Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2020

Covergestaltung: Sina Brinkmann, Hamburg (http://www.sinabrinkmann.de), unter Verwendung einer Illustration von One Line Man (http://www.shutterstock.com)

Fotos: Frank Lindecke-Klein (Meditationshaltungen), Silke Brand

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2020

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-948-7

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0124-3 (EPUB), 978-3-7495-0126-7 (PDF),  978-3-7495-0125-0 (MOBI).

Danksagung

Ein riesengroßes DANKE

… an meine Eltern, die mich so liebevoll und unterstützend auf den Weg gebracht haben.

… an meine Familie und alle Freunde, die mich in den vergangenen Monaten mit dem Buch „teilen“ mussten und dieses Projekt mit Interesse, Wohlwollen, Großzügigkeit und Nachsicht mitgetragen haben.

… an meine Schwester Sina Brinkmann, die meinen Ideen mal wieder eine starke Optik verliehen hat.

… an Petra Sontheimer, Gisela Henn-Mertens, Markus Brand, Philipp Sander, Petra Gütgemann, Andreas Kabisch, Kristina Evers, Ralph Goldschmidt und Dr. Claudius Fehlandt, die mit Herzblut und Sachverstand zur Qualität dieses Textes beigetragen haben.

… an Annette Auch-Schwelk, die mich zu diesem Buchprojekt inspiriert hat.

… an Herrn Dr. Dietrich und den Junfermann Verlag für die verlässliche, engagierte, fördernde und fordernde Begleitung.

… an alle Menschen, die ihre persönlichen Erfahrungen mit mir geteilt haben.

… an alle Menschen, die mir als Begleiterin ihr Vertrauen geschenkt haben.

… an alle Menschen, von denen ich bisher in meinem Leben lernen durfte.

Vorwort

der Autorin

Liebe Leserin, lieber Leser,2 herzlich willkommen zu dieser Lektüre!

Wahrscheinlich fühlen Sie sich auf irgendeine Art beschwerter, als Sie sich fühlen möchten, sonst hätten Sie dieses Buch nicht zur Hand genommen.

Oder Sie kennen eine Person, die schwer an Groll und Verbitterung trägt und fühlen mit ihr.

Wahrscheinlich ist da eine Sehnsucht nach Leichtigkeit, nach Frieden, nach Ruhe da oben in der Gedankenmaschine. Eine Sehnsucht nach Verbindung zu anderen Menschen. Nach Herzenswärme und Unkompliziertheit. Nach Erleichterung und Neuanfang.

Vielen Menschen geht das so, deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Die Phänomene Groll und Verbitterung sind mir schon so häufig als Hindernis auf dem Weg zu Lösung, Verständigung und Heilung begegnet – sowohl persönlich als auch beruflich in meiner Funktion als Menschenbegleiterin.

Vielfach habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich dieses Hindernis durch eine Kombination aus verschiedenen Zutaten aufweichen lässt. Im Wesentlichen besteht dieses Rezept aus Achtsamkeit, Mitgefühl mit sich selbst und anderen, psychischer Flexibilität, Weisheit und gewaltfreier Kommunikation.

Ich bin ausgiebig in Fachliteratur sowie in spirituelle Ansätze eingetaucht und habe meine Erkenntnisse theoretisch untermauert, um sie schließlich für Sie in dieses handliche 10-Schritte-Programm zu gießen.

Mögen Sie es zukünftig leicht haben! Das wünsche ich Ihnen von Herzen.

„Es war in Thailand vor vielen Jahren, als Ajahn Chah eines Tages von seinem allmorgendlichen Almosengang zurückkehrte, am Wegesrand einen Stock aufhob und fragte: ,Wie schwer ist dieser Stock?‘ Bevor noch irgendjemand antworten konnte, warf Ajahn Chah den Stock in die Büsche und sagte: ‚Schwer ist ein Stock nur, solange ihr ihn festhaltet. Sobald ihr ihn wegwerft, ist sein Gewicht dahin.‘“

aus: Anja Brahm, Der Elefant, der das Glück vergaß. Buddhistische Geschichten, um Freude in jedem Moment zu finden (© Lotos Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Übersetzung: Karin Weingart)


2  Zwecks besserer Lesbarkeit habe ich mich dazu entschlossen, auf die genderneutrale *-Schreibweise zu verzichten. Selbstverständlich sind jedes Mal, wenn eine männliche bzw. weibliche Form verwendet wird, die jeweils anderen Geschlechter mit gemeint.

Einleitung

„Mein Vater ist ein Vollpfosten. Ich wünsche ihm einen angenehmen Unfalltod.“ „Ich komme mit der Dummheit der Menschen einfach nicht klar.“ „Mein Lebensgefühl ist Krieg.“ (Timo, 46 Jahre)

„Warum sollte ich mich bei meinen Freunden melden? Die sind doch alle mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.“ (Marlene, 72 Jahre)

„Ich komm schon allein klar.“ (Eva, 45 Jahre)

„Alle Männer sind Schweine.“ (Katharina, 30 Jahre)

„Es hat keinen Zweck, sich zu wehren. Sie wird nur noch wütender und lässt dann alles an den Kindern aus. Und in unserem Rechtssystem habe ich als Vater sowieso keine Chance.“ (Christian, 52 Jahre)

„Ich konnte kaum stehen, aber das interessierte die Weißkittel nicht im Geringsten.“ (Margit, 67 Jahre)

 

Menschen können in vielerlei Hinsicht zum Opfer werden, etwa durch Naturkatastrophen, Krankheiten, Unfälle, Verlust, Trennung, aber auch durch Fehlverhalten Dritter, z. B. Ungerechtigkeiten in politischen, beruflichen und familiären Systemen, körperliche Gewalt, Vertrauensbrüche, Vernachlässigung, Nichtbeachtung, Ausgrenzung, Bloßstellung, Beschämung oder Herabwürdigung.

Dabei sind die Karten des Lebens nicht gerecht verteilt. Manche Menschen werden häufiger zum Opfer als andere.

Ein Unrecht persönlich nehmen = gekränkt sein. Wenn Menschen zum Opfer werden, entsteht eine Art seelischer Wundschmerz oder auch „Kränkungsschmerz“. Der Begriff Kränkung stammt vom mittelhochdeutschen Begriff „krenken“ = beugen, schwächen, schädigen, erniedrigen (vgl. Wardetzki, 2014). Wir fühlen uns gekränkt, wenn unser Selbstbild bzw. Weltbild durch erlebtes Unrecht beschädigt wird. In dem Moment werden bestimmte Grundbedürfnisse, wie z. B. Unversehrtheit, Zugehörigkeit, Respekt, Beachtung oder Anerkennung, stark frustriert. Je persönlicher ein Mensch das erlebte Unrecht nimmt, desto größer ist seine Kränkung.

Zum Glück steht uns Menschen grundsätzlich ein großes Repertoire an Verarbeitungsmechanismen für solche Frustrationen zur Verfügung. In den meisten Fällen können wir dank unserer sogenannten psychologischen Flexibilität solche Erlebnisse ganz passabel verarbeiten.

Manchmal heilt eine solche Kränkungswunde jedoch nicht vollständig, es bleiben unverarbeitete Reste in Form von Groll übrig und erzeugen inneren Schmerz.

Konservierter Kränkungsschmerz = Groll. Groll wird definiert als „… zurückgestauter Unwille, der durch innere oder äußere Widerstände daran gehindert ist, sich nach außen zu entladen, und Verbitterung hervorruft …“ (vgl. Duden, 2019). Die Gefühle, die infolge einer Kränkung entstanden sind (v. a. Wut, Trauer und Enttäuschung), haben sich verselbstständigt. Diese Gefühle haben ihren ursprünglichen Zweck verfehlt, nämlich uns auf einen Missstand hinzuweisen, uns zu ermächtigen, uns zu wehren, zu verteidigen, zu beschweren, uns zu schützen oder einfach unsere Verletzung dem Gegenüber zu äußern. Wir halten stattdessen an der Verletzung fest und lassen sie nicht los. Groll ist die konservierte Wut auf kränkende Erlebnisse aus der Vergangenheit. Daher nehmen diese Ereignisse auch weit nach dem kränkenden Ereignis noch einen großen Stellenwert in unserem Erleben ein. Es ist, als ob wir Fotos noch nicht in ein Album eingeklebt haben und sie uns immer wieder unfreiwillig in die Hände fallen. Groll liegt wie altes Gerümpel auf der Seele!

Prof. Fred Luskin, der an der Stanford University ein Vergebungsprogramm entwickelt hat, nennt folgende Zutaten für das Phänomen Groll (Luskin, 2003, S. 17): „Sie haben etwas zu persönlich genommen, Sie haben der Person, die Sie verletzt hat, die Schuld an Ihren negativen Gefühlen gegeben, Sie haben eine Leidensgeschichte kreiert.“

Luskin vergleicht Grollgefühle mit Flugzeugen, die seit Tagen, Wochen und Jahren auf dem Bildschirm eines gestressten Fluglotsen kreisen und den Luftraum blockieren. Sie wollen einfach nicht landen!

Selbstschutz vor Kränkungsschmerz = Verbitterung. Wenn Menschen über erlebtes Unrecht verbittern, so kann das als eine unbewusste psychologische Notwehrreaktion betrachtet werden, um den Kränkungsschmerz nicht zu spüren, frei nach dem Motto: „Besser verbittert als verletzlich!“

Die folgende Abbildung zeigt die verschiedenen Stadien des Verbitterungsprozesses:

Abbildung 0.1: Entstehung von Verbitterung

Menschen unterscheiden sich in ihrem Verbitterungspotenzial: Dieses scheint vor allem davon abzuhängen, wie persönlich ein Mensch erlebtes Unrecht nimmt und inwiefern durch das Ereignis zentrale Grundannahmen verletzt wurden: Je höher und absoluter die eigenen Erwartungen und moralischen Ansprüche („Die Welt muss gerecht sein!“ „Partner dürfen nicht lügen!“ „Ärzte müssen Patienten immer auf Augenhöhe behandeln!“ „Chefs müssen immer kompetent sein!“ „Ich muss immer willkommen sein!“ „Freundinnen müssen immer ein offenes Ohr haben!“), desto wahrscheinlicher ist es, dass Ereignisse als herabwürdigend oder ungerecht eingestuft werden. Und desto wahrscheinlicher ist es dann, dass man gekränkt ist, Groll ansammelt und verbittert.

Verbitterung hat viele Gesichter. Woran erkennt man sie?

Man selbst erkennt Verbitterung womöglich daran, dass man über ein Thema oder eine Person am liebsten gar nicht reden will, schnell das Thema wechselt oder dass einem nur negative Dinge dazu einfallen. Vielleicht erkennt man sich selbst nicht mehr wieder, weil man, auf dieses Thema angesprochen, unwillkürlich Giftpfeile abfeuert und damit das Gesprächsklima „vergiftet“.

Von außen bemerken es andere an einer Veränderung des Tons: Er wird schärfer, bissiger. Ironie, Zynismus oder Sarkasmus können Anzeichen dafür sein, dass jemand in Bezug auf ein Thema oder eine Person verbittert ist. Man wundert sich, dass derjenige gar nicht an einer Lösung des Problems interessiert zu sein scheint. Als Gegenüber spürt man, dass man an diesem Punkt besser das Thema wechseln sollte. Oder die Person klammert ein Thema unnatürlicherweise ganz aus. Beim Gegenüber entsteht dann so etwas wie ein diffuses „Tretminengefühl“.

Verbitterung – ein Schatten, der sich auf die Lebensfreude legt

Verbitterung kann sich wie ein Schatten auf die Lebensfreude legen. Gefühle wie Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung und Ärger nehmen einen überdimensionalen Raum ein. Verbitterung ist daher auch ein möglicher Risikofaktor für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen, wie z. B. Bluthochdruck, Magen-Darm-Beschwerden oder Depressionen.

Verbitterung führt zu erhöhter Aggressivität. Die meisten Verbitterten berichten von Rachefantasien. Rachewut ist ein gängiges Motiv für aggressives Verhalten bis hin zu Amokläufen oder erweiterten Suiziden.3 Bekannte Beispiele aus der Literatur sind Kain, der seinen Bruder erschlägt, oder Michael Kohlhaas, der einen regelrechten Rachefeldzug veranstaltet.

Warum sollten wir uns von Verbitterung befreien?

Entbitterung: Sich von Groll und Verbitterung befreien

Genauso wie wir Menschen über erlebtes Unrecht ver-bittern können, sind wir auch in der Lage, uns wieder zu ent-bittern. Aus meinen Erfahrungen als Mensch und Menschenbegleiterin habe ich vor allem Folgendes über das Thema Entbitterung gelernt:

In diesem Buch habe ich modernes und wissenschaftlich fundiertes psychologisches Fachwissen4 mit meinem Erfahrungswissen und spirituellen Ansätzen kombiniert und für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zu einem konkreten 10-Schritte-Entbitterungs-Programm aufbereitet, damit Sie sich selbst leichter entbittern – oder andere Menschen zur Entbitterung inspirieren – können.

Falls Ihre Kränkungswunde zu sehr schmerzt, um dieses Programm in Eigenregie durchzuführen, oder Sie neben Ihrer Verbitterung auch unter starken psychosomatischen Beschwerden leiden, empfehle ich Ihnen, dieses Programm mit weiteren professionellen Angeboten zu kombinieren, sei es mit einer ambulanten Psychotherapie oder einem Coaching.

Vielleicht möchten Sie sich durch ein maßgeschneidertes „Unbeschwert leben©“-Coaching auf Ihrem Weg zur Entbitterung begleiten lassen?

Informationen zu Begleit- und Zusatzangeboten finden Sie unter https://praxisdrbrand.de/unbeschwert-leben.

Fallbeispiele

Um die Themen Verbitterung und Entbitterung für Sie lebendig darstellen zu können, habe ich Menschen, die von Verbitterung betroffen waren und sich davon befreien konnten, genauer zu ihren Erfahrungen, Strategien und Erfolgsrezepten befragt. Die ausführlichen Originalantworten finden Sie im Anhang. Um die Bandbreite des Phänomens Verbitterung aufzuzeigen, habe ich noch fiktive Fallbeispiele hinzugefügt, die sich aus verschiedenen Personen zusammensetzen oder aus der Literatur stammen.

Timo (46), Opfer körperlicher und emotionaler elterlicher Gewalt und Vernachlässigung

Margit (67), Opfer einer seltenen chronischen Erkrankung

Christian (52), Opfer ehelicher Gewalt und Manipulation

Jörg (53), Opfer von Willkür und Täuschung

Martin (49), Opfer von schlechten Erfahrungen mit Dienstleistern

Katharina* (30), Opfer von Vertrauensbruch in der Partnerschaft

Sabine* (54), Opfer von Mobbing im Kollegium

Eva* (45), Opfer der psychischen Erkrankung ihrer Mutter

Marlene* (72), Opfer mehrerer Todesfälle

Michael**, Opfer von Betrug und Rechtsversagen5


3   Bei einem erweiterten Suizid tötet man zuerst andere Personen und danach sich selbst.

4   Im Wesentlichen sind das die modernen Therapiemethoden der Dritten Welle der Verhaltenstherapie: Achtsamkeitsbasierte Therapieformen wie das Mindfulness Stress Reduction Training (MBSR) nach Kabat-Zinn und Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT) nach Teasdale; mitgefühlsorientierte Therapieformen wie die Mindfulness Self Compassion Therapy (MSC) von Neff und Germer und die Compassion Focused Therapy (CFT) von Gilbert; die Schematherapie nach Young, die Acceptance & Commitment Therapy (ACT) nach Hayes, das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) nach Mc Collough sowie die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) nach Linehan; der Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg, die speziell für die Verbitterungsstörung entwickelte Weisheitstherapie nach Linden; traumatherapeutische Ansätze wie das Eye Movement Desentization and Reprocessing, (EMDR) nach Shapiro; der Embodiment-Ansatz (Storch) sowie Modelle aus der systemischen Beratung und Therapie (Stewart, Schulz von Thun).

5   * = Dieses Fallbeispiel setzt sich aus mehreren Personen zusammen und ist daher fiktiv.

   ** = Hierbei handelt es sich um ein literarisches Fallbeispiel.

Einführung: Das Phänomen Verbitterung

Verbittert ist der schwer zu Versöhnende, der lange Zeit den Zorn festhält; er verschließt die Erregung in seinem Inneren und hört erst damit auf, wenn er Vergeltung geübt hat. Denn geübte Vergeltung beschwichtigt die Erregung, indem sie das Gefühl des Schmerzes durch ein Gefühl der Befriedigung ersetzt. Geschieht das nicht, so wirkt der Druck weiter. Denn da die Erregung nicht offen heraustritt, so kann einem solchen auch keiner gut zureden, innerlich aber die Erregung zu verarbeiten, dazu braucht es Zeit. Diese Art von Menschen ist sich selbst und den vertrautesten Freunden die schwerste Last.

aus: Aristoteles, Nikomachische Ethik

Aristoteles beschrieb bereits vor mehr als 2000 Jahren das Phänomen Verbitterung sehr anschaulich in seinen verschiedenen Facetten. Aktuelle Forschungsarbeiten6 bestätigen und ergänzen seine Überlegungen, so dass das Phänomen Verbitterung heutzutage folgendermaßen beschrieben werden kann:

Mithilfe der verhaltenstherapeutischen Sicht lässt sich das Phänomen Verbitterung in verschiedene Ebenen aufschlüsseln. In Abbildung 0.2 (siehe unten) finden Sie eine solche Beschreibung: Verbitterung beginnt immer mit einer Auslösesituation, die als ein Unrecht empfunden wird. Die Verbitterungsreaktion auf das wahrgenommene Unrecht, die dann erfolgt, wenn die Kränkung nicht konstruktiv bewältigt wird und sich Groll herausbildet (vgl. Kapitel Einleitung, Abbildung 0.1), lässt sich auf den Ebenen Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und Verhalten folgendermaßen beschreiben:

Auslösesituation: erlebtes Unrecht

Bedrohung von existenzieller Sicherheit und Unversehrtheit (Gefahr für Leib, Leben und Existenz)

z. B. Naturkatastrophen, Unfälle, Krieg, Attentate, andere Gewalttaten, Verbrechen, schwere, seltene und unheilbare Krankheiten, Jobverlust, Armut, Insolvenz

Bedrohung von Sicherheit
und Vertrauen in Beziehungen

z. B. Verlassenwerden durch Tod oder Trennung, Betrogenwerden, Ausgenutztwerden, Belogenwerden, alle Arten von Vertrauensbrüchen

Bedrohung des Selbstwerts
durch das Verhalten anderer

z. B. Benachteiligen, Übervorteilen, Ausgrenzen, Übergehen, Nichtwürdigen, Missverstehen, Nichternstnehmen, Bloßstellen, Mobbing

Verbitterungsreaktion

Gedanken

Wie konnte der nur! Das ist nicht zu fassen! Ich kann es nicht glauben! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Warum gerade ich? So eine Frechheit! Ich verliere den Glauben! Das war’s dann! Wer nicht will, der hat schon. Der braucht gar nicht mehr bei mir anzukommen! Der wird schon sehen, was er davon hat! Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein! Das hat doch eh keinen Zweck. Vergiss es!

Gefühle

frustriert, enttäuscht, überrascht, konsterniert, vor den Kopf gestoßen, fassungslos, verstört, hilflos, hoffnungslos, ohnmächtig, traurig, herabgestimmt, bedrückt, beschämt, wertlos, resigniert, fatalistisch, wütend, ärgerlich, zornig, hasserfüllt

Körperempfindungen

Je nach Gefühl, bestimmte charakteristische körperliche Empfindungen, z. B. bei Wut: erhöhter Puls, Temperaturanstieg, Muskelanspannung. Psychosomatische Symptome wie Verspannungen, Schmerzen (insbesondere Magen und Rücken) und Antriebslosigkeit.

Verhalten

Auf Verhaltensebene zeigt sich ein Gesichtsausdruck, der demjenigen ähnelt, wenn wir etwas Bitteres schmecken: Die Nase ist gerümpft, die Augenbrauen zusammengezogen, die Mundwinkel sind heruntergezogen, der Blick ist niedergeschlagen, der Gesichtsausdruck ernst, der Blick feindselig. Blickkontakt wird eher vermieden. Menschen, die sich in einem Verbitterungszustand befinden, ziehen sich zurück, schmollen, sind beleidigt, werten sich selbst und andere ab, äußern sich verächtlich, lästern, schimpfen, jammern, lamentieren, beschimpfen, klagen an, verklagen andere vor Gericht, haben einen zynischen oder sarkastischen Humor, üben Rache aus, z. B. indem sie jemanden vor anderen vorführen, bloßstellen, nicht beachten, ignorieren, mit Liebesentzug strafen, schweigen, Blickkontakt und körperliche Nähe verweigern, Lösungen boykottieren, den Kontakt ganz abbrechen oder sich anderweitig aggressiv verhalten bis hin zu Gewalttaten wie Stalking, Mobbing, Körperverletzung, Mord, Attentaten, Suizid oder erweitertem Suizid7.

Abbildung 0.2: Das Phänomen Verbitterung

Die in Abbildung 0.2 genannten Auslöser für Verbitterungsreaktionen scheinen, der Studienlage nach zu urteilen, für Menschen unterschiedlichster Nationalität zu gelten8.

Die Auswirkungen von Verbitterung auf das Umfeld sind toxisch: Der Verbitterte wird als „Spaßverderber“ oder „Griesgram“ empfunden. Sowohl die Tendenz zum Rückzug als auch zur Aggressivität belasten oder verhindern sogar Nähe, Spaß und Kommunikation in Beziehungen. In verschiedenen Untersuchungen an Menschen mit Verbitterungssymptomen (Linden, 2017; Linden & Noack, 2018) konnte ein hohes Aggressivitätspotenzial beobachtet werden: 83,5 % von 127 befragten Patienten äußerten aggressive Phantasien, davon 94 % Rachephantasien. In einer anderen Befragung von 3300 Patienten einer Psychosomatischen Rehabilitationsklinik träumten drei Viertel von ernsthaften Personen- oder Sachschäden. Eine Analyse von Zeitungsberichten zu 143 Amokereignissen in den Jahren 1993–2001 von Schmidtke und Kollegen ergab bei 61 % das Tatmotiv Rache.

Buch

Hintergrundinformation: Bitter – Bitterkeit – Verbitterung

„Bitter …“ ist „… neben süß, sauer, salzig und umami eine der fünf Geschmacksrichtungen, die von der Zunge wahrgenommen werden können. Dabei existieren auf den Spitzen der Geschmacksrezeptorzellen im Mund- und Rachenraum rund 25 verschiedene Bitterrezeptortypen, sie sollen z. B. vor Vergiftungen schützen, indem sie beispielsweise bei der Wahrnehmung hoher Bitterstoffgehalte die Produktion der teils antimikrobiell und verdauungsfördernd wirkenden Magensäure ankurbeln.“ (Wikipedia, 2019)

Zum Vergleich: Die menschliche Zunge hat nur einen Rezeptortyp für den Geschmack „süß“. Dies spricht für die evolutionsbiologische Bedeutung des Bittergeschmacks.

Manche Pflanzen, die aufgrund ihrer sogenannten „Ortsfestigkeit“ nicht weglaufen können, produzieren bitter schmeckende Abwehrsubstanzen, die tierische Räuber warnen, vertreiben, lähmen oder töten. Sogenannte „Bitterlinge“, Gemüsesorten wie Chicorée, Gurken, Rucola oder Spargel, entwickeln umso mehr Bitterstoffe, je mehr sie unter widrigen Bedingungen, wie z. B. starken Temperaturschwankungen, extremer Nässe oder Trockenheit wachsen, also „unter Stress stehen“. Wachsen sie hingegen behütet auf, etwa im Gewächshaus, zeigen sie „kindisch-süßliche Aromen …“ (Kriener, 2015).

Was können wir über Bitterkeit aus der Natur lernen?

So wie wir Menschen „bitter“ schmecken können, können wir „bitter“ auch mit anderen Sinnen fühlen: Genau wie bei der Spargelstange auf dem Feld steigt auch bei uns die Wahrscheinlichkeit, bitterer zu werden, wenn wir Opfer widriger Umstände geworden sind.

Bitterkeit ist so etwas wie Verdauungshilfe bei Unrecht. Wir müssen etwas „verdauen“. Und dabei können zunächst Bitterstoffe behilflich sein. Ältere Generationen empfehlen z. B. einen Magenbitter, also einen Kräuterschnaps, wenn sie der Verdauung von schweren Brocken nachhelfen wollen. Das gilt sowohl für den mächtigen Grünkohl als auch für den mächtigen Schicksalsschlag, der uns „im Magen liegt“.

Verbitterung ist eine Kapitulation vor dem Unrecht. Wenn der Brocken an Ungerechtigkeit so groß ist, dass es uns nicht oder nur teilweise gelingt, ihn zu verdauen, oder wenn es mehrere Brocken sind, dann kann es sein, dass eine vorübergehende Empfindung von Bitterkeit zu Verbitterung wird: Bei chronischer Bitterkeit färbt der bittere Geschmack auf das Allgemeinbefinden und andere Themenbereiche ab, das ganze Lebensgefühl bekommt einen „bitteren Beigeschmack“. Die ohnmächtige Aggression, die dann häufig vorkommt, lässt Forscher vermuten, dass die biologische Funktion von Verbitterung darin besteht, in einer ausweglosen Situation die letzten Kräfte zu mobilisieren, um sich zu schützen – koste es, was es wolle. Selbstzerstörung werde dabei in Kauf genommen („Last resort“-Emotion, vgl. Engelbrecht & Linden, 2018; Linden, 2017).

Verbitterung ist ein Zustand, keine Krankheit. Diese gedankliche, gefühlsmäßige, körperliche und verhaltensmäßige Reaktion auf erlebtes Unrecht kommt nicht selten vor. Man könnte vielleicht sogar von einem Alltagsphänomen sprechen: In einer allgemeinen Umfrage unter Bahnfahrern von Linden und Kollegen (Linden, 2007) berichteten ungefähr die Hälfte der Befragten von Erlebnissen aus jüngster Zeit, die sie als ungerecht empfunden haben und die ein Gefühl der Verbitterung in ihnen ausgelöst haben. 20 % berichteten von einem starken Verbitterungsgefühl mit negativen Effekten auf ihr Denken und Fühlen. 10 % berichteten sogar von starken Beeinträchtigungen in Form von Unfähigkeit, sich von dem Thema abzulenken, dem Gefühl der Sinnlosigkeit und Rückzug.

Bleibt der Zustand der Verbitterung allerdings längere Zeit bestehen, stellt er einen Risikofaktor für psychosomatische Erkrankungen dar. Andersherum kann Verbitterung auch eine Reaktion auf das Erleben von chronischen, unheilbaren oder auch seltenen Erkrankungen sein. Die Betroffenen erleben es als ungerecht, erkrankt zu sein („Warum ich?“), fühlen sich hilflos und hoffnungslos und erleben Zustände der Verbitterung mit Wut, Enttäuschung und Zorn (Sharoff, 2007). Mit dem Fallbeispiel Margit gehe ich auf diese Form von Verbitterung ein. Diese sogenannte reaktive Verbitterung zeigt sich auch als häufiges Begleitsymptom bei psychosomatischen Erkrankungen, vor allem bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, Anpassungsstörungen und Depressionen (Linden & Maercker, 2011). Verbitterung erschwert Linderung und Heilung. Gitta Jacob, eine der führenden deutschen Vertreterinnen der Schematherapie, bezeichnet das Phänomen Verbitterung sogar als „Therapiefalle“ (Jacob, 2020).

Buch

Wenn Verbitterung selbst zur Krankheit wird: Die Posttraumatische Verbitterungsstörung

Im Zuge des Zusammenbruchs der DDR hat Prof. Michael Linden an der Charité in Berlin mit seinen Forschungsarbeiten wertvolle Erkenntnisse zum Thema Verbitterung zusammengetragen. Damals erlebten viele Menschen gleichzeitig ungerechte Behandlung, Veränderungen außerhalb ihrer Kontrolle und Herabwürdigung. Bei manchen entstand daraus eine krankheitswertige Symptomatik, die Linden erstmals 2003 als Posttraumatische Verbitterungsstörung („Posttraumatic Embitterment Disorder“; PTED) beschrieb (Linden, 2003):

Bin ich verbittert? Ein Selbsttest

Mithilfe der PTED-Skala (Linden et al., 2009) können Sie herausfinden, wie stark Sie selbst aktuell von dem Phänomen Verbitterung betroffen sind:

Name: 

Datum:

PTED21-Selbstbeurteilungsfragebogen

Bitte beantworten Sie die folgenden Aussagen und Feststellungen und kreuzen Sie die für Sie zutreffende Spalte an. Bitte lassen Sie keine Zeile aus!

In den vergangenen Jahren hatte ich ein einschneidendes Lebensereignis zu verkraften,

trifft nicht zu

trifft kaum zu

trifft teilweise zu

trifft zu

trifft voll zu

1. das mich äußerst gekränkt oder verbittert hat.

0

1

2

3

4

2. das aus meiner Sicht äußerst ungerecht oder nicht fair war.

0

1

2

3

4

3. wodurch sich meine psychische Befindlichkeit deutlich und bis heute negativ verändert hat.

0

1

2

3

4

4. weshalb ich ein Anrecht auf Wiedergutmachung habe.

0

1

2

3

4

5. an das ich immer wieder denken muss.

0

1

2

3

4

6. das mich heftig aufregt, wenn ich daran erinnert werde.

0

1

2

3

4

7. das in mir Gedanken an Rache auslöst.

0

1

2

3

4

8. wegen dem ich mir Vorwürfe mache und ärgerlich auf mich selbst bin.

0

1

2

3

4

9. weswegen ich häufiger das Gefühl habe, dass es keinen Sinn macht, Dinge anzupacken und sich anzustrengen.

0

1

2

3

4

10. durch das meine Stimmung häufig niedergeschlagen und gedrückt ist.

0

1

2

3

4

11. das dazu geführt hat, dass ich mich in allgemein schlechter körperlicher Verfassung fühle.

0

1

2

3

4

12. weswegen ich bestimmte Orte oder Personen meide, um nicht daran erinnert zu werden.

0

1

2

3

4

13. dem gegenüber ich mich ohnmächtig und hilflos ausgeliefert fühle.

0

1

2

3

4

14. das in mir Gefühle der Genugtuung auslöst beim Gedanken, der Verursacher würde einmal Ähnliches erleiden.

0

1

2

3

4

15. das dazu geführt hat, dass meine Kraft und mein Antrieb reduziert und nicht mehr wie früher sind.

0

1

2

3

4

16. das dazu geführt hat, dass ich gereizter bin als früher.

0

1

2

3

4

17. weshalb ich mich ablenken muss, wenn ich vorübergehend eine normale und ausgeglichene Stimmung erleben will.

0

1

2

3

4

18. das dazu geführt hat, dass ich meinen beruflichen und / oder familiären Aktivitäten nicht mehr wie früher nachgehe.

0

1

2

3

4

19. das dazu geführt hat, dass ich mich von Freunden und geselligen Aktivitäten zurückgezogen habe.

0

1

2

3

4

20. zu dem sich mir immer wieder belastende Erinnerungen aufdrängen.

0

1

2

3

4

21. das dazu geführt hat, dass mir oft der Gedanke kommt, dass ich mit dem Leben Schluss machen sollte.

0

1

2

3

4

Abbildung 0.3: Selbsttest Verbitterung: die PTED-Skala>

Sie haben das Phänomen Verbitterung in seinen verschiedenen Facetten kennengelernt und den Grad Ihrer eigenen aktuellen Verbitterung eingeschätzt.

Ganz egal, wie hoch Ihr Wert ausgefallen ist: Mit dem folgenden 10-Schritte-Programm können Sie das Ausmaß Ihrer persönlichen Verbitterung senken und damit Ihre Lebensqualität erhöhen!


6  Lee & Kim, 2019; Lee & Song, 2019; Ju & You, 2018, Linden, 2011, 2017, 2018, 2019; Sabic, Sabic & Batic-Mujanovic, 2018; Vehling & Kissane, 2018.

7  Bei einem erweiterten Suizid tötet man zuerst andere Personen und danach sich selbst.

8  Lee & Kim, 2019; Lee & Song, 2019; Ju & You, 2018, Linden, 2017; Sabic, Sabic & Batic-Mujanovic, 2018; Vehling & Kissane, 2018; Znoj, 2016.

Entbitterung in 10 Schritten: Das Programm

Allgemeines zum Programm

Sich von Verbitterung zu befreien ist ein aktiver Prozess, der in verschiedenen Schritten erfolgt. Die 10 Schritte des Programms bauen logisch aufeinander auf.

Daher ist es wichtig, dass Sie die Reihenfolge dieser Schritte einhalten. Sie können sich das vorstellen wie bei einem Marathon-Training: Würden Sie in untrainiertem Zustand die letzten Trainingseinheiten vorziehen, wären Sie schlichtweg überfordert und würden wahrscheinlich abbrechen. Durch kontinuierliches Training wachsen Ihre „Muskeln“, um auch anspruchsvollere Aufgaben zu bewältigen.

Wie lange Sie für Ihren Entbitterungsprozess brauchen, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Das Programm enthält

Machen Sie sich in Ihrem Tempo und auf Ihre Art einen Schritt nach dem anderen zu eigen. Vielleicht kommen Sie an der einen oder anderen Stelle nicht weiter, dann kann es gut sein, einen Schritt zu wiederholen. Sollten Sie bemerken, dass es zu schwierig oder schmerzhaft wird, nehmen Sie sich einen professionellen Wegbegleiter zur Seite (siehe auch die begleitenden Angebote auf https://www.praxisdrbrand.de/unbeschwert-leben).

Aufbau des Programms

Die 10 Schritte lassen sich grob in zwei Phasen einteilen: Während Sie bei den ersten fünf Schritten innehalten, erforschen und mitfühlen, treten Sie ab Schritt 6 selbst in Aktion. Dies hat mit einem bewussten Rollenwechsel bei Schritt 5 zu tun: Sie entschließen sich dazu, vom Opfer zum Gestalter zu werden.

Hier ist ein Überblick über das 10-Schritte-Entbitterungsprogramm, das ich Ihnen auf den folgenden Seiten ausführlich vorstellen werde:

Schritt 1: Ich benenne das Unrecht.

Schritt 2: Ich nehme meine Verletzung achtsam wahr.

Schritt 3: Ich praktiziere Selbst-Mitgefühl.

Schritt 4: Ich praktiziere Selbst-Fürsorge.

Schritt 5: Ich befreie mich aus der Opferrolle.

Schritt 6: Ich definiere, was für mich Sinn macht.

Schritt 7: Ich äußere meine Gefühle.

Schritt 8: Ich praktiziere Mitgefühl.

Schritt 9: Ich übernehme Verantwortung für mein Handeln.

Schritt 10: Ich kröne meine Entbitterungsarbeit mit einem Ritual.

Abbildung 0.4: Unbeschwert leben – das 10-Schritte-Entbitterungsprogramm

In Schritt 1: „Ich benenne das Unrecht“ geht es darum anzuerkennen, dass Sie Opfer geworden sind.

Sie werden angeleitet, das erlebte Unrecht klar zu benennen: Sie erstellen eine „Unrechtsbiografie“, indem Sie alle Situationen, in denen Ihnen im Leben Unrecht widerfahren ist, klar benennen.

Sie ordnen Ihre Unrechtssituationen auf Ihrer Lebenslinie an, so dass Sie sich einen guten chronologischen Überblick über wichtige persönliche Kränkungssituationen verschaffen können.

Schließlich schätzen Sie für jede Unrechtssituation die übrig gebliebene Belastung ein, die Sie heute noch spüren, wenn Sie sich daran erinnern.

In Schritt 2: „Ich nehme meine Verletzung achtsam wahr“ beschäftigen Sie sich mit der Wunde, die bei Ihnen durch das Unrecht entstanden ist.

Sie üben sich in der Haltung der Achtsamkeit, um Ihre Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen genau wahrnehmen und neutral beschreiben zu können. Damit verschaffen Sie sich einen Spielraum im Hinblick darauf, zu entscheiden, wie Sie auf die Verletzung reagieren wollen.

Bei Schritt 3: „Ich praktiziere Selbst-Mitgefühl“ geht es darum, auf die innere Verletztheit einzugehen, und zwar mit einer Haltung, die Marsha Linehan, Begründerin der Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT), „validierend“ nennt. Validieren kommt von valide (lat. = gültig): Alles, was wir bei uns beobachten, wird ernst genommen.

Ich stelle Ihnen in Theorie und Praxis das Konzept des Selbst-Mitgefühls vor und führe Sie in die Welt der Schematherapie ein: Sie begegnen Ihrem Schattenkind.

Außerdem lernen Sie, Ihre Verbitterung in ihrer Funktion besser zu verstehen und erstellen ein persönliches Verbitterungsmodell.

Schritt 4: „Ich praktiziere Selbst-Fürsorge“. Bei diesem Schritt übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr inneres Kind und sorgen mithilfe von verschiedenen Übungen für ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit bei sich selbst.

Sie erfahren Wichtiges über Kinderrechte und Erwachsenenpflichten und üben sich darin, sich selbst gute Eltern zu sein.

Sie versetzen sich in Kränkungssituationen hinein, um zu erfühlen, was Sie damals eigentlich gebraucht hätten. Sie drehen in Ihrer Vorstellung den Film noch einmal neu, nur mit dem Unterschied, dass es diesmal gerecht und fair zugeht. Sie räumen mit dem alten Unrecht auf!

Schritt 5: „Ich befreie mich aus der Opferrolle“. In der Acceptance & Commitment Therapie (ACT) gibt es das Konzept der „kreativen Hoffnungslosigkeit“: Das ist der Punkt, an dem wir feststellen, dass wir auf keinen Fall erfolgreich sein werden, wenn wir so weitermachen. Aus „Notwehr“ lassen wir los und sind dadurch frei für Lösungsalternativen.

Ich stelle Ihnen das Konzept des Drama-Dreiecks aus der Transaktionsanalyse vor, nach dem eine konstruktive Lösung von Problemsituationen erst dann möglich wird, wenn Menschen aus dem Drama festgefahrener Rollen aussteigen.

Der Entschluss, ab jetzt kein Opfer mehr zu sein, eröffnet Ihnen viele Möglichkeiten. Sie können sich wieder mehr in Ihrem Einflussbereich, dem sogenannten Circle of Influence, bewegen. Gefühle von Kontrolle und Selbsteffizienz treten an die Stelle von Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Mit Übungen aus der kognitiven und der Rational Emotiven Verhaltenstherapie (RET) sowie der Methode „The Work“ nach Byron Katie stelle ich Ihnen Strategien vor, mit denen Sie Ihr Denken im konstruktivsten Sinne hinterfragen können, um auf völlig neue Aspekte bei verfahrenen Situationen zu kommen. Bei diesen Methoden werden eigene Glaubenssätze spielerisch-kreativ in die Mangel genommen und dadurch relativiert.

Ebenso gilt dies bei den humorvollen Übungen der Acceptance & Commitment Therapie (ACT): Ziel ist jeweils, dass Sie einen gesunden Abstand von Ihrer „inneren Wortmaschine“ und damit mehr psychische Flexibilität gewinnen.

Im Modell des Kommunikationsquadrats von Schulz von Thun erfahren Sie, wie Sie Kränkungen vorbeugen können, indem Sie das Ohr wechseln.

Schritt 6: „Ich definiere, was für mich Sinn macht“. Auch wenn es auf den ersten Blick irritiert: Menschen sind in der Lage, jeder noch so aussichtslosen Situation einen Sinn zu verleihen. Wenn dies gelingt, scheint es das Wohlbefinden deutlich zu steigern. Dies ist die Kernthese der Logotherapie von Viktor Frankl, die dieser während seines Aufenthalts im Konzentrationslager entwickelt hat.

Das „Reframing“ findet sich in verschiedenen lösungsfokussierten Beratungsansätzen wieder. Es geht darum, dem Erlebten einen anderen gedanklichen Rahmen zu verleihen, damit es gefühlsmäßig in einem anderen Licht erscheint. Ich leite Sie an, Ihre Geschichte als Heldengeschichte weiterzuerzählen.

Nachdem Sie schmerzhaften Erlebnissen im Nachhinein einen Sinn gegeben haben, geht es darum, vorwärtsgewandt Ihren persönlichen Lebenssinn zu definieren. Was ist Ihnen wirklich wichtig? Wenn Sie sich auf das konzentrieren, was Ihnen persönlich am Herzen liegt, haben Sie eine gute Orientierung, selbst in schwierigen Situationen. Sie bleiben sich selbst treu und das macht stark! Ich zeige Ihnen einige Übungen, mit denen Sie sich die Kraft der Werte zu eigen machen können.

Mit Schritt 7: „Ich äußere meine Gefühle“ lernen Sie, sogenannte Pseudo-Gefühle zu entlarven und sie mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) in authentische Gefühle umzuwandeln. Außerdem üben Sie sich darin, wichtige Informationen über Ihre Bedürfnisse aus den Gefühlen herauszulesen.

Gefühle geben uns bestimmte charakteristische Handlungsimpulse. Sie werden erfahren, dass jedem Gefühl ein natürlicher Handlungsimpuls zuzuordnen ist. Aus Schauspieltrainings hat die moderne Psychotherapie viel über die Wirkung von bewusster Emotionsdarstellung gelernt (der sogenannte Embodiment-Ansatz): Ich zeige Ihnen, wie Sie den Körperausdruck zu den Gefühlen hinter Ihrem Verbitterungsgefühl herstellen können, um diese Gefühle selbst besser spüren zu können.

Gefühle zu äußern heißt, dass Sie Ihre Gefühle nach außen zeigen. Zu Ihrer Beruhigung: Dies muss nicht bedeuten, dass Sie sie der Person gegenüber offenbaren, die Sie verletzt hat. Ich zeige Ihnen Methoden, bei denen Sie ganz privat und unabhängig von anderen Ihre Gefühle „rauslassen“ und sich erleichtern können: Beim narrativen Schreiben zum Beispiel lassen Sie Ihre Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse unmittelbar in Briefe und andere Texte fließen.

Beim Schritt 8: „Ich praktiziere Mitgefühl“ geht es um ein Training Ihrer psychischen Flexibilität durch und