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Band 73/74

 

Die Festung der Raumfahrer

 

Die Katakomben der Besessenen

 

H. G. Ewers

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Rückentext

Die Festung der Raumfahrer

Auf der Extremwelt

Vorwort

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Schluss

Nachwort

Die Katakomben der Besessenen

Wie lebt man auf einer Höllenwelt?

Vorspiel

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Nachwort

Vorschau

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Auf der Extremwelt

Der Oxtorner Omar Hawk gehört zu den beliebtesten Figuren der PERRY RHODAN-Serie. Zusammen mit seinem Okrill Sherlock trotzt der Umweltangepasste nahezu allen Gefahren – und bleibt dennoch stets Mensch. Dieser Band präsentiert seine frühen Abenteuer, die vor seinem ersten Auftreten in der Heftromanserie liegen.

 

Omar Hawk ist wenig beeindruckt von seiner Heimatwelt Oxtorne mit ihren 4,8 Gravos und dem Luftdruck von acht Atmosphären. Aber als er die »Impenetrable Barrier« betritt, bekommt er es mit anderen Kräften zu tun. Er trifft auf die Wächter, die das Erbe der Verbannten beschützen ...

Als Oxtorne von einer Welle des Wahnsinns erfasst wird, muss Omar Hawk alles auf eine Karte setzen. Zusammen mit Sherlock begibt er sich zum Planeten Maarn, um zu verhindern, dass die tödliche Seuche in der Galaxis weiter um sich greift ...

Inhaltsverzeichnis

 

 

Erstes Buch

Die Festung der Raumfahrer

 

Zweites Buch

Die Katakomben der Besessenen

 

 

 

Die Festung der Raumfahrer

 

Sie sind Umweltangepasste – echte Söhne und Töchter der Höllenwelt

Auf der Extremwelt

 

Aus dem All bietet sich der Planet Oxtorne als grüner Ball dar, der allerdings in der Regel von den wirbelnden Schleiern der Taifune und den flammendurchzuckten Rauchwolken der Vulkane halb verhüllt wird. Ein Planetenjahr entspricht etwa dreieinhalb Terra-Jahren; da der Planet keinen Mond hat, wird ein Oxtorne-Jahr in zehn Dekaden eingeteilt, welche die Bezeichnungen Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Iota und Kappa tragen.

Die Temperaturen auf der Oberfläche schwanken zwischen plus 100 Grad Celsius und minus 120 Grad Celsius, abhängig von den Pulsationen der roten Riesensonne Illema. Stürme bis zu tausend Stundenkilometern sowie schwere Beben machen das Leben für »normale Menschen« absolut unerträglich.

Oxtornes Natur ist von Extremen geprägt: hart, gewalttätig und tödlich für Fremde und Unvorsichtige, im Gluthauch der Hitzewellen verdorrend, in Eiseskälte erstarrend, von Beben zerschmettert und dem Trommelfeuer von Blitzen ausgesetzt, die zehntausend Mal energiereicher sind als die auf der Erde; wenn die Blitze zucken, schimmert der Regen in allen Farben des Spektrums.

Der Planet hat ausgedehnte Regenperioden, die sich über Wochen hinziehen und nur durch acht kurze Trockenheitsperioden unterbrochen werden. Wenn es hagelt, kommen zahllose Gesteinsmassen schlagartig vom Himmel herab. Ein richtiger oxtornischer Wolkenbruch führt gewaltige Schlammmassen mit sich, dann stürzt eiskaltes und glasklares Wasser herab, schwemmt den Schlamm und den Sand von den Felsen und bildet einen durchschnittlich fünf Kilometer breiten und drei Meter tiefen Strom, der tosend zu Tal schießt.

Wirklich unangenehm hingegen sind die oxtornischen Blizzards. Diese kündigen sich in der Entfernung durch eine Art weiße Wand an, die in der Luft zu stehen scheint. Ein solcher Blizzard führt zu einem sofortigen Temperatursturz auf etwa minus 120 Grad Celsius und bringt eine Schneedecke von bis zu fünf Metern mit sich. Selbst Oxtorner setzen sich dieser Art von Wetter nicht freiwillig aus!

 

(Aus: »Baedekers Oxtorne und das Illemasystem«, Ausgabe von 1344 NGZ, Einleitung zum Kapitel »Illema VIII: Oxtorne«)

Das ist die Geschichte ganz gewöhnlicher Menschen, die auf einen mehr als ungewöhnlichen Planeten verschlagen wurden und aller Widrigkeiten der Naturgewalten zum Trotz daran gingen, eine neue Welt für die Menschheit zu erobern. Es ist keine romantische Geschichte, denn für Romantik war auf Oxtorne kein Platz ...

 

 

Vorwort

 

Die Sonne Illema ist ein pulsierender roter Riesenstern von der durchschnittlich hundertfachen absoluten Helligkeit Sols. Sie befindet sich innerhalb des offenen Sternhaufens Praesepe, genauer gesagt 520 Lichtjahre von der Erde entfernt im Zentrum Praesepes, wo auf einen Raumwürfel von einem Parsek Kantenlänge vier Sterne kommen, doppelt soviel wie in einem vergleichbaren Raumwürfel innerhalb der Plejaden.

Der Kommandant des Siedlerschiffes ILLEMA, das am 9. Januar des Jahres 2234, Erdzeit, zur letzten Orientierung aus dem Linearraum auftauchte, hatte die rote Sonne als kosmisches Leuchtfeuer benutzt. Von hier aus waren es noch einmal knapp zwanzig Lichtjahre bis zum Ziel seiner Fracht: zwölftausend Kolonisten, Männer und Frauen.

Entsprechend dem Zweck des Orientierungsaustritts sollte der Aufenthalt nahe des Sonnenriesen nur kurz sein. Niemand an Bord der ILLEMA ahnte, dass es ein Aufenthalt für immer sein würde ...

Die Geschützsalve traf das Kolonistenschiff in dem Augenblick, in dem die Automatwarnung den Walzenraumer meldete. Der Kommandant ließ das Feuer mit dem einzigen Impulsgeschütz der ILLEMA erwidern. Dennoch war er Realist genug, um die Aussichtslosigkeit der Situation zu erkennen. Der Fremde, offenbar ein Galaktischer Händler, hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Er stand so, dass die ILLEMA nicht die geringste Chance erhielt. Es war klar, dass der Gegner das Siedlerschiff erwartet hatte.

Die zweite Treffersalve zerfetzte einen Teil der Maschinenraumsektion und legte den Linearraumkonverter lahm. Damit war eine Flucht unmöglich geworden. Andererseits vermochte das Polgeschütz des Siedlerschiffes die Schutzschirme des Walzenraumers nicht zu durchdringen. Alles sah danach aus, als sollten die zwölftausend Kolonisten niemals ihr Ziel erreichen, sondern bei der roten Sonne ihr Grab im Nichts finden.

Der Gegner hatte nur nicht mit der Mentalität der Terraner gerechnet. Menschen pflegen alles einzusetzen, wenn es nichts mehr zu verlieren gibt. Der Erste Offizier der ILLEMA, Geoffrey Oxtorne, fragte nicht, er handelte. Mit dem kleinsten Beiboot verließ er sein Schiff, und bevor der Feind begriff, dass das winzige Boot kein Flüchtling war, sondern ein Angreifer, war es für ihn zu spät. Geoffrey Oxtorne starb in der Reaktorkammer des Beiboots. Er hatte die Sicherungen der Kraftanlage entfernt und sich dabei einer absolut tödlichen Strahlung ausgesetzt. Er lebte bereits nicht mehr, als sein Boot im Schutzschirm des Walzenraumers zu einer explodierenden Atombombe wurde.

Nachdem sich das feindliche Schiff in eine Wolke glühenden Gases verwandelt hatte, ging der Kommandant der ILLEMA daran, die Brände löschen zu lassen und nach einem Planeten zu suchen, auf dem Besatzung und Passagiere den Rest ihres Lebens fristen konnten. Das ursprüngliche Ziel, mit zwanzig Lichtjahren Entfernung für die Technik des Solaren Imperiums nur einen Katzensprung entfernt, war für die ILLEMA so unerreichbar geworden wie das äußerste Ende des Universums. Die beschädigten Normaltriebwerke leisteten bestenfalls noch fünf Prozent LG, der Linearraumkonverter war vollständig ausgefallen. Ein Hilferuf konnte ebenfalls nicht mehr ausgesendet werden, da die erste Treffersalve den Hyperkom zerstört hatte.

 

Zwei Tage später setzte die ILLEMA hart auf dem achten Planeten der roten Riesensonne auf. Siebeneinhalbtausend Überlebende machten sich daran, eine sichere Zuflucht zu bauen. Sie mussten bald erkennen, dass es keine Sicherheit für Menschen gab.

Der achte Planet hatte die dreifache Größe der Erde, aber sein Anteil an Schwermetallen war höher als der auf Terra. Die Schwerkraft von 4,8 Gravos zwang die Menschen zu Boden. Außerhalb der mit den Schiffsantigravs ausgerüsteten Hauptkuppel konnten die Überlebenden sich nur kriechend fortbewegen. Dazu kam der ungeheuerliche Luftdruck. Trotz der etwa erdgleichen Zusammensetzung der Atmosphäre starb ein ungeschützter Mensch innerhalb weniger Sekunden. Niemals konnten sich mehr als achtzig Männer oder Frauen zugleich im Freien aufhalten, denn es gab nur achtzig Raumpanzer an Bord der ILLEMA. Aber selbst ein Raumpanzer bot keinen absoluten Schutz. Die pulsierende Sonne brachte starke Beben, eisige Blizzards und glutheiße Wirbelstürme mit sich. Die Chliitpflanzen der Sümpfe holten sich in der ersten Woche zehn Opfer. Man baute neue Raumpanzer, um die verlorengegangenen ersetzen zu können.

Nach einem Planetenjahr – das etwa dreieinhalb Terra-Jahren entsprach – lebten von den ursprünglichen Siedlern noch rund sechstausend. Zwar hatte es über fünfhundert Geburten gegeben, aber keines der Kinder war älter geworden als eine Woche.

Glücklicherweise waren die ILLEMA-Kolonisten für einen Planeten mit Bedingungen vorgesehen gewesen, die um fünfzehn Prozent von der Terranorm abwichen. Das bedeutete: Es befand sich ein Team Kosmo-Genetiker an Bord. Die drei Überlebenden des Teams reparierten in mühseliger Kleinarbeit die Einrichtung des Kosmogenetik-Labors. Eine Positronik sammelte die Daten der Umwelt und berechnete die Gen-Veränderungen, die notwendig waren, um die Erbfaktoren bei Männern und Frauen so zu modifizieren, dass die neue Generation den Bedingungen der Extremwelt angepasst war. Derartige Arbeiten waren nichts Neues; es gab im Solaren Imperium bereits mehrere Extremplaneten mit umweltangepassten Generationen.

Hier jedoch waren die Verhältnisse in einer Vielfalt extrem, die völlig neue Methoden der Kosmo-Genetik erforderte. Im zweiten Jahr nach der Katastrophe wurde die erste Generation lebensfähig Angepasster geboren. Die Anpassung betrug allerdings nur dreißig Prozent. Noch immer war der Luftdruck ihrer Welt für die neue Generation tödlich, im Unterschied zu ihren Eltern aber kamen sie in den Schönwetterperioden ohne Druckanzüge aus; sie benötigten nur noch Masken zur Druckverminderung. Fünfzig Meter aufrechter Gang waren der Rekord, der in dieser Generation nicht gebrochen wurde.

Im achten Jahr nach der Katastrophe – nach Erdzeit achtundzwanzig Jahre – betrug die Bevölkerungszahl sechzehntausend. Der Anteil der ersten »angepassten« Menschen daran war siebzig Prozent.

Ein Jahr später hatte sich die Bevölkerung um weitere zwölftausend Personen vermehrt. Die dritte Generation war ins Leben getreten.

Zu dieser Zeit konnte die Verbindung mit der Heimat wieder hergestellt werden. Ein Explorerschiff fing die nur lichtschnellen Impulse des Notsenders auf und landete neben der kleinen Kuppelstadt. Man bot den Siedlern an, sie zu einem Planeten mit erträglichen Bedingungen zu transportieren.

Sie lehnten ab. Die erste Generation war nahezu ausgestorben, und die zweite hatte eine Art trotzigen Stolzes oder stolzen Trotzes entwickelt. Sie kannte nur den unablässigen Kampf ums Überleben, aber dieser Kampf war zum Sinn ihres Lebens geworden, und sie mochte ihn nicht mehr missen. Immerhin nahm sie die angebotene technische und medizinische Unterstützung an. Sie ging auch auf die Anregung des Explorerkommandanten ein, ihrem Planeten und seiner Sonne Namen zu geben. Bisher hatten die Kolonisten nur immer von »ihrer Welt« gesprochen. Nunmehr nannten sie die pulsierende rote Sonne ILLEMA, nach dem Schiff, das sie hierher gebracht hatte. Dem Planeten gaben sie den Namen jenes Mannes, der die erste Kolonistengeneration rettete: OXTORNE.

Die Siedlung aber erhielt den stolzen Namen NEVERTHELESS – Dennoch –, der Mentalität ihrer Bewohner entsprechend.

Die dritte Generation leitete den entscheidenden Aufschwung ein. Sie war bereits zu sechzig Prozent umweltangepasst. Von gedrungenem, starkknochigem Körperbau und mit unvorstellbar widerstandsfähigen Organen, benötigten sie weder Antigravgeräte noch Atemmasken, um sich im Freien bewegen zu können. Noch aber zwangen die in kurzen Intervallen auftretenden heißen und kalten Orkane, die heftigen Beben und die kochenden Dämpfe der Chliitsümpfe sie zu einem Leben in unmittelbarer Nähe von Nevertheless. Immerhin konnten sie erstmals auf Synthetiknahrung verzichten. Sie kultivierten die Sümpfe in einem Radius von vier Kilometern rings um die Kuppelstadt, bauten Kriechmais an und holten ihr Fleisch aus den Herden der schildkrötenartigen Mamus.

Harte Gesetze wurden geschaffen. Ein wissenschaftlicher Rat, nur aus Angehörigen der dritten Generation bestehend, regelte das Zusammenleben der Gemeinschaft. Positronische Planung bestimmte die Produktion und den Einsatz des Einzelnen. Sie regelte auch die Partnerwahl nach streng genetischen Grundsätzen, die noch von der zweiten Generation stammten.

Niemand murrte. Alle Maßnahmen des Rates waren nur zum Besten der Kolonie. Und als die ANP-Bakterien entdeckt wurden, aus denen ein Antineoplasmamittel zur biochemischen Bekämpfung von Sekundär-Tumoren gewonnen werden konnte, setzte der Rat achtzig Prozent der Bevölkerung für die Ausweitung der neuen Produktion ein. Die in Schlammbecken gezüchteten Bakterien gediehen nur unter den Extrembedingungen Oxtornes. Die Folge davon war, dass ANP zu einem begehrten Exportprodukt der Kolonie wurde. Ein bescheidener Wohlstand stellte sich ein. Die bislang vernachlässigte Bildungsarbeit konnte intensiviert werden.

In erster Linie profitierte die vierte Generation davon. Sie wuchs ohne Existenzsorgen auf, erhielt eine solide wissenschaftliche Ausbildung und erweiterte ihren Horizont. Zudem war sie hundertprozentig an die Verhältnisse Oxtornes angepasst. Ihre Angehörigen besaßen eine »Kompakt-Konstitution«, das heißt, sie waren nicht viel größer als durchschnittliche Terraner, zwischen 1,80 und 1,95 Meter. Die Schulterbreite betrug durchschnittlich 1,20 Meter; ihre Haut war hellbraun, ledrig und von beständigem öligen Glanz. Haupthaar gab es weder bei Männern noch bei Frauen; lediglich die Männer besaßen borstige, schwarze Brauen auf vorstehenden Augenwülsten. Skelette und Muskeln waren hart wie Stahlplastik. Die Menschen der vierten Generation gingen nur noch aufrecht, die plötzlichen Temperaturschwankungen zwischen achtzig Grad plus und hundertzwanzig Grad minus wurden als angenehm empfunden, die Stürme reizten dazu, ihnen aufrecht zu trotzen.

Aber das Leben der Siedler blieb auf einen Radius von zehn Kilometern um Nevertheless beschränkt. Niemand brach auf, um den Planeten zu erobern.

Daran waren die starren und strengen Gesetze der dritten Generation schuld. Sie ließen der vierten Generation keinen Spielraum, um ihre Kräfte ernstlich mit denen der Natur zu messen. Es gab viele Unzufriedene, aber wer sich gegen die Gesetze auflehnte, wurde mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft, was einem Todesurteil gleichkam.

Doch neue Entwicklungen vollziehen sich mit der Zwangsläufigkeit eines Naturgesetzes. Kein menschlicher Zwang kann sie auf die Dauer aufhalten ...

1.

 

Über der Impenetrable Barrier stand eine schwefelgelbe Wand. Das flammende Muster greller Blitze darauf wirkte wie ein abstraktes Gitter lebender Energie.

Die ersten Windstöße eilten dem Unwetter voraus. Wolken heißen Sandes jagten durch die Straßen von Nevertheless, kreischten über die zerschundenen Flächen der Metallplastikkuppeln und klapperten mit den ausgebauchten Ovalen der Windrichtungsanzeiger.

Omar Hawk ließ sich davon nicht stören. Noch betrug die Windgeschwindigkeit höchstens hundert Stundenkilometer. Er bot den Sandböen das ungeschützte Gesicht und ließ die fast glühenden feinen Körner gegen seine lederartige Haut prasseln. Es war eine Wohltat nach der Wetterstagnation der letzten Tage. Aber das Beste kam erst noch: der Temperatursturz nach dem Durchzug der Gewitterfront ...

Bei dem Gedanken daran zögerte der Tierpsychologe unmerklich. Eigentlich sollte er während des Kälteeinbruchs im Mamugehege weilen, um die Reaktion seiner Schützlinge darauf zu studieren. Doch er verwarf den Gedanken daran sofort wieder. Die Mamus konnten warten; Temperaturstürze würde es immer wieder geben. Die Versammlung der Gruppe jedoch war unaufschiebbar.

Die Vorstellung, in einer halben Stunde Yezo treffen zu können, beflügelte Omars Schritte ebenso wie das Wissen um die Dringlichkeit der Versammlung. Er sprang über eine Sandwehe, die sich in den letzten Minuten gebildet hatte, und setzte seinen Weg fort.

Zehn Minuten später konnte er die Hawk-Kuppel sehen. Sie reflektierte das blauweiße Licht der unablässig zuckenden Blitze. Die schwefelgelbe Wand hatte den Ostrand von Nevertheless erreicht. Der Wind war zum Sturm geworden. Mit mindestens dreihundert Stundenkilometern jaulte er durch die engen Gassen der Altstadt, röhrte auf, als er die breiten Straßen der Neuen Stadt erreichte und überschüttete die Kuppeln der Häuser mit Kilotonnen glutheißen Sandes. Nur das grelle Feuer atmosphärischer Entladungen spendete noch etwas Licht, und der unaufhörlich krachende Donner war das einzige Geräusch, das den Sturm übertönte.

Ein heftiger Einschlag hüllte die gegenpolige Wandung des Hawkschen Hauses in eine violette Aureole, als Omar vor dem offenen Außenschott der Schleuse stand. Er spürte ein angenehmes Kribbeln auf der Haut. Die Luft roch stark nach Ozon. Dröhnendes Lachen entrang sich seiner Kehle. Es wurde gestoppt durch die Stimme aus dem Lautsprecher.

»Wie lange willst du uns noch der Gefahr aussetzen?«, grollte es aus der Schleuse. »Mach das Schott zu, Junge!«

Seufzend gehorchte Omar. Wieder einmal wurde er sich der Kluft bewusst, die zwischen seinen Eltern und ihm lag. Mutter und Vater würden niemals die Schönheit eines Gewitters auf Oxtorne schätzen können; ihre nur bis zu sechzig Prozent umweltangepassten Körper waren zu empfindlich dazu. Sicher bangten sie seit dem Beginn des Unwetters um ihn, da sie ihn auf dem Heimweg wussten. Law, so entsann sich Omar, hatte einmal einen treffenden Vergleich gebraucht, den er der irdischen Fauna entlehnte: Eine Hühnerglucke, die junge Enten ausgebrütet hat und zusehen muss, wie »ihre« Kinder sich ins Wasser stürzen.

Erneut musste er lachen. Hinter ihm fiel das Innenschott zu. Im erleuchteten Vorraum stand die leicht gebeugte Gestalt seines Vaters. Der Zorn ließ die grauen Augen sprühen.

»Du machst dich lustig über unsere Sorge, wie?« Er ballte die Fäuste. »Kein vernünftiger Mensch findet Gefallen an diesem ... diesem Tornado da draußen. Zu meiner Zeit ...«

»Schon gut, Vater«, sagte Omar begütigend. »So war es doch nicht gemeint. Guten Abend auch.«

Hope Hawk ließ die Fäuste sinken. Um seine blauschwarzen Lippen zuckte es.

»Ein ›guter Abend‹ ist das!«, murrte er. »Sämtliche bösen Geister der Barrier sind aufgeboten, unsere Stadt zu zerschmettern.«

»Eine natürliche Folgeerscheinung der Pulsation Illemas, Vater.« Der junge Mann klopfte dem älteren behutsam auf die Schulter. »Du weißt selbst, dass die Geschichte mit den bösen Geistern der Barrier von der rückständigen zweiten Generation stammt. Wir leben schließlich im Zeitalter einer gewissen Aufklärung.«

Hope knurrte unwillig. »Wenn ihr jungen Leute nur nicht immer so leichtfertig über die älteren urteilen wolltet!« Er schnaufte. »Der Rat weiß schon, warum er niemand von euch aufnimmt!«

Omar Hawks Gesicht verfinsterte sich. Schweigend wandte er sich ab, zog sich aus, hängte die Plastikkombination an einen Wandhaken und ging durch zur Küche, nur mit der kurzen Hose aus Mamu-Bauchleder bekleidet.

Seine Geschwister begrüßten ihn mit lärmenden Zurufen. Er nickte ihnen zu und musterte ihre Gesichter. Da war Art, der Kleinste. Art zählte erst drei Oxtorne-Jahre und ging noch zur Schule (drei Oxtorne-Jahre entsprachen zehneinhalb Erdjahren). Dan, Alf, Moni, Marga, Sascha und Ringo lagen nur jeweils ein halbes Jahr auseinander. Dan war fünf, Ringo siebeneinhalb Jahre alt. Omar selbst zählte acht Jahre. Er war der Älteste der vierten Hawk-Generation und trug damit automatisch die Verantwortung für seine Schwestern und Brüder. So war es in allen Oxtorne-Familien aufgrund der Tatsache, dass selbst ein zweijähriges Kind der vierten Generation seinen Eltern physisch weit überlegen war und sie es darum im Freien nicht beschützen konnten.

Omar setzte sich und nickte seiner Mutter zu, die mit verhärmtem Gesicht hereinschlurfte und eine dampfende Schüssel auf den Tisch stellte. Danach verschwand sie wieder. Eltern und Kinder aßen getrennt; ihre Nahrung unterschied sich in gleichem Maße wie ihre unterschiedliche Konstitution.

Der steife Brei aus Kriechmaismehl und Chliitablegern war mit großen Stücken Mamufleisch vermengt. Omar verteilte ihn auf die Teller der Geschwister und nahm sich selbst zuletzt. Danach murmelte er einen Tischspruch, und die Mahlzeit begann.

Der älteste Hawk kaute und schluckte rein mechanisch. Er grübelte darüber nach, wie er in der heutigen Versammlung die Mehrheit für sich gewinnen konnte. Sein Gegenspieler, Joaqu aus der Manza-Familie, besaß die Fähigkeit, die Masse durch Demagogie zu gewinnen. Er, Omar, hatte es schwer, gegen Joaqus rednerisches Talent anzukommen. Aber er musste es schaffen. Mit brutaler Gewalt ließen sich die Probleme Oxtornes nicht lösen. Schließlich hatte die dritte Generation erst die Voraussetzungen dafür erkämpft, ihren Kindern eine bessere Bildung und einen weiteren geistigen Horizont zu vermitteln. Sie mochte diktatorisch herrschen und gegen die Moralgesetze des Imperiums verstoßen, indem sie auf der positronischen Partnerwahl beharrte, aber aus ihrer beschränkten Sicht heraus strebte sie nur das Gute an.

Nach dem Essen gab Omar den vier ältesten seiner Geschwister einen Wink. Moni, Marga, Sascha und Ringo erhoben sich, wischten sich die Hände an dem dafür vorgesehenen feuchten Tuch ab und gingen hinaus. Offiziell nahmen sie an einem Astronomiekursus der Förderschule teil. Die Förderschule war eine Institution des Solaren Imperiums. Sie lag am südwestlichen Rand von Nevertheless, eine imposante Terkonitstahlkuppel mit Unterdruckkabinen für die terranischen Lehrer und mit dreieckigen Unterrichtsräumen für die Schüler. Die Lehrer unterrichteten von hermetisch abgeschlossenen Lehrkabinen aus über ein Video-Visions-System. Sie unterstützten heimlich die Gruppe der vierten Generation, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die veraltete und hemmende Gesellschaftsordnung der Väter durch ein besseres System abzulösen. Aber die Terraner überließen die Initiative vollkommen den jungen Oxtornern.

Das Gewitter war zum westlichen Horizont abgezogen, als die fünf Hawks ihre Wohnkuppel verließen. Ein stahlblauer Himmel spannte sich über der Stadt. Es wurde zunehmend kälter. Schätzungsweise herrschten im Freien bereits sechzig Grad minus. Innerhalb der nächsten Viertelstunde würde die Temperatur erfahrungsgemäß auf minus hundertzehn Grad absinken.

Vor den »Jugendlichen« wehten die weißen Nebel ihres Atems her, als sie dem Ziel zueilten. Hin und wieder öffneten sich in den anderen Wohnkuppeln die Außenschotts, und andere junge Männer und Mädchen schlossen sich ihnen an. Lachen klang auf, als sich der Himmel erneut verfinsterte und grobkörniger Hagel auf die Menschen herniederprasselte. Die Eiskörner hätten die ungeschützte Schädeldecke jedes Erdgeborenen glatt durchschlagen; auf Omars öliger Kopfhaut verursachten sie nur ein Kribbeln.

Der Hagel ging nach wenigen Sekunden in einen pfeifenden, jaulenden Schneesturm über. Die Sicht betrug in dem weißen Wirbel keinen Meter. Aber der früh erworbene Orientierungssinn der Oxtorner ließ sie den Weg dennoch nicht verfehlen. Unbeirrt stemmten sie sich gegen den eisigen Orkan. Sie keuchten vor Anstrengung, doch ihre Klimakapuzen blieben zusammengerollt.

Hundert Meter vor der Förderschule donnerte eine Kolonne »Superschildkröten« auf der Straßenmitte an ihnen vorüber. Die Arbeiter der dritten Generation hatten das Feld vor dem Unwetter geräumt und brachten sich in Sicherheit. Im weißen Wirbel des Schneesturmes wirkten die stählernen Gebilde wie gigantische Mamus: flach, windschlüpfrig und schwer genug, der Gewalt des Orkans zu widerstehen. Nur statt der säulenförmigen Stummelbeine bewegten sich die Kolonistenfahrzeuge auf zweieinhalb Meter breiten Doppel-Gleisketten.

Die Jüngeren wichen beiseite. Spöttische Bemerkungen übertönten das Tosen des Sturmes und das Rumpeln, Knirschen und Kreischen der Superschildkröten. Man machte sich lustig über die Alten, die vor dem Unwetter die Flucht ergriffen.

Omar Hawk enthielt sich jeder Äußerung. Er wusste, der Spott war sachlich ungerechtfertigt. Andererseits spiegelte er nur die Auflehnung gegen die diktatorische Herrschaft der Alten wider. Omar presste die Lippen fest zusammen. Die Stimmung unter den erwachsenen Mitgliedern der vierten Generation wurde zu sehr von Emotionen bestimmt. Es würde nicht leicht sein, gegen die Prediger der brutalen Gewalt anzukämpfen.

Die Schlünde der Schleusentore schluckten die Versammlungsteilnehmer und versetzten sie von einem Augenblick zum anderen in die trügerische Ruhe und Geborgenheit einer technisch hochwertigen Schutzanlage. Wieder einmal wurde Omar auf eine scheinbare Diskrepanz hingewiesen: Die terranischen Lehrer hatten mit den Alten von Oxtorne die Empfindlichkeit gegenüber den Umweltbedingungen gemeinsam; sie waren sogar weitaus empfindlicher. Dennoch fehlte bei ihnen die Starrheit des Denkens. Man konnte also der Natur einer Welt physisch unterlegen sein, ohne sich gleichzeitig hinter einem Wall von Gesetzen und Gewalt zu verkriechen.

Das Brausen vieler Stimmen erfüllte den großen Konferenzraum der Kuppel. Hufeisenförmig stiegen die Sitzreihen an den schrägen Wänden empor. Vor der Öffnung des »Hufeisens« stand der nach innen gewölbte Tisch des Präsidiums mit den Mikrofonen.

Omar Hawk musste viele Hände schütteln, viele Grüße erwidern, aber auch viele ironische Blicke einstecken, bevor er sich zum Präsidiumstisch durchgekämpft hatte. Joaqu Manza stand bereits dort. Die beiden gewählten Vertreter der »Gruppe vier«, wie die organisierten Angehörigen der vierten Generation sich nannten, begrüßten einander kühl und reserviert. Herzlicher fiel der Händedruck Yezo Polestars aus. Yezo war ein Oxtorne-Jahr jünger als Omar. Sie trug die gleiche Plastikkombination wie er; ihre Weiblichkeit kam eigentlich nur durch die ausgeprägt femininen Körperformen zum Ausdruck. Das Haupthaar fehlte ihr ebenso wie den männlichen Vertretern der vierten Generation. An physischer Kraft war sie jedem Mann gleichwertig.

»Wie sieht es aus?«, flüsterte Omar ihr zu und blickte besorgt drein. Yezo war eine gewählte Vertreterin der weiblichen Jugend. Ob die Vernunft siegte, würde zu einem großen Teil von ihrer Arbeit und ihrem Ansehen abhängen.

Yezo aus der Polestar-Familie lächelte ein wenig krampfhaft, wie es dem jungen Hawk schien.

»Du weißt, ein männlicher Demagoge vermag seine weiblichen Zuhörer stärker zu beeinflussen als eine weibliche Vertreterin der Vernunft. Ich fürchte, der Ausgang der heutigen Versammlung wird in erster Linie von deiner Überzeugungskraft abhängen.«

Omar nickte mit finsterem Gesicht. »Joaqu soll es nicht leicht haben!«

»Das dürfte nicht genügen«, erwiderte das Mädchen vorwurfsvoll. »Du musst seine Argumente so überzeugend widerlegen, dass ...«

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich abrupt. Omar folgte dem Blick ihrer dunklen Augen und entdeckte den leuchtenden Bildschirm am Kopfende des Saales.

Wollten die Terraner unmittelbar in die Diskussion eingreifen? So etwas hatte es bisher nie gegeben ...

Schlagartig verstummten die Gespräche. Alle Köpfe wandten sich dem Bildschirm zu. Auch die anderen Mitglieder des Präsidiums – Mara Shant'ung, Orni Belt, Lake Portman, Law Federic und Joaqu Manza – sahen in die gleiche Richtung.

Joaqu warf Omar einen finsteren Blick zu.

»Wenn du glaubst, die Terraner könnten dir zum Sieg verhelfen, so irrst du dich. Das hier ist unsere Angelegenheit!«

»Ich habe niemanden um Hilfe gebeten!«, gab Hawk zurück.

Die Atmosphäre im Saal schien elektrisch geladen zu sein. Es gab wohl keinen Oxtorner, der eine Einmischung der Terraner geduldet hätte, so beliebt die Lehrer auch bei ihren Schülern waren.

Doch es kam alles ganz anders.

Auf dem hellen Bildschirm erschien das Gesicht Professor Gautiers, des Institutsleiters. Der schmale Schädel, die blasse Haut und das kurzgeschnittene Grauhaar wirkten für oxtornische Begriffe zu weichlich. Die eisgrauen, wie Stahl schimmernden Augen kompensierten diesen Eindruck jedoch vollkommen.

Professor Gautier hob die Hand.

»Ich grüße Sie, Vertreter der vierten Generation!« Über das Gesicht huschte die Andeutung eines Lächelns; die Augen blieben unbeteiligt daran. Die nächsten Worte Gautiers fegten die Besorgnisse der Oxtorner beiseite.

»Entschuldigen Sie bitte mein Eingreifen in Ihre Versammlung. Niemand von uns will Sie irgendwie beeinflussen, auch ich nicht. Wir halten es lediglich für unsere Pflicht, Ihnen eine Mitteilung zu machen.

Wie wir erfuhren, tagt zur Stunde der ›Wissenschaftliche Rat‹. Er befasst sich mit Ihrer Organisation. Es scheint, als habe er erfahren, welche Ziele Ihr ›Astronomie-Kursus‹ wirklich verfolgt. Das Präsidium der Gruppe vier soll wegen staatsgefährdender Umtriebe vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Sie wissen, womit Sie zu rechnen haben, meine Herren. Wir, der Lehrkörper des Terra-Instituts, haben beschlossen, Ihren gefährdeten Leuten Asyl zu gewähren. Das wird natürlich für uns einige diplomatische Verwicklungen mit sich bringen. Aber wir sind entschlossen, alle Schwierigkeiten auf uns zu nehmen, um einen siebenfachen Mord zu verhindern ...«

 

Im nächsten Augenblick brauste eine Woge der Empörung durch den Saal. Jeder redete zu jedem. Niemand vermochte mehr, sein eigenes Wort zu verstehen.

Omar Hawk schaltete schließlich das Mikrofon auf höchste Lautstärke und forderte die jungen Leute zum Schweigen auf. Allmählich trat wieder Ruhe ein.

Überraschend schnell trat Joaqu Manza vor das Mikrofon. Zu schnell für Omar.

»Männer und Frauen!«, schrie Joaqu. »Das ist eine Kampfansage der Älteren gegen die Generation der Zukunft. Nur Feiglinge würden sich der Auseinandersetzung entziehen und ins Asyl gehen. Für uns gibt es eine einzige Lösung: die Entscheidung zu erzwingen, solange der Rat noch tagt. Ziehen wir hin und setzen die Diktatoren ab, notfalls mit Gewalt. Sie haben unserer physischen Überlegenheit nichts entgegenzusetzen!«

Begeisterte Zustimmung war die Antwort.

Omar war blass geworden. Aber gleichzeitig umspielte ein harter Zug seine Lippen. Er wusste, der Kampf hatte seinen Höhepunkt erreicht: der Kampf zwischen Joaqu und ihm!

Er hob die Hand und atmete auf, als Law Federic ihm das Wort erteilte. Widerwillig wich Joaqu, aber auch er hatte sich den Regeln zu unterwerfen.

»Ich stimme meinem Vorredner zu«, sprach Omar Hawk ruhig, »was die Ablehnung des Asylangebots angeht. Es wäre keine Lösung unserer Probleme, wenn sich die gewählten Vertreter der vierten Generation feige vor dem Zorn der Alten verkriechen würden.«

Er ließ den Beifall an sich vorbeirauschen. Ein flüchtiger Blick zu Yezo brachte ihm ein aufmunterndes Lächeln ein. Er konnte es gebrauchen, denn das Schwerste kam erst jetzt.

»Eine blutige Revolution kann ich jedoch nicht befürworten«, fuhr er fort. »Ich zweifle nicht daran, dass wir dabei Sieger bleiben würden. Aber wir müssten die eine Diktatur durch eine andere ablösen, ganz abgesehen davon, dass bei dem Kampf viele unserer Väter getötet würden.«

»Sie haben es nicht anders gewollt!«, rief Joaqu Manza dazwischen.

Omar reagierte nicht darauf. Er wartete ab, bis der Versammlungsleiter seinem Gegenspieler einen Verweis erteilt und die Ruhe wieder hergestellt hatte.

»Wir sind stolz auf unsere demokratische Gesinnung«, sagte er eindringlich. »Das ist der Faktor, der uns eint und der uns von den Alten unterscheidet. Wollen wir unsere gute Sache verraten, indem wir in die Fehler der älteren Generation verfallen? Wenn wir eine Gewaltherrschaft errichteten, was unterschiede uns dann noch von ihnen?«

Fast eine Minute lang herrschte Stille. Zwar meldete sich Joaqu erneut, aber die Regeln der Gruppe sorgten dafür, dass eine Diskussion niemals zum Zwiegespräch zweier Kontrahenten ausarten konnte. Bevor Joaqu oder Omar wieder sprechen durften, mussten mindestens drei andere ihre Meinung geäußert haben. Es war Mara Shant'ung, die sich zu Wort meldete.

Sie trat vor das Mikrophon und blickte über die Versammlung hinweg, als suche sie ihre Argumente im Hintergrund des riesigen Raumes.

»Was Omar gesagt hat, klingt vernünftig ...« Sie flüsterte nur, aber die Lautsprecher verstärkten ihre Stimme und trugen sie überall hin. »Auch ich bin nicht für eine blutige Revolution. Aber ich sehe keine Alternative zu Joaqus Vorschlag. Was können wir anderes tun, wenn wir weder das Asylangebot annehmen noch mit Gewalt gegen den Rat vorgehen?«

Die nächste Wortmeldung kam von einem einfachen Versammlungsteilnehmer. Es war einer der jüngsten der vierten Generation.

»Warum streiten wir uns überhaupt?«, rief er. »Was wollen die Alten denn unserem Präsidium vorwerfen? Sie können sie doch nicht verurteilen, nur weil sie eine andere Meinung vertreten haben!«

Law als Versammlungsleiter stellte lediglich richtig.

»Doch, sie können. Das Gesetz stellt nicht nur Gesetzesbruch unter härteste Strafen, sondern auch die Aufwiegelung zum Gesetzesbruch. Das Harmloseste, was uns erwartet, ist eine Verbannung zweiten Grades.«

Lake Portman riss den Arm hoch. Er wartete nicht ab, bis Law ihm das Wort erteilte, sondern redete sofort los: »Ich finde, das genügt. Sollen wir uns gefallen lassen, dass der Rat die Gruppe führerlos macht? Sollen wir zusehen, wie vier Männer und drei Frauen in den sicheren Tod geschickt werden? Das wäre Begünstigung eines Verbrechens. Außerdem würde es die Machtstellung des Rates noch mehr stärken.«

Jetzt war Joaqu wieder an der Reihe. Seine Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus, als er sich an Omar wandte.

»Vielleicht möchte er gern zum Märtyrer werden. Er übersieht dabei nur, dass sein Entschluss eine Bestätigung der alten Gesetze bedeutet. Einen größeren Dienst könnte er den Alten nicht leisten. Zögern und Unentschlossenheit sind unsere größten Feinde. Man kann keine neue Gesellschaftsordnung aufbauen, ohne die alte gewaltsam zu zerschlagen. Wenn dabei Blut fließt, ist es nicht unsere Schuld. Die Alten haben die Möglichkeit, sich freiwillig zu beugen. Damit allein ist ein Blutvergießen zu vermeiden!«

Yezo Polestar löste den Manza vor dem Mikrofon ab.

»Die Worte meines Vorredners beweisen nur, dass er seine Lektionen in terranischer Geschichte nicht verstanden hat. Auch auf der Erde, der Welt unserer Vorfahren, gab es Zeiten, in denen man die gesellschaftlichen Probleme mit Gewalt zu lösen versuchte. Aber alle, die das taten, verurteilten ihre neue Gesellschaftsordnung stets von vornherein zum Untergang. Sie wollten auch eine Gewaltherrschaft abschütteln, aber stattdessen richteten sie immer eine noch schlimmere Gewaltherrschaft auf. Die Besiegten waren nur mit Terror niederzuhalten, aber auch die Sieger kamen nicht dazu, wenigstens für sich die Demokratie zu verwirklichen. Naturgemäß herrschten auch unter ihnen gegenteilige Meinungen. Darum regierten die jeweils Herrschenden auch ihre eigenen Reihen mit Gewalt. Sie unterdrückten andere Meinungen durch Mord und Verbannung. Ist das das erstrebenswerte Ziel für uns Oxtorner ...?«

»Wir sind hier nicht auf Terra!«, protestierte Joaqu heftig.

»Du hast nicht das Wort!«, wies Law ihn zurecht.

»Omar soll sich äußern!«, forderten mehrere Stimmen aus der Versammlung.

Omar Hawk nahm seinen Platz vor dem Mikrofon ein. Auch jetzt zwang er sich dazu, kühl und sachlich zu bleiben. Ihm lag nichts daran, seine Zuhörer emotionell zu beeinflussen. Er wollte durch Argumente überzeugen.

»Mara sagte vorhin, sie würde keine Alternative zu Joaqus Vorschlag sehen. Ich will euch die Alternative aufzeigen.

Die Alten halten in gutem Glauben ihre Gesetze und die von ihnen geschaffene Gesellschaftsordnung für richtig. Sie gehen dabei von ihrer eigenen Unzulänglichkeit aus und wollen nicht sehen, dass das, was für sie gut war, für die vierte Generation schädlich ist. Wir sind zu hundert Prozent umweltangepasst. Wozu also brauchen wir eine positronische Partnerwahl! Und wozu benötigen wir ein Gesetz, das die Ausbreitung des Menschen über die jetzige Siedlungsfläche hinaus untersagt!«

Er lächelte, als er die Spannung in den Gesichtern bemerkte.

»Was Not tut, ist keine blutige Revolution. Sie würde uns automatisch in die Barbarei zurückwerfen, in eine Barbarei des Geistes. Wir sind gegen die Diktatur der Alten, konsequenterweise sollten wir also auch alles tun, um eine Diktatur der Jungen zu vermeiden.

Was wir brauchen, ist eine Revolution der Gedanken, der Gedanken der dritten Generation. Im Grunde genommen sind sie weder schlechter noch besser als wir. Beweisen wir ihnen in der Praxis, dass ihre Gesetze veraltet sind, dass die vierte Generation fähig ist, den Planeten zu erobern und nicht nur eine Zufluchtstätte gegen die Naturgewalten zu verteidigen.

Es ist der Rat selbst, der uns die Gelegenheit dazu bietet. Wir halten uns unseren Vätern gegenüber hoch überlegen. Dokumentieren wir diese Überlegenheit, indem wir ihr Verbannungsurteil zu einer Farce degradieren. Wenn sie erkennen, dass die Verbannten etwas Neues schaffen, anstatt ›draußen‹ umzukommen, müssen sie die starren Gesetze revidieren. Etwas anderes bleibt ihnen gar nicht übrig, wenn sie sehen, dass sie mit dem Verbannungsurteil nur das erreichen, was sie damit verhindern wollten: die Ausbreitung der menschlichen Rasse über den Planeten ...!«

Als er sich setzte, fühlte er Yezos Hand, die die seine fest umschloss. Eine Welle der Sympathie und der Zuneigung zu dem Mädchen überschwemmte ihn. Sie waren einander seit langem sehr zugetan, aber heute erkannte er erst richtig, wie sehr er sie liebte. Seine Vorschläge verurteilten, wurden sie angenommen, auch Yezo zum Leben in der Wildnis. Dennoch schwankte sie nicht; sie gab ihm im Gegenteil noch etwas von ihrem Mut und ihrer Kraft ab, damit er durchhielte.

Die Diskussion ging weiter. Aber schon nach den Worten der nächsten Redner wurde klar, dass Omars Ansichten sich durchgesetzt hatten. Seine Argumente wurden fast gierig aufgenommen; schließlich wünschte niemand, gegen seine eigenen Eltern mit brutaler Gewalt vorzugehen, und darauf wären Joaqus Vorschläge hinausgegangen.

Die Schlussabstimmung brachte eine zusätzliche Überraschung.

Es gab keine Stimmenthaltungen – und keine einzige Gegenstimme zu Omars Vorschlag ...

 

Die Vorladung zum Gericht erreichte Omar Hawk am nächsten Morgen. Sie wurde durch die Telekomanlage übermittelt. Am Nachmittag, 15.30 Uhr, sollte die Verhandlung stattfinden.

Das Schlimmste daran war für Hawk, dass er seine Eltern nicht ins Vertrauen ziehen durfte. Sie kannten die Strenge des Gesetzes und wussten, dass das Urteil auf langjährige Verbannung lauten würde. Aber woher sollten sie den Glauben daran nehmen, ihr ältester Sohn könnte den Aufenthalt in der Wildnis überleben?

Kurz nach sieben Uhr verließ Omar das Haus. Das Unwetter war vorüber. Hin und wieder schwankte der Boden etwas. Es handelte sich aber nur um eine leichte Bebenwelle. Für die Kuppelbauten bestand keine Gefahr.

Die rote Sonne Illema stieg als blutiges Fanal über den Horizont. Dampfschleier wallten zwischen den Häusern empor, zogen den Bergen entgegen und lösten sich nach kurzer Zeit auf. Es war warm. Das Thermometer hatte bereits bei Sonnenaufgang sechzig Grad plus angezeigt.

Schon aus mehreren hundert Metern Entfernung vernahm Omar das Brüllen der Mamus. Ein wehmütiges Lächeln grub sich um seine Mundwinkel ein. Die Arbeit mit den größten Tieren Oxtornes war ihm ans Herz gewachsen. Es hatte viele Misserfolge gegeben, aber auch einige Erfolge. Damit war es nun vorbei; er würde die endgültige Zähmung der Mamus vielleicht nie mehr erleben. Eigentlich fügten sich die Alten selbst den größten Schaden zu, wenn sie den einzigen Tierpsychologen der Kolonie in die Wildnis jagten. Die schildkrötenartigen Monstren hatten sich an ihn gewöhnt; einen anderen würden sie kaum akzeptieren.

Der Wärter der Nachtschicht gehörte der dritten Generation an. Omar hatte sich bisher leidlich gut mit ihm verstanden. Jetzt begrüßte Bradow seinen Vorgesetzten mit finsterer Wortkargheit – aber auch mit ein wenig Verlegenheit.

Omar Hawk drückte ihm die Hand – behutsam, um die Knochen nicht zu zerbrechen.

»Sie werden auf sich allein gestellt sein, wenn Sie heute Abend zurückkehren, Bradow ...«

»Noch ist das Urteil nicht gesprochen, Hawk!«, widersprach der andere.

Omar lächelte.

»Aber beschlossen, und das ist praktisch das gleiche. Nun, es tut mir nur leid, dass ich meine Arbeit nicht zu Ende bringen kann.«

Im Gesicht des Alten zuckte es verdächtig.

»Sie müssen ein Gnadengesuch einreichen, Hawk! Der Rat ...«

Omar winkte heftig ab.

»Ich will keine Gnade, sondern Gerechtigkeit, Bradow. Was ich getan habe, kann ich nicht bereuen. Vielleicht sieht der Rat später einmal ein, dass seine Gesetze überholt sind.«

»Die Gesetze schützen die Gemeinschaft ...«

Hawk wartete ab, bis im Brüllkonzert der Mamus eine neue Pause eintrat, dann entgegnete er: »Das traf für eure Generation zu, Bradow. Für die vierte Generation haben sie die gleiche Wirkung wie ein Gesetz, das die Geburt der gezeugten Kinder verhindert. Gewiss, ein Kind kann nicht besser geschützt werden als im Körper der Mutter. Die Umwelt außerhalb wird immer unangenehmer und gefahrvoller sein. Aber Ungeborene können auch keinen Fortschritt erzielen.«

»Sie sind ungerecht, Hawk. Hat die dritte Generation nicht den größten Fortschritt der Kolonie erzielt? Haben wir nicht eine leistungsfähige Exportindustrie aufgebaut und unseren Kindern eine umfassende Bildung ermöglicht?«

»Niemand bestreitet das. Aber ihr wollt auf der Stelle stehenbleiben. Stagnation jedoch bedeutet stets Rückschritt. Warum sprecht ihr uns das ab, was ihr gegenüber der zweiten Generation so selbstverständlich beansprucht habt?«

»Weil ... weil ihr etwas ganz anderes fordert, als wir damals.«

Omar musste einsehen, dass auch Bradow nicht mit Worten zu überzeugen war. Kein Vertreter der dritten Generation vermochte die alten Denkschemata zu sprengen.

Er verabschiedete sich kurz und wandte sich dem Eingang des Geheges zu.

Durch die transparente Panzerplastscheibe hindurch beobachtete er die Tiere. Erwachsene Mamus hatten eine Körperhöhe von knapp anderthalb Metern. Dafür betrug der größte Durchmesser des ovalen, mannsstarken Schildpanzers vier Meter, der kleinste drei Meter. Der Schild reichte bis dicht über den Boden und schützte damit den Organismus des Tieres. Gleichzeitig bot er den Stürmen Oxtornes die geringste Angriffsfläche, und wenn ein Mamu seine Beinstummel einzog, steckte es praktisch in einem unzerstörbaren Gehäuse. Gegen die Impulsstrahler der Kolonisten allerdings bot auch der Rückenschild keinen Schutz.

Die Menschen der zweiten Generation hatten die Mamus zu Tausenden abgeschossen, um sich von ihrem Fleisch zu ernähren. Als Folge davon waren diese Großtiere in der Nähe der Siedlung fast ausgerottet worden. Die Überlebenden mieden Nevertheless. Sollte die Fleischversorgung nicht gänzlich zusammenbrechen, musste ein Weg gefunden werden, die Mamus zu zähmen. Das erwies sich als schwierig. Nur Omar Hawk war es gelungen, seine Schützlinge länger als ein halbes Jahr am Leben zu erhalten – und auch er hatte bisher nur eine einzige Paarung in der Gefangenschaft erreichen können.

Geduldig wartete er, bis das Elternpaar die Fütterung des einzigen Jungen beendet hatte. Mamus waren keine Säugetiere. Sie legten Eier und brüteten sie innerhalb ihres Panzers, aber außerhalb des Körpers aus. Die Eltern besaßen beide ein besonderes Aufbereitungsorgan, das die harte und zähe Pflanzennahrung zu einem klebrigen Futterbrei verarbeitete.

Augenblicklich reckte das »Baby« – es wog bereits dreieinhalb Zentner nach irdischer Umrechnung – den Kopf zum breiten Maul des Vaters. Eine geleeartige, grünliche Masse schoss ruckweise aus der väterlichen Mundöffnung und verschwand im unersättlichen Schlund des Jungtieres. Bei diesem Paar hatte übrigens der Vater das Ausbrüten übernommen, während das in der freien Natur fast immer eine Aufgabe des Muttertieres darstellte.

Als die Fütterung beendet war, lief das Kleine unwahrscheinlich flink in eine Ecke des Geheges und grub sich in den harten Boden ein.

Omar nahm den Schockstab und öffnete die Panzertür. Rasch trat er hindurch. Hinter ihm schloss sich das Tor automatisch.

Er war allein mit den Mamus.

Wie üblich schoss Vat angriffslustig auf ihn zu. Vat war ein junger Bulle. Bisher hatten die vier »unverheirateten« weiblichen Tiere ihn verschmäht, was seine Reizbarkeit erklären konnte.

Hawk rief einen harten Befehl. Er streckte dem Bullen seinen drei Meter langen Schockstab entgegen und drückte auf den Auslöseknopf. Blauweiße Blitze sprangen knatternd aus der Kugelantenne. Keiner erreichte Vat. Aber das Tier kannte die Wirkung der Elektrizität. Wenige Meter vor dem Wirkungsbereich des Schockstabes stemmte es die Stummelbeine in den Boden. Schotter und Schlamm wirbelten auf. Die roten Augen glotzten Omar noch einige Sekunden lang an. Danach trottete Vat zu den »Kühen« zurück, die ihn kühl und abweisend empfingen.

»Hallo, Pundit!«, rief Omar zärtlich.

Das Muttertier bewegte den keilförmigen Kopf ruckartig von links nach rechts und von rechts nach links. Langsam stemmte es sich hoch. Das Maul öffnete sich und ließ zwei Doppelreihen stahlharter Beißkanten sehen. Heiseres Röhren erscholl. Scheinbar ungeschickt schaukelte Pundit auf den Tierpsychologen zu. Kurz vor ihm machte sie halt und warf den Kopf empor.

Omar streckte die Hand aus und presste die Finger um die schlaffe Haut des leeren Kehlsacks. Er knetete kräftig. Ein Erdmensch wäre unter dem festen Griff seiner eisenharten Finger zerquetscht worden; für das Mamu war es eine Liebkosung. Pundit stieß schrille Laute des Entzückens aus, während Amber, ihr Gatte, eifersüchtig röchelte.

Die vier Kühe machten unterdessen gemeinsam Front gegen Vat und trieben ihn in die Ecke der anderen Bullen, die ihren Rivalen mit schnappenden Mäulern empfingen. Ernstlich kämpften die Bullen jedoch nicht miteinander. Bei gleicher Anzahl von weiblichen und männlichen Tieren gab es keine Eifersüchteleien; Mamus lebten in Monogamie.

Omar Hawk erlöste Amber endlich, in dem er seinen Futterbeutel von der Schulter nahm. Er griff hinein und riss einige Chliitableger heraus. Die eiförmigen Gebilde lebten noch. Ein Mensch, auch ein hundertprozentig umweltangepasster, musste sehr geschickt sein, um schmerzhafte Verletzungen zu vermeiden. Omar warf die Ableger in die Luft, bevor sie ihre nadelscharfen Giftstacheln in seine Haut bohren konnten. Pundit fing die Chliitableger geschickt mit dem Maul auf. Es krachte ein paar Mal, dann hatte sie den Leckerbissen verschlungen.

Amber vergaß seine Eifersucht und schob sich mit geöffnetem Maul näher. Auch er erhielt seine Portion. Natürlich waren die Mamus schon gefüttert worden. Das hatte Bradow noch erledigt. Aber einem Leckerbissen waren sie niemals abgeneigt.

Für menschliche Zärtlichkeiten allerdings hatten die anderen Mamus nichts übrig. Sie empfingen ihre Ableger aus genau berechneter Distanz. Nur Vat machte eine Ausnahme. Er reckte den Hals und schnappte nach Omars Hand. Der Tierpsychologe kannte die Scherze des Bullen jedoch zu gut, um sich überraschen zu lassen. Er wich geschickt aus, und sein Faustschlag traf den empfindlichen Halskamm Vats. Der Bulle ging mit allen acht Beinen zugleich in die Luft. Brüllend suchte er das Weite. Den ihm zugedachten Leckerbissen hatte unterdessen Pundit gefressen.

Nach dieser Einführung fiel es Omar nicht mehr allzu schwer, die Tiere zu untersuchen. Dazu musste er sich auf den Rückenpanzer schwingen. Krankheiten pflegten sich bei den Mamus stets zuerst auf dem Oberteil des Panzers zu zeigen. Doch bei keinem der Tiere entdeckte er die gefürchteten blassen Stellen. Die Panzer der Bullen glänzten wie schwarzer Lack, während die der Kühe in hellem Gelb schimmerten.

Vats Kopf verschwand völlig in der Panzerhülle, als Omar mit einem Sprung auf ihm landete. Der Tierpsychologe redete beruhigend auf das Enfant terrible seiner Schützlinge ein. Allmählich ging Vats protestierendes Grollen in ein heiseres Husten über.

Omar Hawk freute sich. Es war das erste Mal, dass Vat sich besänftigen ließ. Das musste belohnt werden. Er warf dem Jungbullen den Rest der Chliitableger zu. Blitzschnell fuhr der Kopf des Monstrums aus dem Gehäuse und schnappte zu. Zu Omars großer Verblüffung schlang das Tier den Leckerbissen jedoch nicht herunter, sondern trug ihn zu einer der Mamukühe.

Als der Tierpsychologe das Gehege verließ, schmunzelte er. Hinter ihm hatten Vat und Heroine ihr Problem gelöst. Am Verhalten der restlichen Unvermählten war zu erkennen, dass sie diesem Beispiel bald folgen würden.

Doch hinter dem Tor wurde Omars Gesicht wieder hart.

Würden seine Nachfolger imstande sein, die bisherigen Erfolge weiter auszubauen – oder war alles nur eine vorübergehende Episode gewesen ...?

Er begriff plötzlich. Es kam nicht nur darauf an, dass die Verbannten sich bewährten. Sie würden sich bald bewähren müssen.

 

Die Gerichtsverhandlung fand in der Ratskuppel statt. Niemand außer den Ratsmitgliedern und den Angeklagten durfte daran teilnehmen. Aber die Aufnahmekameras des Video-Visifons liefen und übertrugen das Ereignis in jede Wohnkuppel.