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Frank Sembowski

Liberalisierung psychoaktiver Substanzen

Warum ein Umdenken dringend erforderlich ist

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1. Auflage 2017
© 2017 Nachtschatten Verlag

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Umschlagentwurf: Philine Edbauer, Berlin
Lektorat: Nina Seiler, Zürich
Korrektorat: Inga Streblow, Loreto Aprutino
Grafische Beratung: Nina Seiler, Zürich

ISBN 978-3-03788-536-9
eISBN 978-3-03788-545-1

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien und auszugsweiser Nachdruck nur unter Genehmigung des Verlags erlaubt.

Beide, der Verlag und der Autor, distanzieren sich mit Nachdruck von gesetzeswidrigen Handlungen, die im Zusammenhang mit dem Gebrauch psychoaktiver Substanzen stehen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ausgangssituation

Begriffsbestimmung, Wissenschaftlichkeit und Abgrenzung

Freiheit und Persönlichkeitsrecht

Mündigkeit

Wie es zu den Verboten kam und warum sie weiterhin aufrechterhalten werden

Furcht vor Rausch

Bedürfnis nach Rausch und gesellschaftliche Akzeptanz

Marktvolumen

Kriminalisierung der Verbraucher

Die Gefahren und Nachteile des Schwarzmarkts

Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten

Krieg gegen die Drogen

Entkriminalisierung in Portugal

Aufklärung ohne Tabus

Zwei Fallbeispiele: Alkohol und Cannabis

Möglichkeiten und Chancen

Nachhaltige Erfahrungen mit illegalisierten Substanzen

Abhängigkeit und Sucht

Einsatz in Forschung und Medizin

Tierversuche und Akzeptanzkriterien

Konsolidierung

Verhältnismäßigkeitsprinzip

Liberalisierungsmodelle

Schlussbetrachtungen

Danksagung

Verweise

Quellen- und Literaturverzeichnis

Der Schutz vor der Tyrannei der Verwaltung reicht daher nicht aus; es bedarf auch des Schutzes vor der herrschenden öffentlichen Geisteshaltung […], denn für gewöhnlich ist die Gesellschaft sehr darum bemüht, […] ihre eigenen Ideen und Methoden als allgemeingültige Verhaltensregeln auf diejenigen zu übertragen, die nicht ihrer Meinung sind.1

John Stuart Mill („Über die Freiheit“)

Es ist meine Aufgabe, meine Erwartungen daran auszurichten, sich an Fakten zu halten, und nicht etwa zu versuchen, Fakten mit meinen Erwartungen in Einklang zu bringen.2

Thomas Henry Huxley

Der verstorbene Herzog vonpflegte zu sagen: Für den nächsten Freitag nehme ich mir vor, so es dem Himmel genehm ist, betrunken zu sein.3

Thomas De Quincey

Einleitung

Dem politisch interessierten Menschen zeigt sich ein ausgesprochen düsteres Bild, was Ausmaß und Verbreitung des Drogenproblems in unserer Gesellschaft anbelangt. Aus den Beiträgen der Boulevard-Medien und den offiziellen Verlautbarungen muss er folgern, dass der Konsum von Drogen ein generelles, weitverbreitetes Übel ist, nur mit Mühe im Zaum gehalten werden kann und die meisten Personen mit geradezu mathematischer Gewissheit in Krankheit, Abhängigkeit, Verelendung und Tod führt. Er begegnet Crystal Meth-Konsumenteni, die Ende 20 so aussehen wie ihre eigenen Großeltern; er hört davon, wie immer mehr jugendliche Cannabiskonsumenten ihre besten Jahre vertun, weil sie lieber kiffen, statt ihren Schulabschluss zu machen; registriert drogengepushte Raver, wie sie in Klubs während eines Tanzmarathons kollabieren und vom Notarzt behandelt werden müssen; liest von Patienten, die in einer MDMA-gestützten Psychotherapie sterben; wird mit Heroinsüchtigen konfrontiert, die Job, Familie und Wohnung verloren haben; und zu guter Letzt tritt er voll Grauen und Abscheu dem stummen, anklagenden Heer der Drogentoten gegenüber – Zeugen einer orientierungslosen, verkommenen und degenerierten Gesellschaft. Dann jedoch erfährt er davon, dass der sogenannte Krieg gegen die Drogen gescheitert sei, und wundert sich über die Länder und Staaten, die den Schritt zur Entkriminalisierung oder Liberalisierung einzelner psychoaktiver Substanzen längst vollzogen haben, ohne dass die prophezeiten Horrorszenarien nachfolgend eingetreten wären. – Wem darf man nun Glauben schenken?

Sind eine Lockerung der Gesetze und eine fortschreitende Liberalisierung begrüßenswert? Sollte es nicht die Pflicht des Staates sein, die Bürgerinnen und Bürger vor Rauschgiften zu schützen? Würde die Liberalisierung psychoaktiver Substanzen nicht zu einer unüberschaubaren Zahl an Süchtigen in allen Teilen der Bevölkerung führen? Müssten wir nicht befürchten, dass in logischer Konsequenz des massenhaft ansteigenden Konsums das Gesundheitssystem zusammenbräche? Litte unter dem sich epidemieartig ausbreitenden Missbrauch nicht die Produktivität und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft? – Welche Gründe sprechen also für die Freigabe psychoaktiver Substanzen?

Das vorliegende Buch wäre kaum nötig, wenn in der Gesellschaft hierüber Einigkeit bestünde. Wo die einen den Zerfall der Sitten und den Zusammenbruch der abendländischen Kultur prophezeien, fordern die anderen die Freiheit, in allen Belangen, die primär das Individuum betreffen, über die Art der Lebensgestaltung selbst bestimmen zu dürfen. Die Meinungen klaffen weit auseinander, der Umgang mit dem Thema ist oft von Emotionalität und kaum zu überbietender Ignoranz gekennzeichnet. Dabei fällt auf, dass sich die meisten mit der Sache nur unzureichend beschäftigt haben und von Hypothesen ausgehen, die aus wissenschaftlicher Sicht mittlerweile als längst überholt gelten müssen. Man könnte meinen, dass Expertenwissen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen in manchen Kreisen nachgerade verpönt ist: Vorzugsweise wird die Debatte ideologisch geführt.

Es ist zwar kaum verwunderlich, dass sich mehrheitlich die konservativen politischen Kräfte dagegen wehren, den Handlungsbedarf anzuerkennen und auf die Missstände zu reagieren, trotzdem müssen die Ausdauer und die Hartnäckigkeit erstaunen, mit der die Befürworter der Gesetze einer repressiven Drogenpolitik ihre Position verteidigen. So bringt die amtierende Drogenbeauftragte der deutschen Bundesregierung, die durch ihre Arbeit Einfluss auf die Gesundheit vieler Menschen nimmt, ein Maß an Unkenntnis zum Ausdruck, wie man es für eine Ressortleiterin nicht für möglich gehalten hätte. Dreizehn Jahre nach ihrer Einführung hat sie den landesweiten Maßnahmen zur Entkriminalisierung aller Substanzen und zur Resozialisierung der Süchtigen in Portugal noch immer keine Beachtung geschenkt.4 Obwohl sie alkoholische Getränke bewusst und kontrolliert genießt5, glaubt sie, die Gefährlichkeit anderer Substanzen am Legalitätsstatus ablesen zu können.6 Cannabis hält sie nicht für zu unserem Kulturkreis gehörend und erkennt darin (im Gegensatz zum weitverbreiteten Alkohol) eine Bedrohung, vor der sie die Gesellschaft schützen zu müssen meint.7 Dieses Stimmungsbild kann man als durchaus typisch bezeichnen, und so ist die Drogenbeauftragte in den führenden Kreisen der Politik mit ihrer Unwissenheit keineswegs allein. Die ehemalige englische Innenministerin Jacqui Smith (um nur ein weiteres Beispiel zu nennen) äußerte sich kürzlich ähnlich unbedarft, als sie feststellte, dass man illegale Substanzen nicht mit legalen vergleichen dürfe – eben weil letztere nicht legal seien.8

Zusammengenommen hat das etwa dieselbe Stringenz, als würde man die Kartoffel als Nahrungsmittel verbieten, da sie zum einen unserer Kultur ursprünglich fremd war und zum anderen, im Unterschied zum Weizen, in der Erde reift. Solche die Grundfesten der Logik und Wissenschaftlichkeit erschütternden Standpunkte tragen zur Aufklärung wenig bei, fördern die Unsicherheit unter Jung und Alt und geben ehrlich gemeinten Anstrengungen aufseiten der Regierung, schädigenden Gebrauch einzudämmen und den Umgang mit Rauschmitteln vorausschauend zu gestalten, der Lächerlichkeit preis.

Die genannten Wissenslücken in Bezug auf Rauschmittel mögen einem vergleichsweise unbedeutend erscheinen, aber die aus ihnen abgeleiteten politischen Fehlurteile haben schlimme humanitäre Missstände zur Folge. Sie erschweren die Lebensumstände all derjenigen, die auf den Einsatz illegalisierter Substanzen in Therapie, Medizin und Forschung hoffen. Durch die Gesetze und das vorherrschende Meinungsbild werden die Konsumenten pathologisiert und stigmatisiert, obwohl sie mit psychoaktiven Substanzen verantwortungsbewusst umgehen können und in der Regel ein unauffälliges Leben führen. Die unverhältnismäßig hohen Strafen in Deutschland und in vielen anderen Ländern kriminalisieren ganze Bevölkerungsgruppen und grenzen sie zugleich ideologisch aus der Gesellschaft aus. Und aufgrund der ungebrochen starken Nachfrage (ausgehend vor allem von den westlichen Industrienationen) floriert ein Schwarzmarkt, der in den Drogenkriegen dieser Welt jährlich Tausenden von Menschen das Leben kostet.

Aufklärung tut wahrlich not – nicht zuletzt in der Gruppe derjenigen, die meinen, in den Lebensstil anderer Leute eingreifen zu müssen. Wenn sich die Amtsinhaber und Vertreter des Volkes der Beurteilbarkeit durch Wissenschaft und ein kritisch-rationales Vorgehen entziehen, warum sollten ihnen dann Jugendliche und Heranwachsende, aber auch zunehmend mehr und mehr ältere Menschen Gehör schenken, die es aus eigener Erfahrung doch längst besser wissen?

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, was es mit der ablehnenden Haltung auf sich hat und ob es wirklich unabdingbar notwendig ist, den körperlichen und geistigen Gestaltungsspielraum der gesamten Bevölkerung einzuschränken und ihr ein Leben in Abstinenz und Verzicht anzuempfehlen. Als Ergänzung zur vorhandenen Fachliteratur möchte die Untersuchung möglichst alle relevanten politischen und sozialen Aspekte der Liberalisierung psychoaktiver Substanzen ansprechen und auf diesem Wege einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion und politischen Willensbildung leisten. Die Beschränkung auf nur wenige Teilaspekte würde der Vielschichtigkeit des Sachverhalts nicht gerecht werden und zu Fehlschlüssen verleiten, wie sie in der öffentlichen Debatte gang und gäbe sind.

Humanitäre Gesichtspunkte und das Persönlichkeitsrecht erhalten einen besonderen Stellenwert, wobei weder die Unwägbarkeiten und Gefahren noch der Nutzen und die Chancen der Einnahme psychoaktiver Substanzen vernachlässigt werden. Medizinische und pharmakologische Details beschränken sich im Wesentlichen auf Cannabis und Alkohol – also eine illegale und eine legale Substanz –, um an diesen exemplarisch die Schwierigkeit aufzuzeigen, Empfehlungen für den verantwortungsvollen Gebrauch auszusprechen. Dass es absolute Sicherheit nicht gibt, ist nicht nur eine Binsenweisheit, es trifft im besonderen Maße auch auf den Gebrauch und die Wirkungsweise psychoaktiver Substanzen zu. Man kann niemandem die Entscheidung abnehmen, ob er oder sie in einer konkreten Situation, in einem bestimmten Lebensabschnitt oder auch als Ausdruck der Individualität und Identität eines ganzen Lebens psychoaktive Substanzen verwenden möchte oder nicht. In der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und in der Wahrung der Freiheit drückt sich die Grundhaltung der vorliegenden Informationsschrift aus. Sie ist mit der Absicht verfasst worden, den politisch Verantwortlichen, den unmittelbar Betroffenen und allen an der Thematik Interessierten in möglichst knapper Form zitierfähiges und stichhaltiges Material an die Hand zu geben, dessen Kenntnis erforderlich ist, um sich an der Diskussion beteiligen und die persönliche Einstellung zu illegalisierten Substanzen überdenken zu können.

iStellvertreter, Berufs-, Rollen- und Funktionsbezeichnungen umfassen im Folgenden alle Geschlechter.

Ausgangssituation

In mancherlei Hinsicht gleicht die Ausgangssituation derjenigen vor der sexuellen Befreiung. Den Mitgliedern unserer Gesellschaft steht es heute offen, die eigenen sexuellen Vorlieben und Neigungen auszuleben, solange dies im gegenseitigen Einverständnis der Partner und außerhalb des öffentlichen Raums geschieht. Diese Freiheit erscheint uns jetzt, nicht zuletzt aufgrund ihrer natürlichen Voraussetzungen, als eine Selbstverständlichkeit, doch musste sie in der Vergangenheit Schritt für Schritt gegen den Widerstand der moralisierenden und patriarchalischen Kräfte der Gesellschaft erkämpft werden. Es verwundert also kaum, dass andere Bereiche des persönlichen Lebens (die gleichfalls angestammte Machtgefüge berühren) weiterhin erheblichen Zwängen ausgesetzt sind. Das Herbeiführen eines veränderten Bewusstseinszustands, ausgelöst durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen, findet nach wie vor nicht die Zustimmung in allen Teilen der Bevölkerung.

Doch woran liegt es eigentlich, dass gesetzliche Auflagen die Entfaltung der Persönlichkeit in diesem Gegenstand weltweit einzuschränken versuchen, obwohl in den seltensten Fällen mit ihm eine Belästigung anderer Personen verbunden ist oder aus ihm eine Störung für den öffentlichen Frieden resultiert? Wie mag es um eine Gesellschaft bestellt sein, die solche Restriktionen nicht nur zulässt, indem sie dasjenige, was ihr falsch und befremdlich vorkommt, unterdrückt, tabuisiert oder verdrängt, sich ihm gleichzeitig aber auf Festen und bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten und Anlässen ungezügelt hingibt?

Auf diese gesellschaftsrelevanten Fragen möchte die Untersuchung eine ehrliche und in sich stimmige Antwort geben. Und um objektiven Kriterien im Sinne der weiter unten dargelegten Anschauung zu genügen, möchte sie alle Interessierten dazu auffordern, die Beweisgründe und Schlussfolgerungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen und sich mit der Problematik eingehend vertraut zu machen, selbst wenn sie die eigene Person vermeintlich nicht zu betreffen scheint. Denn niemand, der sich mit der Liberalisierung psychoaktiver Substanzen befasst, sollte dies zum Anlass nehmen, das eigene Verhalten zu generalisieren oder nachträglich zu rechtfertigen. Erklärte Absicht muss es sein, Balance zu halten und die persönliche Freiheit des Einzelnen gegen die Vereinnahmung durch die Gesellschaft zu verteidigen, ohne dabei die Interessen der Gemeinschaft außer Acht zu lassen.

Begriffsbestimmung, Wissenschaftlichkeit und Abgrenzung

Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der Liberalisierung psychotroper Substanzen um eine komplexe multidisziplinäre Fragestellung unter Einbezug so weitverzweigter Fachbereiche wie der Ethnologie und Ethnobotanik, der Pharmakologie, Biochemie und Biologie (hier besonders: die sekundären Pflanzenstoffe und die Mykologie). Von Bedeutung sind fernerhin medizinisch-therapeutische Gesichtspunkte und die unterschiedlichen Blickrichtungen, die uns die Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Rechtswissenschaft und (als praktische Wissenschaft) die Ethik vermitteln. Um sich auf dem unsicheren und ausgedehnten Terrain leichter zurechtzufinden, sollen die zentralen Begriffe kurz erläutert werden.

Der Korrektur in der öffentlichen Wahrnehmung bedarf vor allem der Begriff Droge, weil er fast ausschließlich mit illegalisierten Substanzen in Verbindung gebracht wird und weitgehend negativ belegt ist. In der Arzneimittelkunde bezeichnet Droge völlig wertfrei die zu Heilzwecken getrockneten und haltbar gemachten Teile von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen oder Pilzen; dagegen wendet die Umgangssprache und die Politik das Wort recht unscharf auf die Gesamtheit der subjektiv als schädlich empfundenen, illegalisierten Substanzen an, die auf den Körper wahrnehmungsverändernd wirken – dies mit dem Resultat, dass zum Beispiel das vielerorts frei erhältliche Nikotin, obwohl es in Form von Zigaretten eines der stärksten bekannten suchtbegünstigenden Mittel ist9, von den meisten Menschen nicht als ein solches eingestuft wird. Aufgrund dieser negativ besetzten und wissenschaftlich wertlosen Konnotation soll der Begriff im Folgenden ausschließlich in seinem ursprünglichen Sinn verwendet und stattdessen konsequent von psychoaktiven oder psychotropen (bewusstseinsverändernden) Substanzen oder Stoffen gesprochen werden. Daneben mag allenfalls noch die Bezeichnung Rauschmittel als wertneutrale Umschreibung seine Gültigkeit behalten. Zu diesen gehören dann selbstverständlich auch legale Substanzen wie das gerade erwähnte Nikotin oder der allgegenwärtige und vielgestaltige Alkohol. Feste, einem unzweideutigen Kontext zugeordnete Wendungen und Komposita wie Drogenkrieg, Drogenpolitik oder Designerdrogen werden beibehalten – die politisch motivierte Absicht ist für jeden leicht erkennbar.

Obsolet sind auch die Bezeichnungen harte und weiche Droge. Sie finden in der öffentlichen Laiendiskussion Anwendung, haben jedoch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch keine Berechtigung, da sie einen Dualismus der Wirkung implizieren, den es in dieser Form nicht gibt. Die Wirkung von psychoaktiven Substanzen hängt von sehr vielen sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren ab. Hierzu gehören die persönliche Einstellung (Motivation), der Gemütszustand und die Erwartungshaltung; zusammengenommen die mentale Verfassung (auch Set) genannt. Zu den inneren Dimensionen einer Person kommen äußere wie Umgebung, Räumlichkeit, Teilnehmerkreis, Intensität der Betreuung während der Phase der Berauschung und das Ritual der Einnahme. Es hat sich durchgesetzt, diesen äußeren Rahmen als Setting zu bezeichnen. Physiologische Faktoren wiederum erstrecken sich auf den Gesundheitszustand, auf die körperliche Fitness, das Gewicht, Alter, Geschlecht und die Veranlagung (im Sinne einer genetischen Prädisposition). Ergänzt werden sie um das gesellschaftliche Lebensumfeld, die familiären Verhältnisse, den (sub)kulturellen Kontext und individuelle Glaubensvorstellungen. Nicht zuletzt bestimmen pharmakologische Größen wie die in einer Session eingenommene Dosis, die Häufigkeit der Verwendung (regelmäßig, gelegentlich, einmalig), die Darreichungsform und die Art der Einnahme (besonders: oral, intranasal, inhalativ, perkutan, subkutan und intravenös) das Erleben.

Alle diese Faktoren werden manchmal in der Formel Drug, Set and Setting zusammengefasst, wobei das insofern nicht immer hilfreich ist, als in gewissen Situationen einzelne (nicht näher genannte) Faktoren stark gewichtet sein können. Beispielsweise treten bei einigen Menschen unvorhersehbare körperliche Überreaktionen auf; auch gruppendynamische Prozesse während der Exposition spielen bisweilen eine zentrale Rolle. Immerhin macht auch obige, verkürzte Darstellung unmissverständlich deutlich, dass es eben nicht allein die Substanz ist, die das Ergebnis bestimmt. Wer dessen ungeachtet die Begriffe harte und weiche Droge in der öffentlichen Auseinandersetzung weiterhin verwendet, ersetzt Fachkenntnis durch Klischee und Wissen durch Meinung.

Im Bereich des bewussten und vorausschauenden Konsums existiert ein ungemein breites Spektrum an Funktionen und Anwendungsfällen. Sie betreffen den Genuss und die Geselligkeit, die Leistungssteigerung, die experimentelle Rauscherfahrung (Neugier und Entwicklung der Persönlichkeit), die Verwendung als Medikament oder die Einbettung in schamanistische Rituale und geistliche Praktiken. Nach antikem Vorbild werden im Rausch lange unterdrückte Triebe und impulsgesteuerte Verhaltensweisen ausgelebt und zeitweilig die standesgebundene, weltliche Ordnung aufgehoben (Dionysos-Festspiele). Nicht vergessen sollte man die Bedeutung psychotroper Substanzen als Ausdruck und Symbol des Erwachsenwerdens, als Werkzeug des Protests und als Terminus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder zu einem Berufsfeld. Im Abschnitt, der sich mit nachhaltigen Erfahrungen auseinandersetzt, werden wir mehrere Szenarien herausgreifen und näher beleuchten.

Die Klassifizierung nach der Wirkung, so naheliegend sie erscheinen mag, sollte man vermeiden. Handelt es sich um Substanzen pflanzlichen Ursprungs, liegt in der Regel eine Mischung aus diversen psychogen wirksamen Verbindungen vor, die ein ganzes Spektrum an sich überlappenden Wirkungen aufspannt. Die Rezeption des Rauscherlebnisses hängt von etlichen der oben angeführten Bedingungen ab, und selbst innerhalb der gleichen Klasse hätten die Rauscherfahrungen stark voneinander abweichende Qualitäten. Es ist daher sinnvoll, die Wirkung mittels einer Kombination aus Merkmalen zu beschreiben, sodass die einzelnen Substanzen oder Drogen (!) unter mehreren gleichwertigen Aspekten betrachtet und erforscht werden können. Eine Vorzugsbenennung gilt es allein deswegen zu vermeiden, weil starre Etikettierungen die Erwartungshaltung und damit im erheblichen Maße das Rauscherleben beeinflussen. Es ist in der weiteren Darstellung allerdings unvermeidbar, dass einzelne Kriterien bisweilen einer Gruppe von Stoffen zugeordnet werden, vor allem wo die klassischen Psychedelika gemeint sind. Dies schließt die weitergehende und ergänzende Attributierung keineswegs aus.

Psychoaktive Substanzen vermitteln eine immense Bandbreite an Erfahrungen: Sie vermögen geschmackliche Gelüste zu befriedigen; sie können stimulieren, narkotisieren, sedativ hypnotisieren, psychosensorische Veränderungen herbeiführen, psychedelische Erlebnisse induzieren, Halluzinationen und Visionen hervorrufen, die Welt in traumartige Sequenzen tauchen, das Einfühlungsvermögen gegenüber sich selbst und anderen erhöhen (also entaktogen beziehungsweise empathogen wirken), entheogene Empfindungen auslösen (das ist, die Verbundenheit der Dinge und die Alleinheit erfahrbar machen); sie können antidepressiv, schmerzstillend (analgetisch) oder euphorisierend wirken; daneben auch Ängste nehmen oder wecken, Panikattacken erzeugen oder ganz einfach die Vorstellungskraft und die Ideenvielfalt beflügeln. Alle diese Eindrücke treten einzeln oder gleichzeitig oder hintereinander auf und können sehr unterschiedliche zeitliche Verlaufs- und Intensitätskurven annehmen. Der Übergang zwischen Gewürz, Nahrungsmittel, Arznei und psychoaktivem Stoff ist hierbei fließend.

Somit befriedigen Genussmittel wie zum Beispiel Kakao, Zucker, Lakritze oder Trüffeln geschmackliche Reize, hellen aber auch die Stimmung auf.i Kokain (ähnlich wie Khat, Kaffee oder Guarana) regt in niedriger Dosis den Geist und Körper an und wirkt hoch dosiert zentral stimulierend und euphorisierend, was sich unter anderem in einem starken Mitteilungsbedürfnis bemerkbar macht. Die Blätter des Kratombaums wirken in geringer Menge aktivierend und in hoher sedierend (beruhigend). Opium und seine Derivate beruhigen ebenfalls, mildern daneben effektiv Schmerzen und führen in hoher Dosis zu bildhaften, deutlichen (echten) Halluzinationen. Alkohol ist ein Stimulans genauso wie ein sedatives Hypnotikum. Atropin (ganz allgemein die Drogen der Nachtschattengewächse) erzeugen Verwirrtheitszustände, extreme Stimmungswechsel und rufen zudem intensive Halluzinationen hervor. MDMA (auch Ecstasy genannt) ist ein eher sanftes Psychedelikum gleichzeitig ein potentes Empathogen. Muskat (aus dem Samen des Muskatnussbaums, Myristica fragans, gewonnen und für gewöhnlich als Gewürz verwendet) entfaltet in einer Menge von mehreren Gramm einen MDMA-ähnlichen Rausch, der von audiovisuellen Halluzinationen begleitet sein kann.10 LSD, Psilocybin, Meskalin und DMT lassen die klassischen psychedelischen Wahrnehmungsveränderungen entstehen, sie verstärken aber auch das ästhetische Empfinden und regen darüber hinaus in erheblichem Maße die Fantasie und Intuition an. Cannabis ist (je nach Dosierung und Veranlagung) mildes Schmerzmittel, Appetitanreger, Psychedelikum oder Entspannungsmittel.

Was die Gefährlichkeit und das Schadenspotenzial der Substanzen anbelangt: Einzelne in der populären Berichterstattung zusammengetragene Beispiele ersetzen keine empirischen Studien. Den abschreckenden Fällen lassen sich stets Gebrauchsmuster gegenüberstellen, in denen die Verwendung selbst problematischer Substanzen völlig unauffällig vonstatten ging oder sogar persönlichen Nutzen zeigte. Sehr häufig steckten hinter den ablehnenden Urteilen irrationale Ängste, Sensationslust zur Erhöhung der Auflagenzahl oder mangelndes Wissen. Letztendlich stehen zur Beurteilung aller Aspekte des Rauschmittelkonsums wissenschaftliche Ansätze und objektive Vergleichskriterien zur Verfügung. Es bedarf nur des guten Willens, sich der Fragestellung ehrlich und unvoreingenommen zu nähern. Dies schließt ein, dass man im Gegenzug nichts verharmlost, mag es der öffentlichen Meinung oder einem persönlich auch unangenehm erscheinen. So kommt man nicht umhin, sich von liebgewonnenen Vorurteilen, die das eine ungerechtfertigterweise verteufeln und das andere leichtfertig schönfärben, früher oder später zu verabschieden.

Dass auch in Wissenschaftskreisen die neutrale Sicht auf die Drogenproblematik keine Selbstverständlichkeit ist, lässt sich an der Beurteilung des in der politischen Diskussion so wichtigen Schädigungspotenzials ablesen: Es hat bis zum Jahr 2010 gedauert, bis zwei Forschergruppen unabhängig voneinander die Anstrengung unternahmen, die potenziellen Gefahren, die von den verbreitetsten illegalen und legalen Substanzen ausgehen, zum ersten Mal objektiven Maßstäben zu unterwerfen und miteinander zu vergleichen.11,12 Es sei schon an dieser Stelle vorweggenommen, dass die Ergebnisse beider Studien der historischen Einteilung in gesellschaftsverträgliche (geduldete) und gesellschaftsunverträgliche (mit einem Tabu belegte) Substanzen die wissenschaftliche Gültigkeit absprechen.

iKakao, Zucker, Trüffeln etc. in einem Atemzug mit Narkotika und anderen psychoaktiven Substanzen zu nennen mag verwundern, doch wirken diese Stoffe unbestreitbar auf das Bewusstsein ein, beeinflussen unser leibliches Wohlbefinden und bringen zudem ein gewisses Suchtpotenzial mit sich. Wer gerne Süßigkeiten isst, sollte in einem Selbstversuch einmal auf jegliche Zuckerquelle (einschließlich aller Fruchtsäfte und Soßen) verzichten. Erfahrungsgemäß hat man die Entzugserscheinungen nach einigen Tagen überwunden …

Freiheit und Persönlichkeitsrecht

Kommen wir zum Für und Wider, zum Nutzen und Schaden der Liberalisierung psychotroper Substanzen: An prominenter Stelle in der Kette der Überlegungen soll, wie eingangs angedeutet, die Freiheit stehen, die Persönlichkeit entfalten zu dürfen. Dieses Argument hat deswegen so hohes Gewicht, weil eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder ihrer geistigen und emotionalen Reichtümer zur Verwirklichung persönlichen Glücks beraubt, nicht als frei angesehen werden kann. Indem der Mensch den eigenen Sehnsüchten und Bedürfnissen nachkommt, sorgt er für sein körperliches und seelisches Wohlbefinden, und indem er solcherart an seiner Individualität eigenverantwortlich Anteil nimmt, erkennt er letzten Endes auch sich selbst. Nur falls die Ausübung der Freiheit mit dem Entfaltungswunsch anderer Lebewesen oder mit Teilen derjenigen menschlichen Gemeinschaft kollidiert, der eine Person anzugehören sich entschlossen hat, sollte ihr Einhalt geboten werden.

Staatliches Recht unterscheidet sich von Geboten, Anordnungen und Verhaltensregeln, die unter anderem Moral, Sitte und Brauchtum vorgeben, insofern nicht, als für alle gilt, dass soziale Einflüsse oder institutionalisierte Methoden ihre Durchsetzung und Aufrechterhaltung erzwingen beziehungsweise ihre Nichteinhaltung mit Sanktionen belegen. Das Recht auf Rausch bedarf jedoch prinzipiell nicht der Billigung oder Gewährung durch eine ordnende äußere Instanz. Über die Freiheitsrechte verfügt jeder Mensch von Natur aus; sie können ihm von Gesetzes wegen weder gegeben noch aberkannt werden. Die Forderung nach Recht auf Rausch ist letztlich genauso kurios wie die Bitte darum, schlafen oder atmen zu dürfen. Ersetzt man Rausch durch Bewusstseinszustand, erkennt man sehr deutlich die Absurdität des Streitgegenstandes. Selbstverständlich hat jeder Mensch das Recht auf etwas so Elementares wie einen ihm angenehmen Bewusstseinszustand. Das Recht auf Rausch drückt lediglich das aus, was ohnehin im Wesen des Seins inbegriffen ist.

Unter Ordnungs- und Wertgesichtspunkten und zur Konfliktvermeidung kann es notwendig sein, auch innere Erfordernisse des menschlichen Seins, zu denen Rausch zweifellos gehört, insoweit sie sich der Gesellschaft mitteilen, durch staatliches Recht zu definieren. Jede Einschränkung der Freiheitsrechte erfordert jedoch, weit deutlicher als bei Regeln, die lediglich das Zusammenleben wertneutral organisieren (man denke beispielsweise an Verkehrsregeln oder die Konvention, Zeit in einer bestimmten Weise zu messen und einzuteilen), den permanenten staatlichen Eingriff. Einen zentralen Aspekt des menschlichen Seins über das Nötige hinaus zu bekämpfen bürdet sowohl der Gesellschaft als auch dem Staat extrem hohe Kosten auf, ohne dass dieser Kampf gleichzeitig besonders effektiv sein könnte. Es ist genau diese immense und nicht enden wollende Verschwendung gesellschaftlicher und staatlicher Ressourcen, die wir seit Jahrzehnten beim andauernden, als Krieg deklarierten Vorgehen gegen die Drogen beobachten.

In einer gesetzgebenden Politik, die sich ernsthaft an humanitären Grundsätzen orientierte, müssten einzelne Freiheitsrechte lediglich so weit eingeschränkt werden, bis die Vereinbarkeit mit konträren, die Gemeinschaft betreffenden Interessen (durchaus auch im Sinne von Werten) hinreichend sichergestellt wäre – nicht aber darüber hinaus. Jede noch so unbedeutende Beschränkung der Freiheitsrechte bedarf starker Gründe, der offen geführten Debatte und der prinzipiellen Legitimation durch die große Mehrheit der Bevölkerung. Nur unter diesen Umständen kann mit breiter Akzeptanz und mit der Aufrechterhaltung eines Gesetzes gerechnet werden. Ein solcher formgebender öffentlicher Prozess hat zur Installation der Verbote psychoaktiver Substanzen, basierend auf rational-kritischen Gesichtspunkten, jedoch nie stattgefunden. Die Unterdrückung aller Rauschmittel (abzüglich der Freibriefe Alkohol und Tabak) hat die Menschen, ohne ihre Zustimmung, in einer Sache für entscheidungsunmündig erklärt, die in weiten Teilen überhaupt nicht Gegenstand eines Verbots sein kann. Der Umgang mit Rausch in der Öffentlichkeit und die Verfügbarkeit von bewusstseinsverändernden Produkten müssen geregelt werden, nicht hingegen die Rauschbefugnis an sich. Eigentlich sollte es im Interesse der Regierungen sein, für die Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse zu sorgen, sofern ihnen das Glück der Menschen ein Anliegen ist.

An Prinzipien, die sich um Ausgleich bemühen, wird gleichwohl niemand Anstoß nehmen, der akzeptiert und versteht, dass die Freiheit der Persönlichkeit allen Menschen gleichermaßen zusteht. Demzufolge mag es Zweifelsfälle geben, in denen die Ausübung der Freiheit gleichzeitig die Entfaltung der Freiheit einer anderen Person behindert, doch muss klar unterschieden werden zwischen dem, was das Leben Unbeteiligter wirksam und aktiv einschränkt, und dem, was den Mitmenschen aufgrund ihrer Unwissenheit sowie ihrer Moralvorstellungen, ihrer Ängste oder antisozialen Tendenzen nicht genehm ist oder einfach als persönlich lästig erscheint. Ersteres übt unmittelbaren Zwang auf die Mitglieder der Gesellschaft aus, Letzterem liegt dagegen ein geistig ausgesprochen labiles Konstrukt, eine bloße Laune und Befindlichkeit des Gemüts zugrunde, die weder Anlass noch Motiv abgeben kann, die individuelle Freiheit anderer Personen zu beschränken.

Man darf das Verhalten eines Mitmenschen wohl beklagen, ihn deswegen tadeln, bemitleiden oder zur Rechenschaft ziehen – aber man darf ihn nicht dafür bestrafen, dass er seinem Leben eine bestimmte Richtung gegeben hat. Wenn eine Person im Rausch der Gesellschaft Schaden zufügt oder auch nur ihre Pflichten vernachlässigt, sollte sie wegen ihres Handelns und ihrer Versäumnisse kritisiert werden, nicht wegen ihrer Berauschtheit.13

Dass den jegliche Gemeinschaft rekrutierenden Menschen die entscheidende Bedeutung zukommt, waren sich auch die Schöpfer der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bewussti, weshalb sie das Persönlichkeitsrecht als Grundrecht im 2. Artikel (nach dem Schutz der Menschenwürde) im Grundgesetz verankerten.14 Wenn also ein in seinem Wesen