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Band 163

 

Der Geist von Nachtschatten

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Der Faktor und sein Jagdhund

2. Hinein und hindurch

3. MAGELLAN: Sucahtsystem

4. PE-hilfreich: Tani Hanafe

5. PE-hilfreich: John Marshall

6. MAGELLAN: Alarm!

7. John Marshall: Rückkehr

8. Wieder auf Expedition

9. MAGELLAN: Ein Gespräch unter Freunden

10. Der finstere Wald

11. Noch ein Gespräch

12. Die Wesen von Nachtschatten

13. Zwei Faktoren

14. Mollusken und Chili

15. PE-hilfreich: Gut vorbereitet

16. Der Schrei der Banshees

17. Das Schiff

18. Das Geschenk

19. Ein Trojaner oder nicht

20. Erste Auswirkung

21. Der Kristall spricht

22. Die Fährte

23. Angriff

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen an einen unbekannten Ort umgesiedelt werden.

Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an. Rasch erfahren die Menschen mehr über die Situation. Insbesondere die Meister der Insel – auch Faktoren genannt – spielen eine zentrale Rolle.

Während Faktor I Perry Rhodan auf ihre Seite ziehen will, macht Faktor II unerbittlich Jagd auf die MAGELLAN. Bei der Flucht erhält Rhodan ein mysteriöses Geschenk – Überbringer ist DER GEIST VON NACHTSCHATTEN ...

1.

Der Faktor und sein Jagdhund

 

Irgendwann beruhigte er sich.

Trinar Molat konnte nicht behaupten, dass es ihm nicht guttat, »Dampf abzulassen«. Faktor II war sehr alt, aber nicht abgeklärt und hatte längst nicht alle Emotionen abgelegt. Sie hatten zwar eine Weile geschlummert, doch nun hatte er sie geweckt und freigelassen. Warum auch nicht? Schließlich war er höchst lebendig. Wenn ihm tatsächlich alles gleichgültig wäre, wie er geglaubt hatte, hätte er keinen Lebenssinn mehr und müsste hinterfragen, weshalb er überhaupt noch diese Position innehatte! Dann könnte er wie eine Pflanze irgendwo Wurzeln schlagen und Photosynthese betreiben. Oder wie eine Maschine ohne Biokomponente sein Programm abspulen.

Aber das Gegenteil war der Fall!

Faktor II hatte in jüngster Zeit neuen Ansporn erhalten, er hatte wieder so viel vor, und es gab noch so viel zu erledigen.

Allem voran dieser Perry Rhodan.

Endlich wieder ein Ziel, nachdem Molat schon fast im Dahinvegetieren versunken war, desillusioniert vom viel zu langen Leben. Einsam hatte er sich gefühlt, verzweifelt und verlassen.

Das war vorbei. Nun würde er zeigen, dass noch Leben in ihm steckte! Und dass keiner auf seiner Nase herumtanzte oder ihm Befehle erteilte.

»Ich werde es schaffen«, versprach Hak Gekkoor. Der Etrinone hatte sich noch einmal gemeldet, schließlich musste das weitere Vorgehen besprochen werden. Nachdem einige Stunden seit seiner Berichterstattung und Molats Reaktion darauf verstrichen waren, hatte Gekkoor wohl angenommen, es erneut wagen zu können.

»Das höre ich nicht zum ersten Mal«, versetzte Molat.

»Wir hätten ihn gehabt, wenn nicht dieser Kluum dazwischengekommen wäre!«

»Es ist also nicht die Schuld der Meute?«

»So meinte ich das nicht.« Gekkoor wand sich merklich. Seine tief liegenden, dunklen Augen zeigten allerdings keine Furcht, sondern blieben kalt. »Ich meine nur, das nächste Mal werden wir besser darauf achten, dass nichts mehr dazwischenkommt.«

»Ich soll dir eine zweite Chance geben?«

Gekkoor mochte fast so etwas wie ein Vertrauter sein, aber er durfte sich nicht zu viel herausnehmen. Wie er mit den Mitgliedern seiner Hetzmeute umging, war Molat gleichgültig. Aber Molat gegenüber hatte sich der Lichtjahre weit unter ihm stehende Etrinone respektvoll zu verhalten, zu jeder Zeit. Die Autorität seines Meisters durfte niemals infrage gestellt werden. Das musste Faktor II wohl wieder einmal deutlich machen.

Gekkoor nahm sich tatsächlich ein kleines Stück zurück. »Wir haben den Auftrag noch nicht erledigt. Wir setzen die Suche fort und werden kein zweites Mal versagen.«

»Das will ich hoffen!«

Trinar Molat beendete die Verbindung. »Sogar sehr«, fügte er für sich grimmig hinzu.

2.

Hinein und hindurch

31. März 2055

 

Der riesige Eckstern blieb hinter ihm und verblasste zum blauen Schimmern. Das gewaltige, brennende Fanal des Situationstransmitters lag vor ihm.

Er hatte es eilig. Drei bedeutende Persönlichkeiten hatten ihm einen wichtigen Auftrag erteilt, der keinen Aufschub duldete.

Deshalb trug er etwas bei sich – etwas überaus Gefährliches. Nur ihm konnte es nichts tun, somit war er am besten für diese Mission geeignet. Trotzdem durfte damit nicht leichtsinnig umgegangen werden; sollte etwas schiefgehen, wären die Konsequenzen verheerend. Diese besondere Fracht durfte nicht unterschätzt werden.

Aber das galt auch für ihn. Wer konnte schon von sich sagen, dass er als Lebewesen unbeschadet durch einen Situationstransmitter fliegen konnte?

Fast hundert Kilometer durchmaß der Transmitterring, der durch Stoßimpulsgeneratoren erzeugte Energiefelder entstand und zugleich stabil gehalten wurde. Gedacht für den Güterverkehr, mussten die Container eine gewisse Mindestmasse enthalten, damit sie beim Transport nicht zerrissen wurden. Jedes normale Lebewesen hingegen wurde beim Durchgang mumifiziert.

Lediglich die unsterblichen Meister der Insel hatten einen Weg gefunden, diesen Sprung zu überstehen – mittels eines »Situativ« genannten Transportmittels und ihrer sich beständig regenerierenden Zellen. Aber es kostete sie äußerst viel Kraft.

Und dann gab es da noch ihn – den Reisenden.

 

Die DOLAN näherte sich dem Feuerring, und es schien, als würden sich Flammen nach dem semiorganischen Raumschiff ausstrecken und gierig züngeln, als könnten sie nicht erwarten, es im lodernden Transmitterkreis zu verschlingen.

Das Ziel des Reisenden war Ajoor, ein Planet, der einen roten Flarestern umkreiste. Manche nannten das Gestirn bösartig, aber so weit ging der Reisende nicht. Er war schließlich selbst eine Bestie – mit einer kolossalen Gestalt, gewaltigen Zähnen und drei tiefroten Augen.

Dass die drei Faktoren ihn beauftragt hatten, war deshalb von besonderer Bedeutung, und nicht nur wegen der Art des Gepäcks, das er mit sich führte.

Kurz vor dem Durchgang wandelte der Reisende den Metabolismus seiner Körperstruktur auf molekularer Basis willentlich um. Er selbst bezeichnete es als Strukturumwandlung. Sein Körper wurde dadurch härter als jeder bekannte Stahl.

Auch die DOLAN vollzog in den organischen Bestandteilen ihrer Hülle die gleiche Umwandlung.

Dadurch würden sie beide die Transmitterpassage unbeschadet überstehen. Anschließend sollte die DOLAN einen geschützten Ort suchen. Sie würden einige Zeit der Refraktion benötigen; der Reisende würde vermutlich noch für Stunden nicht handlungsfähig sein. Doch am Ende würden sie sich erholen und wieder voll einsatzbereit sein. Er durchlebte das nicht zum ersten Mal.

Im umgewandelten Zustand war der Reisende kaum zu einer Bewegung fähig, doch das war auch nicht notwendig. Das Schiff wusste, was es zu tun hatte. Die anorganischen Komponenten übernahmen die Führung.

Mittlerweile waren sie im Zentrum des lodernden Fanals angelangt und wurden in den Halbraumkanal eingeschleust. Karminrote Flammen, Lithiumfeuer – die vielfältigen Schattierungen des Transporttunnels hatten Tausende Namen. Einzelne Blitze schlugen gegen die Schiffshülle, Feuerwalzen brachen sich in tosender Brandung.

Dann dehnten sich die Lohen in die Länge, wurden zu einem schlierigen Gemenge, das sich zäh dahinzog, schließlich Wirbel bildete, die immer schneller rotierten, die DOLAN mit sich zerrten – und schließlich hinausstießen, in den Normalraum zurück, während sich die Flammenzungen langsam zurückbildeten.

3.

MAGELLAN: Sucahtsystem

 

»Und?«, erkundigte sich Conrad Deringhouse. »Irgendwas Besonderes?«

Falls das zur Deeskalation beitragen sollte, ging der Versuch daneben. Aber der Schiffskommandant war ja bekannt für seinen manchmal allzu speziellen Humor. Vielleicht diente es auch seiner eigenen Entspannung.

Die Flucht aus dem Archi-Tritrans-System war gerade noch gelungen. Um ihre Spur zu verwischen, war die MAGELLAN etliche Stunden auf verschiedenen Kursen gekreuzt, bevor sie die eigentlichen Zielkoordinaten angesteuert hatte. Aber es war sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis dieses ominöse Hetzgeschwader mit seinen an irdische Orcas gemahnenden Raumbooten die Fährte wieder aufgenommen hatte. Ohne den Beistand durch einen Moby hätten es die Menschen womöglich nicht geschafft – also kam es nun darauf an, dieser Meute beim nächsten Mal nicht allein begegnen zu müssen.

Wobei der aktuelle Verbündete hierbei lediglich mit seiner Größe punkten konnte, denn er war alles andere als wehrhaft. Weder defensiv noch offensiv.

»Aber gemeinsam sind wir stark!«, hatte Tim Schablonski gewitzelt, bevor er in der Wartungszentrale verschwunden war. Das fanden diejenigen, die das gehört hatten, genauso wenig komisch wie Deringhouse' aktuellen »Scherz«.

»Welcher ... überaus kluge Taktiker hat eigentlich ausgerechnet diesen Rendezvouspunkt vereinbart?«, maulte jemand. Einer der Piloten vermutlich. In dem Stimmengewirr war das nicht leicht festzustellen, denn die menschliche Zentralebesatzung war derzeit aller positronischen Unterstützung zum Trotz enorm gefragt.

Die MAGELLAN war mit der modernsten terranischen Technik ausgestattet, aber sie war auch ein Gigant mit über drei Kilometern Breite am Ringwulst. Bei aller Beweglichkeit musste diese Größe und Masse erst einmal in Schwung gebracht werden.

Und die Navigation im Zentrum Andromedas war alles andere als leicht. Kein Wunder, dass die Piloten schlechte Laune hatten. Die Sterne standen eng, die Teilchendichte war enorm hoch, als würde man »durch eine Suppe« fliegen. Nicht einmal Planeten hatten eine echte Chance, weil das energetische Chaos im Kernbereich der Galaxis die Entstehung von Protoplaneten schon im Ansatz behinderte.

Der »Blaue Gürtel«, der noch näher am Zentrum stand als der »Rote Gürtel« mit Multidon, Donitsystem und Gercksvira, bot ein permanentes Inferno. Zu Beginn hatte jemand mal »faszinierend« gesagt, aber eine Wiederholung wagte keiner mehr.

Bis auf Eric Leyden, der begeistert wie ein Kind – passend dazu mit wie üblich wirrer Frisur – im Labor V werkelte. Die Hawkingstrahlung des zentralen Schwarzen Lochs war omnipräsent und in einer solchen Deutlichkeit messbar, dass der geniale Wissenschaftler von einer Euphorie in die nächste fiel. »Das ist ... pyramidonal!«, murmelte er vor sich hin, versunken in seinen Berechnungen.

»Pass bloß auf, dass du keinen Hypergasmus kriegst«, frotzelte Abha Prajapati.

»Aber genau das!«, rief Leyden, der nicht wirklich zugehört hatte. »Allein die Informationen, die wir im Roten Gürtel gewonnen haben, sind ... Himmel noch mal, ich brauche unbedingt einen Zellaktivator, um das alles jemals verarbeiten zu können.« Die weiteren Worte verklangen wieder im Gemurmel.

Egal wie laut Hermes maunzte, sein Herrchen hatte für ihn nicht einmal einen Blick übrig. Also tat der Kater das, was er am liebsten tat, eben bei jemand anderem. Er suchte und fand Baar Lun, kletterte flink an dem fast zwei Meter großen Modul hoch und schmiegte sich an dessen Nacken.

 

*

 

Die MAGELLAN steuerte durch das Chaos in eine fast freie Zone, die vermutlich vor drei oder vier Milliarden Jahren von einer Supernova freigeblasen worden war und sich seither nicht mehr gefüllt hatte. Dort gab es nicht mehr viel, deshalb war das Ziel leicht auszumachen.

Eine kleine, rote Sonne, die aber alles andere als harmlos war.

»Da ist er ja, der böse Zwerg«, stellte Deringhouse fest, als das Ziel in die Optikerfassung rückte und in verschiedenen Vergrößerungen auf dem Holodom gezeigt wurde. Ihn erschütterte es nicht sonderlich, dass seine Mannschaft schweißgebadet und hektisch die Positronikterminals bearbeitete, begleitet von mehr oder minder leisen und mehr oder minder derben Flüchen.

Die wenig schmeichelhafte Bezeichnung für die rote Sonne traf zu, denn Sucaht war ein »Flarestern« oder auch Flackerstern und gehörte zur Klasse der eruptiv veränderlichen Sterne. Während der unperiodischen, zeitlich befristeten Flares wurden in wilden, weit ins All hinausgeschleuderten Protuberanzen gewaltige Energiemengen freigesetzt.

Bis auf einen Planeten, den die Paddler mit dem Namen Ajoor bezeichnet hatten, hielt das keine Welt aus. Ajoor lag am äußersten Rand der habitablen Zone. Der innere Bereich des Systems war eine Hölle, in der vermutlich nicht mal mehr ein Meteoritenkrümelchen existierte.

In den Außenbereichen zogen Kometen mit prächtigen, teils silbrig glitzernden Schweifen aus Eis und Sternenstaub ihre Bahn.

»Ob es da Leben gibt?« Abha Prajapati, Belle McGraw und Baar Lun war es im Labor V zu langweilig geworden, sie hatten sich zu einigen anderen in die Besucherlounge der Zentrale gesellt. Hauptsächlich für Mutanten gedacht, waren dort auch bewährte Wissenschaftler wie das Leyden-Team willkommen.

»Es wäre möglich, oder?«, fragte McGraw, deren Hände einen Becher mit heißer Schokolade umschlossen.

»Ja, ich denke schon – aber dann müsste es da schon sehr exotisch sein ...«

»Also ganz normal für unsere Verhältnisse.«

»Stimmt auch wieder.« Prajapati musterte McGraws Getränk und ging sich einen Kaffee holen. Dabei wäre er fast aus dem Gleichgewicht geraten, kurz ruderte er mit den Armen, dann ging er weiter.

Ein Ruck und ein Zittern gingen für eine Sekunde durch den Schiffsgiganten; das erschreckte einige der Anwesenden, und für die nachfolgende Sekunde hielt alles in der Bewegung inne. McGraw und Prajapati hingegen blieben gelassen. Sie waren es gewohnt, von einer Katastrophe in die nächste zu geraten. Auch Hermes streckte nur einmal kurz die Pfoten, gähnte und schmiegte sich dann wieder schnurrend an den Modul.

Baar Lun starrte gleichfalls unbeeindruckt weiter durch seine Multispexbrille, die viel mehr als ein Lichtschutz war, auf den Flackerstern und seinen einsamen Planeten, der in etwa 110.000 Kilometern Entfernung seine Umlaufbahn zog. »Wird bei den schwachen Lichtverhältnissen in dieser Distanz wohl eine Dunkelwelt sein«, brummte er. »Vertraut, irgendwie.«

Deringhouse reagierte derweil auf das ungewöhnliche Zittern des Raumschiffs. »Schablonski, was ist da los bei Ihnen?«, fragte er per Bordkom an.

»Ach, nichts Besonderes«, kam es zurück. »Nur ein paar, äh, Probleme mit dem einen oder anderen System. Nichts, was wir nicht hinkriegen können ... sofern wir PE-hilfreich rechtzeitig erreichen und nicht vorher auseinanderfallen.«

»Danke, ich bin beruhigt.«

Sie hatten schon Schlimmeres überstanden. Trotz der knappen Flucht hatte die MAGELLAN diesmal vergleichsweise wenige Schäden davongetragen. Dennoch war der Gigant angeschlagen und konnte eine Reparaturpause brauchen.

Gucky, der sich schon seit dem Ende der letzten Transitionsetappe in der Lounge aufhielt, warf ein paar kritische Blicke in verschiedene Richtungen. »Heute haben wohl alle Clowns gefrühstückt, oder was?«, stellte er fest. Es war bekannt, dass er es nicht sonderlich mochte, wenn jemand versuchte, ihm den Rang bei Scherzen abzulaufen. Aber er war momentan nicht ganz auf der Höhe.

»Galgenhumor«, äußerte Reginald Bull, der sich zuvor leise mit Perry Rhodan unterhalten hatte. »Diese Angreifer haben uns ordentlich Feuer unter dem Hintern gemacht und uns gleichzeitig von oben eine gehörige kalte Dusche verpasst.«

Vergleichsweise winzige Raumfahrzeuge von nicht mehr als fünfzig Metern Länge hatten den Menschen derart zugesetzt, dass die MAGELLAN sich ohne Eingreifen des Mobys vielleicht sogar hätte ergeben müssen. So unglaublich das klingen mochte. Keine angenehme Überlegung.

Trotz der Begrenzung des Schadens – dieses ungewöhnliche Zittern gerade eben dämpfte die Zuversicht doch erheblich. Das Podest, auf das sich die Menschen mit ihrem Raumschiff zum Start der langen Reise gestellt hatten, war nicht zum ersten Mal ins Wanken geraten.

»Schablonski hier«, drang es kurz darauf aus dem Lautsprecher des Kommandopults. »Haben wir schon Kontakt?«

»Nein«, gab Deringhouse knapp zur Antwort.

»Oh.« Der Chefingenieur zögerte. »Hat sicher nichts zu bedeuten«, fügte er dann hinzu und beendete die Komverbindung.

 

*

 

Perry Rhodan wusste, was Schablonski umtrieb, ihm selbst ging es ähnlich. Und nicht nur ihm. Zwei Besatzungsmitglieder der MAGELLAN, Rufus Darnell und Tani Hanafe, waren auf PE-hilfreich geblieben, als das »Hetzgeschwader« unter dem Kommando eines gewissen Hak Gekkoor angegriffen hatte. Der Name war mehrmals in der Kommunikation zwischen den gegnerischen Raumbooten gefallen, die von der MAGELLAN aufgefangen worden waren. Wer genau dieser Hak Gekkoor war, ob Thetiser oder von einem anderen Volk, hatten die Menschen nicht mehr herausfinden können. Aber sie hatten wenigstens die Information erhalten, dass er im Auftrag von Faktor II, Trinar Molat, handelte.

Und der hatte die Terraner zu persönlichen Feinden erkoren. Er hatte ein Kopfgeld ausgesetzt, das die Aachaonen umgehend zum Anlass genommen hatten, nach der Beute zu suchen und einen Angriff zu starten – den die MAGELLAN abgewehrt hatte. Aber danach war das Geschwader eingetroffen, Trinar Molats persönliche Jäger. Faktor II wollte wohl auf Nummer sicher gehen und die Menschen so schnell wie möglich erledigen.

Jedenfalls hatte die MAGELLAN durch die verschiedenen Auseinandersetzungen vor dem Hypersprung aus dem Archi-Tritrans-System ihre beiden Leute nicht mehr an Bord nehmen können. Sie hatten auf der Paddlerplattform ausharren müssen.

So ganz trauten die meisten an Bord der MAGELLAN den Paddlern noch immer nicht – in unguter Erinnerung an Kalak. Zwar hatte sogar Sicherheitschefin Autum Legacy am Ende dafür plädiert, Peloks Hilfsangebot anzunehmen, aber zugleich gewarnt, wachsam zu bleiben. Kalak von KA-preiswert hatte damals ebenfalls seine Unterstützung angeboten gehabt, aber nur mit dem Hintergedanken, die Menschen zu berauben.

Rhodan erhob sich und wanderte durch die Zentrale, um die allgemeine Stimmung zu bewerten. Die war nicht allzu gut. Das lag nicht nur am Stress, die MAGELLAN sicher durch das Chaos ihrer derzeitigen kosmischen Umgebung zu steuern, sondern war auch in der Sorge um Darnell und Hanafe begründet.

Die Besatzungsmitglieder unterhielten sich leise und brachen zumeist ab, wenn Rhodan in die Nähe kam, dennoch fing er einige Gesprächsfetzen auf. Darüber, dass die eigenen Leute im Stich gelassen wurden. Dass die Paddlerplattform nicht wie verabredet am Treffpunkt wartete. Oder welchen Grund mochte es sonst geben, dass kein Kontakt zustande kam? Und dass eben doch kein Verlass auf sogenannte Verbündete sei – die vielleicht sogar eine Falle aufgebaut hatten, um der MAGELLAN und den Menschen darin den Rest zu geben? Womöglich hatten die Paddler sich von dem Kopfgeld verleiten lassen und wollten es einstreichen?

Hinzu kam der Angriff des Hetzgeschwaders, das trotz der geringen Größe der Schiffe keineswegs als lästige Mückenplage abgetan werden durfte. Man musste jederzeit auf einen weiteren Angriff gefasst sein.

Hatte man sich doch zu viel vorgenommen?

Es gab auch Gegenstimmen. Offiziere, die versuchten, die aufgebrachten Kollegen zu beruhigen, und dazu rieten, erst einmal abzuwarten. Sie argumentierten, dass die Paddler genau wie die Menschen im Charakter unterschiedlich seien und es gewiss auch verlässliche Freunde unter ihnen gab. PE-hilfreich war erfolgreich gesprungen, das hatten sie alle mitbekommen, also war davon auszugehen, dass die Paddlerplattform den Rendezvouspunkt unbeschadet erreichen würde.

Die Lager waren dennoch gespalten. Vor allem die Zweifler taten sich mit immer wilderen Spekulationen hervor. Rhodan konnte niemandem die Besorgnis verdenken, doch das durfte nicht ausufern. Er hoffte, dass PE-hilfreich sich bald meldete, andernfalls würde er eine motivierende Ansprache halten müssen. Obwohl er selbst nicht mehr Informationen hatte als die Mannschaft und ebenfalls nicht frei von Zweifeln war.

 

Conrad Deringhouse ordnete an, Sucaht in großer Distanz zu umfliegen, um den dahinter positionierten Planeten zu erreichen. Die MAGELLAN war inzwischen in die »Freizone« eingeflogen, und die allgemeine Unrast ließ nach, weil die Umgebung ruhiger wurde. Die MAGELLAN konnte nun besser manövrieren.

Danach sollte direkter Kurs auf Ajoor genommen werden, wo das Treffen vereinbart war. Es konnte eine Menge Gründe haben, warum bisher kein Kontakt zustande gekommen war – und Vorsicht war einer davon.

Ein Aufschrei beendete zwei Stunden später das weitere Nervenzermürben. »Da ist sie!«

Im selben Moment kam endlich der Anruf, und das Bild dazu wurde eingeblendet.

Ein Paddler – unzweifelhaft Sippenoberhaupt Pelok, denn der nur anderthalb Meter messende, aber sehr breite Humanoide mit dem kahlen Kopf und der schwarzen Haut trug eine auffällige Insignie, eingeflochten in seinen prächtigen, roten Bart. Dieser wurde bei den Paddlern üblicherweise in der Mitte zu zwei langen, eingedrehten Strängen geteilt und im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Pelok trug mittig an seinem Kinn eine etwa drei Zentimeter lange, goldfarbene, aufwendig gearbeiteten Schmuckspange, die an eine Art Schraubenschlüssel erinnerte, gekreuzt mit einem archaisch anmutenden Schlüssel.

Neben ihm stand wohlbehalten Rufus Darnell – dessen Anblick in der Zentrale Erleichterung auslöste.

Rhodan vermutete, dass Pelok den Leitenden Ingenieur der FERNAO genau aus diesem Grund dazugebeten hatte – um die Leute von der MAGELLAN zu beruhigen. Anscheinend konnte er sich sehr gut in die Lage der Menschen hineinversetzen; vielleicht empfanden Paddler in solchen Situationen ähnlich.

»Willkommen zurück, Perry Rhodan«, erklang die Stimme des Patriarchen. »Mit großer Freude sehen wir, dass die MAGELLAN wohlbehalten eingetroffen ist. Ihr wurdet schon ungeduldig erwartet – und nicht nur von Mister Darnell.«

»Das geht uns ebenso«, gab Rhodan zurück. »Du hast einen guten Platz für ein Treffen ausgewählt.«

»Hoffen wir, dass wir hier lange genug Ruhe haben, um unseren gemeinsamen Plan nunmehr umzusetzen, denn das wird doch einige Zeit dauern. Ich nehme an, Ihr benötigt auch Reparaturen?«

»Einige. Chefingenieur Schablonski wird sich diesbezüglich melden.«

»Gut. Ich lasse gleich einige Reparaturtrupps zusammenstellen.«

 

Bald trat PE-hilfreich in die Optiken. Wer die MAGELLAN einen Giganten nannte, musste von einer Paddlerplattform als einem Titanen sprechen. Fast einen Kilometer dick und rund fünfzehn Kilometer im Durchmesser – das konnte man beeindruckend nennen. Aufgrund ihrer gewaltigen Masse waren die monströsen Gebilde nur schwer zu manövrieren. Sie verfügten zwar durchaus über Transitionstriebwerke, aber die Beschleunigung bis zur Sprunggeschwindigkeit – diese entsprach 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit – dauerte nicht Minuten, nicht Stunden, sondern zwei ganze Tage. So war in Andromeda die allgemeine Bezeichnung des Volks als Paddler entstanden, weil sie bei diesen Beschleunigungswerten quasi von Ort zu Ort »paddelten«.

Feinde hatten die fliegenden Werften kaum, weil jeder ihre Dienste gern in Anspruch nahm. Entsprechend schlecht waren sie bewaffnet. Keine allzu belastbaren Schutzschirme, dazu Thermostrahler, die gerade mal zum Abschuss von Meteoriten taugten.

Selbstverständlich gab es ab und zu trotzdem Angriffe, wie etwa von Piraten – so war Rhodan mit den Paddlern einst in Erstkontakt getreten, als die MAGELLAN den Hilferuf einer Werft empfangen hatte.

 

Die Andockkoordinaten wurden durchgegeben. Rhodan und Pelok waren übereingekommen, dass die MAGELLAN in einem der Großhangarschächte der Werftplattform andocken und dort integriert werden sollte. Nach der Verankerung und Tarnung mit Werftkränen und -gerüsten sowie anderen Aufbauten sollte nur noch die oberste Kuppel mit der FERNAO, dem persönlichen Einsatzschiff des Protektors Perry Rhodan, zu sehen sein. Das war insofern von größter Bedeutung, und darauf hatte vor allem Schablonski bestanden, dass die in dem Diskusraumer verbaute Transformkanone einsetzbar bleiben musste.

Ein Schutz für die MAGELLAN, ein Zugewinn an Verteidigungskraft für PE-hilfreich. Auffallen würde diese Veränderung niemandem. Jede Paddlerwerft sah anders aus, mit unterschiedlichen Aufbauten und Hilfskonstruktionen. Erst einmal vollends integriert, würde niemand mehr den Gigantraumer im Versteck vermuten.

Blieb nur zu hoffen, dass sie von dem Hetzgeschwader lange genug unbehelligt blieben – ganz abgesehen von anderen möglichen Störenfrieden, allen voran den Aachaonen.

4.

PE-hilfreich: Tani Hanafe

 

Rufus Darnell und Tani Hanafe hatten gar keine Zeit gehabt, sich allzu viele Sorgen zu machen. Es war für sie ohnehin selbstverständlich gewesen, auf PE-hilfreich zu bleiben, um das große Vorhaben vorzubereiten. Nach der Flucht aus dem System der Sonnentransmitterruine hatten sie Pelok umgehend ihre weitere Unterstützung angeboten.

Während Darnell sich zusammen mit Spitzeningenieuren der Paddler den Spezifikationen einer Integration der MAGELLAN in den gewaltigen Reparaturschacht widmete, unterstützte Hanafe die Paddler unmittelbar, wo sie konnte.

Ihr ursprüngliches Misstrauen hatte sich völlig gelegt. Genau wie bei den Menschen auch gab es Paddler unterschiedlichster Art – Kalak schien zu den Negativbeispielen gehört zu haben, die zum Glück nicht in der Überzahl waren.

Bedingt durch die Größe der Werft hatte sie bisher nur einen winzigen Ausschnitt der »Welt« der Paddler kennengelernt, die zum Teil ihr ganzes Leben durch den Weltraum treibend verbrachten. Aber bereits Patriarch Pelok hatte sich als vertrauenswürdig erwiesen.

In der kurzen Zeit, seit sie sich an Bord der PE-hilfreich aufhielt, hatte Hanafe noch einige weitere Paddler kennengelernt und feststellen müssen, dass diese ihr gegenüber anfangs fast genauso reserviert gewesen waren wie umgekehrt sie. Ganz anders als der Händler damals auf dem Andromeda-Basar. Man näherte sich einander vorsichtig an – und fand schnell eine besondere Gemeinsamkeit. Die Parafähigkeit der Paddler war zwar anders strukturiert als die der terranischen Mutantin – aber sie war ähnlich. Tani Hanafe hatte, woran sie nie geglaubt hätte, jemanden gefunden, der tatsächlich so war wie sie. Paddler konnten zwar nicht vollständig durch Wände gehen, aber zumindest in sie »eintauchen«.

Diese Gemeinsamkeit bereitete den Boden für eine rasche Verständigung, die sich bald vertrauensvoll weiterentwickelte. Denn auch die Paddler kannten niemanden sonst, der über eine solche Fähigkeit verfügte. Und Hanafe war sogar noch besser als sie! Das begeisterte die Werftbewohner zusehends, und sie unterhielten sich intensiv darüber, verglichen die jeweilige Art des »Eintauchens« in Materie. Es dauerte nicht lange, bis Hanafe gebeten wurde, bei der einen oder anderen Arbeit zur Hand zu gehen, und sie kam dem gern nach. So lernten beide Seiten voneinander, und Pelok wiederholte sein Angebot, Hanafe mehr beibringen zu können, wenn sie denn wolle.

Das stürzte die Mutantin in ein Gefühlschaos. Noch nie hatte sie erlebt, dass jemand ihr unvoreingenommen begegnete. Ja, sie sogar als wertvolle Bereicherung und nicht einfach nur als »nützliches Werkzeug« ansah und sein Wissen mit ihr teilen wollte. Obwohl sie von einem völlig fremden Volk stammte. Sie war zwar nur wenige Zentimeter größer als die Paddler, aber hellhäutig, hatte zudem Kopfhaare, und sie war vergleichsweise dürr wie ein hauchfeiner Faden.

Hätte Hanafe die Frage gestellt, warum ihre fremdartige Erscheinung die Paddler nicht im Mindesten nicht störte, hätten diese wahrscheinlich keine Antwort gewusst. Es war ein beiderseitig irrationales Gefühl der Zusammengehörigkeit, ursächlich bedingt durch die Paragabe. Sie verstanden einander einfach, konnten sich auf Augenhöhe unterhalten und das Optische wurde dabei schlichtweg ignoriert.

Bereits nach kurzer Zeit brach dadurch in Hanafe etwas auf. Als ob eine Barriere gesprengt würde und zum ersten Mal die wahre, wirkliche Tani Hanafe zum Vorschein käme. Ohne Scheu, ohne Angstzustände, ohne das ständige Bestreben, nicht aufzufallen, nahezu unsichtbar zu bleiben.