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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2304

 

Schatten über Atlan Village

 

Er ist ein terranischer Jugendlicher – und er weckt das Interesse des Fremden

 

Michael Marcus Thurner

 

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Auf der Erde und den Planeten der Milchstraße ist das Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung angebrochen – dies entspricht dem Jahr 4931 alter Zeitrechnung. 13 Jahre sind vergangen, seit eine Veränderung der kosmischen Konstanten die Galaxis erschütterte.

Seither hat sich die Lage normalisiert: Der interstellare Handel funktioniert wieder, die Technik macht erneut große Fortschritte. Da bricht die Vorhut der Terminalen Kolonne TRAITOR über die Milchstraße herein: Die Terminale Kolonne gehört zu den Chaosmächten, die nun nach der Galaxis greifen.

Im Herzen der Liga Freier Terraner kommt es zu einem schrecklichen Blutbad. Verantwortlich dafür sind zwergwüchsige Meuchelmörder, die sogenannten Chaos-Assassinen. Perry Rhodan und einige wenige entkommen dem Attentat.

Dank dreier Siganesen und eines Überläufers kann das Kolonnen-Fort TRAICOON 0098, das in unmittelbarer Nähe des Sonnensystems errichtet werden sollte, zerstört werden. Niemand ahnt, dass ausgerechnet der Kommandant der Vernichtung entkommen konnte – und so legen sich unbemerkt SCHATTEN ÜBER ATLAN VILLAGE …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Marc London – Ein junger Terraner verliebt sich.

Zerberoff – Die zwei Köpfe des Dualen Kapitäns sind nicht immer einer Meinung.

Malcolm S. Daellian – Der Minister wirkt an mehreren Fronten.

Perry Rhodan – Der Terranische Resident unternimmt einen Kurzbesuch fern der Heimat.

Rudnor – Der ungeliebte Dialogpartner Daellians neigt zu Süßem.

1.

 

»Richtige Kunst ist stets provokativ!«, rief Mory. »Als seriösen Schauspielern muss es uns ein Anliegen sein, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten. Es aufzuwecken, zu provozieren oder zu verhöhnen. Wenn es sein muss, auch anzuspucken.«

Sie fummelte am Rahmen der in kalten Flammen stehenden Brille, deren Enden weit über das Gesicht hinausragten. So, wie sie es immer tat, wenn sie verärgert war.

»Das ist lächerlich!«, sagte Julian und schüttelte seinen kahlen Kopf. »Theater dient in erster Linie dazu, die Menschen zu unterhalten. Es bildet eine Brücke zu unserer Vergangenheit und befreit die Zuschauer für ein paar Stunden von der tristen Gegenwart.« Seine golden lackierten Fingernägel gaben leise Töne von sich, als er nervös auf den Naturholzbalken des Tischs klopfte.

»Zeig mir das Theater, das mich von deiner tristen Gegenwart befreit, damit ich mich dort einsperre!«, giftete die Frau. »Wie kann man nur gleichzeitig so alt werden …«

»… und erfolgreich«, fiel ihr Julian ins Wort.

»… und halbwegs erfolgreich, ohne auch nur eine winzig kleine Ahnung von Gegenwartskunst zu haben. Denk doch nur an den Siegeszug des Plattitüden Nonkonformismus, der vor zehn Jahren die ganze Stadt im Atem gehalten hat. Was er bewirkte und wie er das Leben veränderte …«

»Ja – für ungefähr eine halbe Stunde haben sich ein paar Wahnsinnige zu Herrschern über Atlan Village aufgeschwungen.« Er lachte meckernd. »In sogenanntem ›spontanen Aktionismus‹ besetzten sie den Hochstrahlbrunnen am Ernsting Square und urinierten liegende Achter, also Endlos-Schleifen, ins bunte Wasser. So lange, bis sie von humorlosen Vertretern der Ordnungskräfte zur Ausnüchterung hinter Gitter gesteckt wurden. Das ist alles, was von diesen Komikern in Erinnerung geblieben ist.«

Ein wütender Protestschrei Morys wurde von der Fraktion jener Schauspieler unterstützt, die auf ihrer Seite standen.

Die andere Seite machte ebenfalls mobil. Erdnusslocken flogen als Wurfgeschosse hin und her, es wurde gebuht, gezischt und geschmäht – und eine neue Runde hochprozentiger Alkoholika bestellt.

Marc London seufzte. Er machte sich zwischen all den bedeutenden und bedeutungslosen Akteuren so klein wie möglich. Die Paparazzi-Robs der Klatschpresse schwärmten bereits aus und filmten auf Teufel komm raus. Ein Abkommen mit dem Wirt erlaubte es ihnen, im In-Lokal »Micky’s Schickies« tagtäglich nach Skandälchen zu suchen – die ihnen die mediengeile Prominenz gerne lieferte.

Die Auseinandersetzungen zwischen Mory und Julian waren Legende. Zwar reichte der Ruf der beiden Schauspieler kaum über die Ortsgrenzen von Atlan Village hinaus. Dennoch sorgten sie in regelmäßigen Abständen dafür, in den einschlägigen Sparten-Sendern des Trivid präsent zu sein, die es zum Glück seit geraumer Zeit wieder gab.

»Ein kleiner Aufreger kann nur gut fürs Geschäft sein«, meinte Mory stets.

»Ausnahmsweise gebe ich dir Recht«, fügte Julian dann hinzu.

Marc seufzte erneut und mühte sich nach Kräften, dem Tohuwabohu am Tisch zu entkommen. Er quetschte seinen schmalen Körper zwischen Maruhena, dem Weißclown, und Astascha de Fowling, dem seit vierzig Jahren als jugendlicher Liebhaber gefeierten Herzensbrecher, hindurch. Niemand achtete auf ihn, als er die Gesellschaft verließ, an den Reihen amüsiert zusehender Zaungäste vorbei ins Freie trat.

Sternenklarer Nachthimmel empfing ihn. In Konkurrenz dazu leuchteten im Westen und Norden die Lichter der Monumentalbauten Terrania Citys um die Wette. Marc sog die frische, kühle Luft ein und schüttelte mit ein paar Übungen die Steifheit aus seinem Körper.

Er spürte keine Lust, ins »Micky’s Schickies« zurückzukehren. Er würde zu Fuß nach Hause gehen. Die halbe Stunde Fußmarsch, quer durchs beliebte Touristenzentrum von Atlan Village, würde ihm gut tun. Heute machte es wenig Sinn, auf Mory und Julian zu warten. Die beiden waren gerade erst in Fahrt gekommen und würden irgendwann im Morgengrauen den Heimweg finden.

Zum dritten Mal seufzte Marc.

Mit schauspielernden Eltern hatte man es nicht leicht.

 

*

 

»Wie geht’s dir so, Monique?«, fragte Marc London, während er seine Haare der Mode entsprechend verstrubbelte und einen weit geschnittenen Naturfaserpullover überzog.

»Gut«, antwortete das junge Mädchen, das ihm so verblüffend ähnlich sah. »Und selbst? Was macht die Uni?«

Ihr prüfender Blick war ihm selbst über die Holo-Verbindung unangenehm.

»Es läuft halbwegs«, antwortete er ausweichend. »Die Theorie kann stinklangweilig sein; endlose Phonetik-Übungen, Gestiklehre, Xeno-Beurteilungen … echt nervend.« Hastig verschweißte er die Haftschuhe und ließ sie in dezentem Braun glänzen. »Aber die Praxis-Übungen gleichen alles wieder aus. Letzte Woche hatten wir eine Kolonie Maahks zu Gast. Jeder Student konnte sich mit einem von ihnen ausführlich unterhalten. Bré Tsinga brachte sie aus Garnaru mit …«

»Tsinga unterrichtet wieder?«, fragte Monique, die soeben begann, ihr lang gewachsenes Haar durchzubürsten.

»Ja, seit mehr als einem Jahr. Wusstest du das nicht? Manchmal hab ich das Gefühl, dass du hinter dem Mond lebst.«

Sie lachte, und es klang glockenhell. »Ich lebe auf dem Mond und nicht dahinter«, sagte sie. Ihr Blick wanderte an ihm vorbei zur Seite. Offensichtlich zur Wanduhr ihrer Wohnung auf Luna. »Tut mir Leid, kleiner Bruder, aber ich muss zur Arbeit. Du kannst mich am Ende meiner Schicht wieder anrufen, ja?«

Ohne ein Wort des Grußes unterbrach Monique die Verbindung.

»Wenn ich daran denke, was du für eine Nervensäge warst, als du noch hier gewohnt hast«, murmelte Marc. Kopfschüttelnd erhob er sich. »Was wäre ich heute froh, dich hier zu haben! Die beiden Altvorderen sind manchmal nicht auszuhalten.«

Leise verließ er sein Zimmer. Die Luft des großzügig bemessenen Wohnzimmers roch alkoholgeschwängert. Morys Kleidung war über den Fußboden verteilt. Es roch nach Sex, und Marc schüttelte sich angewidert. Neben dem Aschenbecher lag ein Säckchen, in dem wahrscheinlich gerade noch zugelassene Halluzinogene steckten. In Julians Pfeifenkopf glomm es grün und rot. Dieser geschmuggelte sündteure Tabak war mit Sicherheit nirgendwo erlaubt. Ein Buch, das nach wie vor aktiv war, blinkte gelb und ließ den Titel »Wie stürze ich die Demokratie – Ein anarchistischer Leitfaden in 18 Lektionen« aufblinken.

Leise schloss er die Tür hinter sich. Das Potpourri aus Chaos, Lebenslust und Wahnsinn blieb zurück.

Als er auf die Straße trat, hatte ihn die wesentlich handfestere Wirklichkeit sofort im Griff.

Wesen aller Art hetzten an ihm vorbei, machten ihre kleinen Erledigungen oder kümmerten sich um quengelnde Kinder oder widerwillig mitschlurfende Ehepartner. Hoch über Marc zeichnete sich eine endlos lange Kette kleinster Punkte gegen den Himmel ab. Privatgleiter, die in Richtung Stadt strebten. In die entgegengesetzte Richtung, Richtung Beijing, war der Flugverkehr wesentlich geringer.

Er ließ sich in die unterirdische Station des Zubringers zur Röhrenbahn hinabbringen. Müde Gesichter glotzten durch ihn hindurch, wie sie bei Menschen seit Jahrtausenden anzutreffen waren, pünktlich zum Beginn einer neuen Arbeitswoche. Starr und interesselos sahen sie an ihm vorbei, während sie ihrer Arbeit zustrebten.

Jene Lebendigkeit, die Atlan Village in den Nachmittags- und Abendstunden ausmachte, war wie verflogen. Straßenzüge, die nachts wunderschön anzusehen waren, Denkmäler, neckische Skulpturen, Ton- und Bildinstallationen: Dies alles wirkte im grellen Tageslicht öd und leer. Die Künstler und Lebenskünstler schliefen oder gingen gerade zu Bett. Einzig ein alter Geschichtenerzähler krakeelte lauthals auf dem Augustin-Platz, ohne Zuhörer zu finden.

Marc passierte die Stationsgrenze der »Thora-Linie« und beobachtete interessiert, wie zwei Halbwüchsige versuchten, mit gefälschten Jahres-Chips die Positronik zu überlisten. »Ihr seid zu langsam«, flüsterte er kopfschüttelnd. Und richtig: An der nächsten Ecke wurden sie von Robs abgefangen und zum Stationsvorsteher geschleift. Mehrere Stunden Sozialdienst erwarteten sie als Strafe.

Marc grinste.

Es kam aufs Tempo an. Die Positronik war auf Massenabfertigung einer sich träge bewegenden Menschenmasse ausgelegt. Sie ließ sich durch verbrauchte Jahres-Chips verwirren, sofern man mit einer Geschwindigkeit von mehr als 25 Stundenkilometern schräg durch den Bereich des Eingangsportals lief. Diesen Trick hatte er bereits als Zehnjähriger beherrscht.

Der Zubringer wartete. Hastig stieg Marc zu. Nach einem lauten Signalton beschleunigte der zigarrenförmige Körper wie ein Geschoss. Leichte Prallfelder verhinderten jegliches Ruckeln. Mit unglaublicher Präzision fügte sich ihr Waggon in jene Serie weiterer Gefährte, die mit mehr als 180 Stundenkilometern entlang der Thora Road nach Westen rasten.

Illegale fliegende Werbeschilder, die Pest der Gegenwart, passten sich an der linken und rechten Fensterfront ihrer Geschwindigkeit an, während sie ins Freie glitten. Die dazugehörigen Stimmen hackten sich ins Lautsprecher-System. Schrill, laut und enervierend verkündeten sie unerwünschte Botschaften von einer im Untergrund agierenden und verbotenen Tempelgemeinschaft der Degressionslehre, dem »Suizidkommando zum bevorstehenden Sturz Perry Rhodans« – an diese Gruppierung erinnerte sich Marc seit seiner frühesten Kindheit –, von Potenzprothesen, Alien-Prostituierten, unerlaubten Frisiersätzen für Monogleiter …

Es war ein Tag wie jeder andere.

Sehnsüchtig blickte Marc nach rechts. Der Regenbogenflitter der Waringer-Akademie kam in Sicht. Der halbkreisförmige Bogen überstrahlte selbst an einem so trüben Tag alle anderen Gebäude.

Er war nicht der Einzige, der durch das Fenster sah. Fast alle der Fahrgäste, so gedrängt sie auch aneinander kleben mochten, starrten auf das siebenfarbige Symbol, unter dem der mehrarmige Blütenkelch mit seinen sechzehn Außenkuppeln stolz und trutzig in den Himmel ragte.

Sollte er den Waggon bei nächstbester Gelegenheit verlassen und in jenen wechseln, der zur Akademie abzweigte?

Nein.

Das Studium ging vor. Vorlesungen warteten auf ihn. Kosmopsychologie war schließlich kein Fach, das sich von selbst erlernte.

Hypnoschulung machte nur einen geringen Teil der Ausbildung aus. Vielmehr kam es auf Einfühlungsvermögen, Überwindung und Bereitschaft zur Selbstverleugnung an, wenn man in Kontakt mit fremden Völkern und Spezies trat. Wollte Marc das dritte Semester nicht endgültig hinwerfen, musste er in den letzten Wochen vor den Ferien noch einmal alles geben.

»Dort hätte ich hingehen sollen«, murmelte er sehnsuchtsvoll und streichelte über das Plastglas des Waggons. »Nicht auf die öde Uni.«

»Um was zu werden?«, fragte ihn ein Mann, der unmittelbar neben ihm stand. Hünenhaft war er, sicherlich zwei Meter groß. Mächtige Brüste stachen spitz nach vorne, und er roch trotz der ausgezeichneten Klimaanlage nach säuerlichem Schweiß.

»Willst wohl uns Kleinen auf dem Säckel liegen, wie?«, fuhr er fort. »Ewig lange studieren, Steuergelder verprassen, nichts leisten, wie? Um irgendwelchen Fantastereien nachzuhängen. Dem alten Rhodan wie ein ergebener Hund an den Lippen zu hängen, wenn er von Frieden, Freude und Eierkuchen in der Milchstraße erzählt.«

Seine Stimme wurde immer schriller, weiblicher. »Was dabei rauskommt, konnten wir ja vor zwei Wochen erleben, als die Solare Residenz angegriffen wurde. Ich geb dir einen Tipp, Kleiner: Lern was Vernünftiges. Systeminformatiker, Posi-Techniker, Werbefachmann. Oder werde Beamter, so wie ich. Ist eine ruhige Kugel, kann ich dir sagen …«

»Danke für die Ratschläge«, murmelte Marc und atmete dabei möglichst flach. Der Wechselgeschlechtler, Angehöriger einer neuzeitlichen Gesellschaftsklasse, die sowohl weibliche als auch männliche emanzipatorische Rechte für sich beanspruchte, stank erbärmlich. »Ich muss jetzt aussteigen.« Er zwängte sich zwischen den Leuten hindurch.

Die rote Halteleiste blinkte energisch. Sein Waggon raste in den Zielbahnhof und hielt abrupt.

Die Universität von Terrania.

Ein Schwall junger Menschen verließ mit ihm den Wagen. Gemeinsam strömten sie dem Ausgang der Station zu. Die meisten lachten fröhlich, plauderten miteinander, alberten herum. Zwischendrin waren Kolonialterraner zu sehen. Da ein dröhnend lauter Ertruser, dort ein übergewichtiger Dookie, dessen prägnant kleiner Kopf über die Massen hinausragte. Zwei Imarter mit tonnenförmiger Brust unterhielten sich mit einem dürren und winzigen Kamashiten, der mühsam mit ihnen Schritt hielt. Der weißblonde Haarschopf dort vorne mochte einem Kolonialarkoniden gehören.

Marc empfand dieses bunte Völkergemisch immer wieder faszinierend. Wesen aus allen Ecken und Enden der Milchstraße fanden hier zusammen, um zu lernen, einander zu verstehen, über den Tellerrand ihres jeweiligen Heimatplaneten hinauszublicken.

Und er, Marc London, befand sich mittendrin.

Es war ein gutes Gefühl, mit dieser Masse gleichsam mitzuschwimmen. Dazuzugehören.

Er war einer der kleinen Bausteine, auf denen das Fundament der LFT immer wieder neu errichtet wurde. Jeden Tag neu und die Jahrhunderte überdauernd; trotz Katastrophen und Gefahren sonder Zahl, trotz galaktopolitischer Bedrohungen und Veränderungen. Wenn Marc in diese bunte Menge eintauchte, konnte er das Drumherum vergessen. Besser gesagt: beinahe. Denn das Alter hatte Spuren an der Universität hinterlassen. Kaum sichtbare, selbstverständlich; denn Reparatur-Robs umkreisten beständig das Campus-Gelände. Auf ihrer Suche nach Problemen arbeiteten sie mit einer Pedanterie, die ein denkendes Wesen niemals aufbringen würde. Mit dem freien Auge nicht sichtbare Schäden an den Außenfronten wurden ebenso beseitigt wie der geringste Halm eines Unkrauts.

Doch Marc hatte ein feines Gespür. Die beiden krakenförmigen Hauptgebäude mit ihren zeltähnlichen Dächern wirkten nun mal … abgelebt. Müde. Charakterlos. Die vielfältigen Bauten waren zu jung, um irgendeiner klassischen Architekturrichtung zugehörig zu sein, und zu alt, um durch Progressivität zu beeindrucken.

Erneut blickte er in jene Richtung, in der er jenseits der überbreiten Thora Road die Waringer-Akademie wusste.

Dort wurde Geschichte geschrieben, dort wuchs der Keim für eine bessere Zukunft empor in den Himmel, für jedermann sichtbar gemacht durch den Regenbogen.

»Träumst du wieder mal, London?«

Die raue Stimme weckte ihn abrupt aus seinen Überlegungen. Er drehte sich um – und sah seiner Göttin in die Augen.

Mirna Lamarr. Groß, blond, blauäugig und … hm … mit jenen beiden weiblichen Vorzügen ausgestattet, die ihn eben erst bei dem Wechselgeschlechtler in der Rohrbahn abgeschreckt hatten.

»Ich hab … über etwas … nachgedacht«, haspelte Marc.

»Du denkst zu viel, statt das Leben zu genießen«, lachte die junge Terranerin und legte vertraulich den Arm um seine Hüften. »Möchtest du nicht lieber mal ausspannen? Ist die Luft nicht herrlich, ist das Leben nicht herrlich?« Sie atmete tief ein.

Zu tief für seinen hormongesteuerten Geschmack.

»Ich muss zur Vorlesung«, sagte Marc, während er das Parfum, das nach Frühling roch, tunlichst ignorierte.

»Was siehst du dir an?«

»Kommunikative Gestikentwicklung.«

»Beim ollen ter Bromwyn?«

»J…ja.«

»Das trifft sich ausgezeichnet. Der steht auch auf meinem Stundenplan.«

»Dann sollten wir uns beeilen.«

Sie gingen ein paar Meter. Das Mädchen, zwei Jahre älter als er, hielt sich hartnäckig an ihm fest, während er nicht wusste, wo er seine beiden Arme hintun sollte. Erwartete sie, dass er sie ebenfalls umarmte? Mirnas knackiger Po rieb bei jedem Schritt an dem seinen. Marc schwitzte und war rot und wusste nicht, was er machen sollte …

»Andererseits könnten wir den Vortrag sausen lassen«, sagte sie plötzlich. »Stattdessen gehen wir im Campuspark spazieren, suchen uns eine lauschige Ecke und …« Mirna brach ab, grinste bedeutungsvoll.

Das klang bedrohlich – und vielversprechend zugleich.

»Ich fände es besser, wenn wir … wenn wir …«

Sie zwickte ihn zärtlich in die Hüfte. »Das Leben besteht nicht nur aus Schule«, sagte sie und hauchte ihm ins Ohr: »Oder vielleicht willst du bei mir was lernen?«

Marc schloss die Augen, hielt inne, kämpfte mit aller Gewalt gegen sein körperliches Verlangen an. Er brauchte nur zuzugreifen, sie zu umarmen und mit sich zu führen … Dies waren beileibe keine dezenten Signale mehr, die Mirna aussandte. Nein. Sie brummte wie ein Trafo, der zu überhitzen drohte.

»D…danke«, brachte er mühsam hervor. »Die … die Vorlesung ist zu wichtig für das Kolloquium, und ich kann es mir nicht leisten, heute zu fehlen …«

Kurz war Enttäuschung in ihren Augen zu sehen, dann lächelte die Blondine wieder.