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Kapitel 1
Meer in Sicht

Kapitel 2
Ruhnu und das Segeln in einer Schüssel

Kapitel 3
Pärnu und die Dirndl von Kihnu

Kapitel 4
Tallinn und die Frage: Mart oder Mädchen

Kapitel 5
Russland und Mittsommertanz im Nebel

Kapitel 6
Rauma und ein Leuchtturm-T-Shirt

Kapitel 7
Öregrund und ein paar Gedanken zum Glück

Kapitel 8
Stockholm und noch mehr Anfängerfehler

Kapitel 9
Kristianopel und alles voller Bäckermützen

 

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Ich glaube mittlerweile zweifelsfrei, dass unser Bewusstsein die Realität bestimmt und dass die wahrscheinlich größte irdische Macht unsere Gedanken sind. Unsere Ängste wirken als negative Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen, und häufig sind wir in Geiselhaft von Bedrücktheiten über Unabänderliches, das war, und Befürchtungen über Unvorhersehbares, das kommen wird. Darüber versäumen wir das Beste, was wir haben: unser Jetzt.

Julian Passauer

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Meer in Sicht

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Manche Menschen werden seekrank. Ich werde landkrank. Wenn ich längere Zeit nicht auf dem Wasser war, werde ich unruhig, und seit meinem letzten langen Törn wurden die Symptome von Sommer zu Sommer schlimmer. Zwar nutzte ich jede Gelegenheit zu segeln, aber das waren alles nur Kurztrips, die bei Weitem nicht ausreichten, mich zu kurieren. Als Francis Chichester nach seiner ersten Weltumsegelung gefragt wurde, ob er so etwas noch mal machen würde, knurrte er: »In dieser Woche nicht mehr.« Was hätte er auch sonst antworten sollten? Er wusste doch so gut wie jeder andere, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann er wieder in See stechen würde.

Denn so sicher wie das Amen in der Kirche: Wer sich einmal mit dem Virus infiziert hat, der ist geliefert. Aufenthalte an Land lassen sich zwar ab und zu nicht vermeiden, aber wozu sollen sie gut sein, wenn nicht dazu, den nächsten Törn vorzubereiten. Mein letzter war inzwischen schon fünf Jahre her, nun musste ich unbedingt wieder los. Ich hatte nicht die Welt umsegelt (und habe das in absehbarer Zeit auch nicht vor), ich war einfach nur in der Ostsee nordwärts gesegelt, bis es auch nachts nicht mehr dunkel wurde. Aber genau das, dieses Segeln im Mittsommerlicht, das war’s, was mich nicht losließ. Das wollte, das musste ich noch mal haben. Nur das, da war ich mir sicher, könnte mein Leiden lindern.

So klar wie diese Erkenntnis, so offensichtlich war allerdings auch mein Problem: Ich hatte gar kein Boot. Mein Folkeboot hatte ich damals verkauft. Im Freundeskreis sparten sie nicht mit guten Tipps, wie und wo ich günstig eins bekommen könnte, aber nur einer, Jasper, machte einen wirklich konkreten Vorschlag. Er hatte ein Boot, und das würde er mir leihen. Mal ehrlich: Wie viele Bootsbesitzer gibt es bitteschön, die dazu bereit wären? Zuerst war ich sprachlos, dann war ich begeistert, und dankbar bin ich immer noch. Jetzt konnte ich nämlich anfangen zu planen, und augenblicklich besserte sich auch mein Zustand. Nun ist man ja auch – oder gerade – als Alleinsegler nicht ständig auf dem Wasser. Die Reise geht von Hafen zu Hafen, und wo immer ich über den Bugkorb klettere, bin ich neugierig auf das Land und auf die Leute. Was hatte ich auf meinem Ostsee-linksherum-Törn für tolle Menschen getroffen! Interessante, lustige, hilfsbereite Segler und Nichtsegler, mehr oder weniger zufällige Begegnungen im Vorbeisegeln. Aus einigen waren nähere Bekanntschaften geworden, von denen manche sogar bis heute bestehen. Deshalb beschloss ich, diesmal auf meinen Landgängen genauer hinzuhören. Ich würde den Leuten aufs Maul schauen und aufschreiben, was ich zu hören bekam. Jeder hat schließlich eine Geschichte zu erzählen. Als Alleinsegler, so meine Erfahrung von damals, knüpft man überall problemlos Kontakte. Auch ohne Estnisch oder Finnisch; mit Englisch kommt man um die ganze Ostsee.

Ich überwand sogar meine Vorbehalte gegen Facebook und richtete einen Blog ein, auf dem ich schon von unterwegs kurz berichten wollte. Außerdem war ich gespannt, ob sich darüber nicht vielleicht sogar ein paar Kontakte ergeben würden. In fast allen Häfen auf der Route hatte ich schon beim vorigen Mal eine Internetverbindung vorgefunden – diese Entwicklung war sicher nicht stehengeblieben, sodass ich damit rechnen konnte, fast von überall her Fotos und Texte posten zu können.

Natürlich wollte ich auch diesmal gern wieder solo segeln, aber nicht mehr so oft und so lange wie voriges Mal. Jaspers Boot erschien mir dafür ideal. Ein stabiles kleines Schiff aus Holland, Typ Hurley 800. Äußerlich mit rund acht Meter Länge kaum größer als mein Folke, hatte sie unter Deck die Dimensionen eines Tanzsaals. So jedenfalls kam es mir vor, verglichen mit dem Platzangebot, das ich gewohnt war. Auf jeden Fall groß genug für eine Zweiercrew. Die TUNØ war schon über 35 Jahre alt, aber prima in Schuss. Ausgerüstet mit Großsegel und Fock, einem Gennaker und: einem Einbaudiesel. Nach der Quälerei mit dem Außenborder auf meinem letzten Törn erfreute mich das ganz besonders. Der Motor wurde im Winter gewartet, das Unterwasserschiff von einem Bootsbauer saniert, das stehende und das laufende Gut kontrolliert, noch ein bisschen Ausrüstung angeschafft, dann war die TUNØ startklar. Und ich war es auch.

 

DIENSTAG, 17. Mai Alle Klamotten sind an Bord, der Proviant ist verstaut. Der tagelange Ostwind ist in einen frischen Nordwest übergegangen. Der Himmel über der Ostsee ist grau wie Blei. Am frühen Morgen sind die Böen noch mit Stärke 7 über die Kieler Förde gerauscht. Jetzt, um die Mittagszeit, ist es etwas ruhiger geworden. Sanne, meine Komplizin und Ehefrau, hat uns hierhergebracht, nun fährt sie mit dem leeren Auto zurück nach Hamburg. Mindestens zwei Monate werden wir uns nicht sehen, dann will sie mich besuchen kommen. Noch keine einzige Meile gesegelt, aber darauf freue ich mich jetzt schon. Ich blicke ihr hinterher, bis die Rücklichter verschwunden sind.

 

Ganz allein bin ich ja erst mal nicht. Jasper wird mich bis nach Schweden begleiten, das macht das Lossegeln leichter. Die Strecke möchte ich eigentlich in zwei bis drei langen Schlägen durchsegeln. Zuerst nach Bornholm und dann über die Hanöbucht, und da ist man sowieso besser zu zweit an Bord.

Nicht nur wir sind heute tatendurstig, die Bundeswehr ist es auch. Sie hat die Hohwachter Bucht zum Kriegspielen gesperrt und wir müssen ganz außen rum. Das kostet Zeit. Weil wir außerdem ziemlich schnell feststellen, dass wir ein Energieproblem haben, beschließen wir, noch einen Stopp zu machen und laufen am Abend Orth auf Fehmarn an. Die Verbraucherbatterie schwächelt; das ist nicht gut, wenn man sich zu einem Dreimonatstörn aufmacht. Wir haben Glück, der Hafenmeister kennt einen Schiffselektriker, der tatsächlich am nächsten Morgen noch Zeit für uns hat. Er macht seine Tests und muss uns dann leider mitteilen, dass die Batterie mausetot ist. Sie wird sofort ersetzt, aber die Lichtmaschine hat auch eine Macke. Mal lädt sie, und mal lädt sie nicht. Das können wir aber jetzt und hier nicht ändern. Und meistens lädt sie ja.

Um 11:00 Uhr sind wir wieder auf dem Wasser. Der Himmel ist wolkenlos, dafür kommt der Wind jetzt aus Südost. Nachdem wir durch die Fehmarnsundbrücke und die anschließende Rinne motort sind, gehen wir an die Kreuz. Wir haben die Zeit in Drei-Stunden-Wachen eingeteilt, das ist ein sehr entspannter Rhythmus. Als ich um 21:00 Uhr übernehme, hat der Wind direkt auf Ost gedreht und ist dabei, sanft zu entschlummern. So wird das nichts mit unserem Plan, morgen Bornholm zu erreichen. Um Mitternacht sehen wir die Molenfeuer von Warnemünde an Steuerbord, so weit hat uns die Kreuzerei nach Süden versetzt. Inzwischen läuft allerdings der Motor, und der einzige Luftzug, den wir spüren, kommt vom Fahrtwind. Darßer Ort querab um 6:00 Uhr morgens. Hier hätten wir schon die Entscheidung treffen sollen, zu der wir uns erst Stunden später durchringen, als wir schon fast nördlich von Hiddensee sind: Kursänderung Richtung Klintholm. Bis wir da sind, ist es schon wieder Abend. Der Wind, der spinnt, wir wollten es nur nicht wahrhaben.

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Die Kreidefelsen von Mønsklint leuchten in der Morgensonne, aber das ist nur ein schwacher Trost für den schwachen Wind. Der dreht von einem Tag auf den anderen mal eben um 180 Grad. Heute kommt er wieder aus Südwest. Wir versuchen es sportlich zu nehmen, setzen den Blister und probieren jede erdenkliche Segelstellung. Mit Groß als Schmetterling, oder ein bisschen höher am Wind, dann, als der Blister in der Abdeckung immer einfällt, auch mal ohne Groß – egal, mehr als zwei, drei Knoten Fahrt sind einfach nicht drin. So dümpeln wir durch den Tag, der warm und sonnig ist, und in die nächste Nacht hinein.

Die allerdings verdient das Prädikat »magisch«. Ich habe die Mitternachtswache. An Backbord voraus blinkt das Leuchtfeuer Sandhammeren. Darüber steht leuchtend hell und klar das große W der Kassiopeia, und um mich herum glitzert das Wasser im Licht eines übernatürlich großen Vollmondes. Ab und zu ziehen lockere Wolkenfelder ein Waffelmuster über den Nachthimmel.

Kurz nach Tagesanbruch ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Um 8:00 Uhr sind wir eingehüllt in dichten Nebel. Dabei ist es windstill. Die Maschine brummt. Angestrengt lauschen wir, ob wir Nebelhörner hören, das eigene immer griffbereit.

KIEL-STICKENHÖRN | DIENSTAG, 17. MAI

Für mich als Segler vom Ratzeburger See, der erst seit drei Jahren auf der Ostsee unterwegs ist, ist das Mare Balticum, von dem ja manche behaupten, es sei nur eine überschwemmte Wiese, die große, weite Segelwelt. Abgesehen vom Segeln verbinden mich mit der Ostsee auf jeden Fall die vielen Taufen, die ich in den letzten Jahren in – nicht an! – der Ostsee vollzogen habe. Seit 2005 findet jede Sommerferien unser elftägiges »Konficamp« statt. Von den teilnehmenden bis zu 150 Konfirmanden sind etwa ein Viertel noch nicht getauft. Das holen wir im Camp nach. Der Taufgottesdienst wird am Strand, in unmittelbarer Wassernähe, gefeiert. Meine Täuflinge dürfen alle selbst entscheiden, ob sie wie in der Kirche am Taufstein dreimal Wasser auf den Kopf geschöpft bekommen, oder aber beim Aussprechen der Taufformel dreimal untertauchen wollen. Die meisten entscheiden sich für das Untertauchen. Meine schönste Erinnerung an eine dieser Taufen ist vom Flügger Strand auf Fehmarn. Nach drei Tagen mit West 5 bis 6 hatte sich eine prachtvolle Brandung entwickelt, die die Frage nach dem Untertauchen ganz erübrigte: Dafür sorgten die Wellen. Ich brauchte nur im Wellenrhythmus zu sprechen »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«.

JASPER, DER EIGNER DER TUNØ, IST PFARRER IN HAMBURG

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UTKLIPPAN | SONNABEND, 21. MAI

Mein Lebenstraum war immer ein großer Törn, Atlantiküberquerung oder so. Aber das hat nie gepasst mit Familie und Beruf. Normalerweise segele ich auf der Rurtalsperre. Seit letztem Monat bin ich pensioniert, nun wird es die Ostseerunde. Am 27. April habe ich mein Boot an die Schlei getrailert und in Schleswig zu Wasser gelassen. Im Schneetreiben! Bis August habe ich Zeit. Haparanda, ja, das wäre natürlich schön.

SIEGFRIED AUS DER EIFEL SEGELT EINE RETANA 25

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BYXELKROK | MONTAG, 23. Mai

Jeder Russe wünscht sich doch eine Datscha. Aber weißt du, was der Nachteil ist? So eine Datscha steht immer am selben Fleck. Immer dieselbe Umgebung. Deshalb habe ich mir ein Schiff gekauft: Das ist meine Datscha. Ende April haben wir das Boot in der Nähe von Stockholm übernommen. Bis jetzt bin ich immer nur im Mittelmeer gesegelt, und eigentlich war mein Plan, da auch so schnell wie möglich hinzukommen. Dann wären wir jetzt schon irgendwo in Holland. Aber wir hatten ja keine Ahnung, was uns hier erwartete. In den Schären haben wir fast das Steuern vergessen, so schön war es da. Woher hätten wir das wissen sollen? In Russland hat man diese Gegend überhaupt nicht auf dem Schirm. So viele schöne Häfen und Städte. Gestern waren wir noch in Visby, was für eine tolle Stadt! Also haben wir unsere Pläne geändert und sind nun immer noch hier, weil wir nichts verpassen wollen. Nur die Zeit, die läuft uns allmählich davon. In zwei Wochen müssen wir in Moskau sein, aber wo sollen wir das Boot lassen, bis wir wiederkommen? Am liebsten in einem Hafen in Deutschland, und da wollten wir euch mal fragen, ob ihr vielleicht einen Tipp habt?

YAROSLAV UND KONSTANTIN AUS MOSKAU SEGELN DIE RACHEL, EINE MALÖ 40H. DAS SCHIFF IST ÜBER EINE BRIEFKASTENFIRMA IN DEN USA REGISTRIERT. DAS MACHT MAN ALS RUSSE SO, WENN MAN ZOLL UND STEUERN SPAREN UND ÄRGER MIT DEN BEHÖRDEN VERMEIDEN WILL

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Wir befinden uns zwar nördlich des Tiefwasserweges für die dicken Pötte, aber man weiß ja nie. Erst als der Wind soweit zunimmt, dass wir ihm zutrauen, uns unter Segeln ein bisschen Anschub zu geben, hören wir sie. Tief und unheimlich scheinen einige von ihnen näher zu kommen, um sich dann langsam wieder zu entfernen. Oder haben wir uns getäuscht? Manchmal sind wir nicht sicher, ob wir nicht inzwischen akustische Halluzinationen haben. Endlos scheinende acht Stunden dauert der Spuk, dann ist er auf einmal vorbei.

Sundowner auf Utklippan. Außer uns liegen nur noch eine Motoryacht und zwei Segler im Becken. An einer der beiden, einer kleinen Traileryacht, weht Schwarzrotgold am Heck.

Am nächsten Morgen nimmt uns der Sommer in Empfang. Die Shorts werden hervorgekramt. Waren noch ganz unten im Schapp, weil sie doch eigentlich noch gar nicht dran sind. Einer steuert, der andere sonnt sich. Jasper bastelt aus einer Papprolle einen prima Lautsprecher für sein iPhone. Bob Dylan singt was von blowin’ in the wind, aber hier bläst garnix. Kalmar erreichen wir mehr oder weniger mit Motorkraft. Von da aus nach Byxelkrok auf Öland. Das wird endlich mal wieder ein Segeltag, der diesen Namen auch verdient. Der Wind will wohl mal nachsehen, was die Sonne hier draußen den lieben langen Tag so macht. Aus Südost kommt er, füllt unsere bunte Blase und beschleunigt uns auf sagenhafte sieben Knoten. Unübersehbar hat die Saison hier noch nicht begonnen. Es ist erst später Nachmittag. Die Strahlen der tiefstehenden Sonne wärmen noch, ein Apfelbaum lässt seine Blüten im Abendlicht leuchten, aber die kleine Budenstadt am Hafen ist menschenleer. Tische und Stühle stehen schon draußen, doch alle Cafés und Restaurants sind geschlossen. Das Sanitärgebäude leider auch – und kein Hafenmeister in Sicht, der die Duschen klarmachen könnte. Im Hafen nur vier Gästeboote, von denen uns eins sofort auffällt. Am Achterstag wehen die Stars & Stripes. Zwei junge Männer an Bord, die aber alles andere als einen US-Dialekt sprechen. Fast könnte man sagen, im Gegenteil. Ihr Akzent ist unüberhörbar russisch.

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Ruhnu und das Segeln in einer Schüssel

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Adrenalin ist ein ganz schlechtes Schlafmittel, dazu die Pfeifer, die durchs Rigg heulen. Die ganze Nacht beschäftigt mich der Gedanke, ob das wirklich eine gute Idee ist, bei Ostwind Stärke 5 auf den langen Törn rüber nach Estland zu gehen. Am Sonntagmorgen will ich den Absprung wagen. Die TUNØ liegt inzwischen in Fårösund. Zusammen mit Jasper war ich bis Visby gefahren, bei annähernd null Windstärken fast ununterbrochen unter Motor. Größtes Risiko: die Sonnenbrandgefahr. Der Hafen von Visby ist fast leer, als wir einlaufen, wir haben freie Platzwahl und gehen an einem der Stege längsseits, so wie die anderen drei Gastboote auch. Ein beneidenswerter Zustand für alle, die später in der Saison herkommen. Hier ist der Frühling in voller Fahrt, alles blüht gleichzeitig: Tulpen, Kastanien, Apfel- und Kirschbäume. Und überall der Flieder, ganze Straßenzüge sind mit den violetten Hecken gesäumt. Am Hafen ein Eiscafé, besser Eisrestaurant: 180 Sorten, man muss Nummern ziehen wie früher im Ortsamt. Ich wähle Safran, Lemoncurd, Triple Chocolate.

Für Jasper ist der Törn hier zu Ende. Am Donnerstagmorgen steht er mit Sack und Pack auf dem Steg und winkt mir hinterher, als ich unter Segeln ablege und aus dem Hafen kreuze. Eine Träne im Knopfloch, das sehe ich ganz deutlich. Die Brise ist frisch, die Temperatur deutlich gesunken. Die Shorts habe ich erst mal wieder weggepackt. Aber die Sonne scheint. Bis mittags komme ich gut voran, dann schwächelt der Wind. Abends erreiche ich Lauterhorn auf Fårö. Sollte anderswo mal der ein oder andere Hund begraben liegen, dann ist das hier aber mit Sicherheit ein einziger großer Hundefriedhof. Kein Boot, kein Mensch, halb verfallene Hütten am Ufer, alles verriegelt und verrammelt. Dazu das Wetter, das in einen grauen Niesel umgeschlagen ist. Ist es die frühe Dämmerung, oder liegt es daran, dass ich nach zehn Tagen zu zweit nun auf einmal allein bin? Jedenfalls greift mir die Tristesse ans Herz. Schnell wieder weg hier.

 

FREITAG, 27. Mai, 8:00 Uhr morgens, der erste richtige Regen seit Kiel. Die Sicht wird so mies, dass ich sogar die Positionslichter anknipse. Sechs Meilen bis nach Fårösund und keine Luftbewegung. Doch für die nächsten Tage wird schon der Ostwind angekündigt, sehr übel für mich und meinen Kurs nach Estland.

 

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Am Sonnabend leihe ich mir ein Fahrrad und nehme die frühe Fähre rüber nach Fårö. Ich bin noch nicht weit gekommen, als mich ein Wohnmobil überholt, das mir auffällt. Nicht nur, weil es ein deutsches Kennzeichen hat, sondern vor allem, weil es von allen Seiten über und über beklebt ist. Ein paar Kilometer weiter parkt es am Straßenrand und die beiden Reisenden studieren die Straßenkarte. Ich komme noch mal am Hafen von Lauterhorn vorbei, diesmal von der Landseite. Schon von Weitem höre ich Hämmern und Sägen, und beim Näherkommen bietet sich mir ein erstaunlicher Anblick: Männer schleppen Bretter heran, an einigen der Buden sind ganze Wände weggenommen worden, ein kleiner Bagger schaufelt eine Rinne, Rohre für Wasserleitungen liegen bereit, und von einem kleinen Lkw werden Waschbecken und Kloschüsseln abgeladen. Es ist also offensichtlich noch jemandem außer mir aufgefallen, dass es mit diesem Hafen so nicht mehr weitergehen konnte.

Weiter auf meiner Radtour. Kilometerlange Kieselstrände, in unregelmäßigen Abständen unterbrochen von abstrakten Felsformationen, die hier Raukar genannt werden. Kaum zu glauben, aber tatsächlich lag Gotland vor rund 500 Millionen Jahren auf der Südhalbkugel der Erde und schob sich dann langsam immer weiter nach Norden. Korallenriffe bildeten sich, deren Überbleibsel, durch Erosion und chemische Prozesse geformt, diese Rauks (so heißt der Plural) sind. Der Ort Fårö selbst ist eigentlich nur eine Straßenkreuzung, an der eine kleine weiße Kirche steht. Auf dem Friedhof daneben liegt der Filmregisseur Ingmar Bergman begraben. Über 40 Jahre hat er hier gelebt. Über seinen ersten Besuch auf dieser Insel schrieb er in seinen Memoiren: »Das Ganze kam so: 1960 sollte ich einen Film mit dem Titel Wie in einem Spiegel machen. Er handelt von vier Menschen auf einer Insel. Im ersten Bild tauchen sie aus einem Meer in der Dämmerung auf, einem Meer mit starker Dünung. Ohne je da gewesen zu sein, wollte ich die Außenaufnahmen auf die Orkney-Inseln verlegen.«

Sein Auftraggeber Svensk Filmindustri schlug aus Kostengründen Fårö vor. Bergmann ließ sich zu einem Besuch auf der Insel überreden, innerlich aber immer noch fest entschlossen, in Schottland zu drehen. »Im Film kommt ein an Land getriebenes Wrack vor. Wir bogen um eine felsige Ecke. Dort lag das Wrack, ein russischer Lachskutter, genau wie ich ihn beschrieben hatte. Das alte Haus sollte in einem kleinen Garten mit uralten Apfelbäumen stehen. Wir fanden den Garten. Das Haus konnten wir bauen. Es sollte dort einen steinigen Strand geben, und wir fanden einen steinigen Strand, der sich bis in die Ewigkeit erstreckte. Das Taxi brachte uns schließlich zu den Raukarsteinen auf der Nordseite der Insel. Wir stemmten uns gegen den Sturm und starrten diese geheimnisvollen Götterbilder an, die ihre schweren Stirnen gegen die Brandung heben, und den sich verdunkelnden Horizont, bis uns die Tränen kamen.«

Fårö entspreche seinen »innersten Vorstellungen von Formen, Proportionen, Farben, Horizonten, Lauten, Schweigen, Licht und Reflexen«, schrieb Bergman. »Wenn man es feierlich ausdrücken will, kann man sagen, dass ich meine Landschaft gefunden hatte, mein wirkliches Zuhause.« 1966 begann er mit dem Bau seines Hauses, wenige hundert Meter südlich der Stelle, an der Persona gedreht wurde, der zweite Insel-Film.