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Nr. 2891

 

Im Herzen der Macht

 

Sie wurden von der RAS TSCHUBAI entführt – und entdecken das Trallyomsystem

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Bilder

2. Klänge

3. Düfte

4. Fühler

5. Mahlzeiten

6. Täuschungen

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Lebensfähre der Eonatores

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort liegt die Ursprungswelt der Tiuphoren, eines Volkes, das unendliches Leid über viele Welten gebracht hat, ehe der ominöse »Ruf der Sammlung« sie dorthin zurückbeorderte.

In Orpleyd muss Perry Rhodan erkennen, dass die Galaxis seltsamen, nicht vorhersehbaren Zeitabläufen unterliegt – manchmal vergeht die Zeit innerhalb der Sterneninsel langsamer als im restlichen Universum. Zudem herrschen dort die Gyanli nicht nur über die Tiuphoren – sie arbeiten auch auf ein nebelhaftes Ziel hin.

Perry Rhodan erhält Beweise dafür, dass in Orpleyd eine Materiesenke entstehen soll – ohne Beeinflussung oder Kontrolle durch die Chaotarchen. Die dafür verantwortliche Superintelligenz ist KOSH, das Lot.

Farye Sepheroa, Rhodans Enkelin, wurde zusammen mit etlichen anderen Besatzungsmitgliedern der RAS TSCHUBAI entführt. Ihr Ziel liegt IM HERZEN DER MACHT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Farye Sepheroa – Die Enkelin Rhodans sieht eine Chance.

Shaker Garofalo – Der Xenolinguist fühlt sich zerrissen.

Rogelio Ma – Der Waffenanalytiker will sich nicht mit seiner Situation abfinden.

Tanya Luoto – Die Robotikerin sucht einen Ausweg.

Thamogand – Der Kontakt-Operator hört sich Geschichten an.

Schlaf mein Kleines, träume schön,

dann wirst du tausend Welten sehen.

Hör auf Mami, sie ist gut.

Schenkt dir Ruhe, Kraft und Mut.

 

1.

Bilder

 

Sie träumte. Sie musste träumen. Farye Sepheroa glitt mit geschlossenen Augen durch warme Flüssigkeit, die ihren Körper umspülte. Zarte Schleier streichelten nackte Haut, kitzelten den Hals.

Farye war, als hörte sie aus großer Entfernung die Stimme der Mutter, die ein Lied für sie sang. War Yanid amya Caadil in der Nähe? Beugte sie sich über das Schwebebett, spät am Abend, um ihr Baby endlich zum Einschlafen zu bringen, während der Vater im Zimmer nebenan vor dem Holoentwurf irgendeiner Stadt oder eines Gebäudekomplexes stand?

Die Eltern ... Ein erschreckender Gedanke durchzuckte Farye, während sie die beiden vor sich sah: Ihre Eltern waren tot, seit vielen Jahren schon. War sie nun ebenfalls gestorben?

Erinnerungsfetzen. Ein steriler, kalter Saal beherrscht von einer Operationsliege, die auf einer erhöhten Ebene stand. Im Hintergrund öffnete sich der Raum, erhoben sich steinerne Wölbungen, die wirkten, als hätte eine Desintegratorkugel sie aus dem Fels geschnitten. Eisenketten hingen von der Decke, klirrten im Luftzug. Etwas an der Szenerie war falsch. Aber was? Es war unwichtig. Vergangenheit. Nein, bloß ein Traum. Sie war müde, lag halb im Schlaf.

Faryes Gedanken beruhigten sich, glitten träge dahin, wie der Körper. Da waren weitere Bilder, die aus großer Tiefe seifenblasengleich aufstiegen, aus dem Herzen der Nacht. Eines zeigte eine Galaxis, wie Farye nur eine kannte. Ein Gürtel aus Staub und Eis rahmte ein Auge aus Licht ein. Sterne verteilten sich um das hell flammende Zentrum, winzige Staubkörner sprenkelten die kosmische Bühne aus endlosem Schwarz.

Das war Orpleyd. Ehe Farye weiter darüber grübeln konnte, was die Galaxis bedeuten mochte, schob sich das Abbild eines Raumschiffs in den Vordergrund. Es war kugelförmig, erschien wie die Miniatur eines Planeten, der seine Bahn verlassen hatte, um frei durch die Leere zu jagen. Der Raumer leuchtete in irisierendem Blau, als wollte er zeigen, woher er kam – von Terra, einer Welt blauer Ozeane, die für Farye Heimat bedeutete, obwohl sie nicht dort geboren worden war.

Wie weit war diese Heimat entfernt? Eine Zahl schoss ihr durch den Kopf: 131 Millionen Lichtjahre. Unendlich weit und doch näher, als sie sich im Augenblick sich selbst fühlte. Ihr Verstand schien den Körper verlassen zu haben, schwebte träge im Nichts. Was war mit ihr geschehen? Warum fühlte sich der eigene Leib fremd an, besonders der Hals?

Farye war auf dem kugelförmigen Raumschiff gewesen, der RAS TSCHUBAI, war entführt worden, von den ... Wie hießen sie noch? Gyanli?

Auch dazu lieferte die Erinnerung ein Bild: Mehrere bis zu zweieinhalb Meter große, haarlose Humanoide, die sie feindselig anstarrten. Sie trugen schwarzgraue Schutzanzüge, aber nur am Rumpf und den Beinen. Die Haut an den Händen und im Gesicht war von einem fahlen Blau. Eines der Wesen hob den Arm, unter dem sich ein Hautlappen zwischen Oberarm und Brustkorb spannte. Auch zwischen den Fingern lagen diese ... Drifthäute. Der Gyanli streckte sie Farye entgegen. Was wollte er damit erreichen? Ihr war, als röche er an ihr oder läse damit ihren Gemütszustand ab.

Auch das war Vergangenheit. Unwichtig.

Eine unbestimmte Angst breitete sich in Farye aus. Da gab es etwas, das sie viel zu lange nicht getan hatte. Seit mehreren Sekunden nicht. Etwas, das sie unbedingt tun musste, wenn sie weiterleben wollte.

Das Traumbild der Mutter beugte sich über sie, strich ihr durch die nassen, braunen Haare. »Hör auf Mami. Wach auf!«

Farye riss die Augen auf. Diffuse Helligkeit umgab sie. Es war kein Traum! Sie trieb in einer rötlich glitzernden Flüssigkeit. Wer wusste, wie lange schon? Es mussten Minuten sein. Sie ertrank!

Ihr Körper zitterte, wollte, dass sie Luft holte, die Lunge vollsog. Entsetzt kämpfte Farye dagegen an. Wenn sie atmete, würde sie Wasser in die Lunge bekommen und ersticken!

Hoch!, schrie alles in ihr. Ich muss nach oben, raus hier!

Sie bewegte Arme und Beine, stieß sich ab. Panik trieb sie an. Ihr Herz raste mit den Gedanken um die Wette. Wie war sie an diesen Ort gekommen? Zuletzt hatte sie in einem Gefängnis der Gyanli gesessen, zusammen mit über zwanzig anderen Terranern, die aus der RAS TSCHUBAI entführt worden waren. Waren die Gyanli dabei, sie zu ermorden? Wollten sie sich der Gefangenen entledigen?

Farye schaute sich um, versuchte, andere Körper zwischen den rötlichen Schleiern auszumachen, doch da waren keine. Sie starb allein.

Ihr ausgestreckter Arm tastete nach der Wasseroberfläche, wollte sie durchstoßen. Er berührte einen Widerstand, der sich wie eine Wand anfühlte. Eine unsichtbare Kraft prallte gegen ihre Finger, schickte Farye zurück in die Tiefe.

Sie wollte schreien vor Verzweiflung, doch ihr Mund füllte sich mit warmer Flüssigkeit, die sie ausspuckte. Das Ziel war zum Greifen nahe. Über ihr verzerrte sich das Wasser. Da musste ein Ausgang liegen, ein Außen, aber eine unsichtbare Barriere schien zwischen ihr und der Rettung zu liegen. Ein Prallfeld?

Im Brustkorb brannte es, der Schmerz war stärker als die Vernunft. Er wuchs unerträglich an, steigerte sich, bis jeder Gedanke ausgelöscht war.

Farye sog gierig das Wasser ein – und erstarrte überrascht. Sie konnte atmen! Nicht durch den Mund oder die Nase, aber über den Hals! Der Schmerz im Brustkorb ebbte ab. Die Panik ließ nach, lief in immer kleiner werdenden Wellen aus. Etwas hatte sie vor dem Ertrinken bewahrt. Sie musste nicht einmal husten.

Mit zitternden Fingern tastete Farye zu ihren Lippen, glitt tiefer, über das Kinn zum Kehlkopf hinunter und zur Seite. Erschrocken fuhr sie zurück. Dort hing etwas, das nicht zu ihr gehören konnte. Es zog sich hinauf bis hinter die Ohren. Glatte, merkwürdige Hautlappen, die sich bewegten, durchbrochen von Schlitzen: Kiemen!

Durch diese Kiemen atmete sie, holte sich Sauerstoff aus der rotgoldenen Flüssigkeit, in der sie trieb. Warum hatte sie Kiemen? Irgendwie musste sie an diese Organe gekommen sein.

Das Bild mit dem Operationssaal erschien erneut, doch Farye drängte es zurück. Sie misstraute der Erinnerung, und die Erleichterung zu leben überwog. Sie wollte sich nicht mit Schreckensvisionen quälen. Warum auch immer sie Kiemen hatte – im Moment retteten sie ihr das Leben.

Langsam sank sie in die Tiefe, schaute sich nun, nachdem keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, mit wachsender Neugierde um. Ein diffuses Licht erhellte die Flüssigkeit, die sich um sie erstreckte. Es schien von allen Seiten zugleich zu kommen.

Erstaunt erkannte sie, dass andere Lebewesen im ... Krill ... waren. Keine Gefangenen von der RAS TSCHUBAI, sondern fremdartige Wasserbewohner, die entfernt an Kofferfische ohne Augen erinnerten. Schwarzbraune Schuppen bedeckten die Geschöpfe, hin und wieder durchbrochen von roten Linien.

Farye schwamm zu einem von ihnen, versuchte zu durchschauen, ob das Wesen biologisch oder technisch war. Als sie nach ihm griff, beschleunigte das Wesen und zischte mit peitschender Schwanzflosse davon. Winzige, weiße Luftperlen stiegen auf.

Ein Stück vor Farye trieb etwas, das eine Maschine sein musste. Es war faustgroß, kugelförmig und glitzerte schwach. Die Außenhaut schien aus Metall oder Folie zu sein. Mehrere antennenartige Auswüchse standen in alle Richtungen ab. Wozu mochte das Gerät gut sein? Ob es ein Roboter war, der sie überwachte? Falls ja, bot das Ding vielleicht eine Chance, herauszufinden, was vor sich ging.

»Ist da jemand?«, fragte Farye. Die Stimme klang verzerrt, sie verstand sich kaum.

Je mehr ihr Herzschlag sich beruhigte, desto drängender wurden die Fragen. Wo war sie? Woher hatte sie Kiemen? Und warum war sie an diesem Ort? Sie erinnerte sich an die RAS TSCHUBAI, die Gefangennahme durch die Gyanli und dann an den Kerker. Da war ein Gefängnis gewesen, in das man sie gebracht hatte. Wie sie dorthin gekommen war, wusste Farye nicht. Es war ein seltsamer Ort gewesen, aber nicht so fremd wie der, an dem sie nun war.

Gucky war dort aufgetaucht und hatte versucht, sie zu befreien. Er hatte das Gefängnis »die Bastion« genannt, und den Raum, in dem sie gewesen waren, den Katoraum. War sie weiterhin im Katoraum? Und was war mit Gucky? War der Mausbiber vielleicht ebenfalls an diesem Ort? Waren sie zusammen in die Freiheit gesprungen und in dieser Flüssigkeit gelandet?

Farye schüttelte den Kopf. Ihre Haare wischten träge über die Stirn. Nein. Gucky hatte sie im Gefängnis zurückgelassen, weil es kein Durchkommen zu ihr gegeben hatte. Ein unsichtbares Hindernis hatte den Bereich der Bastion abgegrenzt. Aber wo steckte der Mausbiber nun? Und was war mit den anderen Gefangenen passiert?

»Was soll das?«, rief sie, mehr und mehr frustriert. »Ist das ein Spiel? Eine Art Folter?«

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, versuchte sich zu beruhigen. Die Flüssigkeit schmeckte angenehm süßlich. Wie Wasser, das jemand mit Zucker und Fruchtsaft angereichert hatte.

Farye lauschte, doch niemand antwortete. Maschinen und Blindfische setzten ihre Wege unbeirrt fort. Keiner nahm Notiz von ihr. Sie schaute voraus, wo in der Ferne Lichtquellen blitzten. Vielleicht fand sie dort Hinweise, die Situation zu verstehen. Sie beschleunigte die Schwimmzüge.

Ehe Farye eine der Quellen erreicht hatte, merkte sie, dass sie nicht mehr allein war. Hatte ihr Rufen doch geholfen? In etwa zehn Metern Entfernung näherte sich ein heller Fleck, der rasch größer wurde. Er bewegte sich wie ein Vogel, hatte leuchtende Flügel.

Farye kniff die Augen zusammen. Keine Flügel. Eher Schleier. Sie waren in der Mitte weiß, verfärbten sich nach außen hin jedoch in Gelb und Blau, um in einem dunklen Violett auszulaufen. Das musste ein Lebewesen sein, doch es unterschied sich von denen, die ihr bisher aufgefallen waren. Obwohl es knapp zwei Meter lang war, hatte es keinerlei Ähnlichkeit mit einem Menschen oder Lemurerabkömmling.

Das Geschöpf war Farye fremd. Eine Art transparente Stoffbahn hüllte es ein, die Farye an einen Umhang aus gehäkelten Spitzendecken erinnerte, nur dass sie tausendmal feiner und transparenter waren. Die Muster darauf wiederholten sich, als hätte jemand das Wesen zusammengefaltet und kunstvolle Löcher hineingeschnitten. Ein Organ? Ein Kleidungsstück? Es erschloss sich nicht.

Das Wesen bewegte die Ausläufer des Schleiers, schien im Wasser zu schweben. Leise gurgelnde Laute erklangen, als es den Körper drehte. Perlmuttfarbene Punkte vergrößerten sich und wurden wieder kleiner.

Steckte in den Schleiern ein Körper, so wie eine Schnecke in ihrem Haus? Die innerste Schicht war undurchsichtig.

Farye hörte ein Prickeln und Rauschen. Es schwoll an, ebbte wieder ab. Etwas tat sich an den Kiemen. Noch immer kamen ihr die Organe wie Fremdkörper vor, obwohl sie perfekt arbeiteten, als wären sie von Geburt an da gewesen.

Das Rauschen veränderte sich. Aufmerksam lauschte Farye. Nach und nach begriff sie, dass es Worte waren. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie verstand, was sie bedeuteten.

»Wie ist das Zeichen, Außenatmerin Eins?«

»Das Zeichen?« War es wirklich das Wesen in einiger Entfernung, das da sprach? Es musste so sein, allerdings konnte Farye keinen Mund erkennen, der die Worte formte. »Was meinst du damit?«

»Das Zeichen, das aus Lauten besteht.«

»Oh! Du meinst meinen Namen. Farye. Farye Sepheroa. Und wie heißt du?«

»In diesem Schleier ist das neunte Kursdenkende der Fähre. Es ist in die Fähre gebunden. Es führt kein außerfährisches Zeichen, Eins-Farye.«

»Du hast wohl keinen Namen.« Sie dachte an Gucky, der alles und jeden benannte, wie es ihm gerade passte. »Das macht nichts. Ich werde dich Neun nennen.«

Die Perlmuttflecken vergrößerten sich. Zustimmung? Zufall? Das Wesen war zu fremd, um verlässlich auf etwas schließen zu können. Bisher begegnete es Farye freundlich, aber war es deswegen ein Freund? Sie war entführt worden, befand sich in der Hand des Feindes. Hatte sie mit der Namensgebung eine Unhöflichkeit begangen, die Konsequenzen haben würde?

Je länger das Wesen schwieg, desto nervöser wurde Farye. »Darf ich dich Neun nennen?«, hakte sie nach.

»Wie Eins-Farye will«, sagte das Wesen.

Wie kam es überhaupt, dass Farye es verstand? Funktionierte das irgendwie telepathisch, oder war die Fähigkeit zusammen mit den Kiemen implantiert worden? Hatte sie eine Hypnoschulung erhalten?

Der Fragenkatalog in ihrem Kopf wuchs Minute für Minute an. Sie wusste vieles nicht, und dieses Nichtwissen ärgerte sie. So faszinierend die fremde Umgebung und das Geschöpf vor ihr sein mochten, das war alles falsch. Sie gehörte an Bord der RAS TSCHUBAI – nach Hause und in Sicherheit.

»Was bist du, Neun? Warum habt ihr mich entführt? Was genau tue ich hier, und wieso habe ich diese Dinger?« Sie spürte, wie das Wasser durch ihre Kiemen rann, immerzu, während sie anklagend mit den Fingern darauf zeigte. Ihr war, als schmeckte sie an den Kiemen eine Veränderung. Nahm sie eine Emotion von Neun auf diese Weise wahr?

»Eins-Farye stellt viele Fragen.«

»Nein, das waren wenige. Ich habe viel mehr.« Vor allem über die anderen Gefangenen. Und über Gucky. Aber noch wollte Farye abwarten, wie Neun auf ihre fordernde Art reagierte. Verblüfft merkte sie, dass sie keinerlei Angst vor dem Wesen hatte. Hätte ein Gyanli mit einem Traktator vor ihr im Wasser getrieben, hätte das ganz anders ausgesehen. Die amphibischen Wesen waren personifiziertes Unheil. Farye hatte gelernt, sie zu fürchten.

Vielleicht war es unvorsichtig, keine Angst zu haben. Doch mit Vorsicht würde Farye nichts erreichen. Sie wollte Antworten!

Neun drehte sich langsam, machte eine Rolle. Die Schleier erzitterten, weiteten sich, tanzten in den Krill durchsetzten Fluten. »Neun, wie du es nennst, ist ein Eonator. Es gehört zur Fähre und die Fähre zu ihm. Es hat Eins-Farye nicht entführt. Es denkt den Kurs.«

»Du bist eine Art Pilot?«

»Ja.«

»Warum habe ich Kiemen?«

»Um hier sein zu können. Wir haben sie eingepflanzt und wachsen lassen.«

»Aber wieso? Was soll das alles?«

»Komm mit. Neun zeigt es Eins-Farye.«

Anmutig schlug Neun mit den Schleiern. Farye schwamm ihm nach. Sie steuerten auf eine Ansammlung von kugelförmigen Gebilden im Wasser zu. Während sie sich näherten, sprach Neun erneut, ohne dass Farye herausfand, woher genau die Stimme aus dem Körperinneren kam.

»Inneninformator Tausenddrei. Spiel das Fährenprogramm ab!«

»Wir sind auf einer Fähre? Schwimmen die sonst nicht auf dem Wasser?«

Der Eonator antwortete nicht.

Ein Holo breitete sich im Wasser aus. Es zeigte lang gezogene Gänge, geflutet mit der Flüssigkeit, in der Farye trieb.

»Ist das Fluid?«, fragte Farye. Sie wusste, dass die Gyanli in Fluid schliefen und es auf Dauer zum Überleben brauchten. Auf dem Aggregat hatte sie erfahren, dass die amphibischen Wesen darin ihre Kinder gebaren.

»Nein«, sagte Neun. »Es ist Torana – Wasser mit Nährstoffen, Torankeimlingen und Kleinstlebewesen. Die Eonatores leben darin. Mit dem Fluid der Gyanli hat es wenig gemein.«

Das Holo veränderte sich, zeigte Aufnahmen wie eine Kamera, die durch das Wasser schwamm. Es folgte einem scharfen Knick, dann einem neuen Gang. Immer wieder waren Kugeln und Kleinstlebewesen zu sehen, doch keine Gyanli.

An einer Stelle war es möglich, durch eine unsichtbare Barriere hinauszuschauen. Schwarzes All breitete sich aus, durchwirkt von Orpleyds Sternen, die an ihnen vorbeizogen. Falls das Bild eine Simulation der echten Umgebung war, mussten sie nah am Zentrum sein. Es war ungewöhnlich hell.

Farye begriff, dass sie in einem Raumschiff war – und sie wusste, in welchem.

Das Gitterschiff! Natürlich. Die Fähre musste das Gitterschiff sein, das auf der RAS TSCHUBAI gelandet war, ehe man sie entführt hatte. Dorthin hatte man sie und die anderen verschleppt. Offensichtlich war sie an Bord des fremdartigen Raumers.

»Ich bin im Gitterschiff. Ihr habt mich aus dem Katoraum geholt und ins Schiff gebracht.« Das ergab Sinn. Und auch wieder nicht. Wenn sie als Gefangene im Gitterschiff war, warum hatte man ihr dann Kiemen verpasst? Ein solcher Eingriff war aufwendig – sicher aufwendiger, als einen Bereich abzutrennen und mit einem atembaren Gasgemisch zu füllen oder ihr einfach einen Schutzanzug zu geben. »Wollt ihr mich verhören?«

Die Schleier pulsierten. Ein Ausläufer streckte sich nach Farye aus. »Nein. Neun will keine Fragen stellen. Neun will Eins-Farye die Fähre zeigen, wenn Eins-Farye einverstanden ist.«

Wieder roch Farye etwas mit den Kiemen. Diesmal wusste sie instinktiv, was es bedeutete: Neugierde! Neun war auf sie neugierig. Es gab etwas, das er von ihr erwartete oder haben wollte. Aber was?

In Faryes Gehirn arbeitete es. Sie wäre gerne so schnell gewesen wie ihr Großvater, der legendäre Sofortumschalter Perry Rhodan.

Dieses Wesen hatte Interesse an ihr, wobei sie nicht verstand, warum. Es wollte ihr freiwillig mehr über das Gitterschiff verraten – sie musste alles dafür tun, dass die Situation so blieb. Die Informationen konnten ihr helfen, zu entkommen. Wenn sie wusste, wo Beiboote lagen, wie sie gesichert und überwacht wurden, gab es vielleicht eine Möglichkeit, gemeinsam mit den anderen zu fliehen – sobald sie herausgefunden hatte, wo sie waren.

»Danke, Neun. Zeig mir die Fähre.«

2.

Klänge

 

»Wir werden alle sterben!«

Die schrille Stimme riss Shaker Garofalo aus einem Schlaf, der diesen Namen kaum verdiente. Garofalo hockte im Schneidersitz am Boden. Er saß am Rand der ebenen Fläche, die einen Kreis bildete. Hinter seinem Rücken stieg die Höhlung einer Kugel an, die wirkte, als hätte ein Desintegratorball in Beibootgröße sie aus dem Steinboden gefressen. Behutsam dehnte Garofalo den Hals, der beim Einnicken in einem unbequemen Winkel gelegen hatte.

Er fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen, während die Erinnerung schlagartig zurückkam. Er war ein Gefangener der Gyanli, wie die anderen achtundzwanzig Besatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI. Man hatte ihn in eine Art andere Dimension verschleppt, den Katoraum. Gucky hatte ihnen diese Information zugerufen, ohne nähere Erklärungen, was denn nun dieser Katoraum genau war.

Wenige Meter entfernt befanden sich die provisorischen Betten, in denen die meisten Besatzungsmitglieder lagen. Nur einige wenige hockten am Boden wie Garofalo oder standen aufrecht. Pan Nepomuceno ging über die Ebene zum Getränkeautomaten in der Mitte.

Niemand reagierte auf den verzweifelten Rufer, der sie für tot erklärt hatte. Es war nicht seine erste Panikattacke.

»Sie kommen uns holen, einen nach dem anderen!«, jammerte die quäkende Stimme.