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Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-058-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Das Schiff
der falschen Spanier

Hasard kämpft nicht mit Culverinen, sondern mit raffinierten Tricks

Hernando Ferrer lag auf den Knien und betete. Gleichzeitig, ohne das Leiern seiner Worte zu vergessen, dachte er daran, daß er bisher für die Inquisition noch nichts hatte tun können. Nicht ein einziges Opfer! Keine Anzeige, kein Autodafé.

Er war stark im Glauben und schwach in der Leistung. Die Oberen des Tribunals, die ihn nach Vigo geschickt hatten, erwarteten, daß er die Ketzer fand, die Verräter benannte und die Schismatiker der gerechten Strafe zuführte.

Aber hier im Hafenstädtchen schien es nur wahre, inbrünstige Gläubige zu geben. Er konnte schließlich keine Sünder erfinden.

Doch sie versteckten sich überall. Besonders auf Schiffen, deren Mannschaften fremde Länder besucht hatten und von bösen Gedanken befallen waren.

Die Sünde lebte an Bord der Schiffe …

Die Hauptpersonen des Romans:

Hernando Ferrer – als Jesuitenmönch und fanatischer Anhänger der Inquisition glaubt er, in den Arwenacks Ketzer erkannt zu haben.

Don Jaime La Roda – als Statthalter von Vigo versorgt er den Konvoi des Don Julio de Vilches alias Philip Hasard Killigrew mit Proviant und Trinkwasser.

Al Conroy – der Stückmeister der Arwenacks kriegt wieder alle Hände voll zu tun, um hartnäckigen Verfolgern das Fürchten beizubringen.

Philip Hasard Killigrew – spielt seine Rolle als Don Julio de Vilches und muß tief in die Trickkiste greifen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Philip Hasard Killigrew alias Don Julio de Vilches hatte an diesem Morgen wieder einmal ein deutliches Gefühl des Unbehagens. Er konnte sich selbst nicht erklären, was diese innere Unruhe hervorrief. Nach der furchtbaren Explosion, von der die „Respeto“ zerrissen worden war, hatte sich der Konvoi wieder neu formiert und segelte weiter.

„Neun verdammte Silberschiffe“, murmelte Hasard im Selbstgespräch. Der kräftige Wind riß ihm die Worte von den Lippen. „Ob sie jemals heil in London eintreffen, das mag der Teufel wissen.“

Der Schiffsverband befand sich außerhalb der Sicht von Land. Bei besserem Wetter würde man vielleicht die Gipfel der Cordillera Cantabrica an Steuerbord sehen.

„Wer ist der nächste?“ fragte sich der Seewolf leise und richtete das Spektiv auf die „Salvador“.

Er ahnte – auch das war ein Teil seiner steigenden Besorgnis –, daß im vorletzten Monat des Jahres die Stürme aus der Biscaya eine zusätzliche Gefährdung für die Schiffe darstellten. Immerhin war jedes Schiff auf seine Weise nicht gerade neu und zumindest ebenso gefährdet wie die unglückliche „Respeto“ oder die „Nobleza“, die verschollen blieb und wahrscheinlich zu den Opfern des großen Raids gezählt werden mußte.

Auf der „Salvador“ schien alles in Ordnung zu sein. Hasard sah die weißen Schaumkronen der Atlantikwellen und hoffte, der Wind würde so bleiben und nicht stärker werden. Hinter sich hörte er Schritte, er drehte sich um, und seine Augen begegneten dem Blick des Kutschers.

Der mittelgroße Mann fuhr in leichter Verlegenheit durch sein dunkelblondes Haar.

„Was gibt’s?“ fragte Hasard ruhig.

Der Kutscher zwinkerte mit seinen blauen Augen.

„Sir“, begann er und griff nach einem Tau, „da ist etwas, das man nicht vergessen sollte.“

„Ich bemühe mich, nichts zu vergessen“, entgegnete Hasard. „Neuer Ärger, diesmal bei uns, unter Deck?“

Der Kutscher schüttelte den Kopf und lächelte zurückhaltend. Er deutete vage in die Richtung der neun Schiffe und meinte: „Ich wäre nicht sonderlich überrascht, Sir, wenn sich bei dem einen oder anderen Schiff Schwierigkeiten mit Proviant und Wasser herausstellen sollten. Ist ja schon verdammt lange her, seit sie gebunkert haben.“

Der Seewolf dachte nach und nickte schweigend. Dieses Problem hatten sie alle vorübergehend aus den Augen verloren. Die dramatischen Ereignisse, die einander fast ohne Unterbrechung abgelöst hatten, schlugen nicht nur Hasard und seine Seewölfe in ihren Bann.

„Und wie steht es bei uns mit dem Proviant?“ fragte er den Kutscher.

„Ganz gut. Natürlich könnten wir immer frisches Gemüse und Wasser, Wein oder Bier brauchen. Aber wir halten schon noch eine Weile durch.“

Der Kutscher richtete seine Augen dorthin, wo die portugiesische und nordspanische Küste hinter der Kimm lagen.

„Das ist natürlich das Lustigste, das uns einfallen könnte“, sagte der Seewolf und zuckte mit den Schultern. „Kaum hat der Wind den Rauch von der explodierten ‚Respeto‘ weggeblasen, laufen ausgerechnet wir in einen spanischen Hafen ein, um im Auftrag der Krone Proviant und Wasser zu fassen.“

„Warum eigentlich nicht?“ erkundigte sich der Kutscher trocken.

„Hm.“

Sie blieben eine Weile nebeneinander stehen und dachten schweigend darüber nach – über völligen Unsinn, wie Hasard sich sagen mußte.

„Ein Dutzend spanischer Schiffe, die das in Frankreich versuchen, würden weniger Glück haben“, brummte er schließlich. „Mit den Frenchmen haben wir ja unsere Erfahrungen schon hinter uns, und das nicht nur einmal.“

„Mit den Dons auch, aber sie sind von uns leichter hereinzulegen“, meinte der Kutscher. „Wie auch immer: Mac Pellew meint ebenfalls, daß allmählich bei denen das Wasser knapp wird. Vom Wein gar nicht zu reden.“

„Ich kann abwarten“, entgegnete Hasard und hob wieder sein Spektiv.

Schon zweimal hatte er den Konvoi und die Begleitschiffe durchgezählt. Die Zahl stimmte. Die Rauchfahne, die unter der Kimm zu sehen gewesen war, hatte also weder einen Kaperer noch ein neugieriges Patrouillenschiff angelockt. Trotzdem mußte damit gerechnet werden, daß sich gerade in diesem Gebiet des Atlantiks portugiesische, französische, spanische und niederländische Schiffe herumtrieben. Und kaum ein Kapitän würde gegen die Verlockungen in den Laderäumen des Konvois immun sein.

Hasard zweifelte nicht daran, daß wieder einmal die Gerüchte schneller waren als die Wirklichkeit. Natürlich gab ihm die Warnung des Kutschers zu denken.

Er richtete das Spektiv auf jenen Abschnitt der Kimm, hinter der nach Dan O’Flynns Berechnungen Kap Finisterre liegen sollte, unterhalb von Santiago de Compostela.

„Bei allen Fabelwesen der Sieben Meere“, sagte er schließlich zu sich und enterte von der Back auf die Kuhl ab. „Da werden wir uns wohl was einfallen lassen müssen. Dan? Mister Brighton? Her zu mir!“

„Aye, aye, Sir.“

Wie von keinem Seewolf anders erwartet, wehte im November vor dieser Küste ein steifer Südwest, der die Oberfläche des Atlantiks zerfurchte und harte, hohe Wellen voller Schaumkronen vor sich hertrieb. Dementsprechend würde an der meist steilen Küste ziemlicher Seegang herrschen. Die Brandung würde jedes Schiff, das auf Legerwall geriet, auf den Felsen erbarmungslos zerschmettern. Vielleicht war dieser starke Wind der Grund dafür, daß außer den Schiffen des Konvois zu dieser frühen Stunde kein anderer Segler unterwegs war.

Hasard wartete, bis sich auch Don Juan de Alcazar zu der Gruppe gesellte, dann sagte er: „Wie der Kutscher schon meinte, kann eine üble Überraschung auf uns zukommen. Ich überlege mir gerade, wie wir diese Überraschung an unsere spanischen Freunde an Land weitergeben können.“

Mit wenigen Sätzen unterrichtete er die kleine Crew von den Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die er sah.

Sofort antwortete der Spanier: „Da käme eigentlich nur Vigo in Frage.“

„Danke für den Rat, mein Freund“, erwiderte der Seewolf und zeigte ein Lächeln von der Art, das sie gut kannten. „Was hat Vigo, das andere Häfen nicht haben?“

„Wenn ich nicht irre, hat die Stadt einen leicht zu überzeugenden Statthalter oder Kleingouverneur. Da er seinen Wimpel in jedem Wind flattern läßt, denke ich, daß er noch immer Don Jaime La Roda heißt.“

„Du kennst ihn, Juan?“ fragte Dan O’Flynn.

„Ich habe genug von ihm gehört“, antwortete der Spanier. „Mehr als genug.“

„Was sagen die anderen Kapitäne dazu?“ fragte der Erste in sachlichem Ton.

„Die sind noch nicht gefragt worden“, erwiderte der Seewolf und schaute mit blitzenden eisblauen Augen zur „Isabella“ und zur „Wappen von Kolberg“ hinüber. „Zuerst beraten wir uns mit unseren Freunden.“

„Das empfiehlt sich dringend.“

Auch Ben Brighton schien sich für bestimmte Teilbereiche des zu erwartenden Abenteuers oder besser Vorhabens zu begeistern. Welches Risiko sie eingingen, wußten sie – darüber brauchte kein Wort verloren zu werden.

In Luv der Schatzgaleonen, die nicht gerade im Kielwasser des vorderen Schiffes, aber in einer klar erkennbaren Linie segelten, hielten sich die drei Begleitschiffe.

Vigo in der nordspanischen Provinz Galizien, nicht viel mehr als eine kleine Stadt um einen wenig bedeutenden Fischerhafen, hatte in seinem Rücken grüne, fruchtbare Hochflächen und Täler.

Die Küste war von tief eingekerbten Buchten geprägt, den „Rias“, die am Rand des stürmischen Atlantiks für unzählige Schiffe ideale Schlupfwinkel und Zufluchtstätten darstellten. Vigo lag an Steuerbord in einer Bucht, die tief ins Landesinnere führte. Soweit reichten die Informationen, die Dan O’Flynn hatte.

„Wie lange willst du noch warten, Sir?“ fragte er.

Wollten sie wirklich Vigo anlaufen, wenn auch nur mit einem Schiff, mußten sie bald daran denken, einen neuen Kurs abzusetzen. Dan schätzte die Entfernung auf einen Tag, einen Törn von etwa vierundzwanzig Stunden also.

Die Überlegungen der Seewölfe wurden unterbrochen.

Ihre Köpfe fuhren herum, als der Knall einer abgefeuerten Drehbasse an ihre Ohren drang.

„Das war auf Don Ricardos Flaggschiff“, stellte Ben Brighton fest. „Ein Signal.“

Aus einer Bugdrehbasse hatte der spanische Kapitän einen blinden Schuß abgeben lassen. Hasard und Dan hoben die Spektive an die Augen und peilten hinüber zur „Salvador“. Nach genauerem Hinsehen erkannten sie den Zweiten Offizier, Bernardo de Murcia, der aufgeregt seine kurzen Arme schwenkte.

Hasard rief zur Back: „Zeigt ihm, daß wir verstanden haben. Wir gehen näher. Jan, zwei Strich nach Steuerbord abfallen.“

„Aye, aye, Sir!“ rief Jan Ranse zurück.

Während die Schebecke den Kurs änderte und auf das erste Schiff des auseinandergezogenen Verbandes zusegelte, löste sich an Backbord, auch auf der Back, auf der „Concordia“ der nächste Signalschuß. Dumpf hallte der Lärm der Explosion über die Wellen. Eine dicke Rauchfahne wirbelte am Bugspriet der Galeone vorbei.

„Die Dons kriegen wohl alle gleichzeitig Hunger, wie?“ rief Carberry, der gerade an Deck erschien. „Kann uns nicht passieren.“

„Vielleicht meinen sie wirklich beide gleichzeitig dasselbe“, sagte Hasard und zuckte mit den Schultern. „Aber es ist durchaus vorstellbar, daß die Dons in Wirklichkeit etwas anderes wollen. Wir werden es in ein paar Minuten genau wissen.“

Ben Brighton hob die Hände an den Mund und rief im Befehlston: „Ab sofort kehren auf unserem Schiff wieder echt spanische Verhältnisse ein, verstanden, ihr falschen Dons?“

„Dann mußt du dem Plappergei auch noch gutes Spanisch beibringen“, riet Batuti lachend. „Was hast du vor, Sir?“

„Abwarten“, entgegnete der Seewolf. „Zuerst sprechen wir mit unseren Freunden.“

Es dauerte nicht länger als eine gute Viertelstunde, bis die Schebecke in Rufweite querab der „Salvador“ segelte. Die Arwenacks, die seit langen Tagen mit ihrer Maskerade keine Schwierigkeiten hatten, winkten.

„Don Ricardo!“ schrie Hasard vom Grätingsdeck zur Kampanje hinauf. „Was gibt es?“

„Es wird knapp mit Wasser und Proviant, Don Julio“, rief der Kapitän der „Salvador“ zurück. „Zwei, bestenfalls vier Tage, und dann hungern wir alle.“

„Wissen Sie, wie es auf den anderen Schiffen aussieht?“ rief Hasard und sah ein, daß er mit seiner Meinung recht behalten hatte.

„Von der ‚Concordia‘ weiß ich es genau. Die Männer sind ebenso übel mit den Vorräten dran.“

„Das heißt, daß wir unsere spanischen Freunde an Land in Anspruch nehmen müssen!“ rief Hasard. „Ärgerlich, diese Verzögerung.“

„In Vigo gäbe es Wasser“, empfahl der andere Kapitän.

„Aber ich hörte“, antwortete Hasard, innerlich über dieses vorgeschlagene Ziel hocherfreut, „daß der Hafen von Vigo zu klein für unsere vielen Schiffe sei.“

„Dann sollten wir nur mit ein paar Schiffen einlaufen und die Vorräte auf See oder in einer Bucht übergeben.“

„Recht so!“ schrie der Seewolf. „Sie sind dabei, Don Ricardo?“

„Mit Freude. Wir haben, meine ich, die größten Fässer und die größten leeren Laderäume und Proviantlasten.“

„Einverstanden. Wir befragen die anderen Kapitäne!“ rief Hasard. „Meinen Sie, daß, uns eingeschlossen, ein halbes Dutzend Schiffe ausreicht?“

„Das will ich meinen, Señor Capitán.“

Der Bug der Schebecke setzte nur weniger stark als der runde Bug der Galeone in die hohen Wellen ein. Gischt und Sprühregen überschütteten die Back und die bugwärtige Hälfte der Kuhl. Hasard ließ abdrehen und gab nach einem kurzen Gruß an Don Ricardo in bestem Spanisch seine Befehle.

Die Schebecke ging in den Wind. Die Seewölfe warteten, bis die „Concordia“ heranstampfte. Wieder rief Hasard den Kapitän und seine Offiziere an, die auf dem Quarterdeck standen und sich weit über das Schanzkleid lehnten.

Auch auf der „Concordia“ waren Proviant und Wasser knapp. In zwei bis drei Tagen würden die wichtigsten Vorräte aufgebraucht sein. Auch die Männer dieses Schiffes erklärten sich gern bereit, nach Vigo einzulaufen und dort zu bunkern.

„Dann hören wir auch, was es Neues von Philipp gibt, unserer Majestät“, tönte es laut von der Galeone.

„Schon möglich. Ihr seid auch dabei. Dann sind wir schon drei Schiffe“, rief Hasard und beendete den Nachrichtenaustausch.

Die „Concordia“ passierte die wartende Schebecke.

Don Juan de Alcazar schlug Hasard auf die Schulter und sagte: „Ich weiß, daß du den Dons nicht traust. Glaubst du ihnen?“

Hasard hob die breiten Schultern unter dem spanischen Tuch.

„Mir bleibt kaum etwas anderes übrig“, erklärte er.

„Gewißheit ist eine herrliche Sache“, sagte der Spanier. „Aber wir sollten eine Stichprobe verlangen. Ganz einfach auf irgendein Schiff dort überwechseln, entern und eine scharfe Kontrolle der Vorräte durchführen.“

„Ein guter Rat. Welches Schiff sollten wir uns aussuchen?“ fragte der Seewolf nach einer Weile.

„Ganz gleich. Irgendeine der Galeonen dort hinten“, meinte Don Juan. „Keiner von uns weiß, wieviel Wasser und Proviant sie am Anfang der Fahrt in den Laderäumen hatten.“

„Stimmt.“

Die falschen Spanier warteten, bis ein Schiff nach dem anderen an ihnen vorbeisegelte. Überall erhielten sie die gleichen Auskünfte. Bis nach Irland würden weder Wasser noch Proviant reichen, auf keinen Fall.

Hasard sammelte ein Enterkommando um sich und sagte schließlich: „Wir sehen uns die ‚Santa Helena‘ unter Deck genauer an. Einverstanden?“

Der Profos nickte und stieß den Schiffszimmermann an.

„Und wehe, wenn wir volle Fässer und fette Schinken in der Proviantlast finden. Wird wohl ein aufregender Landgang werden, nicht wahr, Sir?“

Jetzt grinste Hasard breit und fast fröhlich.

„Wenn sechs Schiffe in Vigo auftauchen, dann wird es im Hafen recht lebendig werden, Freunde. Und daß wir unsere Rolle ausgezeichnet spielen, haben wir ja schon beweisen müssen.“

„Die Dons in Vigo werden uns dabehalten wollen!“ rief Old Donegal. „So gute Spanier wie uns gibt’s sonst nirgendwo.“

„Hoffentlich“, murmelte Hasard und gab Befehl, die Schebecke längsseits zur „Santa Helena“ zu steuern.

2.