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ELMAR SPRINK

HERZ
RASEN
2.0

MIT SPENDERHERZ
ZUM IRONMAN

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1. Auflage 2017

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

Lektorat: René Stein, Stephanie Jaeschke

Datenkonvertierung E-Book: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

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INHALT

Vorwort

Einführung

Der Tag, an dem das Herz stillstand

Mein Leben vor der Erkrankung

Ursachenforschung

Im Transplantationszentrum

(Neues) Herz ist Trumpf

Entlassung und Reha

Das Comeback

Die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii

Der Traum geht weiter

Danksagung

Stimmen zu Elmar Sprink

Glossar

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VORWORT

Elmar ist für mich ein wirklich außergewöhnlicher Mensch. Über Freunde erfuhr ich, dass er durch eine Herztransplantation eine zweite Chance erhalten hat. Als früherer ambitionierter Sportler stand für Elmar außer Frage, auch mit diesem »neuen« Herzen wieder Sport zu treiben – oder es wenigstens zu versuchen.

Als Leistungssportler muss man seinen Körper sehr gut kennen, und auch Elmar glaubte, das von sich sagen zu können. Bis zu jenem schicksalhaften Tag X, an dem sein Herz aufhörte zu schlagen.

Der viel zitierte Spruch »Die Hoffnung stirbt zuletzt« scheint etwas makaber, denn Elmar war ja für kurze Zeit schon tot. Doch er hat tatsächlich die Hoffnung nie verloren, seine zweite Chance genutzt und einfach Bemerkenswertes erreicht. Ein bisschen Sport war ihm nicht genug, er wollte der Welt beweisen, wozu ein herztransplantierter Mensch fähig ist.

Wille und Fleiß, den inneren Schweinehund zu bezwingen, aber auch eine gehörige Portion Vorsicht haben ihn zu dem werden lassen, was viele Menschen, die kerngesund sind, in ihrem Leben niemals erreichen werden: nämlich zu einem Ironman, also dem Finisher eines Langdistanztriathlons.

Ein »Eisenmann« zu sein und sich selbst mehr als zwölf Stunden zu quälen, das sind auch für mich als mehrfachen Tour-de-France-Teilnehmer Leistungen, die in weiter Ferne liegen.

Doch nicht nur seine sportlichen Leistungen zeichnen Elmar aus, sondern auch sein Engagement auf vielen anderen Ebenen im Bereich der Transplantationsmedizin. Elmar macht nicht einfach sein Ding, er reißt andere mit und will etwas Positives beitragen. Erst dieses Zusammenspiel ist für viele wahre Inspiration. Ich wünsche ihm für die Zukunft alles Gute und hoffe, dass sein Körper weiter mitspielt und er noch viele sportliche Highlights erleben wird.

Ich hoffe, dass dieses Buch auch Sie inspirieren wird, niemals aufzugeben, egal, wie aussichtslos die Lage auch erscheinen mag.

André Greipel
Radprofi und mehrfacher Etappensieger bei den drei großen Rundfahrten

EINFÜHRUNG

Am 11. Oktober 2014 überschritt ich die Ziellinie des legendären Ironman auf Hawaii. Was danach folgte, war ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Dankbarkeit. Glück, überhaupt noch am Leben zu sein, wieder Sport treiben zu können und es sogar bis zum Finisher bei einer der größten und anspruchsvollsten Ausdauerveranstaltungen der Welt gebracht zu haben. Dankbarkeit gegenüber dem Spender meines neuen Herzens und all den Menschen, die mich auf diesem Weg bis hierhin begleitet und unterstützt hatten.

Einige Tage nach dem Wettkampf wurde mir erst so langsam richtig bewusst, was ich an diesem besonderen Tag geschafft hatte. Es waren nicht die 3,8 Kilometer Schwimmen im offenen Meer, es waren nicht die 180 Kilometer Radfahren in schweißtreibender Hitze und gegen starke Winde, und es war nicht der anschließende Marathon über 42,2 Kilometer, der traditionell am Pier von Kailua Kona endete. Es war auch nicht die Tatsache, dass ich immerhin als 1.490. von über 2.200 Athleten ins Ziel gekommen war.

Denn als ich in den darauffolgenden Tagen E-Mails mit Zeitungsartikeln aus Deutschland und Glückwunschbekundungen in sozialen Netzwerken von Menschen aus ganz Deutschland und Ländern bekam, von denen ich noch nie in meinem Leben etwas gehört hatte, wurde mir klar, was ich an jenem 11. Oktober vollbracht hatte. Eine lange, steinige und lebensverändernde Reise lag hinter mir, die am 12. Juli 2010 mit meiner Herzerkrankung begonnen hatte. Nur durch unglaubliches Glück blieb ich an diesem Tag am Leben. Es folgten Wochen und Monate, ja sogar Jahre voller Angst, Schmerz und Ungewissheit. Am 9. Juni 2012 wurde mir schließlich ein neues Herz eingesetzt. Nachdem ich über sieben Monate im Bett verbracht hatte, musste ich erst wieder lernen zu sitzen (!) und zu gehen. Nur schrittweise ging es voran, in sehr kleinen Schritten wohlgemerkt. Ich versuchte, mir immer wieder ganz kleine Ziele zu stecken und mich so immer wieder neu zu motivieren.

Zwei Jahre und vier Monate später, nach fünf Operationen, dem Einbau von zwei Herzpumpen und einem Defibrillator, der Entfernung meiner Gallenblase sowie insgesamt 275 Tagen in sieben verschiedenen Krankenhäusern und einer Herztransplantation hatte ich es geschafft.

Niemand, weder meine Ärzte, meine Familie oder meine Freunde und nicht mal ich selbst, hätte sich vorstellen können, dass ich nach alldem, was mir widerfahren war, jemals wieder an einem Triathlon teilnehmen könnte, geschweige denn beim Mythos Ironman Hawaii, und es auch noch bis ins Ziel zu schaffen.

Doch am 11. Oktober 2014 um 19:21 Uhr hörte auch ich aus dem Munde von Mike Reilly die vier magischen Worte, die für jeden Triathleten Musik in den Ohren sind: »Your are an Ironman!«

DER TAG,
AN DEM
DAS HERZ
STILLSTAND

Der 12. Juli 2010 war ein heißer Sommertag und einer der ersten Tage nach meinem Urlaub. Ich hatte das schlechte Abschneiden und den frühzeitigen Ausstieg beim Ironman in Klagenfurt halbwegs verdaut. Leider war unser deutsches Team in der Woche zuvor auch noch bei der Fußballweltmeisterschaft im Halbfinale gegen Spanien ausgeschieden. Es gab also nicht viel zu feiern. Ich machte in Gedanken einen Haken dran und stürzte mich am Morgen in die Arbeit.

Nach einem längeren Urlaub wartete normalerweise im Büro eine wahre Flut an E-Mails. In dieser Woche hatte ich allerdings noch keine Termine, deshalb arbeitete ich an diesem Tag zu Hause die Unmenge an elektronischer Post ab. Meine Frau Karin hatte sich nach der Arbeit mit einer Freundin auf einen Kaffee verabredet und ich mir für den Tag nichts Wichtiges vorgenommen.

Irgendwann nachmittags legte ich eine kleine Pause ein und plauschte noch über dieses und jenes mit meinen Nachbarn bei uns im Garten. Gegen 17 Uhr war ich mit dem Großteil meiner Arbeit für den Tag durch. Ich hatte bereits einige Angebote für meine Kunden vorbereitet, also hockte ich mich mit meinem Laptop aufs Sofa und freute mich auf das Ende der Tour-de-France-Etappe.

Karin kam an diesem Tag früher als erwartet nach Hause und setzte sich in unserem Büro noch mal an den Rechner. Es war ein unglaublich heißer Julitag, der nicht gerade Lust auf Heißgetränke machte, also wurde das Kaffeetrinken verschoben. Der Tourtross befand sich irgendwo in den Bergen, und die Bergetappen schaue ich mir besonders gerne an. Das Finale der Etappe ging gegen Viertel vor sechs in seine entscheidende Phase, für mich endete diese Etappe jedoch mit einer der letzten Kehren des Führenden: Im nächsten Moment, an den ich mich erinnern kann, liege ich und sehe auf einen Bildschirm, doch es war nicht mein Fernseher und auch nicht mehr mein Sofa.

Ich befand mich in einem Krankenhausbett, hatte Schläuche in der Nase, und zwei Monitore überwachten meine Werte. Zwei Ärzte und Karin standen um mein Bett. Ich fragte, was passiert sei, doch zunächst stellten die Ärzte mir einige Fragen. Ich wusste gar nicht, was das Ganze überhaupt sollte, das wurde mir erst viel später klar. Karin erzählte mir, dass ich zu Hause starke Kreislaufprobleme bekommen hätte, aber ich wunderte mich, warum ich dann in einem Zimmer lag, das einer Intensivstation gleichkam. Erst nach und nach erfuhr ich, was geschehen war. Was also war zu Hause passiert?

Ich hatte zu Karin gesagt, dass es mir nicht so gut gehe und ich mich etwas hinlegen wolle. Einige Minuten später vernahm Karin »komische Geräusche« aus dem Nebenzimmer: für einen kurzen Moment ein sehr starkes Atmen, bevor es still wurde. Sie eilte aus dem Büro und sah mich dort liegen: bewusstlos und bereits blau angelaufen. Ohne zu überlegen, lief Karin zu unserem Nachbarn Michi und klingelte Sturm. Sie klopfte und klingelte abwechselnd an die Tür. Michi ist Arzt und war zum damaligen Zeitpunkt wegen einer Knieoperation krankgeschrieben. So schnell es sein Knie zuließ, folgte er Karin. Als er mich erblickte, erbat er von Karin einen harten Gegenstand, den er unter mich legen konnte. Außerdem sollte sie einen Rettungswagen rufen und alle Türen öffnen, sodass die Notärzte sofort zu mir durchkämen. Dann begann er mit der Reanimation – und er machte seine Sache wirklich super! Schon nach drei Minuten war ich wieder bei Bewusstsein. Ich bäumte mich immer wieder auf und versuchte, Luft in meine Lungen zu bekommen. Die Geräusche, die ich dabei gemacht haben muss, waren so laut, dass es die ganze Nachbarschaft aufgeschreckt hatte (wir wohnen recht beschaulich in Ehrenfeld, da bleibt so etwas nicht unbemerkt). Der Notarzt traf nach circa acht Minuten ein. Ich schlug um mich, weshalb sie mich nur unter größten Schwierigkeiten auf die Trage bekamen. Nach einigen Minuten war ich dann sediert und so weit medizinisch versorgt, dass ich in das Herzzentrum in Köln gebracht werden konnte. Ich hatte bei der Einlieferung einen Puls von über 200, was nichts anderes bedeutet, als dass ich zu diesem Zeitpunkt schwerste Herzrhythmusstörungen hatte, eine Arrhythmie, wodurch das Herz nicht mehr in der Lage ist, Blut durch den Körper zu pumpen. Also wurde kurz nach Einlieferung eine Kardioversion mit 200 Joule durchgeführt, oder wie die Mediziner sagen, ich wurde geschockt (mit dem Defibrillator, wie man es aus dem Fernsehen kennt). Danach hörte das Flimmern auf und mein Herz schlug wieder im richtigen Rhythmus. Ich lag fast die ganze Nacht wach und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf. Warum war das passiert? Wie sollte es jetzt weitergehen? Was war mit meinem Herzen passiert, und in welchem Zustand war es jetzt? Wann konnte ich wieder arbeiten, wann wieder Sport machen? Die Fragen in meinem Kopf hörten nicht auf.

Schon am nächsten Tag stand ein Marathon für mich auf dem Programm – ein Untersuchungsmarathon, der längste meines Lebens. Zunächst führte man eine Herzultraschall- und eine CT-Untersuchung durch. Das Ultraschall brachte nicht wirklich neue Erkenntnisse, und dank der Computertomografie ließ sich wenigstens eine Lungenembolie ausschließen. Zwei Tage später stand eine Herzkatheteruntersuchung auf dem Programm.

Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass ich sehr große Angst vor all diesen Untersuchungen hatte. Glücklicherweise wusste ich da noch nicht, was noch alles in den nächsten Wochen und Monaten auf mich zukommen würde. Die Katheteruntersuchung verlief ohne Komplikationen. Man liegt auf einem OP-Tisch und bekommt einen kleinen Schnitt in die Leiste, durch den ein dünner Schlauch bis zum Herz vorgeschoben wird. Unter Röntgenkontrolle kann der behandelnde Arzt so den Zustand der Herzkranzgefäße beziehungsweise des gesamten Herzens erfassen. Hierbei stellte man fest, dass mein Herz leicht vergrößert und seine Kontraktion gestört war, es bestand der Verdacht auf eine Myokarditis (Herzmuskelentzündung). Da man sich aber nicht sicher war, wurde direkt im Anschluss noch eine Magnetresonanzuntersuchung des Herzens durchgeführt. Sie kennen das vielleicht: Man wird in ein Gerät mit riesigen Dimensionen geschoben und darf sich in einer Röhre liegend sehr lange nicht bewegen – zum Glück habe ich keine Platzangst. Zu allem Übel litt ich aufgrund der vorherigen Untersuchung jedoch unter Schmerzen in der Leiste, und gefühlt wollte und wollte die MRT-Untersuchung nicht mehr enden. Nach dem MRT nahmen die behandelnden Ärzte an, dass es sich bei mir um eine akute floride Myokarditis handeln könnte; florid bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Krankheitserscheinungen heftig ausgeprägt sind. Aber ganz sicher schien man sich nicht zu sein. Ich hatte auf jeden Fall einen Perikarderguss Typ II bis III, das heißt, in meinem Herzbeutel befand sich mehr Flüssigkeit, als dort üblicherweise hineingehört.

Vier Tage nach meiner Einlieferung war ich bereits so stabil, dass man mich auf die Normalstation verlegen konnte. Ich bekam Betablocker, die den Herzrhythmus stabilisieren sollten. Auf dem Langzeit-EKG zeigte sich, dass ich noch einige Extrasystolen schlug (das sind – bei Gesunden – zusätzliche Schläge des Herzens, die sich zwar unangenehm anfühlen, aber unbedenklich sind), diese aber nicht mehr gefährlich waren. In den nächsten Wochen im Krankenhaus wurden die Untersuchungen von Zeit zu Zeit wiederholt, an eine Entlassung aus dem Herzzentrum war nicht zu denken. Meine Eltern waren in dieser schweren Zeit vorrübergehend nach Köln gezogen, und viele Freunde besuchten mich.

Am 26. Juli wurde noch einmal eine MRT-Untersuchung an meinem Herzen vorgenommen. Noch am gleichen Tag entließ man mich mit Verdacht auf eine Myokarditis sowie leicht eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens. Die Ärzte rieten mir, mich in den nächsten drei bis sechs Monaten zu schonen.

MEIN LEBEN VOR DER ERKRANKUNG

Ich wurde am 26. Dezember 1971 in der Kleinstadt Salzkotten in Ostwestfalen als Sohn von Elfriede und Heinz-Erhard Sprink geboren. Mit meiner fünf Jahre älteren Schwester Gudrun waren wir nun zu viert. Meine Kindheit verlief unspektakulär. Ich besuchte den Kindergarten und ging ab 1978 für vier Jahre auf die Grundschule in Salzkotten. Ich liebte die Bewegung, verbrachte bereits in der Grundschulzeit jede freie Minute damit, mit den Nachbarn Fußball zu spielen oder mit dem BMX-Rad über selbst gebaute Rampen zu springen. Stillsitzen, lesen oder gar ein Instrument erlernen war nichts für mich, was meine Eltern allerdings ganz anders sahen. Sie versuchten es immer wieder, kauften sogar ein Klavier.

Mit Widerwillen ließ ich den Unterricht bei einer Nachbarin einmal pro Woche über mich ergehen. Zu allem Übel musste ich dabei eine Art Umhang tragen, der verhinderte, dass man seine Hände sehen konnte. Die Stunde war noch nicht ganz um, da bolzte ich schon wieder mit dem Fußball vor unserem Haus.

Nach der Grundschule wechselte ich 1982 auf das neun Kilometer entfernte Gymnasium in Geseke. Ich war nur in den Fächern gut, die mir Spaß machten, genau genommen nur in einem: In Sport hatte ich immer eine Eins. Die Noten in den anderen Fächern waren meistens sehr lang und endeten mit dem Buchstaben »d« oder gar schlechter. Zugegeben, eine Sechs hatte ich nie, und die Note Mangelhaft nicht öfter, als dass sie die Versetzung gefährdet hätte. Dafür wimmelte es von Ausreichend.

In der zehnten Klasse wusste ich dann nicht mehr so wirklich, wo der Weg hinführen sollte. Weiter zur Schule und Abitur? Danach eventuell ein Studium oder doch eine Ausbildung machen?

Ich entschied mich zunächst für die Höhere Handelsschule in Salzkotten, die ich im Jahr 1990 abschloss; somit hielt ich mir die Möglichkeit offen, doch noch zu studieren. Im Sommer 1990 begann ich eine dreijährige Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Westfälischen Textilgesellschaft in Salzkotten. In dieser Zeit war mir jedoch mehr daran gelegen, am Wochenende mit Freunden in unsere StammDisco »Zoo« zu gehen, in meiner Lieblingskneipe »Walli« abzuhängen oder mich auf Schützen- oder Stadtfesten der Region zu verlustieren. Im »Zoo« lernte ich dann auch meine erste wirklich feste Freundin Katja kennen. Wir hatten ein tolles Jahr zusammen. In diesem Alter legt man sich wohl noch nicht fürs Leben fest, zumindest bei uns lief es so. Da Katja sehr gut Tennis spielte, stellte ich mich zu dieser Zeit gern als Sparringspartner zur Verfügung. Jedoch sollte ich Tennis in meinem späteren Leben eher von der Couch verfolgen als auf dem Tennisplatz. Katja und ich trennten uns nach circa einem Jahr, verloren uns aber nie ganz aus den Augen. Sie sollte in meinem Leben zu einem späteren Zeitpunkt plötzlich wieder auftauchen.

Ab meinem 18. Lebensjahr versuchte ich mich dann auch in unserem Schützenverein, der St. Johannes Schützenbruderschaft (bei der ich übrigens nach der Transplantation eine Medaille für 25 Jahre Mitgliedschaft bekommen habe – noch heute marschiere ich bei den Umzügen mit). Vielleicht können nicht alle etwas mit dem Begriff »Schützenfest« anfangen, darum sei an dieser Stelle noch einmal klargestellt: Es geht dort nicht wirklich um die Schießkunst. Nein, hier werfen sich alle Mitglieder des Vereins die Uniform über und marschieren vier Tage lang mit einem Holzgewehr durch die Stadt. Am Samstag wird dann auf einen Vogel aus Holz geschossen, und der jenige, der das letzte Stück herunterschießt, ist für drei Tage der »König« vom Dorf. Konkret bedeutet das, viel Zeit mit Freunden zu verbringen und dabei das ein oder andere Bier zu trinken. Diese Freunde sollten im Verlauf meines Lebens noch sehr wichtig für mich werden.

Trotz der ganzen Feierei und zahlreicher Fehlstunden in der Berufsschule konnte ich die Lehre nach drei Jahren erfolgreich abschließen, womit ich auch die Qualifikation für ein Studium in der Tasche hatte. Zu dieser Zeit herrschte in Deutschland jedoch noch die Wehrpflicht. Jeder gesunde junge Mann musste für zwölf Monate zur Bundeswehr. Da ich aber nur mit dem Holzgewehr gut umgehen konnte, entschied ich mich für den Zivildienst. In meinen Augen hatte das Ganze nur Vorteile: Man bekam mehr Geld als bei der Bundeswehr, musste sich nicht in einer Kaserne mit anderen eine kleine Stube teilen und konnte vielleicht noch etwas Sinnvolles anstellen, das einen persönlich weiterbrachte. Da mein Vater bei der Kongregation der Franziskanerinnen angestellt war und zu dieser Zeit für die Ordensschwestern mehrere Krankenhäuser und andere Einrichtungen betreute, konnte ich meinen Zivildienst bei den Franziskanerinnen ableisten. Ich war ein bisschen Mädchen für alles: Ich half dort in der Buchhaltung, im Garten oder als Fahrer aus. Der Dienst machte mir Spaß. Diese Nähe zu Gott sollte in meinem späteren Leben ebenfalls noch eine zentrale Rolle einnehmen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich das natürlich noch nicht ahnen können, ich genoss einfach diese Lebensphase. Ich hatte einen Führerschein, mein eigenes Geld und führte ein Leben, das in meinen Augen stressfrei und perfekt war. Ich hatte mir ein Motorrad gekauft, eine Honda CBR 600F, und verbrachte in den Sommermonaten viel Zeit mit diesem Hobby. Anfang der 1990er-Jahre fuhr ich sogar mit zwei Freunden bis nach Spanien, ein Trip, über den wir bis heute reden.

Im Sommer 1994 begann ich mein BWL-Studium an der Fachhochschule Bielefeld, und ein komplett neues Kapitel in meinem Leben nahm seinen Anfang. Hier zählte es jetzt wohl. Mein Vater hatte mir direkt zu Beginn des Studiums sehr deutlich gemacht, dass die Regelstudienzeit für diesen Studiengang sieben Semester sei und ich exakt sieben Semester plus ein Semester Zeit hätte. Nicht mehr und nicht weniger. Es ging ihm darum, dass ich nicht zum ewigen Studenten mutieren sollte.

Das erste Semester pendelte ich noch mit dem Auto. Da ich kein eigenes hatte, musste ich mich schweren Herzens von meinem Motorrad trennen und übernahm den Wagen von meiner Mutter. Vielleicht war es am Ende auch der gefahrlosere Weg zur Uni.

Ab dem zweiten Semester entschied ich mich, gemeinsam mit meiner damaligen Freundin Sonja nach Bielefeld zu ziehen. Sie war bereits am Ende ihres Lehramtsstudiums und konnte ihr Studium auch in Bielefeld beenden. Da ich zu dieser Zeit in Geseke Fußball spielte und Sonjas Familie dort wohnte, fuhren wir während der Fußballsaison fast jedes Wochenende nach Hause. Wir wohnten in einer kleinen Wohnung in der Innenstadt von Bielefeld. Das Studium war ziemlich anspruchsvoll, aber ich hatte den Ernst der Lage erkannt und bestand – nach und nach – alle Klausuren. Im Sommer 1995 ging ich für zwei Monate in die USA, um in der Nähe von Chicago ein Praktikum bei einer Krankenhauskette zu machen. Es war für mich nicht die erste Reise in die Staaten. Mit zwölf Jahren war ich mit meinen Eltern und meiner Schwester bereits in den USA gewesen, und später hatte ich noch zweimal für vier bis fünf Wochen mit Freunden die gesamte Westküste und deren Nationalparks abgeklappert. Dieses Mal war ich also zum Arbeiten da. Ich wohnte in einer Gastfamilie und verbrachte einen tollen Sommer. Auf der Rückreise flog ich noch nach Vancouver und besuchte dort Annelore, die beste Freundin meiner Mutter, und ihren Mann Heinz. Es war mein zweiter Besuch in Vancouver, und es sollte auch nicht der letzte gewesen sein.

Nach fünf Semestern bewarb ich mich für ein Auslandssemester in den USA und bekam die Gelegenheit, meinen Schwerpunkt Marketing im Bundesstaat Arkansas zu absolvieren. Ich flog also im Sommer 1997 wieder in die USA, und Sonja kehrte nach Geseke zurück, wo sie eine Stelle als Lehrerin bekommen hatte.

Sonja und ich entwickelten uns leider in dieser Zeit in unterschiedliche Richtungen, weshalb wir uns ein paar Monate nach meiner Rückkehr trennten. Ich ging noch einmal zurück nach Bielefeld und beendete mein Studium im Sommer 1999. Während ich parallel an meiner Diplomarbeit schrieb, begann ich schon ein Traineeprogramm im Krankenhausbereich und arbeitete in Krankenhäusern in Düren und Wiesbaden. Ich merkte jedoch schnell, dass das Thema Marketing in Krankenhäusern zu dieser Zeit noch nicht von zentraler Bedeutung war, und fing an, mich woanders zu bewerben. Der Liebe wegen war ich in der Zwischenzeit nach Meerbusch gezogen, hatte mich dort toll eingelebt und war auch vom ansässigen Fußballverein gut aufgenommen worden.

Einige Wochen und einige Bewerbungen später erhielt ich einen Arbeitsvertrag bei einem Internet-Start-up namens GesundheitScout24 in Köln. Ich fing als Marketingassistent an und verließ das Unternehmen nach zwei Jahren als Marketingmanager. Die Firma wuchs in dieser Zeit auf über 200 Mitarbeiter an. Ich hatte dort nicht nur sehr viel gelernt, sondern auch Freundschaften fürs Leben geschlossen.

Meine damalige Beziehung endete für mich leider völlig unerwartet, also brach ich meine Zelte in Meerbusch ab und zog nach Köln. Ich lebte so näher an meinem Arbeitsplatz, aber auch die Wege zu Kneipen und Klubs waren kürzer. Irgendwie kam ich mit der Trennung nicht wirklich zurecht, weshalb ich häufiger abends ausging, was nicht ohne Auswirkungen auf meine Arbeitsweise blieb. Mein damaliger Chef Markus (wir sind bis heute sehr gute Freunde) beschloss, dass das Programm »Laufen statt Saufen« für mich die deutlich bessere und gesündere Alternative wäre. Nachdem ich also das Nachtleben von Köln erkundet hatte, begann ich mit dem Laufen. Markus hatte sich und mich für den Hamburg Marathon im April angemeldet. Somit hatte ich auch gleich ein Ziel vor Augen. Um mir den Frust von der Seele zu laufen, rannte ich jeden Tag von meiner Kölner Wohnung bis zur Rodenkirchener Brücke und zurück. Das waren hin und zurück so circa zwölf Kilometer.

Da ich gerade sowieso dabei war, mein Leben umzukrempeln, hatte ich mich in der Zwischenzeit beworben und eine neue Stelle in Neuss bei der Firma Imation im Marketing gefunden. In diesem Unternehmen sollte ich dann von Juli 2002 bis 2011 bleiben. In den fast zehn Jahren veränderte sich meine Tätigkeit zusehends, ich übernahm erste Vertriebsaufgaben. Zum Ende hin betreute ich als Key Account Manager die komplette Distribution sowie die Reseller in Deutschland, der Schweiz und in Österreich.

Hamburg sollte nicht nur sportlich gesehen mit meinem ersten Marathon ein Highlight im Jahr 2002 werden, sondern auf einem Stadtfest in Paderborn lernte ich im August 2002 auch meine jetzige Frau Karin kennen, die zu diesem Zeitpunkt in Hamburg lebte und arbeitete. Wir pendelten fünf Jahre lang jedes Wochenende zwischen Hamburg und Köln hin und her und trafen uns auch sehr häufig in Paderborn, da wir beide unsere Familien und Freunde dort hatten. Die Jahre flogen nur so dahin, wir hatten eine tolle Zeit, auch wenn die Fernbeziehung sich nicht immer ganz einfach gestaltete. 2007 fassten wir einen Entschluss: Karin zog zu mir nach Köln. Mein Leben hätte zu diesem Zeitpunkt nicht schöner sein können. Ein Jahr später fanden wir eine neue Wohnung in einer ganz besonderen Nachbarschaft, die wir in den nächsten Jahren noch schätzen lernen sollten.

Sport und Bewegung haben in meinem Leben immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. In der Kindheit versuchte ich mich in verschiedenen Sportarten: Basketball, Schwimmen in der DLRG, Skifahren, Leichtathletik und Fußball. Die Leidenschaft zum Fußball sowie zum Wintersport und den Bergen sollte sich aber durchsetzen. Später probierte ich auch noch Wellenreiten. Im Fußball hat es sportlich gesehen bis zur Bezirksliga gereicht, feiertechnisch bewegten wir uns aber immer auf Bundesliganiveau. Ich habe in all der Zeit eine Menge toller Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen, die teilweise bis heute bestehen.

Die Leidenschaft zum Wintersport sah so aus, dass ich über viele Jahre mit Freunden ein- bis zweimal pro Jahr zum Skifahren oder Snowboarden nach Österreich fuhr. Das waren immer besonders lustige und feuchtfröhliche Touren, an die wir uns heute noch gern zurückerinnern, wann immer wir uns irgendwo treffen.

Das wirkliche Hochgebirge lernte ich bei einer Reise nach Nepal zum Basislager des Mount Everest kennen und lieben – ein Wahnsinnsabenteuer. Gleich im darauffolgenden Jahr machte ich einen Kurs namens »Fels und Eis« und bestieg die Wildspitze, den zweithöchsten Berg Österreichs.

Meine Fußballlaufbahn endete im Jahr 2000 beim ASV Lank. Da ich in der Zwischenzeit mit Rückenproblemen zu kämpfen hatte, empfahl mir ein Orthopäde Schwimmen und Radfahren. Also kaufte ich mir ein Rennrad und fuhr nach der Arbeit ab und an eine kleine Runde über 30 Kilometer; einmal pro Woche ging ich schwimmen.

Wie im Kapitel zuvor schon erwähnt, lief ich 2002 mit meinem damaligen Chef Markus meinen ersten Marathon in Hamburg. Ich hatte vom Laufen und speziell vom Lauftraining zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Ahnung. Ich lief halt zur Frustbewältigung – wegen dem überraschenden Ende meiner damaligen Beziehung – immer meine zwölf Kilometer: sechs Kilometer bis zur Rheinbrücke in Rodenkirchen und sechs Kilometer zurück. Markus und ich beschlossen als Vorbereitung auf den Marathon, beim Osterlauf in Paderborn am Halbmarathon teilzunehmen. Es war mein erster Lauf mit einem Zeitchip und einer offiziellen Zeitmessung. Ich benötigte für die Strecke zwar respektable 1:37 Stunden, fand die ganze Schinderei ansonsten aber äußerst anstrengend. Viel weiter hätten mich meine Beine nicht mehr getragen. Doch zum Marathon war es nicht mehr lange hin. In der Zwischenzeit hatte ich mich etwas schlau gemacht. Lange Trainingsläufe waren die Zauberformel. Ich machte mich die verbleibenden Wochenenden bis zum Hamburg Marathon daran, 25 bis 27 Kilometer am Stück zu laufen. Da ich in Köln aber wenig Läufer kannte, fand ich das ausgesprochen langweilig. Markus pendelte zwischen Hamburg und Köln, er verbrachte die Wochenenden immer bei seiner Frau in Hamburg und fiel als Laufpartner für die langen Läufe leider aus.

Der Marathon lief für uns beide dann aber sehr gut. Ich hatte mich vorab informiert und wusste, dass es Tempomacher gibt, die – mit Luftballons gekennzeichnet – eine ganz bestimmte Geschwindigkeit einhalten. Ich wollte unter vier Stunden ins Ziel kommen, doch genau an dem Wochenende gab meine Uhr den Geist auf, also musste ich halt ohne starten. Nach einiger Zeit merkte ich, dass der Vier-Stunden-Mann mit dem Ballon irgendwie für mich zu langsam unterwegs war, also überholte ich die Gruppe. Im Ziel stellte ich dann fest, dass ich dem 3:30-Stunden-Pacemaker gefolgt war. Ich kam nach 3:26 Stunden ins Ziel, Markus war 20 Minuten schneller als ich, hatte jedoch gezielt dafür trainiert (was ich aber erst später erfuhr). Ich kann mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass mir Markus’ Frau Maria im Ziel die Schuhe aufbinden musste, da ich nicht mehr dazu in der Lage war.