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Nr. 2893

 

Unter dem Spiegel

 

Im gefährlichsten System der vereisten Galaxis – auf der Spur der wahren Drahtzieher

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: LAURIN-Delta antwortet nicht

1. Freischicht

2. Lächelnde Leichen

3. Der Schnitter

4. Die Abstimmung

5. Der Anflug

6. Die dunkle Seite des Mondes

7. In der Kiste

8. In der Weite

9. Der Austausch

10. Am Meer

11. Die fremde Flotte

12. Eine unliebsame Verwechslung

13. Der Faktor Zeit

Epilog: Die Flucht und was man davon mitbringt

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort liegt die Ursprungswelt der Tiuphoren, eines Volkes, das unendliches Leid über viele Welten gebracht hat, ehe der ominöse »Ruf der Sammlung« sie dorthin zurückbeorderte.

In Orpleyd muss Perry Rhodan erkennen, dass die Galaxis seltsamen, nicht vorhersehbaren Zeitabläufen unterliegt – manchmal vergeht die zeit innerhalb der Sterneninsel langsamer als im restlichen Universum. Zudem herrschen dort die Gyanli nicht nur über die Tiuphoren – sie arbeiten auch auf ein nebelhaftes Ziel hin.

Perry Rhodan erhält Beweise dafür, dass in Orpleyd eine Materiesenke entstehen soll – ohne Beeinflussung oder Kontrolle durch die Chaotarchen. Die dafür verantwortliche Superintelligenz ist KOSH, das Lot. Da sie selbst allerdings in einer Art Koma liegt, agieren an ihrer statt die Pashukan und deren Hilfsvölker – aber es gibt auch Gegner, die der Chaotarch Cadabb ausgesandt hat.

Perry Rhodan muss mehr erfahren. Er startet eine Erkundungsmission zu einem der gefährlichsten Orte Orpleyds: ins Trallyomsystem, aber UNTER DEM SPIEGEL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Kommandant der RAS TSCHUBAI stellt die Vertrauensfrage.

Fabienne Iukik, Jamal Tennert und Errchchauk – Die drei »Bohnenstangen« gehen in den Hochrisiko-Einsatz.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin bemüht sich, Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild zu fügen.

Attilar Leccore – Der Gestaltwandler versucht, den Indexsitz der Kohäsion zu infiltrieren.

Wir sind die Guten.

Wir sind das Volk der Gyanli, zugleich Rückgrat und Speerspitze des Operandums. Auserwählt, um die Galaxis Orpleyd zu regieren – mit harter Hand, jedoch letztlich zum Wohle aller Bewohner.

Manche versuchen aufzubegehren. Das ist verständlich, in gewisser Weise.

Trotzdem bricht unsere Restriktion jeglichen Widerstand. Sei es auf militärische Art oder mit subtileren Methoden – wir sind gut darin, um nicht zu sagen: perfekt.

Seit Langem schon. Unsere Municipien und Gyan-Operatoren kontrollieren rigoros nahezu jeden Planeten von Orpleyd, auf dem eine raumfahrende Kultur existiert oder auch bloß im Entstehen begriffen ist.

Nicht selten jammern Einzelne der Unterworfenen. Weil sie, in ihrer erbarmungswürdigen Beschränktheit, nicht sehen und wissen, was wir sehen und wissen.

Warum die Hierarchie in der Kohäsion markiert werden muss. Wieso der Endzweck die Mittel rechtfertigt, die wir zur Anwendung bringen.

Mögen sie schlichten Gemütern überzogen erscheinen – wir tun nur unsere Pflicht. Zu ihrem Besseren.

Es kostet uns recht wenig Mühe, die Aufmüpfigen zu disziplinieren. Unsere Technologie dominiert die Galaxis.

Darüber hinaus sind wir nicht allein. Unsere Götter haben wir verbannt, aber das bedeutet nicht, auf sich gestellt zu sein.

Wiegen wir uns deswegen in Sicherheit? Keineswegs.

Ermatten wir in unserem Streben? Genauso wenig.

Zweifeln wir an unserer Bestimmung? Schon gar nicht.

Individuelle Sorgen bekümmern uns, falls überhaupt, höchstens für kurze, allzu wache Momente. Spätestens wenn wir ins Fluid eintauchen, heilen rasch sämtliche körperlichen oder seelischen Wunden.

Dort, im von Neurokrill gesättigten Fluid, träumen wir den gemeinsamen Traum, den großen Kollekttraum. Sobald wir wieder erwachen, verblassen die Erinnerungen daran.

Jedoch bleibt die Gewissheit, dass es dort, unter allem Grund, sicher ist und hell. Klar und rein.

Gleichermaßen währt die Sehnsucht, die Hoffnung, gänzlich in dieser wundervollen Existenzform aufgehen zu dürfen. Wo nichts mehr schmerzt. Wo und wann endgültig alle Kausalketten gesprengt sein werden.

Bis dahin haben wir allerdings einiges zu tun. Und wir tun es! Niemand von uns erlahmt in seiner Hingabe und seiner Aufmerksamkeit.

Denn wir sind das Volk der Gyanli.

Wir sind die Guten.

(Schriften des Erkenntnis-Operators Shydaurd, sorgfältig redigierte Neuausgabe)

 

 

Prolog

LAURIN-Delta antwortet nicht

 

Ich habe dieses private Logbuch in letzter Zeit ein bisschen vernachlässigt.

Zu meiner Entschuldigung – vor wem eigentlich, außer vor mir selbst? – sei angemerkt, dass sich jüngst nun mal die Ereignisse überschlagen haben. Ich nutze die erste Phase des Durchatmens, um meine Aufzeichnungen auf den neuesten Stand zu bringen.

Okay, der Vollständigkeit halber: Hier spricht Perry Rhodan, mittlerweile wieder Kommandant des Omniträger-Raumschiffs RAS TSCHUBAI. Wir schreiben den 29. September 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung.

Zumindest hoffe ich das, weil in Orpleyd, der 131 Millionen Lichtjahre von der heimischen Milchstraße entfernten Galaxis, in der wir uns befinden, die Uhren mitunter anders gehen. Wie wir mittlerweile in Erfahrung gebracht haben, blieben und bleiben sie sogar immer wieder einmal stehen.

Einfach so. Deswegen sind, während das bekannte Universum um zwanzig Jahrmillionen gealtert ist, in dieser »eingefrorenen« Sterneninsel bloß rund zweitausend Jahre verstrichen.

Wir befinden uns also in einer potenziellen »Zeitfalle«, die auch für uns zuschnappen könnte – eventuell ohne dass wir es überhaupt bemerken würden. Das ist sehr beunruhigend.

Aber damit will ich mich zur Stunde nicht belasten. Anderes, Wichtigeres drängt.

 

*

 

Der erste Vorstoß ins Trallyomsystem brachte bedeutsame Erkenntnisse und Teilerfolge.

Wir konnten die Mehrzahl der vor etwa zehn Tagen entführten Besatzungsmitglieder befreien, darunter meine Enkelin Farye Sepheroa. Sie war es, die uns aus den Raumzeit-Verwerfungen des »programmierten Systems« zurück zur RAS TSCHUBAI gelotst hat.

Allerdings stellt sich die Frage, wie es um die Besatzung jener LAURIN-Jet steht, der wir die Zusatzbezeichnung »Delta« verpasst haben. Etwas wie eine schwarze Flamme hatte nach dem fliehenden Raumer geleckt, und seitdem antwortet sie auf keine Anrufe mehr. Farye nahm während der Flucht das diskusförmige Beiboot von der »Beta«-Jet aus in Fernsteuerung und konnte es dadurch scheinbar wohlbehalten heim zum Mutterschiff bringen.

Aber nach wie vor reagiert niemand an Bord von LAURIN-Delta auf unsere Funkanrufe und Kontaktversuche. Das ganze Schiff wirkt tot.

Was ist dort passiert?

Die Individualtaster messen keine Lebenszeichen. Telepathische Nachforschungen blieben ebenfalls erfolglos.

Gut, Pey-Ceyans Reichweite ist eng begrenzt. Und Gucky hatte sich völlig verausgabt.

Der Ilt, der gerade auf der Medo-Station aufgepäppelt wird, hat trotz seines üblen Gesamtzustands einen Versuch unternommen. Vergeblich: Er konnte keinerlei Gedanken espern.

Das mag seiner aktuellen Befindlichkeit geschuldet sein. Oder auch nicht.

Wo niemand mehr bei Bewusstsein ist und auch nicht träumt oder halluziniert, scheitert selbst Gucky ...

Übrigens wurden, nach den üblichen Sicherheitschecks, die verbliebenen Space-Jets mittlerweile eingeschleust. Deren Crews sind ein wenig frustriert, weil sie wegen der erwähnten hyperphysikalischen Phänomene umkehren mussten. Jedoch erfreuen sie sich bester Gesundheit; immerhin etwas.

Die Experten meinen, hochwertige Technologie, die in Kontakt mit der Protomaterie aus dem Katoraum träte, würde über kurz oder lang deformiert werden. So etwas kann durchaus geschehen sein.

Und es ist ja weitgehend gut gegangen. Bis auf LAURIN-Delta – dabei habe ich ein ganz ungutes Gefühl.

 

*

 

Derzeit treibt das Beiboot, arretiert von Traktorstrahlen, nahe der RAS TSCHUBAI.

Nach wie vor verbirgt sich der Omniträger, den ich befehlige, im Ortungsschutz eines alten roten Sterns. Die müde Sonne, die ich »Red Dot« getauft habe, befindet sich in dreizehn Lichtjahren Entfernung vom Trallyomsystem. Trümmer eines ehemaligen Planeten umkreisen sie.

Gleich nach unserer Rückkehr wollte ich an Bord der Space-Jet gehen, um nachzusehen, ob die Besatzung wohlauf ist.

Meine engsten Vertrauten haben mich davon abgebracht.

»Vergiss nicht, womit wir es zu tun haben«, sagte Farye. »He, die Gegenseite operiert mit nichts weniger als Protomaterie und ›gezähmten‹ Schwarzen Löchern!«

»Etwas unrein formuliert, aber ich pflichte deiner Enkelin bei«, sagte Sichu Dorksteiger. »Ich rate dringend dazu, Geduld zu bewahren. Auch wenn dir das bekanntermaßen schwer fällt, Perry.«

»Was ist die Alternative?«

»Wir stellen einen Spezialtrupp zusammen. Nach allen Regeln der Kunst und der gemeinsamen Erfahrung.« Sichu blinzelte beschwichtigend. »So schnell wie möglich.«

Man nennt mich schon ziemlich lange einen Sofortumschalter. Meistens impliziert das, dass ich sehr flott aktiv werde.

Aber ich kann auch mal spontan die Klappe halten.

1.

Freischicht

 

Jamal Tennert schlenderte in die Messe und sah sich um. Etwa die Hälfte der Tische war besetzt.

Dem Völkergemisch an Bord der RAS TSCHUBAI entsprechend, hockten recht unterschiedliche Individuen diverser zur Liga Freier Terraner gehöriger oder damit assoziierter Lebensformen beisammen. Angeregt plaudernd nahmen sie ihre jeweils bevorzugte Nahrung ein, manche recht lautstark.

Nahe beim Eingang verschlang ein annähernd kugelförmiger Barniter rosarot britzelnde, Fett spritzende Klöße. Gleich dahinter redeten zwei Jülziish in höchsten Tönen beruhigend auf ihr kläglich wimmerndes Essen ein.

Zwei Tische weiter verspeiste eine Wanderpflanze gegrillte Insektenlarven. Die Fangklappe, die fast den gesamten Kopf der Moranni bildete, schmatzte genüsslich.

Und natürlich saßen auch, im entferntesten Eck, vier Ertruser, die Jamal sofort überlaut angrölten: »Schau mal, der Dürre!« – »Was wird er wählen?« – »Eine dünne Schnitte vom Rinderviertelchen?« – »Eher vom Achtel, hahaha!«

»Ravioli«, sagte Jamal, nachdem er sich Besteck und ein Tablett genommen hatte, zu der sechsarmigen Köchin hinter der Theke. »Fleischlos, bitte. Aber mindestens drei Kilo. Und viel Salat.«

»Kommt sogleich.«

»Kannst du es mir einpacken? Ich hab's eilig.« Das war eine Lüge, aber eine unter diesen Umständen gerechtfertigte.

»Kein Problem. Welche Würze?«

»Scharf.«

»Wie scharf?«

»Sehr scharf.«

»Bitte schön.« Sie überreichte ihm das Gericht auf einem Tablett. »Was dazu?«

»Bockbier. Zwei Liter, in passenden Gefäßen.«

»Dieses Getränk hat einen sehr hohen Alkoholgehalt.«

»Schenk ein! Ich bin erstens auf Freischicht und zweitens Ertruser.«

Das hätte Jamal nicht sagen sollen. Sofort brüllte die Gruppe am hintersten Tisch auf.

»Zweitens?« – »Fleischlos?« – »Ein Ertruser?« – »Grünzeug?«

Jamal Tennert ignorierte die Anfeindungen. Die Muskelprotze meinten es nicht böse.

Sehr wahrscheinlich gehörten sie zu den Raumlandetruppen der RAS TSCHUBAI. Ihre Position an Bord des gigantischen Trägerschiffs war, wiewohl innerhalb der LFT-Flotte traditionell hoch geachtet, keine einfache.

Sie lebten auf permanentem Stand-by. Nur sehr selten kamen sie wirklich zum Einsatz. Sie mussten sich durch tägliche Simulationsübungen, bei denen sie einander über mörderische Hindernisparcours prügelten, in Form halten.

Kein Wunder, dass sie ihn, der ein anderes Betätigungsfeld gewählt hatte, anpflaumten. Dass sie Anstoß nahmen an seiner Gestalt und an seinen für Ertruser untypischen Verhaltensweisen.

»Damit wirst du aber nicht satt und dick!«, belferte der Größte des Kleeblatts. Alle brüllten vor Lachen.

Kurz erwog Jamal, sich trotzdem zu ihnen zu setzen. Ein Stuhl war frei, und eigentlich schätzte er den rauen, aber herzlichen Humor seiner Mitertruser.

Jedoch wusste er aus Erfahrung, dass nichts dabei herauskommen würde. Nichts, außer einer kurzzeitigen peinlichen Verbrüderung.

Kommentarlos verließ er, das überladene Tablett auf drei Fingern balancierend, den Raum.

 

*

 

Sobald sich das Schott hinter ihm geschlossen hatte, funkte Jamal mittels seines Armbands: »Jemand Lust auf scharfe Ravioli mit Salat?«

»Falls du mir was übrig lässt«, antwortete Fabienne Iukik, ebenfalls per Textnachricht.

»Allemal.«

»Ich habe gerade frittierte Kartoffeln erbeutet«, blendete sich Errchchauk ein. »Nicht irgendwelche. Sondern aus dem ›Bistro Bruxelles‹.«

»Sind sie noch heiß?«

»Heißer und knuspriger als dein Hintern.«

»Bin gleich bei dir.«

»Ebenfalls«, übermittelte Fabienne. »Ich bringe Obst.«

Jamal Tennert freute sich, dass er nun doch in Gesellschaft von Freunden speisen würde. Mit federnden, weit ausladenden Schritten strebte er Errchchauks Kabine zu.

Die RAS TSCHUBAI war mittlerweile so lange unterwegs, dass sich innerhalb der rund 35.000 Personen zählenden Besatzung unterschiedliche Cliquen gebildet hatten. Sei es am Arbeitsplatz, unter den Nachbarn im selben Wohnblock, durch gemeinsame Freizeitinteressen oder, wie in diesem Fall, aufgrund ähnlicher Schicksale.

Einen Augenblick, bevor Jamal mit dem ausgestreckten Finger seiner freien Hand den Türsummer betätigen konnte, glitt das Schott mit kaum hörbarem Zischen auf. Dahinter lehnte eine hoch aufgeschossene, schlanke Gestalt lässig am Rahmen.

»Willkommen«, sagte Errchchauk grinsend. Die großen, dunklen, von durchsichtigen Nickhäuten geschützten Augen dominierten das Gesicht, das feine, grüne Schuppen bedeckten. Nasen und Lippen hingegen waren kaum ausgeprägt.

»Punktgenau wie immer«, zeigte sich Jamal beeindruckt.

Zu Errchchauks vielen Marotten zählte, dass er sein Zeitgefühl bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Probe stellte. Er hatte beim Türöffner gewartet und tatsächlich im genau richtigen Moment draufgedrückt.

»Du bist leicht einzuschätzen«, wiegelte der Ephoger ab. »Feste Gewohnheiten – du rufst immer an, unmittelbar nachdem du aus deiner bevorzugten Messe draußen bist –, gleichbleibende Gehgeschwindigkeit. Äußerst geringe Chance, dass du dich von einer Zufallsbegegnung aufhalten lässt.«

»Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment auffassen soll.« Klang die Beschreibung nicht eher nach einem reichlich uninteressanten, weil in seinen Routinen verfangenen Kerl?

»Doch, doch. Aus meinem Mund und Schnorchel schon. – Tritt ein, fühl dich wie zu Hause!«

Fast hätte Jamal laut aufgelacht. Sein eigenes Zuhause besaß nämlich recht wenig Ähnlichkeit mit Errchchauks Privatquartier.

 

*

 

Der Transmittertechniker stammte von Arkoniden ab, die vor etwa fünfzehntausend Jahren die Wasserwelt Opghan im Randbereich des Großen Imperiums kolonialisiert hatten.

Relativ bald danach hatten Ara-Mediker über einige Generationen hinweg den Körperbau der Siedler verändert, um sie besser auf ein Leben im und unter Wasser einzustellen. Deshalb hatte Errchchauk Hautlappen zwischen den langen Fingern und Zehen, die als Schwimmflossen dienten.

Am Hinterkopf in Höhe des Halsansatzes befand sich eine zusätzliche Atemöffnung in Form eines bis auf zwei Meter Länge ausfahrbaren Schnorchels, zur Luftgewinnung im Flachwasser. Trotz der Umweltanpassung waren die Ephoger immer noch Lungenatmer und mussten in regelmäßigen Abständen ihren Atemluftvorrat erneuern.

Sprachen sie untereinander, produzierten diese Schnorchel röchelnde Laute. Daher kam es, dass Errchchauks Taufname für die meisten anderen Humanoiden einen ziemlichen Zungenbrecher darstellte.

Aufgrund ihrer Geschichte, die viele Jahrtausende lang aus härtestem Überlebenskampf bestanden hatte, galten die Ephoger als geselliges Völkchen, das den Gemeinschaftsgeist über alles stellte. Gegenseitige Hilfe war für sie eine Selbstverständlichkeit, Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses nahezu unvorstellbar.

Ihre größten Ängste waren die Einsamkeit, die Dunkelheit und die tödliche Kälte des jede Nacht an der Oberfläche zufrierenden Ozeans ihres Heimatplaneten. Dessen wenige, winzige Inseln wurden, sobald die Sonneneinstrahlung ausblieb, von turmhohen Eisschollen eingeschlossen.

All das spiegelte sich in Errchchauks Behausung an Bord der RAS TSCHUBAI: Sie glich einer heimeligen Höhle. Leuchtende, warme Farben dominierten.

An den Wänden hingen, dicht an dicht, unzählige zweidimensionale Abbildungen von Familienmitgliedern, Freunden und Haustieren. Fast alle waren animiert, sodass ein unaufhörliches, irritierendes Wimmeln vorherrschte. Die wenigen freien Stellen und die gesamte Decke überwucherten algenartige Pflanzen, die sich langsam wiegten, wie von einer sanften Strömung bewegt.

Die Einrichtung bestand hauptsächlich aus mehreren flachen, zweieinhalb Meter langen Polsterbänken. Deren Bezug sah wie feuchter, ockergelber Schlamm aus und fühlte sich, wie Jamal von früheren Besuchen wusste, auch so an. Dennoch kam er Errchchauks Einladung, sich zu setzen, nach.

Auf dem kreisrunden Tisch in der Mitte der Sofas stand eine Schüssel, aus der es köstlich duftete. »Pommes frites, zubereitet nach dem geheimen Originalrezept«, sagte der Ephoger feierlich. »Schwört zumindest der Haubenkoch des momentan angesagten Restaurants von Ogygia.«

Jamal stellte sein Tablett daneben ab. »Primitive Ravioli und Rohkost aus der nächstgelegenen Messe.«

Wieder einmal kam er sich schrecklich unoriginell vor.

 

*

 

Um den Anflug von Selbstverachtung zu übertünchen, fragte Jamal: »Wo bleibt Fabienne?«

Errchchauk, der sich auf einer der anderen Bänke ausgestreckt hatte, warf einen Blick zum inzwischen wieder geschlossenen Kabinenschott. »Meiner Kalkulation nach zahlt es sich nicht aus, auf sie zu warten. Unser silberzüngiges Schwimmwunder hat Obst versprochen und mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich darauf festgestellt, dass sie keines vorrätig hat. Soeben hetzt sie von einem Laden in ihrem Wohnbezirk zum anderen, um welches zu ergattern.«

»Was sollte daran so schwierig sein?«

»Benutzt du deinen, ächchhemchch, Charakterkopf manchmal auch zum Denken? Fabienne ist Diplomatin mit Haut und Haar, und zugleich die vermutlich fanatischste Perfektionistin an Bord. Sie sucht nach Früchten, die für deine und meine Konstitution ideal geeignet sind. Das kann dauern. Ergo – hau rein!«

Jamal ließ sich nicht zweimal bitten.

 

*

 

Fabienne, Errchchauk und er hatten im Verlauf der intergalaktischen Reise der RAS TSCHUBAI über Umwege zusammengefunden.

Sie nannten sich »die drei Bohnenstangen«, nach dem, was sie äußerlich verband: Alle drei waren für Lemurer-Abkömmlinge überdurchschnittlich groß, dabei aber sehr dünn und schlaksig.

Darüber, wer von ihnen, bei welchen Nachforschungen auch immer, zuerst auf den Begriff »Bohnenstange« gestoßen war, stritten sie oft und mit Leidenschaft. Ursprünglich waren damit lange, gerade, abgeästete Baumstämme bezeichnet worden, die man früher, in grauer Vorzeit, in Gemüsebeete eingesetzt hatte, damit sich daran Bohnenranken emporschlingen konnten.

Die sich aufdrängenden Assoziationen gefielen ihnen, unabhängig voneinander: Dürr, aber fruchtbringend, zumindest indirekt ...