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Über das Buch

Nach dem Tod ihrer Mutter flieht die junge Claire vor ihrem zudringlichen Onkel aus der Stadt. Cliff, ein fröhlicher Lebenskünstler, hilft ihr bei einem Wanderzirkus unterzukommen. Dort legt sie sich mit dem rücksichtslosen Dompteur an, der seinen Bären durch Misshandlungen in den »wildesten Grizzly der Welt« verwandelt. Claire kann sich auf rätselhafte Weise mit dem Tier verständigen, doch als der Bär in die dunklen Wälder der Sierras entkommt und alle seinen Tod wollen, scheint sie machtlos. Dennoch zieht sie allein in die Wildnis, um den Grizzly vor den aufgebrachten Jägern zu retten.

Dramatik und Spannung vom Meister des romantischen Abenteuerromans.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

1

An diesem Morgen hätte Claire die ganze Welt umarmen können. Sie hatte die Arbeitsstelle bekommen, trotz der Wirtschaftskrise, die Amerika seit sieben Monaten erschütterte, und trotz der geringen Erfahrung, die sie nach ihrem erfolgreichen Abschluss an der Highschool vorweisen konnte. Schon am nächsten Montag würde sie als Sekretärin in einem großen Verlagshaus anfangen.

Es hatte wirklich alles gepasst. Ihr gutes Zeugnis hatte den Personalchef dazu bewogen, ihre Bewerbung näher anzusehen, die Bescheinigung der Lehrerin, bei der sie das Maschinenschreiben gelernt hatte, war der Grund dafür gewesen, sie ins Verlagshaus einzuladen, und die Probeseiten, die sie in persönlicher Rekordzeit geschafft hatte, waren wohl ausschlaggebend dafür gewesen, dass man sie genommen hatte. Okay, gestand sie sich ein, ihr Aussehen hatte bei der Bewerbung sicher nicht geschadet. Sie hatte sich an diesem Morgen besonders nett zurechtgemacht, gerade so viel Make-up, dass ihre feinen Gesichtszüge und die ausdrucksvollen dunklen Augen besonders gut zur Geltung kamen, nur etwas Lippenstift, damit ihre vollen Lippen nicht zu aufdringlich betont wurden, und die dunklen Haare, die sie entgegen der angesagten Mode halblang trug, mit dem Lockeneisen gewellt. Sie hatte einen dunklen Rock und eine weiße Bluse an, bloß nicht zu sehr auffallen, und trug den glockenförmigen Hut, den sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte.

Mit strahlendem Gesicht verließ sie das Verlagshaus. Sie blieb vor den breiten Türen stehen und stieß einen jauchzenden, alles andere als damenhaften Jubellaut aus, der den uniformierten Türsteher so erschreckte, dass er ängstlich zusammenzuckte. Einige Passanten blickten neugierig zu ihr herüber, zwei junge Mädchen, die eigentlich in der Schule sein sollten, kicherten ungeniert. Ein vornehmer Herr, der gerade aus einem Taxi stieg, schmunzelte still in sich hinein, als er den Fahrer mit einigen Dollarscheinen bezahlte.

Claire beachtete sie nicht. Sie war bereits zu dem Drugstore zwei Häuser weiter unterwegs und betrat die Telefonzelle neben dem Eingang. Der junge Mann hinter dem Tresen warf ihr einen anerkennenden Blick zu, schenkte einem Geschäftsmann, der offensichtlich wenig Zeit hatte, aber sofort Kaffee nach, als er dessen ungeduldige Miene bemerkte. Claire wählte die Nummer ihrer Mutter. Die hatte sich an diesem Morgen nicht besonders wohlgefühlt und war zu Hause geblieben. Der Inhaber des Bekleidungshauses, für das sie arbeitete, war ein großzügiger Mann.

Seltsam, dachte Claire, als niemand den Hörer abnahm. Sie ließ es zehnmal klingeln, falls ihre Mutter sich hingelegt hatte und etwas Zeit brauchte, um aus dem Bett zu kommen, und legte schließlich enttäuscht auf. Vielleicht war sie eingeschlafen. Oder sie war doch noch aufgestanden und in die Firma gegangen. Sie war Buchhalterin, ein verantwortungsvoller Posten, und ließ ihren Chef ungern im Stich. Er war ein fairer Arbeitgeber, der ihr fast so viel Lohn wie einem Mann in vergleichbarer Stellung bezahlte, und sie wollte ihn sicher nicht enttäuschen. Als Buchhalterin wusste sie am besten, dass es »J. J. Bannister Clothing« ähnlich schlecht wie den meisten anderen Firmen erging und er eigentlich längst gezwungen gewesen wäre, den Lohn seiner Angestellten herabzusetzen.

Enttäuscht verließ Claire den Drugstore. Sie verzichtete sogar darauf, sich ein Erdbeereis zu holen, wie sie es sich selbst versprochen hatte, falls sie den Posten tatsächlich bekam. Obwohl es sicher einen triftigen Grund dafür gab, dass ihre Mutter nicht ans Telefon gegangen war, war sie nervös, spürte sie eine Bedrohung, die sie wie unsichtbarer Nebel einhüllte. Selbst die Sonne hatte sich hinter einigen Wolken verkrochen, ein schlechtes Zeichen, wenn man den Legenden der Indianer glauben durfte. Sie stammte selbst von Indianern ab, ihre Großmutter väterlicherseits, die sie allerdings nie kennengelernt hatte, war angeblich eine Ojibway gewesen. Der Stamm hatte früher im Gebiet der großen Seen gelebt. Das wusste sie von einem Mitschüler, der ebenfalls indianische Vorfahren gehabt und erkannt hatte, dass indianisches Blut in ihren Adern floss. Die weißen Schüler hatten nichts gemerkt, ganz im Gegenteil, die meisten Jungen waren wegen ihrer dunklen Haare hinter ihr her gewesen.

Sie wartete auf eine Lücke im Verkehr und überquerte die Straße. Auf der State Street, der breiten Einkaufsstraße von Chicago, drängten sich die Automobile. Ungeduldig hupend bahnte sich der Fahrer eines Lieferwagens den Weg in eine Einfahrt. Unter ständigem Klingeln kämpften sich die roten Straßenbahnen in beide Richtungen, nur übertönt vom Rattern der Hochbahn, die an der Lake Street die Straße kreuzte. Claire nahm die Bahn nach Norden, machte es sich auf einer der hölzernen Bänke bequem und blickte durch das schmutzige Fenster auf den Verkehr hinab. Die Hochhäuser, die zu beiden Seiten der State Street in den Himmel wuchsen, warfen dunkle Schatten und ließen, selbst wenn die Sonne am Himmel stand, nur wenig Licht auf die Straße fallen. In den Schaufenstern von Marshall Field’s, dem riesigen Kaufhaus an der Kreuzung Wabash Avenue, brannten sogar tagsüber die Lampen.

Auf der Milwaukee Avenue wurde es heller. Die Hochhäuser des Loop, wie man die Innenstadt in dem Ring aus Hochbahnschienen nannte, blieben zurück, und auch der Verkehr nahm ab. Schaukelnd ratterte der Straßenbahnwagen über die breite Straße nach Nordwesten. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolken zurück, und auch der bedrohliche Nebel, der sich um ihren Körper gelegt zu haben schien, löste sich langsam auf. Mach dir keine Sorgen, beruhigte sie sich, es gibt bestimmt einen harmlosen Grund dafür, dass sie nicht ans Telefon gegangen ist. Und die Übelkeit und die Schmerzen, die ihre Mutter am frühen Morgen verspürt hatte, waren sicher wieder verschwunden.

Claire und ihre Mutter wohnten allein. Ihr Vater hatte sich vor einigen Jahren scheiden lassen und war an die Westküste gezogen, so vermutete sie jedenfalls, weil er stets von Kalifornien geschwärmt und sich dort angeblich in eine jüngere Frau verliebt hatte. Sein Gesicht war wie versteinert gewesen, als er in seinen Buick gestiegen und davongefahren war, und sie hatte sich oft gefragt, ob es vielleicht doch einen anderen Grund für die Trennung gegeben hatte. Ihr Vater war nicht der Typ, der sich mit einer jüngeren Frau einließ, sie hätte ihm nicht einmal zugetraut, ein Verhältnis mit einer Gleichaltrigen anzufangen, dazu war er viel zu rechtschaffen und ehrlich. Ihre Mutter dachte wohl ähnlich, denn sie hatte nie ein böses Wort über ihn verloren, und auf ihrem Nachttisch stand noch immer ihr Hochzeitsfoto. Auf monatliche Zahlungen hatte sie freiwillig verzichtet. Claire war bereits auf der Highschool gewesen, und ihre Mutter gehörte zu den wenigen Frauen in der Nachbarschaft, die in einer gehobenen Stellung arbeiteten und so viel Geld verdienten, dass sie damit eine Familie ernähren konnten. Wahrscheinlich hätte es sogar für die College-Ausbildung ihrer Tochter gereicht, aber die Zeiten waren schlecht, und Claire hatte so schnell wie möglich zum gemeinsamen Lebensunterhalt beitragen wollen.

An der North Avenue stieg sie aus. Wie jedes Mal, wenn sie nach Hause ging, warf sie einen Blick auf die hinter ihr liegende Skyline, bevor sie die Straße überquerte; ein eindrucksvoller Anblick, der sie stets aufs Neue faszinierte. Wie gewaltige Kathedralen ragten Wolkenkratzer wie das Home Insurance Building, das Temple Building und das neue Civic Opera House aus der Innenstadt empor, und noch in diesem Jahr sollte ein weiteres Hochhaus dazukommen. Selbst der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise schienen die Städtebauer nicht aufhalten zu können. Jenseits des Loop leuchtete das Wasser des riesigen Lake Michigan in der Sonne.

Sie wohnten im ersten Stock eines zweistöckigen Gebäudes in einer geräumigen Mietwohnung, die ihr Vater gerne gekauft hätte, als ihre Eltern noch verheiratet gewesen waren. Der Verdienst ihrer Mutter reichte jedoch nicht aus, um eine so teure und nahe an der Stadt gelegene Wohnung zu finanzieren. Es gab drei Zimmer, eine einigermaßen zeitgemäß eingerichtete Küche mit einem modernen Kühlschrank, den ihre Mutter vor einem Jahr zu Weihnachten gekauft hatte, und ein Bad mit fließendem Wasser, das man in einem Boiler erhitzen konnte. Zwei Häuser weiter lag eine deutsche Bäckerei, aus der besonders am Morgen ein so angenehmer Duft strömte, dass Claire sofort Hunger bekam.

Doch als sie diesmal um die Ecke bog, fielen ihr zuerst die beiden dunkelblauen Automobile auf. Nur weil die Beifahrertür des einen Wagens offen stand, sah sie das Wort »Police« auf der Karosserie. Daneben parkten ein Krankenwagen, ein schwarzer Lieferwagen und ein ziviles Fahrzeug. Zwei uniformierte Polizisten standen vor der Tür und hielten einige Schaulustige zurück. Sie erkannte die Bäckersfrau und einen Mann aus der Nachbarschaft.

»Mom!«, flüsterte sie entsetzt. »Um Gottes willen … Mom!«

Sie ging zögernd auf das Haus zu, ahnte wohl, dass sie mit jedem Schritt einer Katastrophe näher kam, und rannte erst die letzten paar Schritte, als sie die Ungewissheit nicht länger ertragen konnte. »Mom!«, rief sie verzweifelt.

Einer der beiden Polizisten hielt sie auf. »Sie können hier nicht rein, Miss! Seien Sie vernünftig! Bleiben Sie zurück! Wir dürfen niemanden durchlassen!«

»Lassen Sie mich los!« Sie schlug in ihrer Panik wild um sich. »Sie sollen mich loslassen, verdammt!« Sie befreite sich aus der Umklammerung des Officers und rannte zum Eingang. Sie drückte die Tür nach innen und stürmte die Treppen hinauf, wo sie auf halbem Weg mit ihrem Hausarzt zusammenstieß. »Was ist passiert, Doc?«, rief sie entsetzt, die Augen schon voller Tränen. »Sagen Sie mir, was passiert ist! Ist Mom … Sie ist doch nicht … Ist sie etwa …«

Der Arzt senkte bedauernd den Kopf. »Tut mir leid, Miss Armstrong. Sie hatte einen Herzanfall und war schon tot, als Ihr Onkel mich anrief. Ich konnte nichts mehr für sie tun. Sie litt schon seit einigen Monaten unter akuter Herzschwäche.«

»Aber … aber heute Morgen ging es ihr noch gut! Ihr … ihr war nur ein wenig übel, nichts, worüber man sich Sorgen zu machen brauchte.« Sie packte den Arzt an den Jackenaufschlägen und schüttelte ihn kräftig. »Wie konnte das passieren, Doc? Wie konnte das nur passieren? Sie war doch erst … sie war erst fünfundvierzig! Mit fünfundvierzig stirbt man nicht. Warum nur? Warum?«

Der Arzt ließ sie gewähren, erlebte er doch nicht zum ersten Mal, dass die Angehörige eines Verstorbenen die Nerven verlor. Er stellte seine Tasche auf die Treppe und griff nach ihren Handgelenken. »Ich weiß es nicht, Miss Armstrong. Sie hatte eben ein schwaches Herz, da kann jeden Tag etwas passieren. Wahrscheinlich Vererbung.« Er sprach so ruhig und gefasst, als würde er über das Wetter reden. »Vielleicht tröstet es sie, dass sie sehr schnell gestorben sein muss. Der Herzanfall muss so plötzlich gekommen sein, dass sie nicht einmal nach dem Telefon greifen konnte, obwohl es direkt neben ihr auf der Anrichte stand.«

Claire hörte ihn kaum. Von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt, sank sie zu Boden. Sie weinte bitterlich, schlug wieder mit den Händen um sich, als der Arzt ihr eine Beruhigungsspritze geben wollte, und kroch wie eine Verletzte auf allen vieren die Treppe hinauf. Sie hielt erst inne, als die Männer vom Bestattungsunternehmen den Sarg mit ihrer Mutter an ihr vorbeitrugen. Ohne Tränen, aber blass vor Entsetzen verfolgte sie, wie die Männer den Sarg die Treppe hinabwuchteten und nach draußen brachten. Der Polizist, der ihr den Weg versperrt hatte, hielt ihnen die Tür auf und schloss sie wieder.

»Dann können wir einen Selbstmord ausschließen«, hörte sie eine Stimme aus ihrer Wohnung kommen. Durch die Tränenschleier vor ihren Augen erkannte sie zwei Polizisten in der offenen Tür. »Vielen Dank, Mister Armstrong. Und noch einmal unser herzlichstes Beileid. Tut uns wirklich leid.«

Die beiden Polizisten kamen ihr entgegen, stutzten bei ihrem Anblick kurz und gingen langsam weiter, als der Arzt ihnen aufmunternd zunickte. Sie zog sich am Geländer hoch und blieb schwankend stehen. »Es geht schon wieder«, beruhigte sie den Arzt, als er sie stützen wollte. »Vielen Dank für alles.«

»Sind Sie sicher, Miss Armstrong?« Er kramte eine Schachtel mit Tabletten aus seiner Tasche und reichte sie ihr. »Falls Sie heute Abend nicht einschlafen können.«

»Danke, Doc.«

Ihr Onkel Jimmy erschien im Treppenhaus und kam ihr rasch entgegen, als er sie entdeckte. »Claire! Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.« Er schloss sie in die Arme und strich ihr beruhigend über die Haare. »Tut mir leid, was passiert ist, Schätzchen! Tut mir so leid!« Er schob eine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf sachte an. »Du bist doch okay? Bist du wirklich okay?«

»Es geht schon wieder, Onkel Jimmy.« Die Umarmungen und Liebkosungen ihres Onkels waren ihr immer etwas übertrieben vorgekommen, schon als sie ein kleines Mädchen gewesen war, und sie war auch diesmal froh, als sie sich endlich von ihm lösen konnte. »Du brauchst mich nicht mehr zu halten.«

James Armstrong, der Bruder ihres Vaters, wohnte nur ein paar Häuserblocks von ihnen entfernt und war zu einem regelmäßigen Besucher geworden, nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten. Eine Weile hatte er ihrer Mutter sogar den Hof gemacht und ihr angeboten, als Buchhalterin in seiner Steuerkanzlei zu arbeiten, falls sie ihren Beruf nicht aufgeben wollte. Beides war für Helen Armstrong nicht infrage gekommen. Wie das Foto auf ihrem Nachttisch bewies, fühlte sie sich noch immer zu ihrem Mann hingezogen und dachte nicht daran, sich auf eine neue Beziehung einzulassen. Noch dazu war Jimmy Armstrong das genaue Gegenteil ihres Gatten, ein übergewichtiger Mann mit geröteten Wangen, der jedes Mal ins Schwitzen geriet, wenn er die Treppen zu ihrer Wohnung emporstieg. Geradezu abstoßend wirkte sein spöttisches, beinahe joviales Grinsen auf Claire, sein vorgetäuschtes Mitgefühl, wenn ihre Mutter über ihre Sorgen gesprochen hatte, und dass er stets mit der Zunge über seine Unterlippe fuhr, wenn er in ihrer Nähe war.

Ob die Gerüchte stimmten, dass er Geschäfte mit Al Capone und seiner South Side Gang machte, vielleicht sogar einer ihrer Buchhalter war, wusste sie nicht, wollte sie auch gar nicht wissen. Fähig dazu, mit solchen Gangstern schmutzige Geschäfte zu machen, war er bestimmt. Und woher sollte er sonst das Geld für seinen cremefarbenen Lincoln haben? Dass er sein Geld nicht auf anständige Weise verdienen konnte, stand für Claire außer Frage.

Nur widerwillig ließ sie sich von ihm in die Wohnung führen. Im Flur schüttelte sie seinen Arm ab und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Sie trank es in einem Zug, wischte sich den Mund mit dem Handrücken trocken und stellte es in den Spülstein. Ohne ihren Onkel anzublicken, ging sie ins Wohnzimmer. Sie zog den Mantel aus und nahm den Hut vom Kopf, legte beides auf die Couch und ließ sich in einem der Sessel nieder. Erneut stiegen Tränen in ihre Augen, und sie fühlte, wie sich ihr ganzer Körper verkrampfte.

»Mach dir keine Sorgen, mein Schätzchen.« So redete er sie seit vielen Jahren an, und obwohl sie ihm schon mehrfach klargemacht hatte, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, tat er es immer wieder. »Ich kümmere mich um alles. Der Sarg, die Blumen, die Einladungen … lass das alles meine Sorge sein. Ich nehme an, die Beerdigung findet am nächsten Dienstag statt. Ich gebe dir rechtzeitig Bescheid. Das Einzige, um was du dich kümmern müsstest, sind die finanziellen Angelegenheiten. Ihr Konto auflösen, den Sparvertrag, von dem sie mir mal erzählt hat, beenden … du bist die einzige Blutsverwandte. Es sei denn, du gibst mir eine Vollmacht. Aber darüber können wir immer noch reden, wenn du dich ein wenig erholt hast. Geht es dir schon besser?«

Sein scheinbares Mitgefühl machte sie ganz krank. »Viel besser, Onkel Jimmy.«

»Nach der Beerdigung wird es sowieso das Beste sein, du ziehst zu mir. Du könntest in meiner Kanzlei mitarbeiten und mir den Haushalt führen, wenn es dir nichts ausmacht. Wir beide kommen sicher gut miteinander aus.«

Das glaube ich kaum, dachte sie, sagte aber nichts.

»Claire? Schätzchen?«

Sie behielt sich nur mühsam unter Kontrolle. »Lass mich jetzt bitte allein, Onkel Jimmy! Ich muss das alles erst einmal verdauen. Sei mir nicht böse, aber … ich melde mich, wenn ich nicht weiterweiß, okay? Ich melde mich.«

»Natürlich«, erwiderte er nach einigem Zögern. »Ist doch klar, dass du dich erst einmal erholen willst. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst, wenn du ein Problem hast oder es dir an irgendetwas fehlt.« Er griff nach seinem Hut. »Und vergiss nicht, die Konten aufzulösen, hörst du? Die kosten nur unnötiges Geld, wenn du sie bestehen lässt. Ich kenne mich in Finanzdingen aus, das weißt du ja. Sobald du das Geld hast, richte ich dir ein eigenes Konto ein, das dir ordentliche Zinsen bringt.« Er ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Wir schaffen das, Claire … Schätzchen! Zusammen schaffen wir das!«

Sie atmete erleichtert auf, als er endlich verschwunden war, und blieb mit geschlossenen Augen sitzen. In ihrem Kopf herrschte dumpfe Leere. Die letzten Worte ihres Onkels waren wie aus weiter Ferne gekommen und hatten sie kaum noch erreicht. Der Schmerz, der sie erfüllte und immer schwerer auf ihrer Seele lastete, ließ keinen Platz mehr für ihn. Ihre Gedanken gehörten nur noch ihrer Mutter, ihrem hoffnungsvollen Lächeln, wenn sie nach der Arbeit bei einem Kaffee beisammensaßen und über ihre Zukunft sprachen, ihrem entschlossenen Blick, wenn sie ein Problem beschäftigte, ihren verweinten Augen, wenn sie sehr niedergeschlagen war und sich unbeobachtet glaubte. Immer stärker wurde ihr bewusst, wie schmerzvoll und endgültig der plötzliche Abschied von ihrer Mutter war, welchen Einschnitt ihr völlig unerwarteter Tod in ihrem Leben bedeutete. Noch vor wenigen Stunden hatte der Himmel voller Geigen für sie gehangen, und jetzt tat sich ein dunkler Abgrund vor ihr auf.

Doch als sie die Augen schloss und sich ihrem Schmerz hingeben wollte, sah sie sich plötzlich dem lächelnden Gesicht ihrer Mutter gegenüber, und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »Ich lasse mich nicht unterkriegen, Mom! Schon um deinetwillen werde ich niemals aufgeben. Das verspreche ich dir!«

2

Die Angst, ihrem Onkel nach der Beerdigung ihrer Mutter hilflos ausgeliefert zu sein, begleitete sie durch das ganze Wochenende. Allein die Vorstellung, mit ihm eine Wohnung und vielleicht sogar ein Bett teilen zu müssen, bereitete ihr Übelkeit. Eher wäre sie mit dem pickligen Jungen zusammengezogen, der ihr in der Highschool nachgestellt hatte, und das wollte was heißen. Sie würde sich nicht einmal mehr von ihrem Onkel umarmen lassen, auch nicht bei der Beerdigung, und wenn er sie noch einmal »Schätzchen« nannte, würde sie ihn davonjagen. Sie mochte ihren Onkel nicht, sie hatte ihn nie gemocht.

Bisher war er mühsam zu ertragen gewesen. Sie war selten mit ihm allein gewesen, und in der Gegenwart ihrer Mutter hatte er sich mehr darum bemüht, Helen für sich zu gewinnen. In Wirklichkeit, so war ihr nach seinem kurzen Auftritt in ihrer Wohnung klar, war er an ihnen beiden interessiert gewesen. Ihre Mutter hatte das wohl erkannt und stets darauf geachtet, kein zu enges Verhältnis zu ihm aufkommen zu lassen und vor allem nicht abhängig von ihm zu werden. Claire wollte es ähnlich halten. Für kein Geld der Welt würde sie ihre neue Stellung und ihre Wohnung aufgeben und zu ihm ziehen.

Verdächtig war ihr auch sein mehrfaches Drängen nach einer Auflösung ihrer Konten vorgekommen. Es kam ihr beinahe so vor, als wollte er die Gelegenheit nützen, um nicht nur an sie, sondern auch an ihr Erbe zu kommen. Sie hatte ihm glücklicherweise nicht verraten, dass auf dem Konto ihrer Mutter weniger als hundert Dollar lagen und diese ihr Gespartes, etwas über fünfhundert Dollar, in einem Umschlag unter ihrer Matratze aufbewahrt hatte, seitdem eine Filiale ihrer Bank von Gangstern überfallen worden war, angeblich von Al Capone und seinen Männern.

Für den Fall, dass ihr Onkel nach verstecktem Geld suchen würde, hatte Claire den Umschlag in ihre Handtasche gepackt und diese auch an ihrem neuen Arbeitsplatz nicht mehr aus den Augen gelassen. Nur für einen Augenblick zog sie in Betracht, ihr Onkel könnte nicht der verachtungswürdige Betrüger und Verführer sein, für den sie ihn hielt, und sie würde sich alles nur einbilden. Immerhin besaß er genug Geld, um sich ein großes Automobil leisten zu können, und ein paar Hundert Dollar würden sich auf seinem Konto gar nicht bemerkbar machen. Aber seine Reaktion nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter sprach eindeutig dafür, und dass sein Angebot, sie in seine Wohnung zu holen, nicht der Fürsorge eines früheren Verwandten entsprang, lag auf der Hand. »Sei vorsichtig!«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Onkel Jimmy hat noch nie etwas aus reiner Menschenliebe getan. Trau ihm nicht über den Weg!«

Dennoch war sie überrascht, Onkel Jimmy in ihrer Wohnung anzutreffen, als sie am Montagabend von der Arbeit nach Hause kam. Er kniete vor der Anrichte im Wohnzimmer und war gerade dabei, die Papiere in einer Schublade durchzusehen, als sie die Tür öffnete. Dass sie ihn dabei überrascht hatte, war ihm nicht im Geringsten peinlich. Er blickte lächelnd zu ihr empor.

»Da bist du ja endlich, Schätzchen«, begrüßte er sie in dem Ton, den sie so verabscheute. »Wo warst du denn so lange? Ich dachte, du trittst deine neue Stelle gar nicht erst an.« Er legte die Papiere zurück, schloss die Schublade und stemmte sich vom Boden hoch. »Du hast doch gleich gekündigt, oder?«

»Aber warum denn, Onkel Jimmy?« Es fiel ihr schwer, nicht so zu reagieren, wie sie es gern getan hätte, aber sie wollte ihn nicht provozieren. »Ich hab doch gerade erst in dem Verlagshaus angefangen. Du weißt doch, wie schlecht es den meisten Firmen geht. Ich kann von Glück sagen, so einen interessanten Posten bekommen zu haben. Ich will die Arbeit nicht kündigen.«

Er wollte ihre Oberarme ergreifen und fasste ins Leere. Sie war ihm rechtzeitig ausgewichen. »Ich wollte dir auch nicht raten, mit Arbeiten aufzuhören. Aber wenn du in meiner Kanzlei anfängst, wirst du kaum noch Zeit für eine andere Stelle haben. Mit Zahlen konntest du immer gut umgehen, nicht wahr? Noch bevor du zur Schule gingst, konntest du das kleine Einmaleins herunterrattern, erinnerst du dich?« Er lächelte wie ein Vater, der sich an die ersten Jahre seiner Tochter erinnert. »Das hast du von deiner Mutter geerbt, Claire.«

»In dem Verlagshaus habe ich auch mit Zahlen zu tun«, erwiderte sie. »Zuerst in der Buchhaltung und später im Vertrieb. Der Verlag gibt Pulps und Comics heraus, du weißt schon, diese reißerischen Abenteuerstorys und Bildgeschichten … da gibt es einiges zu berechnen. Auflagen, Absatzzahlen …«

»Nun ja«, machte er einen leichten Rückzieher. Anscheinend hatte er eingesehen, dass er etwas zu stürmisch vorgegangen war. »Du könntest ja noch eine Weile bei dem Verlagshaus bleiben. Drei, vier Monate vielleicht, um das Gefühl dafür zu bekommen, auch bei einem fremden Arbeitgeber bestehen zu können. Aber dann kommst du natürlich zu mir. In meiner Firma hast du ungleich größere Aufstiegschancen. Wenn wir erst … ich meine, bei mir bräuchtest du keine Diktate aufzunehmen und den ganzen Tag zu tippen. Nach einigen Monaten könntest du einen verantwortungsvollen Posten in der Buchhaltung annehmen … so einen Posten bekommen sonst nur Männer. Natürlich brauchst du etwas Anlaufzeit, aber dann.« Er zeigte das spöttische Lächeln, das sie so verabscheute. »Den Burschen, der jetzt noch meine Buchhaltung erledigt, kann ich sowieso nicht leiden. Du gefällst mir wesentlich besser.«

»Vielen Dank für dein Angebot, Onkel Jimmy.« Sie versuchte gute Miene zu seinem Spiel zu machen. »Aber ich bleibe im Verlagshaus.« Sie nahm ihren Hut ab und legte ihn auf den Tisch, behielt ihre Handtasche aber bei sich.

»Wie du meinst, Schätzchen.« Er zog ein Taschentuch aus seiner Brusttasche und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Das Knien vor der Anrichte hatte ihn mehr angestrengt, als er zugeben wollte. »Ich will dir da nicht reinreden. Nur wohnen …« Er steckte das Taschentuch weg. »… wohnen wirst du natürlich bei mir. Ich weiß, du gehst nicht mehr zur Schule, gehst einer geregelten Arbeit nach und dürftest sogar ein Automobil fahren, aber die Behörden wären sicher nicht erfreut, wenn du nach dem Tod deiner Mutter allein in der Wohnung bleiben würdest. Du bist noch so jung und unerfahren, Claire.«

»Ich bin erwachsen, Onkel Jimmy!«

Er überhörte ihren Einwand. »Wäre ja auch dumm von uns, unser wertvolles Geld für zwei Wohnungen auszugeben, nicht wahr? Immerhin sind wir miteinander verwandt. Ich habe mich immer verantwortlich für euch beide gefühlt, nachdem mein Bruder euch im Stich gelassen hatte. Wie oft habe ich ihm geschrieben und ihn gebeten, zu euch zurückkehren, aber er wollte nicht auf mich hören.«

Claire glaubte ihm nicht. Ihr Onkel war heilfroh gewesen, als ihr Vater weggezogen war. Jetzt hatte er endlich freie Bahn bei ihrer Mutter und vielleicht sogar bei ihr. So hatte er jedenfalls geglaubt. An ihren Vater hatte er keinen einzigen Brief geschrieben. Er wusste nicht einmal, wo er sich aufhielt. Auf die Fragen ihrer Mutter hatte er stets ausweichend geantwortet.

»Nein, Schätzchen, du kommst zu mir. Das bin ich dem Andenken deiner Mutter schuldig. Zu deinem Vater kannst du nicht, ich weiß nicht mal, wo der inzwischen wohnt, und allein solltest du nach diesem schweren Schicksalsschlag nicht bleiben.« Er wollte erneut nach ihr greifen, ließ aber sofort die Arme sinken, als er merkte, dass sie ihm auswich. Stattdessen lächelte er versöhnlich. »Ich habe deinem Vermieter schon gesagt, dass du zu mir ziehst.«

»Wie bitte?« Sie glaubte, sich verhört zu haben.

»Er kam vorhin vorbei … wollte dir wohl sein Beileid ausdrücken … da habe ich es ihm gesagt. Du bist mir doch nicht böse? Ich tue das alles nur deinetwegen. Du sollst nach dem Tod deiner Mutter so wenig wie möglich um die Ohren haben. Ich bin schon seit zwei Stunden hier und gehe eure Sachen durch, damit wir nichts vergessen. Ich denke, das ist ganz in deinem Sinne.«

»Nein, das ist es nicht!« Sie hatte endgültig genug von seiner vorgetäuschten Fürsorge und funkelte ihn wütend an. »Ich will weder meine Wohnung kündigen noch möchte ich, dass du in den Sachen meiner Mutter herumkramst. Ich komme mit allem zurecht. Und jetzt lass mich bitte allein, Onkel Jimmy!«

Für einen Sekundenbruchteil blitzte der wahre Charakter ihres Onkels in seinen Augen auf, und sein Blick wurde kalt und bedrohlich, dann hatte er sich wieder in der Gewalt und zeigte sein falsches Lächeln. »Ich verstehe dich, Claire. Du hast einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen müssen und bist sicher durcheinander. Da entscheidet man vieles falsch und sagt schon mal etwas, das man später vielleicht bereut. Ich dränge dich nicht, Schätzchen. Zuerst einmal müssen wir die Beerdigung hinter uns bringen, dann sieht die Welt schon wieder anders aus. Ich habe bereits alles arrangiert. Die Beerdigung ist morgen um elf auf dem Friedhof zwei Häuserblocks südlich von hier. Ich hole dich um zehn mit einer schwarzen Limousine ab. Die Trauerfeier wird im kleinen Kreis stattfinden, die Nachbarn, einige Kollegen und Kolleginnen deiner Mutter. Ich nehme an, das ist in deinem Sinne. Danach laden wir die Trauergäste zu mir nach Hause ein, da ist mehr Platz. Ich habe das Essen bereits bestellt. Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern. Bis morgen früh um zehn, Claire.« Er griff nach seinem Hut und war bereits an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen … hattest du schon Zeit, zur Bank zu gehen und die Konten deiner Mutter aufzulösen? Du willst dir doch keine unnötigen Kosten aufhalsen.«

»Heute in der Mittagspause«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Aber sie wollen mir das Geld erst geben, wenn ich ihnen den Totenschein bringe.«

»Dann will ich mich gleich darum kümmern.« In seinen Augen blitzte ein Anflug von Gier auf. »Einen großen Betrag können wir … kannst du sicher nicht erwarten. Weißt du denn, wie viel Geld ungefähr auf dem Konto liegt?«

»Etwas weniger als hundert Dollar.« Auch das war die Wahrheit.

»Und auf dem Sparkonto?«

»Das hat sie längst aufgelöst.« Das stimmte tatsächlich, allerdings verriet sie ihm nicht, dass die fünfhundert Dollar, die sich darauf befunden hatten, jetzt in ihrer Handtasche steckten. Er hätte sicher einen Vorwand gefunden, um ihr das Geld abzunehmen. »Ich nehme an, von den Ersparnissen hat sie mir den neuen Rock, den Hut und die Schuhe für die Arbeit gekauft. Ich sollte hübsch aussehen, wenn ich mich in dem Verlagshaus vorstelle. Die Arbeitgeber achten auf eine gepflegte Erscheinung, besonders wenn man in der Stadt arbeitet.«

»Das ist wahr«, erwiderte ihr Onkel. »Und du siehst wirklich sehr … gepflegt aus. Du bist eine hübsche Frau, Claire, weißt du das eigentlich?«

»Bis morgen früh, Onkel Jimmy.«

In dieser Nacht schlief Claire mit ihrer Handtasche im Arm. Wie die Puppe, die sie als kleines Mädchen besessen hatte, drückte sie die Tasche mit den wertvollen Ersparnissen an ihre Brust. »Keinen Penny gebe ich ihm«, sagte sie im Traum zu ihrer Mutter, »und meine Arbeit und die Wohnung gebe ich auch nicht auf! Nach der Beerdigung will ich Onkel Jimmy nie mehr sehen!«

Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne, obwohl Regen besser zu Claires düsterer Stimmung gepasst hätte, und schwüler Wind verfing sich in ihrem schwarzen Kleid, als Onkel Jimmy die Tür öffnete und ihr aus der Limousine half. Einige Kolleginnen ihrer Mutter, die bereits vor dem Friedhof standen, kamen mit ernster Miene auf sie zu und kondolierten ihr. Hinter ihnen hielt der Wagen mit dem Bäcker und seiner Frau, auch sie drückten ihr Beileid aus. Ihrem Onkel warf besonders die Frau des Bäckers einen misstrauischen Blick zu.

Claire fühlte sich unbehaglich, nicht nur wegen des traurigen Anlasses. Obwohl eigentlich nichts dagegen sprach, dass sie in der Begleitung eines Verwandten zur Beerdigung ging, beschlich sie das Gefühl, nicht nur sie würde hinter Onkel Jimmys freundlicher Fassade egoistische Absichten vermuten. Dennoch machte sie gute Miene zum bösen Spiel, schon ihrer Mutter zuliebe, die in allen Ehren und angemessener Stimmung zu Grabe getragen werden sollte. Ihre Ersparnisse trug sie bei sich. Seitdem sie das Geld unter der Matratze hervorgeholt hatte und erst recht seit dem vergangenen Abend, hatte sie ihre Handtasche keine Sekunde aus den Augen gelassen.

Bei den Ausgaben für die Beerdigung hatte Onkel Jimmy nicht gegeizt, zumindest das musste man ihm zugestehen. Vor dem Sarg aus edlem und reich verziertem Holz lagen zwei riesige Kränze, einer von ihm und der andere von ihr. Auf dem schwarzen Band des einen stand in goldenen Lettern: »Ich vermisse dich! In Liebe, deine Tochter Claire«, auf dem anderen: »Ruhe in Frieden! James ›Jimmy‹ Armstrong.« Und auf dem schwarzen Grabstein aus Marmor, der bereits neben dem Grab stand, las sie den Namen ihrer Mutter und darunter: »Geboren am 17. September 1884, gestorben am 11. Juli 1930.«