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Nr. 2836

 

Die Zeitrevolution

 

Zwei Raumschiffe gegen eine Flotte der Tiuphoren – der Terraner muss die eigene Epoche retten

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Perry Rhodan hat es unfreiwillig in die tiefste Vergangenheit gerissen, wo er Zeuge der Invasion der kriegerischen Tiuphoren und des Untergangs alter galaktischer Hochkulturen wird. Als die Tiuphoren auch die Zivilisation der Laren auszulöschen drohen, beschließt er zu helfen, schließlich weiß er, dass die Laren den furchtbaren Völkermord bis in die Gegenwart hinein überlebt haben müssen. Er startet DIE ZEITREVOLUTION ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner will die Laren retten.

Gucky – Der Mausbiber gibt sein Bestes.

Avestry-Pasik – Der Proto-Hetoste geht seinen Weg.

Pey-Ceyan – Die Lebenslichte versucht zu überleben.

1.

Am Schwarzen Loch

Raum-Zeit-Gruft Toorasha

 

»Wie ist die Lage?« Missionsmeister Osku-Sool beugte den Oberkörper vor, hin zu Funk- und Datenmeister Rodry-Hanek.

Die vier Obersten Quartiermeister von VIASVAAT saßen um den mit Intarsien geschmückten Holztisch: Osku-Sool, Rodry-Hanek, Aynaa-Tir und Rhino-Jaad. Die Wissenschaftsstation, ein Planetensplitter, trieb auf einer künstlich stabilisierten Bahn um die Raum-Zeit-Gruft Toorasha, im Orbit eines Schwarzen Lochs.

Seit sie die Nachricht erreicht hatte, dass die Tiuphoren Planeten ihrer Heimat Noularhatoon angriffen, setzten sie sich immer wieder an dem ovalen Tisch in der Mitte des Missionsquartiers zusammen. Nie hatte Osku-Sool den ringförmigen Schmuckwasserlauf, der zur Insel mit dem Tisch führte, öfter überquert als in den letzten Tagen.

Rodry-Hanek zog den Kopf ein, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da er kaum einen Hals hatte. Der Datenmeister war auf Torzaan geboren, einer Welt mit deutlich erhöhter Schwerkraft. Im Gegensatz zu der zierlichen Aynaa-Tir und dem hochgewachsenen Rhino-Jaad wirkte er plump und behäbig, was im Widerspruch zu seinen wachen Augen und dem noch wacheren Geist stand.

Seit einigen Stunden waren die Blicke aus diesen Augen gehetzt, suchten unstet im Raum nach einer Fluchtmöglichkeit. Mit zuckenden Fingern berührte Rodry-Hanek die silberne Gravolinse in seinem Ohr, die ihn mit der Datenauswertung verband. »Niederschmetternd. Ich kann es nicht anders sagen. Wir sind geschlagen. Die Tiuphoren haben unser Sternenreich in Brand gesetzt.«

Aynaa-Tir sank auf dem Stuhl in sich zusammen, sodass sie fast so klein wurde wie Rodry-Hanek. Obwohl ihr rotes Haar schon vor Jahren goldgelb verblasst war – viel zu früh für ihr Alter –, kam es Osku-Sool vor, als wäre es in diesem Moment geschehen; als hätte der Schock Aynaa-Tirs Zöpfen die Farbe geraubt.

Rhino-Jaads langes Gesicht schien noch länger zu werden. Er presste die Lippen zu einem Strich zusammen. Unter dem stoppelkurzen, roten Haar bekam die schwarze Haut einen gräulichen Stich.

»Übersichtsholo!«, befahl Osku-Sool.

In der Luft über dem Tisch leuchtete ein Holo auf, das sich rasch ausdehnte. Es zeigte Noularhatoon. 235 Welten glommen in der Schwärze, Feuerbällen gleich. Die meisten waren in rote und gelbe Falschfarben getaucht. Auf den gelb markierten Planeten liefen die Angriffe noch. Die roten waren verloren.

Osku-Sool starrte auf ihre Hauptwelt, den Ort, an dem er geboren worden war: Noular, der dritte Planet der Sonne Taaro. Er schimmerte in der Dunkelheit wie Blut, ebenso wie die beiden spärlich bewohnten Welten des Systems Taar-Teepen und Taar-Selsher.

Zum ersten Mal meinte Osku-Sool im Zerdinduft der Tischschmuckwürfel Verwesung zu riechen.

Aynaa-Tir griff nach dem Würfel vor ihr, der eigentlich nach Sommer und Seeluft duftete. Die Art, wie sie ihn umklammerte, erinnerte Osku-Sool an eine Ertrinkende. »Was kommt im Hyperfunk zu Noular?«

Rodry-Haneks Stimme zitterte. Obwohl er auf Torzaan geboren worden war, hatte er auf der Hauptwelt Familie; zwei Kinder, die es zum Glanz des Sternenstaats gezogen hatte. »Noular ist verheert. Vermutlich lebt dort niemand mehr.«

Der Würfel drehte sich in Aynaa-Tirs Hand. Ein Stück nach rechts. Eins nach links. »Was ist mit der Helaar?«

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Ich denke, sie ist tot. Oder sie ist in einem dieser schrecklichen Banner, die den Sterngewerken vorauswehen.«

Die Banner. Von ihnen hatte Osku-Sool Furchtbares gehört. Sie sollten die Bewusstseine von Lebewesen in sich aufnehmen und für immer quälen. Seelengrüfte ...

»Mögen die kosmischen Hüter sie bewahren.« Osku-Sool atmete tief ein. Normalerweise brachte der Holzgeruch ihn zum Lächeln, aber an diesem Tag erinnerte er ihn auf schmerzhafte Weise an das, was sie verloren hatten: das Herz ihrer Zivilisation.

Er strich über die Kristallplatte, unter der hölzerne Honhooten einander in einem paradiesischen Park jagten. Der Künstler hatte die zweirüsseligen, gefiederten Kreaturen trotz der klobigen Körper voll Eleganz dargestellt. Ebenso filigran und liebevoll hatte er die Pflanzen der Szenerie gestaltet.

Der Missionsmeister dachte an die echten Honhooten, die im Hon-Ring um den Palast gelebt hatten. An seine Freunde und Familienangehörigen, die gemeinsam mit ihm am Festtag des Ersten Helaars ganz in der Nähe bei Wein und Musik auf dem Sternenmarkt gefeiert hatten. Das alles existierte nicht mehr. Ausgelöscht von den Tiuphoren, die über die sternenleeren Weiten gekommen waren, um Noular den Tod zu bringen.

Warum wollten die Tiuphoren sie mit solcher Vehemenz vernichten?

Osku-Sool lehnte sich zurück, kämpfte um Fassung. Er war der ruhende Pol der Forschungsstation, ein Vorbild nicht nur auf dem Gebiet der Wissenschaft. Wenn er die Nerven verlöre, würde es zur Panik kommen.

Sein Blick wanderte über die schwarzen, mit goldenen Lichtern durchsetzten Wände, die Kuppel hinauf zu der Wölbung, die das Missionsquartier überspannte. Dort oben zeigte ein Holo das Schwarze Loch, um das VIASVAAT kreiste. Immer wenn Osku-Sool Bestätigung gesucht oder Kraft gebraucht hatte, hatte er dort hinaufgeschaut, auf dieses unglaubliche, rätselhafte Phänomen, das sich wie eine Spirale aus blauem Licht und Finsternis dort oben drehte. Doch an diesem Tag fühlte er sich, als wäre er zu tief in die Ergosphäre eingedrungen, erfasst von einer Gravitation, die kein Entkommen kannte.

»Ich ...« Rodry-Hanek verlagerte nervös sein Gewicht von einer Seite der Sitzfläche auf die andere. »Ich habe unzählige Hilferufe aufgefangen. Darunter einen der TAAROS LICHT von deiner Schwester. Sie lebt, aber ihr Schiff ist havariert, treibt auf eine Sonne zu. Soll ich die Nachricht abspielen?«

Die TAAROS LICHT war zuletzt im Taarosystem unterwegs gewesen. Ein Transportflug, soweit Osku-Sool wusste.

Der Würfel in Aynaa-Tirs Hand rollte heftig in ihre andere. »Denkst du wirklich, dass der Missionsmeister sich das antun will? Den Hilferuf seiner todgeweihten Schwester?«

Der breitschultrige Lare blickte angestrengt auf seine Hände. »Entschuldigt. Das war ein dummer Gedanke.«

»Schon gut«, wehrte Osku-Sool ab. »Ich will es hören. Einspielen!«

Eine gespenstisch dünne Stimme ertönte, die gar nicht nach seiner Schwester klang. Hatte er sie je so verzweifelt gehört? Ohne jede Hoffnung? »Hier spricht Funk- und Datenmeisterin Mera-Luur von der TAAROS LICHT. Kennung und Position werden übermittelt. Wir sind von Tiuphoren geentert worden, die das Schiff inzwischen verlassen haben. Sie haben auf unbekannte Weise einen neuen Kurs festgelegt, den wir nicht ändern können. Unsere Beiboote sind zerstört. Wir werden innerhalb weniger Tage in Taaro stürzen und selbst zu Licht werden. Helft uns, wenn ihr könnt. Wenn nicht: Flieht!«

Die Stimme verstummte. Stille legte sich über den Raum, hüllte Osku-Sool ein, drückte ihn wie eine Faust zusammen. Ob es für die Tiuphoren ein grausamer Scherz gewesen war, das Schiff mit dem Namen TAAROS LICHT in die eigene Sonne zu steuern? Oder war es ein Zufall?

Er fühlte, wie die unsichtbare Gravitation stärker wurde, es ihn mehr und mehr zum Zentrum seines ganz persönlichen Schwarzen Lochs zog.

Seine Schwester war verloren.

Sie alle waren verloren.

2.

Rückkehr

RAS TSCHUBAI

 

»Da wären wir.« Gucky präsentierte seinen Nagezahn. »Endlich geschafft. Ich dachte schon, wir kämen nie an. Und dann diese widerlichen Suspensionsträume. Ständig habe ich Karotten vor mir gesehen, aber wenn ich nach einer griff, war sie faul und schwarz wie eine Tiuphorenseele.«

Perry Rhodan lächelte schwach. Er war nervös und wusste, dass Gucky es spürte. Das war ein Grund, warum der Mausbiber seine Scherze machte. Ein anderer war, dass der Ilt selbst angespannt war, seit sie das Ziel ihrer Reise – die Galaxis der Laren – vor Augen hatten. Rhodan erkannte es an winzigen Anzeichen, die er in der schier ewigen Zeit der Freundschaft zu lesen gelernt hatte: die Art, wie Gucky die runden Tellerohren bewegte, wie er sich nebenbei das Fell zauste, ja, sogar auf welche Weise er seinen Nagezahn zeigte. Beinahe grimmig, mit starren Augen und verkrampften Gesichtsmuskeln.

Die Nerven aller an Bord der RAS TSCHUBAI waren dünnen Drahtseilen gleich gespannt. Würden sie noch rechtzeitig kommen?

Sie hatten Noularhatoon vor mehreren Wochen verlassen, waren nach Phariske-Erigon geflogen, um für die Laren eine Purpur-Teufe zu erbeuten. Ihr Plan war aufgegangen. Die Teufe lag sicher verstaut in der LARHATOON. Sie konnte einen ganzen Planeten in Raum und Zeit versetzen, holte eine Welt aus der Umlaufbahn, transferierte sie in die Sicherheit zwischen den Sternen – und in die Zukunft.

Den Ur-Laren drohte die Vernichtung. Er selbst, Perry Rhodan, musste dieses schreckliche Schicksal abwenden und mit der Teufe einen Teil der bedrohten Kultur retten, damit es eine zweite Larenheit geben konnte.

Rhodan hatte lange gehadert, mit Gucky debattiert, bis er endlich verstanden hatte, was seine Aufgabe in dieser fernen Vergangenheit war, zwanzig Millionen Jahre vor seiner Zeit. Nun kannte er den Weg und musste ihn gehen.

Sie standen neben Oberstleutnant Sergio Kakulkan in der Zentrale, blickten vom Kommandopodest aus auf das vier Meter hohe, den Globus umlaufende Band, das ein computergeneriertes Bild der Außendarstellung zeigte, und warteten auf erste Ergebnisse der Ortungs- und Funkabteilung.

»Wie ist der Stand?«, fragte Kakulkan in die geschäftige Stille. Seine Stimme war leise, aber nachdrücklich. Die Haut der Glatze leuchtete rötlich im künstlichen Licht.

Allistair Woltera schwenkte seinen Sessel in ihre Richtung und schaute auf. Der Leiter der Funk- und Ortungsabteilung war blass. Schweiß glänzte auf der Stirn unter den kurzen, krausen Haaren. »Hilferufe. Unzählige. Ich fürchte, wir sind zu spät gekommen.«

 

*

 

Entsetzen lag in der Zentrale. Schultern sanken nach unten, Augen weiteten sich, Tätigkeiten erlahmten, man konnte meinen, auf ein Standbild zu blicken. In Guckys Gesicht regte sich kein Muskel. Rhodan dachte an die vielen bewohnten Welten, sah das Horrorszenario vor sich, das er gerade erst verlassen hatte: Phariske-Erigon, geschlagen, besiegt, verwüstet.

Den Laren drohte das gleiche Schicksal. Trotzdem würde er nicht aufgeben. »Keine voreiligen Schlüsse.«

Kakulkan straffte sich. »Wie ist die Lage?«

Der Haupthologlobus flammte auf, zeigte erste Ergebnisse der hyperenergetischen Ortung. Die RAS TSCHUBAI war mehrere Lichtminuten von der äußersten der insgesamt 235 larischen Welten entfernt, die auf ihrem Weg nach Noular lag. Im direkten Umkreis gab es weder Schlachten noch Raumschiffe.

Allistair Woltera verlagerte im Sessel sein Gewicht, als wollte er die leichte Krümmung im Rücken ausgleichen. »Die Auswertungen laufen noch. Fest steht, dass die Tiuphoren das Sternenreich der Laren auf breiter Front angegriffen haben. Es muss einige Tage her sein, seit sie ihre eigentliche Banner-Kampagne begonnen haben. Manche Funksprüche stammen von Schiffen, die inzwischen wahrscheinlich zerstört sind.«

»Verdammte Tiuphorenpest!«, zischte Gucky.

»Was ist mit der Hauptwelt?«, fragte Rhodan. »Und mit dem Taarosystem?«

Woltera berührte den Chip in seinem linken Ohr. »Es gibt bisher keine umfassenden Informationen. Vermutlich ist sie ebenfalls vernichtet. Auf jeden Fall wurde sie angegriffen.«

»Wir fliegen hin«, befahl Rhodan. Er stützte sich auf die Arbeitskonsole, als brauchte er Halt.

Das Ausmaß der Geschehnisse drückte ihn nieder. Die Laren waren Phariske-Erigon zu Hilfe geeilt und hatten vermutlich gerade deswegen das Augenmerk der Tiuphoren auf sich gezogen. Zwar hatten die Laren ihre Schiffe zurückbeordert – TAAROS BOTEN waren heimgekehrt –, doch der Feind war ihnen wie ein Schatten gefolgt, drohte sie zu vernichten, ihre Zivilisation in die Bedeutungslosigkeit zu schleudern.

Schweigend wartete Rhodan, bis sie die letzte einer Reihe von Kurzstreckentransitionen abgeschlossen hatten und am Rand des Systems ankamen.

Die Lage, die sich ihnen bot, war erschütternd. Übersichtsholos zeigten Verwüstungen und Wracks. Allerorts trudelten Trümmer, als hätte die Hauptwelt Noular einen eigenen Asteroidengürtel. Tiuphorenschiffe waren nicht anzumessen. Offenbar hatten die planetenbefreiten Kriegskünstler diesen Teil ihrer Banner-Kampagne abgeschlossen.

»Verdammte Tiuphorenpest«, wiederholte Gucky, dem der Wortwitz ausgegangen zu sein schien. Seine Ohren waren gesenkt, das Gesicht spitzer denn je.

»Wir müssen herausfinden, was mit Avestry-Pasik geschehen ist«, sagte Rhodan. »Und mit der Helaar.«

Allistair Woltera meldete sich zu Wort. »Notrufe von mehreren Wracks. Einige drohen zu kollidieren, andere abzustürzen oder in die Sonne zu treiben. Die Tiuphoren müssen dafür verantwortlich sein.«

»Zumindest ihre Indoktrinatoren«, erinnerte Rhodan. Er wandte sich an Kakulkan. »Wir müssen helfen. Mach die Beiboote startbereit! Stell mehrere Einsatzteams zusammen!«

»Ich springe zum Planeten«, bot Gucky an. »Außerdem soll Gholdorodyn seinen Kran einsatzbereit machen.«

»Einverstanden«, Rhodan beugte sich leicht vor. »Allistair, keine Antworten vorerst. Wir wollen die Tiuphoren nicht durch offene Hyperfunksprüche zurücklocken.«

Woltera nickte. »Sicher. Und Perry ...«

»Ja?«

»Hascannar-Baan will dich sprechen. Soll ich die verschlüsselte, geraffte Verbindung zur LARHATOON freigeben?«

Rhodan presste die Lippen aufeinander. Seitdem sie Hascannar-Baan das Schiff abspenstig gemacht hatten und es unter ihrer Kontrolle stand, spuckte der Lare Gift und Galle. »Verbinde mich zuerst mit Major Ferridan Wackström.«

»Verstanden.«

Eine Sekunde später erschien das Holo Wackströms, der unter der Besatzung auch der »Wikinger« genannt wurde. Der Terraner war groß, athletisch, blond. Sein wilder Vollbart und die oft mitreißende Art machten seinem Spitznamen alle Ehre. Er hatte eine Vorliebe für Malz- und Hopfengetränke und zitierte gerne bekannte Philosophen, als würde er sie persönlich kennen.

In diesem Moment sah er nicht so aus, als hätte er den geringsten Sinn für Geisteswissenschaften. Auf seinem Gesicht lagen mehrere rote Flecken. »Darf ich ihn paralysieren und an Bord des RAS schicken, Perry?«, fragte er statt einer Begrüßung.

»Wen?«, fragte Rhodan, obwohl er es sich dachte.

»Hascannar-Baan. Wir haben geortet und wissen um den herrschenden Krieg und die Lage in der Galaxis. Und dieser Kerl ist drauf und dran, auf meine Leute loszugehen. Ich glaube, er gibt uns die Schuld für sein Scheitern.«

Die Laren um Hascannar-Baan und Avestry-Pasik waren der Grund, warum Perry Rhodan sich überhaupt in der Vergangenheit aufhielt. Das ursprüngliche Ziel dieser Proto-Hetosten war es gewesen, ein Zeitparadoxon herbeizuführen, indem sie mit der Zukunftstechnik der SVE-Raumer die Tiuphoren aus der Milchstraße fegten und damit die Geschichte neu schrieben.

Dieses Ziel war nun endgültig unerreichbar geworden. Alle Mühen, die Hascannar-Baan, Avestry-Pasik und seine Verbündeten auf sich genommen hatten, waren vergebens gewesen. Die Proto-Hetosten – wie sich ihre Gruppierung nannte – hatten das zwar vorab gewusst, ehe sie nach Phariske-Erigon aufgebrochen waren, doch es war etwas anderes, es zu erleben. Im Angesicht der Lage war sich Rhodan nicht einmal sicher, ob es noch einen Planeten gab, den sie via Purpur-Teufe retten konnten.

»Befindet sich die LARHATOON weiterhin unter unserer Kontrolle?«

»So sicher, wie ich hier stehe. Sämtliche Systeme und die Besatzung. Aber Hascannar-Baan scheint uns mehr zu hassen als die Tiuphoren.«

Die LARHATOON hatte die Komponenten der Purpur-Teufe aufgenommen: sechs zylinderförmige Bojen von je fünfhundert Metern Durchmesser und Höhe. Der Strukturvariable Energiezellenraumer hatte sich aufgebläht, um den Transport zu bewerkstelligen, der an Bord der RAS TSCHUBAI unmöglich gewesen wäre.

Rhodan berührte seine Nase dicht an der kleinen Narbe, die ihn seit Ewigkeiten begleitete. »Wir haben Hascannar-Baan den ihm anvertrauten SVE-Raumer weggenommen, seinen ganzen Stolz, auf den er seine Hoffnungen setzte. Sein Freund und Anführer ist vermutlich tot. Seine Mission gescheitert. Wie würde es uns umgekehrt gehen? Verbinde mich mit ihm!«

Das Holo wechselte und zeigte einen Laren mit verkniffenen, gelben Lippen und weit auseinanderstehenden smaragdgrünen Augen. Er hielt die Arme vor der tonnenförmigen Brust verschränkt. Die zahlreichen Spiralzöpfe, die von einem kiemenartigen Halbmondohr zum anderen reichten, waren lange nicht frisiert worden, drohten sich aufzulösen.

»Gratulation«, sagte Hascannar-Baan sarkastisch. »Nun hast du dein Ziel erreicht, was? Es existiert keine Larenzivilisation mehr, die man per Zeitrevolution aufrüsten und gegen die Tiuphoren überlebensfähig machen könnte. Die Zeitrevolution findet nicht mehr statt – mangels Masse! Dir muss gefallen, was hier passiert.«

Rhodan sah einen Mann vor sich, der mit seiner Wut erbärmlich schlecht die Verzweiflung kaschierte, die ihn umtrieb. Hascannar-Baan war am Ende. Gebrochen. Alles, wofür er gekämpft hatte, lag am Boden.

»Du irrst. Die vollständige Auslöschung der Laren war nie mein Ziel. Das ist es auch jetzt nicht. Und was die Zeitrevolution angeht ...« Er zögerte, wechselte einen Blick mit Gucky. »Es scheint, als wären es die Tiuphoren, die sie gerade auslösten. Sie rotten deine Zivilisation aus, die auch für mein Volk lebenswichtig ist, weil sie mit der Historie der Milchstraße so eng verknüpft ist. Wenn sich die Ur-Laren nicht mehr erholen, gibt es keine zweite Larenheit und dadurch weder Hetos der Sieben noch dessen Besetzung der Milchstraße – und vielleicht entziehen wir dadurch der Gegenwart ihre Basis.«

Hascannar-Baan schwieg. Er wirkte weniger wütend.

Rhodan fuhr fort: »Es wäre ein erheblicher Bruch in der Menschheitsgeschichte. Ein Bruch, den ich um jeden Preis verhindern will. Mein Ziel ist es nach wie vor, eine Keimzelle der Laren zu retten. Einen Planeten oder Mond, vielleicht auch ein größeres Schiff oder eine Station. Aber zuerst will ich den Laren vor Ort helfen. Den Überlebenden. Wirst du mich unterstützen?«

Die Nasenschlitze Hascannar-Baans weiteten sich, verengten sich wieder. Er stieß ein leises Zischen aus. »Bleibt mir eine Wahl? Ich bin ein Geduldeter an Bord meines eigenen Schiffs! Wenn ich die LARHATOON nicht kommandieren darf, kann ich ebenso gut in den Einsatz gehen. Wir müssen so viele Leben retten wie möglich.«

»Das werden wir. Parallel suchen wir nach einer Welt, die außerhalb der Angriffe liegt. Vielleicht gibt es einen larischen Planeten, dem wir helfen können.«

»Werde ich ein eigenes Beiboot bekommen?«

»Nein. Wir teilen Teams ein. Sag deinen Leuten, sie sollen sich bereitmachen.«

Der Lare beendete die Verbindung.

Rhodan schaute auf die Übersichtsholos und Ansichten, die immer neue Szenarien der Verwüstung zeigten. Noular war niedergebrannt worden, das Land geschwärzt, die Städte verlassene, schwelende Ruinen, deren Straßenzüge Glassplitter und Trümmerstücke füllten. Ganze Landstriche waren unkenntlich geworden, Hügel planiert, Seen verdampft, Wälder verbrannt. Rauch und Asche verschleierten den ausgesandten SCOUT-Drohnen die Sicht.

Der Planet hinterließ den Eindruck, von einem wütenden Gott heimgesucht worden zu sein, der im Wahn zerstört hatte, was einst ein Paradies gewesen war.

Was war mit der larischen Regierung? Und mit dem Mann, mit dem alles angefangen hatte, der ihm Verbündeter und Feind gewesen war: Avestry-Pasik?

 

 

Zwischenspiel

Ysicc-Krächzen

 

Das Geräusch schneller Schritte zerriss die Stille. Die Brünne erwärmte sich, sendete beruhigende Impulse an ihren Träger. Caradocc Yernacc Yxayar kämpfte gegen das Unbehagen an, das ihn im Saal der Aufhebung überkam.

Der Raum war unnatürlich, ein symmetrisches Gefängnis, aus dem das Bewusstsein eines Opfers selbst nach dem Tod nicht entkommen konnte. Er fürchtete nicht das Wolkenreich, das Catiuphat. Im Gegenteil. Dorthin sehnte er sich, wollte es mit aller Macht erreichen. Es war die Halle, die ihm Furcht einflößte. Der Gedanke, sein Geist könnte zwischen den abartig geraden Wänden eingesperrt werden, ohne je in die Reihe der Ahnen vorzustoßen, drängte sich ihm auf.

Obwohl der Nebel einen Teil der Geräusche schluckte, waren Yernaccs Schritte zu hart und laut für den erhabenen Saal, der Schweigen und Schreie gleichermaßen schätzte, aber keine Ungeduld.

Ein heiseres Krächzen ließ ihn zusammenzucken. In der Mitte des Raums hockte der Ysicc mit flatternden Flügeln auf einem Block aus blauschwarzem Tiauxin. Auf diesem Block hatte erst vor einem Jahr Yernaccs Schwester gelegen, die letzte Kommandantin der MOYTAZUM. Es war ein erhabener Moment gewesen.

Aus den Schatten in der hinteren Raumhälfte trat das Orakel Oxyo Xenner hervor. Es war klein, verkrümmt, kaum mehr als Tiuphore zu erkennen. Und doch diente niemand mehr als das Orakel dem Krieg, der Lebenselixier und Bestimmung war.

»Caradocc«, sagte Oxyo Xenner mit farbloser, wie ausgewaschener Stimme. »Was verschafft mir die Ehre dieses unangekündigten Besuchs?«

In den Worten des Orakels lag Spott. Sie stritten immer wieder über Yernaccs Ungeduld, sein stürmisches Vorgehen. Dabei wussten beide, dass sie einander guttaten, sich bremsten und antrieben, wo es nötig war. Sie waren zwei Pole, die gemeinsam zur gemäßigten Mitte fanden.

Yernacc deutete auf die Darreiche. »Es ist an der Zeit. Wir haben wertvolle Gefangene an Bord. Ich will, dass du ihre Geistkomponenten in das Banner bringst.«

»Noch nicht.« Das Orakel senkte das Haupt, wodurch die Kapuze tiefer fiel, die Augen verbarg. »Erst wenn alle 235 Welten verheert sind. Die Vorfreude wird den Ysicc zu Höchstleistungen anspornen. Es soll ein besonderes Fest werden. Eines, an das wir noch lange zurückdenken werden. Der endgültige Triumph über die Laren.«

»Ich habe bereits triumphiert. Die Hauptwelt ist irreparabel geschädigt, das System liegt darnieder. Ich will den Lohn sofort erhalten. Diese Bewusstseine werden unser Banner schmücken!«

Das Orakel hob den Kopf. Seine Augen waren schwarz wie die des Ysiccs, es gab nichts Weißes in ihnen. Sie verschmolzen mit den Schatten. »Ich werde das Banner fragen.«

Der Ysicc krächzte erneut, schlug heftig mit den lederartigen Flügeln, zeigte spitze Zähne. Der dreieckige Kopf ruckte von links nach rechts – und hielt plötzlich mitten in der Bewegung inne. Beide, Orakel und Ysicc, wurden starr wie der blauschwarze Block aus Tiauxin, der im Nebel aufragte.

Yernacc beobachtete das Orakel. Das Gesicht mit dem winzigen Mund wirkte vergeistigt. Der dürre Tiuphore war geistig in das Wolkenreich gewechselt, war nun Teil des Catiuphats. Die Brünne erwärmte sich weiter, auf eine beinahe unangenehme Temperatur. Trotzdem beruhigte Yernacc der Vorgang. Er zwang sich still zu stehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bewegte das Orakel die Arme. Leben kam in das faltige Gesicht. »Einen«, sagte es. »Einen darfst du auswählen. Die anderen folgen später.«

Freude durchdrang Yernacc Yxayar. »Ich danke dir.«

»Es ist das Wolkenreich, das durch mich spricht. Danke ihm.«

Der Kommandant wandte sich in die Richtung des Tiauxin-Blocks, schlug sich mit der Faust gegen das Kriegsornat und ging so eilig aus dem Saal, wie er gekommen war.

3.

Banner-Komponenten

MOYTAZUM