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BAD DEUTSCH-ALTENBURG

BILD EINER GEGEND

Impressum

© der ebook-Ausgabe Hollitzer Wissenschaftsverlag, Wien 2013
www.hollitzer.at

BAD DEUTSCH-ALTENBURG

BILD EINER GEGEND

Herausgeber

GERTRUDE GENG-SESZTAK

WALTER KREMS

HERBERT LACHMAYER

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Die Dauer des menschlichen Lebens ist ein Augenblick –
das Wesen ein beständiger Strom
.

MARC AUREL

INHALT

ZUM GELEIT

HERMANN TERSCINAR

AN EINER GRENZE

HERBERT LACHMAYER

ORT UND GEGEND

KÄTHE SPRINGER

ZUR GESCHICHTE DES ORTES

GERTRUDE GENG-SESZTAK · KÄTHE SPRINGER

CARNUNTUM. GRABUNGSGESCHICHTE UND BEDEUTUNG

HILKE THÜR

DIE DONAU

GERTRUDE GENG-SESZTAK

DAS KURBAD

GERTRUDE GENG-SESZTAK

VERKEHR UND ERSCHLIEßUNG

GERTRUDE GENG-SESZTAK

DAS DORF

GERTRUDE GENG-SESZTAK

KIRCHENBERG UND KIRCHE

GERTRUDE GENG-SESZTAK

DIE STEINBRÜCHE

GERTRUDE GENG-SESZTAK · KÄTHE SPRINGER

DER TEMPELBEZIRK AUF DEM PFAFFENBERG

HILKE THÜR

ANHANG

SCHRIFTLICHE QUELLEN ÜBER „HAINBURGAUS DER MITTE DES 11. JAHRHUNDERTS, NEBST EINEM AUSFLUG INS AUSGEHENDE 9. JAHRHUNDERT - INHALT, PROBLEME, FRAGEN · HEIDE DIENST

URKUNDE AUS DEM STIFTSARCHIV GÖTTWEIG MIT DER ERSTNENNUNG DES NAMENS ALTENBURG

VERZEICHNIS DER ABGEBILDETEN STICHE

VERZEICHNIS DER ABGEBILDETEN LANDKARTEN

LITERATUR

ORTSRICHTER, BÜRGERMEISTER, SCHULLEHRER, OBERLEHRER/ SCHULDIREKTORINNEN UND PFARRER

STATISTIK

BILDNACHWEIS

REGISTER

AUTORINNEN UND AUTOREN

DANK

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ZUM GELEIT

Wer das Gestern kennt, wird auch das Heute begreifen und das Morgen bewältigen können. Dieser Grundsatz gilt für die „große“ Geschichte, aber auch für die Entwicklung einer Region und ganz besonders für die eines Ortes.

Überdies blickt (Bad) Deutsch Altenburg im Jahr 2000 auf sein 150jähriges Bestehen als freie Gemeinde zurück: 1850 fanden die ersten freien Gemeindewahlen statt, und erst seit jenem Jahr gibt es in Österreich frei gewählte Gemeinderäte und Bürgermeister statt der bis dahin eingesetzten Ortsrichter mit ihren „Geschworenen“.

Nicht zuletzt deshalb präsentiert das vorliegende Buch anschaulich die reiche, bewegte Vergangenheit von Bad Deutsch-Altenburg: Nur solches Wissen um das Werden des Ortes vermag uns zu einem besseren Verständnis der gegenwärtigen Probleme und ihrer Lösungsentwürfe zu führen.

Dieses Buch richtet sich an die Bevölkerung des Ortes, an unsere Gäste, an alle, die sich über Bad Deutsch-Altenburg und seine Umgebung informieren möchten. Es will das Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger über die eigene Herkunft schärfen, die Verbundenheit mit dem Heimatort vertiefen und gerade auch junge Menschen dazu anregen, an der Vergangenheit zu lernen und sich engagiert an der Gestaltung der Zukunft ihrer Gemeinde zu beteiligen.

Der Band setzt die Arbeiten verdienstvoller Regionalhistoriker fort: das längst vergriffene „Bad Deutsch-Altenburg“ von Franz Müllner ebenso wie „Bad Deutsch-Altenburg in alten Fotografien“ von Walter Krems; beide Werke haben zusammen mit der langjährigen Arbeit von Gertrude Geng- Sesztak wesentlich zum Entstehen des neuen Buches beigetragen.

Mein Dank als Bürgermeister von Bad Deutsch-Altenburg gilt allen, die daran mitgewirkt haben: den Herausgebern, den Autorinnen sowie der Redaktion Tagbau für die sorgfältige Durchführung, und insbesondere den Hollitzer Baustoffwerken, die das Projekt ermöglichten und diesen Band anläßlich ihres Jubiläums „150 Jahre Unternehmung Hollitzer“ den Bad Deutsch-Altenburgern widmen.

Möge das Buch zum Erfolg werden und das Interesse vieler Menschen an unserem Ort und seiner Gegend wecken!

ING. HERMANN TERSCINAR

Bürgermeister

der Marktgemeinde Bad Deutsch-Altenburg

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Die Badgasse. Ölbild von Walter Krems, 1976.

AN EINER GRENZE

HERBERT LACHMAYER

Die heutige historische Situation Europas führt uns die Entstehung und Auflösung von Grenzen vor Augen. Damit rückt unter anderem die Frage nach der Identität einer Region stärker ins Bewußtsein ihrer Bevölkerung. In Zeiten des sogenannten Eisernen Vorhangs waren die Grenzen zu Ungarn und zur damaligen Tschechoslowakei monumentale Barrieren; für die Gegend um Bad Deutsch-Altenburg und Hainburg an Österreichs Ostgrenze schienen sie etwas zu verewigen, was entlang der damaligen Grenze der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zur ehemaligen DDR ‚Zonenrandgebiet‘ genannt wurde. Es war wohl auch eine Situation ‚im Eck‘, einer Halbinsel gleich, von der aus Bewegung und Verkehr eben nur in eine Richtung stattfinden konnten – zum Westen hin. Die Erinnerung an einen ‚offenen Osten‘ war weit weg, von grauenhaften Kriegsereignissen und einer schwierigen Nachkriegszeit überlagert. Erst in den achtziger Jahren begann angesichts eines ‚milderen Ostblocks‘, der immer mehr erstarrt und daher brüchig geworden war, eine neue Entwicklung. Heute haben Arbeitsmarkt, Währung, Tourismus, internationaler Lastenverkehr usw. die eisernen Grenzen des ‚kalten Krieges‘ von einst neu definiert und wieder in beide Richtungen durchlässiger werden lassen. Dies bringt uns die Erinnerung an die historischen Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg näher, die Erinnerung an die Monarchie, die Türken, das Heilige Römische Reich, die slawische Welt, an Awaren und Hunnen, an die Römer und ihren Germanenwall, an Kelten und Illyrer – kurzum, das Bewußtsein einer lebendigen Grenze ist plötzlich wieder da.

Von der Identität einer Region zu sprechen, wirkt für deren Einwohner oft reichlich abstrakt: Worte wie ‚Heimat‘, ‚Zuhause‘, ja, selbst ‚Gegend‘ klingen viel konkreter, vertrauter und auch den Gefühlen angemessener, die man möglicherweise damit verbindet. Identität eines Ortes, einer Gegend, einer Region oder eines Landes meint den inneren Zusammenhang jener persönlichen und gemeinschaftlichen Momente (soziale, ökonomische und kulturelle), die auch äußerlich in Wechselwirkung zueinander stehen – und die Bewohner mit dem Bewußtsein und Gefühl von Zusammengehörigkeit ausstatten. Zusammengehörigkeit bedeutet Verbundenheit des einzelnen mit der lokalen Gemeinschaft, bedeutet familiäre und gesellschaftliche Verwurzelung in einem sozialen Gemeinwesen, wo man einander kennt, mit Familienverhältnissen und Einzelschicksalen wechselseitig oft über Generationen vertraut ist. So kann jeder sich jederzeit über den anderen definieren: nicht zuletzt im Tratsch – den wir als Urheber zwar gern verleugnen und als seine Opfer oft verwünschen, ohne den jedoch eine merkliche Verarmung des sozialen Lebens einträte. Die Eigenart der Landschaft, der typische Eigensinn ihrer Bevölkerung, das kulturelle Erbe, aber auch das durch Tourismuspflege entstandene ‚Image‘ – all dies gehört zur besonderen regionalen Identität. Diese ist Voraussetzung, damit man sagen kann: „Ich war lange weg“ (und meint ‚von zu Hause‘); oder: „Wir haben ein Haus gebaut“ (und meint am Ort, wo man aufgewachsen ist); oder: „Wir werden jetzt von denen überlaufen“ (und meint damit Fremde, die neuerdings die Gegend besuchen, aber nicht immer nur durch sie durchfahren wollen). Hüben und Drüben sind die Kategorien der Selbstdefinition einer Gegend, zu der man gehört: Grenzen sind also die politischen, kulturellen wie geistigen Voraussetzungen dafür, daß es dieses Innere, diesen magnetischen Zusammenhalt gibt – diese fast zur „zweiten Natur“ gewordene Ortsgebundenheit, an der sich eben auch unser Heimatgefühl festmacht.

Die Donau war aus der Sicht der Römer Grenze und Schwelle nach Norden, die Porta Hungarica aus der Sicht des Deutschen wie des habsburgischen Reiches, Grenze und Tor zum Osten. Beide – die Donau, wie die von ihr durchbrochene Bergkette – bilden als geographische Gegebenheiten natürliche Grenzen. In Friedensverhandlungen etwa wurde eine solche ‚Naturgegebenheit‘ als naheliegende Voraussetzung einer Grenze wie selbstverständlich angesprochen. So wies Spanien im Frieden von Cateau-Cambrésis 1529 das Begehren Frankreichs zurück, jene Grenze wiederherzustellen, die anderthalb Jahrtausende zuvor Julius Caesar für Gallien eingerichtet hatte. Die Begründung war, „que les montagnes constituent des frontières naturelles“, nämlich, „daß die Berge natürliche Grenzen bilden“. An solchen Charakteristiken läßt sich erkennen, wie leicht strategische Vorteile – z. B. Fluß und Berg – über ihre militärische Funktion hinaus hohe symbolische Bedeutung gewinnen können.

Unter Grenze versteht man in der griechischen Philosophie, etwa bei Aristoteles, auch Schranke; dafür steht im Lateinischen limes oder terminus, was zur Definition der ‚endlichen Dinge‘ dient. Gottfried Wilhelm Leibniz verwendet – wie bis ins 18. Jahrhundert üblich – Schranke und Grenze gleichbedeutend; was im philosophischen Denken abstrakt in eins gesetzt ist, findet sich in der banalen Alltagsrealität des Schrankens an der Zollstation wieder. In der Entwicklung des Infinitesimalkalküls (bekannt durch die Logarithmenrechnung, ohne die es heute keinen Computer gäbe) wurde ‚Grenze‘ zum festen Begriff: Leibniz bezeichnet damit den Grenzwert einer konvergenten Zahlenfolge. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts unterscheidet Immanuel Kant Schranke und Grenze begrifflich: „In der Mathematik und Naturwissenschaft erkennt die menschliche Vernunft zwar Schranken, aber keine Grenzen.“ In der Philosophie des „Deutschen Idealismus“, etwa bei Johann Gottlieb Fichte und Georg Friedrich Hegel, wird der Begriff der Grenze unter anderem auf die Selbstbegrenzung des Ich angewendet und charakterisiert für dieses Ich die trennende Beziehung von etwas Endlichem zum Unendlichen, das an dieses Ich grenzt.

Die Unterscheidungen der Philosophie erscheinen auf den ersten Blick haarspalterisch. Sie treffen aber einen Sachverhalt, der auch für unser Alltagsbewußtsein bedeutsam sein kann: Wo der Flecken Erde, den man Heimat nennt, aufhört, beginnt das Gefühl der Unendlichkeit, deren Schwelle man gerade dort zu überschreiten meint. Darin ist alle Sehnsucht begründet, die ‚von hier aus‘ in die Ferne drängt, umgekehrt auch jener ‚Heimatsog‘, der viele aus der Ferne wieder zurückkehren läßt. Die Grenzen, um die es da geht, sieht man nicht: Sie sind nur innerlich vorhanden. Sie können aber nach außen hin vorurteilsgeladene Folgen haben, z. B. wenn es sich um die (oftmals nur eingebildeten) kulturellen Grenzen zwischen Einheimischen und „Zugereisten“ dreht.

Der Wiener Philosoph Richard Heinrich hat in seiner Abhandlung „Die Grenze zwischen Scharfsinn und Stumpfsinn“ zu Recht darauf hingewiesen, daß Denken und Begrenzung in sehr prekären Verhältnissen zueinander stehen. „Es ist ja nicht so, daß wir die Grenze bloß denken, und in Wirklichkeit ist sie gar nicht da. Genau so massiv drängt sich das Gegenteil auf: daß sie nämlich völlig offenkundig da ist, und wir können sie nicht denken. Das ist das Aneinanderstoßen zweier Farbfelder. Diese Grenze sehen wir, aber wenn wir auch das, was wir sehen, reflektieren, dann können wir kein Etwas dingfest machen, das diese Grenze wäre, noch zu den Farbfeldern dazu.“

Um zu verhindern, daß eigenes und fremdes Gebiet – gleichsam Freundes- und Feindesland – just ihre Grenze miteinander teilen müssen, erfand man das Niemandsland: Nicht wenige Städte oder Reiche haben mit doppelten Grenzführungen operiert. Altbabylonische und altchinesische Städte waren von zweifachen Mauern umgeben – nicht allein aus Gründen der Verteidigung.

Auch die Berliner Mauer wurde 1961 als „Doppelmauer“ errichtet: Die eine Mauer bildete die Abgrenzung des eigenen Gebiets (Innenmauer), die andere fungierte als Ausgrenzung des fremden Territoriums (Außenmauer). Wohl militärisch motiviert, war der Zweck der Mauer weniger die Verteidigung nach außen, als der unmenschliche Versuch, die Paradiesesgrenzen des real existierenden Sozialismus nach innen ‚dichtzumachen‘.

In dem solchermaßen definierten Zwischenraum hielten altorientalische Städte gelegentlich Bären oder andere wilde Tiere; zwischen den beiden Berliner Mauern lag die berüchtigte „Todeszone“. In diesem Sinne war der „Eiserne Vorhang“ überwiegend als Doppelgrenze konzipiert. So erstreckte sich zwischen der ungarischen und der österreichen Staatsgrenze ein Niemandsland, in dem unter anderem nach dem Umsturz in Rumänien zahlreiche Flüchtlinge kampierten, die zwar aus Ungarn ausreisen, aber noch nicht nach Österreich einreisen durften.

Die Rede vom Niemandsland erinnert an den Krieg. Besonders an der Westfront des Ersten Weltkriegs markierten einander gegenüberliegende Schützengräben die jeweils besetzten „Grenzen“. Dazwischen klaffte ein durch Artilleriefeuer verwüstetes, noch nicht besetzbares Niemandsland.

Eine Grenze erkennen, sagt man, heißt, sie überschreiten. Was uns als Grenze zurückhält, uns in Sicherheit und Vertrautheit wiegt, lockt zugleich, darüber hinauszugehen: sich auf Unbekanntes, auf Gefährliches und Risikoreiches, auf alles „Drübere“ einzulassen – und auch hinzugehen. Grenze bedeutet Bewußtsein von Ambivalenz und Ambiguität – daß die Dinge meistens zwei Seiten haben, ein Für und Wider, ein Gut und Böse, einen Nachteil und einen Vorteil. In dieser Einsicht liegt freilich auch die Neigung zum Relativieren begründet – oft negativ bewertet als Hang zum möglicherweise ‚faulen‘ Kompromiß. Positiv gewendet, läßt sich daraus jene weltbürgerliche Weisheit gewinnen, die uns befähigt, an einer Sache zwei oder mehr Seiten nicht nur zu sehen, sondern auch zu verstehen. Dies jedoch nicht aus dem Kalkül diplomatischer Berechnung, sondern aus einem Selbstgefühl souveräner Toleranz und der Großzügigkeit, kulturell Anderes gewähren zu lassen.

Ein solches Verständnis von Grenze kommt einem vernünftigen, aufgeklärten Bewußtsein gleich: es begreift die Vielfalt menschlicher Zivilisation, Kultur und Kreativität als Gewinn. Das Bewußtsein ‚im Zeichen der Vernunft‘ ist im Idealfall frei von Angst vor allem Fremden. Fremdenangst flüchtet panisch ‚nach vorn‘: in die Totalität der Herrschaft einiger weniger Auserwählter über alle. Wäre endlich alles unter den ‚Ordnungsdeckel‘ gebracht, alles Fremde in diese Ordnung gezwungen, durch sie beherrscht oder von ihr ausgetrieben – dann wäre vermeintlich das Hauptproblem einer komplexen Menschheit bewältigt. Dabei war, was heute mit den Schlagworten ‚interkulturell‘, ‚kulturelle Kompetenz‘ und ‚neue Internationalität‘ für ein vereintes Europa von morgen bedacht wird, bereits zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie eine politische, soziale und kulturelle Praxis.

Die Bedeutungsvielfalt des Wortes Grenze umfaßt auch den psychischen Bereich. In der Benennung psychischer Zustände ist delirös, ebenso wie borderline (Grenzlinie), ein Wort, das etwas Prekäres und verhaltensmäßig aus der Norm Fallendes bezeichnet: eine Person, die sich in Grenzzuständen befindet, möglicherweise von einem Extrem ins andere ‚kippt‘, oder jemanden, der nicht genau weiß, wohin er gehört, der unzuverlässig und nicht belastbar ist. Delirös heißt buchstäblich de linea ire, ‚über die Linie gehen‘, was im heutigen Sprachgebrauch eben einen psychischen Grenzgang meint. Diese Wortverwendung von grenzgängerisch – vom Aufenthalt im psychischen Niemandsland sozusagen, einem in between oder Zwischenraum – können wir ohne weiteres auf unsere Grenzüberlegungen übertragen, die von vergleichsweise realen Grenzen einer Gegend, einer kulturellen Region ausgegangen sind. Unschwer kommen wir dabei ins Nachdenken über eigene und fremde Kultur, eigene und fremde Sitten, befremdliche Heimat und heimgebende Fremde – unsere eigenen Werte und Bewertungen: Dieses Nachdenken über das Thema Grenzen – das in der Gegend von Bad Deutsch-Altenburg ein historisch angereichertes ist – führt uns immer wieder in die trübe Welt der Vorurteile, des Fremdenhasses und jener ausgrenzenden Ideologien, mit denen kein friedliches Europa gemeinsam gestaltet werden kann. Ein Blick in die Geschichte und die Bereitschaft, aus ihr zu lernen, hilft bei der Überwindung dieses zerstörerischen, für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Lebensart stets gefährlichen Gedankenguts: Durchmischungen von Kulturen und ethnischen Gruppierungen in Grenzgegenden – sie waren immer auch eine produktive Kraft gesellschaftsbildender und kultureller Erneuerung. Diese urbane und weltbürgerliche Perspektive gilt heute für jede Region eines zukunftsbewußten Europas. „Provinz ist kein Ort, sondern ein Zustand“, nannte es einmal der Linzer Informatiker Gustav Pomberger. Er meinte damit nicht die Bezeichnung einer ländlichen Gegend; er zielte auf die Borniertheit und Überheblichkeit derjenigen, die da meinen, daß beispielsweise die Ausgrenzung der ‚Fremden‘ als eine Voraussetzung für die Steigerung des eigenen lokalen Selbstwertgefühls legitim sei und man darin wahrhaft patriotisch wäre. Es kommt indes vielmehr darauf an, durch das Verständnis der fremden Kulturen ein wirkliches Selbstbewußtsein zu erlangen: nicht innerhalb der eigenen Begrenztheit sich selbstgefällig einzubunkern, sondern im Überschreiten gerade dieser eigenen Grenzen dem ‚Anderen‘ im Gestus souveräner Anerkennung menschlich zu begegnen.

Namen von Straßen, Flüssen oder Brücken erinnern stets an das Trennende wie an das Zusammenführende. So war im Großen wohl die Bernsteinstraße für viele Jahrhunderte als relevante Nord-Süd-Verbindung von hervorragender interkultureller Bedeutung. So ist es die Donau noch heute – sie blieb selbst in Zeiten des ‚kalten Krieges‘ zumindest ein Transportweg zum Schwarzen Meer, sie verlieh und verleiht den Regionen an ihrem Ufer eine verbindende Identität, auf die unter verschiedensten Umständen immer wieder zurückgegriffen wird.

Schließlich ist es die Gegend selbst, die als Reiseziel wie Durchzugsstrecke zu grundsätzlichen Betrachtungen einlädt. Auch der römische Kaiser Marc Aurel hat sich während seiner Aufenthalte in Carnuntum mit solchen Gedanken beschäftigt. Gegen Ende seines Lebens gelangte er zu dem Schluß: „Entweder lebst du hier und hast dich bereits eingewöhnt oder du ziehst fort und wolltest es so oder du stirbst und hast deinen Dienst getan. Darüber hinaus gibt es nichts. Aber sei frohen Mutes.“*

* Marc Aurel: Wege zu sich selbst. München 1990. Zehntes Buch, Abschnitt 22.

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ORT UND GEGEND

KÄTHE SPRINGER

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Blick vom Braunsberg über Hainburg und Deutsch Altenburg auf das Wiener Becken. Anonymes Ölgemälde, nach 1818.

„… jenseits des Flusses breitet sich in einem grossen Plaz eine Ebene deren Feldern aus, gegen Mittag gehet ein jäher Fußsteig, allwo man fruchtbare Aecker, und die Denckmahle der von dem Attila verwüsteten Stadt Carnunta siehet; ein Bach schneidet das gegen Niedergang liegende Hügelein ab, welches wegen Fürtreffligkeit des Schlosses, Schönheit des Zierd-Garten und Annehmlichkeit des Schatten Betrachtungs würdig ist; gegen Aufgang steiget aus denen lebhafften und gläntzenden Felsen ein Berg auf, dieser, je mehr er sich erhöhet, je rauher wird er von denen Wäldern, Dorn-Stauden, und von denen tieff-eingerissenen Löchern deren Felsen, und Wegen, Anfangs ist er niedriger und glatter, dannoch aber wegen der Kirchen berühmt, er ernähret auch unfruchtbahre Äcker, dann das grausame Wüten deren Winden, und die unnützliche Menge der Ochra läßt nicht einmal das Gras aufwachsen; am Fuß des Berges ist das von seinem Bad beruffene Dorff Altenburg …“

Eigentliche Beschreibung deren Berühmten dreyen Gesundheits-Bädern in dem Ertz-Hertzogthum Oesterreich unter der Enns, übersetzet von J. A.C.v. S., Nürnberg und Wien 1734

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Die Umgebung der zerstörten Stadt Carnuntum. Stich aus „Alt- und Neues Oesterreich“ von Mathias Fuhrmann, 1734–1737. (Angabe S. 346)

Bad Deutsch-Altenburg, etwa 40 km östlich der Bundeshauptstadt Wien am rechten Donauufer gelegen, ist auf altem Siedlungsgebiet entstanden. Der Ort befindet sich in der Mulde eines kleinen Tales auf 138 Metern Seehöhe – im Norden von der Donau begrenzt (auch wenn das Donauufer seit der Regulierung des Flusses zum Gemeindegebiet von Petronell bzw. Hainburg gehört), an den anderen Seiten von Hügeln umgeben: Im Osten erstreckt sich der Kirchenberg (178 m) mit der romanisch-gotischen Marienkirche, dem weithin sichtbaren Wahrzeichen des Ortes. Dahinter erhebt sich markant der Pfaffenberg (327 m), auf dem sich einst der Tempelbezirk der römischen Lagerstadt Carnuntum befand. Die Kultstätte war von großer Bedeutung für Oberpannonien: Ein Tempel (vielleicht der kapitolinischen Trias Juppiter, Juno und Minerva), Kaiseraltäre, ein Kulttheater u. a. wurden hier in den Jahren zwischen 1970 und 1985 freigelegt; heute prägt den Berg der in Stufen erfolgende Steinabbau. Im Südwesten steigt der Krainerhügel (auch Kreiner- oder Greinerhügel, 168 m) an, der in den letzten Jahrzehnten durch die Ausdehnung des Ortes als Siedlungsgebiet erschlossen wurde.

Westlich von Bad Deutsch-Altenburg, in nur 5 Kilometern Entfernung, kennzeichnen das bekannte Heidentor sowie die Ausgrabungsstätte des römischen Carnuntum die Umgebung. Auch im Garten des Schlosses Petronell finden sich bauliche Spuren von Roms bedeutendem Erbe an der Donau. Heute zählen die Ruinen Carnuntums – seit 1996 ein „Archäologischer Park“ – zu den wichtigsten archäologischen Stätten Mitteleuropas. Zudem findet im Sommer das jährliche Festival Art Carnuntum statt, das zeitgenössisch inszeniertes antikes Theater im römischen Amphitheater bietet. 3 Kilometer östlich von Bad Deutsch-Altenburg liegt die Stadt Hainburg mit den Resten einer mittelalterlichen Burg; diese wurde erbaut, als die alte Wallburg auf dem benachbarten Kirchenberg – als „alte Burg“ Namensgeberin der zu ihren Füßen liegenden Dorfsiedlung Altenburg – als Grenzbefestigungsanlage ausgedient hatte (das Baujahr der „neuen“ Heimenburg ist umstritten: manche Historiker vermuten 1050, andere später). 1975 begann der Hainburger Verein „Schloßberggruppe“ mit Sanierungsarbeiten an der Burgruine und setzte die Burgkapelle sowie den Wohnturm instand; seither werden die Burg und ihr Hof für kulturelle Veranstaltungen genützt. Die Festungsmauern der Stadt Hainburg stammen – wie jene von Bruck an der Leitha – aus der Zeit nach der Gefangenschaft des englischen Königs Richard I. Löwenherz auf Burg Dürnstein (1193), mit dessen Lösegeld sie unter Benützung von Steinen der verfallenen Stadt Carnuntum erbaut wurden (Wiener Tor, Fischertor, Ungartor). Im alten Schulhaus zu Hainburg erhielt übrigens der kleine Joseph Haydn 1737–1740 seinen ersten Unterricht; er lebte damals bei seinem Großvater Thomas Haydn, einem Wagnermeister, der als einer von rund zehn das Hainburger Gemetzel von 1683 überlebt hatte.

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„Schloss vndt Herrschafft Petronell sambt ihren Marcktdörffern“. Aus Matthäus Merians „Topographia“, 1649. (Angabe S. 347)

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Schloß Petronell. Aus Matthäus Merians „Topographia“, 1649. Auf dem Stich sind mehrere Ruinenstätten markiert. (Angabe S. 346)

Ebenfalls nicht weit von Bad Deutsch-Altenburg entfernt, durch die Hollitzer-Allee entlang der Donau bequem erreichbar, thront am Fuß des Braunsbergs auf hohem, fast senkrechtem Felsen über dem Strom die Ruine Röthelstein (ursprünglich: Rottenstein). Vom ehemaligen Festungsbau aus dem 12. Jahrhundert öffnet sich ein prachtvoller Fernblick – weit über die Donau und ihre Auen, ins Marchfeld, das sich mit seinen Feldern und barocken Schlössern (mit freiem Auge gut erkennbar: Niederweiden und Schloßhof) jenseits der Donau erstreckt, und über die Staatsgrenze hinweg in die benachbarte Slowakei.

Burgreste, die ebenfalls auf die einst wehrhaften Aufgaben der Grenzregion hinweisen, finden sich auch zwischen Wolfsthal und Berg: Hier liegt auf halber Höhe des bewaldeten Königswarts am Weg nach Kittsee die Ruine Pottenburg (auch: Hasenburg), mit ihrem Blick in die Ungarische Ebene und nach Preßburg.

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Hainburg „ab occidente“. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Schloß zu Deutsch Altenburg. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Schloß Petronell. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Schloß Wolfsthal. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

Weiter Richtung Süden, schon in den Leitha-Auen, liegt der kleine Ort Rohrau mit dem zur Gedenkstätte ausgebauten Geburtshaus von Michael und Joseph Haydn. Auch das Schloß der Grafen Harrach befindet sich hier, deren bekannte Galerie die wichtigste Sammlung neapolitanischer Malerei außerhalb Neapels beherbergt. (Aloys Thomas von Harrach war Vizekönig von Neapel zur Zeit der österreichischen Herrschaft unter Karl VI. am Beginn des 18. Jahrhunderts.) Der gräfliche Landsitz war einst ein Wasserschloß, wie ursprünglich auch die Schlösser in Petronell, Wolfsthal und Prellenkirchen sowie jenes in Bruck an der Leitha, der heutigen Bezirkshauptstadt. Bruck hat auch noch andere bauliche Schätze zu bieten: schöne Renaissancehäuser, die Stadtpfarrkirche, deren Turm der letzte Türmer Österreichs bewohnte, und die schon erwähnten alten Stadtmauern.

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Schloß Prellenkirchen. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Schloß Rohrau. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Schloß zu Bruck an der Leitha. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

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Die Stadt Bruck an der Leitha. Aus der „Topographia“ von Georg Matthäus Vischer, 1672. (Angabe S. 346)

Damit erstreckt sich zwischen Donau und Leithagebirge weitläufig eine Region, die als westliche Angel der Porta Hungarica auf eine lange, wechselvolle Geschichte am Schnittpunkt zwischen Ost und West zurückblickt – war doch die Leitha seit dem Jahr 1050 Grenzfluß und trennte bis zum Ende der Habsburgermonarchie 1918 die beiden Reichshälften Cisleithanien (die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder) und Transleithanien (die Länder des apostolischen Königreichs Ungarn).

Über die Jahrhunderte haben Reiche und Länder, Völker und Kulturen in Bad Deutsch-Altenburg und seiner Umgebung nachhaltig ihre Spuren und ein vielfältiges Erbe hinterlassen.

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Blick auf die Hainburger Berge und den Thebener Kogel (links) am Beginn der Kleinen Karpaten.

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ZUR GESCHICHTE DES ORTES

GERTRUDE GENG-SESZTAK · KÄTHE SPRINGER

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Carnuntum, ursprünglich eine keltische Siedlung, wurde der wichtigste römische Militärstützpunkt am Donaulimes.

KELTEN UND RÖMER

Archäologische Funde im Ortsgebiet von Bad Deutsch-Altenburg lassen sich bis in die jüngere Steinzeit (um 3500 v. Chr.) nachweisen – es handelt sich vor allem um Steinwerkzeuge. Aus der Bronzezeit (2. Jahrtausend v. Chr.) stammen ein Hockergrab mit Beigaben nahe der ehemaligen Pálffy-Villa (heute: Mühlgarten) in der Steinabrunngasse sowie ein Depotfund* mit Bronzeringen und Bronzeaxt vom Pfaffenberg. Die Gegenstände befinden sich heute im Museum Carnuntinum bzw. im Naturhistorischen Museum in Wien. Carnuntum – wie früher vermutet, schon der Name der keltischen Siedlung auf dem Braunsberg** am Donauknie östlich von Hainburg – leitet sich vom keltischen Wort car bzw. kar oder karn ab, das soviel wie „steiniges Gelände“ oder „Stein“ bedeutet, und weist auf die Wichtigkeit hin, die Stein bereits in alter Zeit für die Gegend hatte: Carnuntum also, eine Siedlung in der Nähe von Felsen. Daß hier auch schon früh Stein gebrochen wurde, liegt nahe. Funde aus der Keltenzeit sind jedoch für das Ortsgebiet von Bad Deutsch-Altenburg nur spärlich dokumentiert: Einerseits galt, wie Erich Swoboda in seinem Buch „Carnuntum. Seine Geschichte und seine Denkmäler“ anmerkt, das Interesse der Archäologen hauptsächlich der römischen Stadt mit ihren im Terrain noch erkennbaren Mauerresten, andererseits begannen die Grabungen zu einer Zeit, als von wissenschaftlichen Methoden und Auswertungsmöglichkeiten des Fundmaterials im heutigen Sinn keine Rede sein konnte. Viele Erkenntnisse über die Vor- und Frühgeschichte des Ortes sind daher wohl unwiederbringlich verloren.

Das Vordringen der Markomannen und Quaden in die nördlich der Donau gelegenen Gebiete veranlaßte die Römer ab dem Jahr 16 v. Chr., zum Schutz des mit ihnen verbündeten keltischen Königreichs Noricum die Donaugrenze zu sichern, um diesen Vormarsch der Germanen zu stoppen. Ein Stützpunkt entstand, der als Carnuntum* eines der wichtigsten römischen Militärlager an der Donaugrenze, dem limes, werden sollte. Eine erste Erwähnung des Namens Carnuntum finden wir bei Velleius Paterculus anläßlich der Beschreibung des Feldzugs des nachmaligen Kaisers Tiberius gegen den Markomannenfürsten Marbod im Jahr 6 n. Chr.: Ipse a Carnunto qui locus Norici regni proximus ab hac parte erat exercitum qui in Illyrico merebat, ducere in Marcomannos orsus est. (Er selbst [=Tiberius] brach von Carnuntum – jenem Ort im norischen Königreich, der diesen Gebieten zunächst lag – auf, das Heer, das in Illyrien stand, gegen die Markomannen zu führen. Aus: Velleius Paterculus, Historia Romana, 1. II. c. 109.) Um 15 v. Chr. wurde das verbündete Noricum von den Römern „zum Schutz“ besetzt und unter Kaiser Claudius (reg. 41-54 n. Chr.) schließlich zur römischen Provinz; das norische Gebiet östlich des Wienerwalds war schon 9 n. Chr. der Pannonischen Provinz zugeschlagen worden. Als diese unter Kaiser Trajan (reg. 98 – 117) in Ober- und Unterpannonien (Pannonia superior und inferior) geteilt wurde, stieg Carnuntum zur Hauptstadt der Teilprovinz Pannonia superior (Oberpannonien) auf, zum bedeutenden Militärlager und zum Sitz des Statthalters im Rang eines Konsuls. Von Trajans Adoptivsohn und Nachfolger Hadrian (reg. 117-138) wurde es zum municipium, also zur Stadt mit Selbstverwaltung, erhoben, von Kaiser Septimius Severus (reg. 193-211) zur colonia, das heißt, seine Einwohner wurden römische Bürger. Immer wieder Angriffsziel der germanischen Stämme, wurden die inzwischen gewachsene Stadt und das Militärlager im Jahr 171 zerstört.

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Die sogenannte „Tabula Peutingeriana“ ist eine römische Straßenkarte aus dem 4. Jh. n. Chr., die uns in einer Kopie aus dem späten 12. oder frühen 13. Jh. überliefert ist. Auf ihr sind die wichtigsten Straßenverbindungen der Römerzeit schematisch dargestellt, die niederösterreichischen auf den Seg men ten III und IV. Die Karte, benannt nach dem Augsburger Ratsschreiber und Humanisten Konrad Peutinger (1465–1547), wurde 1717 vom Prinzen Eugen erworben; nach dessen Tod kam sie in die kaiserliche Bibliothek, die jetzige Österreichische Nationalbibliothek (Codex 324). Im Bild: Segment IV (links) und ein Ausschnitt daraus, der Ort und Region Carnuntum zeigt (oben). (Angabe S. 347)

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Kaiser Tiberius (Tiberius Julius Caesar Augustus, reg. 14–37 n. Chr.).

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Kaiser Hadrian (Publius Aelius Hadrianus, reg. 117–138 n. Chr.).

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Kaiser Marc Aurel (Marcus Aurelius Antoninus, reg. 161–180 n. Chr.).

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Kaiser Septimius Severus (Lucius Septimius Severus Pertinax, reg. 193–211 n. Chr.).

In dieser gefährlichen Situation begab sich Kaiser Marc Aurel (reg. 161–180) nach Carnuntum und leitete von diesem Stützpunkt aus die römischen Operationen gegen die Germanen. Hier verfaßte der „Philosoph auf dem Kaiserthron“ auch einen Teil seiner „Selbstbetrachtungen“, deren zweites Buch mit den Worten In Carnuntum schließt. Während Marc Aurels Aufenthalt wurde mit dem Wiederaufbau der Stadt sowie mit dem Ausbau des Tempelbezirks auf dem Pfaffenberg begonnen. Im Jahr 180 starb der Kaiser, vermutlich im Kastell Bononia bei Sirmium (Sremska Mitrovica bei Belgrad).

Auch am innenpolitischen Geschehen des Römerreichs hatte Carnuntum Anteil: Hier wurde im Jahr 193 Septimius Severus, Statthalter von Oberpannonien, zum Kaiser ausgerufen, und 308 fand an diesem Ort ein Kaiserkongreß statt. Diokletian (reg. 284–305), der die Regierungsgeschäfte bereits zurückgelegt hatte, berief seine vormaligen Mitregenten Maximian (reg. 286–305, 307–308) und Galerius (reg. 305–311) zu diesem Treffen, um die Streitigkeiten um seine Nachfolge in der Herrschaft im West- bzw. Ostteil des Römischen Reiches zu schlichten.

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Kaiser Diokletian (Gaius Aurelius Valerius Diocletianus, reg. 284–305 n. Chr.).

Zwei Generationen später war von Carnuntums Glanz nicht viel geblieben, wie Ammianus Marcellinus, Kaiser Valentinians Hofgeschichtsschreiber, in den Res gestae festhält: Als der Kaiser im Jahr 375 von hier aus einen weiteren Feldzug gegen die Germanen begann, fand er ein verlassenes, ödes Nest vor – oppidum desertum quidem nunc et squalens. Nur strategisch war der Ort, den vermutlich überdies ein Erdbeben erschüttert hatte, noch von Bedeutung. 430 finden wir Carnuntum zum letzten Mal in einem römischen Schriftstück erwähnt – in der Notitia Dignitatum utriusque Imperii (Verzeichnis der Ämter beiderlei Reichs), der wichtigsten Quelle zur Organisation des west- und oströmischen Imperiums der Spätantike. Dieses Verzeichnis enthält Beschreibungen der zivilen Behörden der Reichsverwaltung, der hohen militärischen Ränge und der obersten Hofämter. Darin sind der Befehlshaber einer in Carnuntum stationierten Legion genannt sowie jener einer Donauflottille – diese war jedoch schon von Carnuntum nach Vindobona verlegt worden. 433 gaben die Römer die Provinzen an der Donau endgültig auf. Militär und Verwaltung wurden abgezogen, und von der einstigen Besatzung der Festung blieben nur Veteranen zurück, die sich als Bauern in der Gegend seßhaft gemacht hatten.

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Kaiser Valentinian (Flavius Valentinianus, reg. 364–375 n. Chr.).

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Karl der Große, König der Franken (reg. 768–814) und erster Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, gekrönt in Rom am Weihnachtstag des Jahres 800.

VÖLKERWANDERUNG UND FRÜHES MITTELALTER

Durch den ersten Ansturm der Völkerwanderung vom römischen Einflußbereich abgetrennt, bot der verlassene Ort im 5. und 6. Jahrhundert Westgoten, Ostgoten und Langobarden vorübergehend Wohnstatt, wie man aus Funden schließen kann.

Die folgende Epoche vom 7. bis zum 10. Jahrhundert ist nur spärlich belegt.* Ab 623 war das Gebiet vermutlich Teil des Slawenreichs unter der Herrschaft des fränkischen Adligen Samo und kam nach dessen Tod 659 unter die Herrschaft der Awaren. Seit dem frühen 8. Jahrhundert konnten die Slawenstämme nördlich der Thaya unabhängig werden und das Großmährische Reich errichten – nicht ohne Einmischung der Franken, die ihren Einfluß im Osten des heutigen Österreich gegen Awaren und Mährer auszubauen suchten. So soll der Frankenkönig Karl der Große im – zunächst erfolglosen – Kampf gegen die Awaren 791 bis zur Mündung der Raab in die Donau vorgedrungen sein. Die Annales regni Francorum (die Jahrbücher des fränkischen Königreichs, entstanden vermutlich vor 830) überliefern für das Jahr 805, daß Capcan, ein christianisierter awarischer Fürst namens Theodor, der mit seinen Leuten den Wohnsitz vor gegnerischen Slawen hatte räumen müssen, beim Frankenkönig um ein Gebiet ansuchte, das vor slawischen Ansprüchen sicher war, und von diesem ein solches zwischen Sabaria (Savaria, Steinamanger) und Carnuntum zugewiesen bekam (siehe auch S. 342). Ein solches abhängiges awarisches Fürstentum wurde von der fränkischen Verwaltung also geduldet, wenn auch beargwöhnt. So war noch 805 jeder Waffenhandel mit Slawen und Awaren verboten: Hochwertiges Gerät durfte die Enns nach Osten nicht überschreiten. Grenzstelle für Kaufleute, die mit Slawen und Awaren Handel trieben, war nach dem Capitular von Diedenhofen (805) Lorch an der Enns – das römische Lauriacum. Die Niederlage eines bayerischen Heeres 907 bei Brezalauspurc (Bratislava/Preßburg/Poszony) gegen die Magyaren bedeutete das Ende der karolingischen Mark; der Erzbischof von Salzburg und Liutpold, Markgraf in Bayern – möglicherweise ein Vorfahre des später in Österreich regierenden Hauses der Babenberger –, fanden dabei den Tod. Das Gebiet östlich des Wienerwalds kam unter die Herrschaft der Ungarn. Erst 955 konnten diese – nach ihrer Niederlage gegen König Otto I. auf dem Lechfeld – zurückgedrängt werden, und die Kolonisation östlich der Enns begann von neuem.

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Die Marienkirche von Deutsch Altenburg während der Renovierung um 1900. Rechts im Hintergrund Reste der Wallburg, die heute nicht mehr erhalten sind.

„HEIMENBURCUND MARIENKIRCHE

Wir wissen, daß sich einst auf dem Kirchenberg von Bad Deutsch-Altenburg – oder genauer: auf dem „Stein“, einem heute nicht mehr bestehenden, dem Kirchenberg donauseitig vorgelagerten Felsstock – bedeutende Baureste befunden haben, die allgemein als Befestigungsanlage interpretiert werden. In ihrer Untersuchung dieses Utopos, dieses nicht (mehr) bestehenden Ortes, faßt Christine Neugebauer-Maresch 1980 zusammen: „Durch die Lage an der Kreuzung eines Nord-Süd-Weges (der alte Donauübergang wird mit der Bernsteinstraße in Verbindung gebracht) mit der nördlich am Fuß des Pfaffenberges vorbeiführenden West-Ost-Verbindung haben wir es mit einem sehr wichtigen Knotenpunkt zu tun, der sicherlich nicht erst seit der Römerzeit Bedeutung erlangte. Daß die Anhöhe begangen bzw. besiedelt wurde, davon zeugen Funde aus der Bronzezeit, der Hallstattkultur, der Römerzeit und des Frühmittelalters.“*

Es ist daher keineswegs auszuschließen, daß Vorgängerbauten noch nutzbar oder in ausreichenden Resten vorhanden waren, als hier, wie vielfach angenommen wird, zwischen 990 und 1020 eine Burg errichtet wurde – vielleicht vom Hochedlen Haimo, Vogt des Klosters Tegernsee, wie es im „Handbuch der historischen Stätten Österreichs“ heißt.** Wie im frühen Mittelalter üblich, handelte es sich um einen Bau aus Holz und Erde, der von Ringwällen umgeben war, also eine „Wallburg“. Bayerische weltliche und geistliche Herren errichteten damals im unsicheren Grenzgebiet Befestigungsanlagen (z.B. die Grafen von Rott am Inn die Veste Rottenstein – die heutige Ruine Röthelstein – östlich von Hainburg) für ihre Verwaltung und ihre Gefolgsleute. Auch die slawische Bevölkerung lebte weiterhin hier, wie die Gräberfunde auf dem Kirchenberg von Bad Deutsch-Altenburg zeigen; sie wurden 1947–1950 vom damaligen Leiter des Museums Carnuntinum, Karl Kutschera, zum Teil untersucht. Herbert Mitscha-Märheim (1955; siehe auch S. 340, insbes. Anm. 24) interpretierte die Funde als Slawenbestattungen aus der Zeit von 950 bis 1042, was auf eine gleichzeitige Besiedlung von altansässigen Slawen und eindringenden Bayern schließen läßt.

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Das einstige Felsplateau des „Steins“, auf dem – mit weitem Blick über die Donau – die alte Wallburg lag, war durch einen grabenartigen Einschnitt deutlich vom Kirchenberg getrennt. Die schematische Ineinanderprojektion der „Grenzkarte Ungarn-Niederösterreich“ (1754–1756 im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia von dem k. k. Hauptmann und Ingenieur C. J. von Walter erarbeitet) und des Katastralmappenblatts von 1868 zeigt die Lage und das Areal mit der maximal möglichen Ausdehnung (ca. 35000–40000 m2). Abbildung aus Neugebauer-Maresch, S. 57, Tafel 2. Über die in der Karte angeführte Salpeterfabrik gibt es keine näheren Angaben.

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Blick vom Braunsberg über Hainburg und Deutsch Altenburg auf das Wiener Becken. Anonymes Ölgemälde, nach 1818 (Detail).

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Die Burgruine zu Hainburg. Stich von Conrad Greise, 1856. (Angabe S. 346)

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Hainburg an der Donau. Im Hintergrund der Kirchenberg von Deutsch Altenburg mit seinen Monumenten – Türkenhügel, Marienkirche und Resten der Wallburg (von links nach rechts, in eher freier Darstellung). Ausschnitt aus einem Stich von Anton von Ruthner, 1871. (Angabe S. 347)

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Von der Donau aus gesehen: Reste der Wallburg auf dem „Stein“, die der Historiker Matthäus Much 1874 untersuchte und als „Quadenburg“ bezeichnete. Um 1880.

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Der ungarische König Stephan I., der Heilige (reg. 1000–1038), gilt nach der Legende als Gründer der Marienkirche.

Die Gräber fielen dem Steinbruch am Kirchenberg zum Opfer; dies war um die Jahrhundertwende bereits der Wallburg widerfahren, ebenso Gräberfunden, die in den Jahren 1926–1928 gemacht, doch wissenschaftlich nicht beachtet worden waren. Die regionale archäologische Forschung hatte, wie gesagt, lange keinerlei Interesse an nichtrömischen Altertümern (so wurden 1966 gemachte Funde von elf Gräbern zwar fachgerecht geborgen, doch nicht publiziert).

Gegen 1030 drangen die Ungarn, die sich wohl durch die rasch nach Osten fortschreitende Kolonisation bedroht fühlten, erneut in den Raum des heutigen Niederösterreich vor. Wie früher Karl der Große kam Kaiser Konrad II. mit seinem Gegenfeldzug bis zur Raab; er mußte jedoch wegen Versorgungsschwierigkeiten umkehren.

Dieser Feldzug bildet den geschichtlichen Hintergrund für eine der Gründungssagen (an eine andere werden wir später erinnern, siehe S. 259) der Bad Deutsch-Altenburger Marienkirche: Es heißt, der später heiliggesprochene Ungarnkönig Stephan (István) I. habe im Zuge dieses Krieges auf dem Kirchenberg – und zwar in der alten Burg auf dem „Stein“, wie die Pfarrchronik anno 1755 schreibt – sein Lager aufgeschlagen, auf dem Hügel (heute: Kreinerhügel und Sauberg) westlich des Baches sei das Heer des Kaisers gelegen. Da Stephans Gefolge für ein siegreiches Gefecht zu schwach war, gelobte der König, der Gottesmutter eine Kirche zu erbauen, würde er vor der drohenden Niederlage gerettet; noch in derselben Nacht sei das Heer des Kaisers kampflos abgezogen, ohne dafür einen Befehl erhalten zu haben.

Historisch belegt ist, daß Konrad II. bei Wien von Stephan I. gefangengenommen wurde und das Gebiet zwischen Fischa und Leitha im Frieden von Regensburg 1031 an die Ungarn kam. Als diese ein Jahrzehnt später bis zur Traisen vorgerückt waren, unternahm König Heinrich III., zusammen mit dem aus seinem Land vertriebenen König Peter I. von Ungarn und Markgraf Adalbert von Österreich, 1042 einen Gegenzug. Heinrich eroberte das elf Jahre zuvor an Stephan den Heiligen abgetretene Gebiet zurück; dabei wurden die Wallburg auf dem Kirchenberg und vermutlich auch der erste Bau der Marienkirche zerstört. Dem Sieg Heinrichs folgte die grausame Vertreibung der Ungarn aus der Region: … Weiber wie Männer wüteten mit Lanzen, Messern und Pfeilen … bis alle ermordet dalagen … und sie vom großen Morden ermüdet waren …, schildert ein zeitgenössischer Bericht die blutigen Ereignisse unter Markgraf Adalbert dem Siegreichen (zit. aus Stenzel, S. 66). Doch der Versuch des deutschen Königs, hier eine Mark einzurichten, schlug bis auf weiteres fehl.

Erst acht Jahre später entstand die Heimenburg neu. Wie die Chronik des Klosters Niederalteich berichtet, soll der Auftrag dazu an Bischof Gebhard von Regensburg, Herzog Konrad von Bayern und Markgraf Adalbert von Österreich im Jahr 1050 zu Nürnberg* erteilt worden sein. Zum Schutz der Bauleute verlegte Bischof Gebhard eine Garnison in den Grenzort.** Schon im folgenden Jahr konnte sich Heinrich III., mittlerweile Kaiser, wieder in der Feste aufhalten; dies belegen zwei Urkunden, beide am 25. Oktober 1051 in Heimenburc verfaßt (siehe S. 331ff.). In der einen schenkt der Kaiser ein Gut namens Sigehartteschiriha, gelegen in der Grafschaft des Markgrafen Adalbert im Lande Osterich, dem Altare [= der Kirche] am Orte Heimenburc, geweiht der Gottesgebärerin Maria wie den heiligen Märtyrern Mauritius und Laurentius (… predium Sigehartteschiriha dictum in comitatu Adalberti marchionis in pago Ostericha situm ad altare in loco Heimenburc in honore sanctae dei genitricis Mariae sanctorumque martirum Mauricii Laurentii consecratum …, siehe auch S. 342 f.).

In der zweiten Urkunde vom selben Tag schenkt der Kaiser der Marienkirche in Heimenburg (ad altare sanctae Mariae et sanctorum martyrum Mauricii Laurentii in Heimenburg) den Fruchtzehent aus dem Gebiet zwischen Fischa und Leitha sowie zwischen Strachtin (heute Strachotin, am Nordpunkt des mährischen Thayabogens) und der Fischamündung bis an die March, dazu den dritten Teil des Einkommens aus der gleichnamigen Stadt (de eadem urbe) – gemeint ist Hainburg (siehe S. 343).

Die Verfügungsgewalt über diesen Besitz überträgt der Kaiser dem praepositus (Propst) des Kollegiatstifts. Wir wissen aber nicht, ob ein solches Kollegiatstift zum Zeitpunkt von Heinrichs Schenkung bereits bestand oder erst „in Gründung“ war, ja, vielleicht niemals errichtet wurde.***