Was man nicht verpassen darf
HINSTORFF
Oh je, schon wieder ein Band über Rostock und Warnemünde. Dieser Gedanke drängt sich einem geradezu unerbittlich auf, so man in einem der Buchläden der Stadt weilt. Der Verständnisvolle unter den Bücherliebhabern wird sich sagen: Große Jubiläen stehen an, so 2018 die 800-jährige urkundliche Ersterwähnung der Stadt und 2019 der 600. Geburtstag der hiesigen Universität. Und ein neues Buch zu Ehren Rostocks, nun ja, die Idee ist nicht gerade originell, aber so schlecht wiederum auch nicht. Wenn einem nun mal nichts Besseres einfällt?
Der »militante« Rostocker, für den seine Stadt ohnehin die »schönste«, »bedeutendste« und »ehrwürdigste« unter den Städten Mecklenburg-Vorpommerns und natürlich darüber hinaus ist, muss nicht überzeugt werden. Für ihn ist jedes Buch über seine Heimat letztendlich nur ein weiterer Beweis dafür, was er seit langem weiß: Rostock muss man gesehen haben! Und besondere, sehenswerte Orte gibt es seiner Meinung unendlich viele. Sie nur in ein kleines Büchlein zu bringen, das ist für ihn schon ein Unding an sich.
Doch der Skeptiker! Der sollte seine Zurückhaltung kurz beiseite schieben und hineinlesen. Denn so wird er schnell merken – Rostock hat tatsächlich eine große Zahl an »Hinguckern«. Dem Einheimischen sind sie zumeist vertraut. Den Gästen »drängen« sie sich ob ihrer Größe geradezu auf und werden auch vom Unkundigen schnell gefunden und bestaunt. Allein der erste Blick ist schon bemerkenswert. Und der zweite – er befördert Weiteres hervor. Diese »verborgenen« Kleinode von der »zweiten« in die »erste« Reihe, quasi aus dem Versteck zu holen, ist ein Anliegen des vorliegenden Buches. Denn neben den berühmten »Highlights« erscheinen sie, oberflächlich betrachtet, etwas »unscheinbar«. Doch bei näherem Hinsehen erzählen sie interessante Geschichten.
Folgen Sie uns also durch enge Gassen und breite Straßen, lassen Sie uns prächtige Bürger- und himmelwärts strebende Gotteshäuser besuchen. Wir werden große Plätze überqueren, durch schattige Parks schlendern. Am Ufer der Warnow und an der Ostsee wird uns der Seewind um die Nase wehen. Begeben wir uns auf einen Gang durch das alte und neue Rostock.
Eine Ziffer hat es den Rostockern seit jeher angetan, die Sieben. Warum es gerade diese ungerade Zahl ist, niemand weiß es genau. Auch wenn die Sieben in vielen Ländern Asiens, so zum Beispiel in Thailand und Japan, mit Unglück verbunden wird ... Rostock liegt in Europa – und hier gilt die Ziffer als Garant für Glück und Wohlstand. Im Mittelalter traf das zweifellos auf die mächtige Hansestadt an der Warnow zu, doch Rostock hat auch schlimme Zeiten erlebt. Dazu später mehr!
Die Sieben ist in der Stadt allgegenwärtig und das schon seit Jahrhunderten. Die Primzahl steckt in unzähligen Bauwerken der Stadt – und selbst in Reimen wird sie gepriesen. Sie wurde zum Wahrzeichen der Hansestadt:
Söben Toern to Sint Marien Kark, | Sieben Türme der St. Marien-Kirche, |
Söben Straten bi den groten Mark, | Sieben Straßen bei dem großen Markt, |
Söben Doerns, so da gaen to Lande, | Sieben Tore, die in das Land führen, |
Söben Kopmannsbrüggen bi dem Strande, | Sieben Kaufmannsbrücken bei dem Strand, |
Söben Toern, so up Rathus stan, | Sieben Türme, die auf dem Rathaus stehen, |
Söben Klocken, so dakliken slan, | Sieben Glocken, die zugleich schlagen, |
Söben Linnenböm up den Rosengarten: | Sieben Lindenbäume im Rosengarten: |
Dat syn de Rostocker Kennewohrn. | Das sind die Rostocker Wahrzeichen. |
Das niederdeutsche Gedicht über die »Rostocker Kennewohrn« (Rostocker Kennzeichen) stammt aus dem Jahre 1596. Verfasst hat es der Dichter und Chronist Peter Lindeberg. Etwas rätselhaft ist die Sache schon, galt die Sieben in dieser Zeit doch auch als Zahl der Hexen. Und das 16./17. Jahrhundert war jene Epoche, in der Hexen und Zauberer unerbittlich gejagt wurden. Auch in Rostock loderten unzählige Male die Scheiterhaufen.
Wie Lindeberg gezählt hat, wissen wir nicht, denn es gab zum Beispiel mehr als sieben Kaufmannsbrücken. Sei es wie es sei: Unsere Vorfahren begegneten der mystisch aufgeladenen Sieben mit Ehrfurcht und verarbeiteten sie weiterhin in ihren Bauwerken. Schließlich zählt der Name Rostock sieben Buchstaben. Spötter erwähnen allerdings gerne, dass die Universität der Stadt in ihren schlechtesten Jahren nur sieben Studenten hatte. Aber von solchen Dingen, zumal sie mit Sicherheit unwahr sind, will der »wahre« Rostocker nichts hören.
Seit Jahrhunderten prägt der gewaltig in den Himmel aufragende Turm von St. Petri die Silhouette Rostocks. Wer sich von der Landseite der Stadt nähert, wird schon von weitem durch den 117 Meter hohen Kirchturm willkommen geheißen. So manches »Gott sei Dank« oder »Geschafft« dürfte dem Munde des Kaufmanns oder Reisenden im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit entsprungen sein, wenn er, auf holpriger Straße fahrend, des gewaltigen Gotteshauses ansichtig wurde.
Zugleich diente das Wahrzeichen der Stadt seit dem 15. Jahrhundert den Seefahrern als Landmarke. Seinerzeit war es sogar 127 Meter hoch und von Schiffen, die den Rostocker Hafen anlaufen wollten, schon von weither erkennbar – gute Sicht vorausgesetzt. 1543 zerstörte jedoch ein Blitzschlag den Turm. Die Katholiken der Stadt sahen darin ein Zeichen Gottes, das die Anhänger Luthers strafen sollte. Wie andernorts hatte auch an der Warnow die Reformation in jenen Jahren begonnen, den Einfluss der althergebrachten Kirche zurückzudrängen. Nichtsdestotrotz: Der Turm wurde wieder aufgebaut und diente seit 1578 – allerdings nun um 10 Meter gekürzt – weiter als Orientierungsmarke. Bis 1942, dann stürzte der Petrikirchturm erneut brennend zu Boden. In der Nacht vom 26. zum 27. April des Jahres hatten britische Bomben das Gotteshaus schwer zerstört. 52 Jahre gingen ins Land, in denen das Kirchenschiff zwar wieder aufgebaut wurde, doch der Turm ein ungekrönter »Stummel« blieb. Erst im November 1994 hob ein gewaltiger Kran die drei Segmente der neuen Kirchturmspitze in die Höhe. Eine technische Meisterleistung und für die Zuschauer ein bewegendes Spektakel. Seither ist St. Petri wieder vollständig und weithin als Rostocker Wahrzeichen sichtbar. Die in 45 Meter Höhe eingebaute Plattform – man kann sie per Fahrstuhl oder über 196 Treppenstufen erreichen – bietet einen einmaligen Rundumblick.
Der Hügel, auf dem nachweisbar 1252 die erste Kirche namens St. Petri gebaut wurde, atmet wie kein anderer Ort die Geschichte Rostocks. Denn hier entstand die erste Ansiedlung »deutschstämmiger« Einwanderer. Und vor den Mauern des mächtigen Sakralbaus weist das Slüter-Denkmal auf den Wegbereiter des Protestantismus in Rostock hin. Der Sohn eines Dömitzer Fährmannes verkündete in St. Petri das Wort Luthers. Als die Kirche die Zahl der Gläubigen nicht mehr fassen konnte, wich der Rostocker Reformator auf den Friedhof anbei aus. Unter einer großen Linde predigte er fortan nicht mehr in Latein, sondern in verständlichem Plattdeutsch.
Die Petrikirche liegt am Alten Markt. Das Slüter-Denkmal befindet sich östlich zwischen Gotteshaus und Stadtmauer. Öffnungszeiten für Aussichtsturm und Besichtigung der Kirche: Mai bis September täglich 10:00 bis 18:00 Uhr, Oktober bis April täglich 10:00 bis 16:00 Uhr. In der Regel bleiben Kirche und Turm an Karfreitag und Silvester geschlossen. Auch während Gottesdiensten und Veranstaltungen ist keine Besichtigung möglich. Informationen unter www.petrikirche-rostock.de.
Innerhalb weniger Jahre hat sich das Petriviertel am östlichen Stadtrand zu einem attraktiven Wohngebiet entwickelt. Zwischen Warnow und Stadtmauer gelegen, entstand hier auf knapp sechs Hektar ein neues Quartier mit etwa 450 Eigenheimen, Wohnungen, einem Parkhaus, einem Kindergarten und einer Sporthalle.
Bis 2010 lag die Fläche weitestgehend brach und stand regelmäßig unter Wasser. Lediglich eine Straßenbahntrasse durchquerte das hochwassergefährdete Gebiet in Richtung Dierkow und Toitenwinkel. Nichts weist mehr darauf hin, dass dieses flache, moorige Gelände außerhalb der Rostocker Stadtmauer einst eine herausgehobene Bedeutung besaß. Wären da nicht die eigenartigen Straßennamen Gerber- und Fischerbruch.
Begeben wir uns also zurück in die Geschichte, am besten ins 13. Jahrhundert. In jener Zeit befand sich hier einer der Wirtschafts-Cluster der Hansestadt. Das sumpfige, von vielen Bächen durchzogene Gebiet, der sogenannte Bruch, zog Gerber, Fischer und Küter magisch an. Hier fanden sie ideale Bedingungen – der Fischer mit der nahegelegenen Warnow ausreichende Fanggebiete, der Gerber genügend Wasser zum Spülen sowie Waschen der Tierhäute und der Küter zum Schlachten des Großviehs. Man befestigte die Ufer der Wasserläufe, legte beidseitig Straßen an und baute Häuser. Kneipen, Herbergen und eine Badestube folgten.
Der Fischerbruch wurde erstmals 1262 und der Gerberbruch 1289 erwähnt. Beschirmt durch die nahegelegene, dem Schutzheiligen der Fischer gewidmete Nikolaikirche, gingen hier mehr als 30 Bruchfischer ihrem Gewerbe nach. Von Stadtbränden und von den Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges blieben die Bruchstraßen weitgehend verschont. Dem Zahn der Zeit, aber auch dem Neubau der Straßenbahntrasse vom Steintor in die östlich gelegenen Neubaugebiete, fielen dann zahlreiche Häuser des Fischer- und Gerberbruchs zum Opfer. Die Gräben wurden zugeschüttet. Regelmäßig überschwemmte die über die Ufer tretende Warnow das Gelände, insbesondere Parterrewohnungen waren permanent gefährdet. Haus um Haus wurde freigezogen. Die Bausubstanz zerfiel zusehends und wurde im Laufe der Jahre abgetragen.
Hochwässer müssen die Bewohner des neu errichteten Petriviertels nicht mehr fürchten. Alle Straßen haben eine Höhe von 2,50 Meter über Null. Die Bodenplatten der Häuser beginnen sogar erst bei 3,10 Meter. Boote, die hier früher allgegenwärtig waren, dienen heute nur noch der Freizeitgestaltung, nicht mehr der Rettung von Hausrat, Leib und Leben.
Besonders markante Gebäude im Viertel sind die im Fischerbruch 27 und 28, entworfen vom Rostocker Architekten Christian Blauel. Hinter den abwechslungsreichen Fassaden verbergen sich äußerst energiesparende Häuser.
2005 übernahm der Rostocker Wasserballverein »Lederhexen« das Flussbad am Mühlendamm. Über zwei Jahre lang wurde gewerkelt und gebaut, die letzten Arbeiten konnten 2008 abgeschlossen werden. Seither lockt das vor den Toren der Altstadt gelegene Fluss- und Sonnenbad an der Warnow unzählige Wasserratten und -sportler an.
Die Geschichte der beliebten Anlage begann 1833. Damals eröffnete der Privatunternehmer Joachim Vick, wie es bedeutungsvoll hieß, an der Oberwarnow vor dem Mühlentore eine öffentliche Badeanstalt. Zunächst nur männlichen Besuchern vorbehalten, wurde die neue Attraktion wenig später auch für Frauen und Mädchen zugelassen. Natürlich waren die Geschlechter streng voneinander getrennt – versteht sich! 1842 erweiterte Vick sein Etablissement durch eine »Wasserheilanstalt«, nachdem er sich bei dem berühmten österreichischen Wasserarzt Vincenz Prießnitz im schlesischen Bad Gräfenberg hatte ausbilden lassen. Schnell sprach sich die Qualität der Rostocker Anstalt herum, so dass die Kuren mit Warnowwasser schon bald Patienten aus ganz Mecklenburg und sogar darüber hinaus anlockten. Das erst recht, als das Angebot später durch die Eröffnung eines russischen Dampfbades und eines römisch-irischen Bades vervollständigt war. Die anstaltseigene Pension zeigte sich stets gut ausgebucht. Das Flussbad und seine Einrichtungen, so bemerkte der Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Rostock – Professor Julius Uffelmann – 1889, befände sich »in flottem Betrieb«. Nach Jahren des Aufstiegs vertrieb der Erste Weltkrieg die Lust am Baden und Kuren. Das privatgeführte Unternehmen geriet in eine finanzielle Schieflage und wurde 1921 verkauft. Als auch noch die Badeanstalt vor dem Faulen Tore am östlichen Stadthafen durch eine Sturmflut zerstört wurde, waren die Rostocker Stadtväter im Zugzwang. Sie verfügten wenig später den Bau einer neuen Badeanstalt am Mühlendamm. 220000 Reichsmark, eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hohe Summe, stellten sie zur Verfügung. Schon 1922 öffnete die städtische Badeanstalt ihre Tore. Auf das Luft- und Sonnenbad mussten die Rostocker und ihre Gäste aber noch bis 1925 warten.
Nach Jahren des Auf und Ab, kurzzeitigen Schließungen und Wiedereröffnungen, war 2003 Schluss. Das traditionsreiche Flussbad wurde geschlossen, das Gelände zum Verkauf ausgeschrieben. Wären da nicht die »Lederhexen« gewesen!
Das Flussbad (Mühlendamm 36) ist vom 1. Mai bis zum 30. September geöffnet – allerdings nicht bei schlechtem Wetter. Öffnungszeiten an Schultagen täglich von 14:00 bis 19:00 Uhr, sonst 11:00 bis 19:00 Uhr. Weitere Informationen unter 0381/1289920 oder www.lederhexen-ev.de.