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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

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ISBN 978-3-86764-754-0 (Print)

ISBN 978-3-7398-0199-5 (EPUB)

ISBN 978-3-7398-0200-8 (EPDF)

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2017

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Printed in Germany

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz

Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98

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Vorwort

Warum schreiben Autoren ein Buch über Internationale Betriebswirtschaftslehre (IntBWL) und nicht über Allgemeine Betriebswirtschaftslehre (ABWL)? – diese berechtigte Frage kann man stellen.

Die Autoren gehen von der These aus, dass die IntBWL allgemeiner zu verstehen ist als die ABWL, und die bisherige ABWL nur die nationale, allgemeine BWL jedes Landes war und ist, und damit ein Spezialfall.

Geht man nur von der Europäischen Union der letzten 25 Jahre aus, so bewegen wir uns zumindest in einem Zwischenschritt zwischen nationaler ABWL und IntBWL auf eine Europäische Allgemeine Betriebswirtschaftslehre zu. Dies lässt sich durch folgende Fakten belegen:

Damit stellen sich neuartige, problemorientierte Fragestellungen in der IntBWL im Rahmen der Globalisierungsdebatte bzw. der Globalisierung der Märkte: Wie müssen ein internationales Marketing, eine internationale Forschung und Entwicklung, eine internationale Produktion, Logistik und Einkauf in einer Unternehmung auf diese Globalisierung reagieren und agieren? Welche internationalen Rechtsformen, Rechnungslegungsalternativen, IT-Optionen, Formen des Online-Handels und des internationalen Finanzmanagements bieten sich für das internationale Unternehmen an? Wie können eine interkulturelle Belegschaft und ein internationales Management organisiert und geführt werden?

Fragestellungen – so die Meinung der Autoren –, an die heute Studenten der Betriebswirtschaftslehre strukturiert herangeführt werden müssen, um dieses Wissen im Bachelor und Master nachhaltig zu vertiefen. Und natürlich nicht zuletzt, um dieses Wissen in Unternehmen als Absolventen einbringen zu können.

Natürlich ist jegliches Feedback zu Struktur und Inhalt des Buches herzlich willkommen!

Herrn Dr. Jürgen Schechler von der UVK Verlagsgesellschaft danken wir für die erneut gute Zusammenarbeit.

Dänemark und Deutschland

Die Verfasser/innen

Das Buch widmen wir zur Emeritierung 2016 Herrn Univ.-Prof. Dr. Günter Müller-Stewens (St. Gallen) und wünschen ihm noch viele wissenschaftliche Schaffensjahre.

Inhaltsübersicht

  1. Patricia Žižak und Wilhelm Schmeisser
  2. Reinhard Heyd
  3. Gerfried Hannemann und Dora Höhne
  4. Rebecca Popp
  5. Rebecca Popp
  6. Stefan Beißel
  7. Pierre Wolfram und Alexander Brem
  8. Bernhard Irrgang

Inhalt

  1. Internationale Unternehmenskulturen und Interkulturalität als Forschungsfeld der „Internationalen Betriebswirtschaft“
  2. Controlling und Rechnungswesen nach IFRS als Grundlage für eine Internationale Unternehmensführung
  3. Internationale Zahlungsbedingungen als Instrumente zur Absicherung der Export-Umsatzerlöse im Rahmen des internationalen Finanzmanagements
  4. Societas Europae (SE), Aktiengesellschaft und Börse im Rahmen der Finanzierung internationaler Unternehmen
  5. Internationales Marketing und Internationales Innovationsmanagement
  6. Management der IT als wesentlicher Einflussfaktor für internationale und globale Unternehmen
  7. Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement: Innovation zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
  8. Ethische Hermeneutik zwischen technologischer Globalisierung und ökonomisch-utilitaristischem Diktat – ein Exposé zur Unterscheidung von Bewertungsebenen

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz
AG/AGs Aktiengesellschaft/Aktiengesellschaften
AktG Aktiengesetz
Art. Artikel
BGBl Bundesgesetzblatt
EG Europäische Gemeinschaften
EU Europäische Union
f./ff. folgende/fortfolgende
F&E Forschung und Entwicklung
GmbH/GmbHs Gesellschaft mit beschränkter Haftung/ Gesellschaften mit beschränkter Haftung
IT Informationstechnologie
MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz)
S. Seite
SE Societas Europaea
SEAG Gesetz zur Ausführung der SE-VO (SE-Ausführungsgesetz)
SEBG Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz)
SEEG Gesetz zur Einführung der Europäischen Gemeinschaft
SE-RL Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer
SE-VO Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft
u.a. und andere
vs. versus

1 Internationale Unternehmenskulturen und Interkulturalität als Forschungsfeld der „Internationalen Betriebswirtschaft“

Patricia Žižak und Wilhelm Schmeisser

Lernziele

1.1 Grundsätzliches

Da multinationale bzw. internationale Unternehmen in verschiedensten Ländern tätig sind, müssen sie sich vor Ort auch mit den unterschiedlichsten Landeskulturen, Religionen, Philosophien, Staatsauffassungen wie den Kommunismus in China sowie deren Rechtssystemen auseinandersetzen, um wirtschaftlich erfolgreich tätig zu werden bzw. um in den Ländern Tochterniederlassungen mit einheimischen Mitarbeitern führen zu können.

Religionen bildet dabei in vielen Ländern die Basis der Landeskulturen und der Rechtsauffassungen. Religionen, wie der Islam in Saudi-Arabien, bilden für die Staatsbürger bzw. Menschen dieses Landes einen religiösen Lebensund Rechtssinn, der für sie bindende und nicht hinterfragbare bzw. kritisierbare Inhalte der privaten und unternehmerischen Lebensführung vermittelt. Internationale Unternehmen müssen derartige Verhältnisse in einem Land mit in ihr wirtschaftliches, unternehmerisches Kalkül einbeziehen.

In westlichen Demokratien, wie in den USA, Kanada, Australien oder Europa versteht und sieht man Ethik eher als wissenschaftliche Theorie der Moral an, die nicht auf religiösen „Heiligen Büchern“ wie den Koran, der Bibel oder den Talmud beruhen.

Westliche Demokratien vertreten die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, den Rechtsstaat und das Demokratieprinzip. Westliche Unternehmen vertreten deshalb die Meinung, dass man über Ethik, Moral oder Unternehmenskultur in der Unternehmensführung kritisch diskutieren können muss, und überlegen, wie sich Werte und Normen wissenschaftlich – ohne Religion, Kommunismus etc. – begründen lassen.

Die Internationalisierung der Märkte hat zunehmend zu internationalen Verflechtungen geführt und die Wirtschaft maßgeblich verändert. Unternehmen müssen sich am globalen Markt, an Religionen und Philosophien orientierten, um konkurrenzfähig zu bleiben und gehen in der Konsequenz z.B. Kooperationen, strategische Allianzen oder Fusionen in Ländern wie China ein. Der Vielfalt dieser internationalen Unternehmenskooperationen sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ebenso haben sich die Geschäftsmodelle, -aktivitäten und -felder der Unternehmen im internationalen Kontext verändert. Der Arbeitsalltag ist zunehmend durch interkulturelle Begegnungen gekennzeichnet, sowohl extern im Umgang mit ausländischen Kunden und Kollegen, als auch unternehmensintern beim Arbeiten mit und in multikulturellen Teams beispielsweise im Marketing-, Produktions-, Logistik- sowie im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Dabei treffen Interaktionspartner bzw. Kollegen/innen verschiedener kultureller Hintergründe aufeinander, die sich durch unterschiedliche Normen und Wertevorstellungen, sowie Denk- und Handlungsweisen charakterisieren lassen. Infolgedessen können interkulturelle Begegnungen zu Unsicherheiten, Missverständnissen und unvorhergesehenen Problemen führen und folglich zu geschäftlichen Misserfolgen beitragen.

In diesem Zusammenhang entstehen erhebliche Anforderungen an die einzelnen Interaktionspartner und an die internationale Unternehmungsführung. Die Interaktionspartner benötigen zur effektiven und angemessenen kulturübergreifenden Zusammenarbeit, interkulturelle Fähigkeiten. Über die sprachlichen Eignungen hinaus, sind Fähigkeiten zum Denken und Handeln in interkulturellen Zusammenhängen erforderlich. Denn wer in fremden Kulturen erfolgreich geschäftlich tätig sein will, muss ihre Sprache und Besonderheiten kennen.

Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten und den daraus resultierenden Anforderungen sind internationale Unternehmungen gezwungen, die notwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Gestaltung der internationalen Zusammenarbeit und Marktbearbeitung zu schaffen.

1.2 Von der unternehmenskulturellen Organisationsforschung zur Interkulturalität

Unternehmenskulturforschung als methodischer Ansatz in der Betriebswirtschaftslehre stammt ursprünglich aus der Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Philosophie, Geschichtswissenschaften, kritische Theologie, Archäologie, Sprachwissenschaften etc. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde das Unternehmenskulturphänomen innerhalb der Management- und Organisationsforschung thematisiert. Das Interesse am Thema Unternehmenskultur wurde vor allem durch diverse Wirtschaftsprobleme seit den 1970er Jahren z.B. in der globalisierten Automobilindustrie durch die Erfolge von Nissan und Toyota in den USA und Europa hervorgerufen, die mit gewohnten, bisherigen amerikanisch-europäischen Managementpraktiken auf den japanischen Wettbewerb und dessen Welterfolgen nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten. Ein „vorläufiger wissenschaftlicher Beschreibungsversuch“, den japanischen Welterfolg in der Automobilbranche von 1960 bis 1982 zu erklären, war, die japanische Kultur und Unternehmenskultur als „dominierende Variable“ in der Betriebswirtschaftslehre heranzuziehen. Erst später erkannte man, dass das betriebswirtschaftliche Logistikkonzept „Lean Management“, Target Costing und Prozesskostenrechnung, der Technologietransfer und das Innovationsmanagement in Japan als die besseren erklärenden Variablen für den wirtschaftlichen Erfolg Toyotas näher in Betracht zu ziehen sind. Damit war natürlich die Unternehmenskultur nicht passé.

1.2.1 Zur Unternehmenskultur

Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen wie die Anthropologie, Ethnologie, Sprachwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Philosophie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften haben sich mit dem Kulturphänomen in Ländern und Unternehmen auseinandergesetzt. Trotz unterschiedlicher wissenschaftlicher Auffassungen darüber, was überhaupt unter Kultur zu verstehen ist, haben sich in der Betriebswirtschaftslehre einige Auffassungen zur Unternehmenskultur durchgesetzt. Beispielsweise, dass es sich bei der (Unternehmens-) Kultur m eine Standardisierung der Werte, des Denkens, des Empfindens und des organisatorischen Handelns der Unternehmensmitglieder handelt. Nach Heinen wird Kultur als ein „... Muster von gemeinsamen Wert- und Normenvorstellungen verstanden, die über bestimmte Denk- und Verhaltensmuster die Entscheidungen und Handlungen von Organisationsmitgliedern prägen“.

Um einen Eindruck über die Vielfalt zum Begriff und zu den Modellen zur Unternehmenskultur zu vermitteln, werden einige vorgestellt. In Scheins Überlegungen zur Unternehmenskultur spielt der Lernprozess innerhalb einer Gruppe eine entscheidende Rolle. Er bezeichnet die Unternehmenskultur insofern als: „... ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergeben wird“. Hofstede verweist auf den Aspekt der kollektiven Abgrenzung spezifischer Kulturen voneinander und sieht die Unternehmenskultur als: „... die kollektive Programmierung des menschlichen Verstandes“. Auch Schreyögg stellt den Aspekt des organisatorischen Kollektivs in den Vordergrund. Er betrachtet die Unternehmenskultur als ein „... kollektives Phänomen, dass das Handeln des einzelnen Mitgliedes prägt…“ und sieht sie als jene Handlungsweisen an, die von den Mitgliedern gelebt werden, ohne dass sie sich dessen genau bewusst sind.

Als Resultat können die Verfasser konstatieren, dass Unternehmenskultur der Entwicklung von Werten, deren Festschreibung und Kontrolle und evtl. Neuausrichtung bei Innovationen oder Mergers and Acquisitions-Aktivitäten im internationalen Unternehmen dient. Unternehmenskultur ist als normativer Rahmen einer internationalen Unternehmung zu verstehen, der z.B. für eine aktive Personalpolitik betrieben werden muss.

1.2.1.1 Scheins Drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur

Die Kultur eines Unternehmens ist ein komplexes und schwer fassbares Phänomen mit zahlreichen Facetten, die eine soziale kollektive Konstruktion der internationalen Unternehmensrealität darstellt. Ein Versuch, die verschiedenen Elemente einer Kultur zu ordnen und ihre Beziehungen zueinander zu klären, bietet das Drei-Ebenen-Modell von Schein. Nach Schein lässt sich die Unternehmenskultur durch drei Ebenen(-dimensionen) erklären, die sich durch den Grad ihrer Sichtbarkeit Werte und festgeschriebenen Normen unterscheiden lässt, nämlich die Artefakte („symbolisch gezeigten Werte“), die bekundeten Werte („Werte die in konkrete Normen überführt wurden“) und die Grundprämissen („philosophisch-religiös und unbewusst biopsychologisch entwickelten Werten“).

Abb. 1.1: Ebenen der Unternehmenskultur in Anlehnung nach Schein

Artefakte

Auf der obersten Ebene befinden sich die Artefakte. Darunter fasst man jene Phänomene, die unmittelbar sicht-, hör- oder fühlbar sind. Hierbei handelt es sich um Strukturen und Prozesse, die sich in Sprache, Kleidung, Architektur, Produkte, Technologien, sowie in Rituale oder Geschichten äußert. Teilweise gehören auch die gelebten Wertevorstellungen der Gruppenmitglieder zu den Artefakten, da sie durch ihre sichtbaren Verhaltens- und Handlungsweisen, z.B. in der Kleidung, zum Ausdruck gebracht werden. Trotz ihrer einfachen Beobachtbarkeit sind Artefakte schwer zu entschlüsseln. Die Schwierigkeit liegt insbesondere darin, die tiefere Bedeutung der Strukturen, Prozesse, sowie der erkennbaren Werte und daraus folgenden Verhaltensweisen der einzelnen Gruppenmitglieder zu erfassen. Aus diesem Grund müssen die Normen und Werte analytisch und historisch erklärt sowie begründet werden, z.B. aus der Wirtschaftsethik abgeleitet werden, um die Artefakte genauer zu verstehen.

Bekundete Werte

Auf der darunterliegenden Ebene befinden sich die bekundeten Werte, die bewusst, jedoch nicht unmittelbar beobachtbar sind. Werte stellen i.d.R. Vorstellungen über einen erwünschten Zustand innerhalb einer Gruppe dar, die häufig in Form von Religionen, Strategien, Zielen oder Philosophien zu verstehen sind. Bewahren sich die Vorstellungen durchgängig als Lösung eines Problems, so entwickeln sich die gemeinsamen Werte in gemeinsame Grundprämissen daraus. Insofern durchlaufen Werte einen Akzeptanzprozess (z.B. durch eine nicht-kritisierbare Religion oder durch einen demokratischen Rechtfertigungsprozess im Sinne von Kant und Rawls), bis sich ein gemeinsamer Konsens innerhalb der Gruppe gebildet hat. Aus diesem Grund fehlt den Werten innerhalb einer internationalen Unternehmung meist eine logisch-religiöse oder logisch-wirtschaftsethische Argumentationsstruktur. Um aber das Verhalten der Gruppenmitglieder einer internationalen Unternehmung richtig deuten und erklären zu können, müssen die Grundprämissen deren Kultur verstanden werden.

Grundprämissen

Auf der untersten Ebene befinden sich die Grundprämissen, die unbewusst und nicht sichtbar sind, allerdings als selbstverständlich individuell und gruppenorientiert wahrgenommen werden. Die Grundprämissen beziehen sich i.d.R. auf grundlegende Themen menschlicher Wertevorstellungen zu anderen Religionen oder Philosophien, deren ökologischer, nachhaltiger Umweltbezug, Wahrheitssuche und -findung, vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsorientiertes Zeitverständnis, welche internationalen Menschenrechte es einzufordern gilt, soziale Beziehungen und menschliches Handeln in Bezug auf andere Religionen und Philosophien, die sich im Laufe der Zeit stark im Unterbewusstsein der Gruppenmitglieder bzw. Kultur verankert haben. Folglich werden jene Vorstellungen, die vormals von Werten gestützt waren, als Tatsachen behandelt. Sie werden aus der Sicht der Gruppe als das richtige Denken in Bezug auf das tägliche Arbeiten und die Lösung von Problemen betrachtet. Aus diesem Grund werden sie ohne ethisch kritisch hinterfragt zu werden, akzeptiert und „instinktiv“ befolgt. Verhaltensweisen, die sich auf andere Grundannahmen stützen, werden hingegen von den Gruppenmitgliedern als inakzeptabel empfunden und abgelehnt. Zusammenfassend stellt die Ebene der Grundprämissen die Basis des Wahrnehmens und menschlichen Handelns dar.

Aus dem von Schein entwickelten Modell kommt zum Ausdruck, dass die Ebenen der Artefakte, der bekundeten Werte und der Grundprämissen in hierarchischen Wechselbeziehungen eng miteinander verbunden sind. Dabei beeinflussen die Grundprämissen die Wertevorstellungen der Gruppenmitglieder, die wiederum Einfluss auf die Strukturen und Prozesse des Unternehmens haben. Die einzelnen Ebenen stellen insofern nicht isolierte Phänomene der Unternehmenskultur dar. Darauf aufbauend verdeutlicht Schein, dass eine ausreichende Analyse einer Unternehmenskultur nur durch die genaue Betrachtung der Grundprämissen erfolgen kann. Eine reine Interpretation der direkt beobachtbaren Artefakte reicht demnach nicht aus, da sie aufgrund ihrer unmittelbaren Zugänglichkeit mehrdeutig sein können. Folglich können die Artefakte nur dann verstanden werden, wenn die bekundeten Werte und Grundprämissen im Diskurs kritisch-analytisch im Rahmen der Wirtschaftsethik ermittelt werden.

Exkurs: Wirtschaftsethik oder Religion

Ein Weg zur Lebensbewältigung scheint für viele Menschen der Glaube an Gott zu sein, der ihnen Stärke und Kraft gibt, um schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Ähnlich wie im Christentum ist nach islamischer Auffassung das höchste Glück nicht das irdische, sondern die Erlösung im himmlischen Paradies.

Deshalb ist zum Beispiel eine muslimische Reformation des Islam in einer globalisierten Welt notwendig, wenn man tolerant miteinander wirtschaften möchte. Und zwar müssen sich Muslime von bestimmten religiösen Inhalten des Korans distanzieren, so Aslan, „… auf die gewaltbereite Muslime sich berufen. Wenn wir ehrlich wären, würden wir zugeben, dass wir seit Jahrhunderten solche Inhalte lehren.

Zeit: Welche meinen Sie?

Aslan: Dass Allah Gewalt nicht nur rechtfertigt. Nicht wenige Imane bringen unser Glaubensbekenntnis bewusst oder unbewusst mit Aggression in Verbindung, mit Folter, Vergewaltigung, Auspeitschen, Töten. Seit dem 15. Jahrhundert hat sich eine Theologie der Gewalt durchgesetzt, und seit dem 17. Jahrhundert ist sie zur Norm erstarrt: Das Schwert wird als Teil unseres Glaubens gesehen.

Wir Muslime distanzieren und uns heute vom „Islamischen Staat“, aber solange wir uns von der dazugehörigen Theologie nicht distanzieren, machen wir uns unglaubwürdig. Warum warten wir immer auf eine Gewalttat, bevor wir unsere Stimme erheben?

Zeit: Aber die meisten Muslime würden doch die Gewalttheologie, von der Sie sprechen, ablehnen.

Aslan: Die Mehrheit weiß gar nicht, dass es nötig ist, sich von der Lehre zu distanzieren. Sie wird aber überall gelehrt, von Saudi-Arabien über den Irak und Ägypten bis nach Europa.“ (Glauben und Zweifeln, Thema Islamismus: Die Geiselnahme von Sydney, in: Die Zeit, Nr. 52, vom 17. Dezember 2014, S. 58; Ednan Aslan stammt aus der Türkei und lehrt Religionspädagogik an der Universität Wien).

Werk

Abb. 1.2: Wirtschaftsethik im Kontext einer globalen Welt (Schmeisser WS 2014)

Problem einer kritischen Theologie des Islams ist:

„Jeder reformatorische Ansatz muss zu nächst damit umgehen, dass der Koran im Islam als wortwörtliche Offenbarung Gottes an den Propheten Mohammed gilt. Reformer, die den Ursprung der Formulierungen (im Rahmen einer kritischen, islamischen Theologie begreifen, d. Verf.), bewegen sich für viele daher bereits außerhalb des Islams; ihr Einfluss bleibt deshalb begrenzt. Eine Reform, die fruchtbar sein will (kann und muss die sakrosankte Argumentationsschranke wissenschaftlich in Frage stellen, die Verf.), muss ihren Ausgang beim Koran nehmen (und aufzeigen, dass auch der sich als menschliches Werk darstellt, d. Verf.). Indem sie (die Reform, d. Verf.) herausarbeitet, dass dessen historische Genese für sein Verständnis unabdingbar ist, kann sie eine plausible Interpretation des Korans in zentralen Fragen geben, etwa der Doktrin des Dschihads, des Verhältnisses der Scharia zum weltlichen Gesetz und der Gleichheit der Geschlechter.

Funktionäre islamischer Verbände in Deutschland scheuen oft die Frage nach der Exegese von Koranversen, die als heikel gelten. Lieber geben sie den Medien die Schuld am schlechten Image des Islams.“ (Khola Maryam Hübsch: Auch das ist Islam. Für eine muslimische Reformation, in: Die Zeit, 17. Dezember 2014, S. 13) Für Muslime ist es schwierig, sich kritisch mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass die Entstehung des Korans von übernommen Ritualen sowie Mythen anderer Religionen, Symbolen und Allegorien menschlicher Zusammenschriften bestimmt ist, im Auftrag der Kalifen, ein arabisch-türkisches Großreich zu schaffen und zu legitimieren.

Will man dagegen bei der Unternehmenskultur der Religionsproblematik aus dem Wege gehen, dann wählt man die Wirtschaftsethik bzw. Ethik (vgl. Abb. 1.2 oben) als Grundlage.

„Die Ethik fragt danach, welche der menschlichen Handlungen „gut“, „richtig“, „legitim“ oder „gerecht“ sind, um zu einem „gelingenden Leben“ und zu einem friedvollen Zusammenleben beizutragen. Wirtschaftsethik befasst sich demnach damit, welches wirtschaftliche Handeln moralisch zu rechtfertigen ist und welches nicht und wie das als richtig erkannte wirtschaftliche Handeln gefördert werden kann.“

1.2.1.2 Weitere Unternehmenskulturmodelle

In der wissenschaftlichen Literatur sind verschiedene Auffassungen hinsichtlich des Verständnisses einer Unternehmenskultur vertreten. Die verschiedenen Sichtweisen lassen sich zum einen auf die unterschiedlichen theoretischen Annahmen der Wissenschaftsdisziplinen und zum anderen auf die Übertragung von unterschiedlichen Konzepten aus der Kultur- und Wirtschaftsethik zurückzuführen. Das jeweilige wissenschaftliche Kulturverständnis untersucht dabei das Phänomen der Unternehmenskultur, allerdings mit unterschiedlichen Annahmen, Herangehensweisen und Zielen der Wirtschaftsethik.

Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Auffassungen der Unternehmenskultur unterschieden: der Variablenansatz und der Methodenansatz. Der Variablenansatz betrachtet die Unternehmenskultur als ein Objekt, wobei der Methodenansatz die Kultur eines Unternehmens als ein Phänomen bezeichnet. Als Zusammenführung beider Ansätze ist in der wissenschaftlichen Literatur auch der integrative Ansatz vertreten, der die Unternehmenskultur sowohl als Mittel als auch als Resultat einer sozialen Interaktion charakterisiert.

Variablenansatz

Die Autoren, die Kultur als eine organisatorische Variable ansehen, sind primär dem objektivistischen Kulturverständnis zuzurechnen. Sie betrachten Kultur als objektiv gegeben, die funktional genutzt werden kann und erfassbar ist. Ebenso wird davon ausgegangen, dass sich Kultur problemlos gestalten und verändern lässt. Diese Autoren vertreten die Auffassung, dass ein Unternehmen eine Kultur hat. In diesem Zusammenhang wird die Kultur als eine Variable von vielen betrachtet, die als Instrument gezielt für den Unternehmenserfolg eingesetzt werden kann.

Metaphernansatz

Autoren, die dem subjektiven Kulturverständnis zugerechnet werden, sehen Kultur nicht als Variable, sondern als Metapher. Insofern wird Kultur als ein ideelles Konstrukt betrachtet. Es wird davon ausgegangen, dass Kultur von subjektiven (z.B. von religiösen) Einflüssen abhängig und interpretierbar, aber nicht messbar ist. Die Autoren vertreten hierbei die Auffassung, dass ein Unternehmen eine Kultur ist. Aus diesem Grund, ist die Möglichkeit zur Gestaltung der Unternehmenskultur im Vergleich zum Variablenansatz nur wenig denkbar (vgl. oben im Exkurs die Problematik der Reformationsfähigkeit des Islams). Stattdessen liegt der Fokus in der Erforschung des ideellen Konstrukts, um das Verhalten und Handeln der Gruppenmitglieder zu interpretieren.

Integrativer Ansatz

Für Autoren dieser Forschungsrichtung sind Unternehmen eine Kultur und haben gleichzeitig eine Kultur. Sie betrachten Unternehmen vielmehr als komplexe und dynamische Kultursysteme, die sich aus unterschiedlichen ideellen und materiellen Aspekten zusammensetzen. Einige dieser Aspekte sind sichtbar, andere wiederum können nur in einer genaueren Betrachtung näher interpretiert werden. Ähnlich wie die Autoren der objektivistischen Kultursichtweise verfolgt das integrative Kulturverständnis eine Gestaltung der Unternehmenskultur, die jedoch nur im begrenzten Maß und über einen längeren Zeitraum möglich ist. Dieser Gestaltungsspielraum kann einen fördernden oder hinderlichen Einfluss auf die Unternehmensziele haben. Dies hat zur Folge, dass die Autoren Kultur weder positiv noch negativ betrachten.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die verschiedenen Ansätze durch ihre unterschiedlichen Sichtweisen einen unmittelbaren Zugang zum Konstrukt der Unternehmenskultur ermöglichen. Ihre Gemeinsamkeit liegt im Verständnis des Phänomens Kultur als Muster, die die kulturellen Ausprägungen der Gruppenmitglieder formen und die Gruppe insgesamt zusammenhält. Allerdings sind die Ansichten zur bewussten Gestaltung von Kultur gegensätzlich. Daher wird Kultur entweder als steuerbares Instrument der Unternehmung oder als unveränderbare Größe angesehen. Die Autoren gehen jedoch von der Veränderung der Kultur durch äußere Einflüsse oder gravierende Änderungen im Umfeld des Unternehmens aus. Deshalb wird die Kultur einer Unternehmung nicht als etwas Statisches und Unveränderliches gesehen, sondern durch Wirtschaftsethik Gestaltbares. Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmenskultur einem natürlichen und selbstgesteuerten Wandel unterliegt.

1.2.2 Unternehmenskulturforschung

Neben den Ausführungen, die sich konzeptionell mit der Unternehmenskultur und ihrer Bedeutung auseinandersetzen, wird in zahlreichen Studien die Erfolgswirkung des kulturellen Kontextes analysiert und erforscht. Um jedoch eine genaue Betrachtung und gezielte Gestaltung der Unternehmenskultur zu ermöglichen, muss die Kultur eines Unternehmens insgesamt erfasst, sowie ihre Zusammenhänge und Funktionsweisen erkannt werden. Erst dann kann man zu wissenschaftlichen Erkenntnisse kommen, die eine erfolgreiche Einflussnahme auf die internationale Unternehmenskultur erlauben. Zur empirischen Erfassung der Unternehmenskultur bedient man sich verschiedener Methoden, mit denen unterschiedliche, wissenschaftliche Ansprüche verknüpft sind.

1.2.2.1 Typologien der Unternehmenskultur

Typologien ermöglichen eine differenzierte Betrachtung von Unternehmenskulturen und geben Aussagen über ihren Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Sie fassen mehrere Kriterien einer Kultur zusammen und bilden spezifische Unternehmenskulturtypen. Der jeweilige Typ gibt Auskunft über mögliche Einstellungen und Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder und kann dementsprechend Erkenntnisse über Potenziale oder Defizite innerhalb der Unternehmenskultur geben.

Aufgrund der umfangreichen Kulturvielfalt in Unternehmen haben sich zahlreiche Autoren mit diesen Kulturphänomenen auseinandergesetzt und Grundtypenbildungen vorgenommen. Eine bislang populäre Typologie von Unternehmenskulturen stammt von Deal/ Kennedy, die vier Idealtypen von Unternehmenskulturen unterscheiden. Für die Bildung der Kulturtypen wählen sie als Kriterien: die Risikobereitschaft bei Entscheidungen und die Geschwindigkeit des Feedbacks aus dem Markt, mit der sich eine Aktivität als nachteilig oder vorteilhaft erweist. Aus der Kombination dieser beiden Kriterien resultierten folgende vier Kulturtypen:

Abb. 1.3: Typologie von Unternehmenskulturen nach Deal/Kennedy

Ansoff unterscheidet fünf Unternehmenskulturtypen anhand eines Kriteriums: der Zeitorientierung der Mitarbeiter, die von der Vergangenheitsorientierung bis hin zur aktiven Zukunftsgestaltung reicht:

Abb. 1.4: Unternehmenskulturtypologie nach Ansoff

Zusammenfassend kann man konstatieren, dass Typologien eine grobe Vereinfachung der Realität darstellen. Darin liegt ihr Wert, aber ebenso ihre Gefahr. Schreyögg vertritt die Ansicht, dass die Reduzierung der Organisationswelt auf bestimmte Typen nicht ausreicht, um eine Unternehmenskultur zu verstehen. Die Schwierigkeit liegt vor allem in der Generalisierung der Kulturmerkmale. Daraus ergibt sich, dass einzelne Unternehmen schwer einem bestimmten Kulturtyp zugeordnet werden können, da sie Merkmale verschiedener Typen aufweisen können. Grundsätzlich aber dienen Typologien als Orientierungssystem und Ausgangspunkt für Analysen, die im Weiteren zur Veränderung von Unternehmenskulturen beitragen können.

1.2.2.2 Analyse der Unternehmenskultur

Die Analyse einer Kultur ermöglicht eine inhaltliche Gestaltung der Unternehmenskultur. In einem Prozess des langsamen Hineinwachsens versucht die Kulturanalyse über die wahrnehmbaren Strukturen und Prozesse zu den Normen- und Wertevorstellungen einer Unternehmung vorzudringen, um ihre kulturellen Grundannahmen zu erkunden. Dementsprechend orientiert sich die Kulturanalyse an dem Modell von Schein, der von der Oberflächenstruktur der Kultur sukzessive in den Kulturkern vordringt.

Um zu einem umfangreichen Bild der inhaltlichen Ausgestaltung einer Unternehmenskultur zu gelangen, müssen Daten erhoben, analysiert und interpretiert werden. Hierfür können verschiedene Datenerhebungsinstrumente aus der empirischen Sozialforschung eingesetzt werden. Dabei sollte sich die Auswahl der Instrumente grundlegend nach dem Ziel der Analyse richten. Ebenso sollten die jeweiligen Vor- und Nachteile der einzelnen Instrumente betrachtet werden, um die Aussagekraft der Ergebnisse richtig beurteilen zu können.

Da die Kultur in Form eines gewachsenen Wertesystems den Ausdruck des ganzheitlichen Denkens der Unternehmenskultur widerspiegelt, muss die Analyse eine gemeinsame Aktion darstellen, bestehend aus den Analysierenden und den Analysierten. Diese gemeinsame Handlung fokussiert nicht die gewählte Analysemethode, sondern die Bewertung und Interpretation der gewonnenen Daten. Damit wird in einer gemeinsamen Datenauswertung und -interpretation den Gruppenmitgliedern es ermöglicht, die Unternehmenskultur bewusst wahrzunehmen und besser kennenzulernen. Dies erfolgt im Zuge einer aktiven Beschäftigung mit Problemen der Unternehmung, die eine Sensibilisierung und ein Problembewusstsein der Gruppenmitglieder erzeugt. Auf diese Art und Weise wird ein Lernprozess ausgelöst, der alle Ebenen der Unternehmung durchdringt und damit einen Entwicklungsprozess im gesamten internationalen Unternehmen lostritt. Die sensibilisierten Gruppenmitglieder werden durch die Wahrnehmung der kulturellen Besonderheiten der Unternehmung zu aktiven Kulturgestaltern.

Die in der Literatur und Praxis erwähnten Methoden zur Kulturanalyse sind nahezu umfangreich, wie die Anzahl der Autoren. Jänicke schlägt die Methode des Kulturscreenings vor, die mit Hilfe von Fragebögen eine Bewertung der Unternehmenskultur ermöglicht, indem die Mitarbeiter und das Management abgefragt und die Ergebnisse miteinander verglichen werden. Schreyögg hingegen schließt einfache Fragebogenerhebungen auf Grund der Komplexität der Unternehmenskultur aus und schlägt zyklische Untersuchungen vor, die eine eindeutige Interpretation erst nach mehreren Durchläufen ermöglicht. Sackmann vertritt die Meinung, dass die Gruppenmitglieder kaum ihre Kultur alleine beurteilen können. Der Grund hierfür sei vor allem die Interpretation der kulturellen Grundannahmen, die durch die interne Betriebsblindheit erschwert wird.

Insofern besteht die Schwierigkeit einer umfassenden Kulturanalyse darin, ein nicht klar zu fassendes hypothetisches Konstrukt abzubilden. Dies zeigt sich vor allem in der Untersuchung der Kulturebenen, die ebenfalls durch Interpretationen erklärungsbedürftig sind und somit nicht einheitlich aus einer Unternehmung herausgefiltert werden können. Des Weiteren hängt das Erkennen der gelebten Normen- und Wertevorstellungen von der Bereitschaft der Gruppenmitglieder ab, da sie als Informanten fungieren. Zudem sind sich langjährige Gruppenmitglieder der Unternehmenskultur nicht mehr bewusst, da ihre grundlegenden Annahmen zu einem festen Bestandteil ihres Arbeitslebens geworden sind. Ihre Denk- und Verhaltensmuster lassen sich nicht einfach erfragen, da sie zuerst ins Bewusstsein geholt werden müssen, um anschließend ergründet werden zu können.

Es lässt sich festhalten, dass die Kulturanalyse eine Erfassung der Unternehmensgrundsätze sowie der Meinungen der Gruppenmitglieder ist, und dass sie ihre unbewussten Werte und grundlegenden Annahmen ermöglicht, hingegen nicht das Gruppenphänomen an sich erfasst.

1.2.2.3 Stärke von Unternehmenskulturen

In der betriebswirtschaftlichen Literatur zwischen starken und schwachen Unternehmenskulturen unterschieden. Diese Unterscheidung ist bedeutsam, da starke Unternehmenskulturen das Leistungsvermögen einer Unternehmung sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können. Zur Beurteilung ob eine Unternehmenskultur stark oder schwach ist, werden unterschiedliche Dimensionen herangezogen. Schreyögg unterscheidet dabei die Dimensionen Prägnanz, Verbreitungsgrad und Verankerungstiefe einer Unternehmenskultur in einer Unternehmung:

Der Kern einer starken Unternehmenskultur manifestiert sich folglich in einem gemeinsamen Grundkonsens von Normen und Werte, der das Fundament für das tägliche Handeln bildet. Die Gruppenmitglieder verfolgen auch individuelle Ziele, sind aber durch den gemeinsamen Grundkonsens gegen Macht- und Verteilungskämpfe eher immun als die Mitglieder einer konsenslosen, schwachen Kultur.

Es kann konstatiert werden, dass eine starke Unternehmenskultur durch eine gewisse Klarheit, weite Verbreitung als auch eine tiefe Verankerung bei den Gruppenmitgliedern gekennzeichnet ist. Ebenso wird deutlich, dass Unternehmenskultur einerseits Koordination und Kommunikation im Unternehmen erleichtert, Motivation und Loyalität fördert und Sinn stiftend wirken kann. Andererseits haben starke Unternehmenskulturen auch negative Auswirkungen, sofern sie nicht idealtypisch zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund sollen jene Unternehmen, die sich der Vorteile einer starken Unternehmenskultur bewusst sind, bestrebt sein, ihre Kultur zu stärken und in eine funktionale Kultur umzuwandeln, um Innovationen zu ermöglichen.

1.2.3 Funktionen der Unternehmenskultur

Einer Unternehmenskultur werden verschiedene Funktionen zugeschrieben, die sich in originäre und derivative Funktionen unterscheiden lassen. Die originären Funktionen ergeben sich direkt aus der Unternehmenskultur und sind als Funktionen der unmittelbaren Art zu verstehen, wobei die derivativen Funktionen aus den originären Funktionen resultieren und mittelbar aus den Normen, Werten und Einstellungen abgeleitet werden können. Die Voraussetzung für die Entfaltung dieser Funktionen liegt in der Stärke der Unternehmenskultur.

1.2.3.1 Originäre Funktionen

Die originären Funktionen einer Unternehmenskultur ergeben sich aus der Einflussnahme gemeinsam geteilter Normen und Werte innerhalb der Unternehmung, sowie aus den Entscheidungen, Handlungen und Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder. Im Mittelpunkt der originären Funktionen stehen die Koordination und Integration sowie Motivation.

Koordinationsfunktion

Die Koordinationsfunktion stellt einen grundlegenden Bestandteil des täglichen Arbeitens in jeder Unternehmung dar. Generell wird in der wissenschaftlichen Literatur Koordination „... als du Abstimmung von Teilen eines Ganzen, mit Rücksicht auf das Erreichen einer übergeordneten Zielsetzung“ in einer Organisation beschrieben. Der Bedarf an Koordination entsteht vor allem in stark hierarchisch strukturierten Unternehmen, die durch Arbeitsteilung und Spezialisierung, sowie durch unterschiedliche Ziele, Interessen und unvermeidliche Interdependenzen innerhalb der Gruppe, eine gewünschte Zielerfüllung nicht gewährleisten können. Um den Koordinationsbedarf zu decken, greifen Unternehmen auf sogenannte „weiche“ Koordinationsinstrumente, die Unternehmenskultur“ zurück. Zu den strukturellen bzw. „harten“ Instrumenten zählen u.a. die Organisationsstruktur, Arbeitsanweisungen, Pläne und Programme, sowie persönliche Weisungen. Auf diese Art und Weise werden die Handlungen und das Verhalten der Gruppenmitglieder beeinflusst und im Interesse der Unternehmung gesteuert. Somit gewährleisten sie eine Zusammenarbeit der Gruppen im Hinblick auf die gewünschte Zielerreichung.

In starken Unternehmenskulturen lassen sich die Koordinationsinstrumente reduzieren, da die Kultur in der Unternehmung einen Basiskonsens und ein gemeinsames Grundverständnis sichert. Sie bietet gleichzeitig ein kommunikatives Verständigungspotential, auf dessen Basis auch in sozialen Konfliktsituationen, die Zusammenarbeit, wie auch Lösungsmöglichkeiten zur Handhabung anstehender Probleme ermöglicht werden können. Das hat zur Folge, dass Alltagssituationen ohne detaillierte formale Pläne und Anweisungen auskommen können.

Integrationsfunktion

Im Gegensatz zur Koordinationsfunktion versucht die Integrationsfunktion die Aktivitäten der Gruppenmitglieder in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Die systemtheoretische Theorie versteht Integration „... als eine spezifische Form der Verknüpfung von Elementen zum Ganzen eines Systems“. Die Notwendigkeit zur Integration ergibt sich insbesondere aus der Gefahr einer Sub-Kulturbildung in internationalen Unternehmen, durch die Einzelinteressen der Gruppenmitglieder im Gegensatz zu den Gesamtinteressen der Unternehmung stehen. Dahingegen hilft die Integrationsfunktion, die Aktivitäten einzelner Unternehmensbereiche im Hinblick auf die Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu bündeln und eine Verselbständigung von Einzelinteressen zu vermeiden.