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Jean P.

Die Akademie





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Die Akademie

von Jean P.

 

Die Journalistin Esther ermittelt „undercover“ im Auftrag der „Schwarzen Herrin“ in der Akademie. Die Akademie ist ein elitäres Bildungsinstitut der sogenannten „Gemeinschaft von Schloss B.“ Noch bevor Esther ihrem Auftrag gerecht werden kann, die dort vermuteten, geheimen Machenschaften der Führungsetage aufzudecken, gerät sie in haarsträubende, mitunter auch gefährliche Situationen.

„Ich muss sagen, eine tolle Romanserie ist das. Stets erotisch, niemals vulgär und nach jeder Folge fiebert man der nächsten entgegen. Manchmal weiß man nicht, was ist Traum und was Wirklichkeit. Doch das macht gerade den Reiz aus. Ich bin gespannt, wie es weitergeht!“ (Leserstimme zur Serie „Undercover-Reloaded“ – so der Untertitel des zwischen Nov. 2016 und Sept. 2017 erschienenen Akademie-Fortsetzungsromans)

 

 

Copyright: © Jean P. – publiziert von telegonos-publishing

www.telegonos.de

(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der website)

 

Covergestaltung: Kutscher-Design www.kutscherdesign.jimdo.com

Lektorat: Nathalie C. Kutscher

Korrektorat: Christa Fischer

 

Kontakt zum Autor:

www.telegonos.de/aboutJeanp.htm

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Romanfiguren können möglicherweise darauf verzichten, aber im realen Leben gilt: Safer Sex!

 

Vorwort

 

 

 

Gewogene Leserinnen und Leser,

 

„Undercover-Reloaded“ lautete der Untertitel der Fortsetzungsserie „Die Akademie“, die zwischen Oktober 2016 und September 2017 in monatlichen Kurzepisoden erschienen ist. Sie knüpfte an die „Undercover“- Abenteuer der Journalistin Esther aus der Vergangenheit an und schilderte ihre amourösen, mitunter gefährlichen und stets mit einem Augenzwinkern begleiteten Erlebnisse in der ‚Akademie‘, einer höheren Lehranstalt der besonderen Art.

Viele Leserinnen und Leser haben die Serie verfolgt und über eine Leserunde bei Lovelybooks begleitet. Ihnen ist es zu verdanken, dass nun das Buch zur Serie erscheint – in etwas überarbeiteter Form und mit drei zusätzlichen Kapiteln.

So viel sei verraten: Den Spiegelungen der Seele, welche der Heldin und ihrem Liebsten schon in der Serie widerfahren sind, werden im Buch noch einige hinzugefügt. Eine große Oper von Mozart steht auf dem Programm ...

 

Ich wünsche ein erquickendes Lesevergnügen!

 

Jean P.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mein besonderer Dank gilt meiner treuen Leserin Astrid Stegbauer, die mit ihrem Bücherblog „Astrid‘s Favorite Books“ wesentlich zur Verbreitung und zum Erfolg der Serie beigetragen hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Fahrgast


Der ungewöhnlich kalte Winter hatte seine Spuren hinterlassen. Das monotone Grau der Landschaft, die sie soeben durchquerte, verlieh den Erinnerungen, denen sie beim Blick aus dem Abteilfenster nachhing, etwas Schemenhaftes. Die Bilder purzelten ineinander.

Das Grau war melancholisch und ordnend zugleich. Es kam ihr vor wie die Decke, die man sich morgens noch einmal über den Kopf zieht, um die Fetzen und Überbleibsel der nächtlichen Träume zu bewahren. Es schützte und bedeckte sie und ließ sie gleichzeitig verblassen und allmählich verschwinden.

Ein samtig blassblauer Himmel baute sich am Horizont auf und verlieh der Melancholie jene Heiterkeit, welche im tiefsten Inneren die Ahnung von Ewigkeit erklingen lässt.


Bei einem erneuten Blick auf ihr Smartphone registrierte sie, dass Felix immer noch nichts gesagt hatte. In ihrem Herzen machte sich Sehnsucht breit. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie voneinander getrennt waren – sie auf dem Weg zu dieser neuen Akademie und er, allein zu Haus und mit sehr viel Arbeit von seiner neuen Computerfirma. Außerdem gab's da diese Gentlemen's Night. Ganz geheuer war ihr das ja nicht.

Noch weniger geheuer war ihr jedoch, worauf sie sich da bei ihrer Reise eingelassen hatte. Aber nun ja, es ging halt nicht anders. Felix hatte ihr aus Sicherheitsgründen eine Überwachungs-App aufs Handy geladen. Verrückte Sache das! Als ob sie so etwas nötig hatte! Beim Judo legte sie doch die Typen reihenweise auf die Matte. Aber andererseits ...


Auch bei ihrem ersten Undercover-Einsatz war sie wahrhaftig an Grenzen gestoßen – und dieser jetzt würde gewiss nicht ungefährlicher. Schon die vage Ahnung darüber, dass sie dabei, ob sie es nun wollte oder nicht, mitten ins Mächtespiel der Gemeinschaft hineingeriete, versetzte sie gelegentlich dermaßen in Alarmbereitschaft, dass winzige, unbedeutende Dinge sie zusammenzucken ließen. Doch nicht nur das Angebot, diesen Job zu übernehmen, war verlockend gewesen. Wenn sie ehrlich gegenüber sich selber war, trat das beinahe in den Hintergrund. Das Spiel war es, das Spiel als solches und das Spiel zwischen ihnen!

Nein, vielmehr noch, ein Traum hatte sich erfüllt. Er war Realität geworden. Das Spiel war Realität geworden und der lang gehegte Wunsch hatte sich verwirklicht, mit Felix etwas gemeinsam zu tun, was sie beide ausfüllte und antrieb. Ein Abenteuer war das und es ging weiter. Herrlich war das! Da konnte man schon mal ein kleines Risiko in Kauf nehmen. War nicht das Leben an sich ein Risiko?

Es prickelte – und es prickelte besonders dann, wenn Felix es ein klein wenig übertrieb. So wie gestern, als er diese neue Überwachungs-App testen wollte. Irgendwie hatte er schon vorher spitzgekriegt, dass sie zusammen mit Tina nach Feierabend noch in diesen Dessous-Laden wollte, in dem auch er schon das ein oder andere Mitbringsel für sie ausgesucht hatte. Konnte man denn nicht mal mit der besten Freundin alleine shoppen gehen?

Beste Freundin! - Ach Tina, warum musstest du dich denn damals gleich in mich verlieben. Kann es denn einfach nicht nur ein Spiel bleiben?


Manchmal war ihr wirklich nicht klar, ob ihn nicht doch der Stachel der Eifersucht trieb oder er nur spielen wollte, denn seit jenen Geschehnissen auf Schloss B., dem Stammsitz der Gemeinschaft, gab er schon ganz gerne den großen Gebieter, der nunmehr zwei Sklavinnen hatte – sie, seine Hauptsklavin und Tina, seine Nebensklavin. Dass er Tina damals schließlich ersteigert und vor unangenehmen Konsequenzen bewahrt hatte, deutete er immer mal wieder dezent an. Manchmal war der Sog des Spiels übergroß!

Der hatte ihn diesmal dazu getrieben, ihnen zu befehlen, dass Tina sich während der Dessous-Anprobe vor sie hinknien und sie liebkosen musste. Das Schlimme war, dass sie solchem Wahnsinn machtlos ausgeliefert war, gerade dann, wenn der Reiz des Erwischtwerdens noch hinzukam. Allein die Erinnerung daran löste schon wieder ein gefährliches und sehnsüchtiges Ziehen in ihrem Unterleib aus und für einen Moment kreuzte der frivole Gedanke den Weg dieser geistigen Rückblende, dass sie ja doch eigentlich ganz allein in diesem Zugabteil saß.

Sie schlug ein Bein über und beherrschte sich, was dadurch doppelt schwerfiel, dass allein dieser Akt den Teufelskreis offenbarte. Sie durfte das gar nicht. Einer Sklavin war das verboten. Ja, sie war wirklich eine Sklavin, so wie sie sich das schon immer ersehnt hatte, ohne zu wissen, was das bedeutet. Nun ja, man nannte das halt so. Sie war die Sklavin eines Gebieters und den liebte sie über alles in der Welt. Es war wunderschön und bevor das so gekommen war, hatte das nur Gestalt in ihren kühnsten Träumen angenommen.

Merkwürdigerweise brachte sie dieser Gedanke in die Realität zurück und half ihr bei der Selbstbeherrschung.

Es war wirklich Liebe und eifersüchtig musste Felix wahrlich nicht sein! Doch nicht ohne Grund hatte er abends ja auch nicht aufgehört zu betonen, dass ihn wirklich nur Sicherheitsaspekte zu dieser Überwachungsmaßnahme veranlasst hätten. Im Notfall bräuchte sie das Handy nur berühren und er stünde auf der Matte.

Na ja ...


Das Foto, das sie in der Ankleide machen musste, hatte er mit äußerst gespielter Beiläufigkeit betrachtet. Es zeigte, von oben fotografiert, Tinas Blondschopf dicht vor ihrer Scham. Am Rand sah man die Spitzen des dünnen schwarzen Strumpfhaltergürtels, den sie soeben probiert hatte.

Ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel ...

Ach Felix, ich habe längst noch nicht alles verstanden. Unsere Liebe ist riesengroß und überwältigend schön. Ist es normal, dass Tina mich – und dich ja gelegentlich auch – antörnt?


Aber auch sonst hatte sie längst noch nicht alles verstanden. Zwar war ihr im Laufe der Zeit ihrer Undercover-Recherche, die sie in ihrem alten Job als Reporterin bei Roys Zeitung betrieben hatte, einiges klar geworden. Doch vieles war immer noch nebulös. Dass es in dieser Gemeinschaft, der Felix und sie schließlich beigetreten waren, einen Machtkampf gab, der in lange zurückliegenden Konflikten wurzelte, hatte sie spätestens begriffen, als sie jenes Manuskript erhalten hatte und es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen war, wer sich hinter der Schwarzen Herrin verbarg.

Wie hatte sie nur so blind sein können – sowohl, was das eine, als auch das andere anging!

Zudem hatte ihr dieses Manuskript die Augen für etwas geöffnet, was sie selbst betraf, jedoch lange verdrängt hatte. Es blieb unumgänglich, dass sie einen langen Anlauf nahm. Auch wenn sie seitdem wusste, wer die von allen nur so genannte Schwarze Herrin wirklich war und sie außerdem wiederentdeckt hatte, welche Rolle sie in ihrem Leben schon einmal gespielt hatte, musste sie mit vollem Schwung an die Sache gehen und eine Entscheidung treffen. Natürlich wollte die Schwarze Herrin sie auf ihre Seite ziehen. Was also sollte sie tun? Der Schwarzen Herrin folgen und sich mit der recht ambivalenten Rolle auseinandersetzen, die sie spielte und die sie damals schon gespielt hatte? Oder die Erlebnisse, die sie im Rahmen ihrer Recherche auf Schloss B. gemacht hatte, ad acta legen und alles wieder vergessen?

Doch war das noch möglich? Hieße das nicht auch, die Dinge erneut zu verdrängen, die sie über sich selbst erfahren hatte? Und dann, ihr Abenteuer, ihr gemeinsames Projekt mit Felix!

Ihre Liebe ...

Nein, die Entscheidung war doch eigentlich längst getroffen. Hatte sie die nicht schon getroffen, als sie mit Faszination und Erschrecken dieses Manuskript gelesen und sich entschlossen hatte, es zu veröffentlichen? Die Lektüre und das anschließende Abtippen hatten zur Folge gehabt, dass sie sich mit ziemlicher Empathie in diese Frau hineinversetzt und die ganzen Geschehnisse aus ihrer Sicht betrachtet hatte. Es war schlechterdings doch gar nicht mehr anders möglich, als auf ihrer Seite zu stehen.


Beinahe erschrocken fuhr sie zusammen, als sie der plötzlich langsamer werdende Zug aus der Versunkenheit ihrer Gedanken holte. Es dauerte eine Weile, bevor sie merkte, dass dies noch nicht ihr Zielbahnhof war. Unwillkürlich hatte sie schon nach der Handtasche und der daneben liegenden roten Lederjacke gegriffen. Nein, es war erst die nächste Station. Sie konnte sich noch einmal zurücklehnen, alldieweil der Zug zum Stehen kam. War ganz schön viel Betrieb auf dem Bahnhof, aber in ihren Wagen schien niemand einzusteigen. Sie würde also auch den Rest der Reise alleine sein. War eigentlich auch mal schön. Nur dasitzen, aus dem Fenster schauen und die Gedanken fließen lassen.


Ein paar Tage zuvor hatte sie gemeinsam mit Felix Tina vom Bahnhof abgeholt. Die war auf einer Fortbildung für Physiotherapeuten gewesen, die sie hatte absolvieren müssen, um in ihrer Praxis irgendeine spezielle Methode anbieten zu dürfen. Wollte sie ihnen demnächst mal vorführen. Tina ging ganz in ihrem Job auf und war glücklich über die Freundschaft und die Beziehung zu ihnen beiden. Sie wurde nicht müde darin, immer wieder überschwänglich zu betonen, wie dankbar sie ihnen war, dass sie damals bei dieser Sklavinnenversteigerung, einem ganz besonders amourösen Event der Gemeinschaft, zu ihr gehalten und sie von der verrückten Idee abgebracht hatten, Gemeinschaftssklavin zu werden. Gemeinschaftssklavin! Also, einige Dinge gingen da wirklich zu weit!

Aber Tina hatte das alles immer schon total ernst genommen. Für die war das damals schon kein Spiel gewesen oder ein erotisches Abenteuer. Die ging darin richtig auf - und das hatte sich nicht etwa abgeschwächt! In ihrer Wirklichkeit war das Ganze zu einer echten Ménage-à-trois geworden: Felix, der Gebieter, sie, Esther, dessen Sklavin und gleichzeitig Herrin von Tina und Tina als ihrer beider Sklavin. Nein, ihre Sklavin allein, für Felix nur Nebensklavin. Hätte ihr das jemand vor einem Jahr erzählt, was sich da entwickelt hatte, sie hätte es maximal unter Ulk verbucht.


Aber es war kein Ulk. Es war Bestandteil ihres Alltags geworden, auch wenn sie es selber immer noch nicht richtig wahrhaben wollte. Und das Verrückte war ja, je länger dieses Spiel andauerte, desto ernster war es für Felix geworden. Am Anfang war das ganz anders gewesen. Sie hatte ihn da mit hineingezogen. Es war ihre Sehnsucht gewesen - und ihre Lust auf dieses Spiel. Claires Schule war daran Schuld gewesen ...


Wie lange er zunächst gebraucht hatte! Und nun? Manchmal war ihr das gar nicht mehr so ganz geheuer. Erst letzten Samstag, da hatte sie ganz schön die Luft anhalten müssen. Samstags kam Tina immer zu ihnen und machte Frühstück. Das hatte sich so ergeben. Diesmal war sie gleich in ihrem neckischen Dienstmädchen-Outfit erschienen. Hatte lediglich den schwarzen, langen Wintermantel drüber angehabt, den sie ihr mal beim Shopping ausgesucht hatte. Stand ihr wirklich klasse, besonders, da sie ihre hübschen, hellblonden Haare wieder hatte wachsen lassen, die herrlich zu dem Schwarz des Mantels kontrastierten.

Felix mochte es gerne, wenn Tina ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und vermied es auch nicht, das zu erwähnen. Solche Äußerungen pieksten mehr als alles andere und gelegentlich legte er es auch genau darauf an. Meistens war das dann der Fall, wenn sie gerade überhaupt keine Lust auf ihr Spiel hatte. Er wollte damit verdeutlichen, dass es eben auch keins mehr war, sondern das richtige Leben. Echt war es. Es war halt nun das Leben, wie sie es sich doch immer gewünscht hatte.

Da hatte er ganz klare Definitionen getroffen. Das war wohl seine Art, damit klarzukommen, dass sie bisexuell war. Sie wagte sich das immer noch nicht so recht einzugestehen, geschweige denn dieses Wort in den Mund zu nehmen. Doch seit dem Erlebnis damals mit Tina in dieser Lustgrotte auf Schloss B., seit dieser Ladies-Night, war ihr das ja zwar langsam, aber dann umso eindringlicher klar geworden. Und dann ...


Nun gut. So war es und es war okay. Felix war der Gebieter und seitdem er das verinnerlicht hatte und verkörperte, gab es Regeln. Sie war Tinas Herrin. Als Herrin konnte sie bestimmen, was Tina durfte und was nicht. Es gab Tabus, aber manchmal musste sie höllisch aufpassen. An diesem Samstagmorgen war er Tinas Mund recht nahe gekommen, als er ihren Kopf am Pferdeschwanz gepackt gehalten hatte. Da war sie gerade etwas entrückt gewesen. Ob sie auch diese Grenze zu überschreiten bereit wäre?


„Guten Tag, die Dame. Darf ich eintreten?“

Erneut erschrak sie fürchterlich und hatte sogar das Gefühl, man hätte ihr Zusammenzucken sehen können. Der Zug war längst wieder in voller Fahrt gewesen und sie hatte nicht damit gerechnet, dass doch noch ein anderer Fahrgast hinzukäme. Mist, warum war sie nur so weggetreten?

Sie schluckte, richtete sich auf und stellte das übergeschlagene Bein wieder auf den Boden. War das schon ein Automatismus? Verdammt! Konnte sie denn an nichts anderes mehr denken?

„Ja sicher“, murmelte sie mit einem Frosch im Hals und sah verlegen ganz schnell wieder zum Fenster hinaus. Die Kürze des Blickkontaktes hatte ausgereicht, ein Bild zu erzeugen, das mit dem diffusen Gefühl gekoppelt war, dass sie den Typ schon mal irgendwo gesehen und auch dabei schon verschämt gedacht hatte, was für ein gut aussehender und elegant gekleideter Mann das war. Oder war das Ganze gerade ein Trugbild? Nein, das war keins! Wo war das nur gewesen? Dieser feine dunkelblaue Nadelstreifenanzug mit dem blassblauen Hemd und der nachtblauen Krawatte! Das war ja nicht gerade der letzte Schrei, sah aber verdammt elegant aus und passte irgendwie zu seiner Statur und ganzen Erscheinung. Hoch gewachsen, schlank und leicht patriarchale Eleganz ausstrahlend, die durch das dunkle, schon leicht grau melierte Haar und den fein und sorgsam gestutzten Bart unterstrichen wurde, verkörperte der irgendwie Autorität schlechthin.

Ach Quatsch, was hatte sie bloß ständig für Gedanken! Es war ihr Hang, sich zu den Menschen, die ihr begegneten, immer gleich eine Story auszudenken. War wohl berufsbedingt. Oder war es genau umgekehrt und sie war wegen dieser Neigung Reporterin geworden?


Starrte der sie etwa an? Nicht, dass sie das nicht auch sonst gewöhnt war, aber sie wurde gerade das komische Gefühl nicht los, der könne vielleicht ihr kleines Sklavinnenhalsband erkennen, welches sie unter ihrem dichten, langen braunen Haar und dem Kragen ihres schwarzen Rollis verbarg. So, wie manche Männer einen Blick dafür haben, ob eine Frau Strümpfe trägt oder nicht. Oder lag es überhaupt an ihrem Outfit? So auffällig war das doch gar nicht! Felix hatte es neulich mal ihr Reiseoutfit genannt, weil sie das häufig trug, wenn sie unterwegs war: schwarzer Rolli, grauer Faltenrock, schwarze Stiefel und dazu ihre taillierte rote Lederjacke. War doch ganz schlicht und sah dennoch klasse aus. Und der Rock war lang genug, um die Ränder der halterlosen, durchsichtigen Strümpfe zu verbergen.

Aber dieser Typ hatte bestimmt auch das schon registriert!


Esther, dreh nicht am Rad! Du bist gerade viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt und das kommt nur, weil du ein kleines bisschen ‚Schiss' vor der neuen Aufgabe hast!


Auf die innere Stimme hörend lehnte sie sich wieder zurück, schenkte dem wirklich gut aussehenden Mann, der ihr nun schräg gegenüber saß, ein freundliches Lächeln und sagte: „Der Frühling scheint nun aber doch langsam begonnen zu haben.“

Ein bisschen Smalltalk konnte ja nicht schaden, auch wenn es ihr gerade so vorkam, als rechtfertigte sie mit diesem Satz lediglich die Tatsache, dass sie die ganze Zeit aus dem Fenster gestarrt hatte, um seinem Blick auszuweichen.

„Wird auch Zeit“, lächelte er zurück. „Der Wetterbericht sagt allerdings anderes.“

Er hatte sich soeben eine Zeitung aus seinem schwarzen Aktenkoffer geholt, den er auf den freien Sitz neben sich gestellt hatte. Sie musste wohl fragend geschaut haben, denn er fügte noch an: „Steht hier jedenfalls. Es soll stürmisch werden!“


Das stets Fragende in ihrem Blick war gewiss eine berufsbedingte Allüre. Zu fragen war ihr Job. Schon irre, dass das Spiel genau das kompensierte. Da durfte sie das nicht. Sklavinnen war es verboten, Fragen zu stellen. Was hatte sie doch für einen großzügigen Gebieter, schmunzelte sie in sich hinein. Er hatte ihr eine pro Tag gestattet. Au Mann ...

Hoffentlich konnte der Typ da keine Gedanken lesen und hatte auch nicht bemerkt, dass das Neugierige in ihrem Blick weniger dem Wetter als der Erkundung gegolten hatte, was sich hinter diesem steten, fixierenden und beinahe etwas kalten Augenausdruck ihres Gegenübers verbarg. Lag darin nicht sogar etwas Unheimliches und geradezu Gieriges?

Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr erschien es ihr so, als dass der sie förmlich auszog mit seinen Blicken! Wieso bloß kam er ihr so bekannt vor?

„Na was die schon sagen“, versuchte sie den eingeschlagenen Wetterpfad weiter zu beschreiten. Etwas verkrampft achtete sie darauf, sich nicht allzu viel zu bewegen und schon gar nicht erneut ein Bein überzuschlagen. Der hatte Adleraugen!

„Sie haben recht, man sollte nicht alles glauben, was man liest, sondern eher dem vertrauen, was man selber sieht“, antwortete er recht schnell und legte die eben erst aufgeschlagene Zeitung beiseite, so als ob er mehr daran interessiert sei, die Unterhaltung mit ihr fortzusetzen. Sollte sie darauf eingehen? Weit war es ja nicht mehr und unsympathisch war er auch nicht.

Aber was wollte der denn damit sagen? Klang ja beinahe philosophisch. Oder? Oje!

Reflexartig führte sie ihre rechte Hand an den Hals und ließ es so aussehen, als ob sie sich kratzte. War der Abdruck des Halsbandes womöglich doch durch den Rolli zu sehen? Nein, das war doch nicht möglich!


Esther, das war eine Floskel! Der will ein wenig flirten. Ist doch nichts dabei!


Manchmal war ihre innere Stimme auch trügerisch. Wer weiß, vielleicht sah der wirklich was. Gelegentlich hatte sie ja sogar das Gefühl, dass alle Welt die kleine Plakette an ihren Schamlippenpiercings sehen könnten, die sie seitdem trug. So richtig hatte sie sich immer noch nicht daran gewöhnt.

„Heißt es nicht 'man sieht nur mit dem Herzen gut'?“, entgegnete sie, einer plötzlichen Eingebung folgend. Sie verscheuchte ihre Bedenken und strich sich langsam mit der Hand, die sie noch immer an ihren Hals gedrückt hatte, die Haare hinter ihr rechtes Ohr. Der erotischen Wirkung dieser Bewegung war sie sich durchaus bewusst, hatte sie doch nicht nur während ihres Studiums einen Kurs über Körpersprache absolviert. Erst neulich war sie sich, während der Lektüre dieses Manuskriptes, der lange verdrängten Tatsache bewusst geworden, dass sie damals in Claires Liebesschule auch so eine Art Flirtkurs absolviert hatte.

Was hatte sie bloß alles mitgemacht, bevor sie Felix kennengelernt hatte! Warum nur ...?


„Oh, Sie sind Exupéry-Fan!“, zerschnitt er schmunzelnd ihre schon wieder abschweifenden Gedanken. „Aber Vorsicht, der ist beim Fliegen abgestürzt!“

Mensch, der kannte sich ja beinahe aus. Ob sie korrigieren sollte, dass Exupéry in Wirklichkeit abgeschossen wurde? Ach Unsinn, war doch hier kein Geschichtsunterricht. Aber irgendetwas Lehrerhaftes hatte der Typ ja schon, musste sie bei dieser Gelegenheit konstatieren. War nur so ein Gedanke“, erwiderte sie stattdessen und war ganz froh, in diesem Moment vom Felix-SMS-Klingelton unterbrochen zu werden, obwohl der ziemlich verwegen war und sie eigentlich dachte, auf stumm geschaltet zu haben. Er hörte sich an wie das knarrende Sich-Öffnen einer ungeölten Kellertür.

„Na, mein Stern, bist du auch brav?“

Mein Stern, das hatte er schon lange nicht mehr gesagt. Das war fürs Herz. Hatte er ihren Exupéry-Gedanken gelesen?

„Hältst dich hoffentlich an deine Sklavinnengebote!“

Das war fürs Spiel.

Sie musste sicher unbewusst die Augen verdreht haben, denn der Fremde lächelte sie verschmitzt an. Hatte wohl gerade etwas sagen wollen, aber es knurrte schon wieder.

„Zieh den Rock höher!“


Boah, Felix! Jetzt lass mich doch mal in Ruhe. Bin doch nicht allein!


Keine SMS, natürlich nicht, nur gedacht. Im Kopf verzwirbelt mit der wieder und wieder aufflackernden Idee von der Synchronizität der Ereignisse. Hatte sie doch just in diesem Moment ihren Rock glatt gestrichen und, so weit es eben ging, den Stoff nach vorn zu den Knien geschoben.

Das mochte jetzt wirklich ein Zufall gewesen sei, aber es war häufig so, dass Felix und sie gegenseitig ihre Gedanken errieten und sich nicht nur wortlos verstanden, sondern regelrecht miteinander reden konnten. Tina meinte ja sogar, sie hätten telepathische Fähigkeiten.

Felix, mein Liebster! Ich stelle jetzt den Ton ab, nicht böse sein, ja?

Keine SMS, nur eine Antwort.

„Ja, das ist schon was mit diesen Dingern, nicht wahr?“, machte der Nadelstreifentyp wieder auf sich aufmerksam. „Nirgendwo hat man seine Ruhe. Ist die reinste Überwachung, was?“

Er lächelte und fixierte sie weiter mit stechendem Blick. Verdammt, der spürte was! So ein Mist!

„Na, Sie können wohl Gedanken lesen“, lachte sie beschwichtigend. Sollte als Joke gedacht sein, obwohl es ja eigentlich genau das sagte, was sie empfunden hatte. War ihr Gehirn ein gläserner Apparat, zu dem jeder ungehindert Zugang fand? Felix hatte mal gemeint, das läge daran, dass sie ein sehr vertrauensseliger und offener Mensch sei. Das war lieb gemeint gewesen. Anders ausgedrückt hieß das, sie war manchmal ziemlich naiv.

Jetzt auch schon wieder. Ließ sich da in ein Gespräch mit einem Fremden verwickeln, das ihr tiefstes Inneres berührte. Sie sollte wirklich ein bisschen vorsichtiger sein.


„Gelegentlich sagt man mir in der Tat diese Fähigkeit nach“, ging der tatsächlich darauf ein. „Aber das ist Unsinn. Ich bin lediglich ein guter Beobachter und spüre die Bedürfnisse meiner Mitmenschen.“

Ein kleines bisschen selbstverliebt war der schon. Andererseits strahlte er Autorität aus, an der man besser nicht zweifelte. Aber was ging sie das an? Gleich war sie am Ziel und sie würde ihn kaum je wieder sehen. So ein Quatsch! Spürt die Bedürfnisse seiner Mitmenschen. Ob der auch gerade ihr Bedürfnis spürte, dass sie momentan am liebsten gar nicht hier wäre, sondern lieber Felix' Hand spürte, wie sie langsam an ihren Schenkeln hochglitt und ganz sachte ...


Esther, Stopp!


Oder wenn er sie dann gar nicht sachte, sondern ruckartig übers Knie legte und sie schon zitterte und es gefährlich zu kribbeln begann, noch bevor seine starke Hand ihren Po überhaupt touchiert hatte ...


Esther!!


Mist! Wie konnte sie nur diese Gedanken abstellen?

„Alle Achtung“, versuchte sie sich durch ihre eigenen Worte abzulenken – und sie schienen ihr selbst nicht gerade intelligent gewählt. „Dann spüren Sie ja sicher, dass ich endlich ankommen und hier raus will.“

Milde lächelnd öffnete er seinen schwarzen Aktenkoffer, um die Zeitung wieder hineinzulegen.

„Ja, gewiss doch“, murmelte er, ein wenig abwesend wirkend, und hantierte an seinem Koffer herum, um ihn schließlich mit durchgedrückten Scharnieren offen auf dem Sitz stehen zu lassen.


Esther, bleib cool!!


Diesmal war ihre innere Stimme noch schneller da als der blitzartige Adrenalinstoß, der sie durchzuckte, der ihren Atem stocken und ihr Herz bis zum Hals schlagen ließ. Das war ja...!

Während sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, und sie innerlich zum x-ten Male verdammte, dass sie es einfach nicht verhindern konnte zu erröten, schlug der Typ gemächlich ein Bein über das andere, blickte auf seiner Seite zum Abteilfenster hinaus und fügte an, als sei sonst gar nichts: „Ich glaube, es ist nicht mehr weit.“


Esther, dein Mund steht offen!


Sie schluckte, sah zu ihrem Fenster hinaus und war keiner Entgegnung fähig. Gut, dass sie bald da war! Doch was, wenn der etwa auch dorthin fuhr? Verkehrter Gedanke. Wieso ging er ganz offensichtlich davon aus, dass sie dorthin fuhr?


Dorthin?! Beruhige dich. Was wäre denn dabei?


Was dabei wäre? Da ließ ein distinguierter Gentleman mittleren Alters mit einer faszinierend autoritären Ausstrahlung so mir nichts, dir nichts am helllichten Tage eine süße kleine Peitsche mit filigran geflochtenem Handgriff aus schwarzem Leder einfach so ganz öffentlich herumliegen, dass man's gar nicht übersehen konnte!


Öffentlich? Da ist doch keiner außer dir!


Ja, da war niemand außer ihr, dem diese kleine Botschaft gelten konnte. So was machte man ja wohl auch kaum aus Versehen.

Krampfhaft bemüht, nicht dahinzuschauen und zu ignorieren, was nicht zu ignorieren war, versuchte sie, ihr innerliches Flattern in den Griff zu bekommen. Alle Ahnungen über die Welt verwirbelten miteinander. Verdammt, wer war das? Sie wollte sich ablenken, allein es gelang ihr nicht recht. Ihr fiel stattdessen auch noch jenes erste Mal ein, als Felix solch ein Instrument aus einem Erotik-Shop mitgebracht hatte. Ein ganz einfaches Ding und längst nicht so edel wie dieses Teil hier. Dieses Teil da war aus feinstem Leder und die Schnüre waren an den Enden mit kleinen Knoten versehen.


Esther, du schaust ja doch dahin!


Ja, verdammt, und den Typ, wenn auch nur aus den Augenwinkeln zu mustern, konnte sie auch nicht vermeiden. Sie wollte es auch gar nicht mehr vermeiden. Gewiss werden wollte sie sich, dass ihre dunkle Ahnung ...


Der war das! Auf einmal kam die Erleuchtung. Jetzt war sie sich sicher.

Auf Schloss B. hatte sie den schon mal gesehen. Bei welcher Gelegenheit wusste sie nicht mehr, aber der Eindruck verfestigte sich. Oje! Ein Gebieter der Gemeinschaft war das also! Und bestimmt hatte der sie von Anfang an erkannt, während sie darüber gegrübelt hatte, wieso der ihr so sehend vorkam.

Führte der etwas im Schilde? Und überhaupt, wieso fuhr der ...? Schockschwerenot, der fuhr wirklich auch dahin! Hatte da vielleicht sogar eine besondere Funktion. Mist, sie war noch so naiv! Wie sollte sie bloß diese Aufgabe bewältigen, die sie übernommen hatte?


Esther, vielleicht ist es für deinen Job sogar ganz gut, wenn du nicht alles weißt. Das wirkt echter. Der weiß möglicherweise, dass du in der Gemeinschaft bist, weil er dich dort gesehen hat. Von deinem Job jedoch kann der nichts wissen!


Wer weiß, vielleicht gehörte der sogar zu einer anderen Fraktion – einer feindlichen. Sie musste auf der Hut sein, in doppelter Hinsicht. Erstens durfte sie sich nicht anmerken lassen, dass sein Affront sie in irgendeiner Weise beschäftigte. Schon gar nicht aber durfte der, wenn sich ihr Verdacht bestätigte, dass sie im gleichen Boot saßen, auch nur den Hauch eines Hinweises von ihr bekommen, dass sie mehr als eine ganz normale Bachelorette an diesem neuen Institut der Gemeinschaft war.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass ihr neuer Job bereits begonnen hatte – und zwar gerade jetzt! Und wenn dem so war, blieb ihr nur eines übrig: Sie musste ab sofort die brave Elevin geben, welche in dieses Institut ging, um ihr Examen als Bachelorette zu machen. Doch genau so war es ja im Prinzip auch von Anfang an geplant gewesen. Dass es allerdings so schnell losging!


Als sie bemerkte, dass der Zug an Fahrt verlor, setzte sie sich ganz aufrecht hin und nahm wieder Blickkontakt auf. Es sollte ihm klar werden, dass sie die Botschaft des corpus delicti verstanden hatte.

„Steigen Sie jetzt auch aus?“, flüsterte sie fragend, setzte dabei das unschuldsvollste Lächeln auf, das ihr möglich war, und war selbst erstaunt, wie überrascht das klang. Weil sie ihrer möglicherweise zu neugierig klingenden Frage den Nimbus des Bedeutungsvollen nehmen wollte, stand sie auf, um beiläufig schon einmal ihre Jacke anzuziehen. Sofort erhob sich der Gentleman, um ihr hineinzuhelfen. Sein Kommentar war so geheimnisvoll wie sein herber Duft.

„Nie sollst du mich befragen!“

Die dazu passende Melodie summte er noch ein paar Takte weiter.


Felix!! Was passiert hier? Träume ich?

Das Angebot des Gentleman, ihren kleinen Reisekoffer zu tragen, lehnte sie sicherheitshalber ab.