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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Danksagung 3

Zitat 4

Eines Tages 5

Am Nil 7

Auf nach Malle 15

Der Sicherheitsmann 44

Schluss, aus, Ende! 154

Anhang 193

Hinweise 203

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2020 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-104-4

ISBN e-book: 978-3-99107-105-1

Lektorat: Dr. Larissa Schieweg,

Bianca Brenner

Umschlagfotos: Rodjulian,

Chernetskaya, Phong Giap,
Tomert | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Danksagung

Larissa danke ich für ihre großartige Unterstützung.

MK danke ich für die Inspiration.

Zitat

„Können Sie sich nach zwei gescheiterten Ehen vorstellen,

noch einmal eine Beziehung zu beginnen?“

„Natürlich! Ich bin offen für Liebe, für Sex, für alles, was kommt. Ich muss hoffen und wagemutig sein. Oft fürchten sich Menschen,

Risiken auf sich zu nehmen, weil sie nicht leiden wollen.

Mich kümmert das nicht. Ich bin bereit zu lieben und zu leiden.“

Isabel Allende

Eines Tages

Eines Tages ging sie der wahren Liebe auf den Grund. Bücher hatte sie mehr als einmal mit zunehmender Neugier gelesen. Zuerst dachte sie über die Beziehung ihrer Eltern nach. Von hemmungsloser Leidenschaft und blinder Verliebtheit konnte keine Rede sein. Vielmehr kamen beide miteinander aus, wegen der Kinder und dem Haus. Besonders herzlich gingen sie sowieso nicht miteinander um, was ihnen wohl nicht so wichtig war. Hauptsache, alles blieb wie es war.

Und wie sah die Beziehung ihrer Cousine aus? Das junge Paar lebte unter einem Dach, doch beide gingen getrennte Wege. Die Ehe lebte vom Aushalten und wirkte wie ein hohler Körper, der mit Leben aus dem Fernseher und Internet aufgefüllt war. Ihr Onkel hatte sich arrangiert, wegen der Angst vor dem Alleinsein, gestand er ein. Ihre Freundin Sonja dagegen, ja, sie schwebte wieder im siebten Himmel. Mit Jakob hatte sie den Mann fürs Leben gefunden. Er war liebevoll, zuvorkommend, fürsorglich, erfolgreich. Wer hätte schon ahnen können, dass nach der Verliebtheit kein Held, sondern ein gewöhnlicher Mann vor ihr stehen würde. Ihr Kumpel Joe redete sich hingegen ein, nach Liebe zu suchen, obwohl er meinte, seine Fähigkeit zu lieben verloren zu haben. Joe erzählte von Affären, Alkohol, Depressionen und von seinem Bruder, dessen Tod er nicht überwinden konnte. Frauen waren für ihn eine Ablenkung, ein Mittel gegen die innere Leere. Er sagte, er wolle nicht so enden wie sein Vater: vier Frauen und alle hassten ihn.

Wie stand es aber um sie? Träumte sie noch von der wahren Liebe, einer Liebe, in der es keine Langeweile und Enge gab? Sie erinnerte sich an ihre eigene Liebesbiografie: Mit 19 begegnete sie ihrer ersten großen Liebe in Kalifornien. Doch sie zog zurück nach Europa, um zu studieren. Bald danach verliebte sie sich in einen Studenten und sie zogen in eine gemeinsame Wohnung. Nach sieben Jahren kam die Trennung. Er wollte Familie, Kinder, sie wollte in die Welt hinaus, zog nach München und verliebte sich in einen eigenwilligen Bildhauer, der in Berlin wohnte und die Liebe kompromissloser nahm. Dann kam das Jobangebot in Rom. Sie trennten sich, weil er keine Beziehung auf Distanz führen und sich lieber anderweitig umschauen wollte. Später verliebte sie sich in einen adretten, frisch geschiedenen Anästhesisten. Ihr Glück war perfekt. Doch als der Liebesrausch vorbei war, war auch die Liebe vorbei.

Heute sah sie das so: Häufig stellten sich der Liebe individuelle Interessen und Bedürfnisse in den Weg. Dann musste man sich entscheiden. Sie entschied sich für ihre eigene Geschichte und dachte, der Richtige würde schon kommen.

Wie ein Donner riss sie ein stürmisches Klingeln an der Haustür aus ihrer Gedankenwelt heraus. Das musste Filippo sein. Filippo war anders. Er war außergewöhnlich, unbeschreiblich, vollkommen. Sie wurde schon rot, wenn sie nur an ihn dachte, was ihr gar nicht ähnlich sah. Und gleich, ja gleich würden sie sich in die Arme fallen und eine leidenschaftliche Nacht miteinander verbringen.

Das könnte echt was werden, dachte sie am nächsten Morgen beim Abschied. Die Sonne schien. Der Gesang von Amseln klang an ihr Ohr.

„Ich ruf dich an“, rief er ihr zu und eilte zur Tür hinaus. Sie lächelte und meinte, ihr Herz müsste zerspringen vor Glück. Jetzt. Filippo setzte sich ins Auto und startete den Motor. Er griff nach dem Handy, drückte ein paar Tasten und fuhr davon, ohne sich umzudrehen.

Am Nil

Es geschah während einer Nilkreuzfahrt, auf der sie ihren ganz persönlichen Traum von der Liebe erlebte, einen Traum, der mit der Wirklichkeit verschmolz, der sich in ihrem Kopf festsetzte und der andere Liebesmomente überlagerte. Denn die Flut an Vorstellungen über die romantische Liebe, die durch ihren Geist tanzten, passte zu dem, was sie dort erlebte und vor sich sah. Sie fühlte sich unendlich geliebt, begehrt, sicher vor allen schlechten Einflüssen, vor Stress, Frustrationen und den negativen Emotionen von anderen Menschen. Schon beim Check-in erfasste sie dieses Gefühl, als sie ihm zum ersten Mal begegnete und ihr Herz einen riesigen Sprung machte, wonach alles, was sich dort ereignete, unvergessen blieb: Romantische Abendessen unterm Sternenhimmel, frisches Fladenbrot, arabische Dips, Schäferspieße, Melonen. Der leckere Mandelkuchen. Die nächtlichen Abkühlungen im Privatpool. Ausflüge nach Luxor in bunten Pferdekutschen im wiegenden Zuckeltrab. Begegnungen mit Trommlern, Flötenspielern, exotischen Tänzerinnen. Bootsfahrten mit Feluken auf dem Nil bei Sonnenuntergang, der im Abendlicht golden und kupfern glänzte. Mit Anfang dreißig konnte sie sich an keine romantischeren Gefühle zurückerinnern, die sie jemals mit einem anderen erlebt hätte.

Najib war ein junger Mann mit entschlossenem Charakter. Nichts konnte ihn von seinem Vorhaben abbringen, sie zu erobern, die junge Frau aus Europa, die extrovertiert und unbefangen, keinesfalls angeberisch, ihre Lebenslust auszudrücken vermochte. Dem Basketballstar aus Beirut, den sie in Kairo kennenlernte und in Assuan wiedertraf, bot er genauso die Stirn wie dem aufdringlichen Mann auf der Straße.

Besonders heroisch zeigte sich Najib jedoch an jenem Tag, als das Kreuzschiff ohne sie ablegte, irrtümlich, versteht sich, weil sie mit einem Schiffsjungen auf Shoppingtour in Luxor war und über die Schönheit und Lebensfreude in den Straßen der Stadt die Zeit vergaß. Die Märkte in der Altstadt zogen sie in ihren Bann, auch wenn sie weder einen Topf noch einen Esel kaufen wollte. Als sie schließlich vollkommen erschöpft zur Anlegestelle zurückkehrten, war sie weg, die Nora. Farid stand kopfschüttelnd neben ihr und schaute sich besorgt um. Giulia wanderte geistesabwesend herum, ging ans Nilufer, setzte sich auf eine Steinbank und stierte seufzend auf die goldenen Strahlen, die sich im Wasser des Flusses brachen. Nach einer Weile, die sie einfach nur schweigend miteinander verbracht hatten, rappelten sie sich auf. Sie irrten herum, vorbei an hupenden Autos, laut klingelnden Fahrrädern, beladenen Ochsenkarren, bis sich ihnen in einem kleinen Hinterhof-Café eine Gelegenheit zu telefonieren bot. Es wurde schon dunkel und über der Stadt breitete sich ein rötlich schimmernder Abendhimmel aus. Giulia ging zum Tresen und sprach dort einen Mann an, den sie für den Cafébesitzer hielt. Farid war plötzlich weg, wie vom Erdboden verschluckt, so dass ihr die Sache langsam unheimlich wurde. Mit Händen und Füßen erklärte sie dem Mann hinterm Tresen ihre Situation. Und weil sie annahm, er spreche kein Englisch, wirbelte sie mit ihren Händen herum, dass die Worte schneller aus ihrem Mund herauspurzelten, als sie denken konnte. Der Mann sah sie prüfend an und wartete gelassen ab, was da noch alles aus ihr herauskommen sollte. Seinem Blick hielt sie stand, doch sie war sichtbar erleichtert, als er anfing zu sprechen und ihr in einem gepflegten Englisch antwortete: „Verstehe. Bitte hier lang.“ Leicht berührte er ihre Schulter, schleuste sie in einen hinteren Bereich. Dort zeigte er mit einem Finger auf einen Telefonapparat, der auf einem kleinen Tisch stand. Giulia setzte ihre Sonnenbrille auf, um den gierigen Männerblicken auszuweichen, die ihr aus allen Winkeln des Cafés entgegenschossen. Plötzlich stürmte Farid auf sie zu und zitierte sie lautstark nach draußen. Völlig verdutzt folgte sie ihm. Vor dem Café stand eine Pferdekutsche. Abrupt blieb er vor dieser stehen und wies Giulia ungeduldig an, einzusteigen. Inzwischen hatte sich der Vorfall im Viertel herumgesprochen. Männer scharten sich um die beiden, mindestens fünfzehn an der Zahl, halbwüchsige und gestandene Mannsbilder im mittleren und höheren Alter. Ein Mann stand direkt vor ihr und glotzte sie unentwegt an, als wollte er sie maßregeln und fragen, was eine Frau wie sie, verdammt noch mal, zu dieser Stunde an diesem Ort zu suchen hätte. Um ihn besser sehen zu können, nahm sie ihre Sonnenbrille ab, riskierte einen kurzen Blick nach rechts, merkte, dass Farid bereits in der Kutsche saß und sie mit heftigen Armbewegungen hineinwinkte. Weder verstand sie, was gerade vor sich ging, warum sie da einsteigen sollte, noch wohin sie jetzt fahren würden. Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, als sie sich in die Kutsche setzte. Farid nickte zufrieden. Seine Augen waren dunkel, so dunkel, dass sie kaum seine Pupillen erkennen konnte.

Kurz darauf trabten die Pferde unter dem Gejohle der Gaffer los. Die Fahrt dauerte eine Ewigkeit und Giulias Augenlider wurden schwer. Da das alles jedoch aufregend genug war und Adrenalinstöße durch ihren Körper jagten, so sehr, dass sie in jeder Sekunde hätte reflexartig aus der Kutsche springen können, blieb sie hellwach, erstarrte in ihrer Sitzhaltung, als es unter ihr krachte. „Es sind bloß aufgewirbelte Steine unter dem Kutschenboden“, beruhigte Farid sie gleich und lachte. Dabei öffnete er seinen Mund, so dass sie seine strahlend weißen Zähne sehen konnte, die in der Dunkelheit blitzten. Unbeeindruckt fuhr der Kutschenfahrer in einem Höllentempo weiter, über staubiges Straßenpflaster, hinein in einen abgelegenen Park, irgendwo außerhalb von Luxor.

Giulia stieg die Angst bis zum Hals. Sie war dem Ganzen langsam nicht mehr gewachsen, litt wie ein Hund und wusste keinen Ausweg. Farid begann zu erzählen, aber weder konnte sie sich konzentrieren noch seinem schwer verständlichen Englisch folgen. Wie versteinert blieb sie sitzen, lauschte krampfhaft auf die Geräusche, die von draußen in ihr Ohr drangen. Es war tiefe Nacht, als die Kutsche zu stehen kam. Nicht das Geringste war zu erkennen. Nachdem sie aus der Kutsche ausgestiegen waren, kamen zwei Männer auf sie zu und leuchteten ihnen mit ihren Taschenlampen direkt ins Gesicht. „Das sind Polizisten. Die wollen deinen Pass sehen“, beruhigte Farid sie schon wieder. Mit zitternden Händen kramte sie ihren Pass aus der Tasche heraus, überreichte ihn einem Uniformierten, der seine Taschenlampe darauf richtete und laut vorlas: „Giulia Orlandini, geboren in Rom.“

Der Polizist verzog keine Miene, als er den Lichtkegel seiner Lampe erneut auf ihr Gesicht richtete. Wie angewurzelt stand sie vor ihm, brachte keinen Ton hervor und krallte sich am Arm von Farid fest. Kurz bevor sie das Schiff verlassen hatte, war sie von Najib darum gebeten worden, ihren Reisepass mitzunehmen. Darüber war sie jetzt erleichtert, denn wer hätte vorausahnen können, dass sie heute, mitten in der Nacht, im Nirgendwo von Polizisten danach gefragt werden würde? Wieder stand ein gutes halbes Dutzend dunkler Gestalten um sie herum. Es waren stämmige Männer in langen Gewändern mit eigenartigen Kopfbedeckungen. Giulia krallte sich noch fester in Farids Arm, so dass er vor Schmerz kurz aufschrie. Die Vorstellung, dass diese Typen Krummdolche unter ihren Gewändern herumtrugen, brachte sie fast um den Verstand. Sie zitterte am ganzen Körper.

In diesem Moment fiel ihr, wie aus heiterem Himmel, ein arabischer Satz ein, den sie sich während eines Aufenthaltes in Israel einmal antrainiert hatte, und sie hörte das Gelächter von ihren Freunden in Fassuta, das sie durch diesen ausgelöst hatte. Vielleicht würde er jetzt die Stimmung etwas auflockern können, überlegte sie noch, während er schon aus ihr herausschoss: „Allah hu almawz wayadhak“, was in etwa bedeutet: „Gott isst eine Banane und lacht.“ Augenblicklich wurde es still um sie herum. Mucksmäuschenstill. Alle Blicke waren auf sie gerichtet.

„Du verrücktes Weibsstück“, schimpfte sie in sich hinein, „wie ein plumpes Walross plapperst du dumme Sätze nach.“ Und während sie sich noch wünschte, sich in ein Mauseloch verkriechen zu können, erscholl hinter ihr Gelächter. Sie drehte sich um und sah durch die sternenklare, mondhelle Nacht, wie sich die Gestalten in den langen Gewändern vor Lachen bogen. Dabei schlugen sie sich immer wieder auf die Schenkel und schnitten Grimassen, dass ihnen fast die Kopfbedeckungen vom Haupt fielen. Farid konnte sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten und bat sie darum, den Satz zu wiederholen, was ihr Gott sei Dank erspart blieb, denn just in diesem Moment heulte ein mächtiges Schiffshorn auf. Drei, vier Mal, laut und tief. Es war die Nora, die sie gleich erkannten, als diese hell erleuchtet im Begriff war, am Nilufer anzulegen und die Gangway herunterzulassen. Najib stand im Schiffseingang, beobachtete konzentriert das Geschehen und rief ständig Giulias Namen, währenddessen sich immer mehr Touristen auf dem Promenadendeck versammelten, ihnen zuwinkten und bunte Papierbänder vom Schiff herunterwarfen.

In Begleitung der Polizisten gingen sie an Bord. Sobald Giulia die oberste Stufe der Rampe erreicht hatte, eilte Najib auf sie zu und schloss sie in die Arme. Dies war ein inniger Moment, ein Gefühl, das stärker war als alles, was sie jemals zuvor empfunden hatte. Unter den Gästen brach Jubelgeschrei aus. Sie feierten sie mit Standing Ovations und das Klatschten der Hände übertönte alle Geräusche auf dem Schiff.

Giulia spürte, dass Najib vor Stolz und Begeisterung beinahe platzte, sie schmiegte sich an seine Brust, bevor sie sich aus seiner Umarmung befreite. Mit einer Hand hielt sie sich an der obersten Stange der Reling fest und genoss die kühle nächtliche Brise, die ihr erhitztes Gesicht erfrischte. Wie ein Wunder machte ihr das starke Schwanken des Schiffs gerade nichts aus, wohl auch deshalb, weil sie Najib, der bei den Polizisten stand, eingehend dabei beobachtete, wie er mehrere Papiere unterschrieb, die ihm die Polizisten vor die Nase hielten. Als Sohn des Reeders war er für dieses Chaos verantwortlich. Als sie daran dachte, kamen die blanke Nervosität und Unsicherheit zurück, die sie mit allen Mitteln zu verstecken versuchte. Die Männer sprachen leise und ruhig miteinander, bis erneut Gelächter ausbrach. Najib lachte aus vollem Hals und schaute dabei augenzwinkernd zu ihr hinüber. Giulia ging mit einem Achselzucken darüber hinweg, denn Schwäche, nein, die wollte sie nicht zeigen. Sondern abwarten, wie sich die Dinge weiterentwickelten.

„Ich wusste gar nicht, dass du Arabisch sprichst“, scherzte Najib, als die Polizisten weg waren. Und küsste sie sanft auf die Wange und auf den Mund.

„Ähm, ach so, ja, verstehe“, antwortete Giulia verlegen und bereitete sich gedanklich auf ein Donnerwetter vor. Stattdessen erzählte Najib seine Version der Geschichte: Dass er vor Angst fast verrückt geworden sei, als klar war, dass sie und Farid nicht an Bord waren. Sofort hatte er die Polizei verständigt und einen Pferdekutschenfahrer beauftragt. Najib hatte eine behördliche Ausnahmegenehmigung erwirken müssen, damit das Kreuzschiff an einer Stelle anlegen durfte, die normalerweise Notfällen und polizeilichen Einsätzen vorbehalten war. Als er mit dem Erzählen fertig war, streckte er seine Arme, in die sich Giulia willenlos hineingleiten ließ, weit nach ihr aus, als wäre es schon immer so gewesen, als würde sich daran nichts mehr ändern können.

Nie verlor Najib auch nur ein einziges Wort darüber, welche behördlichen Anstrengungen er hatte auf sich nehmen müssen und wie viel ihn das gesamte Manöver gekostet hatte. Ihm genügte allein die Tatsache, dass er ihr Herz erobert hatte und sich der Himmel der Liebe über ihnen ausbreitete. „Nie wieder lass ich dich los. Nie wieder möchte ich dich so stark vermissen.“ Wieder und wieder und wieder wiederholte er diese Sätze an jedem Tag, zu jeder Stunde, berauscht von Glück, berauscht von der Nähe ihrer Körper, die sich aneinanderschmiegten, als wäre es der Ort, wo sie hingehörten. Fast so, als ob sie sich ihr bisheriges Leben nur auf diesen Moment vorbereitet hätten, nur diese Gegenwart zählen würde, wichen sie einander keine Sekunde von der Seite. Doch sie war zerbrechlich, diese Liebe, zerstörbar, wie alles andere auf der Welt, als der Abschied in greifbare Nähe rückte und damit das Schicksal einer Liebe. Ständig flehte er sie an, nicht nach Sharm el Sheikh weiterzureisen, sondern bei ihm und auf der Nora zu bleiben. Aus einem ihr unerklärlichen Grund ließ sie sich von ihren Reiseplänen jedoch nicht abbringen, von dem heiß ersehnten Taucherlebnis, das sie nicht absagen wollte. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, tröstete sie ihn, schließlich würde ihr ganzes Leben ja noch vor ihnen liegen.

Am Tag der Abreise machte sie sich früher als geplant zum Flughafen auf und hoffte, so dem drohenden Abschiedsdrama zu entkommen. Doch ihr Plan scheiterte. Najib folgte ihr auf der Stelle, was sie hätte vorausahnen können, da er erfuhr, dass sie das Schiff heimlich und in aller Herrgottsfrüh verlassen hatte. Völlig außer Atem stand er plötzlich neben ihr, in der Abflughalle vor den riesigen Anzeigetafeln, auf die sie gerade starrte. Kein Wort kam über seine Lippen, kein Lächeln, kein Aufblitzen seiner Augen. Blankes Entsetzen sprach aus seinem Gesicht und grenzenlose Enttäuschung. Natürlich hätte er ihr Vorwürfe machen können. Natürlich hätte er ihr nicht hinterherlaufen müssen. Natürlich hätte er ihr kein Geschenk in den Rucksack stopfen müssen, das sie erst im Flugzeug aufmachen sollte, wie er sie gebeten hatte. Schluchzend fiel ihm Giulia um den Hals, ahnungslos, ob es ihr oder sein Schmerz war, der gerade in ihrer Brust explodierte und sich gnadenlos durch sie hindurchfraß. Eng umschlungen standen sie in der Abflughalle, ihre Gesichter am Hals des anderen vergraben. „Ich liebe dich. Und ich verstehe nicht, warum du gehst.“ Aus seinen dunklen, tränennassen Augen sprach pure Hilflosigkeit. Sie war wie hypnotisiert, wie benommen, fühlte sich hundeelend, als sie in ihnen ertrank. Dann küsste er sie, ein letztes Mal, zärtlich auf ihren Mund und verschwand in der Menschenmenge, ohne sich umzudrehen, ohne ein Wort. Fast ohnmächtig vor Schmerz ging sie zum Flugschalter, checkte ein und nahm ihre Bordkarte in Empfang.

Im Flugzeug öffnete sie das kleine Päckchen, das sie in ihren Händen gehalten und eine Weile andächtig betrachtet hatte. Sie hatte ein mulmiges Gefühl und erschrak mächtig, als sie eine zierliche goldene Kette herausnahm, an der ein pinkfarbener Edelstein und ein Zettel baumelten, auf dem stand: „Für den Notfall und wenn dir mal Geld für etwas fehlt.“

Lange wurde sie durch eine köstliche Sehnsucht nach ihm verzehrt. Lange wünschte sie sich an den Ort zurück, wo alles begonnen hatte. Und immer, wenn sie seine Briefe las, waren sie zurück, die unvergesslichen Traummomente am Nil. „Mein Herz kann es kaum aushalten“, schrieb Najib, nach fast einem Jahr der Trennung: „Ich renne in die Disco auf der Nora, lege unser Lied auf und lasse mich forttragen, in deine Arme, in eine Welt voller Glück, Freude, Leichtigkeit. Der Schmerz nimmt kein Ende, meine Sehnsucht bleibt unerfüllt. Deine Wärme und Liebe fehlen. Dich zu gewinnen überstieg meine Vorstellung. Dich zu verlieren übersteigt meine Kraft.“