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Nr. 184

– ATLAN exklusiv Band 45 –

 

In den Klauen der Maahks

 

Ein Mond wird zum Schlachtfeld – Arkoniden und Maahks kämpfen bis zum Untergang

 

von Hans Kneifel

 

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Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III., ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Nachfolge antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen und besteht ein gefahrvolles Abenteuer nach dem anderen.

Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch anderes zu tun, als sich mit Orbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zu suchen, dem Kleinod kosmischer Macht.

Atlan – er liebt Ischtar und sucht sie zu schützen – muss sich auch der Nachstellungen Magantillikens erwehren, des Henkers der Varganen, der die Eisige Sphäre mit dem Auftrag verließ, Ischtar unter allen Umständen zur Strecke zu bringen.

Gegenwärtig kämpft der Kristallprinz wieder einmal um sein Leben. Ein Mond wird zum Schlachtfeld. Arkoniden treffen mit ihren verschworenen Feinden zusammen – und Atlan befindet sich IN DEN, KLAUEN DER MAAHKS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Kristallprinz überlebt ein Inferno.

Grek – Ein Maahk wird Atlans Partner.

Zaroia – Eine hochgestellte Arkonidin, die Atlan verhört.

1.

 

Ich wusste, dass ich auf dem Flug in den Tod war.

Es war nur noch eine Frage der Zeit. Unruhe, Nervosität und Furcht beherrschten mich seit dem Augenblick, an dem ich in die Gefangenschaft der Maahks geraten war, damals auf dem Planeten des Kyriliane-Sehers ... und nur mein scheinbarer Wert als Tauschobjekt hatte mich bis jetzt am Leben erhalten. Die Maahks, die das varganische Raumschiff zum Teil ausgeplündert hatten, überließen mich in der Druckkabine meinen Ängsten und Visionen.

Denn ich hatte seit Tagen Visionen. Nach meiner Vorstellung wurden sie von einer Droge oder einem Stoff hervorgerufen, der sich in winzigen Mengen in der Atemluft dieser Überlebenszelle befand, vielleicht hervorgerufen durch einen undichten Filter oder eine schadhafte Dichtung. Jedenfalls beschäftigten sich sämtliche Visionen nur mit einem Thema:

Dem geheimnisvollen Satelliten.

Auch ich kann nicht hinter den Vorhang blicken, der sich vor der Zukunft befindet. Auch mir ist die Zukunft verschlossen! Eines jedoch ist sicher: Du hattest und hast genug Zeit, um deine Position in dieser verwirrenden Welt genau zu überdenken. Deine Lage ist jetzt nicht besonders gut, aber noch lebst du!

Mein Extrasinn schwieg wieder.

Richtig! Ich konnte sogar durch lange, ermüdende Übungen meinen Körper in Form halten. Ich konnte den Tagesablauf gestalten, wie immer ich wollte. Es gab nicht einmal Papier und Stift. Die einzige »geistige« Beschäftigung war gewesen, meinen Druckanzug zu testen und zu kontrollieren. Ich hob den Kopf – dort drüben hing die Schutzhülle. Sie würde, wenn die Übergabe stattfand, so gut funktionieren wie immer.

Ich, der angeblich so wichtige arkonidische Offizier, saß auf der harten Unterlage einer Art eingebauter Couch. Genau mir gegenüber war in die Wand der Druckkabine ein Bildschirm eingelassen, der bisher keine Sekunde lang funktioniert hatte. Eine Toilette, eine Waschgelegenheit, ein eingebauter Sitz und eine Schreibplatte, ein paar Haken für Kleidungsstücke an den Wänden und Decken aus einem flauschigen, unbekannten Material, das war alles, worüber ich verfügte. Der freie Boden zwischen den einzelnen Gegenständen war nicht größer als zwei Quadratmeter. Je länger ich hier war, desto mehr wuchs meine Furcht vor dem Zeitpunkt, an dem ich die Kabine verlassen musste.

So saß ich hier und träumte meine Visionen.

Außerdem hast du Angst vor dem Zeitpunkt, an dem du ausgetauscht werden sollst, erklärte mein Extrasinn.

Richtig! Ich fürchtete mich.

Ich war Gefangener der Maahks, und ich hatte keinerlei Informationen.

Ich kannte das Ziel nicht.

Aber in Wirklichkeit bist du überzeugt, dass das Ziel der GEHEIMNISVOLLE SATELLIT ist, sagte deutlich mein Extrasinn.

Ich hob die Schultern.

Es gab keinerlei Informationen. Die Nahrung, die mir auf einem Tablett durch eine kleine Schleuse hereingeschoben wurde, war eintönig, aber schmeckte nicht einmal schlecht. Ich hatte die Maahks im Glauben gelassen, ich sei ein wichtiger arkonidischer Offizier. In dieser Eigenschaft wollten sie mich mit großer Sicherheit gegen einen ihrer Greks eintauschen, der für sie ebenso wichtig war. Ich tat nichts, um sie über meine Person aufzuklären. In diesem Fall wäre ich schon hier im Maahk-Schiff getötet worden.

Du solltest deine Zeit nutzen, dich auf deine Rolle vorzubereiten!

Ich brauchte auch dafür Informationen.

Es gab keine Informationen.

Lediglich die Zeit verging. Die Sekunden reihten sich aneinander zu einem endlosen Strang. Das Schiff bewegte sich durch eine unbekannte Entfernung, mit einer unbekannt hohen Geschwindigkeit, einem Ziel entgegen, das ich mir nicht einmal vorstellen konnte.

Oder doch?

Gab es einen derartig unglaublichen Zufall, der das Ziel des Schiffes mit meinen wirren, phantastischen identisch werden ließ? Wo war die Welt, die angesteuert wurde? War es der Satellit, ein driftender kosmischer Körper, geheimnisvoll leer und von den unterirdischen Bauwerken durchzogen, die ich aus meinen Visionen kannte? Ich hockte hier, spürte mit den Knochen meiner Wirbelsäule die Vibrationen der fremden Maschinen und schloss die Augen. Ich war allein.

Allein mit meiner Furcht, den Visionen, die sich schnell einstellen würden, mit den korrigierenden Aussagen und Korrekturen der Logik meines Extrahirns, allein mit der indirekten Beleuchtung dieser stählernen Zelle, allein mit der Erwartung eines bestimmten Augenblicks.

Ich begann zu träumen.

Ich schlief nicht wirklich, sondern dieses Gift im Gasgemisch betäubte meine direkte Wahrnehmung. Ich schwebte wie eine Flaumfeder zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen der tödlichen Realität und der Fluchtwelt der Visionen. Vor meinem inneren Auge wurde es dunkel. Es gab nur noch eine unfassbar tiefe, kosmische Schwärze.

Wie ein Pfeil, wie ein abgefeuertes Projektil, schoss mein Verstand geradeaus in dieses Medium hinein und schien sich zwischen den winzigen, stechend scharfen Lichtpunkten zu verirren.

Die Vision begann erneut.

Sie begann immer mit diesem ersten Eindruck. Ich hatte mich scheinbar von meinem Körper gelöst und bewegte mich wie ein Phantom auf meine Phantasiewelt zu. Gleich würde sie erscheinen. Gleich würden mich die Geheimnisse des Satelliten gefangen nehmen und mich von meinen Ängsten befreien.

Aus der großen Dunkelheit schälte sich eine halbmondartige Form aus Lichtreflexen hervor.

 

*

 

Plötzlich gab es Licht.

Es ging von einer unerträglich grell strahlenden Kugel aus, einer Sonne, die zur rechten Seite im Dunkel des Weltraums erschien. Irgendwo in der Weite der Galaxis gab es diesen Satelliten, der jetzt immer deutlicher wurde. Ein riesiger Mond, dessen Oberfläche in vielen schillernden Farben prunkte. Ebenen und Krater, Flussbetten und Höhenzüge, weich modelliert und schattenwerfend, schälten sich aus der Masse der verwirrenden Eindrücke heraus.

Ich näherte mich der Oberfläche des Mondes, tauchte hinunter und stand plötzlich körperlich auf dem Boden dieser galaktischen Einöde. Ich besaß meinen Körper wieder. Aber ich konnte mich ohne Schutzanzug bewegen. Unter meinen Schritten stoben kleine Sandwolken und Staubschleier hoch, die von einem deutlichen Luftzug zur Seite geblasen wurden. Aber es war keine Atemluft, es waren vielmehr bewegte Gasmassen, die eruptiv aus der Tiefe des Bodens aufstiegen, sich eine Zeitlang hielten und dann in den Weltraum abdrifteten, weil die Oberflächenschwerebeschleunigung dieser Welt zu gering war.

Vor mir lag wieder die Ebene. Groß, weit, mit verschwimmenden Grenzen, von einigen goldgelb leuchtenden Bergzügen eingerahmt. Felsen ragten wie gichtig verkrümmte Finger aus dem Boden. Ich ging weiter und befand mich nach einer nicht messbaren Zeitspanne am oberen Rand eines schrägen, mit silbernem Staub bedeckten Hanges.

Wo würde heute der Eingang in das sublunare Reich dieses Satelliten zu finden sein?

Der große, hellgrau und golden gemusterte Platz der runden Ebene lag klar unter dem Licht der Sterne. Hinter dem Gebirge war die ferne Sonne versteckt. Die säulenartigen Felsen vor mir hatten eine braune Schattenfärbung. Langsam ging ich den Hang hinunter und an den Spuren vorbei, die ein Schiff hinterlassen hatte. Tief, bis auf den Fels und das Geröll hinunter, hatten sich die Landestützen eingegraben.

Vor Äonen musste hier eine Stadt gewesen sein. Während ich dem fernen Gebirge entgegenschritt und den wirbelnden Staub hinter mir ließ, schob sich immer mehr und deutlicher erkennbar im Sternenlicht die Burg zwischen den Felssäulen hervor. Ich hatte diesem Gebäuderest diese Bezeichnung gegeben. Die Würfel und Flächen in der Mitte von breiten Straßen und fast unkenntlichen Hausfronten deuteten darauf hin, dass es ein riesiges Bauwerk gewesen sein musste, dass sich über die Stadt und die Ebene erhoben hatte.

Vorübergehend verdrängte eine zweite Vision die erste.

Es war ein Sprung in der Zeit. Ich sah plötzlich die Stadt und die Ebene in den Jahren, da sie lebten und mächtig waren. Der Satellit war damals noch ein riesiger bewohnter Mond in der Bahn um einen Planeten. In diese Welt drang ich nun ein.

Weiße Gebäude entstanden plötzlich vor meinen Augen in einer unabsehbar großen blauen Fläche aus Bäumen und Vegetation, die bis zu den Hängen der Gebirge hinaufreichte. Eine runde Stadt, die dicht vor mir mit kleineren Gebäuden neben breiten Prunkstraßen begann, die in die Richtung des Zentrums immer mehr in die Höhe wuchs und schließlich ihren absoluten Mittelpunkt mit einem runden Hügel und der Burg darauf hatte. Die Burg war wirklich ein faszinierender Bau: groß, strahlend weiß, mit metallenen Verzierungen und leuchtenden silbernen Dächern und Kuppeln.

War sie die Zentrale der Stadt? Wurden von ihr aus sämtliche Einrichtungen gesteuert, die ich aus meinen anderen Visionen her kannte? Jene Gänge und Hallen, voll von lautlosen Maschinen und reichen Schatzkammern?

Ich befand mich plötzlich am Hauptplatz der Stadt.

Ich hatte mit einem einzigen Sprung die Mitte der riesigen Ebene erreicht. Hier teilte sich ein Flusslauf und zweigte in hundert kleine Wasseradern auseinander, die zwischen den Gebäuden bizarre und harmonisch eingefügte Kanäle, Wasserfälle und Teiche bildeten.

Ein Krüppel saß auf einer Brücke, hielt die Füße ins Wasser und drehte sich halb herum, als er meine Schritte hörte. Merkwürdig – heute trug er unverkennbar die Züge Fartuloons, des Bauchaufschneiders. Gestern hatte er anders ausgesehen. Alle Einwohner der Stadt, die in meinen Visionen aufgetaucht waren, sahen humanoid aus. Sie trugen die Gesichter von Menschen aller Planeten, die ich jemals gekannt hatte. Der Krüppel zuckte seine buckligen Schultern und wandte sich, als ich über die weiße Brücke ging, wieder dem murmelnden Wasser zu.

Drei große weiße Vögel glitten mit unhörbarem Flügelschlag über den weiten Platz und landeten in der Krone eines riesigen Baumes. Die Stadt lag verlassen unter dem Sternenlicht, aber es gab genügend Licht. Die Luft schien zu glühen wie Gas in einer elektrischen Röhre. Ich sah keine Schatten, aber durch diese vage Helligkeit schimmerten starr die Sterne.

Ich ging weiter.

Ich suchte den Eingang ins unterirdische Reich. Jetzt, in meiner Vision, sagte mir eine innere Stimme, dass ich diesen Eingang einmal brauchen würde. Er konnte mir das Leben retten. Wann? Wie? Auf welche Weise? Und wann würde ich die Stadt wieder betreten?

»Antwortet doch! Zeigt mir, was ich tun soll!«, rief ich laut und bewegte mich weiter auf die Burg zu.

Ohne Echo verhallte meine Stimme. Niemand kam und fasste mich an der Hand.

Über den Platz kam ein Mann in einem langen, schimmernden Umhang. Er sah mich und deutete nach links, in die Richtung der Kolonnaden. Ich wollte etwas rufen, aber der Fremde, der wie Ra aussah, schüttelte lächelnd den Kopf und eilte zurück in die Schatten.

Ich muss den Eingang suchen!, sagte ich mir.

Während ich auf die lange Reihe der Säulen zuging, die sich über einigen Stufen erhoben, belebte sich der Platz. Über die vielen Brücken kamen Menschen jeden Alters. Sie waren unvorstellbar prächtig und abwechslungsreich gekleidet. Sie kamen auf mich zu, schritten aneinander vorbei und bogen dann schnell ab, ehe sie mich erreicht hatten.

Andere ritten auf Tieren, die einem Fabelbuch entsprungen waren, über den Platz. Sie trugen seltsame Gegenstände in den Händen, die entfernt an bizarre Waffen erinnerten. Aber alles ging lautlos vor sich. Vögel rührten sich und zwitscherten in den Zweigen, die vielen Bäche und Fälle murmelten und brausten, der Wind summte zwischen den Gebäuden, und die Blätter der Vegetation rauschten. Aber keiner der Menschen, die wiederum bekannte Gesichter trugen, sprach ein Wort. Auch bewegten sie sich völlig lautlos.

Ich erreichte die Säulen und ging durch die Streifen von Licht und Schatten auf ein Tor zu, das sich am Ende der Säulen zeigte. Lautlos schwang vor mir ein hölzernes, mit schweren Metallbeschlägen versehenes Türblatt auf. Nach wenigen Schritten befand ich mich in einem zauberhaften Hof, der von einem Kreuzgang umgeben war. Hinter mir schloss sich die Pforte. Ich war allein.

Dieser Teil der Stadt war neu in meinen Visionen.

So weit war ich noch niemals vorgedrungen.

Ich ging bis zu einer Stelle zwischen Rundbögen, durchbrochenen Mauern und Pfeilern, von der aus ich den rechteckigen Hof genau sehen konnte. Dort war ein Miniaturgarten angelegt. Rasen und geharkte Sandflächen, Ziersteine und ein winziges Rinnsal, etwa ein halbes Dutzend Bäume und schmale Pfade aus kristallweiß leuchtendem Kies – alle diese Teile verbanden sich zu einem kleinen Park von betäubender Schönheit. Noch während meine Augen geblendet über diese Schönheit glitten, hörte ich Schritte vor mir. Plötzlich erfüllte beruhigende Musik den Hof und hallte zwischen den Kreuzgewölben wider. Hinter den Büschen sah ich die Bewegungen einer schlanken Gestalt in einem weißen Kleid.

Ich schwang mich über eine kniehohe Mauer hinaus in den Garten und sagte laut:

»Ich bin hier. Ich habe Fragen. Ich bin fremd.«

Dann hörte ich eine bekannte Stimme. Ich blieb ruckartig stehen, als ich erkannte, wer hier auf mich zukam.

Es war Ischtar, meine Geliebte. Die Goldene Göttin.

»Ischtar!«, stammelte ich. Sie lächelte und legte den Finger an die Lippen. Dann zerriss das Geräusch eines schnarrenden Summers die Ruhe. Sämtliche Gedanken und Visionen zerstoben wie Rauch im Sturm. Das Bild riss auf und zeigte die Wirklichkeit. Eine Tür fiel knallend zu. Die Sterne verschwanden, alles wurde hell.

Ich war allein.

Ein Blick zeigte mir, dass ich mich wieder in der Druckkabine befand. Mein zweiter Blick zeigte mir, dass der Bildschirm der Druckkabine noch immer stumpf und ohne Informationen war; und dann roch ich den Geruch des Essens.

Der Summer riss dich aus deinen Visionen!, meldete sich das Extrahirn.

»Ich weiß!«, knurrte ich, schwang mich von der Liege und ging auf den Tisch zu. Dort stand, wie immer zweimal am Tag – obwohl ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte und nicht wusste, wie viel Tage seit dem Start vergangen waren – das Tablett mit dem heißen Essen, dem Wegwerfbesteck und den Verpackungen, die keinerlei Aufschrift trugen. Ich kannte den Inhalt inzwischen und hatte seinen Geschmack auf der Zunge. Ich setzte mich schweigend auf den eingebauten Sitz und begann zu essen. Vor meinen Augen befand sich der haarfeine Spalt, der die Ausmaße der kleinen Schleuse bezeichnete.

Es gab für mich keinerlei Möglichkeit, aus diesem Raum entfliehen zu können. Das Schott, ebenfalls so genau eingepasst, öffnete sich nur nach außen. Ich aß und wartete weiter. Die Zeit verging. Minuten summierten sich unmerklich zu Stunden. Wie viel Tage war ich schon in dieser verfluchten Zelle?

Nach meiner Berechnung länger als sechs Tage unseres Zeitmaßes, warf mein Extrasinn ein.

Ich beendete das Essen, stand auf und legte mich wieder auf die dünne Matratze. Da es in der Zelle genügend warm war, rollte ich die Decke zusammen und schob sie unter meinen Kopf.

Ich schloss die Augen und atmete regelmäßig.

Ich fühlte mich allein und in Gefahr. Vermutlich produzierte mein Unterbewusstsein die übereinander und ineinander gestaffelten Visionen. Und es glückte mir – zum ersten Mal – genau dort wieder neu anzufangen, wo ich hatte aufhören müssen.

 

*

 

Ich erwachte wieder in der fremden Stadt.

Die Gräser funkelten von großen Tautropfen. Eine schläfrige Betäubung erfüllte die Szene, in der Ischtar auf mich zukam. Sie war jünger, an der Schwelle zwischen Mädchen und Frau. Aber es war unverkennbar Ischtar. Ich blieb stehen und hörte nur den Lärm der Vögel und meinen eigenen Herzschlag. Von einer Blüte flatterte ein riesiger Schmetterling auf. Er sah aus wie ein prunkvolles Stück Geschmeide.

»Wo bin ich hier?«, fragte ich leise, als Ischtar vor mir stehen blieb und mich schweigend anblickte.

»Ich kenne den Namen dieses Mondes auch nicht!«

Ich runzelte die Stirn und erklärte:

»Ich weiß, dass ich dich nur in einer Vision sehe. Alles hier ist Vision und Wachtraum. Aber hinter dem Schein muss irgendwo die Realität verborgen sein. Ich schlafe nicht, und ich war mindestens zwanzigmal in dieser Stadt. Das muss etwas zu bedeuten haben. Und du bist heute zum ersten Mal Bestandteil der Vision.«