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Nr. 2946

 

Notruf aus der Leere

 

Eine Botschaft aus der Heimat – die Terraner erfahren von einem Verhängnis

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ogate Kaanuel: Aus den Historien

2. RAS TSCHUBAI, 23. Dez. 1551 NGZ

3. In der Leere

4. Eine ernst zu nehmende Warnung

5. Anflug

6. Seid gegrüßt

7. Die Kommissarin

8. Die Falle schnappt zu

9. Pläne schmieden

10. Ausbruch

11. Jagd durch das Obdach

12. Keiner gibt auf

13. Die Einigung

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten; dazu zählen auch die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris. Perry Rhodan hat Kontakt zu ihnen aufgenommen und dabei das Zweite Solare Imperium und die Gäonen kennengelernt, ein Splittervolk der Menschheit. Nun befindet er sich auf der Rückreise in die Milchstraße. Während des Flugs erreicht die RAS TSCHUBAI ein NOTRUF AUS DER LEERE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begibt sich auf eine Mission.

Gucky – Der Mausbiber bekommt es nicht nur mit Insekten zu tun.

Sichu Dorksteiger – Die Wissenschaftlerin erkundet einen Planeten.

Unndris Spaa – Der Oberste Wisperer sucht Freunde.

1.

Ogate Kaanuel: Aus den Historien

 

Fünf Generationenschiffe gingen vor 4000 Umläufen auf die große Reise zu der Galaxis, die wir so nah und zugleich fern am Himmel sehen können. Fünf!

Wir haben mehr als tausend Umläufe bis zur Rückkehr gerechnet, die Planung reichte sogar dreitausend Umläufe weit. Lange genug, um die Galaxis zu erreichen und zurückzukehren, und kurz genug, um nicht zu vergessen.

Doch wir verloren den Kontakt, und wir verloren die Schiffe. Sie kehrten nie wieder.

Es scheitert wahrscheinlich immer an demselben Problem. Weswegen wir sie ausschickten, daran gingen sie vielleicht zugrunde. Am Mangel.

Was können wir tun? Alles schlägt fehl.

Der erste Kontakt gelang uns vor 1800 Umläufen, und er war auch dringend erforderlich. Wir waren kurz vor dem Ende. Sie kamen und wurden wie Gäste behandelt. Es war ein guter Austausch.

Doch dann verließen sie uns wieder, und wir mussten erneut auf die Suche gehen.

Es ist nicht leicht, Freunde zu finden, wenn man in der Leere lebt. Sie fliegen alle nur an uns vorbei, grüßen nicht, bemerken uns nicht. Nur manchmal, wenn wir es schaffen, ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, kommen sie.

Und wir brauchen dringend Freunde.

Die nächsten Freunde kamen vor 1500 Umläufen, doch sie machten einen Fehler und stürzten in die Sonne. Ein entsetzliches, tragisches Unglück, das uns noch lange verfolgte, bis in die schwarzen Träume der Nacht. Wir bereuten, oh, so sehr. Wollten nie wieder Freunde gewinnen.

Doch wir durften auf keinen Fall damit aufhören. Wir litten zu sehr unter dem Verlust unserer Schiffe. Wir wollten nicht untergehen. Wozu sind wir so weit gekommen, wenn wir dann allesamt sterben, einer nach dem anderen, in der kalten Einsamkeit und dunklen Leere?

So suchten wir nach einigen Hundert Umläufen weitere Freunde und fanden sie. Ein weiteres Unglück folgte unserem Kontaktversuch. Sie gerieten aus der Bahn und stürzten ab.

Erneut blieben wir allein. Viele weinten. Andere gingen in den Freitod, weil sie es nicht mehr ertragen konnten.

Aber nicht alle gaben auf, darunter ich. Das Universum ist groß, und dort draußen gibt es viele Freunde. Sie werden kommen, eines Tages, und wir werden ein Fest feiern und uns erfreuen.

Wenn du uns hörst, da draußen, geh nicht darüber hinweg, flieg nicht weiter! Komm zu uns!

Lass uns Freunde sein!

2.

RAS TSCHUBAI, 23. Dez. 1551 NGZ

Der Ruf

 

Lua Virtanen.

08.00 Uhr.

Ich bin Unschläferin. Alles, was ich benötige, sind Regenerationsphasen, in denen ich halbwegs »weggetreten« bin. Aber seit ich mir den Zellaktivator mit meinem Gefährten Vogel teile, sind selbst diese Phasen eher selten.

Wegen meiner Affinität zu höherdimensionalen Bereichen wurde ich – genau wie Vogel – zur Emotionautin ausgebildet und bin mittlerweile als Emotio-Progressorin in der Lage, die RAS TSCHUBAI aus der Suspension heraus zu steuern.

Ich bin am besten dafür geeignet, denn der Vorgang ist heikel. Es ist wie eine Art permanenter Transmittervorgang – wer sich in Suspension begibt, wird entstofflicht und existiert nur durch seine ÜBSEF-Konstante im Hyperraum. Dabei bleibt man bei Bewusstsein und könnte prinzipiell mit dem Standarduniversum kommunizieren. Wären da nicht die spontanen Träume und das Erleben anderer Realitäten. Das bedeutet, je mehr Zeit vergeht, umso schwieriger wird es, wieder zurückzufinden. Nicht alle schaffen das. Dieser Prozess kann zu dauerhaften Halluzinationen führen – oder im schlimmsten Fall sogar multiples Organversagen auslösen.

Beim bewussten Wechsel in die Suspension hat man zunächst das Gefühl, in einen endlosen, phantastischen Raum zu gelangen, dessen Eindrücke nicht wiedergegeben werden können – wie ja auch ein Traum schlecht in Worte gefasst werden kann, obwohl er einem in der Erinnerung völlig logisch und erklärbar erscheint. Mit der Zeit verwischen sich diese Eindrücke, und der konstante Bezug zur Wirklichkeit des Normalraums entgleitet.

Das betrifft alle Wesen, die schlafen müssen – aber mich eben nicht. Also kümmere ich mich um die Steuerung der RAS TSCHUBAI, ich habe ohnehin sonst nichts zu tun und streife lieber mithilfe des Simultanen Emotio- und Reflex-Transfers durch das Schiff. Mittels der SERT-Verbindung bin ich selbst das Schiff, anstatt dauernd in diesem »Raum« zu verweilen.

In regelmäßigen Abständen leiten wir für etwa eine Stunde eine Orientierungsphase ein, bevor die Transferblase neu erzeugt und der Hypertrans-Progressorflug fortgesetzt wird. Ohne die Suspensionsalkoven stünden während dieses Vorgangs wegen der dabei entstehenden Strahlung die Überlebenschancen für die Besatzung bei null. Selbst die Unsterblichen würde das mindestens aus den Stiefeln hauen – wenn nicht sogar tatsächlich töten. Testen wollte das bisher keiner.

Ich hingegen »geistere herum«, wie Täller mal gesagt hat. Es ist schwer zu beschreiben, wie das ist, auf dieser metaphysischen Ebene das Schiff zu erleben, sich hindurchzubewegen, ein Teil davon zu sein. Das Wichtigste: Ich kann mit ANANSI kommunizieren und sofort handeln, wenn es brenzlig wird.

 

*

 

08.15 Uhr

Nach unserem Aufbruch am 15. Dezember haben wir uns während der ersten drei Tage Reisezeit 30.000 Lichtjahre aus dem Schwerkraftbereich der Galaxis Sevcooris entfernt. Um während des Hypertrans-Progressorflugs den maximalen Überlichtfaktor erreichen zu können, ist ein ausreichender Abstand erforderlich, bei der Milchstraße sind es sogar 100.000 Lichtjahre.

Bisher ist alles glatt verlaufen.

Schiff und Besatzung sind wohlauf. Ich kann mich der Orientierung widmen.

 

*

 

08.30 Uhr

Das Schiff befindet sich zwischen den Galaxien im Leerraum, in der Nähe eines Sonnensystems. Es ist Teil einer lockeren Gruppe von Sternen, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor vielen Millionen Jahren aus Sevcooris gelöst und die lange Wanderung durch den Leerraum angetreten haben. Verantwortlich dafür war wohl die gravitative Wechselwirkung mit einer vorbeiziehenden Galaxis.

Bei diesen Sternen steht die dritte Nova des Leuchtfeuers. Wir sind hier schon einmal gewesen – auf dem Herflug. Ein markanter Punkt für einen Orientierungsaustritt, den wir auch für den Rückflug nutzen.

Ich bin fast aufgeregt, wieder etwas sozusagen Vertrautes zu sehen, obwohl wir gerade erst lächerliche fünf Millionen der Gesamtentfernung von 111 Millionen Lichtjahren zurückgelegt haben. Erst in diesem Moment wird mir so richtig bewusst, dass es wirklich zurückgeht. Der Abflug aus dem Neo-Solsystem hatte sich um vierzehn Tage verschoben, nun sollte es keine Hindernisse mehr geben.

 

*

 

08.45 Uhr

Ich habe den Kurs festgelegt. Noch ein paar Abstimmungen, dann werde ich wie geplant in etwa einer Viertelstunde die nächste Hypertrans-Progression einleiten. Eine Million Lichtjahre pro Tag. Selbst für mich ist das schwer zu fassen. ANANSI hat solche Probleme natürlich nicht. Ihr Zeit- und Entfernungsgefühl ist ein ganz anderes. Morgen sind wir schon wieder ein Stück näher an der Milchstraße, die ich mir in den vergangenen Jahren zur Heimat erobert habe. Ob die Semitronik das auch so empfindet?

Ich genieße die Verbindung. Ich sehe, was das Schiff »wahrnimmt«. Ich kann in das All hinausblicken, als wäre ich mittendrin. Ich höre das Brausen der Sonnenstürme, ich rieche den Sternenstaub, ich sehe, wie Planeten rotieren. Noch ein letztes, inniges Einsaugen all der Eindrücke, bevor ...

»Lua?«

»Ja doch, ANANSI, gib mir wenigstens noch eine Minute!«

Warum drängelt sie denn? Wir haben ohnehin schon vierzehn Tage verloren, was kommt es da auf vierzehn Sekunden an?

Natürlich sprechen wir nicht laut miteinander, es ist eine mentale Verbindung über die SEMT-Haube. Ich bin das Schiff, so wie ANANSI das Schiff ist. Zusammen bewegen wir die fast zweieinhalb Gigatonnen schwere Metallkugel durch die eisige Kälte des Alls und durch das höherdimensional gelagerte Medium des Hyperraums. Wir sorgen für das Schiff und den Schutz seiner Passagiere. Und dafür, dass die RAS TSCHUBAI den Heimweg findet.

»Darum geht es nicht, Lua. Ich empfange einen Funkruf.«

»Einen Funkruf? Hier?«

Ich kann es kaum glauben – aber ANANSI irrt sich nun einmal nicht. Völlig sinnlos, eine Diskussion anzufangen. »Übermittle ihn mir!«

»Es ist ein automatischer, sich ständig wiederholender Ruf höchster Dringlichkeit.«

ANANSI leitet den Ruf an mich weiter.

 

*

 

08.50 Uhr

Verdammt. Verdammt, verdammt. Verdammt!

»ANANSI! Hol sofort Perry Rhodan raus! Und Sichu Dorksteiger! Und Gucky! Und ... Vogel.«

»Sonst noch jemanden?«

»Cascard Holonder, er ist schließlich der Kommandant. Über den Rest soll Perry entscheiden, nachdem er den Funkruf gehört hat. Keinesfalls werden wir alle 35.000 Reisenden aus der Suspension holen, solange nicht feststeht, wie wir mit dieser Nachricht umgehen werden.«

3.

In der Leere

 

Sichu Dorksteiger.

9.15 Uhr

Ich bin wieder da.

»Hallo, wie geht es dir?«, fragt mich ANANSI, wie sie das immer fragt, und wie immer scheint es sie tatsächlich zu interessieren.

»Bescheiden«, antworte ich. Ich habe einen pelzigen Geschmack auf der Zunge, mir ist übel. Diese materielle Daseinsform ist verdammt schwerfällig, träge, und ich wiege gefühlt eine Tonne.

Ich taumle den Radialgang entlang zum Hygiene- und Ankleidebereich und wanke unter die Dusche. Das volle Programm mit Massage, Trigger-Aktivierung und erfrischendem Duft. Die Zähne gereinigt, den Mund gespült, die Haare getrocknet. Kosmetik aufgelegt, ich bin eitel genug, meinem Spiegelbild gefallen zu wollen. Ich muss diese Daseinsform wieder ertragen lernen, und das werde ich nicht ohne perfektes Äußeres.

Nach unserer Ankunft in Sevcooris hatte ich darauf gesetzt, mich an die Suspension gewöhnt zu haben. Fehlanzeige, wie ich feststellen muss. Der Körper gewöhnt sich schnell an vielerlei, aber genauso schnell vergisst er Unangenehmes.

 

*

 

09.30 Uhr

Angekleidet trete ich wieder hinaus. Nach rechts der direkte Weg zur Cafeteria, nach links geht es auf den Radialgang, über den ich außen herum hingelange. Ich bin schon sicherer auf den Beinen und an sich munter, aber ich benötige dringend etwas zu essen, bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann. Außerdem spüre ich die Nachwirkungen meines letzten Traums. Zu dumm, dass man in der Suspension auch träumen kann. Mir wäre das unbewusste Nichts lieber als diese seltsame Mischung aus bewusster Wahrnehmung und Halluzination. Ich verliere nicht gern die Kontrolle.

Besser nicht zu viel darüber nachdenken, sonst gehe ich nie wieder in den Alkoven.

Ich überlege, auf Perry zu warten. Ich habe ihn gehört, er ist kurz nach mir hereingestolpert und hat sich erst mal übergeben. So viel dazu, welche Vorteile der Zellaktivator bietet.

Nach kurzem Zögern entschließe ich mich, ihn zuerst in Ruhe zu sich kommen zu lassen. Jeder von uns braucht eine gewisse Zeit, um sich wiederzufinden und sich daran zu erinnern, wohin man unterwegs war und warum.

Kurz entschlossen gehe ich trotz knurrenden Magens nach links auf den Radialgang. Der kleine Spaziergang tut mir gut, bringt meinen Kreislauf wieder in Schwung und mir mein Körperbewusstsein zurück. Wie jedes Mal rekapituliere ich auf dem Weg einfache Dinge, um auch mein Gehirn wieder auf Touren zu bringen.

RAS TSCHUBAI. Deck 16-01 mit COMMAND-Level der Zentrale. Hier befinden sich 110 Suspensionsalkoven. Einen habe ich soeben verlassen und bin jetzt unterwegs zur Nahrungsaufnahme.

Klappt doch schon gut.

 

*

 

09.45 Uhr

Der Automat öffnet die Klappe und schiebt mein Frühstück heraus. Heißer Kaffee, Saft, Birchermuesli, angeblich nach Schweizer Originalrezept von Terra. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber ich liebe es, und es ist selbst für eine Ator gesund. Es erinnert mich ein wenig an den elterlichen Hof, auf dem ich aufgewachsen bin. Dazu ein dick belegtes Sandwich. Und ein Schokomuffin. Auch gesund. Nervennahrung.

Mit dem Tablett bewaffnet balanciere ich auf einen Tisch zu, an dem schon jemand sitzt. Ein kleines, gerade mal einen Meter messendes, pelziges Wesen mit jammervoll hängenden Ohren und einem reichlich zerknitterten Gesicht. Vor sich ein Tablett mit Möhrensaft und allerlei Gemüse in verschiedenen Farben.

Behutsam stelle ich das Tablett gegenüber ab, gehe um den Tisch und streichle den Kleinen im Nacken, berühre bestimmte Nervenpunkte, die ich sanft massiere. Nach wenigen Sekunden seufzt Gucky wohlig, und seine Ohren nehmen ihre normale Form an, sein gesträubtes Fell glättet sich und erhält seinen ursprünglichen Glanz zurück.

Ich setze mich ihm gegenüber – und lasse mich von niemandem mehr davon abbringen, mein Frühstück zu verzehren. Auch nicht von meinem Mann, der kurz darauf mit federnden Schritten zu uns kommt, seinen Arm kurz um meine Schultern legt und mir einen Kuss auf die Wange drückt, bevor er sich selbst etwas zu essen holt.

Ja, Wiederverstofflichung macht hungrig.

Der Letzte im Bunde ist Cascard Holonder, der kahlköpfige ertrusische Kommandant. »ANANSI, warum sind wir geholt worden?«, kommt er zur Sache.

»Hallo, Cascard, wie geht es dir?«

»Gut, danke der Nachfrage.«

»Lua Virtanen hat die Unterbrechung der Suspension veranlasst«, erklärt die Semitronik. »Wir haben einen automatischen Notruf in Endlosschleife erhalten.«

Gucky bringt auf einem Tablett die zweite Runde Getränke für sich und uns. Seine Augen glänzen schon wieder, aber gesprächig ist er noch nicht.

Ich nehme an, dass er wieder von Iltu geträumt hat, seiner Frau, und vielleicht auch seinem Sohn Jumpy. In solchen Momenten wird ihm allzu sehr bewusst, der Letzte seiner Art zu sein. Etwas, womit er gelernt hat zu leben, sich aber nicht an den dauerhaften Verlust gewöhnen kann.

Ich lächle ihm zu.

Er versucht zurückzulächeln, aber er ist noch nicht so weit. Ich würde ihn gerne trösten, wenn ich nur wüsste, wie. Jeder von uns erleidet mehrmals tragische Verluste in seinem Leben, ich bin da keine Ausnahme. Bei den Unsterblichen erfolgt das potenziert, da sie letztlich alles Sterbliche überdauern.

Doch bei Gucky ist es noch durch seine unwiderrufliche Einmaligkeit erhöht, gerade wegen der geselligen und verspielten Art, wie sie die Mausbiber einst darstellten. Gucky ist keine Ausnahme seines Volkes. Das beweisen seine Geschichten, denen ich gern zuhöre.

Perry aktiviert sein Armbandkom, während er sein Sandwich vertilgt. »Wo sind wir denn?« Er betrachtet das Sonnensystem in unserer Nähe und die angezeigten Daten. »Hier haben wir auf dem Herflug das letzte Mal Station gemacht«, erinnert er sich.

»Das ist zutreffend«, stimmt ANANSI zu.

»Wir sind hier irgendwo in der Leere, es gibt außer diesem System nichts weit und breit. Ich sehe keine unmittelbare Gefahr, nicht einmal Schrott.«

»Das ist auch nicht der Fall.«

Perry runzelt die Stirn, trinkt aber seinen Kaffee. »Na schön, wir sind in zehn Minuten im Konferenzraum, dann informierst du uns über alles.«

Das wäre dann 10 Uhr. Genügend Zeit für einen zweiten Schokomuffin.

4.

Eine ernst zu nehmende Warnung

 

Lua Virtanen und Vogel Ziellos erwarteten Rhodan und die anderen im Konferenzraum des COMMAND-Levels.

»Der Grund, weshalb ich euch aus der Suspension holen ließ«, erklärte Lua nach der Begrüßung, »ist folgender: Wir haben einen Hyperfunkruf erhalten. Es ist ein Not- und ein Warnruf gleichermaßen. Eine automatische Aufzeichnung, die permanent wiederholt wird.« Sie nickte dem Avatar zu. »Es ist eine reine Tonaufnahme. ANANSI, bitte starte die Aufzeichnung.«

Eine Stimme schallte durch den Raum, eindeutig weiblich. Je länger sie sprach, und zwar in Interkosmo, desto fassungsloser und aufgewühlter wurden die Zuhörer.

»Hier spricht Andressa Vanbargen. Ich bin Kommissarin der Liga Freier Galaktiker und Beauftragte des Residenten Hekéner Sharoun. Dies ist ein Notruf aus der Milchstraße. Wir erbitten jegliche Hilfe, die wir bekommen können. Wir senden diesen Notruf auch gezielt an unser Explorerschiff RAS TSCHUBAI, um es zu warnen.

Der Weltenbrand hat begonnen.«

 

*

 

Von diesem Zeitpunkt an hörte keiner mehr richtig zu, es blieben ohnehin nur wenige Worte, bevor die Schleife von vorne begann. Entsetzen stand auf allen Gesichtern, und nachdem ANANSI den Ruf abgeschaltet hatte, herrschte für einige Sekunden völlige Stille.

Alle saßen wie gelähmt da.

Gucky war der Erste, der eine Frage stellte. »Wer ist Andressa Vanbargen? Perry, kennst du sie?«

Der Terraner verneinte. »Ich habe sie nie getroffen. Momentan kann ich mich nicht einmal an den Namen erinnern. Möglicherweise wurde sie erst nach unserer Abreise berufen.«

Sichu beugte sich vor und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Was ist mit dir? Du bist sehr blass. Nachwirkungen von der Suspension?«

»Es ist alles in Ordnung«, wiegelte er ab.

»Nichts ist in Ordnung!«, widersprach Gucky. »Normalerweise bin ja ich der Gefühlvolle von uns beiden, und ich hätte nie gedacht, dass ich dir das mal sagen würde – aber bleib auf dem Teppich! Hier ist der sachliche Verstand gefragt, nicht das Herz.«

»Aber ... wenn es stimmt«, äußerte Holonder geschockt. »Das wäre ... unvorstellbar ...«

Sichu räusperte sich vernehmlich. Sie gab Gucky recht, zuerst waren die Fakten dran. Sie stellte ihre Gefühle hintenan und konzentrierte sich auf ihre militärische Ausbildung, die in solchen Situationen angebracht war.

»Rollen wir die ganze Sache von vorn auf. Die Drohung des Weltenbrands schwebt seit 37 Jahren wie ein schwarzer Nebel über uns. Doch wir haben nie erfahren, wann genau er stattfindet – und wie. Nur, dass angeblich Perry und Bostich dafür verantwortlich sein sollen. Und Perry war bei uns – er kann nichts aktiv dazu beigetragen haben.«

»Dann denkst du, es ist eine Fälschung?«, fragte Holonder.

»Ich halte den Zeitpunkt für sehr unwahrscheinlich«, antwortete Sichu. »Etwas stimmt mit dieser Meldung nicht.«

»Wenn es danach geht, ist jeder Zeitpunkt unwahrscheinlich«, wandte Holonder ein. »Mich irritiert allerdings, dass die Warnung an uns gerichtet wird. Die können nicht wissen, dass wir hier zur Orientierung den Flug unterbrechen.«

»Das können sie errechnen«, sagte Vogel Ziellos. »Es wäre jedenfalls eine logische Route, an den Leuchtfeuern entlang. Wir wissen nicht, ob sie nicht an jeder möglichen Station vielleicht sogar mehrere Sonden mit dieser Botschaft installiert haben.«

»Na, aber hierher ist es ein weiter Weg«, widersprach Sichu. »Dazu bräuchte es schon denselben Antrieb wie bei der RAS TSCHUBAI. Technisch zwar möglich, aber zu großer Aufwand für ein paar Funkbojen.«

Holonder wiegte den Kopf. »Sie könnten ein Schiff geschickt haben. Die Technologie ist schließlich nicht neu, wie du sagst, die LFG kann ohne Weiteres ein Schiff damit ausstaffieren – die Dringlichkeit rechtfertigt den erhöhten Aufwand.«

Rhodan rieb sich das Kinn. »Von wo genau stammt der Notruf?«

»ANANSI stellte fest, dass er aus dem Sonnensystem in unserer Nähe geschickt wurde«, antwortete Lua.

»Also kein Schiff?« Sichu legte den Kopf leicht schief. »Das ist zwar naheliegend, da es zu keiner Kontaktaufnahme kam – es sei denn, das Schiff wäre havariert und triebe irgendwo dahin. Aber das gefällt mir immer weniger. Eine Falle der Thoogondu?«

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Illustration: Swen Papenbrock

»Das halte ich für wenig wahrscheinlich.« Rhodan schüttelte den Kopf. »Das wäre eine sehr komplizierte Falle mit vielen Unwägbarkeiten. So habe ich die Thoogondu nicht erlebt. Sie hätten leichter zuschlagen können, bevor oder während wir Sevcooris verlassen haben. Zuerst brauchen wir mehr Informationen, bevor wir Syllester Ford wegen dieser Frage Stress aussetzen.«

»Hmmm«, machte Gucky gedehnt. »Aber wer sonst außer unseren Leuten oder den Thoogondu sollte diesen Notruf schicken – und warum?«

»Das ist die Frage«, antwortete Rhodan.

»Gut, dann schicke ich gleich eine hinterher.« Sichu legte die Hände auf den Tisch. »Stellen wir fest, ob der Funkruf überhaupt echt sein kann. Mit dem Hypertrans-Progressorantrieb sind für die 111 Millionen Lichtjahre mindestens hundert Tage erforderlich, aber schonender und sicherer wäre es, von 115 bis 120 Tagen auszugehen. Zählen wir allein die Tage vom 10. Juni, unserem Aufbruchsdatum, bis zum Abflug am 15. Dezember, kommen wir auf 183 Tage.« Sie lehnte sich zurück. »Eine verdammt kurze Zeitspanne dazwischen, findet ihr nicht? Zwei Monate, vielleicht ein paar Tage mehr, dass der Weltenbrand ausbricht, ein Schiff nachgerüstet und losgeschickt wird?«

»Es wäre möglich.« Rhodan presste die Lippen zusammen und quetschte die Antwort dazwischen hervor. Er war immer noch blass.