generation X, Y und Z nennt, steht, wenn ihr Glück und eine gute Ausbildung (wichtig!) habt, vor einer bei Weitem größeren Auswahl. Dennoch wird diese wichtige Entscheidung oft aus wenig durchdachten Gesichtspunkten getroffen. Natürlich steht es dir frei, den Arbeitsplatz wieder zu wechseln, und doch legst du dir mit jeder Stelle, die du annimmst oder nicht annimmst, das nächste Puzzleteil für deinen weiteren Lebensweg. Darum stell dir bitte folgende Frage:

ALS WAS WÜRDEST DU AM LIEBSTEN ARBEITEN, WENN DIR ALLE TÜREN OFFENSTÜNDEN UND DU DIE FREIE AUSWAHL HÄTTEST? WENN DU GANZ ALLEIN, NACH DEINEN WÜNSCHEN ENTSCHEIDEN KÖNNTEST?

„Träume sind die Mütter der Taten.“

Sabine Asgodom in „Deine Sehnsucht wird dich führen“L2

Glaubst du, dass die meisten, denen ich diese Frage stelle, vor Begeisterung loszusprudeln beginnen? Seltsamerweise nicht. Immer wieder höre ich Sätze wie: „Ich will mir keine falschen Hoffnungen machen. Es liegt eben nicht an mir allein.“ Oder: „Man muss sich nach den offenen Stellen am Markt richten.“

Dann erzähle ich immer gern die Geschichte von Henriette. Die Tierärztin brachte ausgedruckte E-Mails ins Coaching mit. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich mich entscheiden soll. Bisher habe ich nach der Geburt meiner Zwillinge als Urlaubvertretung für mehrere Praxen gearbeitet, doch nun suche ich eine Festanstellung. Mein Mann wird in wenigen Monaten eine neue Ausbildung beginnen, wir brauchen mein geregeltes Einkommen.“ Sie legte die Papiere auf den Tisch: „Hier wird eine Pharmareferentin gesucht, die Medikamente für Tiere verkaufen soll. Und der Schlachthof braucht jemanden zur Überwachung der Vorschriften bei der Schlachtung. Ich habe mich bei beiden Stellen beworben und bin zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden. Jetzt bin ich unsicher, welche ich annehmen soll.“ Sie seufzte tief.

„Welche der beiden Stellen spricht Sie denn ganz spontan mehr an?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte, die dann auch umgehend kam. „Gar keine! Ich habe doch nicht so lange Tiermedizin studiert, um dann auf dem Schlachthof zu landen. Vom Verkaufen habe ich keine Ahnung, ich bin mit Sicherheit auch nicht der richtige Typ dafür.“

„Statt darüber nachzudenken, welche der beiden Alternativen Sie weniger furchtbar finden, könnten Sie sich doch auch überlegen, was Sie stattdessen wirklich machen wollen“, schlug ich vor.

Zuerst war es gar nicht so einfach, Henriette dazu zu bringen, ihre Berufswünsche laut auszusprechen, obwohl ich sicher war, dass sie sie längst kannte: „Mein Traum wäre eine eigene Praxis. Es muss keine große sein. Auf eine teure Ausstattung für Operationen kann ich verzichten. Ich habe eine Zusatzausbildung in Physiotherapie und Osteopathie für Kleintiere, da reichen mir zwei Räume. Die dürfen allerdings nicht zu weit von meiner Wohnung entfernt sein, damit ich die Mittagspause mit meinen Kindern verbringen kann.“

Ich vergewisserte mich, ob das alles sei, sie nickte und fragte: „Aber was nützt mir dieses Wissen? Ich habe mich im Kollegenkreis erkundigt, es wird keine kleine Praxis frei und irgendwo völlig neu anzufangen, ist zu riskant. Ich brauche spätestens in einem halben Jahr ausreichend Geld, um meine Familie zu ernähren. Was soll ich tun?“

„Hören Sie sich weiter um. Fragen Sie noch andere Kollegen und Kolleginnen, Bekannte, alle, die Sie bei Ihren Aushilfsstellen treffen. Bitten Sie sie, dass man Sie verständigt, wenn man etwas hört. Versuchen Sie, als Tierärztin sichtbar zu werden. Schreiben Sie kleine Artikel für regionale Zeitungen zu Ihrem Spezialthema. Halten Sie Augen und Ohren offen, packen Sie jede Gelegenheit beim Schopf.“

Den Einwand, dass die beiden offenen Stellen sicher vergeben wären, wenn sie zu lange wartete, ließ ich nicht gelten: „Einen Job, den Sie nicht leiden können, finden Sie allemal wieder.“

Nach einigen Wochen bekam ich einen freudestrahlenden Anruf, der überraschend begann: „Stellen Sie sich vor, meine Straße wurde aufgegraben!“

Es stellte sich umgehend heraus, warum das wichtig war: Henriette konnte mit dem Auto nicht auf den gewohnten Wegen in die Innenstadt fahren. Sie musste zuerst stadtauswärts fahren, verirrte sich und kam bei einer Tierarztpraxis vorbei, die sie nicht kannte. Sie dachte an meine Worte, hielt an und ging hinein. Wie sich herausstellte, gehörte die Praxis einem älteren Kollegen. „Ich wollte mich schon längst zur Ruhe setzen“, sagte dieser, „doch ich finde keinen Nachfolger und will meine Tiere nicht unversorgt lassen. Es haben sich schon viele meine Praxis angesehen, aber sie war ihnen zu klein. Für einen Operationstisch ist hier kein Platz.“

Henriette und er wurden sich rasch einig. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt bereits am Schlachthof oder als Pharmareferentin gearbeitet, wäre sie nie in die fremde Praxis hineingegangen. Ja, sie hätte sie wohl nicht einmal gesehen.

MEINE LIEBLINGSWEISHEIT NUMMER 1:

Wer nicht weiß, was er will, der findet nicht, was er sucht.

image

Mein wichtigster Tipp

Stell dir nie die Frage: „Ist es möglich?“, sondern immer: „Wie ist es möglich?“ Dieses kleine Wort kann dein ganzes Leben verändern.

Julia Sobainsky, Deutschlands bekannteste Charisma-Expertin

Nach all den Erzählungen über andere interessieren dich wahrscheinlich:

DIE ERFAHRUNGEN, DIE ICH IM LAUFE MEINES LEBENS GEMACHT HABE

Beginnen wir bei meiner Berufswahl. Nach dem Abitur stand für mich ohne Wenn und Aber fest: Ich werde Schauspielerin. Ich hatte in der Jugendtheatergruppe des Landestheaters gespielt, selbst Auftritte dafür organisiert und war Gast im Schülertheater eines Gymnasiums für Jungen gewesen, die die Mädchenrollen nicht gut selbst spielen konnten. Ja, ich weiß, zu Zeiten Shakespeares gaben Männer auch die Frauenrollen, aber so alt bin ich nun auch wieder nicht. image Meine Eltern nahmen diese Berufswahl überraschend gelassen zur Kenntnis, obwohl zahlreiche ihrer Bekannten die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Schauspielerin! Das war für sie, Ende der 70er-Jahre, fast so, als hätte ich verkündet, ins Rotlichtmilieu einsteigen zu wollen. Ich fuhr also nach Wien, um mich zur Aufnahmeprüfung bei der Schauspielakademie anzumelden, da kam ich mit der Straßenbahn an der Universität vorbei. Studenten beiderlei Geschlechts strömten aus dem Haupttor. Sie sahen alle so großartig aus, so erwachsen, so enorm wichtig. Da entschied ich: Dort will ich auch dazugehören. Während ich in der Warteschlange der Schauspielakademie stand, überlegte ich mir, was ich an der Uni studieren könnte. Was konnte ich gut? Was interessierte mich so stark, dass ich bereit war, mich einige Jahre intensiv damit zu befassen und für Prüfungen zu büffeln?

Entschuldige bitte, dass ich kurz abschweife, aber in diesem Zusammenhang fällt mir die Geschichte von Ida ein, die ich unbedingt erzählen muss. In Deutschland kommt für Gymnasiasten irgendwann der Zeitpunkt, an dem sie sich entscheiden müssen, welche Fächer sie als Schwerpunkte wählen. Ida war gut in Mathe und interessierte sich sehr für Naturwissenschaften. Ihr großes Ziel war es, nach dem Abitur Biologie zu studieren. Sie beriet sich mit Mutter, Tante und dem dominanten Großvater und dann standen die Hauptwissensgebiete für die Oberstufe fest: Deutsch und Fremdsprachen. Denn das andere konnte sie ja bereits. Daher sollte sie sich auf das konzentrieren, was sie nicht mochte oder nicht konnte. Klingt das für dich logisch? Für mich auch nicht. Es klingt eher nach: Schicken wir den Pinguin doch schnell mal zu den Kängurus zum Hüpftraining. Das kann er nicht. Das mag er nicht. Aber es erweitert seinen Horizont.

Idas Horizont hat es übrigens nicht erweitert. Sie mag Deutsch und Fremdsprachen bis heute nicht. Leider, leider konnte sie auch nicht Biologie studieren, da die Noten nicht gut genug waren, um den Numerus clausus zu schaffen. Sie ist dem Opa heute noch böse. In diesem Fall, finde ich, völlig zu Recht. Als die Entscheidung fiel, war sie 15 und konnte sich nicht durchsetzen. Sie hat es allerdings nicht beim Zürnen belassen, sondern sich später so weitergebildet, dass sie jetzt einen Beruf ausübt, der ihren Interessen und Talenten entspricht. Gut gemacht, Ida! Zurück zu mir. Meine Talente waren und sind: analysieren, zuhören, einigermaßen logisch denken (du siehst, egal wie alt man wird, die Tendenz, sich selbst kleinzumachen, bleibt erhalten. Wenn auch zum Glück in abgeschwächter Form. image Darum werden wir uns das Thema „Sich kleinmachen“ in Kürze noch genauer ansehen), reden, schreiben und mit der deutschen Sprache zu jonglieren. Die Auswahl an möglichen Studienrichtungen war damals deutlich geringer als heute. Also fand ich, dass nur zwei für mich infrage kamen: Rechtswissenschaften und Psychologie. Der erste Studienabschnitt in Psychologie sollte dem Vernehmen nach zu großen Teilen aus Mathematik und Statistik bestehen. Blieb das Recht übrig. Die Freude meiner Eltern war nun noch um einiges größer als bei der Schauspielerei, wie du dir vorstellen kannst. Sie unterstützten mich bei meinem Vorhaben, beide Ausbildungen parallel in Angriff zu nehmen. Tagsüber war ich in der Uni, abends in der Schauspielschule. Ein Jahr hielt ich die Doppelbelastung durch, dann hängte ich die Schauspielerei an den Nagel. Ich konnte nicht singen, ich konnte nicht fechten, auch im Darstellungsunterricht war alles anders, als ich es mir in meinen naiven Träumen ausgemalt hatte, und zu den exaltierten, bunten Vögeln rund um mich passte ich auch nicht. Allerdings bin ich heute noch glücklich, wenn ich einen von ihnen im Fernsehen sehe und laut rufen kann: „Den kenne ich! Mit dem war ich in der Schauspielakademie.“

image

Der wertvollste Rat in meinem Berufsleben

kam von meiner Mutter.

Inmitten einer großen beruflichen Krise sagte sie zu mir: „Kind, mach doch das, was du am besten kannst.“

Dieser Satz half mir sehr, mich auf das Wesentliche zu besinnen und diese Kernkompetenz herauszubilden. Mich haben immer wieder Frauen beeindruckt, die zu einem bestimmten Thema wahre Größe gezeigt haben, das kann eine Führungspersönlichkeit sein, aber auch Sängerinnen oder Sportlerinnen. Als ich eine Jugendliche war, war es eine sehr kritische und powervolle Diakonin, die mich prägte.

Barbara Messer, Speakerin, Trainerin, Autorin und Coach

Keine Sekunde habe ich es bereut, beide Ausbildungen zumindest versucht zu haben. Allerdings bin ich auch stolz darauf, dass ich den Mut hatte, mit einer wieder aufzuhören, als ich merkte, dass sie nicht zu mir passte. Dafür habe ich dann all meine Energie in die zweite gelenkt und das Studium durchgezogen. Ich promovierte, bekam zwei Monate später meinen Sohn und hatte ein halbes Jahr Zeit, bevor mein einjähriges Gerichtspraktikum beginnen sollte. Die Endphasen des Studiums waren sehr stressig gewesen, ich hatte Tag und Nacht gelernt, um die Promotion vor der Geburt zu schaffen, und nun saß ich plötzlich zu Hause und war „nur“ Mutter und Ehefrau. Ich weiß, ich weiß, es gibt Kinder und Ehemänner, die halten eine Frau rund um die Uhr in Trab und sie kommt kaum zum Atmen, geschweige denn zum Nachdenken. Meine beiden Männer waren jedoch „pflegeleicht“. Internet, das mich hätte ablenken können, gab es noch nicht, also begann ich zu grübeln. Gibt es noch etwas anderes, das mich interessiert? Was kann ich noch? Was würde ich gern tun, während das Baby schläft? Die Antwort war nicht schwer: Ich male gern, ich sticke gern (damals tat ich das zumindest gern), ich bastle gern.

„Ich möchte etwas Kreatives machen“, überraschte ich meinen Mann, als er am Abend nach Hause kam, und schilderte ihm meine Idee. „Ich will selbst gemachte Sachen verkaufen.“

„Wie stellst du dir das vor?“, lautete seine skeptische Frage, die ich aus heutiger Sicht betrachtet durchaus nachvollziehen kann. „Willst du irgendwann eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnen und im Nachbarraum einen Laden für Kunstgewerbe betreiben? Wenn dort die Türglocke bimmelt, dann lässt du alle Verträge stehen und liegen und verkaufst ein selbst bemaltes Osterei?“

Damals lag das für mich durchaus im Bereich des Möglichen, also nickte ich. Schon kam die nächste Frage: „Glaubst du, dass du von deinen selbst gemachten Sachen leben kannst?“

Das allerdings wusste ich nicht, denn ich hatte es noch nicht versucht. Also beschloss ich, es auszuprobieren und im darauffolgenden Jahr einen Stand auf dem größten Weihnachtsmarkt der Stadt, am Linzer Hauptplatz, zu betreiben. Diese Entscheidung liegt doch auch für dich auf der Hand, oder? image

Falls nicht, kann ich das natürlich verstehen. Im Unterschied zu vielen Menschen, die etwas zu ihrem eigenen Vergnügen machen, kommt bei mir nämlich bei allem, was ich tue, automatisch die Frage auf: Wie nutze ich das? Wie bringe ich das unter die Leute? Das war übrigens auch von Anfang an bei meinen Büchern so. Viele Menschen schreiben Geschichten zu ihrem eigenen Vergnügen. Als ich jedoch meinen ersten Roman im Kopf hatte und zu schreiben begann, da wusste ich, dass ich ihn veröffentlichen will, und hatte die unverbrüchliche Zuversicht, das auch zu schaffen. Ich hätte nie etwas nur für mich und meine Schublade geschrieben, denn ich schreibe nicht allein um des Schreibens willen, sondern um anderen mit meiner Fantasie Freude zu machen. Folgerichtig bastelte ich auch nicht um des Bastelns willen. Und so viele Verwandte, um sie mit Kunstwerken aus eineinhalb Jahren Arbeit zu beglücken, habe ich auch wieder nicht.

Gemeinsam mit meiner kreativen Cousine startete ich das Vorhaben „Stand auf dem Christkindlmarkt“ und, weil es nur Sachen aus Handarbeit geben sollte, nannten wir das Projekt „Handstand“. Im Dezember des nächsten Jahres hatten wir schließlich mehr als tausend Dinge fabriziert. Unsere Männer bauten uns die passende Holzhütte. Das war nicht nur ausgesprochen lieb von ihnen, sondern auch äußerst hilfreich, und bestätigt eine weitere Erfolgsthese, die wir noch besprechen werden:

MEINE LIEBLINGSWEISHEIT NUMMER 2:

Augen auf bei der Partnerwahl! image

Fünf lange, kalte Winterwochen lang standen wir dann abwechselnd, mit Alufolie in den Stiefeln, um zumindest unsere Zehen warm zu halten, in unserer liebevoll dekorierten Hütte und sahen neiderfüllt auf die Punschstände, vor denen sich die Menschenmassen drängten. Wir verkauften nicht schlecht, erzielten jedoch kaum mehr als unseren Wareneinsatz. Und nach mehreren Hundert kleinen Kunstwerken war meine Lust zu basteln erheblich abgekühlt. Damit war die Idee „Kunstgewerbeladen“ ein für alle Mal vom Tisch. Aber ich kann sagen: Ich habe es zumindest versucht und brauche mich nicht mein ganzes Leben lang mit dem Gedanken zu quälen: Was wäre, wenn.

1 Über EWMD, das Netzwerk für Frauen mit Fach- oder Führungsverantwortung, erzähle ich dir später noch Genaueres, wenn wir in einem gesonderten Kapitel die Vorteile des Netzwerkens besprechen.

2 Hochgestellte L bedeuten, dass du dazu Näheres in der Literaturliste im Anhang findest.

MEINE image GOLDENE ERKENNTNIS

SEI KEIN HÄTTIWARI!

image

image

SEI KEIN HÄTTIWARI!

In Österreich ist der Begriff „Hättiwari“ beliebt, den der bekannte, leider schon verstorbene Journalist Herbert Hufnagel prägte. Wie oft hört man Leute sagen: „Hätte ich … dann wäre ich …“, auf gut Wienerisch: „Hätt i … war i …“ Unter Sportlern sind Hättiwaris häufig vertreten. „Hätt i diese Kurve enger genommen, dann wär i zwei Zehntel schneller gewesen!“

Ihr wisst, was ich meine. Das entspricht in etwa dem in Deutschland verbreiteten Sprichwort „Hätte, hätte, Fahrradkette!“. Ich wollte und will nie ein Hättiwari sein und ich wünsche mir für dich, dass du auch keiner bist. Bevor ich dir erzähle, wie es in meinem Leben weiterging, hier ein paar wichtige Gedanken zum Hättiwari:

Als mein erster Mann starb, war ich 35. Es war schlimm, gar keine Frage. Aber es wäre sicher noch viel schlimmer gewesen, wenn ich mir Vorwürfe hätte machen müssen, dass wir etwas versäumt hätten. Doch wir haben alles gemacht, was wir noch machen konnten. Wir haben alles erlebt, was wir noch erleben konnten. Wir haben Reisen unternommen, obwohl er kaum noch gehen konnte und immer wieder an Krampfanfällen litt. Wir haben die Risiken in Kauf genommen, die damit verbunden waren, aber auch gemeinsame Erlebnisse geteilt, die Freude in unsere letzten gemeinsamen Jahre brachten. Glaubt mir, es ist schwer, jemanden gehen zu lassen. Aber es wäre sicher noch bedeutend schwerer gewesen, wenn vieles offengeblieben wäre. Wenn wir gemeinsam Hättiwari gespielt hätten, bis es zu spät gewesen wäre.

Da kommt mir der Gedanke an mein eigenes Lebensende in den Sinn. Ja, ich weiß, das ist für viele kein einfaches Thema und außerdem ist es ja noch ganz weit weg. Wahrscheinlich. Hoffentlich. Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, dass es einmal kommt. Und dass wir nicht wissen, wann. Sorgen wir doch heute schon dafür, dass wir am Schluss nicht bereuen müssen, etwas nicht getan zu haben.

Kennst du Menschen, die immer wieder etwas aufschieben?

„Ich würde so gern mehr mit meinen Kindern unternehmen. Wir sollten wieder einmal zusammen spielen oder die Welt erkunden. Das mache ich ganz bestimmt, wenn ich beruflich nicht mehr ganz so eingespannt bin.“

Kommt dir das bekannt vor? Das sind die Eltern, die eines Tages völlig erstaunt aufwachen und feststellen, dass ihr Nachwuchs plötzlich 18 und flügge geworden ist. Das sind die Männer über 50, die sich mit einer jüngeren Frau noch einmal Kinder zulegen und sagen: „Bei denen mache ich alles anders und hole nach, was ich bei den ersten versäumt habe.“

Macht dich das auch so wütend? Wie bitte, so frage ich, kommen die erste Frau und die ersten Kinder dazu, als die dazustehen, für die sich dieses Mehr an Aufmerksamkeit noch nicht gelohnt hat? Wie leben die mit dieser Gewissheit?

image