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Rob Monroe

Pulverdampf am Mississippi

Western





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1

 

Louisiana, 1889: Hasserfüllte Blicke trafen den Mann in dem schwarzen Gehrock und dem blütenweißen Hemd, als er seinen Rappen über die Planke an Bord der Delta Queen brachte. Der Mississippi-Dampfer stieß bereits kohlschwarzen Rauch durch die beiden hohen Schornsteine aus. Es herrschte ein Gewirr von mit Gepäck beladenen Passagieren, fluchenden Matrosen und halbnackten Stauern. Der Hafen von New Orleans glich einem Hexenkessel.

 

Ein rothaariger Hombre hielt sich hinter Baumwollballen versteckt. Von dort aus beobachtete er weiterhin den Fremden. Wut, Zorn und grenzenloser Groll kochten in seinem Inneren. Der Schweiß lief ihm über das unrasierte Gesicht. Gerne hätte er dem Mann mit den leuchtend blauen Augen eine Kugel aus dem Hinterhalt verpasst. Aber es gab kein gutes Schussfeld für ihn. Der Rothaarige konnte es nicht riskieren, daneben zu schießen. Wenn nämlich Sherman nur die geringste Chance zur Gegenwehr bekam, dann konnte der Rotschopf sein Testament machen. Außerdem war der Rotschopf kein guter Schütze, das war ihm bewusst. Seine Waffe war das Messer. Damit konnte er erstklassig umgehen.

 

Er starrte seinem Feind hinterher, der seinen schwarzen Hengst am Zügel zu den anderen Reittieren unter dem Verschlag auf dem Achterdeck brachte. Plötzlich schlug jemand dem Rothaarigen mit der Hand auf die Schulter. Der Unrasierte fluchte lästerlich. Er riss sein Bowiemesser heraus. Der Mann, der neben ihm aufgetaucht war, zuckte zusammen und trat einen Schritt auf den knarrenden Planken zurück.

„Hey, Snake! Du schneidest ein Gesicht, als ob ein Alligator deine Zehen abnagen würde!“, rief der Kerl mit der tomatenroten Säufernase.

„Willst du nicht noch etwas lauter schreien, Will?“, fauchte der Rothaarige. Immerhin schob er sein Messer in die Lederscheide zurück. Old Will war ein harmloser Trunkenbold, der mit dem Gesetz genauso auf Kriegsfuß stand wie Snake Slim selbst. Sie waren sich einst in einem Banditen-Hideout in den Sümpfen Louisianas begegnet und liefen einander seitdem immer wieder über den Weg. Überall dort, wo Kerle vor der ehrlichen Arbeit flohen und sich nach mühelos zusammengerafften Dollars sehnten.

 

Will schob seinen speckigen Halbgallonenhut in den Nacken und kratzte sich unter den Achseln.

„Was ist denn mit dir los?“, wollte er von seinem Kumpan wissen. Snake Slim deutete mit einer Kinnbewegung in Richtung des Manns im schwarzen Gehrock, der sich inzwischen außer Hörweite befand und ihnen den Rücken zudrehte.

„Weißt du, wer das ist?“

Will machte einen langen Hals.

„Nee. Aber du wirst es mir bestimmt gleich verraten.“

„Dieser Stutzer wird nur Sherman genannt. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Sein Hemd ist blütenweiß, aber an seinen Händen klebt rotes Blut.“

Der Säufer zuckte verständnislos mit den Schultern.

„Na und? Du bist doch auch kein Unschuldslamm, wenn ich mich nicht irre. Ich weiß nicht, wie viele Männer du auf dem Gewissen hast, Snake.“

Es war, als ob der Rothaarige nicht zugehört hätte.

„Sherman hat in Tulsa meinen Bruder aus den Stiefeln geblasen. Ich bin nicht dabei gewesen, aber mir wurde davon berichtet.“

„Moment mal.“ Will kratzte sich im Nacken. „Meinst du etwa den Sherman, der sich vor keinem Kampf fürchtet?“

„Kennst du noch einen anderen Hundesohn, der unter diesem Namen durch den Westen reitet?“, grollte Snake Slim. „Es passt alles zusammen. Er hat einen Rappen unter dem Sattel, er trägt zwei Fünfundvierziger-Revolver im Buscadero-Gürtel, er ist groß und schlank , die Augen sind blau – der Henker soll mich holen, wenn nicht soeben Sherman an Bord gekommen ist.“

Will zog die Whiskeyflasche aus seiner schäbigen Jacke und nahm einen Schluck.

„Wie ist die Sache mit deinem Bruder denn überhaupt geschehen?“, fragte er sensationsgierig.

„Ich hörte, dass Ned mit einem Mädchen im Horseshoe Saloon schäkerte“, knurrte Snake Slim. „Da kam Sherman herein. Mein Bruder wusste nicht, wen er vor sich hatte. Einige der Hombres an der Theke warnten ihn. Aber dadurch erreichten sie nur das Gegenteil. Ned stach der Hafer. Er legte sich mit Sherman an.“

Will grinste.

„Wahrscheinlich wollte er die Kleine beeindrucken.“

Snake Slim warf dem Trunkenbold einen so unheilverkündenden Blick zu, dass ihm das Grienen sofort verging.

„Es kam, wie es kommen musste. Ned forderte Sherman zum Revolverkampf. Und der Bastard ließ sich darauf natürlich ein. Mein Bruder war ein Milchbart. Er hatte zwar schon an ein paar Überfällen teilgenommen und war ganz gewiss kein Feigling. Aber gegen Sherman hatte er natürlich keine Chance. - Jetzt hat der Höllenfürst höchstpersönlich dafür gesorgt, dass sich Shermans und mein Weg kreuzen. Ich werde Ned rächen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“

Will nickte ernsthaft und trank noch mehr Whiskey.

„Ja, Blut ist dicker als Wasser. Es ist ein weiter Weg von Tulsa nach New Orleans. Weißt du, was Sherman hier zu suchen hatte?“

„Nein, und es ist mir auch egal. Ich habe einen ungeheuren Vorteil, Will. Sherman kennt mich nicht. Er weiß nicht, wer ich bin und dass ich ihn mehr hasse als jeden anderen Mann auf der Welt. Ich kann in seine Nähe kommen, er wird völlig arglos sein. Und dann, wenn er überhaupt nicht damit rechnet, schneide ich ihm einfach die Kehle durch.“

2


Sherman hatte beinharte Wochen hinter sich. Er war in den Sümpfen Louisianas auf der Suche nach einer vergessenen Missionsstation gewesen, in der angeblich ein riesiger Schatz versteckt gewesen sein sollte. Der Abenteurer hatte die Ruine wirklich entdeckt. Das Vermögen hatte allerdings aus nicht mehr als einer Handvoll Goldmünzen auf dem Boden einer halb vermoderten Truhe bestanden.

Stattdessen war Sherman mit einer Bande aneinander geraten, die in dem abgelegenen Gebiet ihr Versteck hatte. Es gab etliche brandgefährliche Situationen, aber das war für ihn nichts Neues. Sherman war es gewohnt, um sein Leben zu kämpfen, seit er sich rasieren musste. Letztlich hatte er etliche von den Galgenvögeln ins Jenseits befördert, um eine wehrlose Küstenfischerin und sich selbst vor diesen erbarmungslosen Schurken zu schützen. Die junge Frau hatte ihm dann auf ihre ganz spezielle Art ihre Dankbarkeit bewiesen und ihn gar nicht mehr gehen lassen wollen.


Doch der Abenteurer blieb nie lange an einem Ort. Allerdings war sein schwarzer Hengst durch die langen Ritte in dem schwierigen Gelände und die vielen Entbehrungen völlig erschöpft. Daher reiste Sherman jetzt ausnahmsweise per Schiff flussaufwärts. Sein treues Pferd konnte durch die Zwangspause an Bord neue Kraft schöpfen. Und Sherman selbst hatte nach den Entbehrungen in den Sümpfen nichts gegen etwas Luxus auf diesem großen Schaufelraddampfer.


Allerdings kam es ihm so vor, als ob ihn ständig jemand beobachten würde. Aber jedes Mal, wenn er sich umdrehte, konnte er keine verdächtige Person entdecken. Sherman war kein Mann, der sich selbst in Panik versetzte. Er verfügte über einen starken Überlebensinstinkt, der ihn bisher noch stets vor einer unmittelbaren Todesdrohung gewarnt hatte.


An Bord der Delta Queen waren etliche hundert Menschen unterwegs. Die meisten von ihnen mussten es sich bei Nacht als Deckpassagiere zwischen den aufgestapelten Baumwollballen und der übrigen Fracht bequem machen. Da Sherman einige der von ihm entdeckten Goldmünzen in Dollarnoten umgewechselt hatte, verfügte er über eine Einzelkabine auf dem oberen Promenadendeck. Doch bei dem schönen Wetter hielt es ihn nicht dort. Sherman stand in der Nähe des Bugs, umfasste die eiserne Reling mit beiden Händen und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Es roch nach Magnolien und frischen Steaks, die irgendwo am Ufer auf den Grill geworfen wurden. Die Delta Queen hatte New Orleans bereits hinter sich gelassen und Fahrt aufgenommen.

„Haben Sie mal Feuer, Mister?“

Eine glockenhelle Frauenstimme riss Sherman aus seinen Gedanken. Er drehte sich zur Seite und erblickte eine junge Schönheit mit feuerroten Korkenzieherlocken, die sich gegen die Reling lehnte und ihm höchst ermutigende Blicke zuwarf. Sie trug ein enges flaschengrünes Kleid, das ihre gute Figur betonte. Ihr Strohhut von der Größe eines Wagenrades beschattete das hübsche Gesicht. Trotzdem konnte Sherman das Leuchten ihrer grünen Augen nicht übersehen.

Die Rothaarige öffnete ein silbernes Zigarettenetui und steckte sich einen Glimmstängel zwischen ihre kirschroten Lippen. Der Abenteurer fischte ein Zündholz aus seiner Tasche und riss es an der Stiefelsohle an. Während er mit der anderen Hand die Flamme vor dem Wind schützte, steckte er die Zigarette in Brand. Dabei berührten sich ihre Hände, und das betörende Parfüm der Fremden stieg in seine Nase.

Das Abenteuer mit der einsamen Fischerin lag schon wieder einige Tage zurück. Daher war es kein Wunder, dass Shermans Glied in Gegenwart dieser Unbekannten eine beachtliche Härte erreichte. Er war eben sehr empfänglich für weibliche Reize. Sie inhalierte den Rauch und schenkte Sherman einen weiteren wohlwollenden Blick.

„Danke, Mister. Sie scheinen den Fluss zu mögen. Die anderen Hombres sind bereits im Bordsalon verschwunden und schauen in die Whiskeygläser statt auf den Horizont.“

Der Abenteurer zuckte mit den Schultern.

„Der Mississippi ist eine schöne Abwechslung für mich. Meist reite ich wochenlang über die Plains und kriege nicht viel Wasser zu sehen. Und hier reicht es bis zum Horizont.“

Die junge Frau stand so nahe bei Sherman, dass er die Wärme ihres jungen Körpers spüren konnte.

„Der Mississippi ist meine Welt, ich kenne jede Meile zwischen der Mündung und dem Ende des schiffbaren Flusslaufs. Mein Name ist übrigens Kitty Fleur.“

„Sherman.“

Kitty musterte den Abenteurer erneut. So, als ob sie ihn jetzt mit ganz anderen Augen sehen würde. Bisher hatte sie nur mehr oder weniger deutlich geflirtet. Nun aber schaute Kitty den Abenteurer mit Respekt an. So, als ob sie eine lebende Legende vor sich hätte.

„Sie sind Sherman? Es sind viele Geschichten über Sie im Umlauf.“

„Man muss nicht alles glauben, was erzählt wird.“

Die Rothaarige lachte und lehnte sich plötzlich gegen ihn.

„Sie sollen sehr gefährlich sein, sagt man.“

„Nur für meine Feinde.“

„Und was tun Sie an Bord der Delta Queen?“

„Reisen.“

Die Schöne kniff die Augen zusammen und kräuselte ihre verführerischen Lippen.

„Sie lassen sich nicht gern in die Karten schauen, nicht wahr?“

Sherman zuckte mit den Schultern.

„Ich habe eine Passage nach Vicksburg gebucht. Das ist kein Geheimnis.“

Kitty lächelte Sherman vielversprechend an.

„Es ist ein langer Weg von New Orleans bis nach Vicksburg. Wie werden Sie sich die Zeit vertreiben? Sie wollen doch gewiss nicht dauernd den Fluss anschauen?“

„Haben Sie eine Idee, was ich machen könnte?“

„Wie wäre es mit einer Pokerpartie? Es werden sich gewiss noch einige weitere Gentlemen finden, die nicht abgeneigt sind.“

Sherman grinste. Eine schöne junge Frau, die den Mississippi zu ihrer Heimat gemacht hatte und sich am Spieltisch wohlfühlte? Seine Neugier war geweckt. Und sein Instinkt sagte ihm, dass es in dieser Nacht nicht nur beim Pokern bleiben würde.

3


Kitty hakte sich bei ihm ein, als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre. Dann warf sie Sherman einen schmachtenden Blick zu.

„Der heiße Abendwind macht mich immer so furchtbar durstig. Lassen Sie uns schauen, ob wir etwas dagegen unternehmen können.“

„Sie sind eingeladen.“

Sherman gab sich ganz als Gentleman. Dabei blieb er auch in dieser Situation ein eisenharter Kämpfer. Obwohl er scheinbar lässig an Kittys Seite den mit Mahagoniholz und vielen Spiegeln luxuriös eingerichteten Salon betrat, entging seinen prüfenden Blicken nichts. Der Abenteurer hätte immer noch schwören können, dass es jemand auf ihn abgesehen hatte. Gerade deshalb wusste Sherman die vielen großen Reklamespiegel der Brauereien doppelt und dreifach zu schätzen. Sie sollten eigentlich nur dazu dienen, den Raum größer erscheinen zu lassen. Aber Sherman konnte dank der Spiegel genau erkennen, was sich hinter ihm abspielte.

Einige Hombres an der Theke warfen Sherman neidische Blicke zu. Es waren nicht viele andere Frauen anwesend. Keine der übrigen Ladies konnte es an Liebreiz mit Kitty aufnehmen. Die Rothaarige war anscheinend bekannt wie ein bunter Hund. Nicht nur ein Schiffsoffizier, auch mehrere andere Männer grüßten sie mit ihrem Namen.

„Nun, Miss Kitty? Wollen Sie uns wieder die Hosen herunterziehen?“

Diese Frage kam von einem dicken Hombre mit Backenbart. Sein Baumwollanzug und sein Akzent wiesen ihn als Südstaaten-Pflanzer aus. Und er war reich, wie Sherman mit einem einzigen Blick bemerkte. Allein der Gegenwert seiner Uhrkette wäre ausreichend gewesen, um eine zehnköpfige Farmerfamilie aus Missouri ein Jahr lang am Leben zu erhalten.

Shermans Begleiterin antwortete mit einem perlenden Lachen.

„Die Hosen herunterziehen? Ja, aber nur im übertragenen Sinn. Ich bin eine Lady mit moralischen Grundsätzen, die eine erstklassige Schulbildung im Kloster genossen hat.“

Ein anderer Hombre, dessen Gesicht an ein Frettchen erinnerte, hatte bereits an einem runden Tisch Platz genommen und ein Set Spielkarten auf die Platte gelegt.

„Miss Kitty, wo bleiben Sie denn? Sie sind doch sonst immer die Erste, wenn es ums Pokern geht.“

Sherman hatte soeben einen Likör für seine Begleiterin und einen Whiskey für sich selbst geordert. Kitty nahm das Glas mit einem dankbaren Augenaufschlag von dem Abenteurer entgegen, dann wandte sie sich dem Frettchengesicht zu.

„Ich werde mich gern an der einen oder anderen Partie beteiligen. Auf unsere heutige Runde bin ich gespannt. Darf ich Ihnen Sherman vorstellen?“

Außer dem kleinen Hombre mit den Spielkarten und dem dicken Backenbartträger hatte sich noch ein dritter Mann zu der Runde gesellt. Er wirkte auf Sherman wie ein ehemaliger Cowboy, der als Rancher zu Geld gekommen war. Seine großen rissigen Hände zeugten davon, dass er einst sein Geld mit Sattelarbeit verdient hatte. Aber nun trug er einen teuren Anzug und hatte etwas Fett angesetzt.

Frettchengesicht hieß Joe Logan, wie Sherman nun erfuhr. Während die Karten ausgeteilt wurden, erfuhr der Abenteurer auch die Namen der anderen Spieler. Der Südstaatenpflanzer stellte sich als Lucius Braddock vor, während der Rancher Miles Cardiff hieß. Die Männer rauchten und warfen Sherman gelegentlich prüfende Blicke zu. Als schließlich Kitty und alle anderen Spieler ihre Karten bekommen hatten, ergriff Logan das Wort.

„Es ist ein gutes Gefühl, Sherman an Bord zu haben. Da spreche ich nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Passagiere.“

Der Abenteurer wusste nicht, ob die Worte des Kleinen ehrlich gemeint waren. Er mochte keine Schmeicheleien und erwiderte deshalb zunächst gar nichts. Während die Pokerpartie begann, schüttelte Cardiff langsam den Kopf.

„Nichts gegen Sie, Sherman. Aber ich kann sehr gut auf mich selbst achten. Wenn meine Ranch von Viehdieben heimgesucht wird, dann verteidigen wir unser Leben und unser Eigentum mit der Waffe in der Hand. So, wie es unser Recht ist.“

Sherman schaute ihm direkt in die Augen.

„Ich habe nichts dagegen gesagt.“

Cardiff beugte sich vor.

„Wenn es nach mir geht, dann brauchen wir keinen bezahlten Aufpasser, der uns vor messerstechenden Raubmördern schützt.“

„Ich bin normaler Passagier an Bord der Delta Queen“, erklärte Sherman. „Ich bekomme keinen Cent dafür, dass ich mit diesem Schiff reise. Und von Raubmördern mit Messern weiß ich auch nichts.“

Logan seufzte, während er erneut Karten austeilte.

„Diese Bastarde haben sich zu einer wahren Landplage entwickelt. Oder vielleicht sollte ich besser Flussplage sagen, weil sie auf dem Mississippi so häufig anzutreffen sind wie Reißzähne in einem Alligatormaul.“

„Das sind doch alles Ammenmärchen“, behauptete Cardiff.

Lucius Braddock war anderer Meinung.

„Nein, Sir. Das sehe ich anders. Mein Nachbar wollte im vorigen Monat nach New Orleans reisen. Er schiffte sich ein, hat aber sein Ziel niemals erreicht. Auch seine Leiche wurde nicht gefunden. Es gibt auf diesem Fluss bei dunkler Nacht unendlich viele Gelegenheiten, einen Toten einfach über Bord zu werfen. Wenn die Schaufelräder nur laut genug sind, wird es niemand bemerken. Und die Panzerechsen tun sich gütlich an dem Schmaus.“

„Vielleicht sollten Sie das Thema wechseln, wenn eine Lady anwesend ist“, schlug Sherman vor. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Kitty lächelte ihm zu.

„Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen, aber ich bin nicht zart besaitet. Außerdem kann auch ich mich sehr gut selbst verteidigen.“

Die Spielerin öffnete ihre auf dem Tisch liegende Handtasche. Sherman warf einen Blick hinein und sah einen Derringer.

Cardiff gab aber keine Ruhe. Vielleicht war er einfach nur eifersüchtig, weil Kitty dem Abenteurer so ungeniert schöne Augen machte.

„Ich sage einfach nur die Wahrheit“, beharrte der Rancher. „Sie sollen verflucht schnell mit dem Revolver sein, Sherman. Aber was nützt Ihnen das, wenn ein Meuchelmörder nachts in Ihre Kabine kommt und Ihnen die Kehle durchschneidet? Ein Messer ist eine gemeine Waffe, lautlos und absolut tödlich.“

„Wollen wir uns nicht dem Spiel widmen?“, wandte Logan schüchtern ein. Die Männer redeten sich bereits die Köpfe heiß.

„Was tut die Schiffsführung gegen diese Verbrechen?“, wollte der Pflanzer wissen. „Es muss sich doch herumsprechen, in was für einer Gefahr die Passagiere schweben.“

„Angeblich werden nachts Wachen aufgestellt“, sagte Cardiff. „Gut, dann stehen ein oder zwei Matrosen mit einer Springfield in den Fäusten auf dem Vorder- und Achterdeck. Glaubt irgend jemand, dass sich die Killer davon abschrecken lassen? So ein Flussdampfer ist nachts wie ein Berg, der durch das Wasser gleitet. Er bietet unzählige Versteckmöglichkeiten. Und wenn wirklich ein Wachtposten aufmerksam wird, dann legt sich der Verbrecher zwischen die anderen Deckpassagiere. In der Finsternis kann man nicht unterscheiden, wer eben gerade noch ein Messer geschwungen hat und wer nicht.“

Sherman beteiligte sich nicht an der Debatte. Ihm lag das Handeln mehr als das Reden. Außerdem litt seine Konzentration darunter, dass Kitty ihre Spielkarten nur in der einen Hand hielt. Die andere benutzte sie, um gelegentlich eine Karte in die Mitte zu werfen oder ihren Gewinn einzustreichen. Meistens allerdings glitten ihre Finger unter den Tisch und lagen auf Shermans Oberschenkel. Und zwar ziemlich weit oben.

Kitty hatte schon einige Dollars gewonnen, auch von Sherman. Aber das war dem Abenteurer egal. Er wusste, dass sie mehr von ihm wollte als sein Geld. Und er hatte nicht das Geringste dagegen. Die Laune des Ranchers verschlechterte sich hingegen immer stärker. Das Kartenglück hatte ihn sehr schnell verlassen.

„Man könnte meinen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht“, sagte er drohend, als der Einsatz wieder einmal bei Kitty landete.

Die Rothaarige zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.

„Das sind nicht meine Spielkarten, also kann ich sie auch nicht gezinkt haben.“

„Mir fällt nur auf, dass Sie dauernd gewinnen.“

„Vielleicht liegt es daran, dass ich mich aufs Pokern konzentriere und nicht über Messermörder rede.“

Cardiff zog seine Augenbrauen zusammen.

„Das muss ich mir nicht sagen lassen!“

Sherman stand auf.

„Warum beenden Sie nicht einfach das Spiel? Dann werden Sie auch nicht weiterhin verlieren. Aber Sie sollten keine Lady beleidigen.“

Der Abenteurer hatte nicht laut, aber mit Nachdruck gesprochen. Cardiff rang nach Luft. Es gefiel ihm gar nicht, dass sich Sherman plötzlich gegen ihn stellte. Einen Moment lang sah es so aus, als ob er einen ernsthaften Streit vom Zaun brechen wollte. Aber dann erinnerte er sich anscheinend an Dinge, die er über seinen Widersacher gehört habe. Die rechte Hand des Ranchers öffnete und schloss sich. Doch er führte sie nicht in die Nähe seines Revolvergriffs. Cardiffs Stirn wurde mit unzähligen kleinen Schweißperlen bedeckt.

„Machen Sie doch, was Sie wollen!“, stieß er schließlich hervor. Der Rancher warf seine Spielkarten auf den Tisch und wandte sich ab. Er ging zur Theke und orderte einen Drink.


„Danke, dass Sie für mich eingetreten sind“, raunte Kitty dem Abenteurer zu. „Aber jetzt haben Sie sich einen Feind fürs Leben gemacht.“

„Auf noch Einen mehr kommt es auch nicht an“, gab Sherman zurück.