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Cover

Vorspann

Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2310

 

Strukturpiloten

 

Sie überleben in der Charon-Wolke – nur sie besitzen die Gaben

 

Leo Lukas

 

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Auf der Erde und den Planeten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4931 alter Zeitrechnung. Eine Epoche des Friedens und der Forschung scheint angebrochen zu sein, da werden diese Hoffnungen jäh zerstört.

Erste Einheiten der Terminalen Kolonne TRAITOR treffen in der Milchstraße ein. Sie sind Abgesandte der Chaosmächte, die nach der Galaxis greifen und diese komplett ausbeuten wollen.

Den Terranern gelingt es zwar, das für das Solsystem vorgesehene Kolonnen-Fort zu vernichten. Damit stellen sie jedoch die Ausnahme dar. Überall in der Milchstraße entstehen Kolonnen-Forts, agieren die Söldner des Chaos.

In den Tagen der Krise erinnert man sich des unzugänglichen Sternhaufens Charon. Seit knapp 13 Jahren ist er zurück im Standarduniversum, doch bisher hat er seine Geheimnisse bewahrt. Eines seiner Geheimnisse sind seine Bewohner – und zu diesen gehören die STRUKTURPILOTEN …

Hauptpersonen des Romans

 

 

Marc London – Ein junger Psiont, der sich dem Erwartungsdruck nicht gewachsen fühlt.

Kempo Doll’Arym – Ein Charonii, der an seinem Talent zu zerbrechen droht.

Sheerdurn – Ein Mentor, der für seinen Schützling allerhand auf sich nimmt.

Yllay Hor’Boran – Eine Ausbilderin, die erbarmungslos ihre Pflicht erfüllt.

Man fügt sich.

Das Leben geht weiter.

Alles bleibt gleich.

Recht so.

(Charonischer Wandspruch)

 

 

Memo für Monique

vom 11. Juni 1344 NGZ

 

Schwesterherz, heute werde ich mich kurz fassen. Deinem kleinen Bruder geht es nämlich gar nicht gut.

Das Einzige, was dieser Tag gebracht hat, waren Kopfschmerzen; und was für welche!

Zudem bin ich fiebrig und dementsprechend schwach. Du kannst dir vorstellen, wie mich das verdrießt.

Da hat man mich extra aus dem Solsystem hierher zum Zentrum der Milchstraße transportiert, den ganzen weiten Weg über fast dreißigtausend Lichtjahre. Nach einem Flug von fünf Wochen sind wir endlich an der Charon-Wolke eingetroffen – und dann mache ich schon tags darauf schlapp!

Furchtbar peinlich ist mir das.

Die Bordmediker der VERACRUZ beruhigen mich: Es sei gewiss nichts Ernstes. Überanstrengung, meinen sie. Schließlich wurden stundenlang immer neue Anläufe unternommen, mich möglichst nahe an die beweglichen Objekte heranzubringen, die im »Gestöber« geortet werden.

Vergeblich. Es kam kein Kontakt zustande.

Wieder und wieder steuerte die VERACRUZ jene Stellen an, wo an der Oberfläche der Wolke kurzfristig ruhigere Zonen entstanden. Quasi »Augen« in dem Flimmern und Wirbeln, das sich scheinbar endlos in alle Richtungen erstreckt (das ganze Gebilde durchmisst sage und schreibe 24 Lichtjahre!).

Aber nichts.

Keine Reaktion aus dem Inneren der seltsamen Wolke.

Doch. Eine negative: Im Laufe des Tages zogen sich immer mehr der Objekte, die man für Raumfahrzeuge hält, in das Gestöber zurück; tiefer und tiefer, bis sie aus der Ortung verschwanden.

Nur eines blieb übrig. Es taucht auf und wieder ab, oftmals hintereinander. Allerdings werden die dazwischen liegenden Pausen zusehends länger.

Der Zeitpunkt scheint absehbar, an dem auch dieser letzte Beobachter das Interesse an uns verlieren und den Randbereich verlassen wird. Dann wird unser Einsatz gescheitert, all der Aufwand umsonst gewesen sein.

Und ich werde versagt haben.

Dabei bemühe ich mich wirklich nach Kräften, mein parapsychisches Talent einzusetzen. Nur deswegen hat man mich von Terra geholt, sozusagen von Perry Rhodan ausgeborgt.

Doch bislang nutzt meine unheimliche Begabung als »Psi-Korresponder« wenig. Obwohl sie sich jedes Mal aktivierte, wenn die VERACRUZ zu einem »Auge« hinflog.

In solchen Momenten vermeinte ich, in dem Gestöber ringsum Ansätze von Mustern zu erkennen: ein irrwitzig kompliziertes Fließen von überall her nach überall hin; jedoch nicht völlig chaotisch, sondern auf vertrackte Weise regelmäßig und, stark eingeschränkt, sogar vorhersehbar.

Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass auf der anderen Seite paranormal veranlagte Lebewesen sitzen. Von irgendwem muss sich diese Ahnung einer Struktur schließlich auf mich übertragen, nicht wahr?

Ich selbst besitze ja keine eigene Psi-Fähigkeit, stelle nur eine Art Spiegel dar. Man könnte auch »Mitnascher« dazu sagen oder Schmarotzer …

Jedenfalls spüre ich, dass die Unbekannten jenseits der Charon-Schranke sich in diesem hochgradig lebensfeindlichen Medium zurechtzufinden vermögen. Ihr Talent haben sie mutmaßlich durch sehr viel Training perfektioniert.

Denn sie manövrieren in den alles verschlingenden, alles zerfetzenden Mahlströmen – während ich bloß winzige Teilbereiche der mörderischen Dynamiken erhasche, und das auch nur, wenn ich mich ganz fest konzentriere.

Den Kopfschmerz versuchte ich anfangs zu ignorieren. Aber keine Chance.

Es fühlte sich an, als hätte mir jemand zwei Fingerbreit über dem linken Ohr einen mechanischen Vibra-Bohrer angesetzt, dessen Drehzahl sich mit jedem Atemzug erhöhte. Das drillte und schlaghämmerte sich quer durchs Gehirn, verursachte einen kaum erträglichen Druck hinter den Augen, strahlte in den ganzen Körper aus.

Die Brust wurde mir eng. Eine kalte Hand griff nach meinem Herzen, um es herauszureißen. Todesangst packte mich.

Nein: ungeheures Leid. Schwermut. Überwältigende Hilflosigkeit.

Der Widerhall maßloser, unfassbarer Pein. Das Echo eines Verlustes, des psychischen Äquivalents einer Amputation bei vollem Bewusstsein.

Mit der Desintegrator-Trennscheibe von hinten durchs Rückenmark: ein Schnitt, der die Wirbelsäule der Länge nach spaltet. Eine rotierende Klinge, die das Leibesinnerste durchpflügt, die Lungenflügel separiert, den Solarplexus zerteilt, an der Körpervorderseite austritt, eine Wunde hinterlassend, welche klafft und klafft und …

… mich umfing erlösende Ohnmacht. Als das Licht wieder anging, lag ich in der Medo-Sektion. Auf einem dieser Betten, die so bequem und makellos aseptisch sind, dass du schlagartig die schlimmsten Befürchtungen hegst.

 

*

 

Alle standen sie um mich herum, die gesamte Führungscrew der VERACRUZ.

Major Delazar, die Chefwissenschaftlerin, sagte: »Hallo, Marc.«

»Hallo«, antwortete ich stupide. »Warum … Was ist …?«

»Kein Grund zur Besorgnis. Du bist umgekippt, und daraufhin haben wir den Annäherungsversuch abgebrochen.«

»Aber wir müssen doch … Wir sollten … Aua!« Unwillkürlich tastete ich meinen Brustkorb ab; sank erleichtert zurück, nachdem meine Finger auf unversehrte Haut getroffen waren. Der Alpdruck verwehte wie die Erinnerung an einen bösen Traum.

»Alles okay?«, fragte Dozent Siderip.

»Geht so«, sagte ich flach. Mein Kopf brummte immer noch. »Tut mir Leid …«

Atlan hob die linke Augenbraue vielleicht zwei Millimeter an. Das genügte, dass sich ihm aller Aufmerksamkeit zuwandte. »Konntest du neue Erkenntnisse gewinnen? Zeitweilig eine Kommunikation etablieren?«

»Nein. Die Tuchfühlung war so einseitig wie zuvor, rein passiv. Das Gegenüber hat nichts davon mitbekommen. Unsere ›Korrespondenz‹ ist noch lange kein Briefverkehr.«

Der Arkonide schmunzelte. »Hübsch ausgedrückt. – Aber warum hast du dann diesmal so stark reagiert?«

»Weiß ich nicht. Da war momentan ein Schwall überwältigender Trauer …«

»Telepathie oder eher Empathie?«

»Nicht in Form einer ausgebildeten Psi-Fähigkeit, glaube ich. Mehr wie ein Unterton, ein Mitschwingen … Als stecke die Person auf der anderen Seite in einer tiefen Krise. Aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. Ich bin sehr müde …«

Major Delazar legte mir die Hand auf die Stirn. Pure Show, denn meine Temperatur wurde ohnedies permanent überwacht.

»Der Junge braucht Schonung. Seine Körperwerte sind zwar samt und sonders im grünen Bereich, doch das heißt nicht, dass er beliebig belastet werden darf. Er ist ein Unikum, wir verfügen über keinerlei Vergleichswerte. Niemand kann beurteilen, wie leicht oder schwer ihm die Akklimatisierung an die hiesigen Hyperphänomene fällt.«

Ich rekapitulierte, was sie mir über die Charon-Wolke erzählt hatten.

Wenn ich, als blutiger Laie auf diesem Gebiet, es richtig begriffen habe, entspricht die kosmische Hintergrundstrahlung, die man aus dem Gestöber empfängt, manchmal der Strangeness eines sterbenden Universums, dann aber wieder der eines stark expandierenden. Das kann blitzschnell umschlagen; die Messergebnisse ändern sich binnen Bruchteilen von Sekunden. Mit anderen Worten: ein hyperphysikalischer Hexenkessel.

»Marc ist ungleich sensibler als jeder andere von uns«, fuhr die Chefwissenschaftlerin fort. »Ich plädiere dafür, ihm eine Erholungsphase von mindestens acht Stunden zu gönnen.«

»Aber bis dahin könnte es zu spät sein!«, protestierte ich. »Falls unser Beobachter endgültig abhaut …«

Hajmo Siderip hob die Hand. Atlan nickte ihm zu.

»Wer immer jenseits der Charon-Schranke kreuzt, sein bisheriges Verhalten deutet darauf hin, dass er uns noch länger im Auge behalten will«, sagte der Dozent. Bré Tsinga, unsere Dekanin an der Kosmopsychologischen Fakultät, hatte ihn als meinen persönlichen Betreuer mit auf die Reise geschickt.

»Du meinst, wir sollten eine Unterbrechung riskieren?«

Siderip hob die Schultern. »Ich kann mich natürlich täuschen.«

»Sechs Stunden«, entschied Atlan. »Irgendwelche Einwände?«

Delazar und die Mediker zeigten sich nicht gerade begeistert, stimmten jedoch letztlich zu. »Was dagegen, wenn wir dir ein leichtes Sedativum verabreichen, Marc?«

»Nein. Aber …« Einer spontanen Eingebung folgend, zeigte ich zum Holoschirm an der Wand. »Könntet ihr mir ein Bild der Charon-Wolke auf den Monitor legen? Nicht, dass ich mir etwas davon verspreche; ich hätte nur gern eine Art, na ja, symbolische Verbindung.«

Meinem Wunsch wurde entsprochen, dann ließen sie mich allein. Ich starrte auf das Gestöber, bis die Wirkung des Schlafmittels einsetzte und mir die Augen zufielen.

Mein letzter Gedanke war: Ich würde verflixt noch mal zu gern wissen, was sich da drin befindet.

1.

Ketzertreffen

 

»Ich würde verflixt noch mal zu gern wissen, was sich da draußen befindet«, murmelte Sheerdurn.

Seine Stimme verlor sich in den Weiten des Planetariums. Er stand auf einer der Galerien, blickte jedoch nicht ins Innere des großen, hohlkugelförmigen Raums.

Wozu? Die Darstellungen und Positionen der neun Systeme sowie neunzehn planetenlosen Sonnen kannte er im Schlaf. Stattdessen stierte er die gekrümmte Wand an.

Als ließe sich dort etwas erkennen! Außer, dass die dunkelblaue Farbe von eingeritzten Botschaften verunziert wurde: Namen, Liebesschwüre, Schmähungen, diverse Slogans und Parolen …

Sheerdurn seufzte, schüttelte den Kopf und nahm sich vor, demnächst wieder einmal frisch auszumalen. Nützen würde das wenig, da gab er sich keinen Illusionen hin. Gegen Horden von Pubertierenden stand er auf verlorenem Posten.

Fratzen, elendige!

Zurzeit war es erfreulich ruhig. Doch das würde nicht mehr lange so bleiben. Schon begann sich der Pulsschlag der Stadt Aram Tachady zu beschleunigen, wie immer in den Wochen vor der Charon-Prüfung.

Selbst Sheerdurn wurde, ob er wollte oder nicht, von der Aufregung angesteckt. Oben, in den Straßen und Gassen, gab es kein Entkommen.

Doch er hielt sich sowieso lieber hier unten auf. Wo es nächtens still war und das Licht angenehm gedämpft. Wo er sich ungestört in Melancholie und Selbstmitleid ergehen konnte.

Sheerdurn ballte die Hand und hob sie, um damit gegen die verhasste Wand zu schlagen. Holte tief Luft – und verharrte.

Erstens hätte es nichts gebracht. Die Mauer war dick und das Planetarium nur ein Modell. Hinter der dunkelblauen Wand befand sich keine Außenwelt, sondern bloß ein Maschinenraum.

Und zweitens hatte Sheerdurn etwas gehört.

Er hielt den Atem an, schloss die Augen, lauschte. Leise, vertraute Geräusche: das schwache Surren der Lüftung, das Knistern winziger Entladungen in den Partikelströmen der Projektoren, von fern das Wummern aus dem Wartungsdock …

Und Schritte. Verstohlen. Jemand schlich, barfuß, auf Zehenspitzen.

Das war’s, was Sheerdurns Argwohn geweckt hatte. Denn selbstverständlich kam es vor, dass sich auch andere Stadtbewohner außerhalb der Arbeitszeiten hier unten bewegten: zum Beispiel Techniker mit Zutrittsberechtigung, die eine Abkürzung nahmen oder der abendlichen Hektik an der Oberfläche auswichen.

Aber die gaben sich nicht so offensichtlich Mühe, ihre Anwesenheit zu verbergen. Wer solchen Wert auf Heimlichkeit legte, machte sich damit erst recht verdächtig.

Sheerdurn lauerte. Die Trippelschritte kamen von der tiefer gelegenen Galerie.

Er wartete, bis sie genau unter ihm waren, dann schwang er sich mit einem Satz über das Geländer.

 

*

 

Das Antigravfeld, von dem die Nachbildung des Jona-Systems in Position gehalten wurde, stieß Sheerdurn ab und bugsierte ihn auf die tiefere Galerie. Er war nicht mehr der Jüngste, aber dieses Manöver hatte er schon tausende Male ausgeführt; man ersparte sich damit gut dreißig Meter Gang und Treppe.

Die Gestalt stieß einen schrillen Schrei aus, als Sheerdurn halb neben, halb auf ihr landete und sie zu Boden riss. Strampelnd wollte sie sich seinem Griff entwinden, doch er ließ nicht los.

»Hab ich dich!«

Er blickte in schreckgeweitete, blassgraue Augen. Ein Kind!

Der Junge, den Sheerdurn auf etwa zehn Jahre schätzte, kämpfte mit den Tränen. Dennoch schob er trotzig das Kinn vor und schniefte: »Spinnst du komplett, Alter? Mich so zu überfallen! Du hättest mich umbringen können.«

Sheerdurn schluckte. Die Frechheit des Bengels raubte ihm die Worte. Außerdem bekam er nun doch ein schlechtes Gewissen wegen der rüden Attacke.

Er lockerte seinen Griff ein wenig. »Äh … Bist du verletzt?«

»Woher soll ich das wissen? Ich kann mich kaum rühren. Lass mich endlich los, alter Sack!«

Sheerdurn fand, dass er schön langsam die Initiative zurückgewinnen sollte. »Bild dir bloß nicht ein, du könntest mir entwischen. Du weißt so gut wie ich, dass Halbwüchsige hier unten nichts zu suchen haben. Wie heißt du überhaupt?«

»Kempo.«

»Wie noch? Wage nicht, mich anzuschwindeln!«

»Doll’Arym.«

»Verwandt mit Danoit Urt’Arym? Dem Strukturpiloten?«

»Das ist mein Vater.«

»Soso.« Sheerdurn richtete sich auf, rückte seine Brille zurecht und musterte das Bürschchen erneut.

Ja, es bestand eine Ähnlichkeit. Die schmale Nase, das kantige Kinn, der rotbraune Haarschopf … »Was fällt dir ein, dich zu dieser Stunde im Untergrund herumzutreiben?«

»Wirst du mich verraten?«

Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. Abermals fühlte sich Sheerdurn überrumpelt. »Es ist streng verboten«, sagte er ausweichend.

»Eben. Wenn meine Eltern davon Wind bekommen, dann setzt’s was. Dann darf ich diesmal ganz sicher nicht zum Rummel gehen.«

Sheerdurn stand auf und kratzte sich hinterm Ohr. »Das hast du dir ja wohl selbst zuzuschreiben.«

Auch der Bengel erhob sich. Um seinen Hals pendelten an einer dünnen Schnur die Schuhe. Sheerdurn verkniff sich ein Grinsen. Manche Dinge änderten sich nie. Genau so hatte er selbst es gemacht, vor vielen Jahrzehnten …

»Was hast du gemeint mit ›da draußen‹?«, fragte Kempo unvermittelt.

»Wie?«

»Vorhin. Ich habe dich reden hören. Du hast gesagt, du würdest zu gern wissen, was da draußen ist. Oder so.«

»Unsinn.«

Der Kleine blinzelte forschend zu ihm hoch, dann flüsterte er: »Ich auch.«

»Hä?«

»Ich würd’s ebenfalls gern wissen. Und ich werde es erfahren. Wenn ich groß bin und Strukturpilot, fliege ich hinaus.«

Sheerdurn kam nicht besonders gut mit Kindern zurecht. Er lebte so allein, wie das in Aram Tachady möglich war. Die Familie, zu der er gehörte, besuchte er nur an den hohen Feiertagen, und selbst dann mied er seine Neffen und Nichten. Er hatte nichts gegen sie, aber sie gingen ihm sehr rasch auf die Nerven.

Dieser Kempo hingegen verwirrte ihn. Unzweifelhaft war auch er ein Rabauke. Doch die letzten Sätze hatte er mit großem, feierlichem Ernst gesprochen und mit einer inneren Überzeugung, die man bei den wenigsten Erwachsenen antraf. Sheerdurn wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte.

»Habt ihr denn nicht in der Schule gelernt, dass niemand hinauskann, weil da draußen nichts ist?«

»Das sagen die Lehrer, ja.«

»Nun?«

»Ich glaube, sie lügen.«

 

*

 

Ein Zehnjähriger!, dachte Sheerdurn schockiert. Ein Naseweis, noch nicht mal im Stimmbruch, hegt dieselben Zweifel wie ich. Und er scheut sich nicht, sie brühwarm auszusprechen.

»Halt deine Zunge lieber im Zaum. So was darf man nicht sagen.«

Der Bengel zuckte die Achseln. »Mir doch egal, wenn du mich verpetzt. Der Rummel ist sowieso gestrichen.«

»Hm. – Was führt dich zu der Annahme, dass euch die Lehrer belügen?«

Kempo drehte sich zum Geländer und umfasste mit einer Handbewegung das Planetarium. »Das alles haben die sieben Schutzherren für die sieben Nationen der Charonii erschaffen, vor urdenklichen Zeiten. Richtig?«

Sheerdurn bejahte, wider besseres Wissen. »Weiter.«

»Deshalb beten wir noch heute zu den Schutzherren, äußern unseren Dank und die Hoffnung, sie mögen irgendwann wiederkehren. Richtig?«

»Richtig.«

»Ach. Und woher?«

»Wie woher?«

Das Bürschchen zog einen Flunsch und verdrehte die Augäpfel. »Bist du so begriffsstutzig, oder tust du nur so? Du kennst meinen Vater, trägst eine Brille. Warst du Pilot?«

»Früher, ja.«

»Hast du was getaugt?«

Sheerdurn musste an sich halten, um nicht aufzubrausen. Derlei Unverfrorenheit hatte er schon lange nicht mehr erlebt.

Freilich besaß Kempos dreiste Geradlinigkeit auch etwas Erfrischendes. Heuchler und Duckmäuser gab es mehr als genug unter dieser Sonne. Daher antwortete Sheerdurn: »Ich denke doch.«

»Du hast die Weltenwolke durchflogen?«

»Kreuz und quer.«

»Bist du jemals einem Schutzherrn begegnet oder hast von jemandem gehört, dem das widerfahren wäre?«

»Natürlich nicht.«

»Ha! Wenn sie nicht hier sind – wo dann? Falls sie wiederkommen – woher, wenn nicht von außerhalb?«

»Vielleicht leben sie ja versteckt.«

Kempo kniff skeptisch die Augen zusammen. »Ohne seit Ewigkeiten einen Mucks von sich zu geben? Ganz ehrlich: Glaubst du das?«

»Nein.«

Triumphierend breitete der Bengel seine Arme aus. »Also sagen die Lehrer die Unwahrheit. Und ganz davon abgesehen, ob am Märchen von den Schutzherren etwas dran ist oder nicht: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das«, er deutete ins dämmrige Rund des Planetariums, »alles gewesen sein soll. Ich meine, warum ausgerechnet achtundzwanzig Sonnen? Was ist das bitte schön für eine seltsame Zahl?«

»Oh, dafür gibt es Erklärungen. Viermal die sieben Nationen der bewohnten Systeme. Oder zehn Finger plus zehn Zehen plus acht Sinne …«