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Thomas West

Zwei Thomas West Krimis: Verblendete Killer/Ein Bankraub zu viel





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Verblendete Killer

Krimi von Thomas West

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.

 

Ein muslimischer Geistlicher in England spricht eine Fatwa, ein Todesurteil, über drei Personen in New York aus, und zwei Leute machen sich auf den Weg, diese Urteile zu vollstrecken.

Trevellian und sein Kollege Tucker stellen schnell fest, dass es bereits einen gut organisierten Stützpunkt gibt, der Sprengstoff, Waffen und Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn das erste Todesurteil ist bereits vollstreckt.

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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1

Vor der Abendkasse standen die Leute Schlange. Und im Theaterfoyer standen sie sich auf den Füßen. Genauso hatte Sammy es sich vorgestellt. Er wühlte sich aus dem Eingangsbereich. Bevor er die Warteschlange an der Kasse erreichte, hatte er schon zwei Brieftaschen erbeutet.

Sammy hatte keine Ahnung von Theater. Schon gar nicht von dem modernen Zeug, was hier im 92nd Street Y abgezogen wurde. Aber er hatte sich gedacht, ein Skandalstück, das seit einer Woche hohe Wellen in der New Yorker Presse schlug, müsste eigentlich eine Menge Leute auf die Beine bringen. Volltreffer. Ein Gedränge wie in einer Sardellendose. Paradiesisch für einen Taschendieb.

Er rempelte eine rotblonde Frau. „O, sorry, Ma′am!‟ Sie funkelte ihn zornig an. Mit einem gequälten Lächeln besänftigte er die Lady. „Wahnsinnsgeschiebe hier ...‟ Sie winkte ab.

Sammy steckte ihre Geldbörse ein und peilte sein nächstes Opfer an. Der Schwarzhaarige mit der Hornbrille und dem weiten Trenchcoat, nur ein paar Schritte weiter, sah nach Geld aus. Sammy drückte sich nah an ihn heran, strauchelte, als hätte ihn jemand gestoßen, und ließ sein Zauberhändchen in die Außentasche des Trenchcoats zucken. Er tastete etwas Hartes, Rundes, mit gerippter Oberfläche. Und darunter einen leicht gewölbten, konischen Körper. Kalt fühlte sich das Ding an. Und gefährlich.

Sammys Hand zuckte zurück, als hätte sie versehentlich die Lefzen eines Pitbulls berührt ... „Sorry, Sir - ′ne Menge los hier heut′ Abend ...‟, stammelte er. Der Schweiß brach ihm aus.

„Kein Problem, Sir.‟ Der Mann lächelte höflich. So höflich, wie man in Manhattan normalerweise nicht lächelte, wenn man von einer Menschenmenge eingezwängt war. Ein Ausländer. Sammy registrierte seinen bronzenen Teint, das tiefblaue Schwarz seiner Haare und die semitischen Gesichtszüge. Ein Orientale. Der Kerl hatte nichts gemerkt. Gott sei Dank …

Sammys Herz klopfte, während er sich durch das Gedränge zurück zum Ausgang arbeitete. Seine Gedärme rumorten, sein Atem flog. Weg hier, nur weg hier, möglichst schnell, möglichst weit …

Draußen, auf dem Bürgersteig der Lexington Avenue fummelte er eine zerknauschte Zigarettenschachtel aus der Tasche seines Anzugs. „Ein Ei‟, murmelte er. „Der Teufel soll mich holen, wenn das kein Ei war ...‟

Sammy hatte ein Jahr lang bei den Army gedient. Sie hatten ihn zwar unehrenhaft entlassen, weil er die Kameraden beklaut hatte – aber wie sich eine Handgranate anfühlte, das hatte er gelernt in dem Jahr. Weiß Gott – das hatte er gelernt …

Nur flüchtig nahm der die vielen Leute wahr, die sich auf dem Bürgersteig vor dem 92nd Street Y versammelt hatten. „Wer dieses Theater besucht lästert den Herrn!‟, brüllten einige. Sammy sah ein Transparent. „Gott lässt sich nicht spotten‟, stand darauf.

Nichts, was Sammy interessierte. „Wieso schleppt dieses Arschloch ein Ei mit sich herum ...‟ Er hastete die Lexington Avenue herunter. „Was will dieses Arschloch mit einer Granate im Theater?‟

An der nächsten Kreuzung lief er in die 91. Straße hinein. Der Schock peitschte hundert Gedanken und Bilder durch sein aufgescheuchtes Hirn. Du greifst in eine verdammte Manteltasche, du glaubst, das Leder einer Brieftasche zu erwischen, oder ein Feuerzeug, oder einen Schlüssel oder weiß der Teufel was …

Er starrte auf den dunklen Asphalt. Wenigstens sprach er nicht mehr mit sich selbst. … und plötzlich hältst du ein Ei in der Hand ... Die Neonreklame einer Bar auf der anderen Straßenseite. … das glaubt mir kein Mensch. Das glaub′ ja ich mir kaum …

Sammy überquerte die Straße und betrat die Bar. Schummriges Licht, Rauchschwaden unter den tief gehängten, schwarzen Lampenschirmen, Stimmengewirr, Jazzklänge. Er setzte sich auf einen freien Barhocker und bestellte einen doppelten Bourbon.

Und wenn ich Idiot mich getäuscht hab ...?

Das Gefühl des kalten Materials schien ihm noch an den Fingerbeeren zu kleben. Die gerippte Oberfläche des Granatmantels, das glatte, gewölbte Bakelitgehäuse ... „Verflucht – es war ein Ei, der Teufel soll mich holen – es war ein Ei ...‟

Der Kellner stellte den Whisky vor ihm ab. Ein schlaksiger Jungfuchs mit Rastalocken. Student vermutlich. „Wie geht’s so?‟ Er grinste spöttisch. Ohne Sammys Antwort abzuwarten, schaukelte er ans andere Ende der Theke.

„Leck mich‟, knurrte Sammy in sich hinein. Er kippte den Bourbon hinunter. Das Bild des Schwarzhaarigen flimmerte auf seiner inneren Bühne. Die dunkle Haut, die braunen Augen, die vollen Lippen ... Das war einer von da unten, einer von diesen Allah-Freaks …

Hatte er nicht neulich erst wieder von einem Bombenanschlag gelesen? In Jerusalem, oder Kairo, oder weiß Gott wo. Ganz egal – das war einer von diesen Radikalen, ich schwör′s dir Sammy …

Er bestellte einen zweiten Whisky. So was ist dir noch nie passiert ... Schwein gehabt ... Noch eine Zigarette zwischen die Lippen.

Der zweite Whisky beruhigte ihn. Zunächst. Bis er an die vielen Menschen dachte, die jetzt um die nächste Ecke und einen Häuserblock weiter im 92nd Street Y-Theater hockten. Und mitten unter ihnen der Kerl in dem hellen Trenchcoat und mit der Hornbrille auf seiner Kameltreibernase. Der Kerl mit der Handgranate in der Manteltasche …

Wer weiß, was er noch alles mit sich herumschleppt ... wer weiß, was das Arschloch vorhat …

Und ihm fiel ein, was er da gestern über dieses Theaterstück in der New York Post gelesen hatte. „Christliche und islamische Fundamentalisten sprechen von Gotteslästerung und verlangen Verbot des Schauspiels...‟. Die Demonstranten vor dem Theater fielen ihm ein …

Wie gesagt – Sammy hatte keine Ahnung von Theater. Und von Religion schon gar nicht. Aber er konnte zwei und zwei zusammenzählen. „Ich muss die Polizei rufen‟, murmelte er.

Was willst du ihnen sagen, du Idiot? Dass du arglos deinen Job getan hast und plötzlich eine Handgranate statt einer Brieftasche in der Pfote hattest ...?

„Scheiß drauf – ich muss den Bullen Bescheid sagen ...‟



2

Sharon entdeckte Eve O′Sullivan neben der Treppe zur Empore. Die kleine, ganz in schwarzes Leder gehüllte Enddreißigerin mit dem roten Stoppelhaar lehnte gegen das Treppengeländer und rauchte. Unruhig wanderte ihr Blick über die Menschenmenge, die sich ins Foyer hinein wälzte.

Sharon drängte sich durch die Menge zur Treppe. „Hi, Eve!‟ Sie winkte.

Ein Lächeln des Wiedererkennens flog über das Gesicht der anderen. Sie winkte zurück. „Ich freue mich für dich.‟ Sharon schloss Eve in die Arme und küsste sie auf die Wangen. „Dein Stück ist Stadtgespräch. Gratuliere.‟

„Keine Ahnung, was überhaupt los ist.‟ Eve löste sich aus Sharons Umarmung. „Jahrelang interessiert sich kein Schwein für dich, und nur weil plötzlich ein paar Konservative auf die Barrikaden gehen, finden die Kritiker plötzlich ein Stück von dir ...‟ Eve spitzte die Lippen und mimte einen gestelzten Tonfall. „… bemerkenswert.‟

Sie kicherten. „Ist Mike auch da?‟, wollte Eve wissen.

„Was glaubst du denn?‟ Sharon deutete zu einer der beiden Türen, die in den Theatersaal führten. Dort stand mit verschränkten Armen ein großer, langhaariger Mann. Er trug einen abgeschabten Lederblouson und Jeans. Ein Brillenträger. Seine große Hakennase und sein mürrisches Gesicht fielen selbst auf diese Entfernung von fast zwanzig Schritten auf. „Ich hab′ ihn überreden können, sich zu rasieren für diesen Abend.‟

Eve lachte. „Seid ihr noch zusammen?‟

„Klar.‟ Sharon zog spöttisch den rechten Mundwinkel nach oben. „Wir arbeiten zusammen. Sonst verbindet uns genauso viel wie am ersten Tag – nichts.‟

Eve musterte die rotblonde, sieben Jahre Jüngere vergnügt. „Das sind die besten Voraussetzungen für lebenslange Beziehungen.‟ Sie kicherte. Sharon drückte der Älteren noch einen Kuss auf die Wange und stürzte sich wieder ins Gedränge.

Sie stolperte über irgendwelche Schuhe irgendwelcher Menschen. Ein fester Griff schloss sich um ihren Oberarm und hielt sie fest. Sie blickte auf – ein junges Gesicht fixierte sie. Ein dunkles Gesicht. Hinter den Gläsern einer Hornbrille ruhten starre, ausdruckslose Augen. Braune Augen.

„Danke‟, lächelte Sharon. Der Mann ließ sie los. Sein Lächeln wirkte bemüht.

Sharon vergaß das Gesicht sofort wieder. Sie drängte sich zu der Tür, an der Mike wartete.

„Wo steckst du‟, brummte ihr Partner. „Es geht gleich los.‟ Er drehte sich um und bohrte sich durch die Menschenmenge wie durch durch lästiges Gestrüpp. Egal, wo er sich aufhielt und bewegte – Michael Valezki wirkte immer ein bisschen so, als hielte er sich für einen der wenigen nicht überflüssigen Menschen auf der Welt.

Ein paar Minuten später saßen sie auf ihren Plätzen. Das Licht im Saal war noch an, aber das Getrampel und Gemurmel legte sich allmählich. Vier Reihen vor sich sah Sharon eine Gestalt, die ihr bekannt vorkam – der Mann in dem hellen Trenchcoat und mit der Hornbrille.

Ein Orientale sicher. Ein Palästinenser? Vielleicht auch ein Nordafrikaner. Sharon war sich nicht sicher. Sie registrierte beiläufig, dass er seinen Mantel anbehielt. Nichts Ungewöhnliches bei dem gemischten Publikum. Sharon hatte ihren Fellmantel an der Garderobe abgegeben. Mike aber gehörte auch zu denen, die sich nicht von ihrer Jacke oder ihrem Mantel trennen konnten.

Das Licht erlosch langsam. Das Stimmengewirr ebbte ab. Und dann öffnete sich der Vorhang …



3

Ich kann mich gut erinnern an diese Nacht. Viel zu gut. Wahnsinnigen begegnet man in unserem Job öfter mal. Aber einer Frau, die einem auf Anhieb den Schlaf raubt, eher selten.

Wir waren im East Village unterwegs. Milo steuerte unseren Dienstwagen, einen grauen Mercury. Langsam rollten wir die zwölfte Straße Richtung Campos Plaza entlang. Es war ein Frühsommerabend. Kurz vor acht würde ich sagen – es dämmerte bereits.

„Da ist es.‟ Milo deutete auf die Hausnummer und fuhr an den Straßenrand.

Ich griff nach dem Mikro. „Trevellian an Zentrale. Wir haben fragliche Adresse erreicht. Schauen uns die Burschen mal an.‟

„Okay. Die anderen sind auch schon bei ihren Zieladressen angekommen.‟ Clive Caravaggios Stimme. Er koordinierte den Einsatz von der Federal Plaza aus. „Dann greift zu. Und haltet uns auf dem Laufenden.‟ Wir stiegen aus. An der Haustür des Mietblocks sahen wir uns die Namen neben den Klingelschildern an.

Ein halbes Dutzend FBI-Teams waren an diesem Abend in Manhattan unterwegs. Die CIA hatte in den letzten Wochen mehrfach Alarm geschlagen. Den Kollegen aus Langley, Virginia, lagen beunruhigende Informationen ihrer ägyptischen Agenten vor: Eine radikale Gruppierung der Muslim-Men – der Muslim-Brüder – in Kairo versuchten ihre Terroristen in die Vereinigten Staaten einzuschleusen.

„Das ist der Name.‟ Ich deutete auf ein Klingelschild im dritten Obergeschoss: „Hosni Mussawi‟. Der Mann war vor zwei Wochen über den John F. Kennedy International Airport aus London eingereist. Mit gefälschten Papieren. Diese Nachricht aus Langley war unserem Chef erst am Vormittag dieses Tages auf den Schreibtisch geflattert.

Und nicht nur Mussawi. Mindestens vier weitere Männer hatten sich in den letzten Wochen mit gefälschten Dokumenten in Manhattan eingenistet. Deswegen also unsere Aktion an diesem Abend – mit sieben Teams wollten wir möglichst zeitgleich an verschiedenen Stellen des Big Apples zuschlagen.

Milo klingelte im Erdgeschoss. Der Türöffner summte, Licht flammte im Treppenhaus auf, wir traten ein. Auf dem Treppenabsatz stand eine alte Lady mit Morgenmantel und Lockenwicklern in den Haaren. „Verzeihung, Ma′am.‟ Milo zog seine Dienstmarke. „Wir müssen ins Haus, danke fürs Aufmachen.‟

Die Frau riss erschrocken die Augen auf. Sie wackelte zurück in ihre Wohnung. Schon auf der Treppe nach oben hörten wir ihre Sicherungsschlösser einschnappen.

Vor der Tür im dritten Stock entsicherten wir unsere Dienstwaffen. Ich drückte auf den Klingelknopf über dem Namen „Mussawi‟.

Schritte vor der Tür. „Wer ist da?‟ Die Männerstimme aus der Wohnung sprach ein Englisch mit hartem Akzent.

„FBI‟, sagte ich, „wir müssten Sie mal sprechen, Mr. Mussawi.‟

Einen Augenblick herrschte Stille hinter der Tür. „Moment bitte.‟ Dann wieder Schritte, rascher diesmal, und schließlich das Geräusch eines hastig hochgezogenen Fensters. Ein kurzer Blick meines Partners verriet mir seine Gedanken – sie deckten sich mit meinen: Mussawi versuchte über die Feuertreppe zu fliehen.

Wir zogen unsere SIG Sauer Pistolen, traten drei Schritte zurück, und warfen uns gegen die Tür. Sie sprang sofort auf. Ein spartanisch eingerichteter Raum. Kühlschrank, Matratze, zwei Stühle, eine Herdplatte auf einer Kommode. Auf einem Tisch eine Batterie Cola-Flaschen um PC und Monitor, und eine Menge loser Blätter. Drei Fenster – eines davon hochgezogen.

Wir stürzten ans Fenster – ein Stockwerk unter uns zwei Männer auf der Feuerleiter.

„FBI!‟, brüllte ich. „Stehen bleiben oder wir schießen.‟ Ein Schusssalve aus einer Maschinenpistole war die eindeutige Antwort – Kugeln ratschten über den Klinker der Hausfassade, schlugen über uns in ein Fenster ein, knallten gegen die Feuertreppe und pfiffen als Querschläger durch die Abenddämmerung.

Ich hielt dagegen. Milo zog sich ins Zimmer zurück und alarmierte über Handy die Zentrale. „Ich schneid′ ihnen den Weg ab!‟, rief er. Schon verschwand er wieder im Treppenhaus.

Eng an die Zimmerwand gedrückt feuerte ich in den Hinterhof hinunter. Von gezielten Schüssen konnte keine Rede sein. Ich wollte die Männer aufhalten, um Zeit zu schinden für Milos Angriff.

Die Bewegung links neben mir nahm ich aus den Augenwinkeln wahr – ich fuhr herum. Etwas knallte dumpf auf den Holzboden des Zimmers auf. An der offenen Badezimmertür ein Mann. Ich sah sein entschlossenes Gesicht, ich sah die Pistole in seiner Hand – und zog zweimal durch. Er stürzte nach hinten in die Badewanne. Jetzt erst sah ich das hässliche Ding keine zwei Schritte neben mir unter dem Tisch – eine Handgranate.

Draußen die Maschinenpistolen der Flüchtlinge, hier drinnen Granatsplitter – mein Instinkt traf die Entscheidung. Ich warf mich über das Fensterbrett und drückte mich flach auf das Laufgitter der Nottreppe. Die Explosion hallte über die Hinterhöfe. Glas und Fensterrahmen schossen aus der Hausfassade und fielen in den Hof. Glassplitter regneten auf mich herab.

Ich schoss einfach in den Hof hinunter, nur um die beiden Männer am Zielen zu hindern. Einen sah ich am Müllcontainer vor der Mauer zum Nachbarhof, den zweiten unten an der Feuertreppe – er hielt seine MP nach oben und jagte mir eine Salve nach der anderen entgegen.

Die Treppe dröhnte wie eine Glocke von den Einschlägen der Geschosse. Plötzlich ein einzelner Schuss – der Mann brach zusammen. Milo hatte ihn vom Treppenhaus aus angegriffen.

Der zweite hing schon auf der Mauerkrone. Was sollte ich tun? Einen Bewaffneten, der gerade bewiesen hatte, dass er zum Äußersten entschlossen war, entkommen lassen? Damit er irgendwo in Manhattan untertauchen und wer weiß wen massakrieren konnte? Ich musste schießen, und mir blieb keine Zeit zu zielen. Der Mann rutschte von der Mauerkrone, schlug auf dem Müllcontainer auf und blieb reglos liegen.

Zurück ins Zimmer – zertrümmerte Möbel, Computerteile, Papiere überall verstreut. Der Mann im Bad war blutjung. Ein schwarzhaariger, dunkelhäutiger Typ. Palästinenser oder Ägypter – Orientale jedenfalls. Er hing zusammengekrümmt in der Badewanne und atmete noch. Über Handy alarmierte ich die Ambulanz.

Als ich unten im Hof ankam, stürmten hinter mir zwei Cops ins Treppenhaus. Milo stand neben dem Müllcontainer und tastete die Halsschlagader des Mannes, der darauf lag. „Tot‟, sagte mein Partner.

Der zweite Bursche lag bäuchlings auf dem Hof. Seine Beine hingen noch zwischen den Stufen der Feuertreppe. Auch er hatte keinen Puls mehr. Beide Männer sahen aus, als würden sie aus einem arabischen Land stammen.

„In der Wohnung ist noch ein dritter‟, rief ich den Cops zu. „Schwer verletzt.‟ Die Uniformierten liefen die Treppen hinauf.

Milo machte ein bekümmertes Gesicht. „Ich hörte die Explosion, und dachte: Das ist unser letzter gemeinsamer Einsatz gewesen ...‟

„Bullshit!‟, zischte ich. „Diese Kerle sind verflucht gefährlich ...‟ Ich machte mir klar, dass der junge Mann im Bad ein Himmelfahrtskommando hatte: Er sollte uns aufhalten, um den anderen beiden die Flucht zu ermöglichen. Er wollte sein Leben opfern, um uns aufzuhalten. „Bullshit ...‟

Milos Handy dudelte in seiner Jackentasche. „Tucker?‟ Seine Miene verdunkelte sich, während er seinem Gesprächspartner zuhörte. „Verstanden‟, sagte er. „Clive.‟ Er steckte das Handy weg. „Der Abend hat gerade erst angefangen, Partner – in einem Theater in der zweiundneunzigsten Straße will jemand einen Mann mit einer Handgranate gesehen haben. In einem vollbesetzten Theater ...‟



4

Sie standen vor der Wand mit dem Stadtplan. Clive Caravaggio und Jonathan McKee. Die Männer sahen sich schweigend an. Clives Kaumuskeln pulsierten. Jonathan McKee, der Chef des FBI District Offices New York City, presste die Lippen zusammen. Sein Blick war todernst.

„Ein Araber?‟, sagte Jonathan McKee. „Hat er wirklich von einem Araber gesprochen?‟

Clive nickte. „Wenn es stimmt, Sir ...‟, sagte er leise. „Verdammt – wenn er die Wahrheit gesagt hat ...‟

„Von wo aus hat er angerufen?‟, wollte der SAC wissen.

„Er hat es nicht verraten.‟ Clive strich sich mit beiden Händen über den Kopf. Die Anspannung trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. „Auch seinen Namen wollte er nicht nennen. Er muss aus einer Bar angerufen haben. Im Hintergrund lief Musik – Jazz.‟

„Und er sprach von einer Handgranate?‟

„Er schwor, dass der Mann eine Handgranate mit sich herumträgt. In der Manteltasche ...‟

„Wie kann er wissen, was andere Leute in ihren Taschen haben?‟ Jonathan McKee wandte sich ab und ging langsam zum Schreibtisch von Clives Büro.

„Fragen Sie mich etwas Leichteres, Sir ...‟

Der SAC fuhr auf den Absätzen herum. „Würden Sie den Anrufer ernst nehmen, Clive?‟ Seine grauen Augen bohrten sich ins Gesicht des Agenten.

Clive nickte langsam. „Seine Stimme klang ... sie klang geschockt. Und aufgeregt.‟ Er nickte energischer. „Ja, Sir – ich würde den Mann ernst nehmen.‟

„Gut.‟ Jonathan McKee wandte sich dem Stadtplan zu. „Orry und Jennifer sind hier, am Riverside Museum. Jesse und Milo fahren jetzt gerade von der East Village los. Leslie und Jay in der South Bronx sind am nächsten dran.‟

„Sie werden in schätzungsweise zwölf Minuten in der Zweiundneunzigsten sein‟, sagte Clive. „Bis dahin kann es zu spät sein.‟

„Wenn es wirklich stimmt, was der Anrufer erzählt hat, dann können wir sowieso nur noch beten. Und Schadensbegrenzung betreiben. Rufen Sie das neunzehnte Revier an, Clive.‟ Jonathan McKee ging zum Schreibtisch und griff nach einem der Telefone. „Sie sollen ein paar Streifenwagen hinschicken. Wie hat der Anrufer den Mann beschrieben?‟

„Mittelgroß, schmal, schwarzhaarig, heller Trenchcoat, Hornbrille.‟

„Die Cops sollen das Theater weiträumig absperren. Ein Team soll in den Saal gehen, falls es vor Leslie und Jay vor Ort ist. Evakuierung von der hintersten Reihe an. Vielleicht können sie den Mann erkennen. Die Sicherheit der Schauspieler und Theaterbesucher hat oberste Priorität.‟

„In Ordnung, Sir.‟ Clive nahm ebenfalls einen der fünf Telefonhörer ab.

Jonathan McKee wählte die Nummer der Telefonzentrale. „McKee. Hören Sie zu, Linda – ich muss mit dem 92nd Street Y-Theater sprechen. Versuchen Sie, den Regisseur an den Apparat zu kriegen – es geht um Leben und Tod ...‟



5

Sharon lachte laut. Das abgefahrene Stück machte ihr Spaß. Apfelschnaps hieß es. Auf der Bühne ging es zu, wie bei einer wilden Fete.

Gut zwanzig Schauspieler tummelten sich vor einer blutroten Kulisse: Abgerissene Penner, Transvestiten mit aufgedonnerten Frisuren und Klamotten, Punks, Typen in Nadelstreifentuch und so weiter, und so weiter.

Hinter ihnen, vor der Kulisse, zog sich ein Stacheldraht quer über die Bühne. Dahinter war ein Baum zu sehen. In seinem Geäst hing die Box, aus der die bekiffte Stimme von Axel Rose und die unverwechselbaren Klänge seiner entfesselten E-Gitarre drangen.

Auch ein paar nackte Männer und Frauen befanden sich unter dem bunten Volk auf der Bühne. Die ganze Gesellschaft tanzte zu Axel Rose′ Knockin on Heavens Door. Nur drei Männer nicht – sie trugen lange, schwarze Gewänder und starrten todernst ins Publikum hinunter.

Sharon beugte sich zu Mike, der neben ihr saß. „Sollen das Priester oder so was sein?‟, flüsterte sie.

Ihr Partner machte ein ähnlich versteinertes Gesicht wie die drei Figuren in den schwarzen Umhängen auf der Bühne. „Das sind Jesus, Mohammed und Buddha‟, flüsterte er.

Am wildesten tanzte eine Frau. Sie war in ein loses weißes Tuch gehüllt. Während ihres Tanzes öffnete sich das Tuch, und man sah ihre Brüste und das dunkle Dreieck zwischen ihren Beinen. Auf der Rückseite des Umhangs war ein Paar kleiner, goldener Flügel angenäht. Sharon hatte schnell begriffen, wen diese halbnackte Tänzerin darstellen sollte – den Erzengel Michael, der den Eingang zum Paradies bewachte.

„Gegen Eves Stück sind unsere Comics ja religiöse Erbauungsliteratur‟, kicherte Sharon in Mikes Ohr.

„Jetzt halt endlich mal die Klappe‟, fauchte ihr Partner.

„O Verzeihung.‟ Sharon mimte die Hochachtungsvolle. „Sir Michael Valezki will sich ungestörtem Kulturgenuss hingeben ...‟ Grinsend betrachtete sie den vierzigjährigen Griesgram. In den vier Jahren ihrer Zusammenarbeit hatte sie sich an seine chronisch schlechte Laune gewöhnt. Selbst wenn er die witzigsten Comics zeichnete, machte er ein Gesicht, als hätte man gerade seinen Hund vergiftet. Sharons Aufmerksamkeit konzentrierte sich wieder auf das chaotische Treiben auf der Bühne.

Der halbnackte Erzengel hatte sich inzwischen eine Drahtschere geschnappt und zerschnitt den Stacheldraht – den Zaun vor dem Paradies. Grölend strömte das bunte Volk durch die Lücke. Die drei schwarz Verhüllten schlossen sich der Menge an, aber der Erzengel stellte sich ihnen in den Weg und bedrohte sie mit der Drahtschere. „Ihr kommt hier nicht ′‚rein, bevor ihr nicht einige von euren Klugscheißereien zurücknehmt, mit denen ihr die arme Menschheit verwirrt habt ...‟

Sharons Blick fiel auf einen Mann, vier Reihen weiter vorne. Der Orientale mit der Hornbrille und dem Trenchcoat. Langsam erhob er sich. Tief gebeugt drängte er sich an den Zuschauern seiner Reihe vorbei zum Mittelgang. Die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben …



6

Sergeant Roger Castle steuerte seinen Streifenwagen die Lexington Avenue hinunter. Beleuchtete Häuserfassaden flogen vorbei, an den Kreuzungen die Kühlerhauben der Fahrzeuge aus den Seitenstraßen. Bremsen quietschten, Castle fuhr Slalom zwischen Gegenverkehr und Autos, die nicht ausweichen wollten.

Castles Partner, Officer Kenneth Miler, bekreuzigte sich. „Himmel, Roger!‟, schrie er. „Geh vom Gas! Du musst kein Extremrennen fahren, es geht nur um einen beschissenen Einsatz, kapiert?!‟

„Ein Terrorist mit ′‚ner Granate im Theater‟, knurrte Castle. „Darum geht’s, und nicht um irgendeinen Einsatz ...‟

„Wer, zum Teufel, hat gesagt, dass wir als erste am Einsatzort sein müssen?!‟ Mit beiden Händen hielt Miler sich am Griff über dem Beifahrerfenster fest. „Du liest doch Zeitung, Sarge! Die Typen schrecken vor nichts zurück! Ich will nicht befördert werden!‟

„Du bist und bleibst ein Loser, Ken ...‟ Eine Ampel tauchte auf. Die Kreuzung zur 92. Straße. Das Theater. Castle stieg in die Bremsen.

„Das Trassierband!‟, brüllte er seinen Partner an. Bevor der sein Gurtschloss fand, war Castle schon aus dem Wagen gesprungen.

Er rannte auf die Menge zu, die sich vor dem Theatereingang aufhielt. Die Leute skandierten irgendwelche Sprüche, die Castle nicht verstand, und die ihn auch nicht interessierten. „Weg hier!‟ Er zog seine Dienstwaffe. „Verschwinden Sie!‟ Die Menge wich zurück. „Los, los! Oder wollen Sie sich eine Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt einhandeln!‟

Polizeisirenen näherten sich. Zwei aus der anderen Richtung der Lexington Avenue, eine aus der 92. Castle sah seinen Partner mit einer Rolle Trassierband heran schaukeln. Die drei Streifenwagen stoppten, Wagentüren wurden aufgestoßen, Cops stülpten sich ihre Mützen auf die Köpfe und liefen mit großen Schritten herbei.

„Sperrt den ganzen Block ab!‟, rief Castle. „Wir brauchen Platz für die Ambulanzen und die Feuerwehr!‟

„FBI schon hier?!‟, schrie einer der Cops. Castle hörte es nicht. Er hetzte die Treppe hoch und stieß die Tür zum 92nd Street Y auf. Kein Mensch im Foyer. Die beiden Frauen hinter dem Garderobentresen beäugten ihn verblüfft.

„Bombendrohung‟, zischte der Sergeant. „Raus hier.‟ Er sah sich um. Die vielen Türen irritierten ihn. „Durch welche der Scheißtüren komme ich so in den Saal rein, dass mich nicht gleich jeder sieht?!‟

Die Frau hatten schon die Klinken der Ausgangstüren in der Hand. Eine drehte sich um und zeigte auf die letzte der Saaltüren. „Durch die kommen Sie auf der Höhe der letzten Reihen in den Saal‟, sagte sie mit dünner Stimme.

Castle stürmte zu der Tür. Er lauschte. Musik und laute Stimmen drangen aus dem Saal nach draußen. Das Stück war in vollem Gang. Was sollte er machen? Er wusste, dass die Federal Plaza sich mit dem Theater in Verbindung gesetzt hatte. Aber das Stück lief noch. „Verdammt – was soll ich machen ...?‟

Behutsam drückte er die Klinke hinunter und öffnete die Tür einen Spalt. Die Musik wurde lauter. Er blinzelte in das Halbdunkel des Saales. Zahllose Köpfe und vorn auf der hellen Bühne ein Riesenspektakel.

Wie sollte er in dieser Menschenmenge einen einzelnen Mann finden? Einen Mann, von dem er nur wusste, dass er arabisch aussah – was immer das heißen mochte – und einen Trenchcoat trug. Und nicht zu vergessen die Hornbrille. Vermutlich gab es in diesem dunklen Saal zwanzig oder dreißig Männern mit Hornbrillen …

Castle stutzte. In einer der vorderen Reihen sah er die Umrisse eines Mannes. Der arbeitete sich an den sitzenden Zuschauern vorbei zum Mittelgang. Als er den erreichte, richtete er sich auf. Castles Hand fuhr zum Kolben seiner Dienstwaffe. Der Mann trug einen Trenchcoat. Und tatsächlich – die Brille in seinem Gesicht schien eine Hornbrille zu sein …



7

Die Zuschauer waren ganz bei der Sache. Eve O′Sullivan konnte die konzentrierten Gesichter sehen. Sie hörte Gelächter an den richtigen Stellen, sie sah betroffene Mienen an den richtigen Stellen. Und hin und wieder entdeckte sie auch jemanden, der empört den Kopf schüttelte.

Auch gut. Eve gehörte nicht zu den Theaterautoren, die es allen Recht machen wollten. Und der heftige Widerspruch von Teilen der Presse hatte ihr eine Menge Publicity gebracht. Und schon den siebten Tag ein volles Haus.

Sie stand hinter dem Proszenium – also dem seitlichen Vorhang, der die Bühne begrenzte – und blickte ins Publikum hinein. Der Mann in der siebten Reihe, der sich an den Knien der anderen Zuschauer vorbei zwängte, schien die Schnauze schon voll zu haben. Eve grinste. Bei jeder Vorführung hatten ein paar Leute die laufende Vorstellung verlassen. Sie betrachtete das als Kompliment.

Eine Hand berührte sie von hinten an der Schulter. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Der Regisseur. Er machte ein Gesicht, als sei ihm gerade eben gekündigt worden.

„Wir müssen abbrechen, Eve‟, flüsterte er.

„Bist du bescheuert?‟

„Das FBI hat gerade angerufen – die Feds halten es für möglich, dass ein Bombenanschlag geplant ist ...‟

„Was erzählst du da ...?‟ Eve hielt den Atem an. Gleichzeitig sah sie die Schlagzeile vor sich. „Bombendrohung unterbricht Apfelschnaps‟ Gute Publicity. Wann hatte es das zuletzt gegeben?

„Wie zum Teufel willst du das hinkriegen?‟ Sie blickte zurück in den Saal. Der Mann, der genug von dem Stück hatte, stand jetzt im Mittelgang. Doch statt nach hinten zu einem der Ausgänge, ging er noch vorn in Richtung Bühne …



8

Rotlichter blinkten, Menschenmassen standen vor dem Trassierband. Die Reifen unseres Mercurys schrien, als Milo auf die Bremse stieg. Wir stiegen aus und spurteten auf die Wand aus menschlichen Rücken zu.

„Platz machen, FBI!‟, brüllte ich. „Lassen Sie uns durch!‟

Die Leute wichen auseinander. Erschrockene Gesichter überall. Und faszinierte Gesichter. Die Gaffer genossen ihre Late Night Show – an diesem Abend Live. Kalte Wut packte mich. „Gehen Sie nach Hause, zum Teufel, wenn Ihnen was an Ihrer Gesundheit liegt!‟

„Und an einem vorstrafenfreien Lebenslauf‟, knurrte Milo hinter mir. Wir sprangen über das Trassierband.

„Eure Kollegen sind schon drin‟, sagte einer der vielen Cops auf der Vortreppe. Im Foyer trafen wir auf Jay Kronburg und Leslie Morell.

„Wir sind grade erst eingetroffen‟, sagte Jay. „Ein Polizeisergeant sei angeblich da drin.‟ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Saaltüren.

„Clive hat nochmal angerufen‟, sagte ich. „Wir sollen unter allen Umständen das Theater räumen.‟

„Ich weiß‟, knurrte Jay. „Aber die Idioten haben noch nicht einmal die Vorstellung abgebrochen.‟

„Okay.‟ Milo zog seine SIG. „Dann reden Jesse und ich jetzt mit dem Regisseur.‟

Jay nickte. „Und wir gehen in den Saal ...‟



9

Sergeant Castle hatte sich an der letzten Reihe vorbei auf den Mittelgang geschlichen. Schritt für Schritt näherte er sich dem Mann. Der lief auf die Bühne zu. Von dort aus beschallte immer noch Rockmusik den Saal. Die Leute rechts und links von Castle begannen zu tuscheln. Wellenartig breitete sich die Unruhe über das ganze Theater aus. Nur die Schauspieler schienen nichts zu merken. Die Bühnenscheinwerfer blendeten sie.

Castle lief schneller. Er richtete seine Waffe auf den Rücken des Mannes. Unmöglich, in diesem vollbesetzten Saal zu schießen. Das wusste der Sergeant genau. Aber wenn der Mann tatsächlich eine Handgranate bei sich trug, wenn es tatsächlich ein Terrorist war, wenn er das verdammte Ding scharf machte – es würde mehr Opfer geben, als eine verirrte jemals Kugel kosten konnte.

Castle sah, wie der Mann die rechte Hand aus der Manteltasche zog. Und er sah das mehr als faustgroße, ovale Ding in seiner Hand. Castles Herzschlag schien plötzlich seinen Brustkorb sprengen zu wollen. Die Granate ... die verdammte Granate ... Mit beiden Fäusten packte er seine Dienstwaffe hoch.

„Hände hoch!‟, schrie er …



10

Für einen Moment dachte Sharon allen Ernstes, die beiden Männer wären Schauspieler, und ihr Auftritt würde zum Stück gehören. Erst als der Mann im Trenchcoat sich in die Reihe der Zuschauer warf, begriff sie, dass sich eine Katastrophe anbahnte.

Sie stieß einen Schrei aus und klammerte sich an Mikes Arm fest. Plötzlich schrien alle durcheinander. Die Leute sprangen auf und drängten aus den Sitzreihen. Mike blieb sitzen und blickte um sich, als wäre das ausbrechende Chaos für ihn weiter nichts, als eine besonders interessante Szene des Stücks.

„Wir müssen raus hier, Mike!‟, schrie sie ihn an.

„Uns tottrampeln lassen?‟ Er schüttelte den Kopf.

Sharon stand auf und wollte ihn hochziehen. Von überall her drangen jetzt panische Schreie. Und das Getrampel unzähliger Schritte. „Wir müssen raus!‟, kreischte Sharon.

Ihr Partner zog sie zu sich herunter. „Still jetzt‟, zischte er. „Tief durchatmen!‟ Mit seinen großen Händen packte er ihren Kopf und fixierte sie. Hinter seinen dicken Brillengläsern wirkten seine grünen Augen unnatürlich groß. Wie kleine, exotische Tiere.

„Niemand kann seinem Schicksal entgehen.‟ Er rutschte von seinem Sitz und zog Sharon mit sich auf den Boden hinter den Stuhllehnen. „Mach dich klein, kauer dich zusammen‟, befahl er.

Im nächsten Moment übertönte eine Explosion das Geschrei und das Getrampel der Schritte …