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Jack London

Gesammelte Werke

Romane und Geschichten

Jack London

Gesammelte Werke

Romane und Geschichten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
1. Auflage, ISBN 978-3-962813-47-5

null-papier.de/577

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

An der wei­ßen Gren­ze

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Das Mond­tal

Ers­tes Buch

Zwei­tes Buch

Drit­tes Buch

Der Ruhm des Kämp­fers

Der Ruhm des Kämp­fers

Der Me­xi­ka­ner Fe­li­pe Ri­ve­ra

Der Schrei des Pfer­des

Wer schlug zu­erst?

Das Ende vom Lied

Das Wort der Män­ner

Die Lie­be zum Le­ben

Der See­wolf

Ers­ter Teil

Zwei­ter Teil

Der Sohn des Wolfs

Das wei­ße Schwei­gen

Der Sohn des Wolfs

Die Män­ner von For­ty-Mile

In fer­nem Lan­de

Auf der Rast

Das Vor­recht des Pries­ters

Die Weis­heit der Rei­se

Das Weib ei­nes Kö­nigs

Eine Odys­see des Nor­dens

Der See­bau­er

Die glück­li­chen In­seln

Auf der Ma­ka­loa-Mat­te

Die Ge­bei­ne Ka­he­ki­lis

Koo­lau, der Aus­sät­zi­ge

Leb wohl Jack!

Alo­ha ʻOe

Der She­riff von Kona

Das Haus des Stol­zes

Die Trä­nen Ah Kims

Chun Ah Chun

Die Her­rin des Gro­ßen Hau­ses

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Drei Son­nen am Him­mel

Drei Son­nen am Him­mel

Die Hei­rat der Lit-Lit

Jees Uck

Braun­wolf

Ba­stard

Ne­go­re, der Feig­ling

Quar­tier für einen Tag

Der Kö­nig und sein Scha­ma­ne

Ein Sohn der Son­ne

Ein Sohn der Son­ne

Aloy­si­us Pank­burns wun­der Punkt

Die Teu­fel von Fua­ti­no

Die Witz­bol­de von Neu-Gib­bon

Eine klei­ne Abrech­nung mit Swi­thin Hall

Ein Abend in Go­bo­to

Fe­dern der Son­ne

Par­lays Per­len

In den Wäl­dern des Nor­dens

In den Wäl­dern des Nor­dens

Das Ge­setz des Le­bens

Nam-Bok, der Lüg­ner

Der Herr des Ge­heim­nis­ses

Die Män­ner des Son­nen­lan­des

Die Krank­heit des Ein­sa­men Häupt­lings

Keesh, der Sohn des Keesh

Li­gouns Tod

Li Wan, die Schö­ne

Der Bund der Al­ten

Jer­ry der In­su­la­ner

Vor­wort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Kid & Co.

Ein Miss­griff der Schöp­fung

Die Ge­schich­te ei­nes klei­nen Man­nes

Eier

Die neue Stadt

Das Wun­der des Wei­bes

Kö­nig Al­ko­hol

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Lock­ruf des Gol­des

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Mar­tin Eden

Ers­ter Band

Zwei­ter Band

Meu­te­rei auf der El­si­no­re

1

2

3

4

5

6

7

8

11

Mi­cha­el der Bru­der Jer­rys

1

2

4

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Nach­wort

Nord­land­ge­schich­ten

Ne­go­re, der Feig­ling

Der Kö­nig und sein Scha­ma­ne

Das Wort der Män­ner

Der Gott sei­ner Vä­ter

Das Vor­recht des Pries­ters

Die Weis­heit der Rei­se

Nam-Bok, der Lüg­ner

Der Bund der Al­ten

Jan, der Un­ver­bes­ser­li­che

Die große Fra­ge

Li­wan, die Schö­ne

Süd­see-Ge­schich­ten

Die Per­le

Der Wal­zahn

Mau­ki

Der blas­se Schre­cken

Otoo, der Hei­de

Die furcht­ba­ren Sa­lo­mon­in­seln

Der un­ver­meid­li­che wei­ße Mann

Feu­er auf See

Wolfs­blut

Ers­ter Teil

Zwei­ter Teil

Drit­ter Teil

Vier­ter Teil

Fünf­ter Teil

In­dex

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

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An der weißen Grenze

1

Alle Lu­ken des Damp­fers wa­ren of­fen. Quiet­schen­de, krei­schen­de und pol­tern­de Krä­ne tauch­ten mit spit­zen Ha­ken in sei­nen Bauch ein. Unabläs­sig hol­ten sie Kis­ten und Las­ten der Gold­grä­ber her­vor und schwan­gen sie hin­über in of­fe­ne Leich­ter, die zu bei­den Sei­ten längs des Schif­fes la­gen. Tau­send Men­schen has­te­ten auf Deck um­her und tra­ten ein­an­der auf die Füße. Die Schau­er­leu­te wa­ren im Streik, und die Pas­sa­gie­re muss­ten selbst ihre La­dung lö­schen. Es war kei­ne Ord­nung. Grup­pen­wei­se strit­ten sie sich um das Ei­gen­tums­recht an be­stimm­ten Las­ten, die mit »Punkt 2« oder »Punkt 2 Strich« ge­zeich­net wa­ren. Dann und wann kam es zu Schlä­ge­rei­en.

Der Ers­te Of­fi­zier ging durch das To­hu­wa­bo­hu und mach­te ein hei­te­res Ge­sicht, als gin­ge ihn die gan­ze Sa­che nichts an.

»Gold­grä­ber sind eine leicht ver­derb­li­che Fracht«, sag­te er zu Fro­na Wel­se. »Sie zit­tern um jede Mi­nu­te …«

»Und ich erst!« rief Fro­na. »Ich zit­te­re auch um jede Mi­nu­te. Da, schaun Sie da hin­über! Dort, wo der Fluss mün­det, zwi­schen den Kie­fern, se­hen Sie das große Block­haus? In dem bin ich ge­bo­ren!«

»Dann al­ler­dings, dann hät­te ich auch Eile«, lach­te er. »Also dann wol­len wir Ih­nen mal ein biss­chen un­ter die Arme grei­fen.«

Sie war das ein­zi­ge jun­ge Mäd­chen an Bord, un­ter mehr als tau­send Män­nern. Er lots­te sie ga­lant an die Re­ling, wo ver­zwei­fel­te Pas­sa­gie­re stan­den und mit Schrift­stücken wink­ten. Sie brüll­ten ihre Fracht­zei­chen und fluch­ten wie die Hei­den.

»Der Pro­vi­ant­meis­ter sagt, ent­we­der ist er schon ver­rückt ge­wor­den, oder er wird es au­gen­blick­lich«, er­zähl­te der Ers­te Of­fi­zier, wäh­rend er Fräu­lein Wel­se über die Lauf­plan­ke half.

»Da­bei geht es bei uns noch ganz fried­lich her. Se­hen Sie da drü­ben den ›Stern von Beth­le­hem‹?«

Er zeig­te auf einen Damp­fer, der eine Mei­le ent­fernt vor An­ker lag.

»Die Hälf­te von den Pas­sa­gie­ren da drü­ben hat Pack­pfer­de be­stellt. Die wol­len nach Ska­guay und dem Wei­ßen Pass. Dort soll es neue Gold­fun­de ge­ben. In ei­nem Jahr will je­der von ih­nen Mil­lio­när sein. Ihre Pfer­de ste­hen am Strand und gra­sen fried­lich, und die Leu­te kom­men nicht vom Schiff weg. Da ist eine Art von Meu­te­rei aus­ge­bro­chen.«

»He, Sie!« rief er ei­nem Ru­der­boot zu, das sich vor­sich­tig am äu­ßers­ten Ran­de des schwim­men­den Wirr­warrs hielt.

Eine win­zi­ge Bar­kas­se, die mit he­ro­i­schem Mut an ei­ner mäch­ti­gen Schu­te zerr­te, ver­such­te, dem Ru­de­rer den Weg ab­zu­schnei­den, aber der Mann leg­te sich ein­fach vor ih­ren Bug. Er be­kam einen Stoß und fiel der Län­ge nach in sein Boot. Das Boot dreh­te sich und stopp­te jetzt den gan­zen Ver­kehr.

Eine paar lan­ge Ka­nus, voll­ge­la­den mit Wa­ren, Gold­grä­bern und In­dia­nern, dräng­ten an ihm vor­bei zum Strand und ver­hed­der­ten sich in­ein­an­der. Als der Ru­de­rer wie­der auf die Füße kam, ließ er einen Ha­gel von Flü­chen auf alle Ka­nu­leu­te und Leicht­er­schif­fer nie­der­fah­ren. Ein Mann auf dem Leich­ter beug­te sich zu ihm hin­über und schwur, dass er nie einen arm­se­li­ge­ren Sohn ei­ner Hün­din ge­se­hen hät­te, wäh­rend die Wei­ßen und In­dia­ner in den Ka­nus in ein brül­len­des Hohn­ge­läch­ter aus­bra­chen.

»Scher dich zum Sa­tan!« rief ei­ner aus dem Kanu, »hät­test du lie­ber ru­dern ge­lernt!«

Die Faust des Ru­de­rers krach­te ge­gen das Kinn des an­de­ren, der be­täubt auf einen Wa­ren­sta­pel fiel. Er war da­mit aber noch nicht zu­frie­den. Weiß vor Wut, woll­te er sich in das Kanu hin­über­schwin­gen und wei­ter auf den Mann ein­dre­schen, der be­haup­tet hat­te, er könn­te nicht ru­dern. Ein Gold­grä­ber im sel­ben Kanu, der in all dem nur Zeit­ver­geu­dung sah, nes­tel­te an sei­ner Re­vol­ver­ta­sche, und man konn­te große Din­ge er­war­ten. Aber dann wur­de dem Ru­de­rer aus dem Kanu her­aus ein Rie­men über den Schä­del ge­schla­gen, so­dass er für den Au­gen­blick kampf­un­fä­hig war, das Kanu be­kam sei­nen Weg wie­der frei, und ge­ra­de als Mord und Tot­schlag un­ver­meid­lich schie­nen, war die klei­ne Mei­nungs­ver­schie­den­heit plötz­lich zu Ende.

Der Schiff­s­of­fi­zier warf einen ver­stoh­le­nen Blick auf das Mäd­chen … viel­leicht wur­de sie ohn­mäch­tig, und er muss­te sie auf­fan­gen? Aber ihr Ge­sicht war voll ver­gnüg­ter Span­nung. Sie war noch hüb­scher ge­wor­den.

»Es ist mir ja lieb, dass der Re­vol­ver nicht ge­knallt hat«, sag­te sie, »aber so was macht doch Spaß, fin­den Sie nicht?«

In­zwi­schen war der Ru­de­rer wie­der auf die Bei­ne ge­kom­men und leg­te sein Boot an die Schiffs­wand.

»Eine Dame an Land!« schrie der Of­fi­zier. »Wie viel?«

»Zwan­zig Dol­lar.«

»Der Kerl ist ein Räu­ber«, sag­te der Of­fi­zier zu Fro­na. »Zwan­zig Dol­lar für die paar hun­dert Me­ter! Für einen Mann wür­de er wahr­schein­lich fünf­und­zwan­zig for­dern. Rich­ti­ge See­räu­be­rei! Ei­nes schö­nen Ta­ges wird er da drü­ben hän­gen an ei­ner von den Kie­fern.«

»Hal­ten Sie’s …«, rief der von un­ten.

»Sie ha­ben ver­dammt gute Ohren!«

»Mit den Flos­sen bin ich auch nicht lang­sam, wenn Sie’s dar­auf an­kom­men las­sen.«

»Und ganz be­son­ders schnell mit dem Maul!«

»Muss ich auch, bei mei­nem Ge­schäft, sonst käm’ ich nicht weit un­ter all den Hai­fi­schen. Ich soll ein Räu­ber sein? Was seid ihr denn dann? Tau­send Pas­sa­gie­re auf­ein­an­der ge­packt wie die Öl­sar­di­nen … und für nichts ge­sorgt! Be­zah­len lasst ihr euch zwei­mal so­viel wie in der ers­ten Klas­se, und füt­tern tut ihr sie mit Zwi­schen­deck­fraß! Möch­te wis­sen, wer von uns ei­gent­lich See­räu­ber ist!«

»Also, mein ver­ehr­tes Fräu­lein …«, sag­te der Of­fi­zier zu Fro­na. »Al­les Gute! Ich hät­te Sie gern an Land be­glei­tet. Aber Sie se­hen ja selbst: ein biss­chen muss ich doch hier noch zu­se­hen. Die Leu­te ha­ben das gern. Je­den­falls kön­nen Sie sich dar­auf ver­las­sen, dass ich für Ihr Ge­päck sor­ge.«

Sie drück­te ihm die Hand und klet­ter­te in das Boot. Es schwank­te stark, im Au­gen­blick wa­ren die Bo­den­bret­ter über­spült, und ihre Füße stan­den im Was­ser. Sie blieb ganz ru­hig, setz­te sich auf die Steu­er­ducht und zog die Bei­ne hoch.

»Das geht ja nicht!« rief der Of­fi­zier von oben. »Kom­men Sie zu­rück, Fräu­lein Wel­se! So­bald es mög­lich ist, las­se ich Sie mit ei­nem von un­se­ren Boo­ten an Land brin­gen.«

Er klet­ter­te die Strick­lei­ter hin­un­ter und woll­te das viel zu leich­te Boot mit Ge­walt zu­rück­hal­ten, aber der Ru­de­rer hat­te für so­viel Rit­ter­lich­keit kein Ver­ständ­nis und schlug ihm über die Knö­chel.

»Willst mir mei­nen Pas­sa­gier aus­span­nen? Hast wohl Sehn­sucht nach dem Him­mel?«

»Ein fei­er­li­cher Ab­schied!« rief Fro­na Wel­se ihm mit strah­len­dem Ge­sicht zu. »Ha­ben Sie tau­send Dank, Sie sind ein Rit­ter!«

»Das ist ein Weib!« sag­te der Rit­ter vor sich hin und rieb sei­ne ge­trof­fe­nen Fin­ger­knö­chel. Er hat­te plötz­lich Sehn­sucht, im­mer in die­se grau­en Mäd­chen­au­gen zu se­hen, hat­te Lust, sei­nen Be­ruf über Bord zu wer­fen und mit ihr nach Klon­di­ke zu zie­hen.

*

Ein falscher Rie­men­griff … Platsch! hat­te Fro­na eine di­cke Hand voll Was­ser mit­ten im Ge­sicht.

»Nur nichts übel­neh­men«, ent­schul­dig­te sich der Boots­mann. »Man tut, was man kann, aber es kommt nicht im­mer viel da­bei her­aus.«

»Scheint mir doch so«, lach­te sie gut­mü­tig.

»Ich mach’ mir gar nichts aus der See«, sag­te der Mann bit­ter, »aber man muss se­hen, wie man’s wie­der zu ein paar Dol­lars bringt. Wäre schon längst in Klon­di­ke, hab’ aber ver­fluch­tes Pech ge­habt. Auf dem ›Win­di­gen Arm‹ hab’ ich mei­ne gan­ze Aus­rüs­tung ver­lo­ren … bei­na­he hat­te ich den Kram schon über den Pass hin­über­ge­schafft.«

Aber­mals: Schwupp, Platsch! Sie schüt­tel­te sich das Was­ser aus den Au­gen und frös­tel­te, als eine nas­se La­dung ihr den war­men Rücken hin­un­ter­rann.

»Sie wer­den’s schaf­fen!« sag­te der Mann. »Sie sind aus dem rich­ti­gen Holz für die­ses Land ge­schnitzt. Wol­len Sie ganz hier­blei­ben?«

Sie nick­te freund­lich.

»Sie wer­den’s schaf­fen! Also, wie ge­sagt, mei­ne Aus­rüs­tung ist da oben zum Teu­fel ge­gan­gen, und jetzt muss ich all das Zeugs neu zu­sam­men­brin­gen. Kann man da bil­li­ger ru­dern als für zwan­zig Dol­lar die Fahrt? Wis­sen Sie, Fräu­lein, schlim­mer als die an­de­ren bin ich auch nicht. Was mei­nen Sie, für die­se alte Ba­de­wan­ne ha­ben sie mir hun­dert Dol­lar aus den Zäh­nen ge­ris­sen. Drü­ben in den Staa­ten ist sie kei­ne zehn wert. So ist es hier mit al­lem. Auf dem Weg nach Ska­guay zahlt man Ih­nen für einen al­ten Huf­na­gel einen Vier­tel­dol­lar. Ein Mann geht in die Knei­pe und trinkt einen Whis­ky, schmeißt zwei Huf­nä­gel auf die The­ke, und es ist o.k. Huf­nä­gel sind da oben Schei­de­mün­ze.«

»Sie müs­sen ein tüch­ti­ger Kerl sein, dass Sie gleich noch ein­mal an­ge­fan­gen ha­ben! Wie hei­ßen Sie ei­gent­lich? Vi­el­leicht be­geg­nen wir uns wie­der ein­mal.«

»Ich? Wie ich hei­ße? Also Del Bi­shop, Gold­grä­ber. Wenn wir uns wie­der be­geg­nen, dann müs­sen Sie von vorn­her­ein wis­sen … mein letz­tes Hemd geb’ ich für Sie her, Fräu­lein! Ent­schul­di­gen Sie, ich mei­ne na­tür­lich, den letz­ten Bis­sen Brot geb’ ich für Sie.«

»Dan­ke«, sag­te sie. »Das kam von Her­zen. Das hört man gleich.«

Er hielt einen Au­gen­blick mit Ru­dern inne und fisch­te aus dem Was­ser zu sei­nen Fü­ßen eine alte Kon­ser­ven­do­se her­vor.

»Schöp­fen Sie lie­ber!« be­fahl er und warf ihr die Dose zu. »Leck war die Kis­te schon vor­her, aber vor­hin hat sie noch eins ab­be­kom­men.«

Fro­na mach­te sich ge­hor­sam an die Ar­beit. So oft sie sich bück­te, ho­ben und senk­ten sich die Ber­ge mit ih­ren Glet­schern am Ho­ri­zont. Hin und wie­der ruh­te sie aus und sah nach dem von Men­schen wim­meln­den Strand, auf den sie zu­steu­er­ten, und dann wie­der auf die Bucht, in der an zwei Dut­zend große Damp­fer an­ker­ten. Von je­dem die­ser Schif­fe ging ein Strom von Leich­tern, Käh­nen, Ka­nus hin und her zum Lan­de. Sie dach­te an die Hör­sä­le, in de­nen sie vor ein paar Wo­chen noch zu Fü­ßen ih­rer Leh­rer ge­ses­sen hat­te. Die­se Welt hier war ihr lie­ber … vor der hat­te sie Re­spekt.

»Aber Sie ha­ben mir Ihren Na­men noch nicht ge­sagt«, mahn­te Bi­shop höf­lich.

»Ich hei­ße Wel­se«, ant­wor­te­te sie. »Fro­na Wel­se.«

Sein Mund stand of­fen, er starr­te sie an: »Dann ist ja … Ja­cob Wel­se … Ihr al­ter Herr?«

»Ja­wohl, wenn Sie nichts da­ge­gen ha­ben.«

Er spitz­te die Lip­pen, stieß einen Pfiff aus und ließ die Rie­men glei­ten. »Klet­tern Sie in den Stern und zie­hen Sie die Bei­ne hoch!« be­fahl er. »Ge­ben Sie mir die Dose.«

»Ar­bei­te ich denn nicht or­dent­lich?«

»Doch, sehr gut so­gar. Aber Sie sind … Sie sind …«

»Genau das­sel­be, was ich vor­her war. Ru­dern Sie wei­ter … das ist Ihre Ar­beit, und mei­ne be­sor­ge ich.«

»Alle Ach­tung, Sie wer­den’s schaf­fen«, mur­mel­te Bi­shop und beug­te sich wie­der über die Rie­men. »Ja­cob Wel­se ist Ihr al­ter Herr! Don­ner­wet­ter, das hät­te man wis­sen sol­len!«

Auf der san­di­gen Land­zun­ge, im Ge­wim­mel ge­schäf­ti­ger Men­schen, die wie Amei­sen hin und her ihre Las­ten tru­gen, schüt­tel­te sie dem Fähr­mann die Hand.

Er war sehr stolz. »Nicht ver­ges­sen, Fräu­lein, mein letz­ter Bis­sen Brot ge­hört Ih­nen.«

»Und Ihr letz­tes Hemd auch! Ver­ges­sen Sie das nicht.«

»Ganz be­stimmt!«

Als sie da­von­ge­gan­gen war, sah er ganz ent­rückt sei­ne Hand an, die sie ge­drückt hat­te.

»Das ist ein Mä­del … Don­ner­wet­ter!«

*

Das Trip­peln auf städ­ti­schem Pflas­ter hat­te ihre Füße nicht ver­dor­ben. Im Au­gen­blick fand sie hier auf hei­mi­schem Strand die leich­ten, lan­gen Wan­der­schrit­te wie­der, die an­de­re mit viel Mühe ler­nen müs­sen. Mehr als ein Gold­grä­ber sah mit der­sel­ben Be­wun­de­rung wie Bi­shop auf ihre lan­gen, elas­ti­schen Bei­ne, aber die meis­ten blick­ten ihr ins Ge­sicht und freu­ten sich über den of­fe­nen, ka­me­rad­schaft­li­chen Blick ih­rer Au­gen. Wenn ei­ner sie an­lä­chel­te, lä­chel­te sie zu­rück, er­mun­ternd, hei­ter, mit­füh­lend, je nach­dem, aber im­mer ka­me­rad­schaft­lich.

Für sie schi­en die Zeit rück­wärts ge­rollt, auf ein­mal war sie wie­der in je­nes Mit­tel­al­ter zu­rück­ver­setzt, in dem sie her­an­ge­wach­sen, in dem es kei­ne Bah­nen und Au­to­mo­bi­le, nur Kar­ren und brei­te Bücken als Ver­kehrs­mit­tel gab. Män­ner, de­nen man an­sah, dass sie bis­her nur mit der Ak­ten­map­pe un­term Arm spa­ziert wa­ren, beug­ten sich un­ter schwe­ren Las­ten. Ihre Bei­ne be­weg­ten sich schwer und stol­pernd, sie wa­ren die­se An­stren­gung nicht ge­wöhnt, und ihre Ge­sich­ter perl­ten von Schweiß. An­de­re lu­den ihr Ge­päck mit stil­lem Tri­umph auf vier­räd­ri­ge Kar­ren und scho­ben los, aber sie blie­ben ste­cken, wo der ers­te große Stein ih­nen den Weg ver­sperr­te. Nach et­li­chem Kampf füg­ten sie sich dann den für Rei­sen in Alas­ka gel­ten­den Grund­sät­zen, lie­ßen den Kar­ren ste­hen oder zo­gen ihn an den Strand zu­rück, um ihn zu ei­nem fa­bel­haf­ten Preis an die Chechaquos zu ver­kau­fen, die noch spä­ter als sie ge­lan­det wa­ren. Neu­lin­ge wan­der­ten mit zehn­pfün­di­gen Colt-Re­vol­vern, Pa­tro­nen­gür­teln und Jagd­mes­sern drauf­los, aber bald merk­ten sie, wie un­nütz die­se Mord­ge­päck­stücke wa­ren. Re­vol­ver, Pa­tro­nen und Mes­ser gar­nier­ten ihre Spur.

Hier, an die­sem Strand, den da­mals noch kein Strom gold­gie­ri­ger Män­ner durch­flu­tet hat­te, war Fro­na Kind ge­we­sen. Hier hat­te sie im Gra­se ge­spielt und er­schau­ernd ge­hört, wie das Echo ihre Stim­me von Glet­scher zu Glet­scher trug und wi­der­hall­te. Über die­ses Gras stapf­ten jetzt zehn­tau­send Män­ner rast­los hin und her. Zehn­tau­send an­de­re wa­ren un­ter­wegs über den Chil­coot. Aber­mals Zehn­tau­send hat­ten die Päs­se schon über­wun­den und mar­schier­ten zu die­ser Stun­de die Gold­fel­der an.

Die Dyea stürz­te sich, wie in al­ten Ta­gen, rau­schend und to­send ins Meer, aber an ih­ren Ufern quäl­ten sich Män­ner in wo­gen­den Rei­hen an Tau­en und Rie­men, schlepp­ten schwer be­la­de­ne Boo­te her­an und lösch­ten die Fracht.

Die Tür zu dem La­den, in dem einst Bi­ber­fän­ger oder Pelz­händ­ler ihre be­schei­de­nen Ein­käu­fe ge­macht hat­ten, war jetzt von ei­ner lär­men­den Schar von Kun­den ver­sperrt. Wo einst ein ein­sa­mer Brief Mo­na­te und Jah­re dar­auf ge­war­tet hat­te, ab­ge­holt zu wer­den, sah Fro­na jetzt die Post in Hau­fen lie­gen. Auf­ge­reg­te Leu­te schri­en nach ih­rer Kor­re­spon­denz. Auch die Waa­ge vor der The­ke war um­la­gert. Ein In­dia­ner warf sei­nen Pa­cken auf das Wie­ge­brett, ein wei­ßer Be­am­ter krit­zel­te das Ge­wicht in sein No­tiz­buch, ein neu­er Pa­cken flog her­an, ver­schnürt und be­reit, auf dem Rücken ei­nes Man­nes über den Chil­coot zu rei­sen.

Zu Fro­nas Zei­ten war hin und wie­der ein­mal das Ge­päck ei­nes Gold­grä­bers oder Händ­lers für sechs Cent das Kilo über den Chil­coot trans­por­tiert wor­den. Der Chechaquo, des­sen Ge­päck ge­ra­de ab­ge­wo­gen wur­de, sah trau­rig in sei­ne Brief­ta­sche.

»Acht Cent«, bot er dem In­dia­ner.

Gro­ßes Hohn­la­chen.

»Vier­zig Cent«, ver­lang­te die Rot­haut.

Der Mann sah sich ängst­lich um, mit tief­trau­ri­gem Ge­sicht. Er las das Mit­ge­fühl in Fro­nas Au­gen und starr­te sie an.

»Stel­len Sie sich vor, Fräu­lein, drei Ton­nen Ge­päck hab’ ich und soll vier­zig Dol­lar für hun­dert Pfund be­zah­len! Das sind 2400 Dol­lar für drei­ßig Mei­len!« schrie er ganz ver­zwei­felt. »Was soll ich tun?«

Fro­na riet ihm: »Be­zah­len Sie die vier­zig Cent, sonst schmei­ßen sie Ih­nen den gan­zen Kram vor die Füße.«

Der Mann sag­te: »Dan­ke, Fräu­lein«, be­folg­te aber ih­ren Rat nicht, son­dern fing wie­der an zu han­deln. Der ers­te In­dia­ner trat vor und streif­te sich, ohne ein Wort zu sa­gen, die Tra­g­rie­men ab. Als der Gold­su­cher sich eben ent­schlos­sen hat­te nach­zu­ge­ben, er­höh­ten die Last­trä­ger ih­ren Preis auf 45 Cent. Er lä­chel­te trüb und nahm auch die­se For­de­rung an, aber in die­sem Au­gen­blick trat ein an­de­rer In­dia­ner zu der Grup­pe, flüs­ter­te ein paar Wor­te, und gleich dar­auf er­tön­te ein Hur­ra.

Im Handum­dre­hen hat­ten alle In­dia­ner ihre Las­ten ab­ge­wor­fen und lie­fen da­von, um die Nach­richt zu ver­brei­ten, von die­ser Stun­de an kos­te die Fracht nach dem Lin­der­mann­see fünf­zig Cent!

Über den Platz vor dem Hau­se gin­gen drei Män­ner, nach de­nen alle Ge­sich­ter sich dreh­ten und alle Häl­se sich reck­ten. Sie wa­ren schlecht ge­klei­det, ei­gent­lich zer­lumpt. In ei­nem zi­vi­li­sier­ten Ge­mein­we­sen hät­te der Dorf­po­li­zist ihre Pa­pie­re sehr ge­nau an­ge­schaut, denn er hät­te sie für Va­ga­bun­den ge­hal­ten.

»Der Fran­zo­sen-Louis!« flüs­ter­te ein Chechaquo sei­nem Kum­pan zu. »Be­sitzt drei El­do­ra­do-Claims in ei­nem Block! Sei­ne zehn Mil­lio­nen ist der schwer!«

Der Fran­zo­sen-Louis hat­te ir­gend­wo un­ter­wegs sei­nen Hut ver­lo­ren und durch ein aus­ge­fran­s­tes sei­de­nes Tuch er­setzt. Trotz sei­nen zehn Mil­lio­nen trug er das Ge­päck selbst auf sei­nem brei­ten Rücken.

»Der mit dem Bart ist der Strom­schnel­len-Bill, auch ei­ner von den El­do­ra­do-Kö­ni­gen.«

»Wo­her wis­sen Sie das?« frag­te Fro­na miss­trau­isch.

»Wo­her ich das weiß? Ich weiß es eben, ver­ste­hen Sie, Fräu­lein! Wenn ei­ner sein Bild alle fünf Mi­nu­ten in sämt­li­chen Zei­tun­gen hat, dann weiß man eben, wie er aus­sieht.«

»Wer ist der Drit­te?« frag­te sie. Ihr Be­richt­er­stat­ter stell­te sich auf die Ze­hen­spit­zen.

»Den kenn’ ich nicht«, ge­stand er be­trübt. Dann frag­te er sei­nen Ne­ben­mann.

»Du, der Ma­ge­re, mit dem aus­ra­sier­ten Voll­bart, der mit dem Lap­pen ums Knie, wer ist das?«

In die­sem Au­gen­blick aber stieß Fro­na einen Freu­den­schrei aus und stürz­te auf den Mann mit dem Voll­bart zu.

»Matt! Mein lie­ber, al­ter Matt!«

Der Mann schüt­tel­te ihr die Hand, aber sein Ge­sicht schi­en miss­trau­isch. Er hat­te kei­ne Ah­nung, mit wem er sprach.

»Du kennst mich nicht mehr, Matt? Un­ter­steh dich, mir zu sa­gen, dass du mich nicht mehr kennst! Wenn nicht so viel frem­de Leu­te hier wä­ren, be­kämst du jetzt auf der Stel­le einen Kuss, dass du’s nur weißt, al­ter Bär!«

»Na­tür­lich, ich ken­ne Sie na­tür­lich … aber wenn Sie mich tot­schla­gen, im Au­gen­blick kom­me ich nicht dar­auf …«

Sie zeig­te auf das Haus, in dem sie ge­bo­ren war.

»Jetzt hab’ ich’s!« rief er. Als er sie dann aber von oben bis un­ten ge­mus­tert hat­te, war er wie­der ent­täuscht. »Kann nicht sein. Muss mich ir­ren. In dem Stall da ha­ben Sie nie ge­wohnt.«

Fro­na nick­te hef­tig mit dem Kopf.

»Dann bist du’s also doch? Die klei­ne, blon­de Hexe, im­mer bar­fuß und mit blo­ßen Bei­nen? Die ich im­mer hab’ käm­men müs­sen?«

»Ja, ja!«

»Der klei­ne Sa­tan, der mit dem Hun­de­ge­spann durch­ge­brannt ist und mit­ten im Win­ter über den Pass woll­te, weil ihr der alte Matt er­zählt hat­te, dort drü­ben höre die Welt auf?«

»Matt, lie­ber al­ter Matt! Und weißt du noch, wie ich mit den Mäd­chen aus dem In­dia­ner­la­ger schwim­men ge­gan­gen bin?«

»Und ich dich gra­de noch an den Wu­scheln ge­kriegt hab’, wie du schon am Er­sau­fen warst!«

»Und wie du da­bei einen von dei­nen neu­en Gum­mi­schu­hen ver­lo­ren hast?«

»Na, ob ich das noch weiß! Gra­de erst bei dei­nem Va­ter ge­kauft, da im La­den, für zehn Dol­lar, Gott er­bar­me sich mei­ner.«

»Und dann bist du fort­ge­zo­gen … über den Pass ins Land hin­ein … und hast nichts mehr von dir hö­ren las­sen. Alle Welt hat ge­glaubt, du wärst tot.«

»Was du al­les noch weißt! Und warst doch so ein win­zi­ges Frau­en­zim­mer.«

»Acht Jah­re alt war ich.«

»Lass mich mal nach­rech­nen, Mä­del. Zwölf Jah­re war ich drin­nen im Land, heut’ zum ers­ten Mal wie­der an der Küs­te. Dann hast du jetzt also dei­ne zwan­zig auf dem Bu­ckel?«

»Und bin fast eben­so groß wie du, al­ter Matt!«

»Ein aus­ge­wach­se­nes, großes Mä­del und gar nicht so übel. So’n biss­chen mehr Fleisch könn­test du gern auf den Kno­chen ha­ben.«

»Mit zwan­zig braucht man kein Fett. Füh­le lie­ber hier!«

Sie streck­te ihm den ge­beug­ten Arm hin und zeig­te ihre Mus­keln.

»Don­ner­wet­ter!« Er griff tüch­tig zu. »Als ob du fürs täg­li­che Brot ge­schafft hät­test.«

»Das nicht, aber Keu­len­schwin­gen, Bo­xen, Fech­ten! Au­ßer­dem Schwim­men, zwan­zig Klimm­zü­ge hin­ter­ein­an­der! Und dann kann ich noch auf den Hän­den lau­fen!«

»Dann hast du dei­ne Zeit nicht schlecht an­ge­wen­det. Hier ha­ben die­se Kaf­fern er­zählt, du wärst fort­ge­reist, um da drü­ben Bü­cher zu büf­feln.«

»Das ist heu­te nicht mehr ganz so, Matt. Sie pfrop­fen ei­nem den Kopf nicht mehr so voll, dass die Bei­ne zu dünn wer­den, um ihn zu tra­gen. Aber du, was machst du, Matt? Was hast du in die­sen zwölf Jah­ren al­les ge­trie­ben?«

»Also schau mich an, Mä­del. Wie ich vor dir ste­he, bin ich Herr Matt­hew McCar­thy, Kö­nig Matt der Ers­te aus der El­do­ra­do-Dy­nas­tie. Mein Be­sitz ist un­be­grenzt, und ich hab’ mehr Gold­staub ge­macht, als ich je ge­träumt hät­te. Jetzt hab’ ich ge­nug, jetzt möcht’ ich wie­der mal einen an­stän­di­gen Whis­ky gra­ben. Ei­nen von der rich­ti­gen Sor­te, ehe ich st­er­be. Dazu fah­re ich rü­ber in die Staa­ten, denn hier her­aus kommt im­mer nur das ge­pansch­te Zeug. Au­ßer­dem will ich mich nach mei­nen Vor­fah­ren um­se­hen. Ich glau­be be­stimmt, dass ich wel­che habe. Wenn du im üb­ri­gen ein paar Pfund Gold­staub nö­tig hast, kannst du’s mir ja sa­gen.«

»Den hol’ ich mir selbst, wenn ich wel­chen brau­che.«

Der Ir­län­der Matt bahn­te sich jetzt sei­nen Weg durch die Men­ge der Chechaquos, die ehr­fürch­tig vor ihm zur Sei­te wi­chen, und in sei­nem Fahr­was­ser se­gel­te die leich­te, klei­ne Fro­na. In den Au­gen all die­ser Leu­te wa­ren sie bei­de eine Art Göt­ter des Nor­dens.

»Der El­do­ra­do-Kö­nig Matt McCar­thy und eine rich­ti­ge Wel­se, wirk­lich und wahr­haf­tig, eine Toch­ter von Ja­cob Wel­se!«

*

Sie trat aus dem glit­zern­den Bir­ken­wald her­aus und flog leicht über die be­tau­te Wie­se da­hin, wäh­rend die ers­ten Son­nen­strah­len auf ih­rem flat­tern­den Haar flamm­ten. Die Erde strotz­te von Feuch­tig­keit und quoll un­ter ih­ren Fü­ßen, und die nas­sen Pflan­zen schlu­gen ihr ge­gen die Knie, dass flüs­si­ge Dia­man­ten leuch­tend sprüh­ten. Die Mor­gen­rö­te färb­te ihre Wan­gen und fun­kel­te in ih­ren Au­gen, und sie glüh­te von Ju­gend und Lie­be. Denn da sie kei­ne Mut­ter ge­habt, war sie am Bu­sen der Na­tur auf­ge­wach­sen, und sie lieb­te die al­ten Bäu­me und die Sch­ling­pflan­zen lei­den­schaft­lich. Das un­deut­li­che Ge­mur­mel er­freu­te ihr Ohr, und der feuch­te Bro­dem der Erde stieg ihr süß in die Nase.

Dort, wo der obe­re Teil der Wie­se in ei­nem dunklen, en­gen Wald­weg ver­schwand, fand sie zwi­schen langs­ten­ge­li­gem Lö­wen­zahn und leuch­ten­den But­ter­blu­men ein Bü­schel Alas­ka-Veil­chen. Sie warf sich der Län­ge nach zu Bo­den, be­grub ihr Ant­litz in der duf­ten­den Küh­le und press­te die pur­pur­ne Pracht an sich. Sie schäm­te sich nicht. Sie war zu den kom­pli­zier­ten Le­bens­be­din­gun­gen der großen Welt, zu ih­rem Schmutz und zu ih­rer ver­derb­li­chen Hit­ze ge­wan­dert und war ein­fach, rein und ge­sund wie­der­ge­kehrt. Und sie freu­te sich des­sen, wie sie jetzt dalag und zu­rück­g­litt zu den al­ten Ta­gen, als die Welt mit dem Ho­ri­zont be­gon­nen und ge­en­det hat­te und sie über den Pass ge­reist war, um den Ab­grund zu schau­en.

Fro­nas Kind­heit war un­ter sehr har­ten Be­din­gun­gen ver­lau­fen. Es hat­te nur we­ni­ge, aber stren­ge Bin­dun­gen für sie ge­ge­ben, die sie spä­ter den »Brot- und Bett­glau­ben« nann­te. Das war, so­viel ihr be­kannt war, auch der Glau­be ih­res Va­ters ge­we­sen, von dem sie im üb­ri­gen wuss­te, dass sein Name un­ter den Män­nern einen gu­ten Klang hat­te. Es war der Glau­be, mit dem star­ke, rei­ne Män­ner je­der Ge­fahr trotz­ten oder in den Tod gin­gen, der Glau­be Ja­cob Wel­ses und Matt McCar­thys, der In­dia­ner­jun­gen, mit de­nen sie ge­spielt hat­te, der In­dia­ner­mäd­chen, de­ren Feld­her­rin sie im Ama­zo­nen­krieg ge­we­sen, der Wolfs­hun­de so­gar, die sich in den Strän­gen müh­ten und Schlit­ten über den Schnee zo­gen. Das war ein ge­sun­der Glau­be, greif­bar und gut.

Ein Rot­kehl­chen zirp­te aus dem Bir­ken­wald, ein Reb­huhn schwirr­te im Wal­de auf, ein Eich­hörn­chen schoss über ih­rem Kopf mit si­che­rem Sprung von ei­nem Baum zum an­de­ren. Der Tag be­gann. Vom Fluss her, den sie nicht sah, tön­ten die Rufe der Glücks­jä­ger, die sehr früh das La­ger ver­las­sen hat­ten und an­fin­gen, sich ih­ren schwe­ren Weg nach Nor­den zu er­kämp­fen.

Als Fro­na Gras und Blu­men lan­ge ge­nug um­armt hat­te, stand sie auf und schlug den al­ten Weg nach dem La­ger des Dyea-Stam­mes ein. Sie be­geg­ne­te ei­nem Kna­ben, der bis auf die ge­flick­ten Ho­sen ein nack­ter Bron­ze­gott war. Er such­te Holz und sah sie bös an. Sie sag­te ihm in der Dyea-Spra­che gu­ten Mor­gen, aber er lach­te frech, und als sie wei­ter­ging, streck­te er ihr die Zun­ge her­aus. So war es frü­her nicht ge­we­sen. Als sie dann ei­nem großen, fins­ter bli­cken­den Sit­ka-In­dia­ner be­geg­ne­te, grüß­te sie nicht.

Am Ran­de des Wal­des sah sie das La­ger vor sich lie­gen, aber nicht das alte La­ger mit sei­nen zwan­zig oder drei­ßig Hüt­ten, die un­or­dent­lich über das Ge­län­de ver­streut wa­ren. An sei­ner Stel­le be­fand sich da ein mäch­ti­ges Dorf. Es reich­te bis zum Flus­sufer hin­ab, wo die lan­gen Ka­nus, je zehn oder zwölf in ei­ner Grup­pe, la­gen. Von weit­her wa­ren die Stäm­me hier zu­sam­men ge­kom­men. Sie sah lau­ter frem­de In­dia­ner mit ih­ren Wei­bern und Hun­den, ih­rem Hab und Gut. Fro­na er­kann­te Män­ner aus Ju­neau und Wran­gel, Styx mit bren­nen­den Au­gen von jen­seits des Pas­ses, krie­ge­ri­sche Chil­coots und Ein­ge­bo­re­ne der Kö­ni­gin-Char­lot­te-In­sel. Die meis­ten mus­ter­ten sie fins­ter, fast zor­nig; ein paar fre­che Ha­lun­ken rie­fen ihr un­an­stän­di­ge Wor­te zu.

Sie kränk­te sich nicht, aber sie stell­te mit Trau­er fest, dass die Zei­ten un­ter dem pa­tri­ar­cha­li­schen Zep­ter ih­res Va­ters vor­bei wa­ren. Wie ein scheuß­li­cher Brand war die Zi­vi­li­sa­ti­on über die­ses Volk hin­weg­ge­gan­gen. Durch eine of­fe­ne Zelt­tür sah sie aus­ge­zehr­te Ge­stal­ten im Krei­se auf dem Fuß­bo­den hocken. Vor dem Zelt lag ein Hau­fen zer­bro­che­ner Fla­schen … Zu ih­res Va­ters Zeit hat­ten die In­dia­ner kein Feu­er­was­ser und kei­ne Fla­schen ge­kannt. Auf ei­ner De­cke, die als Spiel­tisch diente, ver­teil­te ein wei­ßer Mann mit ge­mei­nen Zü­gen Spiel­kar­ten, Gold- und Sil­ber­mün­zen kul­ler­ten auf der De­cke um­her. Ein paar Schrit­te da­von schnurr­te ein Glücks­rad. In­dia­ner, Män­ner und Frau­en, setz­ten ihre müh­sam ver­dien­ten Gro­schen, um prunk­vol­le Ge­win­ne zu er­gat­tern, die ih­nen nichts nüt­zen konn­ten. Aus Wig­wams und Hüt­ten ka­men die brü­chi­gen Töne bil­li­ger Spiel­do­sen.

Vor der of­fe­nen Tür ih­res Wig­wams hock­te eine alte Squaw1 im Son­nen­schein und schäl­te Wei­den­zwei­ge. Als Fro­na vor­bei­ging, hob sie den Kopf und stieß einen schril­len Schrei aus. Dann mur­mel­te sie mit zahn­lo­sem Mund:

»Hi – hi! Ten­as Hi-hi!«

Es durch­rie­sel­te Fro­na bei die­sem Wort. »Ten­as Hi-hi!« Das war ihr Name ge­we­sen … es be­deu­te­te »das klei­ne La­chen« … da­mals, als sie hier un­ter den In­dia­nern ge­lebt hat­te. Sie dreh­te sich um und kau­er­te ne­ben der Al­ten nie­der.

»Sag rasch, Mut­ter, sag mir rasch dei­nen Na­men!«

»So schnell hast du uns ver­ges­sen, Ten­as Hi-hi? Und doch sind dei­ne Au­gen jung und scharf. Nip­uh­sa hat müde alte Au­gen, aber ihr Herz ver­gisst nicht so rasch.«

»Du bist mei­ne alte Nip­uh­sa!« rief Fro­na und strei­chel­te die schmut­zi­gen Run­zel­hän­de.

»Frei­lich bin ich Nip­uh­sa, die dich in den Ar­men ge­wiegt hat! Dei­nen Na­men habe ich dir auch ge­ge­ben, klei­nes La­chen, und wenn die alte Nip­uh­sa nicht Kräu­ter für dich ge­sam­melt hät­te, für Me­di­zin­tee, dann wärst du gar nicht hier, denn ein­mal hat der Tod dich ha­ben wol­len. Dein Schat­ten ist auf mich ge­fal­len, klei­nes La­chen, da hab’ ich gleich ge­wusst, dass du es bist. Du hast noch das­sel­be Haar, wie brau­ner Tang, und den­sel­ben Mund und die­sel­ben Au­gen. Nip­uh­sa war oft streng mit dir, wenn dein Mund Wor­te spre­chen woll­te, die Lüge wa­ren. Aber du hast im­mer ge­wusst, dass Nip­uh­sa dich lieb hat. Ai, ai! Ganz an­ders sind die wei­ßen Frau­en, die jetzt ins Land kom­men!«

»Hat eine wei­ße Frau kei­ne Ehre mehr un­ter euch?« frag­te Fro­na. »Eure Män­ner wer­fen böse Din­ge in mein Ohr, und so­gar die Kna­ben la­chen ein häss­li­ches La­chen, wenn sie mich se­hen. So war es nicht, als ich hier ein Kind war.«

»Ai, ai! Es ist, wie du sagst, klei­nes La­chen. Aber du musst kein zor­ni­ges Wort auf ihre Häup­ter wer­fen. Die wei­ßen Frau­en sind schuld dar­an, die jetzt zu uns kom­men. Sie se­hen alle Män­ner mit fre­chen Au­gen an; ihre Her­zen sind un­rein, und sie ha­ben kei­nen Mann, auf den sie wei­sen kön­nen und sa­gen: ›Dies ist mein Herr.‹ Des­halb sind dei­ne Frau­en un­ter uns ohne Ehre.«

Jetzt wur­de ein Zelt­zip­fel ge­ho­ben, ein al­ter Mann trat her­vor, grunz­te et­was und kau­er­te sich zu den bei­den.

»So ist Ten­as Hi-hi wie­der­ge­kom­men in die­sen schlim­men Ta­gen«, sag­te er mit dün­ner, zit­tern­der Stim­me.

»Wa­rum sind die Tage schlimm, Mus­kim?« frag­te Fro­na. »Sind eure Bäu­che nicht voll vom Mehl und Fleisch und von dem Pro­vi­ant des wei­ßen Man­nes? Ver­die­nen eure jun­gen Män­ner nicht Reich­tü­mer mit Las­ten­tra­gen und Pad­deln? Und brin­gen sie dir nicht, wie in al­ter Zeit, ihr Op­fer der, Fleisch, Fi­sche und De­cken? Ha­ben eure Wei­ber nicht Tü­cher in hel­len, glei­ßen­den Far­ben? Wa­rum sind die Tage schlimm?«

Der alte Me­di­zin­mann war er­regt. In sei­ne Au­gen trat ein Schim­mer, der an die Glut sei­ner Man­nes­jah­re ge­mahn­te.

»Un­se­re Frau­en tra­gen Tü­cher in hel­len, glei­ßen­den Far­ben! Aber sie schau­en nur nach den Au­gen der wei­ßen Män­ner, und die jun­gen Män­ner ih­res ei­ge­nen Blu­tes se­hen sie nicht. Des­halb ver­meh­ren un­se­re Stäm­me sich nicht; die klei­nen Kin­der hin­dern un­se­re Schrit­te nicht mehr. Die Bäu­che sind voll vom Mehl und Fleisch und vom Pro­vi­ant des wei­ßen Man­nes, aber sie sind noch vol­ler vom Fu­sel des wei­ßen Man­nes. Wohl ver­die­nen un­se­re jun­gen Män­ner Reich­tü­mer mit Las­ten­tra­gen und Pad­deln. Aber sie sit­zen nachts beim Kar­ten­spiel und las­sen die Dol­lars wie­der da­hin rol­len, in die Ta­sche des wei­ßen Man­nes, aus der sie ge­kom­men sind. Sie spre­chen böse Wor­te zu­ein­an­der, he­ben oft die Fäus­te im Zorn, und ihr Blut ist böse ge­wor­den. Nur we­ni­ge brin­gen dem al­ten Me­di­zin­mann Op­fer­ga­ben, Fleisch, Fi­sche und De­cken. Die jun­gen Frau­en ge­hen nicht mehr die al­ten Wege, die jun­gen Män­ner eh­ren nicht mehr die al­ten To­tems und die al­ten Göt­ter. Des­halb sind es schlim­me Tage, Ten­as Hi-hi, und mit Kum­mer muss der alte Mus­kim ins Grab ge­hen.«

»Ai! Ai! So ist es!« klag­te Nip­uh­sa.

»Dein Volk ist toll und hat mein Volk toll ge­macht«, fuhr Mus­kim fort. »Es kam wie bö­ser Wind über das sal­zi­ge Was­ser, dein Volk, und es geht – ach – wer weiß, wo­hin!«

»Ai, wer weiß, wo­hin?« jam­mer­te Nip­uh­sa und schau­kel­te lei­se hin und her.

»Im­mer ge­hen sie Frost und Käl­te ent­ge­gen. Und im­mer zahl­rei­cher kom­men sie, Woge um Woge!«

»Ai! Ai! Frost und Käl­te ent­ge­gen! Es ist ein wei­ter Weg, dun­kel und kalt!« Nip­uh­sa schau­er­te und leg­te ihre Hand auf Fro­nas Arm. »Und du gehst auch dort­hin, Frost und Käl­te ent­ge­gen?«

Fro­na nick­te nur.

»Das klei­ne La­chen geht auch! Ai! Ai! Ai!«

Plötz­lich stand der alte Matt vor Fro­na.

»Seit ei­ner hal­b­en Stun­de war­tet das Früh­stück auf dich, und Andy, die alte Hexe, jam­mert und tobt … Gu­ten Mor­gen, Nip­uh­sa, gu­ten Mor­gen, Mus­kim«, sag­te er zu den In­dia­nern. »Eure Au­gen ha­ben mein al­tes Ge­sicht wohl ver­ges­sen?«

Die bei­den grunz­ten einen Gruß, dann sa­ßen sie schwei­gend und un­be­weg­lich da.

»Jetzt aber schnell, Fro­na! Mein Damp­fer geht um Mit­tag, und ich möch­te noch ein biss­chen von dir ha­ben!«


  1. in­dia­ni­sche Frau(en)  <<<

2

Fro­nas Aus­rüs­tung war auf den Rücken von ei­nem Dut­zend In­dia­nern un­ter der Auf­sicht Bi­shops schon vor meh­re­ren Stun­den ab­ge­gan­gen. Sie selbst trug einen klei­nen Rei­se­ran­zen und ih­ren Fo­to­ap­pa­rat, als Berg­stock einen Wei­den­stab, den Nip­uh­sa ihr zu­recht­ge­schnitzt hat­te. Mit Del Bi­shop war sie sehr rasch han­dels­ei­nig ge­wor­den. Als sie von dem Früh­stück mit Matt McCar­thy zu­rück­ge­kehrt war, hat­te der Ru­de­rer sie im La­den er­war­tet.

»Sie wol­len ins Land hin­ein. Das will ich auch. Sie brau­chen einen Mann zur Beglei­tung. Wenn Sie noch kei­nen bes­se­ren ge­fun­den ha­ben, bin ich ge­ra­de der rich­ti­ge. Ich war schon mal drin im Land, ich weiß Be­scheid. Fürch­ten tu ich mich vor dem Teu­fel nicht, und wenn Ih­nen ei­ner was tun will, dann muss er erst mit Del Bi­shop fer­tig wer­den. Das ist nicht leicht. Wenn wir glück­lich bei Ja­cob Wel­se an­ge­kom­men sind, le­gen Sie ein gu­tes Wort für mich ein, und er gibt mir die Aus­rüs­tung für ein Jahr. Ein­ver­stan­den? Da­mit Schluss. Über den Pro­vi­ant hin­aus lass ich mir nichts be­zah­len.«

Ehe Fro­na noch ihre Zu­stim­mung ge­ge­ben hat­te, war er schon bei der Ar­beit und such­te die bes­ten Pack­trä­ger aus. Sie merk­te so­fort, dass er wirk­lich et­was von der Sa­che ver­stand. Fro­na mar­schier­te mit ih­rem Ran­zel bes­ser als die meis­ten Gold­grä­ber, die sich schwer be­la­den hat­ten und alle hun­dert Schrit­te halt­ma­chen muss­ten. Trotz­dem fiel es ihr schwer, mit sechs jun­gen Schwe­den Schritt zu hal­ten, in de­ren Spur sie ging. Das wa­ren ge­wal­ti­ge Ge­sel­len, blon­de Rie­sen, und je­der trug sei­ne hun­dert Pfund auf den Schul­tern. Au­ßer­dem scho­ben und zo­gen sie einen schwe­ren Kar­ren, der mit wei­te­ren sechs­hun­dert Pfund be­la­den war. Ihre Ge­sich­ter wa­ren la­chen­de Son­nen, sie strahl­ten von Le­bens­lust. Das Mar­schie­ren, Schlep­pen und Schie­ben war ih­nen Kin­der­spiel. Sie san­gen laut und war­fen den Vor­bei­kom­men­den in ih­rer Spra­che lus­ti­ge Grü­ße zu. Wenn sie lach­ten, dröhn­te jede Brust wie ein Cel­lo.

Sie über­hol­ten al­les; die Men­schen tra­ten bei­sei­te, um sie vor­über­zu­las­sen, und sa­hen ih­nen nei­disch nach. Wenn es berg­auf ging, setz­ten sie sich aus lus­ti­gem Trotz in Trab; bergab lie­ßen sie die ei­sen­be­schla­ge­nen Rä­der ih­res Wa­gens über das Ge­stein ras­seln, dass Fun­ken sprüh­ten. Sin­gend und la­chend bahn­ten sie sich den Weg durch eine dunkle Wald­stre­cke, bis sie zu der Furt im Flus­se ka­men.

Am Ufer lag ein Er­trun­ke­ner und starr­te un­be­weg­lich in die Son­ne. Ein Mann stand ne­ben ihm und frag­te auf­ge­regt:

»Wo ist sein Ka­me­rad? Hat er kei­nen Ka­me­ra­den ge­habt?«

Zwei an­de­re hat­ten ihre Las­ten ab­ge­wor­fen und nah­men In­ven­tar vom Be­sitz des To­ten auf. Der eine rief laut die ver­schie­de­nen Ge­gen­stän­de aus, der an­de­re no­tier­te sie auf ein Stück schmut­zi­ges Pack­pa­pier. Über den Sand wa­ren Brie­fe und auf­ge­weich­te Schrift­stücke zer­streut. Auf ei­nem aus­ge­brei­te­ten Ta­schen­tuch lag der Bar­be­stand des To­ten: ein paar Gold­mün­zen und viel Kup­fer. Vie­le Män­ner, die in Ka­nus und Boo­ten über den Fluss fuh­ren, nah­men gar kei­ne No­tiz von der Sa­che. Die Schwe­den aber wur­den für einen Au­gen­blick ernst.

»Wo ist sein Ka­me­rad? Hat er kei­nen Ka­me­ra­den ge­habt?« frag­te auch sie der auf­ge­reg­te Mann. Sie schüt­tel­ten die Köp­fe. Sie ver­stan­den kein Eng­lisch. Dann wa­te­ten sie in das Was­ser hin­ein.

Vom an­de­ren Ufer her­über rief je­mand eine War­nung. Sie blie­ben ste­hen und be­rie­ten sich. Dann gin­gen sie wei­ter. Die bei­den Män­ner, die das Ver­zeich­nis vom Ei­gen­tum des To­ten auf­nah­men, un­ter­bra­chen ihre Ar­beit und sa­hen den Schwe­den nach. Sie stan­den jetzt bis zum Gür­tel in der rei­ßen­den Strö­mung, mit Rie­sen­kräf­ten an den Kar­ren ge­klam­mert, der den Wel­len eine ge­wal­ti­ge Flä­che bot. Sie kämpf­ten furcht­bar, dann schi­en das schlimms­te Stück über­stan­den. Als das Was­ser den bei­den vor­ders­ten Rie­sen nur noch bis zu den Kni­en reich­te, riss dem drit­ten plötz­lich ein Tra­g­rie­men durch. Sei­ne Last warf sich mit ei­nem Ruck auf die lin­ke Schul­ter; er woll­te sich da­ge­gen stem­men und ver­lor das Gleich­ge­wicht. Im sel­ben Au­gen­blick stol­per­te der zwei­te, griff hil­fe­su­chend um sich, und ei­ner zog den an­de­ren in die Flut. Die bei­den fol­gen­den Män­ner ver­lo­ren den Halt, denn jetzt war die Kar­re um­ge­stürzt und wur­de über die Furt hin­aus ins tie­fe Was­ser ge­ris­sen.

Ein paar­mal tauch­ten die Män­ner wie­der auf und war­fen sich rück­wärts in die Tra­g­rie­men. Aber sie wur­den ihre Las­ten nicht los, sie kämpf­ten wie Hel­den, aber es stieg über mensch­li­che Kräf­te. Zoll um Zoll san­ken sie wie­der un­ter. Ihre Ruck­sä­cke, die sich voll Was­ser ge­so­gen hat­ten, hin­gen wie stei­ner­ner Bal­last an ih­nen. Nur der eine Mann, des­sen Tra­g­rie­men ge­ris­sen war, wur­de sei­ner Last le­dig, aber er ver­such­te nicht, das Ufer zu ge­win­nen, son­dern blieb bei sei­nen Ka­me­ra­den. Fünf­zig Me­ter strom­ab­wärts zer­stäub­te die Flut an ei­nem za­cki­gen Fels­riff; hier ka­men sie noch ein­mal zum Vor­schein. Zu­erst der halb zer­schmet­ter­te Kar­ren, dann die Män­ner in ei­nem gräss­li­chen Ge­wirr von Köp­fen, Ar­men und Bei­nen. Das Was­ser schmet­ter­te sie ge­gen die Klip­pen und spül­te sie über das Riff.

Ein Dut­zend Ka­nus war den un­glück­li­chen Schwe­den nach­ge­fah­ren; auch Fro­na war un­ter de­nen, die ret­ten woll­ten. Sie sah einen der jun­gen Rie­sen mit blut­über­ström­ten Hän­den nach dem Fel­sen grei­fen, sah sein wei­ßes Ge­sicht und sei­nen ver­zwei­fel­ten Kampf. Der ein­zi­ge sei­ner Ka­me­ra­den, der noch schwim­men konn­te, stürz­te sich mit mäch­ti­gen Be­we­gun­gen auf ihn zu. Sei­ne Hand hat­te ihn fast schon er­reicht – da schleu­der­te auch die­sen Mann eine Sturz­wel­le ins Ge­bro­del.

Den einen schwim­men­den Mann nahm ein Kanu auf; alle an­de­ren er­dros­sel­te die Flut. Eine Vier­tel­stun­de lang fuh­ren die Boo­te frucht­los auf und ab, dann fan­den sie die To­ten im Schlamm ste­cken. Man nahm ein paar Pfer­de von ei­nem Trans­port­zug am Ufer, um­schlang die Lei­chen mit ei­ner Lei­ne, und so wur­de die schreck­li­che Last an Land ge­zo­gen. Fro­na sah die fünf jun­gen Rie­sen mit ge­bro­che­nen Glie­dern schlaff und re­gungs­los im Schlamm lie­gen. Sie wa­ren im­mer noch vor die Kar­re ge­spannt; die arm­se­li­gen trie­fen­den Las­ten hin­gen noch an ih­ren Rücken. Der sechs­te saß mit tro­ckenen Au­gen be­täubt in der Mit­te.

Ein paar Schrit­te ent­fernt von ih­nen floss der Strom des Le­bens wie im­mer. Fro­na schloss sich ihm an und zog wei­ter.

*

Die dunklen, mit Rot­tan­nen be­stan­de­nen Ber­ge stie­ßen am Dyea-Pass zu­sam­men. Die Füße der Men­schen zer­stampf­ten die feuch­te Erde, auf die nie ein Son­nen­strahl fiel, zu Schlamm und Mo­rast. Vie­le Fuß­we­ge zo­gen durch die feuch­te Wüs­te. Auf ei­nem die­ser Wege traf Fro­na einen Mann, der sich nach­läs­sig in den Schmutz ge­wor­fen hat­te. Er lag auf der Sei­te mit ge­spreiz­ten Bei­nen, von ei­ner schwe­ren Last zu Bo­den ge­drückt. Sei­ne Wan­ge ruh­te in dem wei­chen Schlamm wie auf ei­nem Kis­sen. Er sah müde und zu­frie­den aus. Als er Fro­na sah, wur­de sein Ge­sicht noch hel­ler; er grüß­te sie mit den Au­gen.

»Höchs­te Zeit, dass Sie ka­men«, be­grüß­te er sie. »Ich war­te schon eine Stun­de auf Sie.«

Fro­na beug­te sich über ihn.

»Ma­chen Sie mir nur den Rie­men los, lie­bes Fräu­lein«, bat er, »ein ver­damm­tes Ding! Die gan­ze Zeit habe ich ihn nicht zu fas­sen ge­kriegt.«

»Sind Sie ver­letzt?« frag­te sie.

Er schlüpf­te aus dem Rie­men her­aus und be­fühl­te sei­nen ver­dreh­ten Arm.

»Nein, ge­sund wie ein Fisch! Auch der Arm, Gott sei Dank.«

Er streck­te die schmut­zi­ge Hand nach ei­ner nied­ri­gen Tan­ne aus und wisch­te sie an den Zwei­gen ab.

»Also stel­len Sie sich vor, ich stol­pe­re über die­se klei­ne Dreck­wur­zel da, und – bums! – lie­ge ich wie eine Schild­krö­te mit­ten im Dreck und kann den Rie­men nicht zu fas­sen krie­gen. Eine gan­ze Stun­de lie­ge ich schon so da; die an­de­ren zie­hen da un­ten vor­bei, und kei­ner sieht mich. Im­mer­hin, ich hab’ mich aus­ge­ruht.«

»Wa­rum ha­ben Sie nie­mand ge­ru­fen?«

»Dass ei­ner zu mir her­auf­klet­tern soll? Die ar­men Teu­fel ha­ben mit sich selbst ge­nug zu tun! Wenn ich mir vor­stel­le, mich lässt ei­ner da her­auf­krab­beln, nur weil er aus­ge­rutscht ist … Aus dem Dreck her­aus­zie­hen würd’ ich ihn schon, aber dann ihm das Fell ver­to­ba­ken und ihn zu­letzt wie­der hin­ein­schmei­ßen. Au­ßer­dem konn­te ich mir ja den­ken, dass schließ­lich auch mal hier je­mand vor­bei­kommt.«

»Sie pas­sen hier­her! Sie sind der rich­ti­ge Mann für dies Land.«

»Bin ich auch!« sag­te er, wuch­te­te sei­nen Pa­cken auf die Schul­ter und trab­te los. »Auf je­den Fall hab’ ich mich or­dent­lich aus­ge­ruht.«

Der Weg ging jetzt steil ab­wärts durch einen Mo­rast zum Flus­sufer. Eine schlan­ke Kie­fer lag als Brücke über dem to­sen­den Schaum. In der Mit­te bog sich der Stamm so tief, dass er das Was­ser be­rühr­te. Wel­len schlu­gen da­ge­gen und setz­ten ihn in zit­tern­de Be­we­gung. Die Stie­fel der Pack­trä­ger hat­ten sei­ne vom Was­ser über­spül­te Ober­flä­che glatt­ge­schlif­fen. Über zwan­zig Me­ter maß die­se schwan­ken­de, ge­fähr­li­che Brücke. Fro­na be­trat sie, fühl­te, wie das Vi­brie­ren un­ter ih­rem Ge­wicht hef­ti­ger wur­de, hör­te das Rau­schen des Was­sers, sah das wil­de To­sen – und schau­der­te zu­rück.

Sie hock­te sich am Weg nie­der und tat, als wäre sie mit ih­rem Schuh­werk be­schäf­tigt, denn In­dia­ner tra­ten aus dem Wald her­vor. Vier kräf­ti­ge Män­ner schrit­ten vor­an, ih­nen folg­te eine Schar von schwer be­las­te­ten Frau­en mit Kin­dern, und den Schluss mach­te ein Dut­zend Hun­de, de­nen die Zun­ge zum Hal­se her­aus­hing. Auch die Hun­de und so­gar die kleins­ten Kin­der wa­ren be­packt.

Im Vor­bei­ge­hen mach­te ei­ner der Män­ner eine Be­mer­kung über Fro­na. Sie ver­stand die Wor­te nicht, aber das hel­le Ki­chern, das durch den gan­zen Zug lief, trieb ihr die Scham­rö­te in die Wan­gen.

Der Füh­rer trat bei­sei­te; dann be­schritt ei­ner nach dem an­de­ren den ge­fähr­li­chen Pfad. Kei­ner durf­te an­tre­ten, ehe der letz­te jen­seits das Ufer er­reicht hat­te. In der Mit­te, wo der Stamm sich bog, wur­de er vom Ge­wicht des Men­schen tief un­ter die Was­ser­flä­che ge­drückt. Es war schwer, den Halt zu wah­ren, wenn der kal­te, rei­ßen­de Strom die Knö­chel über­spül­te. Aber selbst die Klei­nen gin­gen ohne Zö­gern hin­über, nur die Hun­de win­sel­ten und muss­ten ge­trie­ben wer­den. Als der Füh­rer schon den Stamm be­tre­ten hat­te, dreh­te er sich zu Fro­na um:

»Dort oben ist der Weg für Pfer­de«, sag­te er und wies auf die Berg­wand. »Du gehst bes­ser den Weg für Pfer­de! Das hier ist nichts für dich.«

Fro­na schüt­tel­te den Kopf und war­te­te, bis er am an­de­ren Ufer stand. Dann setz­te sie den Fuß auf den Baum­stamm und schritt in den wir­beln­den Schaum hin­ein, wäh­rend die Au­gen des frem­den Vol­kes auf ihr ruh­ten. Ihr Herz krümm­te sich vor Angst, aber so viel war sie ih­rem Stolz und ih­rer Ras­se schul­dig.

*

Sie traf einen Mann, der wei­nend am We­grand saß. Er hat­te einen Schuh aus­ge­zo­gen; sein Fuß war ge­schwol­len und wund­ge­lau­fen. Rings um ihn lag sein schlecht ver­schnür­tes Ge­päck zer­streut.

»Kann ich Ih­nen hel­fen?« frag­te sie.

»Mir kann kei­ner mehr hel­fen. Der Rücken ist bei­na­he ge­bro­chen, die Füße sind ka­putt.« Er heul­te laut: »Mei­ne Ka­me­ra­den ha­ben mich im Stich ge­las­sen und sind wei­ter­ge­zo­gen. Aber ich kom­m’ kei­nen Schritt mehr von der Stel­le. Ach, mei­ne Frau, mei­ne Kin­der! Ich hab’ sie in den Staa­ten ge­las­sen … nie wer­de ich sie wie­der­se­hen. Ich muss ster­ben, was soll ich sonst nur tun? Was soll ich nur tun?«

»Wa­rum ha­ben Ihre Ka­me­ra­den Sie ver­las­sen?«

»Weil ich nicht so stark bin wie sie. Weil ich nicht so schlep­pen kann wie sie. Aus­ge­lacht ha­ben sie mich und sind wei­ter­ge­gan­gen.«

»Aber Sie sind stark und jung, Sie wie­gen min­des­tens Ihre hun­dert­fünf­zig Pfund und ha­ben kein Fett am Leib.«

»Hun­dert­fünf­und­fünf­zig.«

»Hat Ih­nen je was ge­fehlt?«

»Nein.«

»Und Ihre Ka­me­ra­den? – Sind das alte Gold­grä­ber?«

»So we­nig wie ich. Wir ha­ben im sel­ben Ge­schäft ge­ar­bei­tet. Wir ken­nen uns seit Jah­ren! Und da ge­hen sie hin und las­sen mich ein­fach im Dreck lie­gen, da­mit ich kre­pie­re.«

»Mein lie­ber Mann«, sag­te Fro­na streng, »Sie könn­ten ge­nau das­sel­be leis­ten, aber Sie sind weich­lich, Sie ha­ben Mit­leid mit sich selbst. Sie kön­nen nicht mit, weil Sie nicht wol­len. Das ist kein Land für Sie. Hier braucht man an­de­re Män­ner! Die Kno­chen ha­ben nichts zu sa­gen, auf das Herz komm­t’s an, und das ha­ben Sie nicht. Ver­kau­fen Sie Ihren Kram, und fah­ren Sie nach Hau­se zu Ihren Kin­dern. Hier kön­nen wir Sie nicht brau­chen, hier ge­hen Sie ein, und was hat Ihre Fa­mi­lie dann? Ma­chen Sie, dass Sie in drei Wo­chen wie­der zu Hau­se sind, und schla­gen Sie sich die Gold­grä­be­rei aus dem Kopf! Le­ben Sie wohl.«

Die Mit­tags­son­ne brann­te auf das Fels­ge­wirr nie­der, das die »Stei­ner­ne Waa­ge« heißt. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich vom Eis ge­furch­te Er­drif­fe nackt und in ih­rer Nackt­heit stark. An der Wand des stur­mum­braus­ten Chil­coot-Fel­sens kroch eine Rei­he von Män­nern em­por, eine dün­ne, end­lo­se Ket­te. Vom Ran­de des ver­krüp­pel­ten Wal­des un­ten zog sie sich wie ein schwar­zer Strich über die blen­den­de Eis­flä­che, be­weg­te sich im Schneck­en­tem­po die stei­le Bö­schung hin­an, wur­de im­mer schwä­cher und dün­ner, bis sie wie eine Ko­lon­ne von Amei­sen jen­seits des Pas­ses ver­schwand.

Wäh­rend Fro­na am Wege kau­er­te und ihr Früh­stück ver­zehr­te, hüll­te sich der Chil­coot in wal­len­de Ne­bel und wir­beln­de Wol­ken. Dann brach ein Un­wet­ter, von Ha­gel kra­chend, auf die müh­se­lig vor­drän­gen­den Zwer­ge ein. Das Ta­ges­licht er­losch, aber Fro­na wuss­te: im­mer wei­ter, im­mer wei­ter zog sich dort oben die lan­ge Rei­he von Amei­sen hin, an den Berg ge­klam­mert, un­er­müd­lich, im­mer tiefer in die Wol­ken hin­ein. Der ewi­ge Wil­le zum Sieg die­ser Men­schen durch­beb­te sie. Jetzt trat auch sie in die Rei­he ein, die aus dem Sturm hin­ter ihr auf­tauch­te und im Sturm vor ihr ver­schwand.

Auf der Höhe des Pas­ses wur­de sie ge­packt: ein Wir­bel­wind aus damp­fen­dem Ne­bel drück­te sie zu Bo­den. Auf Fäus­ten und Kni­en kroch sie die mäch­ti­ge Vul­k­an­rin­ne des Chil­coot-Tals vor­wärts, stun­den­lang. Dann end­lich er­reich­te sie die öden Ufer ei­nes Kra­ter­sees. Die Flut war auf­ge­wühlt und mit weißem Schaum be­deckt. Hun­dert klei­ne Hau­fen von Ge­päck war­te­ten am Ufer dar­auf, über­ge­setzt zu wer­den, aber es ging kein Boot über den See.

Ein elen­des Ske­lett aus Holz­rip­pen mit ei­nem Se­gel­tuch­über­zug lag auf dem Fel­sen. Da­ne­ben hock­te ein jun­ger Bur­sche mit schwar­zen Au­gen und hel­lem Ge­sicht. Ja, er sei der Fähr­mann, sag­te er, aber für heu­te hät­te er die Ar­beit nie­der­ge­legt. Fün­f­und­zwan­zig Dol­lar nahm er sonst für die Über­fahrt, aber heu­te fuhr er nicht mehr.

»Bei die­sem Sau­wet­ter, was den­ken Sie denn?«

»Aber mich set­zen Sie doch noch über?«

»Dort drü­ben ist es noch schlim­mer, als man von hier aus glaubt. Nicht ein­mal die großen Holz­boo­te kom­men durch; das letz­te hat der Sturm an die West­küs­te ge­wor­fen. Eine gan­ze La­dung von Trä­gern ist an Bord, von hier aus hat man al­les se­hen kön­nen. Von da, wo sie jetzt lie­gen, kom­men sie nicht wei­ter. Da müs­sen sie la­gern, bis der Sturm vor­bei ist. Das ma­chen wir nicht, Fräu­lein.«

»Aber mein La­ger­ge­rät ist schon in Hap­py Camp, hier kann ich doch nicht blei­ben«, sag­te Fro­na mit ver­füh­re­ri­schem Lä­cheln. »Sei­en Sie ein Mann und brin­gen Sie mich hin­über.«

»Nein.«

»Ich gebe Ih­nen fünf­zig.«

»Nein, sage ich.«

»Ich bin ein Mä­del, aber ich habe kei­ne Angst!«

Der Bur­sche fuhr auf und kehr­te sich ge­gen sie mit zorn­fun­keln­den Au­gen. Die Wor­te, die ihm auf der Zun­ge la­gen, be­hielt er für sich, aber Fro­na konn­te sie von sei­nem Mun­de le­sen. Ge­gen den Sturm ge­beugt, stan­den sie ne­ben­ein­an­der wie See­leu­te auf schwan­ken­dem Deck und sa­hen ein­an­der trot­zig in die Au­gen. Ihm kleb­te das Haar in nas­sen Lo­cken um die Stirn; das ihre peitsch­te in trie­fen­den Sträh­nen um ihr Ge­sicht.

»Also los!«

Der Bur­sche schob mit ei­nem wü­ten­den Ruck sein Boot ins Was­ser und warf die Rie­men hin­ein.

»Stei­gen Sie ein! Aber nicht für fünf­zig Dol­lar. Sie be­zah­len den­sel­ben Preis wie alle an­de­ren.«

Ein Wind­stoß pack­te die Nuss­scha­le. Die Breit­sei­te vor­aus, flog sie sechs Me­ter weit über das Was­ser. Fro­na nahm die Schöpf­kel­le zur Hand, schwe­re Sprit­zer klatsch­ten den bei­den in die Ge­sich­ter, sta­chen und brann­ten in ihre Haut.

»Hof­fent­lich trei­ben wir nicht an Land«, keuch­te er und beug­te sich über die äch­zen­den Rie­men. »Wäre kein Ver­gnü­gen für Sie.«

Da­bei sah er sie wü­tend an.

»Wir wer­den schon nicht«, sag­te Fro­na und lä­chel­te.

Sie tra­ten auf schlüpf­ri­ge Fel­sen, als das Boot sein Ziel er­reicht hat­te. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich trie­fen­de Stein­wän­de, der Re­gen braus­te im­mer noch nie­der wie aus un­er­schöpf­li­chen Mul­den.

Fro­na woll­te hel­fen, das Boot zu ber­gen.

»Ma­chen Sie lie­ber, dass Sie vor­wärts kom­men«, brumm­te der Fähr­­­­­­­­­­­­­