cover

DAVID BRIN

 

 

 

DIE CLANS VON STRATOS

 

Roman

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Die Zivilisation auf Stratos wurde von Frauen gegründet, die jetzt über allen Reichtum und die alleinige politische Macht auf dem Planeten verfügen. Durch Genmanipulation haben sie die menschliche Sexualität so verändert, dass alle auf Stratos geborenen Kinder Klone ihrer Mütter sind. Nur in den kurzen Sommermonaten werden einige »Vars« auf natürlichem Wege empfangen; Kinder, die als minderwertig gelten, niedere Arbeiten verrichten müssen und keine Aufnahme in die mächtigen Clans finden. Auf dieser fortschrittsfeindlichen Welt landet Renna, ein Raumfahrer von der Erde. Im Gefängnis lernt er Maia kennen, eine Var, die sich als Ausgestoßene mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Gemeinsam beschließen sie, wenigstens den Versuch zu wagen, das Schicksal der Var zu verbessern und den mächtigen alten Frauen die Stirn zu bieten …

 

 

 

 

Der Autor

David Brin, 1950 im amerikanischen Glendale geboren, studierte Astronomie und Physik und arbeitete lange als Wissenschaftler und Dozent, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Mittlerweile gehört er zu den bedeutendsten amerikanischen Science-Fiction-Autoren der Gegenwart und erobert regelmäßig die Bestsellerlisten. Besonders mit seinem Roman »Existenz« ist ihm eine der eindrucksvollsten Zukunftsvisionen der Science Fiction gelungen. David Brin lebt in Südkalifornien.

 

 

 

 

img1.jpg

 

www.diezukunft.de

Titel der Originalausgabe

 

GLORY SEASON

 

Aus dem Amerikanischen von Christine Strüh

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1993 by David Brin

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-17504-7

 

 

 

Für Cheryl Ann,

die Maia aus dem Flachland befreit und mich

von der Einsamkeit erlöst hat.

 

 

 

Wir wollen, dass den Frauen jeder Weg offensteht … Wenn dies geschähe … würden wir Kristallisationsprozesse erleben, die reiner, vielfältiger und schöner sind als alles bisher Dagewesene. Wir glauben, dass die göttliche Energie die Natur in einem nie dagewesenen Maße durchdränge und daraus nicht etwa Konflikt, sondern vielmehr eine wahrhaft hinreißende Harmonie der Sphären erwachsen würde.

 

MARGARET FULLER

Inhalt

 

 

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Vierter Teil

Nachwort des Autors

 

img2.jpg

Prolog

 

Sechsundzwanzig Monate vor ihrem zweiten Geburtstag begriff Maia den wahren Unterschied zwischen Winter und Sommer.

Es war nicht einfach das Wetter, auch nicht die Gewitter, die sich in der heißen Jahreszeit mit Blitz und Donner zwischen den großen Schiffen im Hafen entluden. Auch nicht das blendende Licht des Wengelsterns, das sich von dem der anderen Himmelskörper so stark unterschied.

Nein, der wahre Unterschied war viel persönlicher.

»Ich kann nicht mehr mit dir spielen«, hatte ihre Halbschwester Sylvina eines Tages halb im Scherz gesagt. »Weil du einen Vater hast!«

»S-stimmt gar n-nicht!«, stammelte Maia, vor Aufregung wieder einmal stotternd, denn sie wusste, dass das Wort Vater irgendwie schmutzig war. Sylvies Bemerkung tat ihr weh, als bliese ein bitterkalter Gletscherwind durch die Kinderkrippe.

»Stimmt wohl! Du hast einen Vater, du dreckige Var!«

»Dann … dann bist du auch eine Var!«

Sylvie lachte laut. »Ha! Ich bin eine reine Lamai, genau wie meine Schwestern, wie meine Mütter und Großmütter! Aber du bist ein Sommerkind. Deshalb bist du ein-maalig. Var!«

Wut und Verzweiflung schnürten Maia die Kehle zu, und sie konnte nur stumm zusehen, wie Sylvina ihre hellbraunen Locken zurückwarf und zu einer Gruppe von Kindern davonstolzierte, die im Alter verschieden, im Aussehen jedoch vollkommen identisch waren. Ein unausgesprochenes Trennungszeremoniell hatte stattgefunden, hatte den Raum aufgeteilt. In der besseren Hälfte das Raums, drüben beim glühenden Herdfeuer, war jedes Mädchen eine kleinere, perfekte Kopie einer Lamai-Mutter. Das gleiche helle Haar, das gleiche ausgeprägte Kinn. Die gleiche typische Haltung mit trotzig erhobenem Kopf.

Hier auf der anderen Seite wurden wie immer die beiden Knaben in ihrer Ecke unterrichtet; sie merkten nichts von den Veränderungen, die sie ohnehin kaum betrafen. So blieben acht Mädchen wie Maia übrig, verstreut in der Nähe der eisbedeckten Fenster. Manche waren hell, manche dunkel, einige breiter, einige dünner. Eine hatte Sommersprossen, eine andere Locken. Was sie miteinander verband, war ihre Unterschiedlichkeit.

Bedeutet das, einen Vater zu haben?, überlegte Maia. Jeder wusste, dass Sommerkinder seltener waren als Winterkinder. Früher war sie stolz darauf gewesen, bis ihr irgendwann dämmerte, dass es doch nicht unbedingt erstrebenswert war, etwas ›Besonderes‹ zu sein.

Dunkel erinnerte sie sich noch an die Sommergewitter, den Geruch der statischen Elektrizität und das Trommeln des Regens auf den Dächern von Port Sanger. Wenn die Wolken aufrissen, tanzten schimmernde Himmelsschleier wie schwebende Riesen über ferne Tundrahänge, weit vor den verschlossenen Stadttoren. Jetzt traten Winterkonstellationen an die Stelle der Farbenspiele des Sommers und zogen glitzernd über das ruhige, frostbedeckte Wasser. Maia wusste schon, dass der Wechsel der Jahreszeiten damit zu tun hatte, wie Stratos seine Sonne umkreiste. Doch sie hatte noch nicht herausgefunden, wie dies alles damit zusammenhing, dass Kinder entweder anders oder gleich geboren wurden.

Moment mal!

Einer plötzlichen Eingebung folgend, lief Maia zu dem Schrank, in dem die Spielsachen aufbewahrt wurden. Mit beiden Händen packte sie einen angeschlagenen Handspiegel und trug ihn dorthin, wo ein anderes dunkelhaariges Mädchen in ihrem Alter saß und mit Soldaten spielte, ihnen Schwerter zurechtsteckte und die langen Haare bürstete. Maia hielt sich den Spiegel vor und verglich ihr Gesicht mit dem des anderen Kindes.

»Ich sehe aus wie du!«, verkündete sie. Sie drehte sich um und rief Sylvana zu: »Ich kann keine Var sein. Leie sieht aus wie ich!«

Doch das triumphierende Gefühl schwand, als die anderen anfingen zu lachen, nicht nur die hellhaarigen, sondern alle Kinder im Raum. Maia blickte Leie stirnrunzelnd an. »A-aber du siehst wirklich aus wie ich. Sieh doch!«

Der Singsang »Va-ar! Va-ar!«, trieb Maia das Blut ins Gesicht, aber Leie achtete weder darauf noch auf den Spiegel, sondern packte Maia am Arm und zerrte so daran, dass das Mädchen unsanft neben ihr auf dem Boden landete. Dann legte Leie einen Spielzeugsoldaten auf Maias Schoß, beugte sich zu ihr und flüsterte: »Benimm dich doch nicht so blöd! Du und ich, wir hatten denselben Vater! Eines Tages gehen wir an Bord seines Schiffs. Wir werden segeln, werden Wale sehen und auf ihnen reiten. Das machen Sommerkinder, wenn sie groß sind.«

Nach dieser überraschenden Erklärung machte sich Leie zufrieden wieder daran, einem Holzsoldaten die blonden Haare zu bürsten.

Maia behielt die zweite Holzfigur in der einen, den Spiegel in der anderen Hand und dachte nach. Obwohl Leie einen so selbstbewussten Eindruck machte, klang ihre Geschichte genauso dumm wie das, was Maia gesagt hatte. Doch irgendetwas an der Einstellung des anderen Mädchens gefiel ihr … aus ihrem Mund klangen schlechte Neuigkeiten gut.

Grund genug, Freundinnen zu werden. Das war noch besser als die Tatsache, dass sie sich ähnelten wie zwei Sterne am Himmel.

 

 

 

ERSTER

TEIL

Unterschätzt niemals die Reise, auf der wir uns befinden, oder das, was wir damit wissentlich aufgeben. Gebt von Anfang an zu, meine Schwestern, dass die uns von der Natur zugedachten Partner ihren Nutzen und das Zusammenleben mit ihnen seine angenehmen Momente hatten. Männliche Stärke und männliche Leidenschaft haben gelegentlich kostbare, schöne Dinge geschaffen.

Doch wurde diese Kraft nicht selbst in den besten Zeiten größtenteils dazu verwendet, uns und unsere Kinder gegen andere Männer zu verteidigen? Sind die angenehmeren Momente diesen Preis wert?

Mutter Natur arbeitet nach einer bestimmten Logik, nach strengen Regeln, die nützlich gewesen sein mögen, solange wir noch Tiere waren. Doch nun haben sie ausgedient. Nun durchschauen wir ihre Werkzeuge, ihre Kunst bis in den letzten Winkel. Nun fordern die Frauen – manche zumindest – einen besseren Weg.

So haben wir vereint diese Welt gesucht, weit jenseits der hemmenden Einflüsse des Hominidenphylum. Diese Gründerinnengeneration steht nun vor der Herausforderung, die Grundlagen der Menschheit zu verbessern.

 

Auszug aus der Ansprache zum Landungstag, von Lysos

Kapitel 1

 

Flache Sonnenstrahlen fielen über den Tisch neben Maias Bett, so dass der einen Meter lange, üppige braune Zopf schimmerte. Sie hatte ihn gerade abgeschnitten, über den wackligen Nachttisch gelegt und an beiden Enden mit einem blauen Band umwickelt.

Stellarmuschelblau, die Farbe des Abschieds. Neben dem Zopf steckte eine Schere mit einer Spitze in der rauen Tischplatte, wie eine auf einem Fuß balancierende Tänzerin. Schlaftrunken blinzelte Maia die Gegenstände in dem trapezförmigen Sonnenfleck an und bemühte sich, sie von den schicksalsschweren Symbolen ihrer Träume zu trennen.

Und plötzlich fiel es ihr wieder ein.

»Lysos«, rief Maia atemlos und warf die Decken von sich. »Leie hat es wirklich getan!«

Ein Frösteln zog die zweite Erkenntnis nach sich: Ihre Schwester hatte das Fenster offen gelassen! Der Westwind vom Hartgletscher wehte die graubraunen Vorhänge in das winzige Zimmer und trieb Staubbällchen über den Dielenboden, die sich an Maias vollgepackter Reisetasche verfingen. Als sie aufsprang und die Läden schloss, sah Maia, wie die Morgenröte die Dächer der schlossähnlichen Clanhäuser von Port Sanger färbte. Mit dem Wind kam das Kreischen der Möwen und der Geruch ferner Eisberge, aber die Begeisterung für Morgenstunden war ein Laster, das Maia nicht mit ihrer Zwillingsschwester teilte.

»Uff.« Maia schlug sich die Hand vor die Stirn. »War es wirklich meine Idee, gestern Abend zu arbeiten?«

Gestern war es ihr noch vollkommen vernünftig vorgekommen. »Wir müssen auf dem laufenden sein, ehe wir uns auf den Weg machen«, hatte Maia argumentiert, als sie sich und ihre Schwester für eine letzte Schicht als Bedienung im Clan-Gästehaus einschrieb. »Vielleicht erfahren wir etwas Nützliches, und ein bisschen zusätzliches Geld würde auch nicht schaden.«

Die Männer des Holzfrachters Tapfere Seeschwalbe waren tatsächlich sehr redselig und voll des süßen lamaianischen Weins. Doch die Matrosen würdigten die beiden jungen Sommerlinge – zwei Variantengören – keines Blickes, denn es trieben sich genug rundliche Lamai herum, alle anziehend identisch, gut gekleidet und wohlerzogen. Die jungen Lamai hatten die Seeleute verwöhnt, sie umschmeichelt und sich von Maia und Leie mit einem Fingerschnippen bis weit nach Mitternacht immer neue Krüge mit dem berauschenden Getränk bringen lassen.

Das offene Fenster war wahrscheinlich Leies Rache.

Na ja, dachte Maia. Ihre Ideen sind auch nicht immer die besten. Aber wichtig war, dass die beiden Zwillingsschwestern einen Plan hatten, an dem sie in ihrem kleinen Dachzimmer nun schon seit Jahren geduldig schmiedeten. Ihr Leben lang hatten sie gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Aber wer weiß, wie viele langweilige Arbeitsstellen wir hinter uns bringen müssen, bis wir unsere Nische gefunden haben.

Gerade als Maia wieder unter die Decke schlüpfen wollte, schlug die Glocke auf dem Nordturm und weckte die Bewohner dieser schäbigen Ecke des Lamai-Anwesens. In den besseren Quartieren würden sich die Winterleute noch eine Stunde lang nicht regen, aber Sommerkinder waren es gewohnt, in bitterer Kälte aufzustehen – angesichts ihres Namens eigentlich eine gemeine Ironie. Seufzend begann Maia, ihre neuen Reisekleider überzuziehen. Schwarze Strumpfhosen aus dehnbarem gewebtem Stoff, weiße Bluse und Mieder, Stiefel und Jacke aus robustem, geöltem Leder. Diese Ausrüstung war besser als manches, was andere Clans ihren Vartöchtern beim Abschied mitgaben, das betonten die Lamai-Mütter unablässig. Maia tat ihr Bestes, um sich zu überzeugen, wie viel Glück sie hatte.

Während sie sich anzog, dachte sie an den abgeschnittenen Zopf. Er war länger als ein ausgestreckter Arm, er glänzte, und doch fehlte ihm der ganz besonderer Schimmer, mit dem sich jede reinblütige Lamai von Geburt an brüsten konnte. Der Zopf wirkte so fehl am Platz, dass Maia schauderte – als blickte sie auf Leies abgeschnittene Hand oder ihren Kopf. Unwillkürlich machte sie mit der Hand das Zeichen, das angeblich vor Pech schützte, lachte dann aber nervös über diese schlechte Angewohnheit. Wegen ihres ländlichen Aberglaubens würde sie in den großen Städten des Landungskontinents sicherlich als Bauerntrampel abgestempelt werden.

Wenn man bedachte, um welchen Anlass es ging, hatte Leie ihren Zopf nicht einmal sonderlich schön zugebunden. In den umliegenden Zimmern waren Mirri, Kirstin und die anderen Sommerfünfer sicher gerade dabei, ihre Zöpfe für die bevorstehende Abschiedszeremonie herzurichten. Die Zwillinge hatten lange darüber diskutiert, ob sie daran teilnehmen sollten, aber jetzt hatte Leie typischerweise impulsiv und auf eigene Faust gehandelt. Vermutlich denkt sie, damit hat sie gleich einen Vorsprung mit dem Erwachsenwerden. Dabei sagt Großmutter Modine, dass ich als erste aus dem Schoß unserer Geburtsmutter gekommen bin.

Nachdem Maia nun vollständig angezogen war, blickte sie noch einmal im Zimmer umher, in dem sie gemeinsam mit ihrer Schwester fünf lange Stratosjahre – fünfzehn nach dem alten Kalender – verbracht hatte, zwei Sommerkinder, die von Winterruhm träumten und sich Pläne zuraunten, die sich langsam ausformten, ohne dass sie sich recht daran erinnerten, wer als erste auf die Idee gekommen war. Und nun … heute … würde das Schiff Grimmvogel sie hinwegtragen, nach Westen, wo klugen jungen Leuten wie ihnen angeblich unzählige Chancen offenstanden.

In dieser Richtung war vor einigen Jahren auch ihr Vaterschiff zuletzt gesichtet worden. »Es kann nicht schaden, die Augen offenzuhalten«, hatte Leie gemeint, aber Maia war skeptisch. Wenn sie je ihrem Genvater begegneten, worüber sollten sie mit ihm reden?

Aus dem Wasserhahn in der Zimmerecke kam immer noch lauwarmes Wasser, was Maia als gutes Omen wertete. Frühstück kriegen wir auch, dachte sie, während sie sich das Gesicht wusch. Falls ich rechtzeitig in der Küche bin, bevor die eingebildeten Winterlinge eintreffen.

Vor dem winzigen Spiegel – der dem Clan gehörte und den Maia schmerzlich vermissen würde – flocht Maia ihren Zopf nach dem Garbenmuster der Lamatia-Familie, mit großer Hartnäckigkeit und um einiges ordentlicher als Leie. Oben und unten band sie ihn mit blauen Bändern ab, die sie in der Tasche aufbewahrt hatte. Einen Moment lang sah sie in ihre eigenen braunen Augen unter den so unverkennbar nicht-lamaianischen Brauen, die ihr unbekannter Vater ihr geschenkt hatte. Während sie die dunkle Iris betrachtete, entdeckte sie zu ihrem Entsetzen etwas, das sie lieber nicht sehen wollte – einen feuchten, ängstlichen Schimmer. Eine Enge. Das Wissen, dass jenseits dieser vertrauten Bucht die weite Welt auf sie wartete. Eine faszinierende Welt, jedoch berüchtigt dafür, wie erbarmungslos sie mit einsamen jungen Vars umging, denen entweder das notwendige Glück oder ein flinker Verstand versagt war. Maia verschränkte die Arme vor der Brust und kämpfte gegen den sich schwach in ihr meldenden Protest.

Wie kann ich diesem Raum verlassen? Wie wollen sie mich dazu zwingen?

Panik überkam sie und hielt sie im Griff wie eine eisige Faust, lähmte sie und raubte ihr den Atem. Ihr Herz schien als einziges noch einer Bewegung fähig, es raste, hilflos und immer schneller … bis Maia den Bann mit einem einzigen Gedanken brach:

Was wäre, wenn Leie jetzt zurückkäme und mich in diesem Zustand vorfände?

Das war schlimmer als alles, was die Welt da draußen zu bieten hatte! Maia lachte ein wenig zittrig, löste sich aus der Erstarrung und hob die Hand, um sich die Augen zu reiben. Ich bin ja auch nicht ganz allein da draußen. Lysos hilft mir, und ich habe Leie.

Jetzt endlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit der glänzenden Schere auf dem Nachttisch zu. Leie hatte sie dort stecken lassen, sozusagen als Herausforderung. Würde Maia demütig vor der Matriarchin des Clans niederknien, die guten Ratschläge, den Segenskuss und den rituellen Haarschnitt über sich ergehen lassen? Oder würde sie kühn von dannen ziehen, ohne um ein scheinheiliges Lebewohl zu flehen?

Ironischerweise zögerte Maia aus rein praktischen Erwägungen.

Ohne Zopf gibt es kein Frühstück in der Küche.

Sie musste beide Hände zu Hilfe nehmen, um die Schere aus dem narbigen Holz zu ziehen. Im Morgenlicht, das durch den Fensterladen fiel, drehte sie die Klingen hin und her.

Dann lachte sie. Die Entscheidung war gefallen.

 

Selbst Winterkinder waren selten absolut identisch. Und um die wenigen Sommerzwillinge wie Maia und Leie auseinanderzuhalten, brauchte man ein aufmerksames Auge. Zum einen waren sie Spiegelzwillinge. Während Maia einen winzigen Leberfleck auf der rechten Wange hatte, war er bei Leie auf der linken. Ihr Scheitel fiel auf entgegengesetzten Seiten. Maia war Rechtshänderin, Leie allerdings behauptete, linkshändig zu sein – wie sie –, wäre ein sicheres Anzeichen, dass ihr eine große Zukunft bevorstand. Dennoch hatte die Priesterin sie genau überprüft. Denn sie besaßen dieselben Gene.

Schon sehr früh waren sie auf den Gedanken gekommen, diesen Umstand zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Doch ihr Plan hatte gewisse Grenzen. Bei den Savanten – dem Gelehrtenstand – würden sie wohl kaum mit ihm durchkommen, auch nicht bei den vornehmen Handelshäusern des Landungskontinents, wo die reichen Clans noch immer den Datenzauber des Alten Netzwerks benutzten. Deshalb hatten Maia und Leie beschlossen, eine Zeitlang bei den Matrosen und Fischern auf See zu bleiben, bis sie eine ländliche Siedlung fanden, wo die Mütter leichtgläubig und die männlichen Besucher eher wortkarg waren und nicht soviel klatschten – bärtige Kretins, die auf dem Parthenia-Meer kreuzten.

Lysos möge uns erhören. Rasch zupfte Maia sich am Ohrläppchen, die traditionelle Gebärde, die Glück bringen sollte, und schleppte dann ihr Gepäck weiter die gewundene, von Generationen kleiner und großer Füße ausgetretene Hintertreppe der lamaianischen Sommerkinderkrippe hinunter. An jedem Fensterschlitz strich ein kühler Windstoß über ihren nun nackten Nacken, wodurch sie das unangenehme Gefühl bekam, jemand würde ihr folgen. Die Leinentasche war schwer, und Maia hegte den Verdacht, dass ihre Schwester hinter ihrem Rücken etwas zusätzlich hineingeschmuggelt hatte. Hätten sie die Zöpfe noch eine Stunde behalten, hätten ihre Mütter wahrscheinlich einen Lugar gerufen, der ihnen ihre Habseligkeiten zum Dock trug. Aber Leie behauptete, man würde verweichlicht, wenn man sich auf die Lugars verließ, und damit hatte sie sicher recht. Auf hoher See würde es auch keine von den sanften Riesen geben, die ihnen die Arbeit abnahmen.

Der Sommerhof strafte seinen Namen Lügen, denn er lag stets im Schatten der Türme, in denen hinter Glasfenstern mit seidenen Vorhängen die Winterlinge wohnten. Das düstere Viereck war verlassen, bis auf eine einzelne gebückte Gestalt mit einem Besen, die unter den strengen Steinbildnissen der frühen Lamai-Clanmütter fegte. Die Statuen zeigten allesamt die gleichen herablassend geschürzten Lippen. Maia blieb stehen, um dem graubärtigen Greis Bennett zuzusehen, wie er die herbstlichen Halbblätter zusammenkehrte. Bennett war offiziell kein Mann, sondern ein ›Ruheständler‹, der an Land geholt worden war, als seine Segelgilde sich nicht mehr um ihn kümmern konnte. Andere Matriarchate hatten diesen Brauch längst abgeschafft, doch Lamatia hielt voller Stolz an ihm fest.

Zu Anfang seines Aufenthalts war in Bennetts Augen und in seiner brüchigen Stimme noch ein Fünkchen ehemaligen Feuers zu erkennen gewesen. Zwar hatte man ihm bescheinigt, dass jedes körperliche Zeichen von Männlichkeit verschwunden war, aber offenbar hatte er sie noch gut in Erinnerung. Gelegentlich kniff er die Mädchen in den Hintern, so dass diese vor begeisterter Empörung aufkreischten und die Matronen ihm tadelnde Blicke zuwarfen. Offiziell arbeitete er als Tutor für die wenigen Jungen, aber er wurde rasch zum Liebling aller Kinder, weil er spannende, wunderschön ausgeschmückte Geschichten vom wilden, offenen Meer erzählen konnte. In diesem ersten Jahr hatte Bennett sich ganz besonders um Maia gekümmert und ihr Interesse an Konstellationen und der den Männern vorbehaltenen Kunst der Navigation geweckt.

Nicht, dass sie sich jemals richtig über das Leben, über Gefühle oder andere wichtige Dinge unterhalten hätten, wie das bei zwei Frauen selbstverständlich gewesen wäre. Dennoch dachte Maia gern an diese seltsame Freundschaft zurück, die nicht einmal Leie nachvollziehen konnte. Leider war der Funke in Bennetts alten Augen viel zu früh erloschen. Danach brachte er keine zusammenhängenden Geschichten mehr zustande, sondern verfiel immer öfter in düsteres Schweigen. Zwar schnitzte er weiterhin kunstvolle Flöten, aber er ließ sich nicht mehr herbei, auf ihnen zu spielen.

Nun stützte sich der alte Mann also auf seinen Besen, und Maia beugte sich zu ihm herunter, um seinen wässrigen Blick auf sich zu ziehen. Vielleicht nahm Maia dies aufgrund ihrer lebhaften Phantasie verstärkt wahr, aber in ihren Augen hatte sein Gesicht einen Ausdruck aktiver Leere angenommen, eines ängstlichen, gezwungenen Rückzugs vor der Welt. Passierte das immer bei Männern, die nicht mehr zur See fahren konnten? Oder hatten die Lamai-Mütter etwas mit ihm angestellt, was lästige Verhaltensweisen ausmerzte und sicherstellte, dass er sich endgültig ›im Ruhestand‹ befand? Das alles machte Maia neugierig auf die legendären Reservate, zu denen nur wenige Frauen Zugang hatten und in die sich die meisten Männer zum Sterben zurückzogen.

Vor zwei Jahreszeiten hatte Maia versucht, Bennett noch einmal aus seinem Dämmerzustand herauszureißen. Sie hatte ihn an der Hand genommen und die schmale Wendeltreppe zu der kleinen Kuppel hinaufgeführt, in der das Spiegelteleskop des Clans untergebracht war. Der Anblick des glänzenden Instruments, mit dem sie noch vor wenigen Monaten gemeinsam Stunde um Stunde den Himmel beobachtet hatten, schien den alten Mann zu freuen. Seine schwielige Hand streichelte das Metall mit sinnlicher Zuneigung.

Damals hatte Maia ihm das Outsider-Schiff gezeigt, das erst kurz davor am Himmel von Stratos erschienen war. Überall wurde darüber geredet, sogar in den streng zensierten Telesendungen. Gewiss hatte Bennett doch von diesem Boten gehört, dem ›Peripatetiker‹, der so weit durch den Weltraum gereist war, um die lange Trennung zwischen Stratos und dem Menschenphylum zu beenden?

Allem Anschein nach wusste er jedoch nichts davon. In seiner Verwirrung hielt er das Schiff erst für einen der blinkenden Navigationssatelliten, die den Kapitänen halfen, sich auf dem Meer zu orientieren. Schließlich jedoch begriff er Maias Erklärung – dass das helle Leuchten tatsächlich ein Raumschiff war.

»Gelee-Kann!«, hatte er plötzlich hervorgestoßen. »Bie-Kann, Gelee-Kann!«

»Bie-Kann? Meinst du vielleicht Beacon? Einen Leuchtturm?« Maia deutete zu dem Turm im Hafen von Port Sanger, dessen Lichtstrahl über die Bucht blitzte. Aber der alte Mann schüttelte betrübt den Kopf. »Former! … Gelee-Kann Former!« Es folgten noch mehrere Sätze in dem verschwommenen, unsinnigen Männerdialekt. Offensichtlich war sein Verstand durcheinander, so dass ihm noch wichtige Gedanken kamen, er sie aber nicht mehr sinnvoll zusammenfügen konnte. Zu Maias Entsetzen begann Bennett sich nun auch noch mit den Händen auf die Schläfen zu schlagen. Er wollte nicht aufhören, und die Tränen strömten ihm übers Gesicht. »Kann mich nicht erinnern … kann nicht!«, stöhnte er. »Former … ist weg … kann nicht …«

Der Anfall dauerte an, und Maia führte den alten Mann die Treppe hinab zu seiner kleinen Hütte. Dort setzte sie sich neben ihn und sah ihm zu, wie er weiter um sich schlug, monoton vor sich hinbrabbelte, er müsse etwas ›schützen‹, und von Drachen am Himmel faselte. Damals konnte sich Maia nur einen einzigen ›Drachen‹ vorstellen, eine bedrohliche Figur, die im Tempel über dem Altar eingeschnitzt war und die sie als Kind in Angst und Schrecken versetzt hatte, obgleich die Matronen das Untier als allegorisch bezeichneten, womit sie meinten, es sei ein Symbol für den Muttergeist des Planeten.

 

Seit dem Vorfall auf dem Dach hatte Maia nie wieder versucht, sich mit Bennett zu unterhalten … und schämte sich deswegen. »Ist da jemand?«, fragte sie jetzt leise und blickte in seine gehetzten Augen. »Irgendjemand?«

Als er keine erkennbare Reaktion zeigte, beugte sie sich zu ihm und küsste ihn auf seine kratzige Wange. Ob sie je eine andere Beziehung zu einem Mann haben würde als diese verworrene Zuneigung? Für die meisten Sommerfrauen war lebenslange Keuschheit ein Teil des Lebenskampfes, bei dem kaum eine siegreich blieb.

Bennett begann wieder zu fegen. Maia hauchte sich in die Hände, um sie zu wärmen, und wollte gerade gehen, als lautes Glockengebimmel die Stille durchbrach. Aus den engen Korridoren stürzten von allen Seiten lärmende Kinder auf den Hof. Von den ganz Kleinen bis zu den älteren Dreiern und Vierern trugen alle farbenfrohen Tartan und hatten die Haare im typischen Clanstil geflochten. Doch jedes Streben nach geschmackvoller Uniformität war von vorneherein zum Scheitern verurteilt, denn anders als normale Kinder verkörperte jedes einzelne Sommerkind ein kunterbuntes Fanal unverwüstlicher Individualität – und jedes war sich seiner Einmaligkeit auf unbehagliche Weise bewusst.

Die Jungen – auf drei Mädchen kam etwa einer – eilten zwar ebenso wie ihre Schwestern zum Unterricht, aber ihr Gang war großspurig, als wollten sie sagen, ich weiß, wohin ich gehe. Viele Söhne Lamatias wurden Offiziere, oft sogar Kapitäne.

Und am Ende trottelige Greise, dachte Maia, während der alte Bennett trotz des ganzen Wirbels teilnahmslos weiterfegte. Das jedenfalls hatten Frauen und Männer gemeinsam … alle wurden alt. In ihrer Weisheit hatte Lysos schon vor langer Zeit verfügt, dass der Rhythmus des Lebens weiterhin ein Ende mit einschließen musste.

Manche Kinder blieben stehen und glotzten Maia an. Ohne eine Miene zu verziehen, starrte sie zurück. Ganz in Leder gekleidet, mit kurzgeschnittenen Haaren, konnte man sie wahrscheinlich leicht mit einem vor der Taverne gestrandeten Nachtschwärmer verwechseln. Schlank wie sie war, hielten die Kinder sie womöglich für einen Mann!

Auf einmal lachten ein paar von ihnen laut auf. Jemanine und Loiz fielen Maia um den Hals. Und der süße kleine Albert, dem sie sämtliche Konstellationen beigebracht hatte, so dass er sie jetzt besser kannte als die verschachtelten Straßen von Port Sanger. Weitere Kinder gesellten sich zu ihnen, drängten sich um Maia und riefen ihren Namen. Ihre Umarmungen bedeuteten Maia mehr als jeder Segen, den die Mütter ihr geben konnten … obgleich sie diesen Kindern vielleicht das nächste Mal als Rivalin begegnen würde.

Das Bimmeln begann erneut. Ein großer Lugar mit weißem Pelz und schlaffer Schnauze torkelte auf den Hof, eine Messingglocke schwingend, deutlich beunruhigt über diese Störung der Routine. Doch die Kinder nahmen die halslose Kreatur nicht zur Kenntnis, sondern bestürmten Maia mit Fragen: über ihren Zopf, ihre bevorstehende Reise und warum sie die Abschiedszeremonie geschwänzt hatte. Maia spürte ein angenehmes Kribbeln bei dem Gedanken, dass sie das geworden waren, was die Mütter ein »schlechtes Beispiel« nannten.

Dann rauschte eine kleinere, jedoch weitaus angsteinflößendere Gestalt als der aufgeregte Lugar auf den Hof, die Savante Mutter Claire. Den Stachelstock in der Hand, blickte sie wütend auf diese nichtsnutzigen Varbälger, die doch hinter ihren Pulten sitzen sollten … Die Kinder flitzten davon, und nur die Allermutigsten wagten es, Maia zum Abschied noch einmal zuzuwinken, ehe sie verschwanden. Der ganz aus der Fassung gebrachte Lugar schwang weiter seine Glocke, bis die Matrone mit einem heftigen Rippenstoß dem Lärmen ein Ende bereitete.

Mutter Claire drehte sich um und musterte Maia prüfend. Noch im Alter verkörperte sie den Inbegriff einer Lamai. Mit ihrer gerunzelten Stirn, den zusammengepressten Lippen und ihrer strengen Schönheit kannte Maia sie seit jeher als Meisterin des verächtlichen Blicks, unter dem jedes Kind sich unwillkürlich zusammenduckte. Doch heute ging der taxierende Blick der Direktorin statt in die erwartete Empörung über Maias kurzgeschnittene Haare erstaunlicherweise in ein Lächeln über!

»Gut.« Claire nickte. »Gleich bei der ersten Gelegenheit machst du dein Erbe geltend. Gut gemacht.«

»Ich …«, stotterte Maia kopfschüttelnd. »Ich … verstehe nicht recht.«

Die alte Verachtung war noch da – eine allumfassende Geringschätzung für alles und jeden, der nicht zu den Lamai gehörte. »Ihr hitzköpfigen Gören seid eine Landplage«, meinte Claire. »Manchmal wünschte ich, die Gründerinnen von Stratos wären radikaler gewesen und hätten es lieber ganz ohne euresgleichen versucht.«

Maia schnappte nach Luft. Claires ketzerische Bemerkung war fast perkinitisch. Wenn Maia etwas gesagt hätte, was die ersten Mütter auch nur im geringsten angriff, hätte das unweigerlich eine Tracht Prügel zur Folge gehabt.

»Aber Lysos war weise«, fuhr die alte Lehrerin seufzend fort. »Ihr Sommerlinge seid unsere wilde Saat. Unser vom Wind verwehtes Erbe. Wenn du meinen Segen möchtest, dann nimm ihn, Varkind. Schlage Wurzeln an irgendeinem Ort und treibe Blüten, so du kannst.«

Maia spürte, wie ihre Nasenflügel vor Wut bebten. »Ihr werft uns hinaus und gebt uns nichts …«

Claire lachte. »Wir geben euch reichlich. Eine praktische Ausbildung und keine Illusionen, dass die Welt euch einen Gefallen schuldet. Wäre es dir lieber, wir würden euch verhätscheln? Euch chancenlose Arbeitsstellen besorgen, wie das manche Clans für ihre Vars machen? Wenn wir euch einen Test für den Öffentlichen Dienst machen ließen, den eine von hundert Bewerberinnen besteht? Oh, du bist klug genug, du hättest eine Chance, Maia, aber was dann? Willst du nach Caria ziehen und dort dein Leben mit langweiliger Büroarbeit vergeuden? Deinen Lohn zusammensparen, bis du dir eine Wohnung kaufen kannst und eines Tages einen Mikroclan aus nur einem Mitglied gründen?

Pah! Du bist vielleicht keine reine Lamai, aber zumindest eine halbe. Suche die richtige Nische für dich und erkämpfe sie dir. Wenn es eine gute Nische ist, dann schreib uns. Vielleicht investiert der Clan in dein Unternehmen.«

Endlich fand Maia die Kraft, das zu sagen, was sie seit Jahren sagen wollte: »Du scheinheiliges Biest …«

»Sehr gut! Das ist der rechte Geist!«, unterbrach Mutter Claire. »Hör weiter auf deine Schwester. Leie weiß, dass es da draußen hart auf hart geht. Jetzt verschwinde. Verschwinde und biete der Welt die Stirn.«

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wandte sie sich ab, führte den friedlichen Lugar an dem einfältig nickenden Greis vorbei und folgte ihren Schutzbefohlenen ins Klassenzimmer, wo offensichtlich eine Abfragestunde stattfand. Der Klang der Stimmen wehte durch die kühle, trockene Luft.

Plötzlich wurde der Hof, der so lange ein großer Teil von Maias Welt gewesen war, eng und fast klaustrophobisch. Die Statuen der alten Lamai schienen kälter und starrer denn je. Danke, Momma Claire, dachte sie und rief sich die Abschiedsworte der alten Frau ins Gedächtnis. Ich werde deinen Rat beherzigen.

Und wenn Leie und ich jemals unseren eigenen Clan gründen, so lautet die erste Regel: Keine Statuen!

 

Maia fand Leie, die am Händlereingang lehnte, einen gestohlenen Apfel mampfte und über die dicken Mauern der Lamatia-Feste hinausspähte, über die kopfsteingepflasterten Straßen, die sich bergab schlängelten, vorbei an den vornehmen Clangebäuden von Port Sanger. In der Ferne nutzte ein Schwarm schimmernder Schwebgleiter die aufsteigenden Luftströmungen, um sich über die Masten zu schwingen, immer auf der Suche nach Abfällen von der Fischereiflotte. Die schwebenden Riesenvögel verliehen dem Morgen festliche Farben, wie die grellen Drachenballons, die die Kinder am Mittwintertag steigen ließen.

Maia betrachtete den fransigen Haarschnitt und die grobe Kleidung ihrer Zwillingsschwester. »Lysos, mach, dass ich nicht auch so aussehe!«

»Dein Gebet ist erhört worden«, antwortete Leie mit einem unbekümmerten Achselzucken. »Du brauchst dir gar keine Hoffnungen zu machen, dass du jemals so gut aussiehst. Fang!«

Maia fing einen zweiten Apfel aus der Luft. Natürlich hatte Leie zwei geklaut, stets um das Wohlergehen ihrer Schwester besorgt. Ihr Plan würde ja nur funktionieren, wenn sie zu zweit waren.

»Sieh mal.« Mit dem Kinn wies Leie auf die Clankapelle mit dem schrägen Dach, in deren Säulengang sich eine Gruppe fünfjähriger Sommermädchen versammelt hatte. Rosin und Kirstin kauten nervös auf den süßen Kuchen herum, sorgsam darauf bedacht, keine Krümel auf ihre geliehenen Festkleider fallen zu lassen. Ihre Zöpfe waren ordentlich mit blauen Bändern gebunden, um im Lauf der Zeremonie von der Clanarchivarin abgeschnitten zu werden. Leie verfocht die zynische Ansicht, dass die pragmatischen Lamai-Mütter das ganze glänzende Haar den Höhlengräbern als Nestmaterial anboten, im Austausch gegen ein paar Liter Zec-Honig.

Die jungen Frauen besaßen alle eine gewisse Familienähnlichkeit, da sie von der gleichen Mutter abstammten wie Maia und Leie. Doch die Halbschwestern waren in dem steten Bewusstsein herangewachsen, was es bedeutete, einmalig zu sein, und sie verstanden es sicher noch ein wenig besser als die Zwillinge.

Sie haben bestimmt noch mehr Angst als ich, dachte Maia mitfühlend.

In den dunklen Nischen der Kapelle erkannte sie etliche ältere Lamai und die Priesterinnen, die vom städtischen Tempel gekommen waren, um die Zeremonie zu leiten. Maia stellte sich vor, wie die Wachskerzen angezündet wurden und mit ihrem Flackerschein die in das steinerne Heiligtum eingeritzten Zeilen aus dem Buch der Gründerinnen erleuchteten, ebenso wie die geheimnisvollen Zeichen des sogenannten »Rätsels von Lysos«, die eine gesamte Kirchenwand bedeckten. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie jede Schnitzerei sehen, die raue Oberfläche der Säulen spüren, beinahe den Weihrauch riechen.

Maia bereute es nicht, dass sie sich entschieden hatte, Leies Beispiel zu folgen und die ganze Scheinheiligkeit endgültig hinter sich zu lassen. Und doch …

»Diese Einfaltspinsel«, fauchte Leie, die für ihre Gleichaltrigen nur ein verächtliches Schnauben übrig hatte. »Willst du zusehen, wie sie ihre Abschlussprüfung machen?«

Nach kurzem Zögern schüttelte Maia den Kopf. Sie dachte an einen Vers des Dichters Wayfarer …

 

Der Sommer bringt die Sonne,

die sich breitet übers Land.

Doch der Winter, der bleibt lange

für die, die das erkannt.

 

»Nein. Machen wir lieber, dass wir wegkommen.«

 

Die Clanmütter der Lamai hatten ihre Finger im Speditionsgeschäft, in der Hochfinanz und auch in der Regierung des Stadt-Staates. Von den siebzehn größeren und neunzig kleineren Matriarchaten in Port Sanger war Lamatia eines der wichtigsten.

Wenn man über die Märkte ging, wäre man nicht darauf gekommen. Zwar waren einige Lamai mit rotbraunen Haaren unterwegs – stolz und gleichförmig drall in ihren feingewebten Faltenröcken, schritten sie vor riesigen, livrierten, mit allerlei Paketen beladenen Lugars einher –, aber zwischen den geschäftigen Verkaufsständen und Lagerhäusern waren Mitglieder der Adelskaste so rar wie Sommervolk oder die äußerst selten auftauchenden Männer.

Es gab eine Menge untersetzter, hellhäutiger Ortyns, vor allem dort, wo Waren be- oder entladen wurden. Bis auf die Narben, die das persönliche Schicksal dem einzelnen zugefügt hatte, unterschieden sich die Ortyns mit ihren breiten Boxernasen nicht voneinander. Sie sprachen kaum, da zwischen ihnen Worte so gut wie unnötig waren. Natürlich kamen aus diesem Clan nur sehr wenige Savanten, aber ihre körperliche Stärke und ihr Talent beim Führen von Lastkarren – vor allem beim Umgang mit den temperamentvollen Tänzelpferden – machte sie in ihrer Nische unübertroffen. »Warum Lugars durchfüttern«, lautete ein geflügeltes Wort aus der Gegend, »wenn man für die Schlepperei auch Ortyns kriegen kann.«

Eine Gruppe der stämmigen Klonfrauen hatte auf der Musikerstraße ein Verkehrschaos verursacht; ihr Wagen legte den gesamten Verkehr lahm, und sechs identische Frauen mühten sich mit einem Flaschenzug ab, der am Dachsparren einer Werkstatt befestigt war. Wie viele Gebäude in diesem Teil der Stadt lehnte sich auch dieses weit über die Straße, wobei jedes Stockwerk, von Kragsteinen gestützt, ein Stück weiter vorragte. In manchen Gegenden stießen die Häuser über den engen Straßen zusammen und bildeten eine Art Torbogen, der den Blick auf den Himmel versperrte.

Eine Menschenmenge hatte sich versammelt, die fasziniert zu der knarrenden Last hinaufblickte – ein Harfenspinett mit kunstvollen Holzintarsien, das vom Pasarg-Clan der Musikhandwerkerinnen für den Export in eine der fernen Städte im Westen hergestellt worden war. Vielleicht würde es zusammen mit Maia und Leie auf der Grimmvogel reisen … falls die Arbeiterinnen es heil auf die Erde bekamen. Eine Gruppe blasser, langfingriger Pasarg stand auf der Straße, und jedes Mal, wenn die Pferde aufstampften und die Last über ihnen ins Schwanken geriet, kreischten sie nervös auf. Wenn das Musikinstrument zerschellte, war möglicherweise der Profit einer ganzen Arbeitssaison verloren.

Für die Schaulustigen war die Aufregung eine willkommene Abwechslung an einem tristen Herbstmorgen. Straßenhändlerinnen strömten herbei und verkauften geröstete Nüsse und Riechstäbchen an die immer dichter werdende Menge. Geldstäbe wechselten in Bündeln die Besitzerin oder wurden als Wechselgeld in Stücke gebrochen.

»Der Winter naht, bereitet euch darauf vor!«, rief eine Ovop-Verkäuferin mit ihrem Korb der bitteren empfängnisverhütenden Kräuter. »Die Männer kühlen endlich wieder ab, aber könnt ihr euch selber trauen, wenn der Glorienfrost hereinbricht?«

Andere Händlerinnen trugen Weidenkäfige mit lebenden Vögeln und stratoinischen Zischechsen; einigen von ihnen hatte man beigebracht, populäre Melodien zu trällern. Eine junge Klonfrau aus dem Clan der Charnoss versuchte verzweifelt, eine Herde schlaksiger Lamas an den hohen Rädern des schaukelnden Wagens vorbei zu dirigieren, geriet dabei aber einer politischen Plakatträgerin in die Quere, die für eine Kandidatin bei den bevorstehenden Wahlen warb.

Leie kaufte ein Zuckertörtchen und mischte sich unter die Menge, die die Luft anhielt und dann laut jubelte, als das kunstvoll geschnitzte Spinett mit knapper Not an einer Hauswand vorbeischaukelte, an der es um ein Haar zerschellt wäre. Maia fand es wesentlich interessanter, den Ortyn-Frauen zuzuschauen, die sich hinten auf dem Wagen gemeinsam abmühten, die blockierte Winde wieder in Gang zu setzen. Die Winde war ein seltenes elektrisches Gerät, das mit einer Batterie betrieben wurde. Maia hatte noch nie gesehen, dass Ortyns so etwas benutzten, und sie vermutete stark, dass sie nicht richtig damit umgehen konnten. Keiner der Clans in Port Sanger war auf die Reparatur solcher Maschinen spezialisiert, deshalb überraschte es auch niemanden, als die Ortyns wortlos und ohne sichtbares Zeichen aufgaben. Eine von ihnen packte den Sicherungshebel, während die anderen sich wie in einem choreographierten Tanz umdrehten und ihre schwieligen Hände ausstreckten, um das Seil zu ergreifen. Kein Wort war notwendig, um ihre Bewegungen aufeinander abzustimmen – jede Ortyn schien genau zu wissen, ob und wann ihre Schwester bereit war. Der Schnappriegel löste sich, die Muskeln spannten sich auf den breiten Rücken. Gleichmäßig glitt die Last nach unten und landete mit trügerischer Leichtigkeit auf der Ladefläche des Wagens. Jubel und ein paar enttäuschte Buh-Rufe ertönten, weitere Geldstäbe wechselten die Besitzerin, um Wetten zu begleichen. Maia und ihre Zwillingsschwester hievten ihre Taschen wieder über die Schulter, und Leie aß ihr Törtchen auf, während Maia zu grübeln begann.

Die Ortyns können untereinander fast Gedanken lesen. Wie sollen Leie und ich das je lernen?

Als sie jünger waren, hatten sie und ihre Schwester oft die Sätze der anderen zu Ende gebracht und gewusst, wenn der anderen etwas weh tat. Aber das war bestenfalls ein dünner Draht zueinander gewesen, nichts, was sich mit dem Band vergleichen ließ, das zwischen den Klonfrauen bestand, deren Mütter, Tanten und Großmütter über mehrere Generationen hinweg identische Gene besaßen und im gleichen Umfeld aufgewachsen waren. Außerdem hatte es in letzter Zeit den Anschein, als entwickelten sich die Zwillinge auseinander, statt näher zusammenzuwachsen. Maia hatte das Gefühl, als hätte ihre Schwester mehr von der harten praktischen Veranlagung mitbekommen, die man brauchte, um in dieser Welt zu bestehen.

»Ortyns und Jorusses und Kroebers und die verdammten Sloskies …«, brummte Leie vor sich hin. »Ich habe die Nase gestrichen voll von dem ganzen Blödsinn! Ich würde einen Drachen auf den Mund küssen, bis ich kotze, wenn ich nur diese ganzen gleichen Gesichter nie wiedersehen müsste.«

Auch Maia verspürte den Drang weiterzuziehen. Aber wie lernte man in einer fremden Stadt eigentlich jemanden kennen? Hier bekam jeder von Geburt an etwas über die verschiedenen Kasten beigebracht. Beispielsweise über die schlanken, kraushaarigen Sheldons, die dunkelhäutige Frauen, die einen ganzen Kopf größer waren als die stämmigen Ortyns. Ihre Nische war das Fallenstellen in den Tundrasümpfen, wo sie allerlei Pelztiere fingen, aber wenn Sheldons ein Alter von etwa Mitte Dreißig erreichten, trugen sie auch oft die Abzeichen des Sicherheitscorps von Port Sanger und übernahmen die Verteidigung der Stadt.

Die langfingrigen Poeskies waren ebenfalls wie geschaffen für ihre Aufgabe – mit sicherem Griff entfernten sie die zarten Farbdrüsen der Sternenschnecken, die sie zuvor geschickt aus ihrem Haus gepult hatten. Sie waren im Farbengeschäft so erfolgreich, dass sich an der Küste des Parthenia-Meers bereits zahlreiche Tochterunternehmen gebildet hatten, überall dort, wo die Fischer die trichterförmigen Schalentiere fingen.

Die Groeskies, nahe Verwandte der Poeskies, nutzten ihre Fingerfertigkeit als erstklassige Mechanikerinnen. Sie waren ein relativ neues Matriarchat, ein Ableger des Sommerbestands, der erst vor wenigen Generationen Wurzeln geschlagen hatte. Obgleich der Clan nur vierzig Frauen umfasste, hatten sich die rundlichen, flinken ›Grossies‹ bereits einigen Respekt verschafft. Alle Clanmitglieder waren von einer einzigen Halb-Poeskie-Sommerfrau geklont, die sich mit Glück und Begabung ihre Nische erkämpft und dadurch eine Nachkommenschaft gegründet hatte. Dies war der Traum aller Varkinder – sich hochzuarbeiten, erfolgreich zu sein und eine neue Gattung zu etablieren. Doch die Chancen dafür standen eins zu tausend.

Als die Zwillinge an einer Groeskie-Werkstatt vorbeikamen, beobachteten sie, wie Kugellager von den kräftigen, fröhlichen Rotschöpfen in die Achsen eingepasst wurden. Jede dieser Frauen war Erbin jener klugen Vorfahrin, die sich in Port Sangers rigide gestaffelter Gesellschaft einen Platz ergattert hatte. Leie schubste Maia am Ellbogen. Sie grinste. »Denk dran, wir haben auch unsere Vorteile.«

Maia nickte. »Stimmt.« Aber im Stillen fügte sie hinzu: »Hoffentlich.«

Jenseits des Marktbezirks lag ein Laden, der importierte Süßigkeiten aus dem fernen Vorthos verkaufte; auf dem Ladenschild prangte ein sich aufbäumendes Einhorn. Sie wussten, Schokolade war ein Laster, vor dem sie ihre Tochter-Erbinnen warnen mussten, falls sie jemals welche bekommen sollten. Die Ladeninhaberin, eine rehäugige Mizora, stand hoffnungsvoll hinter dem Ladentisch, obgleich ihr klar sein musste, dass die beiden Mädchen keine Käuferinnen waren. Die Mizora waren im Niedergang begriffen und mussten sich damit zufriedengeben, ihre einst reichen Besitztümer zu verkaufen, um die Seeleute nach Art ihrer Ahnmütter bewirten zu können. Noch immer frisierten sie ihr Haar in dem Stil, der sich für einen großen Clan gehörte, obgleich die meisten von ihnen jetzt kleine Kaufleute waren, weniger erfolgreich als die aufsteigenden Usisi oder Oeshi. Traurig sah die Mizora-Verkäuferin zu, wie Maia und Leie sich abwandten und weiter die mit kleineren Clanfesten gesäumte Straße hinunterschlenderten.

Viele Gebäude trugen Symbole und Wahrzeichen in Form ausgestorbener Tierarten wie Feuerdrachen und Dreihörner – stratoinische Kreaturen, die es nicht geschafft hatten, mit den von der Erde stammenden Lebewesen zurechtzukommen. Lysos und die Gründermütter hatten zwar Wert auf die Erhaltung der eingeborenen Lebensformen gelegt, aber selbst jetzt, Jahrhunderte später, verbreiteten die Telebildschirme gelegentlich noch wehmütige Zeremonien aus dem Großen Tempel im fernen Caria, bei denen eine weitere Gattung auf die Liste derer gesetzt wurde, um die man am Farsun-Tag trauerte.

Maia fragte sich, ob so viele Clans eingeborene Tiere als Symbole wählten, weil sie Schuldgefühle hatten. Oder vielleicht wollten sie eher damit sagen: »Seht her, wir machen weiter. Wir tragen die Embleme der Vergangenheit, und doch blühen und gedeihen wir.«

In ein paar Generationen waren die Mizoras vielleicht ebenso selten geworden wie Dreihörner.

Lysos hat nie versprochen, dass sich nichts mehr verändern wird, sondern nur, das Tempo auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.

Als sie um eine Ecke bogen, wären die Zwillinge um ein Haar mit einer großen Sheldon zusammengestoßen, die aus einem Oberschichtviertel den Hügel herabeilte. Ihre Wachuniform war feucht, der Kragen stand offen. »Entschuldigt«, brummte die dunkelhäutige Polizistin und wich den Schwestern aus. Doch ein paar Schritte weiter blieb sie plötzlich stehen und musterte die beiden.

»Da seid ihr also. Fast hätte ich euch nicht erkannt!«

»Schönen Morgen, Hauptfrau Jounine«, begrüßte Leie sie mit einem spöttischen Salut. »Du hast uns gesucht?«

Jounines scharfe, für Sheldons so typische Gesichtszüge waren vom jahrelangen Leben in der Stadt weicher geworden. Sie wischte sich mit einen Seidentaschentuch die Stirn. »Ich war spät dran und habe euch nicht mehr in der Lamatia-Clanfeste erwischt. Wisst ihr, dass ihr die Abschiedszeremonie verpasst habt? Natürlich wisst ihr das. Habt ihr es absichtlich gemacht?«

Maia und Leie tauschten ein Lächeln. Polizeihauptfrau Jounine entging nichts.

»Na, egal!« Die Sheldon-Frau machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich wollte nur fragen, ob ihr euch überlegt habt …«

»Ob wir uns beim Wachdienst einschreiben wollen?«, unterbrach Leie. »Du musst wohl …«

»Wir fühlen uns sehr geschmeichelt von deinem Angebot, Hauptfrau«, mischte sich Maia ein. »Aber wir haben Karten …«

»Da draußen werdet ihr nichts finden« – Jounine gestikulierte in Richtung Meer –, »was sicherer und zuverlässiger ist …«

»Und langweiliger …«, brummte Leie.

»… als ein Vertrag mit eurer Geburtsstadt. Eine kluge Entscheidung, das könnt ihr mir glauben!«

Maia kannte die Argumente. Regelmäßige Mahlzeiten und allmählicher Aufstieg, mit der Hoffnung, genug auf die Seite zu legen, dass man sich irgendwann ein Kind leisten konnte. Ein Winterkind – mit dem Lohn einer Soldatin? Mutter Claires zynische Bemerkung über den ›Mikroclan aus einem einzigen Mitglied‹ traf den Nagel auf den Kopf. Manche klugen Entscheidungen waren wenig mehr als gemütlich ausgestattete Sackgassen.

»Tausend Dank für das Angebot«, meine Leie, aber der Sarkasmus in ihrer Stimme verfehlte sein Ziel. »Wenn wir je so verzweifelt sind, dass wir in dieses kalte …«

»Ja, danke«, unterbrach Maia und nahm ihre Schwester beim Arm. »Lysos sei mit dir, Hauptfrau.«

»Nun … dann haltet euch wenigstens fern von den Pallas-Inseln, ihr beiden! Man hört von Freibeutern, die …«

Sobald sie um die nächste Ecke gebogen waren, ließen Maia und Leie ihre Taschen fallen und brachen in schallendes Gelächter aus. Die Sheldons waren in den meisten Aspekten ein beeindruckender Clan, aber sie nahmen alles so ernst! Maia war sicher, sie würde die Sheldons vermissen.

»Aber es ist schon seltsam«, meinte sie, als sie ihren Weg fortsetzten, »Jounine hat wirklich noch besorgter ausgesehen als sonst.«

»Hmm. Es ist nicht unser Problem, wenn sie die Rekrutierquote nicht erfüllt. Soll sie doch Lugars kaufen.«

»Du weißt doch, dass Lugars nicht gegen Menschen kämpfen können.«

»Dann soll sie Sommervolk anheuern, unten bei den Docks. Da hängt immer eine Menge Varpack herum. Außerdem ist es sowieso eine blöde Idee, den Wachdienst zu vergrößern. Nichts als ein Haufen Schmarotzer, genau wie die Priesterinnen.«

»Hmm«, machte Maia nur. »Vermutlich hast du recht.« Aber der Ausdruck in den Augen der Soldatin war der gleiche gewesen wie der in denen der Mizora-Süßigkeitenverkäuferin. Enttäuschung hatte sie in ihm gelesen. Eine Spur Verwirrung.

Und eine Menge Angst.

 

Vor einem Monat noch hatten Posten das Getta-Tor bewacht, das Port Sanger vom Hafen trennte.