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Nr. 2705

 

Die Sippe der Würdelosen

 

Ein Terraner sucht seine verlorene Zeit – und die Onryonen gehen auf Jagd

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Epilog

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Hilfe gegen die Onryonen bietet eventuell DIE SIPPE DER WÜRDELOSEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Unsterbliche will mehr über seine Gegner erfahren.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin verschreibt sich der Suche nach einer bestimmten Blackbox.

Ghiyas Khosrau – Der TLD-Agent begegnet Misstrauen und Hass.

Cai Cheung – Die Solare Premier steht fest zu Perry Rhodan.

Abanell – Der Mehandor spricht für die Sippe der Würdelosen.

Prolog

Der Onryone

 

Die Dakmarten glitten durch das trübe Schwimmgas, wie immer in einer Gruppe von mehreren Hundert. Sie bewegten ihre weit aufgeblähten Finnen synchron. Jede Richtungsänderung, jedes Wendemanöver ließ sie hell aufleuchten. Darin fanden sie Schutz und konnten ihre Fressfeinde auf Distanz halten. Doch wehe, eine der Dakmarten entfernte sich vom Schwarm ...

»Schöne Tiere«, sagte Caileec Maltynouc. Er betastete das Schutzglas, das den Raum ringsum einfasste, als befänden sie sich in einer umgestürzten Kuppel mit bloß einem schmalen Zugang. Er meinte, ein Kribbeln in den Fingern zu spüren, als würden die Dämpfe des Schwimmgasbeckens den Schutzmantel durchdringen und seine Haut verätzen.

»Sie sind schwer zu züchten und noch schwerer am Leben zu erhalten.« Shekval Genneryc trank vom süßen Batwa. Es ließ seinen Teint ein wenig heller erscheinen.

»Wann bleibt dir bloß die Zeit für dein Hobby?«

»Ich nehme sie mir. Ganz nach dem Motto: Die Arbeit ist Vergnügen, und Vergnügen ist Arbeit.«

Genneryc bot ihm ein Schälchen des Batwa an, Maltynouc nippte von dem geschätzten Getränk. Es schmeckte vorzüglich. Doch es erforderte immer wieder aufs Neue einen Kampf gegen den Würgereflex. Die Fadenmaden darin wollten sich mit ihren Widerhaken in seinem Rachenraum festhängen und dort ihrem Dasein als Symbionten nachgehen. Die winzigen Biester mussten mit reichlich hochprozentigem Alkohol abgetötet werden.

»Wie steht es nun mit der JULES VERNE?«, fragte Genneryc.

Maltynouc atmete tief durch, bevor er antwortete: »Die GIWRACH RYBUUN liegt bereit. Die Falle ist gestellt, ein Anfang gemacht. Es handelte sich um eine Routineangelegenheit.«

»Das freut mich zu hören, Marshall.«

»Die Spionage-Infos haben mir den Weg gewiesen. Doch wie ist es mit den gewünschten Schiffen? Stehen sie bereit?«

»Selbstverständlich.« Genneryc erzeugte eine Reihe von Lichtreflexen im Inneren des Schwimmgasbehälters. Der Schwarm der Dakmarten zerfiel. Die Mutterteile trieben zur Seite, von Fluchtreflexen geleitet, die Mannsteile stellten sich den vermeintlichen Gegnern. Sie flimmerten und funkelten, die Kampffinnen erzeugten bemerkenswerte Lichtreflexe. Genneryc beobachtete das Geschehen eine Weile, bevor er sich ihm wieder zuwandte. »Alles ist wie gewünscht. Die Ausrüstung liegt bereit.«

»Danke! Dann werde ich mich nun auf meinen Auftrag vorbereiten.« Maltynouc erhob sich und wollte den Raum verlassen. Er zögerte, bevor er eine letzte Frage stellte: »Warum werde ich mit dieser Aufgabe betraut und nicht Vlyoth? Der perfekte Jäger wäre prädestiniert für ein derartiges Spiel.«

»Vlyoth ist längst in einer anderen Mission unterwegs.«

»Ist er auf der Suche nach Perry Rhodan oder nach Bostich?«

Genneryc sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. So lange, bis Maltynouc begriff, dass er keine Antworten bekommen würde. Er nickte dem Schiffsführer der HOOTRI zu und ließ ihn in seiner Grübelkammer allein zurück.

Die Dakmarten hatten sich beruhigt und fanden wieder zu einem Schwarm zusammen. Zwei der Mannsteile trieben bäuchlings auf dem Grund, zerrissen von Grundoilern, die sich mit ihren langen Barten um die Beute stritten.

1.

Der Stellvertreter

 

Der Patriarch war schlecht gelaunt. Wie immer. Er spielte Karambal-Col über die galaxisweit vernetzte Spielerbasis und verlor. Wie immer. Er trank dabei zu viel, vernachlässigte seine Pflichten, spekulierte mit dem Kapital der Sippe. Wie immer.

Und dennoch war Abanell ihm verpflichtet. Audunt aus der Familie der Tusnetz mochte der denkbar schlechteste Patriarch sein, den man sich nur vorstellen konnte – und dennoch war er das Oberhaupt, dem sie allesamt an Bord der VALLARD verpflichtet waren. Sie hatten einen Eid geleistet und Audunt ewige Gefolgschaft geschworen.

Abanell brachte ihm fette Fleischbrühe und sorgte dafür, dass das struppig gewordene Haar von einer seiner Frauen gepflegt wurde. Wawacoon, die Leihschwester, zeigte sich nicht sonderlich begeistert. Aber sie gehorchte.

Der Patriarch spielte bereits seit Stunden. Er gewann kleine Summen und verlor große, umgeben von Holobildern, die glitzerten und summten und tönten. Sie zogen Audunt in ihren Bann, tiefer und tiefer. Die Besitzer der Spiele-Plattformen versprachen das große Geld und waren doch die Einzigen, die sich bereicherten.

»Wir müssen etwas unternehmen«, flüsterte ihm Wawacoon zu, nachdem sie ihre Arbeit am gegabelten, traditionell geflochtenen Bart des Patriarchen beendet und mit ihm den Spieleraum verlassen hatte. »Audunt versetzt der Sippe den Todesstoß.«

»Wir müssen ihm vertrauen«, sagte Abanell, nicht das erste Mal an diesem Tag. »Wir sitzen ohnedies im Solsystem fest und können bloß abwarten.«

»Worauf sollen wir warten?«, Wawacoon legte sich beide Hände über den Mund, selbst erschrocken über ihren plötzlichen Aufschrei. Leiser fuhr sie fort: »Neun unserer sechzehn Schiffe sind leer, haben nichts zu tun! Die anderen erledigen Lagertransporte von einer Welt des Systems zur nächsten, für einen Spottpreis, der nicht einmal die Fixkosten abdeckt!«

»Aber die Besatzungen sind immerhin beschäftigt. Sie denken nicht nach und haben das Gefühl, etwas zu tun..«

»Wie lange soll das so weitergehen?« Wawacoon trat näher an ihn heran, so nahe, dass er ihren süßen Atem riechen konnte. »Ich habe dich immer sehr gemocht, Leihbruder. Du bist der Beste dieser Sippe von Versagern. Aber in den letzten Jahren hast du dich sehr zu deinem Nachteil verändert. Du hängst am Rocksaum des Patriarchen und befolgst bedingungslos seine Befehle. Wenn du bloß mehr Mumm hättest ...«

»Um was zu tun? Erwartest du, dass ich mich gegen den Patriarchen auflehne, eine Sippenrevolution ausrufe? Auf jene barbarische Art und Weise, wie es unsere Vorfahren taten?«

Seine Leihschwester schüttelte den Kopf. »Was du barbarisch nennst, ist an Bord der Tusnetz-Schiffe immer noch gang und gäbe. Audunt ist ein Patriarch wie aus einer billigen Trivid-Serie. Er erfüllt alle Klischeevorstellungen, die man von einem Mehandor nur haben könnte. Er ist grob, misshandelt uns, seine Frauen und seine Söhne, säuft und spielt. Und er ist ein miserabler Händler.«

»Es hat uns niemals an etwas gemangelt, Leihschwester«, widersprach Abanell.

Wawacoon trat näher. Ihre Augen, als Zeichen einer ungewöhnlichen Form der Mutation gelb-braun gesprenkelt, musterten ihn eingehend. »Ich und meine Schwestern – wir würden uns einem neuen Patriarchen gegenüber erkenntlich zeigen. Auf eine Weise, die er auch in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet hätte.« Sie öffnete ein Stück des Haarnetzes, schüttelte den Kopf und ließ das rotgoldene Haar weit auffächern. Es reichte bis zu ihrem Po hinab.

»Das ist ein verlockendes Angebot.« Abanell schluckte.

»Denk gut darüber nach.« Sie hauchte ihm nach Art der Diebe einen Kuss auf die Wange und verließ ihn. Abanell blieb mit blass gewordener Nasenspitze zurück.

Er ließ sich von einem Roboter ein Glas Bier kredenzen. Er leerte den Humpen in einem Zug, wischte sich Schaum vom Oberlippenbart und verfluchte die Diebe dafür, dass sie ein derart göttlich schmeckendes Getränk brauten.

»Ist sie weg?«, fragte Audunt über die interne Funkverbindung, kaum dass Abanell das Glas geleert hatte.

»Ja«, antwortete er.

Er betrat den Wohnraum des Patriarchen und beobachtete ihn. Audunt hatte sich aus seiner Spiel-Liegefläche befreit und alle Anschlüsse gekappt, die Holos waren erloschen.

»Ich sagte dir doch, dass sie etwas vorhat.« Audunt schüttelte seinen Bart aus. »Und bilde dir bloß nichts drauf ein, dass sie sich dir an den Hals geworfen hat. Wawacoon würde dasselbe bei jedem versuchen, dem sie zutraut, ihr mehr Macht und Einfluss zu verschaffen.«

»Ich weiß.« Abanell verfolgte die Verwandlung des Patriarchen. Aus dem dickbäuchigen, schlaff und hinfällig wirkenden Händler wurde ein Mann, dem man schon aufgrund seines Auftretens und seiner Haltung Respekt zollen wollte. »Was hast du nun mit Wawacoon vor?«

»Gar nichts.« Das Oberhaupt der Tusnetz grinste. »Sie wärmt mein Lager ganz ordentlich, und sie duftet verdammt gut. Ich darf ihr lediglich unter keinen Umständen den Rücken zukehren. Das reicht mir zu wissen.«

»Das war es also?« Abanell schüttelte den Kopf. »An deiner Stelle hätte ich ...«

»Aber du bist nicht an meiner Stelle!«, unterbrach ihn der Patriarch unwirsch. »Und wenn es nach mir geht, wirst du es auch noch lange nicht sein.«

»Verzeih mir, Herr.« Abanell drehte die Handflächen nach außen und zog den Mittelfinger ein als Geste der Demut, wie es bei seiner Sippe so üblich war. »Das Temperament ist mit mir durchgegangen.«

»Das weiß ich.« Audunt grinste breit und klopfte ihm kräftig auf die Schulter. »Schließlich fließt mein Blut durch deine Adern.«

»Wäre es nicht an der Zeit, mich endlich als deinen Sohn anzuerkennen?«

»Ich habe nicht jahrzehntelang diese Ara-Kurpfuscher bestochen, um jeden Hinweis darauf, dass du das Ergebnis eines kleinen Fehltritts sein könntest, zu vernichten. Diese Arbeit und diesen Vorteil lasse ich mir nicht wieder nehmen.« Audunt nickte ihm zu. »Du wirst mein Erbe übernehmen, sobald es an der Zeit ist. Bis dahin wirst du mir den Rücken freihalten, mir das Haar schützen.«

»Gib mir einen Grund, Patriarch. Was sollte mich davon abhalten, dich zu verraten und zu betrügen?«

»Du bist das Beste, was ich jemals zustande gebracht habe, Sohn. Du bist ehrlich. Integer. Du bist mir ein Ratgeber und ein Freund. Man könnte dich also für einen Idioten halten.« Audunt grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich tue es nicht. Ich weiß zu schätzen, was du für mich tust, und ich bewundere dich dafür.«

»Danke, Patriarch.« Abanell küsste die Bartzöpfe seines Gegenübers als Geste, die in den Reihen der Mehandor niemals in der Öffentlichkeit gezeigt wurde, weil sie als zu intim galt.

»Jetzt lass uns über die Geschäfte reden, Abanell. Wir sind pleite, nicht wahr?«

»Ja, das sind wir, Patriarch. Wie immer.«

 

*

 

Die Tusnetz hatten es während der letzten Jahre nicht sonderlich gut gehabt, und es war eigentlich nur der umsichtigen Leitung des Patriarchen zu verdanken, dass die sechzehn Schiffe der kleinen, unbedeutenden Sippe nicht in den Besitz eines der großen Mehandor-Geschlechter übergegangen war. Die Gondradse, Nomian, Kinipol und Regnar hatten mehr als einmal versucht, sie sich einzuverleiben.

Audunt indessen hatte sich gewehrt. Hatte die von seinem Großvater übernommene Sippe am Rande der Wahrnehmung gehalten. Hatte heimlich, still und leise ein Geschäft aufgezogen, das zwar nicht sonderlich einträglich war, ihnen aber doch eine gewisse Sicherheit im Geschäftsgebaren gab. So lange, bis sie hier gestrandet waren, im Solsystem, der Heimat der Diebe.

Diebe waren und blieben sie, diese Terraner, und jedes Geschäft mit ihnen war ein Tribut in beide Richtungen.

»Es scheint mir nach wie vor ein Wunder, dass uns die Terraner Arbeit gegeben haben«, sagte Abanell.

»Sie sind sonderbare Geschöpfe. Einerseits haben sie unsere Handelsnetze einst zerstört und unser Unheil gemehrt, andererseits zerfließen sie vor Mitleid.«

Audunt ließ sich Wasser in einer Karaffe bringen und trank gierig. Er war längst nicht der Trinker, als der er sich vor Sippenangehörigen zur Schau stellte, und ebenso wenig wie vom Alkohol hielt er vom Glücksspiel.

Aber er war ein Spaltbart sondergleichen, ein gewiefter Taktiker, der gern auf Mitleid machte und derart seine Geschäftspartner übervorteilte. »Ich musste bloß auf die Tränendrüse drücken, und schon hatte ich meine Mitbewerber ausgebootet. Das Auftragsvolumen für den Transport minderer Güter von Mimas zum Mars hält uns eine Weile über Wasser.«

»Wawacoon hat recht, wenn sie sagt, dass der Verdienst nicht einmal unsere Kosten abdeckt«, warf Abanell ein.

»Aber die Gelder fließen, mein Junge. Es findet Bewegung auf unseren Konten statt, was galaxisweit vermerkt wird und konkurrierende Sippen davon abhält, einen weiteren Versuch zu unternehmen, uns zu schlucken.«

»Das weiß ich. Aber dieses Spiel lässt sich nicht beliebig lange fortsetzen. Irgendwann werden unsere Kreditgeber Fragen stellen. Was wir hier tun, warum wir mit den Dieben Geschäfte machen, warum wir uns nicht endlich wieder dem Kerngeschäft zuwenden und Fernwarentransporte anbieten.«

Audunt grinste neuerlich. »Wir sollten die Onryonen in unsere Dankgebete einschließen, Abanell. Aufgrund ihres Verbots für alle militärischen Einheiten, in den Linearraum einzutauchen, wäre es derzeit unrentabel und unverantwortlich, das Solsystem zu verlassen. Und wenn mich mein zartes Näschen nicht täuscht, verschaffen sie uns ein einträgliches Geschäft.«

»Ich verstehe nicht ...«

»Ach, du musst noch viel lernen, Junge! Sie haben diesen Flottenverband der Terraner in die Luft gejagt. Stell dir nur mal vor, Abanell: Mehr als siebzig Schiffe, in zig Bestandteile zerlegt, treiben derzeit als riesige, sich immer weiter ausbreitende Trümmerwolke durchs All. Ich meine, dass es die Angelegenheit wert wäre, sie mal genauer in Augenschein zu nehmen. Wer weiß, was es dort zu entdecken gibt.«

»Die Onryonen werden uns nicht ranlassen, nach all dem, was wir bislang von ihnen in Erfahrung bringen konnten.«

»Falsch, mein Kleiner! Sie werden die Terraner nicht ranlassen. Aber gegen Mehandor-Händler, die den Menschen bekanntermaßen mit einigem Misstrauen gegenüberstehen, werden sie nichts sagen.« Er nahm noch einen Schluck vom Wasser. »Zumal wir glaubhaft machen können, dass wir zur Sippe der Würdelosen gehören. Es wird Zeit, dass wir diesen Ruf weiter festigen.«

Audunt setzte den Humpen ab. »Informiere die Kapitäne, dass ihr stets trunkener und spielsüchtiger Patriarch wieder mal einen Geistesblitz hatte und ihnen ihre ach so wertvolle Haut retten wird. Du findest sicherlich die richtigen Worte. Du weißt ja, wie das geht. Lüg ihnen meinetwegen vor, dass die Onryonen nach uns verlangt haben.«

»Was, wenn uns die Onryonen kein Vertrauen schenken? Was, wenn diese Lüge offenkundig wird?«

»Was soll ich mich heute mit den Gefahren des morgigen Tages beschäftigen?«, fragte der Patriarch leichthin. Er wandte sich den Spielekonsolen zu und schaltete sie ein. Deren übermäßige Rechnerleistung würde von der Bordpositronik registriert werden.

Bald würde jeder an Bord des Schiffes wissen, dass sich der »Alte« wieder einmal in den virtuellen Wirklichkeiten verlor. In Wirklichkeit arbeitete Audunt Berechnungen und Statistiken durch, wie es sich für einen gewissenhaften Schiffsführer gehörte, der bloß das Wohl seiner Mannschaft im Kopf hatte.

 

*

 

Der Onryone hieß Ctamio Ifmald. Er war klein, gedrungen, von schwarzer Hautfarbe. Statt eines Mundes hatte er, nun ja, einen etwas zu großen Schlitz, und auf der Stirn saß etwas, das mit einiger Phantasie als drittes Auge durchging.

Und er war bartlos.

»Du bist ein Mehandor, nicht wahr?«, fragte der Kommandant einer kleinen Flotte der Onryonen. »Der Angehörige eines eher unbedeutenden Splittervolkes in der Milchstraße.«

»Ja.« Abanell schluckte schwer.

»Und du möchtest mich um etwas bitten?«

»Nun, eigentlich wollte ich mich auf das allgemeine Raumrechtsgutachten von Dafnamur beziehen, das besagt ...«

»Eure Gerichtsbarkeit hat für uns keinerlei Bedeutung. Wir erkennen lediglich Weisungen und Anordnungen des Atopischen Tribunals an. Aber ich vermute, dass du darum bitten möchtest, dich im Trümmerfeld der terranischen Schiffe umzusehen? Um nach wertvollen Gütern zu suchen?«

»Ja«, gab Abanell unumwunden zu.

»Daraus wird nichts. Verschwindet gefälligst! Ich habe keine Lust, mich mit Dieben abzugeben. Damit ist die Unterhaltung beendet.«

»Warte! Bitte!« Abanell hatte sich einige Argumente zurechtgelegt. Hatte überlegt, wie er den Onryonen überreden konnte, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Doch just in diesem Moment wollte ihm nichts einfallen.

»Was gibt es noch?«

Der Onryone benahm sich, wie Abanell es sonst nur von den Aras kannte. Er verbarg seinen Ärger.

»Ihr seid fremd hier, und ihr wisst nur wenig über die Terraner. Ihr kennt ihre Hartnäckigkeit nicht.«

»Wir wissen mehr als genug über die hiesige Folklore.«

»Hm. Dann lass es mich einmal so sagen: Die Menschen von Terra zählen nicht unbedingt zu unseren besten Freunden. Meinst du nicht, dass auf dieser Basis ein Schulterschluss wünschenswert wäre? – Warte, unterbrich mich bitte nicht! – Mein Patriarch und ich stellen uns keinesfalls auf eine Ebene mit den Onryonen.«

Abanell senkte sein Haupt und dachte sich nichts dabei. Die Tusnetz hatten gelernt, den Stolz ihrer Vorfahren abzulegen. Sie waren nichts im Vergleich zu den großen, mächtigen Sippen. Sie krochen im Staub und suchten nach den Brotkrumen, die andere hatten fallen lassen. Sie leckten Stiefel.

»Wir könnten Drecksarbeit für euch verrichten«, fuhr er fort. »Und wir könnten euch unterstützen, wenn es darum geht, den Terranern eins auszuwischen.«

»Ich wüsste nicht, wobei ihr uns helfen könntet. Ihr seid armselige, verräterische Diebe.«

»Du hast recht, Ctamio Ifmald. Das sind wir. Und das ist es, was ich dir anbieten möchte: Diebstahl und Verrat.«

2.

Schlaglichter (I)

 

Der Techno-Mahdi. Der Techno-Mahdi. Er würde kommen, kommen, kommen. Er wartete auf den geeigneten Zeitpunkt für sein Erscheinen. Noch war es nicht so weit. Er verbarg sich auf dem Mond.

Viele von Josips Brüdern waren vom Glauben abgefallen. Seitdem diese hässlichen Schwarzhäutigen aufgetaucht und sinnloses Zeug erzählt hatten. Sie waren die Falschen. Betrüger. Nichts, was mit der Realität zu tun hatte.

Er war Josip Condaritis, Sohn des für alle Zeiten verfluchten Arbe Condaritis, der dem verfluchten Zoroastrismus folgte und die Worte der Heiligen Schrift nicht mehr so las, wie sie zu lesen waren. Er also, Josip Condaritis, sehnte die Ankunft des Mahdi so herbei, dass es schmerzte. Er durchwanderte den Park vor dem Solaren Haus, Tag für Tag. Er tat sein Bestes, die Leute zu überzeugen, dass sie Geduld haben müssten und dass der Techno-Mahdi kommen würde, sobald die Zeit dafür war.

Er hatte solchen Hunger, oh Gott, hilf mir! Er verzichtete auf Nahrung, er verzichtete auf alle Annehmlichkeiten, er verzichtete auf die Gesellschaft dieser Wesen Tausender Welten, die bloß materialistische Güter im Kopf hatten und auf dem Weg zu Gott verloren gegangen waren.

Er trat einer Frau in den Weg, sie starrte ihn an, ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, weil sie die Wahrheit erkannte, die erbarmungslose Wahrheit, und nicht damit konfrontiert werden wollte. Sie war unzüchtig und unrein, Josip konnte es riechen dank der technoverstärkten Nasenstöpsel. Er konnte es hören dank der technoverstärkten Ohrenstöpsel. Er konnte es schmecken dank der ...

Sie eilte davon. Weil sie Angst hatte. Weil sie den Urteilsspruch des Techno-Mahdi zu fürchten hatte, sobald er auftauchte.

Er brüllte die Heiligen Digisuren in die Welt hinaus, die auf jahrtausendealter Überlieferung beruhten. Vögel flatterten aus den Bäumen hoch, auch sie unrein und unzüchtig.

Oh Gott, mein irdenes Dasein, es schmerzt so, komm, komm, komm, Techno-Mahdi!

Was, wenn Er nicht rechtzeitig erschiene? Was, wenn Josip Condaritis zuvor stürbe? Wie sollte Er sich in diesem Reich der Sünde zurechtfinden ohne Josip Condaritis, seinen treuesten Jünger?

Er musste dafür sorgen, dass er überlebte. Er brauchte das heilige Gerät, das Techno-Gerät, das ihm ewiges Leben schenkte, das ihn unsterblich machte, sodass er bis ans Ende aller Zeiten dem Techno-Mahdi dienen konnte.

Er brauchte den Zellaktivator!

3.

Der Unsterbliche

 

Was hatten die Onryonen im Solsystem zu suchen? Wie kamen sie darauf, Perry Rhodan und Imperator Bostich anzuklagen und vor das Atopische Tribunal zu bringen, für ein Verbrechen, das erst in der Zukunft liegen würde –