Amor,
das Leben
und ich

Daniela Pongratz

Erzählungen

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www.net-verlag.de

Erste Auflage 2016

© net-Verlag, 39517 Tangerhütte

© Coverbild: Sandra Braun

Covergestaltung, Lektorat

und Layout: net-Verlag

Illustrationen: Daniela Pongratz

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-95720-184-3

»He, Amor, sag mir geschwind,

wo ich meinen Liebsten find.«

»Sei doch nicht so stur,

denk nicht an den einen nur.

Dieses Buch ist geschrieben

für alle deine Lieben.

Und auch für alle andern,

die auch stolpern,

nicht nur wandern.

Denn ließe sich das Leben planen

und richten,

gäb’s weniger zum Lachen und keine

Geschichten.«

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Zu Besuch bei Amor - Teil 1

Straßenbahnfahren

Das seltsame Dorf

Wie Minka unseren Springbrunnen zerstörte

Rainhard und die schöne Helena

Monstercat

Mit Bauxi im Kaufhaus

Blind Date

Lotto spül’n

Mein Körper und ich

Ein Sommerregen

Dringend

Der Perfo

Zu Besuch bei Amor - Teil 2

Sommergedicht

Kurt überlegt

Der Flug

Der Pickel und sein Ende

Ein seltsames Klassentreffen

Zu Besuch bei Amor - Teil 3

Mit Amor auf Mission

Der Gentleman

Warum ich keine Duftkerzenvertreterin wurde

Auf der Suche

Ich fand Frau Schädl mit einem Blumenstrauß in der Hand

Mein Atem und ich

Landjäger

Der neue Nachbar

Als ich sang

Geschenke einpacken

Die verschiedenen Weihnachtstypen

Die Heiligen Drei Könige

Ratschläge

Fernsehschlafen

Der Traummann

Über die Autorin

Weitere Veröffentlichung der Autorin

Buchempfehlungen

Zu Besuch bei Amor

Teil 1

Ich war achtundzwanzig. Mit meinem Liebesleben wollte es so gar nicht klappen. So riet mir meine gute Freundin Stella, doch einmal bei Amor höchstpersönlich vorbeizuschauen und mit ihm darüber zu sprechen. Ich fand die Idee ungewöhnlich, aber äußerst genial.

Mit einer Kaffeehausrechnung in der Hand – dies war das einzig Beschriftbare gewesen, das meine Freundin und ich bei unserer Liebesprobleme-Konferenz zur Verfügung gehabt hatten (bei solchen Besprechungen wird ja normalerweise nicht protokolliert, weshalb jegliches Schreibutensil gefehlt hatte) – auf der auf der Rückseite mit einem fast tintenleeren Kuli eine Adresse gekritzelt stand, bog ich in die Herzerlstraße ein. Hausnummer 7, gleich neben der gleich bezifferten Wolke, da musste Amors Reich sein.

Dieses hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Als ich vor einer prunklosen Holzhütte stand, hielt ich sicherheitshalber noch nach einer anderen Lokalität Ausschau, die seinem Image besser entsprochen hätte. Da ich weder eine romantische Burg noch eine Villa mit traumhafter Gartenanlage entdecken konnte, spickte ich nochmals auf meinen Zettel. Aufgrund des tintenleeren Kulis konnte man die Schrift zwar schwer lesen, aber dafür umso besser fühlen (da ja beim Schreiben fest aufgedrückt werden musste, um die letzte Tinte herauszuquetschen). Also begriff ich schließlich, dass hier doch Amor zu Hause sein musste. Die Holztüre, die in der oberen Mitte ein Loch in Herzerlform hatte, erinnerte mich unwillkürlich an die Türe eines Plumpsklos. Nicht besonders geschmackvoll, dachte ich und hoffte, hinter der Türe zwar einen stillen Ort, aber nicht unbedingt ein stilles Örtchen zu finden.

Zaghaft öffnete ich die Türe und trat ein. Ich stand in einer Räumlichkeit, die ich von außen nicht erwartet hätte. Die Möbel waren in zartem Rosa und Weiß gehalten, und es duftete nach Rosen. Es war angenehm warm, und leise klassische Musik tönte im Hintergrund. Doch wo war Amor? Wie er wohl aussah? War er der Amor von der Werbung einer Drogeriekette? Dieser kam jedoch weniger meiner Vorstellung nach. Oder war er einfach dieses süße Engelchen mit Pfeil und Bogen?

Unwillkürlich ließ ich mich auf den weißen Teppich am Boden plumpsen. Lange weiße Wollfäden machten den Teppich weich und kuschelig.

Während ich so wartete, begann ich, die Fäden zu zählen, verlor mich dann aber in meiner Gedankenwelt. So ganz darin versunken, hörte ich plötzlich ein verärgertes Räuspern. Ich sprang auf – das musste er sein – Amor! Ein kleiner Wicht, gerade mal einen Meter groß, kam durch einen Wolkenvorhang auf mich zu. Er hatte eine knabenhafte Gestalt, doch sein Gesicht wirkte erwachsen. Er trug einen weißen Bademantel. Pfeil und Bogen hatte er nicht bei sich. Es sah so aus, als ob er nicht im Dienst wäre. Seine Haare waren nass, und ich befürchtete, dass ich ihn gerade bei seiner morgendlichen Toilette gestört hatte. Es war zwar schon zehn Uhr, aber Amor schien ein Langschläfer zu sein. Na ja, vielleicht hatte er auch Nachtdienst gehabt – sein Job war ja auch sicher in der Nacht sehr wichtig.

»Wer stört mich schon so früh am Morgen?«, murrte er.

Er hatte eine tiefe, sehr schöne Stimme (wenn man den Grant herausnahm).

Ich klopfte die Fusseln, die der weiße Teppich auf meinen Kleidern hinterlassen hatte, ab und stotterte ehrfürchtig: »Falls ich störe, komme ich ein anderes Mal wieder.«

Amor seufzte tief, gähnte und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Er fuhr sich durch sein Haar und begründete entschuldigend seine schlechte Laune: »Ich hatte heute eine anstrengende Nacht. Zwei Leute, die ich schon vor drei Jahren mit meinen Pfeilen beschossen hatte, wollten einfach nicht zusammenkommen. Beide waren zu schüchtern. Jetzt haben sie es, mit einer kleinen List von mir, doch geschafft. Ich musste einen Lift anhalten, in dem sie gemeinsam fuhren, damit sie endlich keine Ausflüchte, Ausreden und vor allem Auswege für ihre Liebe zueinanderfinden konnten. Jetzt hat es endlich geklappt. Das war ein harter Job! Also, verzeihe mir, wenn ich vorhin etwas gereizt gewesen bin.«

Ich nickte verzeihend. Es war schwierig, sich in seine Arbeit hineinzuversetzen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass es keine leichte war.

Er setzte sich auf einen eigens nach seiner Größe abgestimmten Lehnstuhl und sah mich mit müden Augen an. Er wirkte auf mich etwas abgekämpft.

Mann, der Typ hatte ja auch wirklich einen harten Job!

Und als ob er meine Gedanken gehört hätte, bestätigte er: »Weißt du, der Job wird immer schwieriger. Vor allem seit dem Internet.« Er schüttelte scheinbar mit Bedauern über diese Erfindung den Kopf.

Mit meinem leicht zur Seite geneigten Kopf gab ich ihm zu verstehen, dass ich seinen Argwohn gegen diese meines Erachtens großartige Innovation nicht nachvollziehen konnte.

Er stützte seinen Ellbogen auf seinen Knien ab und kratzte sich sein Kinn: »Viele Leute vertrauen mir nicht mehr und glauben, ihre große Liebe warte auf sie im Internet.«

»Aber viele haben sich dadurch schon gefunden.« Ich fühlte mich unserer Generation gegenüber verpflichtet, diesen Einwand zu bringen.

Amor tat so, als ob er diesen nicht gehört hätte. »Im Internet ist es schwierig, Pfeile zu verschießen.«

Ich wusste es, dachte ich triumphierend. Er arbeitet doch mit Pfeilen.

»Wie soll das gehen?! In solchen Chatrooms sind weder Platz für meine Pfeile noch für die wahre Liebe. Vieles ist nur Schein – Lug und Trug. Die Menschen brauchen sich nicht in die Augen zu sehen, sie können das Blaue vom Himmel erzählen, ohne dass dies jemand bemerkt. Es können keine Blicke ausgetauscht werden, kein Lächeln – kein wirkliches Lächeln!« Er schüttelte wieder den Kopf. »Ich inszeniere so wunderschöne Liebesgeschichten, die mit Schicksal und glücklichem Zufall zu tun haben, aber die Leute vertrauen mir nicht mehr und gehen ins Internet.«

Zufrieden stellte Amor fest, dass er mich ins Grübeln gebracht hatte.

»Aber Amor«, wandte ich, an mein eigenes Liebesleben denkend, ein, »vielleicht dauert es einigen zu lange, bis du Zeit für sie hast, und sie vertrösten sich inzwischen in einem Chatroom.« Ich biss mir auf die Lippen und hoffte, ihn mit meiner Aussage nicht beleidigt zu haben. Deswegen fügte ich noch schnell hinzu: »Das Internet nimmt dir sicher Arbeit ab.« Ich wusste nicht genau, ob mich diese Aussage nicht noch tiefer ins Fettnäpfchen hineintreten ließ.

Aber Amor schien nicht so empfindlich zu sein, wie ich ihn zuerst eingeschätzt hatte.

Er lächelte. Ich beneidete ihn um seine schönen weißen Zähne und fuhr mit meiner Zunge über das große Loch im hinteren Stockzahn, das schon seit drei Wochen auf eine Füllung und die von mir ausstehende Terminvereinbarung beim Zahnarzt wartete.

»Da seid ihr Menschen alle gleich. Ihr könnt die Liebe einfach nicht erwarten.«

Ich seufzte tief.

»Wie heißt du?«, fragte er mich schließlich.

Ich nannte gehorsam meinen Namen. Mein Herz begann zu rasen, denn augenscheinlich würde es gleich um mich persönlich gehen.

»Kanntest du die Julia – die Capulet – da ist mir wirklich eine schöne Geschichte gelungen – mit dem Romeo.« Selbstgefällig lehnte er sich in seinen Sessel zurück.

Ich dachte, diese schöne Geschichte hätten wir Shakespeare zu verdanken – sagte aber nichts.

»Wie war doch gleich dein voller Name?«, fragte er mich, als er von seiner schönen Erinnerung zurückgekehrt war.

Ich wiederholte Vor- und Zuname ein wenig verärgert.

Er stand auf und ging zu einem Schreibtisch. Aus der obersten Lade zog er ein Gerät heraus. Einen Computer. Na, wer hätte das gedacht? Amor bemerkte meinen höhnischen Blick, hatte er sich doch eben noch selbst über moderne Errungenschaften beschwert.

»Ganz ohne Computer komme ich heute auch nicht mehr aus«, verteidigte er sich.

Ich schmunzelte nur überlegen.

Er tippte konzentriert meinen Namen ein.

Als sich meine Datei auftat, legte er seine Stirn in tiefe Falten und ließ mir einen besorgten Blick zukommen, in dem sich aber auch ein wenig Verärgerung widerspiegelte. »Mit dir hat man es nicht leicht.«

»Ich weiß«, gab ich kleinlaut zu und sah beschämt auf den Boden.

»Du verliebst dich immer in Männer, die nicht für dich bestimmt sind«, rügte mich Amor.

»Und wo sind die, die für mich bestimmt sind?«, reagierte ich trotzig.

Ich fand es ziemlich besorgniserregend, als Amor nicht antwortete und mit der Maus eine lange Liste hinunterscrollte.

»Ich treffe eben auch nicht immer richtig«, versuchte er, mir zu erklären. »Ich muss ja für jedes werdende Paar zwei Pfeile verschießen. Einen für sie und einen für ihn. Der erste Pfeil, der von ihr zu ihm fliegt, trifft – umgekehrt jedoch kann sich jemand dazwischen stellen, oder sie schwankt (bildlich und seelisch) hin und her – und glaube mir, das ist oft der Fall – dann treffe ich daneben, und er verliebt sich in eine von mir nicht für ihn vorgesehene Person. Aber da korrigiere ich nichts, da ich glaube, dass die Pfeile schon richtig entscheiden. Das kann natürlich auch zu gebrochenen Herzen führen. Aber das ist die Liebe. Es steht nirgends geschrieben, dass die Liebe automatisch Glück bedeutet. Sie kann auch schmerzhaft sein.«

Amor stimmte »love hurts« an, und ich fand es ziemlich albern.

Aber seine Worte stimmten mich nachdenklich und erklärten mir einige Vorfälle.

Amor bot mir einen Orangensaft an, woraufhin ich noch aufmerksam seinen Geschichten zuhörte.

Als ich am späten Nachmittag über seine Türschwelle wieder in die Realität zurücktrat, war mir so, als wäre dies ein Moment, einen Wunsch loszuwerden.

»Amor«, bat ich, »wenn du das nächste Mal bei mir vorbeischaust, versuche, mich zu treffen.«

»Warte!«, rief Amor, der doch immer das letzte Wort haben musste, »ergreife aber auch die Gelegenheit, wenn ich sie dir zuwerfe.«

Straßenbahnfahren

Ich befinde mich in einer verzwickten Lage.

In meine Kniekehlen bohrt sich ein Kinderwagen, die Fransen des Pullis der vor mir Stehenden kitzeln in meiner Nase. Das Mädchen neben mir hat mir gerade vorhin ihren Pferdeschweif ins Gesicht geschnalzt, wovon sich noch ein paar Haare zwischen meinen Zähnen befinden. Ein Parfum-Ketchup-Red-Bull-Duftgemisch liegt in der Luft. Ich bewundere die Frau, die neben mir sitzt und ihr Frühstück in Form von einem Hamburger genussvoll? vertilgt. Mich wundert es immer wieder, wie Leute, auch wenn es noch so eng in der Straßenbahn ist, essen, schlafen oder telefonieren können. Für mich ist es ein täglicher Kampf. Schließlich will ich hier ohne gröbere Verletzungen und Quetschungen herauskommen.

Zugegeben – ein Körperteil von mir hat jetzt auch seinen Schlaf gefunden. Meine Hand, die sich an einem an der Decke befestigten Haltegriff festhält, ist samt dazugehörigem Arm eingeschlafen. Herunternehmen und aufwecken kann ich sie leider nicht, da unten kein Platz mehr ist. Mittlerweile hat sich nämlich ein Bierbauch in meine Taille gebohrt. Der tägliche Wahnsinn!

Auf der Straße sehe ich einen Mann, der auf einem Stecken, den er über seine Schulter gelegt hatte, eine leere Cola-Dose transportiert. (Glauben Sie mir, sowas kann man nicht erfinden …) Aber nach zwölf Jahren als Pendlerin und Straßenbahnfahrerin wundert einen gar nichts mehr.

Irgendetwas scheppert.

Das geht zusätzlich auf den Geist. Bei der nächsten Haltestelle steigen noch ein paar Leute ein. Die Frage, wie dies möglich ist, stelle ich mir schon seit Jahren nicht mehr. Irgendwie passen noch immer ein paar in die Bim, auch wenn es auf den ersten Blick aussichtslos scheint. Unerschrockene schaffen es.