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Nr. 2794

 

PR 2794 – Jäger der Jaj

 

Ein Geheimprogramm wird gestartet – sie kämpfen um die Zukunft des Solsystems

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch.

Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande sind. Mit Atlan steht dem Terraner der einzig geeignete Pilot für den Flug dorthin zur Verfügung, doch nur ein Richterschiff vermag diesen Flug auch durchzustehen.

Zurück in der Milchstraße, entwickeln Perry Rhodan, Atlan und der ehemalige Arkon-Imperator Bostich einen Plan zur Eroberung der CHUVANC, des Raumers von Richter Chuv, der sich im Arkonsystem aufhält. Doch ehe es so weit ist, muss reichlich Vorarbeit geleistet werden. Besonders am Herzen liegt Rhodan seine Heimatwelt. Dort wird Gucky zum JÄGER DER JAJ ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber bietet den Jaj die Stirn.

Perry Rhodan – Der Terraner führt Einstellungsgespräche.

Orion Desch – Der TLD-Agent ist mehr als einer.

Quella Feofee – Die Kontakthistorikerin macht aufregende Entdeckungen.

Hayoo Tiffneric – Der Onryone hasst Dreiergruppen.

1.

Fangnetze

10. März 1515 NGZ

 

Der Gleiter zog hoch, durchbrach das Dach aus immergrünen Blättern in über vierzig Metern Höhe. Die Beschleunigung drückte Mirek in den Pilotensitz. Es war ein gutes Gefühl.

Mirek lächelte Pia zu, als sie in Sols grelles Licht tauchten, in einen azurblauen Himmel, der endlose Weite versprach.

Unter ihnen lag das Sipaliwini-Naturschutzgebiet, eine Ebene von über anderthalb Millionen Hektar Land auf dem Kontinent Südamerika, übersät mit Flüssen, Bergen, Regenwald und Savanne. In der Ferne spiegelte sich das Licht zwischen braunen Findlingen auf der kristallenen Kuppel einer Robotstation, in der Löscheinheiten, Wartungsgeräte und eine Wetterkontrolleinrichtung standen. Es war das einzige sichtbare Gebäude weit und breit. Das Hotel, in das sie eingecheckt hatten, verbarg sich hinter einer schartigen Felsenkette, auf deren Spitzen dichte Büsche wie grüne Hüte saßen.

Alles in der Tiefe war lebendig, wirkte perfekt aufeinander abgestimmt wie ein Kunstwerk, das Terra hervorgebracht hatte, um die Urlauber für ihre Reise zu belohnen.

»Wunderschön«, sagte Pia.

»Ja.« Mirek zog den Gleiter höher, jagte Sol entgegen und wendete in einem Bogen, wodurch er nun die Sonne im Rücken hatte. Er genoss das strahlende Blau des Himmels und das Gefühl von Freiheit. Die Außenoptiken vermittelten ihm dank des Panoramaschirms den Eindruck, wie ein Vogel über das Grenzland zwischen Regenwald und Savanne zu fliegen.

Weiter und weiter schossen sie in die Höhe, vorbei an einer Signalsonde.

Mirek beachtete die schwebende, kopfgroße Kugel kaum. Sie waren auf einem privaten Trail. Er wusste, dass sein Flug von der offiziellen positronischen Aufsicht dispensiert war: Die Erfassung nahm den Gleiter und die Besatzung entweder gar nicht oder nur anonym auf.

Sie umrundeten einen Berg, zogen eine weite Schleife über glitzernde Flüsse und einen Teil der gelbbraun gesprenkelten Savanne. Dabei erreichten sie immer größere Höhen.

»Das reicht, zurück zur Erde! Nicht, dass du mir noch abhebst«, neckte Pia ihn. »Außerdem bekomme ich Hunger. Wir sollten dieses nette siganesische Restaurant in Terrania besuchen.«

Belustigt dachte Mirek an die zwanzig Zentimeter großen Siganesen, die sich im Lauf einiger Jahrhunderte aus den Terranern entwickelt hatten. »Siganesisch? Meinst du, ein Steak in einem Fingerhut macht mich satt?«

»Du weißt, dass sie da normale Portionen haben.«

Er senkte den Gleiter, hielt auf den Wald zu. »Klar. Aber wer weiß ... Vielleicht vernichten wir mit einer Mahlzeit eine komplette siganesische Ernte. Wie steht es da mit deiner Moral?«

Pia grinste. »Damit komme ich klar. Das Restaurant hat beste Bewertungen. Sogar Andrasch Mikael gefällt es dort.«

Ein Alarm heulte auf. Mehrere Anzeigen schalteten auf Rot.

»Das Triebwerk ist ausgefallen«, informierte die Positronik.

Mirek wandte sich zu den Anzeigen, starrte sie an. Sie sagten ihm genau das, was auch die Positronik gemeldet hatte: Totalversagen. »Das macht nichts, wir haben doppelte Redundanz und ...«

Er schrie auf, ebenso wie Pia. Der Gleiter stürzte wie ein Stein in die Tiefe. Die Erde zog ihn unerbittlich an, beschleunigte das tonnenschwere Gerät in den freien Fall.

Unmöglich, dachte Mirek immer wieder, rasend schnell hintereinander. Unmöglich-unmöglich-unmöglich! Jeder Gleiter hatte Sicherheitsmechanismen.

Unter ihm kamen die Baumkronen rasch näher. Der Vorgang war irreal, er verlief zu schnell. Was eben winzige Punkte aus Grün gewesen waren, wurde in Sekunden riesengroß, dass er meinte, jedes einzelne Blatt zu erkennen.

Der Gleiter durchbrach die Pflanzendecke, riss Äste und Schlingpflanzen mit sich, stürzte in Büsche und Sträucher. Grüne und braune Fetzen flogen davon und regneten wieder herab.

Mirek wollte hochziehen, dem Gleiter über die Steuerung irgendeinen Impuls geben, doch das Gerät war tot für seine Finger und Befehle.

Es war egal. Der Prallschirm würde sie schützen. Er würde jede Wucht beim Aufprall ableiten, spielerisch und zuverlässig. Dafür waren solche Vorrichtungen da. Gleich würden Pia und er lachend nebeneinander sitzen und sich darüber amüsieren, dass sie beide wie Teenager losgeschrien hatten.

Sie rissen das Dickicht ein, krachten in den Boden. Moosstücke, Farne, Erdbrocken und Steine wirbelten vor der Panoramascheibe auf.

Ein brutaler Ruck durchzuckte Mireks Körper, stauchte ihn zusammen, dass er meinte, den Pneumositz und den Boden zu durchschlagen. Es knackte mehrfach.

Pias Schreie brachen ab.

Während Mirek im Schock nicht einmal Schmerzen spürte, nur ein dumpfes Gefühl, genauso unwirklich wie die eben erst viel zu schnell herangeschossenen Baumkronen, begriff er sofort, dass der Aufprall Pia getötet haben musste. Ihr Körper mit dem schrecklich schief sitzenden Kopf pendelte schlaff zwischen den Sitzlehnen, während der Gleiter durch die Büsche schlitterte und dabei nacheinander drei Baumstämme streifte, um schließlich Hunderte Meter weiter an einer Böschung neben einem rauschenden Fluss liegen zu bleiben.

Das Prallfeld ... Wo war das Außenprallfeld geblieben? Wo der Schutz auf ihren Sitzen, der sie hätte einhüllen müssen?

Un.Mög.Lich.

Pia war tot.

»Das ... das ist ...« Mirek fand das Wort nicht mehr, das er beim Absturz immer wieder gedacht hatte. Er starrte auf Pia. Tränen verschleierten seine Sicht. Er fühlte sich benommen, sein Körper war nicht mehr der, den er kannte. Ein zerbrochenes Ding, das er am liebsten weggesehen hätte.

Der Schmerz meldete sich, drang langsam ins Bewusstsein.

Als Mirek den Arm nach Pia ausstrecken wollte, durchzuckten ihn Stiche, als schösse jemand mit dem Thermostrahler auf ihn. Ein Wimmern kam über seine Lippen.

Sein Hemd war feucht von Tränen und Blut. Wie lange er verwirrt, benommen und verzweifelt dasaß, bemüht, möglichst flach zu atmen, um der Qual so weit wie möglich zu entgehen, wusste er nicht.

Irgendwann kamen zwei Männer, die den Gleiter mit einem Desintegratorstrahler aufschnitten und ihn und Pia herauszogen. Im Hintergrund sprachen weitere Stimmen, vermischten sich mit dem Flussrauschen.

Ein Mann beugte sich über ihn. Seine Umrisse verschwammen. »Wie ist dein Name?«

»Desch«, murmelte Mirek. »Orion Mirek Desch.«

»Gut.« Der Fremde lächelte.

2.

Jagdpläne

Terrania, 15. August 1517 NGZ

 

Es war bereits dunkel, als Perry Rhodan in Maske und mit Sondereintrittsgenehmigung am Solaren Haus ankam. Sich in einer Verkleidung bewegen zu müssen, und das in der eigenen Heimat, war ein unangenehmes Gefühl, an das Rhodan sich nie recht gewöhnen würde, selbst wenn er es aus der Vergangenheit kannte. Natürlich wusste Rhodan, dass Schutzvorkehrungen notwendig waren.

Die Onryonen jagten ihn nach wie vor, selbst wenn es sicher nicht Allgemeingut war, von Rhodans Flucht und seinem Aufenthalt in Larhatoon zu wissen.

Aber das war gar nicht notwendig: Schließlich gab es die Jaj, die Jäger des Tribunals, die als Gestaltwandler unentdeckt im Solsystem agieren konnten. Hinzu kamen möglicherweise Verbündete unter den Terranern, die die Jaj sich zunutze machten. Rhodan war nicht so naiv zu glauben, dass jeder Terraner sich über seine Rückkehr aus der Gefangenschaft freuen würde: Die Furcht, er könne tatsächlich den Untergang der ganzen Milchstraße herbeiführen, solange er nicht im atopischen Gewahrsam war, durfte er nicht unterschätzen. Die Propaganda der Atopen war extrem wirkungsvoll, wie er auch in Larhatoon beobachtet hatte. Aber wie viel davon, was die Richter über künftiges Geschehen behaupteten, entsprach tatsächlich den künftigen Ereignissen? Er wusste es nicht, verließ sich auf sein Gefühl. Zudem gab es immer Individuen oder ganze Gruppen, die mit dem Status quo leben konnten und in einer unsterblichen Legende wie Perry Rhodan eher eine Gefährdung der Sicherheit als eine Hilfe sahen.

Aber dieser Planet war die Erde. Seine Erde. Rhodan würde alles tun, um sie wieder in die Hände der Terraner zu bringen, damit er keine Maske mehr brauchte.

Projekt CHUVANC war der Weg, mit dem er zum Erfolg kommen konnte. Sobald Rhodan und seine Verbündeten mehr kohärentes Wissen über die Atopen hatten, würden sie eine Möglichkeit finden, dem Tribunal die Stirn zu bieten – der Gesamtorganisation, und nicht bloß den vorgeschobenen Onryonen oder den Tefrodern. Sie mussten das Übel an der Wurzel packen.

Und was, wenn die Atopen recht hatten?

Perry Rhodan vereiste innerlich bei dem Gedanken. Das durfte nicht sein. Das Letzte, was er wünschte, war der Untergang seiner Heimat. Daher konnten die Atopen unmöglich recht haben mit ihrer Anklage. Er zwang sich, an seine nächsten Schritte zu denken.

Entgegen der Umstände war es schön, das Solare Haus wiederzusehen. Der Kubus von hundertsechzig Metern Kantenlänge war ringsum mit von innen her durchsichtigen Holoelementen verkleidet. Im Inneren des gläsernen Würfels drehte sich ein hundert Meter großes, detailgetreues holografisches Abbild der Milchstraße.

Obwohl Cai Cheung eigentlich mittlerweile die Solare Residenz nutzte, traf er sie im Solaren Haus: So kurz nach dem Anschlag auf LAOTSE wollte niemand die Garantie dafür übernehmen, dass bei der Aktion nicht auch noch mehr angerichtet worden war. Die Sicherheitsteams überprüften derzeit alles, sogar den Residenzsee und die Erdschichten darunter.

Das Solare Haus war auf seine Art ein ebensolcher Blickfang wie die Residenz. Rhodan schätzte die spektakuläre Aufmachung. Zu Recht hatten die Architekten, die das Gebäude entworfen hatten, im Jahr der Eröffnung mehrere Preise abgeräumt.

Fasziniert ließ Rhodan den Eindruck auf sich wirken, der entstand, als er das Haus betrat und sich nicht inmitten einer Miniaturgalaxis, sondern in einem modernen Gebäude wiederfand.

Er nahm den Antigravlift zur obersten Besprechungsebene unter dem Dachgarten.

Im Konferenzraum saßen zwei Terraner und ein Ilt. Die Terraner waren Cai Cheung, die Solare Premier, und Andrasch Mikael, der stellvertretende Direktor des TLD. Bei dem Ilt handelte es sich selbstverständlich um Gucky. Offensichtlich war der Mausbiber in den Konferenzraum oder in dessen Nähe teleportiert, denn er trug weder eine Maske noch einen SERUN mit Mimikryfunktion. Seit ihrer Rückkehr aus Larhatoon achteten sie beide darauf, unentdeckt zu bleiben.

Gucky zeigte seinen einzelnen Nagezahn. Die flauschigen Tellerohren zuckten. »Perry, schön, dass du es einrichten konntest. Wo warst du die letzten Stunden?«

»Privatangelegenheit.« Rhodan hätte sagen können: »Einkaufen mit meiner Enkelin.« Aber dabei wäre er sich merkwürdig vorgekommen. Auch wenn er über dreitausend Jahre alt war, würde er sich wohl nie als Großvater betrachten. Er beobachtete Gucky.

Offensichtlich war etwas Wichtiges geschehen, jedoch nichts, das so brandheiß war, dass Gucky einen Überrangkode benutzt hätte, um ihn zu erreichen. Da Gucky dazu weiter nichts sagte, würde Rhodan sich bis zum Ende der Sitzung gedulden. Vielleicht ging es um etwas, das nicht für alle im Raum bestimmt war.

Die Solare Premier stand auf und begrüßte ihn. Die Zweiundfünfzigjährige wirkte jünger, als sie war. Rhodan vermutete seit Längerem, dass sie sich genkosmetisch behandeln ließ. Er kannte Cai Cheung schon seit Jahren und hatte sie zu einer Karriere in der Politik ermuntert, nachdem er sie bei einer öffentlichen Debatte in den Medien entdeckt hatte.

Den Mann neben Cheung kannte Rhodan dagegen erst seit wenigen Tagen. Andrasch Mikael vertrat Attilar Leccore als Leiter des TLD. Von ihrer letzten Diskussion war Rhodan ein ungutes Gefühl geblieben, und er betrachtete Mikael, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er wollte dem Mann mit der extrovertierten Datenbrille eine zweite Chance geben. Bislang zeigte sich Mikael als Hardliner, der über die Grenzen der bürgerlichen Privatsphäre hinausgehen wollte. Doch in Verbindung mit Cai Cheung, die ihn bremste, war Andrasch Mikael vielleicht das Beste, was Terra derzeit passieren konnte. Kompetent und hartnäckig war er jedenfalls.

Rhodan setzte sich neben Gucky, griff nach einer Karaffe mit Wasser und einem Glas.

Er hatte sich gerade eingegossen, als der letzte Teilnehmer der inoffiziellen Runde eintrat: Atlan da Gonozal. Wie Rhodan hatte Atlan sein Äußeres mit einer Biomolplastmaske leicht verändert. Rhodan hätte ihn dennoch unter Tausenden erkannt. Obwohl der Arkonide nichts anders machte als andere, weder betont ging oder starrte noch sich auf besondere Weise bewegte, war an ihm alles anders als an einem Mann wie Andrasch Mikael oder einer Frau wie Cai Cheung.

Rhodan wusste, dass er selbst auf diese Weise wirkte, wenn auch abgeschwächter, da er sein Wissen und seine Erfahrung besser verbarg. Hinzu kam, dass Atlan ein Arkonide von höchstem Adel war. Die Wurzel des ehemaligen Kristallprinzen als fester Bestandteil von Atlans Sein und Auftreten reichte tief.

Wenn Cai Cheung von Atlans Ankunft beeindruckt war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Fangen wir an!«, sagte sie nach einer knappen Begrüßung.

Ihre Herangehensweise zeigte Rhodan einmal mehr, wie erwachsen die Menschheit und die Liga Freier Terraner geworden war. Eine Frau wie Cai Cheung betrachtete sich mit einem Unsterblichen wie Atlan da Gonozal auf Augenhöhe, ganz ohne Vorurteile oder falsche Scheu.

Andrasch Mikael rückte seine Datenbrille zurecht. Rhodan vermutete, dass sich Mikael vor allem deshalb für ein dickrandiges Gestell entschieden hatte, weil es einen Ausgleich zur breiten Nase bot. Gemeinsam mit dem Henriquatre, dem eisgrauen Bart rund um die Lippen, und den blonden, größtenteils gebändigten Haaren, verlieh die Brille Mikael ein prägnantes Äußeres. »Die Tefroderin, die wir hinter dem Anschlag vermuten, ist nach wie vor auf freiem Fuß. Es gibt eine Spur, der Orion Desch nachgeht, doch bisher ohne Erfolg. Desch braucht mehr Freiheiten.«

Cai Cheung rieb sich die Stirn. »Dieser Anschlag der Tefroder auf das Herz Terras kann nicht ernst genug genommen werden. Trotzdem muss ich weitere Freiheiten für staatliche Stellen zulasten der Freiheiten unserer Bürger ablehnen.«

Rhodan konnte Cheung nur zustimmen.

Die Tefroder hatten vor zwei Tagen versucht, LAOTSE für die Menschheit unbrauchbar und im schlimmsten Fall sogar zum Gegner zu machen. Wäre der Anschlag gelungen, hätte er die Liga Freier Terraner empfindlich getroffen, ihr womöglich das Rückgrat gebrochen. Vetris-Molaud und seine Pläne erwiesen sich als weit gefährlicher und skrupelloser, als Rhodan angenommen hatte.

Durch den Anschlag war Rhodan die Zange, in die das Atopische Tribunal sie in Form der Onryonen und der Tefroder genommen hatte, überdeutlich bewusst geworden. Umso wichtiger wurde es, dass sie die Zange aufbrachen, indem sie den angriffen, der sie benutzte.

Mikael presste die Lippen zusammen. »Wie sollen meine Agenten ihr Bestes geben, wenn sie ausgebremst werden? Wir müssen diese Frau und weitere subversive Tefroder-Elemente aufspüren! Ich habe Desch befördert. Er untersteht mir direkt und ist nur mir Rechenschaft schuldig. Auch sein Zugang zu AGENT GREY wurde erweitert. Aber das genügt nicht. Desch braucht einen ähnlich privilegierten Status bei OTHERWISE und bei LAOTSE.«

Cheung schüttelte den Kopf. »Mit AGENT GREY hat dein Mitarbeiter Zugang zu Daten, die sensibel genug sind. Die Zentralpositronik des TLD muss ihm genügen. Es ist einmalig, dass er darauf freien Zugriff erhält, und das sollte seine Arbeit ein gutes Stück erleichtern.«

»Das macht es aber nicht«, widersprach Mikael. »Nur mithilfe der Positronik des Solaren Hauses und der Solaren Residenz haben wir Aussichten, schnell zuzugreifen.«

»So leid es mir tut, ich muss das verweigern. Und ich brauche dafür keine Gründe zu nennen. Sie liegen auf der Hand. AGENT GREY muss Desch genügen.«

Rhodan teilte Cheungs Auffassung. Es würde Desch zu viel Macht geben, wenn er derartige Freiheiten besaß – Macht, die an sich korrumpieren konnte.

Gucky beobachtete den Wortwechsel mit interessiert geneigtem Kopf. Die Schale mit den Mohrrüben vor sich hatte er nicht angerührt. Der Ilt kam Rhodan mitgenommen vor. Vielleicht beschäftigte ihn der jüngste Anschlag auf die Solare Residenz, oder er sinnierte über seine neue Teleportationsgabe. Noch misstraute Gucky dieser Fähigkeit, die er von Lan Meota und dem Laosoor Vazquarion bei einer Mission auf dem Geheimplaneten der Tefroder erhalten hatte. Noch war sie nicht so zuverlässig, wie sie sein sollte.

»Das ist inakzeptabel!« begehrte Mikael auf. »Wie sollen wir unsere Arbeit machen, wenn uns ständig die Hände gebunden werden?«

»Es ist mein letztes Wort.« Cai Cheungs Augen hatten die Farbe dunklen Holzes. Sie erschien Rhodan in diesem Moment unnachgiebig wie eine Eiche. Er war dankbar dafür. Wenn er eins an Cai Cheung besonders schätzte, dann ihre Fähigkeit, sich eigene Gedanken zu machen und im Anschluss klare Entscheidungen zu treffen.

Mikael legt die Handflächen vor sich auf den Tisch. »Dann werden uns die Tefroder vielleicht entkommen.«

»Tu dein Bestes.«

Atlan lehnte sich vor. »Schließen wir das Thema ab. Was ist mit der ZAATRO? Wir sind vor allem deshalb hergekommen, weil uns interessiert, aus erster Hand zu erfahren, was die Onryonen dort oben treiben. Wenn es um Superintelligenzen geht, sollte man den Feind nicht einfach wirken lassen. Perry wurde versprochen, dein Mann von der ZAATRO würde kommen und Bericht erstatten.«

Mikael kratzte sich am Bart. »Es tut mir leid. Aber Torin Khambattas Anwesenheit ist gerade jetzt dringend erforderlich. Wie auch die meines anderen Agenten an Bord. Leider muss ich dich mit einem Datenträger abspeisen.«

Der stellvertretende TLD-Chef stand auf und reichte Atlan einen Chip. »Wenn möglich, würde ich mich gern verabschieden. Ich muss mich um das Aufspüren der Terroristen kümmern. Je kälter die Spur wird, desto geringer sind die Chancen auf Erfolg.« Er hielt sich aufrecht, dennoch merkte Rhodan ihm die Enttäuschung an. Die leicht herabgezogenen Mundwinkel im eisgrauen Jägerbart verrieten ihn. Mikael hatte sich mehr von diesem Treffen erhofft.

Cai Cheung machte eine gönnerhafte Geste. »Selbstverständlich. Wir bleiben in Verbindung.«

Die Stille, die eintrat, irritierte Rhodan. Während Andrasch Mikael hinausging, spürte er deutlich, dass zwischen Cai Cheung und Gucky eine wortlose Kommunikation stattfand. Statt nachzufragen, was da lief, wartete er ab.

Atlan verhielt sich ebenso, tauschte lediglich mit ihm einen schnellen Blick. Auch der Arkonide bemerkte offensichtlich, was vor sich ging.

Die Solare Premier wandte sich an Gucky. »Zufrieden?«

Gucky nickte, zog die Schüssel mit den Mohrrüben heran, griff nach einem Stick und schob ihn sich in den Mund.

Cheung trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. »Möchte mir der Herr Retter des Universums nun endlich sagen, was genau er gegen Orion Desch hat?«

Atlan hob eine Augenbraue.

Rhodan fühlte sich irritiert. »Du hast etwas gegen Desch, das über deine Abneigung hinausgeht? Warum hast du mir das nicht gesagt?«

Gucky schluckte geräuschvoll. »Weil der Herr Polyportbeauftragter laut den Gedankenbildern seiner Enkelin gerade den Spaß seines Lebens beim Einkaufen einer Lampe mit Goldquasten hatte. Ehrlich, Perry, ich wollte dich nicht stören, und ich konnte meine Eindrücke selbst nicht sortieren. Diese neue Teleporterfähigkeit macht mich fertig.«

»Worum geht es überhaupt?«, fragte Atlan.

Gucky seufzte und umklammerte die Schale, als wolle er sich an ihr festhalten. »Wie ich schon sagte: Meine neue Gabe macht mich fertig. Sie ... erstaunt mich. Beim Sprung mit Desch ist mir etwas aufgefallen, das ich nicht fassen konnte. Über das ich mir erst Klarheit verschaffen musste.«

»Was?«, hakte Rhodan nach.

»Nun ... Mein erster Eindruck war, dass er mehr als einer ist.«

»Und das bedeutet, Kleiner?«

»Mir ist nur eine Lösung eingefallen:_ Er ist ein Jaj. Vermutlich.«

»Ein Jaj?« Cheung wurde blass.

Rhodan lehnte sich schwer in den Stuhl zurück. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Orion Desch ins Vertrauen zu ziehen. Bei der Jagd nach den Tefrodern hatte sich der Agent verdient gemacht. Es war Gucky zu verdanken, dass er davon abgesehen hatte. Aber bisher hatte der Mausbiber seine Ablehnung nicht konkretisiert. Umso schwerer wog seine Schlussfolgerung nun.

»Ein Jaj, der Tefroder bekämpft?«, fragte Atlan skeptisch. »Geht dieses Mal vielleicht deine Phantasie mit dir durch?«

Gucky warf ihm einen bösen Blick zu. »Eben weil ich gezweifelt habe, habe ich nicht sofort etwas gesagt. Zuerst dachte ich, es sei vielleicht einfach Animosität. Aber es ist mehr als das, und es gibt vernünftige Erklärungen für Deschs Verhalten. Vielleicht wollen Atopen und Onryonen nicht, dass Vetris-Molaud zu mächtig wird.«

»Oder sie halten sich tatsächlich für die Guten«, warf Rhodan ein. »Für die Friedensbringer, die keine terroristischen Akte dulden, egal von wem.«

»Er hat erweiterten Zugang zu AGENT GREY.« Cheungs Stimme klang schwach. »Wenn er ein Jaj ist, müssen wir ihn unbedingt aus dem Verkehr ziehen!«

»Nein.« Rhodan hob den Kopf. »Nicht sofort. Das ist unsere Chance. Wenn Desch ein Jaj ist, ahnt er nicht, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Wir müssen versuchen, über ihn herauszufinden, ob sich weitere Jaj im Solsystem aufhalten. Erst wenn alle Jaj enttarnt sind, haben wir die Liga wieder ganz in der Hand.«

Guckys Augen funkelten. »Eben dem will ich nachgehen. Ich habe vor, Jaj zu jagen.«

»Du wirst es ohne mich tun müssen.« Rhodan hob die Hand zur Narbe an seinem Nasenflügel, ließ sie wieder sinken und legte sie stattdessen auf die Tischplatte. »Ich habe mich erst vorgestern weit aus dem Fenster gelehnt und bin gleich an einen Jaj geraten. Das darf mir nicht wieder passieren, sonst könnte unser ganzes Projekt den Bach runtergehen. Ich werde mich stattdessen in der Pilotenausbildung blicken lassen.«

»Wie du meinst.« Gucky blickte zu Atlan. »Wie steht es mit dir? Gehst du mit auf Jaj-Jagd?«

In Atlans roten Augen glänzte es. »Würde ich gerne. Aber wir müssen das Ganze im Blick behalten. Unser Ziel ist es, in die Jenzeitigen Lande vorzustoßen und die Atopen an der Quelle ihrer Macht zu bekämpfen. Bis unsere Piloten so weit sind, brauchen wir mindestens drei Monate. Danach sollten wir möglichst schnell darangehen, unser Schiff zu erobern. Die Zeit bis dahin muss ich nutzen, um mich vorzubereiten. Damit meine ich, mehr zu tun, als mich mit dem Gedanken anzufreunden, die CHUVANC zu steuern und mit Sichu Dorksteiger ein Trainingsprogramm zu entwickeln. So ungern ich es zugebe: Ich muss vor allem zu mir selbst zurückfinden. Zu wahrer Größe und Stärke. Die Zeit auf Wanderer war, gelinde gesagt, eine Herausforderung – seitdem kam ich kaum zur Ruhe.«

Rhodan verstand, was Atlan meinte. Der Arkonide hatte auf Wanderer die Superintelligenz ES stabilisiert, indem er sich und seine Fähigkeiten bis zum Äußersten eingesetzt hatte. Der Aktivator mochte dem Körper helfen, nicht aber der Psyche.

Gucky verzog das Gesicht. »Was hast du vor? Einen Dagor-Meditations-Marathon?«