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Über dieses Buch

Der Tod ist bekanntlich die „sicherste Sache“ der Welt und doch erwischt er uns ständig am falschen Fuß. Er kommt völlig unerwartet und sorgt bei seinem Erscheinen für große Turbulenzen, besonders bei den Hinterbliebenen. Denn Sterben und Erben muss gelernt sein, wenn möglich bereits zu Lebzeiten.

„Endlich Ruhe!“ ist eine humorvoll-satirische Reise zwischen Diesseits und Jenseits, Himmel und Hölle, zwischen erotischen Nahtod-Erfahrungen und intriganten Erbschaftsstreitigkeiten und gibt tiefe und höchst amüsante Einblicke in die morbiden Abgründe der österreichischen Seele. Dass der Tod, frei nach Georg Kreisler, ein Wiener sein muss, widerlegt die Autorin in charmanter Weise. Er ist Exzentriker, Zyniker, Sadist und Humorist, eben ein Wesen wie du und ich.

Für

Theodor Hayden und
Robert Grabner

Inhalt

Mein Beileid – Ein paar Worte zu Endlich Ruhe

ARS MORIENDI oder die Kunst des Sterbens

Ein Grab ist die beste Kapitalanlage!

Fast wie in Mayerling

Shopping Queen

Die Omama im Apfelbaum

Sterben für Anfänger

Die Suche nach einem „stillen Ort“

Panta rhei – Alles fließt

Paranormale Phänomene

Der Jungbrunnen

Krankenbesuche

Tischerlrücken

Altern ist nichts für Feiglinge

Vorstadtwitwen unter sich

Der Trauerredner

Grün – Violett – Rot … bis in den Tod

Den Lieben kann man’s echt verderben, am besten gar nicht erst zu (st)erben

Das „Corona-Wunder“ oder Braunschlag mitten in Wien

Das Jüngste Gericht

Wer früher stirbt, ist länger tot

Mein Beileid – Ein paar Worte zu Endlich Ruhe

Friedhöfe ziehen mich seit jeher magisch an – eine durchaus nekrophile Ader in mir. Andere beschäftigen sich mit Kochen oder verbringen ihre spärliche Freizeit beim Schönheitschirurgen oder im Fitnessstudio. Mein Hobby sind Grabstätten. Diese Neigung kommt daher, dass ich bereits in der frühen Kindheit ständig mit dem Tod konfrontiert worden bin. Als „waschechtes Wienerkind“ lauschte ich gerne Großmutters weinseligen Liedern über den Tod und bewunderte am Weg zum Kinderspielplatz die prächtigen schwarzen Limousinen, die an uns mit „leisen Samtpfoten“ vorbeifuhren. Meine Familie wohnte damals neben der Bestattung Wien. Auch meinen ersten Zuckerschlecker, ein Dorli, erhielt ich von den elegant gekleideten Bestattern, den berühmten Pompfüneberern, die rauchend vor dem Tor standen.

So verbinden mich heute noch die süßesten und amüsantesten Erinnerungen, wenn ich an meinen Freund, den Tod, denke. Nun bin ich älter geworden, habe das Dorli gegen ein gutes Glas Riesling getauscht und amüsiere mich immer noch königlich, nicht über Ihn, sondern über die Begleitumstände, die Er mit sich bringt. Denn der Tod wirbelt alles durcheinander. Die Gesetze der Vernunft wie auch die einfachsten Anstandsregeln menschlichen Zusammenlebens werden außer Kraft gesetzt. Dass dies mitunter auch recht humorvoll sein kann, liegt auf der Hand.

In den Anekdoten, die in Endlich Ruhe gesammelt sind, hat der Tod viele lustige Gesichter, die natürlich aus dem Leben gegriffen und deshalb auch alle halbwahr sind, sonst wäre es ja keine Satire. Meine Familie, die größten Wert auf eine „schene Leich’“ legt, war mir in vielen Geschichten eine willkommene Vorlage.

Vielen Dank an „meine Pompfüneberer“, die mir beim Entstehen dieses Buches mit Rat und Tat zur Seite gestanden sind. Allen voran Peter Holeczek, Christian Leppich von der Bestattung Wien und Norbert Eder, Trauerredner in NÖ, die mir in höchst charmanter und humorvoller Weise verschiedene Beerdigungsrituale nähergebracht haben. Ihre wunderbaren Formulierungen sind in dieses Buch eingeflossen. Erst am Grab wird aus einem bösartigen Alkoholiker ein gefühlvoller Bacchus-Jünger. Danke an Andrea und Eric Hofbauer, Bestatter in Gföhl, die ihre Särge für das Buchcover zur Verfügung gestellt haben, und an Philipp Monihart für das überaus kreative Foto-Shooting. Es lag sich wunderbar in einem Hofbauer-Sarg!

Ein Herzliches Dankeschön meinem besten Freund, dem Philosophen und Theologen Pater Herbert „Berti“ Winklehner, der seit vierzig Jahren versucht, mich vor der ewigen Verdammnis zu retten, und bei diesem Buch wohl nun eingesehen hat, dass sein Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Er hat zumindest dafür gesorgt, dass diese Satire jeder theologischen Kritik standhält, auch wenn ich nach seinen Worten „dafür in die Hölle“ kommen werde.

Meiner Lektorin, Dr. Marie-Christine Leitgeb, sei an dieser Stelle besonders gedankt. Sie musste mich Corona-bedingt im Homeoffice literarisch begleiteten und hat nicht nur profundes Fachwissen eingebracht, sondern die größte Geduld mit mir bewiesen. Danke.

Ein Verlag steht hinter seinen Autoren. Dass trotz Corona-Pandemie und einer unvergleichlichen Wirtschaftskrise der Verlag mit seinem Team mich bei diesem Buch unterstützt hat, ist mutig und einzigartig. Danke an Georg Glöckler und Birgit Francan von Ueberreuter Sachbuch für die freundliche Unterstützung.

Mein innigstes Dankeschön gilt meinem Mann, meinem liebevollen und mutigen Odysseus, und meinen vier Söhnen. Sie sind die lebenden Quellen meiner Inspiration und haben mir viel Raum und Zeit gegeben, um dieses Buchprojekt zu verwirklichen. Ich liebe euch!

Der Tod ist frei nach Georg Kreisler ein Exzentriker, Zyniker, Sadist und Humorist, eben ein Wesen wie Sie und ich. Nach dieser Lektüre werden Sie sich nicht mehr vor ihm fürchten, nur mehr vor der „lieben Verwandtschaft“! Garantiert!

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, viel Vergnügen bei der Lektüre von Endlich Ruhe. Nehmen Sie sich ein gutes Gläschen Riesling oder ein Dorli und denken Sie immer daran: Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Ihre Katharina Grabner-Hayden

Krems, im Juli 2020

ARS MORIENDI oder die Kunst des Sterbens

Das Verlagshaus Aeterna hat in seiner jüngsten Ausgabe ein neues, brandaktuelles Buch ARS MORIENDI vorgestellt, einen Ratgeber, den Sie unbedingt beachten sollten, wenn Sie vorhaben, der Endlichkeit zu entschlafen.

ARS MORIENDI ist der neue Elmayer unter den Benimmbüchern und gibt sinnvolle und zeitgemäße Tipps für die letzte und vielleicht anspruchsvollste Zeit. Von Bestattungsformen und Dresscodes, von der richtigen Anrede Gottes bis zu korrekten Verhaltensregeln im Jenseits spannt sich der formvollendete Bogen menschlichen Miteinanders. Die kleine Fibel ist somit ein unverzichtbarer Begleiter in allen Lebenslagen mit mehr oder weniger finalem Ausgang. ARS MORIENDI ist im praktischen Handtaschenformat erschienen und im gut sortierten Buchhandel erhältlich.

1.Reiseproviant

Wenn Sie in alle Ewigkeit schlafen, dann stets mit vollem Bauch. Hungrig seine letzte Reise anzutreten, kann sehr unangenehm werden. Dabei sind Zerealien wie Getreideflocken und Nüsse als leichter Snack zwischendurch empfehlenswert. Auch Salate und Rohkost können Ihren Kalorienbedarf decken. Hüten Sie sich vor Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Linsen. Mögliche Flatulenzen könnten Ihre Mitreisenden oder Begleiter empfindlich stören.

2.Reiseapotheke

Um kleineren Angstschüben oder Panikattacken vorzubeugen, ist es ratsam, bereits vor dem Ableben Beruhigungsmittel einzunehmen. In diesem Zusammenhang haben sich Pharmazeutika aus der Gruppe der Benzodiazepine wie Xanor oder Valium bewährt. Sollten Sie schon zu Lebzeiten gegen jede Form gesellschaftspolitischer Beeinflussung durch Pharmariesen gewesen sein, so können Sie gerne zu alternativ-medizinischen Produkten greifen. Hier bieten sich Baldriantropfen oder Bachblütenmixturen an. Auch Marihuana ist in diesem Fall ein wirkungsvolles Mittel, wenn auch schwerer zu beschaffen. Ihre Angehörigen können Sie dabei beraten und Ihnen behilflich sein. Am besten besprechen Sie Ihre Wünsche vorher mit Ihrem Anästhesisten oder dem Dealer Ihres Vertrauens.

3.Reisewünsche

Vorsicht ist geboten bei Nahtoderfahrungen. Sie könnten auf Sie euphorisch wirken, manchmal auch etwas unangenehm sein. Hier handelt es sich – noch – nicht um eine göttliche Erscheinung, sondern um rein neurophysiologische Vorgänge, die von der Wissenschaft als Halluzinationen beschrieben werden. Verlassen Sie deshalb umgehend und schnell den Raum. Zynische oder ironische Bemerkungen von Ärzten oder Verwandten schaffen negative Energien und können Ihr Karma im Jenseits empfindlich stören.

4.Reisebekleidung

Wichtig ist die richtige Bekleidung. Dabei sollte unbedingt Bequemlichkeit im Vordergrund stehen. Von leichten Badekostümen oder Radfahreroutfits ist aus Gründen der Pietät in jedem Fall aber abzuraten. Denken Sie dabei bitte auch an die ästhetischen Gefühle von Mitarbeitern diverser Bestattungsinstitute. Karl Lagerfelds Merksatz „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, entfaltet erst im Tod seine wahre Bedeutung.

5.Reiseutensilien

Ihre Wohnung oder Ihr Haus sollte in sauberem und tadellosem Zustand, also schlüsselfertig und besenrein übergeben werden. Sie ersparen sich dadurch jede Form von übler Nachrede. Sollten Sie sich aber von liebgewonnen Gegenständen wie Bildern, Büchern, Schmuck, Kleidung oder Sextoys nicht trennen können, dann ist es kein Problem, diese in Ihrer Gruft deponieren zu lassen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Grundsatz, sich im Jenseits auch entsprechend wohlzufühlen.

6.Reisekosten

Ein Testament kann, muss aber nicht unbedingt von Vorteil sein. Die Erben werden auf alle Fälle streiten. Am klügsten ist es, bereits vor dem Ableben das gesamte Vermögen heimlich auszugeben. Gönnen Sie sich etwas Schönes und ersparen Sie sich und Ihren Angehörigen unnötige Konflikte.

7.Reiseziele

Auch wenn Sie sich in den ersten drei Tagen nach dem Entschlafen wie im Urlaub fühlen, so handelt es sich doch um die sogenannte Schleusenzeit, eine Zeit der inneren Einkehr, aber keiner möglichen Umkehr. Gehen Sie den langen, dunklen Tunnel zügig voran, machen Sie keine unnötigen Abzweigungen und lassen Sie sich von nichts und niemandem ablenken, vor allem nicht von Ihrem Smartphone. Bilder auf Instagram oder Facebook zu posten, macht wegen Unterbelichtung keinen Sinn und verletzt die Privatsphäre und Datenschutzrechte Ihrer Mitreisenden. Sie benötigen für die letzte Reise weder GPS, Karte oder Kompass, der Weg ist unkompliziert. Folgen Sie einfach dem hellen Licht am Ende des Tunnels. Dort angekommen, die erste Türe rechts.

8.Reisewegweiser

Eine gute Vorbereitung ist der Schlüssel für eine gelungene Erleuchtung. Verschiedenste Religionsgemeinschaften und Sekten halten ein reichhaltiges Potpourri an Heilsversprechen und Gottesvorstellungen für jeden Geschmack bereit. Lassen Sie sich vom Überfluss des Angebots inspirieren und legen Sie Ihre Prioritäten für das Leben danach rechtzeitig fest. Nach dem Ableben entscheiden Sie, wie Sie sich weiterentwickeln wollen. Die linke Seite weist Ihnen den Weg zur Reinkarnation, also zur Wiedergeburt. Rechts geht es zum Paradies.

Für Unentschlossene gilt folgende Regel: Verlassen Sie sich nicht auf den volkstümlich bekannten Limbus puerorum, einen Art Zwischenhimmel für Unschuldige. Denn auch hier ist Vorsicht geboten. Aufgrund theologischer Unstimmigkeiten über dessen wahrer Existenz raten unsere Redakteure ausdrücklich davon ab, auf diesen „Zwischenhimmel“ als dritte Alternative zu vertrauen. Er wurde von Papst Benedikt XVI. als entbehrlich eingestuft und existiert nicht mehr.

9.Reiserisiken und Wiedergeburt

Dass das Risiko die Bugwelle jedes Erfolgs ist, gilt bei der Reinkarnation nur zum Teil. Je nach Erkenntnisgrad und persönlicher Einsicht reicht das Portfolio einer Wiedergeburt von einem stattlichen Lipizzaner – besonders bei Wienerinnen und Wienern beliebt –, unzufriedenen Nacktschnecken bis hin zu unterschiedlichen Bakterienarten. Vorsicht! Auch Corona-Viren sind in der letzten Zeit schon häufiger vorgekommen und werden immer beliebter. Sehen Sie es sportlich: Dabei sein, ist alles!

10.Viel Glück und Erfolg

Ein guter Rat für Ihren Weg: Gehen Sie unbedingt auf die rechte Seite, auch wenn es sich für Sie politisch nicht korrekt anfühlt. Das Paradies lockt zwar nicht mit irdischen Bekömmlichkeiten, dafür bewegen Sie sich in einem Zustand ewiger Erleuchtung. Allgemein wird angenommen, dass dieser Zustand auch mit dem absoluten Glück vergleichbar ist. Dass diese Erleuchtung bei einigen auch Höllenqualen verursachen kann, liegt nicht an der Organisation des Paradieses – Es gibt kein Purgatorium! –, sondern schlichtweg an der Erkenntnis: „Ach, was war ich doch im Leben für ein Volltrottel!“

Ein kleiner Tipp als Postskriptum:

Lassen Sie sich nach Ihrem Ableben keine Münzen auf Ihre Augen legen, das hat bereits in der griechischen Antike zu Irritationen geführt. Stecken Sie einfach zehn Euro in Ihre rechte Socke oder Ihren rechten Strumpf. Diese kleine Geste erfreut Ihre Bestatter und sichert Ihnen einen beschwerdefreien und sanften Abgang aus dieser Welt.

„Das Totenhemd hat keine Taschen“, sagt der Wiener Volksmund. Wir können uns nichts ins Jenseits mitnehmen. Und trotzdem ist man immer wieder auf „eine schöne Leich’“ bedacht. Die letzte Ruhestätte soll zumindest dem Verstorbenen die Ehre erweisen, die ihm im Leben oftmals versagt blieb. Hören Sie auf Ihr Gewissen oder besser gleich auf Ihren Bestatter, denn:

Ein Grab ist die beste Kapitalanlage!

Eigentlich hätte sich meine Familie glücklich schätzen können, als Tante Erna und Onkel Hermann „das Zeitliche“ gesegnet hatten. Man gab sich der trügerischen Hoffnung hin, sie endlich los zu sein. Keine Schwärmereien mehr am Tisch über die Ach, so schönen alten Zeiten oder zynische Bemerkungen über die schreckliche Jugend von heute. Vorbei waren die enervierenden sonntäglichen Mittagstische mit fettigem Schweinebraten und Malakofftorten, an denen die Familie wie dressierte Lipizzaner, geschniegelt und gebürstet, den lieben Verwandten vorgeführt wurde.

Endlich rückten intellektuell anspruchsvollere Gespräche in den Vordergrund, als dass man sich über orthopädische Gehhilfen oder unappetitliche Leibstühle unterhielt. Ein Irrtum, wie sich herausstellte, denn Gott ließ die lieben Verstorbenen spätestens bei der Testamentseröffnung mit einer derartigen Vehemenz in Erscheinung treten, dass man versucht war, wieder an die leibliche Auferstehung zu glauben. Sie hinterließen nämlich nicht nur die Streitereien um alte Bilder, Münzen oder Schmuck, nein, sie vererbten sich in Form von teuren Gräbern weiter und wurden damit für die Hinterbliebenen zu nervenaufreibendem Dauerstress.

Während sich meine Schwestern im Laufe der Jahre über stattliche Bareinlagen und Schmuck freuten, konnte ich mich „stolze Besitzerin“ von fünf Gräbern in Wien und Wien-Umgebung nennen, denn die lieben Tanten und Onkeln hatten mir ihre letzte Bleibe als sogenanntes Dauergrabnutzungsrecht hinterlassen. Sie wussten von meiner Liebe zu Friedhöfen und dachten sich alle insgeheim, in mir einen Trottel gefunden zu haben, der ihnen wöchentlich die Ruhestätten pflegen und die obligaten Grablichter anzünden würde. Doch der Trottel begann sich zu wehren.

„Warum muss sich Dankbarkeit für hingebungsvolle Pflege immer nur in Form von Gräbern ausdrücken?“, fragte ich frustriert meinen Mann. „Ich wäre mit Tantes doppelreihiger Perlenkette genauso glücklich gewesen!“

„Weil du einfach mehr verdienst als die Verwandtschaft!“, bekam ich zur Antwort, was mich nicht wirklich befriedigte.

„Ach so, du hältst ein Grab für die adäquate Abgeltung für Arzt- und Krankenhausbesuche, Haushaltsführung und Körperpflege?“, fauchte ich zurück.

„Ja und wie!“, meinte er. „Ein Grab in Wien ist hundertmal mehr wert als gewöhnlicher Schmuck!“

In keiner Weise konnte ich ihm beipflichten, immerhin mussten die Gräber auch gepflegt werden, was wieder enorme Kosten und Gebühren nach sich zog.

Als sich nun Tante Erna in „die ewigen Jagdgründe“ – Manitu sein Dank – verabschiedet hatte, vererbte sie hinterhältig, wie sie war, ihren Smaragdring meiner Cousine Sonja, das teure Augarten-Porzellan meiner Schwester und die kleine Eigentumswohnung einer dauerdepressiven Ewigstudentin namens Marlies, die sich die letzten Jahre rührend um sie gekümmert hatte. Eine Eigentumswohnung, so die Meinung der alten Tante, würde Marlies’ Chancen auf dem Heiratsmarkt erhöhen, was sich natürlich nicht bestätigte. Marlies blieb trotz Eigentumswohnung ledig. Mir hatte sie „großzügig“ das Familiengrab am Grinzinger Friedhof vererbt.

Wie wunderbar, Grab Nummer sechs! Das war mir nun endgültig zu viel des Guten. Ich sprang bei der Testamentseröffnung vom wuchtigen Fauteuil des Notars in die Höhe und schrie in die Runde, ich würde um nichts in der Welt ein weiteres Grab annehmen, immerhin hatte ich schon Unmengen davon.

„Wie viele denn?“, fragte der Notar erstaunt nach.

„Mit Tante Ernas Grab sind es nun sechs! Sechs Gräber, sechs Leichen und sechsmal Gebühren und Kosten für die Gärtner und die Friedhofsverwaltung!“, schlug ich verzweifelt um mich. Meinem flehenden Angebot, zwei der Gräber mit Marlies’ Eigentumswohnung oder dem Smaragdring von Sonja zu tauschen, konnten weder der Notar, noch meine gierige Verwandtschaft etwas abgewinnen. Außerdem sei ich undankbar und pietätlos dazu, den letzten Willen der lieben Verstorbenen in derart brüsker Weise von mir zu weisen, meinte Cousine Sonja, während sie bewundernd ihren Smaragdring am Finger drehte.

„Miststück!“, dachte ich und nahm Grab Nummer sechs in Grinzing murrend an, was mein Mann freudestrahlend zur Kenntnis nahm.

„Mein Gott, ärgere dich nicht, was gibt es denn Schöneres, als später einmal in Grinzing begraben zu werden? Noch dazu mit herrlichem Blick auf den Kahlenberg!“

„Das ist mir völlig wurscht, wo und mit welchem Ausblick ich einmal begraben werde! Gefressen werde ich sowieso. Wurm ist Wurm, egal ob in Döbling, Grinzing oder sonst wo! Ich pfeife auf Familientraditionen und lasse mich einmal verbrennen, damit meine Kinder keine Probleme mit mir haben. Entweder stellt ihr mich als Vase ins Wohnzimmer, verscharrt mich oder pustet mich als Dünger in den Garten!“

Warum nur musste ich ständig für die verkorksten Ansichten meiner Großfamilie büßen? Ärgerlich nahm ich Tante Ernas letzten Willen an.

Zu Jahresbeginn flatterten auch schon die ersten Rechnungen unterschiedlicher Friedhofsverwaltungen ins Haus.

Grab Nummer eins von Onkel Peter am Zentralfriedhof, ein Erdgrab mit Riesensteinmonolit und Kreuz, Miete und Grabpflege um sagenhafte tausendeinhundert Euro pro Jahr! Grab Nummer zwei und drei am Döblinger Friedhof. Tante Erna und Onkel Hermann konnten sich zeitlebens nicht vertragen und schliefen in getrennten Ehebetten. Dies sollte auch nach ihrem Tod beibehalten werden. Beide Ruhestätten waren vergleichsweise bescheiden, ein Granit mit Umrahmung und Kiesel. Jahresmiete: fünfhundert Euro pro Person. Onkel Kurt, Mitglied des Wiener Gemeinderates, bestand auf einem Grabmal in Gestaltung eines überdimensionalen Steinsarkophags, der seiner politischen Gesinnung auch im Jenseits entsprechen sollte. Jährliche Miete von ungeheuerlichen tausendachthundert Euro, dafür keine Grabpflege. Großcousine Martha „schlief“ in Liesing um proletenhafte sechshundert Euro. Die Urgroßeltern ruhten günstig in Klosterneuburg. Siebenhundert Euro Miete – das entsprach fast schon einem in Wien üblichen „Friedenszins“– plus tausendzweihundert Euro, weil wir uns testamentarisch dazu verpflichten mussten, die Eibe, die vor dem Grab stand, entfernen zu lassen. Der Baum versperre den Blick auf die Donau, hatten die beiden schon zu Lebzeiten moniert. Die Möglichkeit, die Urgroßeltern im Grab der Schwiegerfamilie, ebenfalls am Klosterneuburger Friedhof, bestatten zu lassen, kam erst gar nicht in Betracht, weil sich die Schwiegertochter und die Schwiegermutter wie Katz und Hund gehasst hatten, bedingungslos auch im Jenseits.

Obwohl ich stolze Besitzerin von Dauernutzungsrechten auf Grund und Boden in Wien und Wien-Umgebung war, fraßen mich die Grabgebühren systematisch auf. „Wir können uns die vielen Gräber einfach nicht mehr leisten!“, herrschte ich meinen Mann an und warf ihm die vielen Jahresabrechnungen der Friedhofsverwaltungen theatralisch auf den Küchentisch.

„Warum denn nicht? Ich dachte, du verdienst als Schriftstellerin genug mit deinen Büchern?“

„Die Kosten gehen in die Zigtausende! In Zukunft werde ich meinen Verlag veranlassen, die Hälfte meiner Honorare direkt an die Friedhofsverwaltungen und Gärtnereien zur Anweisung zu bringen, weil unsere Verwandten alle exaltierte und streitsüchtige Trottel waren!“

Diese egoistische Form der Single-Bestattung in meiner Familie war unökonomisch und in höchstem Maße unökologisch. Die vielen Gräber trugen zu einer massiven Bodenversiegelung bei, mir wäre zu diesem Zeitpunkt ein simples Massengrab für die liebe Verwandtschaft weit lieber gewesen.

Für die Lösung meines Problems gab es nun zwei Möglichkeiten. Entweder musste ich einen Bestseller schreiben, um mich aus dem finanziellen Desaster zu befreien, oder die Toten samt ihrer Gräber irgendwie loswerden. Ich entschied mich für die zweite Variante, Erstere schien mir doch etwas zu illusionär, weil es leichter ist, sich seiner Toten zu entledigen, als in Österreich als Satirikerin zu reüssieren.

Die Frage war nur, wie? Ich rief einige Bestattungsunternehmen an und traf mich heimlich mit den Herren. Nach einigen Sondierungsgesprächen hatte ich einen älteren, offensichtlich bestechlichen Quasimodo zur Hand, der die Totenruhe um tausend Euro und zwei Flaschen Schnaps „vergessen“ wollte, um mir bei meinem perfiden Plan zu helfen. Wir hatten vor, Erna, Frieda, Hans und den Rest der Verwandtschaft heimlich auszugraben, und diese zu Onkel Kurt in den großen Steinsarkophag am Döblinger Friedhof zu legen. Die nun freigewordenen Grabstellen konnte ich danach zwar höchst illegal, aber sündhaft teuer an Hundebesitzer weitervermieten. Unter der Hand, versteht sich.

Pro Erdgrab brächte ich drei mittelgroße Hunde wie Dalmatiner oder Golden Retriever unter, nur beim Grinzinger Friedhof wollte ich eine Ausnahme machen und dort kleine Schoßhündchen wie Malteser oder Chihuahuas ganz nach den Wünschen betuchter Paare würdevoll bestatten lassen. Mit dieser Größe gingen sich dann bis zu sechs Vierbeiner pro Grab aus. Mein Kalkül für einen Chihuahua fünftausend Euro, bei einer durchschnittlichen Liegezeit von fünf Jahren zu verrechnen, würde sicher eine entsprechend große Nachfrage finden. Hundebesitzer sind bekanntermaßen eine dankbare und finanzkräftige Klientel. Sie zahlen ein kleines Vermögen, damit ihre Lieblinge auch menschlich angemessen in den Himmel kommen. Döbling, Währing und Klosterneuburg waren für die Hunde ideal und verschafften mir den Reichtum, den ich mir schon längst verdient hatte.

Als ich mit Gummistiefeln und Spaten bereits vor der Türe stand, versperrte mir Odysseus den Weg. Ich konnte es nicht fassen. Mein Odysseus, wie ich meinen geliebten Ehemann bewundernd nannte, fiel mir in den Rücken! Mein griechischer Held – immerhin hielt er es in meiner Großfamilie bereits dreißig Jahre aus –, der mich stets listig und mutig durch die Wogen des Lebens begleitet hatte, er stand nun breitbeinig vor mir und hinderte mich daran, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen.

„Kommt doch überhaupt nicht infrage! Ich lasse es nicht zu, dass du diese wunderbaren Friedhöfe zu Hundezonen machst!“, meinte er zornig und entriss mir das Werkzeug.

„Gut, wie du willst! Wenn du mich daran hinderst, dann lasse ich mich scheiden und heirate eben einen Pompfüneberer, dann bin ich endlich meine Sorgen los!“

Odysseus schmollte, weniger über die Androhung einer möglichen Scheidung als über die Tatsache, dass ich ihm einen faden Sargträger vorzog.

Ich ging trotzdem und wartete in der Dunkelheit vor der Friedhofsmauer auf meinen Komplizen, der … auch nach Stunden … nicht erschien.

Der gute Mann hatte Tage zuvor das Geld und den Schnaps dankend angenommen und einfach auf mich vergessen. Sauerei! Frustriert fuhr ich nach Hause und ließ mich heulend am Küchentisch nieder. Vorbei war mein Plan, vorbei mein Traum, keine toten Malteser oder Golden Retriever und somit auch kein Geld.

Vor mir lag die Post, darunter ein Brief aus Linz mit schwarzer Umrandung. Fein, wieder einer aus der Verwandtschaft gestorben, dachte ich und trank ein Glas Prosecco zur Prophylaxe. Sterben war in jeder Hinsicht frustrierend. Jetzt war mir klar, weshalb die Bestatter dem Alkohol so wohlwollend zugetan waren.

Gestorben war die kinderlose Tante Maria, die Arme, im 96. Lebensjahr. Sie hatte mir ein Grabmal, einen Epitaph am Linzer Stadtfriedhof hinterlassen, gleich neben dem oberösterreichischen Altlandeshauptmann, mit der Bedingung, es die nächsten zwanzig Jahre zu betreuen und zu besuchen. Das Grab wäre eine Okkasion und als letzte Ruhestätte nicht nur ästhetisch, sondern auch gesellschaftspolitisch höchst attraktiv. Immerhin „schlief“ sie neben einem verdienten Landeshauptmann und ÖVP-Politiker, hatte sie mich brieflich wissen lassen.

Ich sank in den Sessel und ließ die Benachrichtigung aus meinen Händen gleiten. Neeeein! Nicht schon wieder! Als Dankeschön für die Pflege ihres Grabes hatte sie mir testamentarisch ihr altes Haus gleich neben dem Friedhof überschrieben, das ich für meine Großfamilie nutzen konnte. Da hatte ich zu allem Übel in Form des Grabes Nummer sieben noch eine baufällige Ruine am Hals. Ich trank wieder einen beherzten Schluck und gab auf. Mir blieb eben nichts anderes übrig, als einen Bestseller zu schreiben, also setzte ich mich an meinen Computer und fing wie rasend zu tippen an.

Nach ein paar Monaten erhielt ich einen Brief des Linzer Magistrats. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der steigenden Mortalität der Bevölkerung bestünde seit Jahren großer Mangel an Grabstätten. Man gedenke, den Linzer Friedhof großzügig zu erweitern und mit Zufahrtsstraßen zu versehen. Den Bauvorhaben stünden nun das Haus und der Grund von Frau Maria W., also meiner verstorbenen Tante, im Wege, wofür man mir eine Summe von hundertfünfzigtausend Euro als Abgeltung anbieten würde. Aufgrund meines ausgeprägt wirtschaftlichen Denkens, immerhin habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert, einigte ich mich mit der Linzer Verwaltung auf einhundertsiebzigtausend Euro.

Für einige Zeit habe ich meinen Schreibtisch und auch meinen neuen Bestseller verlassen. Ich kontrolliere nun den Baufortschritt am Döblinger Friedhof. Onkel Kurt habe ich einäschern lassen, er liegt jetzt bei Tante Erna im Grab, ich brauche nämlich seinen großen Sarkophag für mich und meine Familie.

Weil – ganz ehrlich – der Blick auf die Stadt Wien und auf den Kahlenberg ist von dort aus schon überwältigend schön und eigentlich für Vierbeiner viel zu schade!

Wie heißt es so schön in den heiligen Schriften? „Du sollst Gott nicht auf die Probe stellen!“ Lässt sich zukünftiges Leben noch in irgendeiner Form beeinflussen, sei es durch Änderung seines Sexualpartners oder durch gelebte Askese, so verhält es sich mit dem Tod genau umgekehrt. Erbarmungslos offenbart er sich als „die sicherste Sache der Welt“. Gott lässt sich bei diesem Spiel ungern in die Karten schauen. Er spielt, wie er will, manches Mal auch unfair und hinterlistig, wie folgende Geschichte erzählt:

Fast wie in Mayerling

„Hasilein, ich habe schon wieder vergessen, wo ich die Tabletten gegen meinen Alzheimer hingelegt habe. Hast du sie vielleicht gesehen?“

„Nein, mein Schatz, die müssten eigentlich oberhalb der Spüle liegen. Brauchst du die denn überhaupt noch zu nehmen?“, fragte Oskar seine Frau, während er sich genüsslich seine Marmeladesemmel in den Mund schob.

„Stimmt, mein Hasilein, die brauche ich wirklich nicht mehr!“

Hedwig lächelte verschmitzt und ließ sich wieder am Frühstückstisch nieder.

„Eben! Ich pfeif’ auch auf mein Cholesterin. Morgen ist ohnehin alles vorbei. Keine Medikamente, keine Arztbesuche, keine lästigen Gerichtstermine, und die Bank kann uns jetzt auch kreuzweise!“ In Anbetracht des bevorstehenden Ereignisses pfiff Oskar sogar auf jegliche sprachliche Contenance. Es war ohnehin – fast alles – egal.

Hedwig hauchte ihrem Mann ein Kussmündchen zu und trank einen großen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse. „Sag, tut es denn auch bestimmt nicht weh?“

„Nein! Das haben wir doch schon Hunderte Male besprochen, du spürst den Schuss garantiert nicht. Und bevor es noch zum Wehtun anfangen könnte, bist du längst tot!“

Hedwig rutschte trotzdem nervös auf ihrem Sessel herum. „Und wenn ich gar nicht so richtig tot bin, dann erschießt du dich, und ich lebe vielleicht noch. Überlege einmal, das wäre schrecklich! Dement und eine Kugel im Hirn.“

„Glaube mir, Schnurlimaus, ich kenn’ mich da aus! Schließlich bin ich Jäger. Ich mache das genauso wie der Erzherzog Rudolf in Mayerling. Der hat auch zuerst seine Geliebte, die Baronin Vetsera, erschossen und dann sich selbst. Ich mach’ das ganz zärtlich, vertraue mir!“

„Lieb von dir und so herrlich romantisch! Kannst du dich noch an den Film Kronprinz Rudolfs letzte Liebe mit Rudolf Prack erinnern? Ach, war das ein Bild von einem Mann!“ Hedwig blickte verträumt aus dem Fenster.

„Schnurlimaus, ich bin doch seit fünfzig Jahren dein Rudolf!“

„Natürlich, Hasilein! Ich weiß trotzdem nicht so recht, mir behagt das Ganze nicht. Auf alle Fälle gäbe es nach unserem Tod eine Mordssauerei in der Küche. Denk doch an das Blut, das macht einfach scheußliche Flecken, und eingetrocknet kriegt man das nicht einmal bei einer Kochwäsche wieder sauber!“

„Na und? Um das kümmern sich dann die anderen!“

Eine kurze Zeit herrschte bedrückende Stille am Tisch, dann fing Hedwig wieder an: „Genau das wollte ich ein Leben lang vermeiden. Du weißt, mein Hasilein, als wir unsere langen Reisen nach Italien und Frankreich gemacht haben, habe ich vorm Wegfahren immer Ordnung gemacht, damit wir es schön haben, wenn wir wieder nach Hause kommen.“

„Ich habe das bei euch Frauen nie verstanden.“

„Was denn?“

„Aufräumen, bevor man wegfährt!“

„Warum nicht? Ist doch schön, wenn man wieder in ein gepflegtes Haus heimkommt.“

„Schnurlimaus, da hätten wir nie wegfahren müssen, weil es ja zu Hause immer nett ist. Aber jetzt sind deine Sorgen unberechtigt.“

„Warum?“

„Weil es unsere letzte Reise ist.“

„Umso mehr will ich alles sauber hinterlassen. Ich meine ja nur, vielleicht wäre Gift doch etwas appetitlicher! Zumindest für die, die uns danach wegräumen müssten!“

„Warum bist du so nervös?“

„Natürlich bin ich nervös! Es ist ja das erste Mal, dass wir uns umbringen wollen!“, meinte Hedwig trotzig.

Oskar versuchte abermals, seine Frau zu beruhigen: „Schau, Schnurlimaus, wir haben doch alle möglichen Varianten in Betracht gezogen und besprochen. Ertrinken in der kalten Jahreszeit war dir zu unangenehm, Erhängen zu aufwändig und ein Sprung vor die ÖBB zu unsicher.“

„Stimmt. Bei den ständigen Fahrplanänderungen versäumst am End’ sogar deinen eigenen Tod!“, lachte Hedwig.

„Da bleibt eben nur mehr der Revolver übrig! Denk doch an die Schlagzeilen! Das wird großartig!“ Oskar deutete mit seiner Hand einen Schriftzug in die Luft: „In alle Ewigkeit vereint – Ehepaar wählt Freitod.“

„Mir wäre Gift trotzdem lieber!“, gab Hedwig zu bedenken, sie dachte sofort wieder an ihre erst vor zwei Jahren neu renovierte Küche.

Oskar hatte bereits die Semmel verspeist und machte sich am gekochten Ei zu schaffen. „Gift? Ich bitte dich! Gift ist unmännlich. Was glaubst du, was meine Jagdkollegen sagen würden? Ich kann mir ihr verschmitztes Gelächter beim Begräbnis jetzt schon vorstellen. Da hat er den Schrank voller Waffen, und dann hat der Mensch keine Eier in der Hose und macht’s mit Gift!“