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Karamell

Ein Pferdekrimi

Ariane Gilgenberg

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2012

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

Titelbild: Ariane Gilgenberg

Innenillustrationen: Michaela Gilgenberg-Curati

ISBN: 978-3-86196-138-3 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-317-0 - E-Book

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Inhalt

Ein schrecklicher Fehler

Veilchens richtiger Riecher

Krümel, Keks und Karamell

Unerwünschter Anruf

Ein Schrecken nach dem anderen

Überraschung auf dem Mandelhof

Zweifel

Turniergeflüster

Etikettenschwindel

Giftschlangen

Herzklopfen

Auf leisen Hufen

Turnierturbulenzen

Gerechte Strafe

Die Autorin

Buchtipp

Nachwort

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*

Ein schrecklicher Fehler

Wütend feuerte Luisa die Gerte auf den Springplatz und zerrte ihren Reithelm vom Kopf. Ihre Locken fielen ihr wild zerzaust auf die Schultern und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Wieder war Luisa mit Condor, ihrem Schimmelwallach, aus der Springprüfung ausgeschieden!

Es war Anfang April. Die Frühjahrssonne ließ das zarte Grün der Bäume leuchten und den Waldboden duften. Ein herrlicher Tag für das erste Freilandturnier im Jahr. Mädchen und Jungen in weißer Reithose und dunkler Reitjacke saßen stolz auf ihren Pferden. Zahlreiche Zuschauer bevölkerten den Turnierplatz. Eltern und Großeltern standen in Scharen um den Parcours, sie wollten ihre Sprösslinge bewundern und mit ihrem Applaus beflügeln. Ab und zu schnalzte es leise aus einer Ecke, wenn das Ross nicht so wollte wie sein Reiter. Andere hoben verstohlen einen Fuß, in der Hoffnung, das Pferd damit fehlerfrei über die Hindernisse heben zu können.

Auch Luisa war mit ihren Eltern Thomas und Anna Falkenberg sowie ihrer kleinen Schwester Neele hierher gefahren. Doch der sonnige Frühjahrstag und die mitfiebernden Zuschauer halfen bei Luisa nicht.

Mit gesenktem Kopf ritt Luisa zum Pferdehänger, wo bereits ihr Vater auf sie wartete. Er blickte seiner Tochter zerknirscht entgegen.

„Papa, Papa“, schluchzte Luisa, „ich kann nichts dafür!“

„Ja meine Kleine“, tröstete sie ihr Vater, „ich weiß, ich habe alles gesehen. Du bist vollkommen richtig geritten. Es hat alles gepasst und plötzlich hat Condor den Mut verloren.“

„Condor hat Angst! Er hat Angst vor blauen Stangen. Deshalb hat er verweigert. Als ich das Hindernis noch einmal anreiten wollte, hat er schon von Weitem gescheut und dann ist er auch noch gestiegen.“ Wieder kullerten dicke Tränen über Luisas Wangen. Sie war furchtbar enttäuscht! Wie so oft war sie voller Hoffnung in den Springparcours geritten.

Aus der Ferne wurden die Falkenbergs heimlich beobachtet. „Dieses Mädchen lernt nie reiten“, schimpfte eine knochige Gestalt mit roten Haaren leise vor sich hin. „Was soll schon aus dem Kind werden. Die Eltern haben keine Ahnung von der Reiterei. Und den Bock kann man auch vergessen. Ein Stinkstiefel ist das. Schade um die Zeit, die ich in ihn gesteckt habe. Aber“, schoss es Carola durch den Kopf, „eigentlich gut für mein Geschäft. Ich könnte diesen dummen Falkenbergs eines von meinen Pferden verkaufen.“

Sie rieb sich die Hände und war schon wieder bester Laune. „Ich muss sie nur gut im Auge behalten“, raunte sie und marschierte zu ihrem Jeep. Dort nahm sie sich die Liste ihrer Verkaufspferde vor. „Ah, da ist der ungarische Braune. Der springt richtig gut. Manchmal allerdings muss ich ein wenig nachhelfen … Was könnte ich für den verlangen?“

Sie trommelte mit einem Stift auf ihrer Liste herum und überlegte. „Zu teuer darf er nicht sein, sonst kaufen sie ihn nicht. Zu billig auch nicht, sonst denken die Falken-Leute, er hätte irgendwas.“ Carola kicherte listig vor sich hin. „Kriegen die sowieso nicht raus.“

Ihr tanzten schon die vielen Scheine vor den Augen herum und sie überlegte, was sie mit dem Geld alles anfangen könnte. Endlich einmal Urlaub machen. Die Reiterei war ein Knochenjob, von dem sie sich erholen musste. Besonders dieser ungehobelte Condor hatte ihr mächtig zugesetzt. Er hatte sie mehrmals abgeworfen.

Inzwischen kam Luisas Mutter angerannt. Auf ihrem Kopf wippte eine Sonnenbrille in Schräglage. Sie brachte die Gerte und den Reithelm mit. „Luisa, mein Mädchen“, rief sie, „das war knapp. Bin ich froh, dass du nicht heruntergefallen bist!“

Liebevoll strich sie ihrer Tochter über den Rücken. Doch Luisa stieß die Hand ihrer Mutter weg. „Ich bin eben schlecht geritten“, schniefte sie unwirsch. „Wahrscheinlich waren wieder die Zügel zu lang oder sonst etwas.“

Luisas Mutter ignorierte den Zorn und wendete sich ihrem Mann zu. „Thomas, ich flehe dich an. So kann das nicht weitergehen. Mir ist das zu gefährlich! Verstehst du das?“

Luisas Vater nickte zögernd. „Wieso bleibt Condor seit einigen Wochen immer an blauen Hindernissen stehen? Und wieso führt er sich so wild auf? Was machen wir falsch?“

Plötzlich stand Pauline, Luisas Pferdefreundin, da und schaute schüchtern zu Luisa hoch. „Ich muss dir etwas sagen“, flüsterte sie.

Luisa wischte sich verstohlen die Tränen aus dem Gesicht und versuchte normal auszusehen. Ihre Eltern sonderten sich feinfühlig ab.

„Luisa, es tut mir so leid, dein Pech mit Condor.“

„Leid? Wenn man so blöd reitet wie ich?“, erwiderte Luisa patzig.

„Nein, nein, das stimmt nicht.“ Pauline machte eine Pause und fuhr sich verlegen durch die Haare. „Dein Pferd“, druckste sie, „war doch bei Carola Park zur Ausbildung? Nicht wahr?“

„Ja, und?“

„Und du weißt doch, dass ich bei ihr arbeite?“

„Ja.“

„Sie, sie“, stotterte Pauline, „sie war zu Condor sehr böse.“

Luisa riss die Augen auf. „Was?“ Hektisch sprang sie von Condor herunter. In der Magengegend spürte sie einen stechenden Schmerz. „Pauline, bitte sag mir, was los ist.“

„Luisa“, sagte Pauline noch etwas leiser, „was ich dir jetzt erzähle, muss unter uns bleiben, sonst wird Carola überall herumtratschen, dass ich lüge und dann bin ich meinen Job los.“

Luisa nickte und Pauline berichtete in allen Einzelheiten von Carolas Machenschaften.

„Aber das ist ja ganz furchtbar“, brauste Luisa auf. „Warum erzählst du mir das erst jetzt?“

„Ich habe mich nicht getraut!“

„Ja“, hauchte Luisa. Alles in ihr hatte sich zusammengezogen, ihre Brust schmerzte und sie bekam kaum noch Luft. Benommen und mit schlotternden Beinen stieg sie auf Condor. Ohne ein Wort an Pauline und ihre Eltern ritt sie davon in den angrenzenden Wald, erst ein paar Meter im Schritt, dann im zügigen Galopp. Sie ließ sich einfach von Condor tragen, vertraute seiner Wegführung. Erst als sie eine Waldlichtung erreichte, parierte sie ihn zum Schritt durch und blieb nach ein paar Metern stehen.

„Ach Condor“, weinte sie, „was hat diese Hexe mit dir gemacht? Und ich bin schuld. Ich allein. Wäre ich besser geritten, dann wärst du nie woanders hingekommen. Ich dachte, dass sie dich ausbilden wird und ich dich dann viel besser reiten kann. Aber sie hat dir nur Angst gemacht. Wie kann ich das wiedergutmachen? Könntest du nur mit mir reden.“ Condor senkte den Kopf und zupfte ein paar Grashalme ab. Luisa schaute in die Ferne. Undeutlich nahm sie ein zeterndes Vogelpärchen wahr. Ihr Bauch rebellierte erneut und ihr wurde ein bisschen übel.

Nach einer Weile richtete sich Condor wieder auf. Luisa strich seufzend über seinen Hals und wischte sich mit dem Ärmel der Reitjacke die Tränen weg. „Komm mein Guter, wir reiten zurück. Mama und Papa müssen alles erfahren.“

„Da bist du ja“, rief ihre Mutter vorwurfsvoll. „Du bist ohne Helm in den Wald geritten und warst so lange weg. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

Statt einer Antwort stieß Luisa hervor: „Mama, diese schreckliche Carola Park. Wir hätten ihr Condor nie geben dürfen.“

„Wieso?“, fragte ihr Vater.

„Pauline hat mir grausige Sachen erzählt. Sie arbeitet in dem Stall von Carola und hat alles gesehen.“

„Was gesehen?“

„Carola wollte Condor zwingen, über einen Wassergraben zu springen. Und“, Luisa schluckte, „sie hat ihn dabei richtig verprügelt. Zuerst mit einer Gerte, dann mit einer Peitsche und zum Schluss“, Luisa konnte nur noch krächzen, „hat sie es sogar mit einer Eisenstange versucht.“ Wieder brach sie in Tränen aus.

„So ist das?“ Herr Falkenberg verzog seinen Mund zu einem schmalen Strich. Seine Hände ballte er zu Fäusten, sodass die Knöchel weiß hervortraten. „Jetzt weiß ich auch, warum unser Condor seit einiger Zeit nicht mehr über blaue Stangen springen will. Alles, was blau ist, könnte ein Wassergraben sein und der ist für ihn gefährlich und schmerzvoll.“

Fassungslos ließ Luisas Mutter ihre Schultern hängen. Sie setzte sich auf die schmutzige Laderampe des Pferdehängers und stützte ihre Arme auf den angewinkelten Beinen ab. „Ich kann das alles nicht glauben. Wir haben einen großen Fehler gemacht. Diese Park hat unseren Condor ruiniert und wir haben es nicht gemerkt.“ Wut kochte in ihr hoch. Sie sprang auf, klopfte sich den Pferdemist von ihrer Jeans und schritt unruhig umher. „Verklagen müsste man die Frau! Condor ist jung, stammt aus einer guten Zucht, hat sehr viel Sprungkraft. Und jetzt?“ Nach einer Pause sagte sie gefasst: „Condor darf keinen Sprung mehr sehen. Nur so kann er vergessen, was ihm diese Park angetan hat.“

„Keinen Sprung mehr sehen?“, wiederholte Luisa. „Aber Mama, das geht nicht! Er ist doch ein Springpferd. Und ich wollte mit ihm auf die großen Jugendturniere fahren.“ Fast lautlos fügte sie hinzu: „Er kann doch nichts dafür.“

Luisas Mutter nickte stumm. Ihr Vater strich sich bedächtig über seine Bartstoppeln, lüftete seine Schirmmütze und setzte sie wieder auf. Dann tätschelte er Condors Hals und legte seine Hand auf der Mähne ab. „Luisa, wir müssen jetzt an Condor denken und an das, was für ihn gut ist.“ Er zögerte. „Condor ist schick. Er könnte auch im Dressurviereck Punkte sammeln. Da gibt es keine gefährlichen blauen Hindernisse. Was meinst du, könnte der Schimmel einem Dressur-Mädchen Freude schenken? Vielleicht finden wir jemanden in unserem Stall, der Condor ausbildet. Oder“, und in seinem Gesicht zuckte es ein wenig, „oder wir verkaufen ihn.“

„Nein, Papa, nein, niemals!“, schrie Luisa verzweifelt auf. „Du darfst ihn nicht verkaufen. Bitte Papa. Ich habe ihn doch so lieb. Er ist doch mein Condor!“

„Ist schon gut Luisa“, versuchte er seine Tochter zu beruhigen, „aber wir müssen darüber reden, wie es weitergehen soll.“

„Gar nicht, es geht gar nicht weiter“, entgegnete Luisa heftig. Sie beugte sich vornüber und umarmte Condors Hals, als wollte sie ihn für immer festhalten. Leise kullerten Tränen aus ihren Augen und versickerten in seiner schwarzen Mähne.

Luisas Mutter tat der Anblick ihrer Tochter unendlich weh. Sie wendete sich ab und schaute nach unten. Ihre Hände stemmte sie in die Hüften, mit der Kante ihrer grauen Turnschuhe ritzte sie kleine Furchen in den weichen Waldboden und schob sie wieder zu. Langsam drehte sie sich um. Sie hatte einen Entschluss gefasst.

„Luisa, wir werden nach einem anderen Springpferd für dich Ausschau halten!“

„Was? Ich will kein anderes Pferd, ich will nur Condor.“

„Luisa, ich habe Angst um dich. Condor ist panisch. Er steigt und dabei ist schnell etwas passiert. Ich will und kann die gefährlichen Ritte mit ihm nicht mit ansehen. Wir werden uns umhören, ein paar Telefonate führen. Vielleicht haben wir Glück und finden ein gutes Jugendpferd.“

„Ach, die gibt es doch gar nicht. Ich will kein anderes Pferd haben. Wäre ich besser geritten, hätten wir Condor nicht zu der Park gebracht. Also liegt alles nur an mir. Ich habe alles falsch gemacht!“

„Das glaube ich nicht“, wehrte ihr Vater nachdrücklich ab. „Diese Frau hat Condors Vertrauen zerstört!“

Das waren eindeutige Worte. Alle hatten ein mulmiges Gefühl im Bauch. Luisa, die noch immer auf Condor saß, stieg zittrig von ihm herunter, nahm die Trense ab und zog ihm das Halfter an. Sie klopfte zärtlich seinen Hals und strich ihm über den Kopf. Er hatte so ein wunderbares, weiches Fell und duftete so gut. Sie würde ihn niemals hergeben. Dann würde sie nie wieder den braunen Punkt auf seiner Nase sehen. Und die drei Haare auf seiner Stirn waren so goldig. Die sollten eigentlich sein Pony sein. Aber der war bei ihm etwas dürftig ausgefallen.

Luisa nahm den Sattel herunter, legte Condor die Transportgamaschen an und führte ihn in den Pferdehänger. Dann hielt sie ihm einen Eimer Wasser vor die Nase, aus dem er gierig trank. Im Futtertrog warteten bereits Äpfel und Karotten, die er anschließend schmatzend vertilgte. Luisas Vater sah sich um. Alles war eingepackt, keine Gerte lag mehr herum. Kehrblech und Besen waren ebenfalls verstaut. Luisa riss unwirsch die Autotür auf.

Da sagte ihre Mutter hastig: „Was haltet ihr davon? Wollen wir uns hier nicht alle noch ein bisschen zusammensetzen und wenigstens ein Stück Kuchen essen? Eben habe ich gesehen, wie eine großartige Erdbeerrolle an der Tortenbar abgegeben wurde. Vielleicht gibt es noch etwas davon.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort. „Suchst du bitte deine Schwester und sagst ihr Bescheid? Sonst verpasst sie den Erdbeerkuchen.“

Luisa gab keinen Ton von sich. Sie mochte jetzt nichts essen. Aber nach Hause fahren, das mochte sie auch nicht. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken. Papa wollte Condor verkaufen. Mama wollte ein neues Pferd kaufen. Aber was sie selbst wollte, danach hatte keiner gefragt.

Missmutig kickte sie ein paar Tannenzapfen vor sich her. Betont langsam zog sie ihr Jackett aus, streifte sich die weißen Reithandschuhe von den Händen und schlüpfte in einen gemütlichen Pullover. Die steifen Reitstiefel tauschte sie gegen ein paar heruntergetretene Turnschuhe aus. Dann machte sie sich mit Umwegen auf die Suche nach ihrer Schwester. Sie fand Neele am Pferdehänger ihrer Freundin Hanna, die vergeblich versuchte, ihre störrischen Haare unter den Reithelm zu stopfen. Neben ihr stand Klaus Jungholz, Hannas Vater, der damit beschäftigt war, Diamant zu satteln. Ihm gehörte die Reitanlage Mandelhof, auf dem auch Condor und Topsi, das Pony ihrer Schwester, standen.

„Na Luisa“, grüßte Herr Jungholz fröhlich, „wie ist es bei dir gelaufen?“

„War wieder nichts“, grummelte Luisa.

„Ach, das wird schon wieder.“

„Letzte Woche bei dem Hallenturnier hat bei mir auch nichts geklappt“, erzählte Hanna. „Diamant war schlecht gelaunt, ging überhaupt nicht vorwärts. Irgendetwas hat ihm nicht gepasst.“

„Vielleicht tut ihm etwas weh? Oder er hat sich verrenkt?“

„Ach, das glaube ich nicht. Der spinnt eben ein bisschen. Und stell dir vor, diese Stute von der Rücker, das neue Superpferd, ist dauernd stehen geblieben.

„Meinst du die Sabrina Rücker?“, fragte Luisa.

„Ja, ja diese eingebildete Tante. Hält sich für etwas Besseres, weil sie von ihrem Vater ein teures Pferd gekauft bekommen hat. Die glaubt, dass mit so einem Pferd alles wie von selbst geht und sie ganz groß rauskommt.“

„Würde mich nicht wundern, wenn sie damit ein ganz kleines bisschen danebenliegt. Die ist schon mit ihrem Pony schrecklich geritten. Wer weiß, wie oft sie den ins Hindernis hineingesetzt hat. Und der arme Kerl hat das auch noch mitgemacht. Das neue Pferd ist bestimmt anderes gewöhnt.“

„Vielleicht nimmt sie jetzt Reitstunden.“

„Training ist für die doch ein Fremdwort“, schimpfte Luisa. „Dafür hat sie ihre Leute. Die sitzt nur am Wochenende zum Turnier auf ihrem Pferd. Und bevor der Gaul merkt, wer auf ihm hockt, ist der Parcours vorbei.“

Luisa war plötzlich so in Fahrt, dass sie ihr eigenes Unglück fast vergessen hatte. Nach ihrer Auffassung musste sich jeder Reiter selbst, und zwar jeden Tag, um sein Pferd kümmern, wollte er Erfolg im Reitsport haben. Alles andere war unehrlich und unfair.

„Dabei könnte die Sabrina ein paar mehr Reitstunden ganz gut vertragen“, feixte Hanna, „so fett, wie sie ist.“ Sie klopfte mit der Springgerte auf den Schultern ihres Vaters herum.

„Papa, meine weiße Reithose ist schon wieder zu klein. Sie kneift überall.“

„Dann musst du weniger essen, damit du nicht so dick wirst wie diese Sabrina“, neckte ihr Vater sie und hielt die Hände über den Kopf.

„Papa, gib gut acht.“ Hanna schwang drohend die Gerte.

Herr Jungholz lachte und hob seine Tochter aufs Pferd. Die beiden machten sich mit Diamant auf den Weg zum Reitplatz.

Kaum hörbar rief Luisa ihnen nach: „Papa will Condor verkaufen!“

Traurig schleifte Luisa ihre Schwester hinter sich her.„Mama will Kuchen essen!“

„He, lass mich los, du tust mir weh“, meckerte Neele.

„Dann komm mit und bummele nicht herum“, knurrte Luisa.

Während Herr Falkenberg zusammen mit seinen Töchtern freie Sitzplätze suchte, jonglierte seine Frau die Tortenstücke und Getränke durch die Zuschauerreihen.

„Vielleicht lässt es sich so ein bisschen besser über die Zukunft nachdenken“, erklärte sie und setzte sich an den Tisch. Aber Luisa stocherte nur in ihrem Kuchen herum.

Auch ihr Vater nahm nur einen Bissen und legte die Gabel wieder beiseite. Ihm machte die Sache mit Condor sehr zu schaffen. Natürlich war der Reitsport nur ein Hobby. Aber genau deshalb sollte er nicht von Kummer begleitet sein, sondern Freude bereiten. Seine Töchter hatten ihn und seine Frau ganz in den Bann der Pferdewelt gezogen. Sie beide fieberten immer mit ihnen mit und erfreuten sich an ihren Fortschritten. Die letzten Wochen waren allerdings weniger schön gewesen, was Luisa betraf.

Wie konnte er ihr nur helfen? Welcher Weg war der richtige?

Neele wusste mit der muffigen Stimmung nichts anzufangen. „Was habt ihr denn alle?“, fragte sie.

„Es gibt eine ganze Menge Probleme, alles nicht so einfach“, seufzte ihr Vater. Er umfasste seinen dampfenden Kaffeebecher und berichtete nach und nach von Condors und damit auch von Luisas Unglück.

„Der arme Condor“, pflichte Neele bei. „So eine gemeine Frau. Was passiert denn jetzt mit ihm?“

Als keiner eine Antwort wusste, beschloss sie: „Dann muss Luisa mit dem Springreiten aufhören und Dressurreiterin werden!“

„Ich will aber keine Dressurreiterin werden“, empörte sich Luisa. „Das ist total langweilig. Dann höre ich lieber ganz auf zu reiten.“

„Wenn du aufhören willst zu reiten, dann kann ich Condor zum Dressurpferd ausbilden“, konterte sie fröhlich.

„Den bekommst du nie! Außerdem bist du viel zu klein für ihn.“

„Wieso? Ich bin zehn Jahre alt, du bist nur zwei Jahre älter als ich.“

„Vielleicht ist die Idee gar nicht schlecht“, schaltete sich Luisas Mutter ein.

„Aber dann hat Neele zwei Pferde. Und ich habe gar keins.“

„Du willst ja auch keines“, erwiderte Neele.

„Doch, ich will Condor und keinen anderen.“

„Ja“, beruhigte sie ihr Vater, „das habe ich begriffen. Wir werden dir Condor nicht wegnehmen. Ehrenwort! Du brauchst keine Angst zu haben. Aber ich glaube, es ist besser, ein anderes Mal weiterzudiskutieren.“ Er legte seine Hand auf ihren Arm. „Denk über alles nach.“

Luisa Gesicht entspannte sich ein wenig und sie zog den Arm unter der Hand ihres Vaters weg. Aus dem zerbröselten Kuchen pickte sie die Erdbeeren heraus und leerte danach ihre Cola. Immerhin wollten ihre Eltern Condor jetzt nicht mehr verkaufen. Aber was sollte jetzt geschehen? Alle ihre Pläne waren mit einem Schlag zerstört!

Unterdessen holperte der Pferdehänger von Sabrina und ihren Eltern auf das Turniergelände. Erst vor wenigen Wochen hatte Herr Rücker seiner Tochter ein neues Pferd gekauft, die Stute Tosca.

Zugegeben, das Pferd war nicht ganz preiswert gewesen, aber Martin Rücker liebte seine Tochter sehr und sonnte sich gerne in ihrem Glanz. Und ganz nebenbei wollte er natürlich nur das Beste für sie. Fast drei Jahre hatte Sabrina auf einem Haflinger-Pony gesessen, das mehr an gemütlichen Ausritten interessiert war als am Springen über Hindernisse. Mit Mühe, vor allem aber mit ein paar untergeschobenen Geldscheinen bei den Prüfungsrichtern hatte es Sabrina geschafft, einige Turniererfolge zu erringen, die ihr die Aufnahme in den Kader ermöglichten. Der Vorstand des Pferdesportverbandes signalisierte Herrn Rücker jedoch, dass Sabrina mit diesem Pony wenig Zukunftsaussichten habe und man lieber andere Ponys in den Kader aufnehmen würde, die sich besser präsentieren würden.

Martin Rücker versuchte es erneut mit der bewährten Taktik. Dummerweise widersetzten sich diese Verbandstrottel einer finanziellen Unterstützung. Es half also nur eines. Ein richtiger Knaller musste her. Sein Baugeschäft lief gut und so fiel es ihm nicht schwer, für Sabrina ein anständiges Pferd zu kaufen. Das war der Familie auf Anhieb gelungen. Tosca konnte alles, war viele sehr hohe Springen gegangen. Also schlussfolgerte er, dass Sabrina dieses Pferd nur noch durch den Hindernisparcours lenken musste. Der Rest erledigte sich von selbst.

Herr Rücker war selbst nie geritten, überhaupt war er recht unsportlich, was bei seiner untersetzten Figur auch nicht verwunderlich war. Aber er mochte die edlen Tiere und die stilvolle Atmosphäre um den Reitsport, genau wie seine Frau.

Auch sie schätzte den noblen Dunstkreis, der zog Geld und Klasse an. Und das war nicht zuletzt für das Baugeschäft interessant.

Herr Rücker kreiste mit dem Pferdehänger bereits zum zweiten Mal über den Parkplatz des Turniergeländes und fand keine Lücke. Es war brechend voll. Ihm schwoll bereits der Kamm, als Sabrina rief: „Papa, guck da hinten ist noch etwas frei.“

Er reckte seinen kurzen Hals. „Wo, ich sehe nichts.“

„Da hinten steht der gelbe Jeep von Carola Park. Daneben ist noch etwas frei.“

„Na, endlich. Ein drittes Mal wäre ich nicht hier herumgefahren.“ Etwas gnädiger meinte er jetzt: „Das passt gut. Dann ist Frau Park nicht weit weg und kann dir ein paar Tipps für die Springprüfung geben.“

„Später, jetzt gehe ich zuerst eine Bratwurst mit Pommes frites essen.“ Schnell sprang sie aus dem Geländewagen heraus und machte sich auf den Weg zur Würstchenbude.

„Sabrina, wir haben gerade erst zu Mittag gegessen“, zeterte ihre Mutter. „Denk ein bisschen an deine Figur. Nimm wenigstens keine Mayonnaise zu den Pommes frites.“

Sabrina winkte ab und folgte dem Duft von heißem Fett und Fleisch. Ach, wie gut das roch, dachte Sabrina. Ohne eine Bratwurst lief nichts. Die musste einfach sein, auch wenn sie manchmal Bauchschmerzen davon bekam. Die Gier war einfach zu groß.

Ihre Mutter konnte das nicht verstehen. Die war schlank, aß immer gesundes Grünzeug. Sie selbst hatte dagegen immer Hunger, wie ihr Vater, und von ihm auch die Figur. Nur das kräftige blonde Haar, um das sie alle beneideten, hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Ganz in Gedanken flocht sie einen dicken Zopf, den sie mit Schwung nach hinten schmiss. Dann gab sie ihre Bestellung auf.

Sabrina ging mit ihrem voll beladenen Teller an einen Tisch, an dem auch Pauline mit einem Stück Kuchen saß. Sie hatte Pauline bei Carola Park kennengelernt und sich ein bisschen mit ihr angefreundet. Pauline war so alt wie sie, dreizehn, und immer sehr hilfsbereit und freundlich. Na ja, sie musste eben Geld verdienen und ihr Vater hatte Pauline den einen oder anderen Geldschein zugesteckt. Sabrina hatte das Gefühl, von Pauline bewundert zu werden, zu Recht wie sie fand, und das gefiel ihr.

„Hallo Pauline, reitest du auch heute hier oder musst du der Park helfen?“

„Nein, ich bin heute nur für Carola hier. Sie will nachher ein junges Pferd vorstellen. Das ist etwas zappelig und ich soll ihr beim Satteln zur Hand gehen.“

„Mmh“, antwortete Sabrina mit vollem Mund. „Wann fängt die Prüfung an?“

Pauline sah auf die Uhr und sprang auf. „Oh, jetzt gleich. Ich muss zu ihr gehen, viel Glück mit Tosca.“

„Wird kein Problem sein“, gab Sabrina blasiert zurück.

Als Pauline verschwunden war, sah Sabrina, dass die Familie Falkenberg zwei Tische weiter saß. Luisa hatte rot geränderte Augen und die Eltern guckten ernst. Nur die kleine Neele sah normal aus. Was da wohl los war? Mitleid hatte sie keines. Sie konnte Luisa nicht leiden und hatte mit ihr schon mächtigen Ärger gehabt. Immer musste die sich in alles einmischen. Die hielt sich für den großen Pferde-Guru. Von Pauline wusste sie, dass sich Luisa für jede Woche einen Reitplan machte, jeden Tag auf ihrem Pferd saß und dauernd Reitunterricht nahm, sogar Dressurunterricht. Dressurunterricht bei einem Springpferd! Die tickte ja nicht ganz richtig! Ach, was dachte sie überhaupt darüber nach? Die mit ihrem Condor kam ihr sowieso nicht mehr in die Quere. Der Bock blieb überall stehen. Sie dagegen würde mit ihrer neuen Stute alle schlagen und brauchte sich dafür noch nicht einmal anzustrengen. Eine wohlige Wärme durchströmte ihren Körper.

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Veilchens richtiger Riecher