THOMAS ZIEGLER

 

 

DER UNHEIL-SCHLÄFER

- 13 SHADOWS, Band 11 -

 

 

 

Horror-Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER UNHEILSCHLÄFER 

 

Das Buch

 

Mirakel schloss sekundenlang die Augen, um sein inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen. Pestilenz und Wahnsinn, Ausbeutung und Unterdrückung, Mord und Massenvernichtung, Verdammnis und unendliches Leid wurde hier auf den Steinplatten für alle Zeiten konserviert.

Und er begriff: Diese Stadt war ein Denkmal, das das Böse sich zu Ehren errichtet hatte!

Dumpf klapperten die Schritte des Dykten auf dem Pflaster. Zögernd näherte er sich dem größten Bauwerk, einem auf zerbrechlich wirkenden Stützpfeilern ruhenden Koloß, der alle anderen Tempel und Paläste überragte.

Das Material, aus dem er erbaut war, ähnelte bei genauem Hinsehen nicht mehr Marmor, sondern feinkörnigem Milchglas. Es war halb durchsichtig und erschien aus der Ferne nur wegen seine Dicke weiß.

Mirakel zuckte zurück und unterdrückte ein entsetztes Stöhnen. Verzweifelt wünschte er, dass ihn seine Augen trogen und ihm Dinge vorgaukelten, die nicht existierten.

Doch das Bild verschwand nicht.

Nun wusste er, warum es von den Erbauern der Tempelstadt keine Spur mehr gab - sie warten tot!

 

DER UNHEIL-SCHLÄFER von THOMAS ZIEGLER erschien erstmals im Januar 1979 als Nr. 72 der Horror-Serie MACABROS von DAN SHOCKER unter dem Titel NH'OR THRUUS UNHEIL-SCHLÄFER (MIRAKEL 09).

 

»Damals hieß er Dan Shocker, weil er jung war und das Geld brauchte.«

(Ronald M. Hahn)

 

Eine durchgesehene Neu-Ausgabe von DER UNHEIL-SCHLÄFER erscheint als elfter Band der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

DER UNHEILSCHLÄFER

 

 

  Die Nachmittagssonne stand tief über dem Frankfurter Hauptbahnhof.

Autos wälzten sich durch die Straßen, Stoßstange an Stoßstange, eine Springflut aus Blech, die sich jeden Tag um diese Zeit über den Asphalt ergoss. In der schwülen Luft wirkte der Geruch der Abgase ätzend und erschwerte das Atmen.

»Rot! Verdammt!«, stieß Bechler zornig hervor und trat auf die Bremse. Mit leise quietschenden Reifen kam der Lieferwagen knapp vor dem Zebrastreifen zum Stillstand.

Der dicke, verschwitzte Mann hinter dem Steuer zündete nervös eine Zigarette an und blickte ungeduldig auf die Uhr. Fast fünf!

»Zum Teufel!«, fluchte er unbeherrscht. Endlich leerte sich der Fußgängerüberweg, und die Ampel sprang wieder auf Grün. Erleichtert gab Bechler Gas, der klapprige Lieferwagen setzte sich in Bewegung und surrte gleichmäßig die breite Hauptverkehrsstraße entlang.

Die Frankfurter Innenstadt ähnelte um diese Zeit einem aufgeschreckten Bienenstock.

Ein verbeulter Volkswagen zog mit röhrendem Motor an Bechler vorbei. und schoss in die Lücke, die sich plötzlich zwischen dem Lieferwagen und dem vorderen Fahrzeug gebildet hatte.

»Sonntagsfahrer!«, brüllte der Dicke und machte eine bezeichnende Geste. »Du hast deinen Führerschein wohl in der Lotterie gewonnen!« Mit einer Verwünschung warf er die halb aufgerauchte Zigarette aus dem heruntergekurbelten Fenster.

Plötzlich blinzelte Bechler verwirrt.

Was, zum Teufel, war denn das?

Unwillkürlich verlangsamte er die Geschwindigkeit und ignorierte das drängende Hupen der nachfolgenden Autos.

Mitten auf der Straße hatte es plötzlich zu flimmern begonnen; von einer Sekunde zur anderen schien die Luft zu glühen und zu wabern.

Der Volkswagen bremste, aber es war schon zu spät. Die Kühlerhaube berührte den orangenen Glanz.

Eine Explosion zerriss Bechler fast das Trommelfell. Irgendein eckiger Schatten huschte durch die Luft und traf die Windschutzscheibe des Lieferwagens. Das Glas zersplitterte klirrend in tausend Teile.

Bechler schrie und fühlte es warm und klebrig über die Wange rinnen. Ächzend scherte der Lieferwagen aus und holperte über die Bordsteinkante. Haarscharf vorbei an vor Entsetzen erstarrten Passanten bohrte er sich dann mit ohrenbetäubendem Getöse in das Schaufenster einer Boutique.

Panik erfüllte den dicken Mann. Mit einem Ruck öffnete er die verzogene Tür und sprang benommen auf den Boden. Unter seinen Füßen knirschte Glas.

Von irgendwoher erklangen angsterfüllte Schreie, immer wieder vermischt mit dem Scheppern der Karosserien, wenn orientierungslose Fahrer die Kontrolle über ihre Wagen verloren und mit anderen Fahrzeugen kollidierten.

Geblendet hielt Bechler die Hand vor Augen. Er konnte kaum etwas sehen. Der Feuerball auf der Straße strahlte so hell wie die Sonne.

»Mein Gott, was ist das?«, flüsterte der Mann verwirrt.

Jemand rempelte ihn an und rief ihn zurück in die Wirklichkeit. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das stechende Licht.

Die Straße ähnelte einem Trümmerfeld.

Dutzendweise hatten sich die Autos ineinander verkeilt, und durch das Gewimmer der Hupen drangen leise und schwach die Schmerzenslaute der Verletzten.

Von dem Volkswagen, dessen Kollision mit der rätselhaften Erscheinung das Drama ausgelöst hatte, war bis auf einige verbogene Trümmerteile nichts mehr zu sehen.

Überall wimmelte es von Menschen, die aufgeschreckt durch den Lärm die Geschäfte verließen und sich neugierig auf dem Gehweg drängten.

Bechler griff an die Stirn. Seine Finger waren voll Blut, und erst jetzt fühlte er den Schmerz der langen Schnittwunde, die ihm die Splitter der Windschutzscheibe zugefügt hatten.

Unvermittelt erlosch der Feuerball.

Die Menschen verstummten. Bechler befeuchtete nervös die trockenen Lippen, als ein Donnerschlag die Stille zerriss.

»Nein!«, ächzte Bechler. Sein Gesicht verzerrte sich und wurde zu einer kalkweißen Grimasse.

Vor ihm auf der Straße, umgeben von einem Ring verkeilter Autowracks, räkelte sich eine monströse, giftgrün schillernde Schlange. Langsam drehte sich der Reptilienschädel, und zwei schmale, rötlich glühende Augen musterten die verstört zurückweichenden Menschen...

 

*

 

Bechler reagierte rein instinktiv.

Mit einem Schrei wirbelte er auf dem Absatz herum und drängte sich rücksichtslos durch die furchtsam kreischende Menge. Seine Flucht wirkte wie ein Signal.

Jeder wollte so schnell wie möglich aus der Nähe des unheimlichen Reptils. In ihrer Angst schlugen die Menschen aufeinander ein, stießen brutal die Schwächeren beiseite und trampelten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.

Bechler erhielt einen Schlag gegen den Hals, dass ihm sekundenlang die Luft weg blieb. Halb betäubt taumelte er gegen ein Schaufenster.

Schreiend fluteten die panikerfüllten Menschen an ihm vorbei.

Bechler sah hinüber zu der Schlange, deren Leib so dick wie ein kräftiger Oberschenkel war. Sie öffnete das Maul. Eine gespaltene Zunge kam zum Vorschein und zischelte tastend in alle Richtungen.

Bechler schluckte. Unerklärliche Angst packte ihn. Von dem Reptil schien eine bösartige Aura auszugehen, die die Gedanken verwirrte.

Plötzlich krümmte sich die Schlange zusammen und schnellte mehrere Meter in die Höhe. Sie landete auf dem Dach einer schweren Limousine.

Bechler ballte die Fäuste.

Das Reptil hatte den Wagen wie eine leere Blechdose zerbeult. Ein ähnliches Schicksal konnte ihn treffen.

Von fern drang die Sirene eines Martinshorns näher, andere folgten.

Die Schlange machte den nächsten Sprung, erreichte die gegenüberliegende Straßenseite und streifte mit ihrem Schwanz einen hölzernen Kiosk. Wie Papier zerriss die Vorderfront. Zeitungen, Bücher und bunte Hefte wirbelten durch die Luft.

Bechler erhaschte einen Blick auf eine ältliche Frau, die in einem Winkel des Kiosks Schutz suchte vor dem mörderischen Geschöpf, dann schob sich der grüne Riesenleib vor.

Als die Schlange wieder davon schnellte, war von der Frau nichts mehr zu sehen. Und auch das Reptil war verschwunden. Es schien, als ob es sich in Luft aufgelöst hätte.

Bechlers Knie wurden weich. Er stolperte und bewahrte sich nur mit Mühe vor einem Sturz.

Alles, was sich in den letzten Minuten ereignet hatte, war völlig unmöglich! Mit Grauen erinnerte sich der Dicke an die Explosion des Volkswagens. Was für eine Kraft mochte das sein, die so etwas zuwege brachte?

Er fühlte eine stützende Hand und blickte in das verwirrte Gesicht eines uniformierten Polizisten. »Sie sind ja verletzt! Kommen Sie! Ich bringe Sie zu einem Krankenwagen.«

Bechler nickte schwach. »Die Schlange!«, stieß er heiser hervor. »Sie müssen die Schlange suchen.«

Der Polizist starrte ihn merkwürdig an. »Eine Schlange? Was meinen Sie denn damit?«

Es sprudelte nur so über Bechlers Lippen. »Sie war da! Hunderte von Menschen haben sie gesehen! Und ich sage Ihnen eines: Wenn der Teufel selbst erschienen wäre, er hätte kein schlimmeres Unheil anrichten können.«

Der Polizist hustete und betrachtete schaudernd die verkeilten Autos, die bewegungslos liegenden Opfer der Massenflucht, die zerbrochenen Schaufenster, die Trümmer des Kiosks. Achselzuckend führte er den dicken Mann zu einem Krankenwagen.

 

*

 

»Eine Schlange?«, echote Frank Morell verblüfft und starrte den Polizisten zweifelnd an.

Der Uniformierte grinste und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ein paar Dutzend Leute wollen ein grünes Tier, eine Art Riesenschlange, gesehen haben. Aber wenn Sie sich die Kreuzung vor dem Hauptbahnhof anschauen, dann werden Sie auch an einen Panzer glauben. Bisher soll es fünf Tote, Schwer- und Leichtverletzte gegeben haben!«

Morell trommelte nachdenklich mit den Fingern auf das Lenkrad seines beigen BMW 520. Der Verkehr staute sich in der Straße, und vermutlich würde es noch einige Zeit dauern, ehe die Polizei die Hindernisse beseitigt hatte.

Eine Schlange?

»Wo befindet sich das Reptil denn jetzt?«, erkundigte Morell sich. Er spürte instinktiv, dass er hier einen erneuten Hinweis auf das Wirken der dämonischen Kräfte vor sich hatte. Seit er von seiner Identität als Dykte erfahren hatte und neben seiner bürgerlichen Existenz als Frank Morell das Leben Mirakels führte, stieß er ständig tiefer in ein unsichtbares Wespennetz.

Schon oft hatten seine dämonischen Widersacher versucht, ihn zu beseitigen. Jeder unerklärliche Vorgang - und vor allem jedes Ereignis, das sich in Frankfurt abspielte - rief automatisch seine Neugier wach.

»Ich meine«, fuhr der kräftige, braungebrannte Mann fort und lächelte gewinnend, »wenn es sich tatsächlich um ein Untier handelt, kann es sich schlecht in Luft auflösen, oder?«

Das Grinsen des Polizisten wurde noch um eine Spur ausgeprägter. »Ihr Wort in Gottes Ohr«, brummte er. »Aber von einer Schlange ist keine Spur zu , entdecken. Meine Kollegen haben die Kreuzung und den Bahnhof kontrolliert, aber das Vieh ist wie vom Erdboden verschwunden.«

»Seltsam«, murmelte Morell.

»Sie sagen es!« Der Polizist schnaufte und tippte an seine Schirmmütze. »Nichts für ungut, aber ich muss mich noch um die anderen kümmern. Wenn Sie Glück haben, dann ist in einer halben Stunde die Straße wieder frei.«

Nachdenklich blickte Frank Morell dem davonschlendernden Beamten nach, der gestikulierend versuchte, Ordnung in das Durcheinander des Staus zu bringen.

Die Massenkarambolage vor dem Hauptbahnhof hatte zu einem mittleren Verkehrschaos in der Frankfurter Innenstadt geführt. Nur langsam bahnten sich einige Krankenwagen einen Weg durch die verstopfte Straße. Das Wimmern der Martinshörner verband sich mit dem Hupkonzert ungeduldiger Autofahrer zu einer grellen Musik.

Morell drehte seufzend die Scheibe hoch. Sofort mäßigte sich der nervenaufreibende Lärm. Sinnend tastete der dunkelhaarige Mann nach dem Dyktenkristall in seiner Brusttasche. Kaum hatten seine Fingerspitzen das kühle, geheimnisvolle Material des Amuletts berührt, da durchfloss ihn auch schon der kosmobiologische Energiestrom und prickelte in den Nerven.

Übergangslos verschärften sich die Sinne des Dyktenmannes.

Sollte sich diese rätselhafte Schlange tatsächlich noch irgendwo in der Nähe aufhalten, so würde er sie auf diese Weise finden.

Sein geschärftes Bewusstsein suchte fieberhaft. Aber er fand nichts. Nur einmal hatte er ein merkwürdiges Gefühl, ganz so, als erhasche er flüchtig einen Blick auf einen monströsen Schatten, doch der Eindruck verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Morell zuckte die Achseln. Im Augenblick konnte er nichts Näheres erfahren. Doch er glaubte nicht daran, dass die grüne Schlange auf eine Massenhysterie zurückzuführen war...

 

*

 

Aus den Lautsprecherboxen drang Ravels Bolero.

Ächzend streckte Frank Morell seine Beine aus und trank einen Schluck eisgekühlten Whisky. Die scharfe Flüssigkeit zog seine Mundhöhle zusammen. Er verzog das Gesicht und stellte das Glas beiseite.

Seltsame Unruhe erfüllte ihn.

Ihm war, als ballten sich über seinem Kopf unsichtbare Gewitterwolken zusammen, die sich jeden Augenblick entladen konnten.

Morell schüttelte unwirsch den Kopf. Er war vermutlich nur übermüdet. Die anderthalb Stunden, die er mitten im Stau hatte verbringen müssen, waren nach den stressreichen letzten Tagen wohl zu viel gewesen.

Morell stand auf, trat an die Stereoanlage und schaltete sie aus.

Stille erfüllte die halbdunklen Wohnräume. Er löschte das Licht, zog sich aus und warf. sich ohne die übliche Abendtoilette auf das Bett. Seine Lider waren bleischwer.

Bald war er eingeschlafen.

Die Zeit verging.

Es war still. Nur die regelmäßigen Atemzüge des schlafenden Mannes und das Ticken eines altmodischen Weckers unterbrachen die nächtliche Ruhe.

Plötzlich - ein Scharren, leise nur, aber Morell schreckte augenblicklich aus dem Schlaf und blinzelte müde auf die Uhr.

Kurz nach Mitternacht... Dann hatte er nur knapp zwei Stunden geschlafen.

Was hatte ihn geweckt?

Morell lauschte. Dunkelheit umgab ihn. Er zuckte zusammen... da war es wieder! Es kam vom Fenster her.

Lautlos huschte Morell aus dem Bett, horchte und schlüpfte eilig in seine Kleider.

Dann war wieder alles ruhig.

Da - plötzlich ein spitzer, greller Schrei!

Morell fuhr zusammen.

Der Dyktenkristall pulsierte.

Der Schrei brach ab.

Die Ereignisse überschlugen sich.

Wie unter einem gewaltigen Faustschlag zerplatzte das Schlafzimmerfenster. Ein grüner, schlangenähnlicher Leib bohrte sich durch die Öffnung, und Morell wurde von dem V-förmigen Schädel des urplötzlich auftauchenden Monstrums gegen die Wand geschleudert. Im Fall griff Morell nach dem halbmondförmigen Kristall und presste ihn gegen die Brust.

Doch - zu spät! 

Schon war das grünschimmernde Reptil über ihm. Frank Morell blickte wie erstarrt in die geschlitzten Augen der Dämonenschlange.

Der Dyktenkristall auf seiner Brust führte zur Verwandlung von Morell in Mirakel. Doch der konnte in diesen dramatischen Sekunden mit seinen besonderen Kräfte- und Flugfähigkeiten nichts anfangen.

Bläulich funkelnde Blitze schossen aus den glühenden Pupillen. Lähmte ihn diese Kraft?

Morell schrie auf, als sich ein übermächtiger Einfluss auf ihn legte. Verzweifelt konzentrierte er sich auf seine Dyktenfähigkeiten, aber zu spät. Flimmernd umhüllte ihn ein lückenloses Feld negativer Energie und ließ den kosmobiologischen Kraftstrom des Mirakelsterns fast versiegen.

Er konnte sich nicht mehr bewegen.

Das Flimmerfeld verdichtete sich und verwischte die Konturen der Schlange, deren Reptilienschädel hypnotisch hin und her schaukelte. Fast lag etwas wie Triumph auf ihren starren Zügen.

Tausend Gedanken wirbelten durch Morells Schädel. Er war verloren! Diesmal hatten ihn die Dämonen überrumpelt. Diesmal gab es keinen Ausweg für ihn.

Er saß in der Falle...

Das Flimmerfeld war jetzt nahezu undurchsichtig. Da teilte es sich plötzlich an einer Seite und umschloss dann auch die dämonische Schlange.

Noch immer vermochte Morell kein Glied zu rühren.

Es wäre ein leichtes, durchzuckte es den Dykten, ihn jetzt zu töten.

Aber die Schlange machte keine Anstalten dazu. Unablässig pendelte ihr V- förmiger Kopf hin und her und wurde immer schneller, bis Morell fast schwindelig wurde.

Ein Ächzen durchlief das Flimmerfeld.

Morell spürte, wie Hitze ihn durchflutete. Jede Zelle seines Körpers schien zu glühen. Keuchend schnappte er nach Luft und beobachtete mit weit aufgerissenen, ungläubigen Augen, wie die nur verzerrt erkennbaren Konturen des Schlafzimmers immer größer wurden.

Das Bett blähte sich scheinbar auf und wurde zu einem gewaltigen Berg, die runde Deckenlampe zu einem entfernten, lichtlosen Mond, das Fenster ein gigantisches, gähnendes Loch...

Die Erkenntnis schnürte ihm die Kehle zu.

Der Schein trog! Nicht das Schlafzimmer wurde größer, sondern er wurde kleiner! Mit rasender Schnelligkeit ging die Verkleinerung seines Körpers vor sich. Bald waren um ihn nur noch wallende, monströse Schatten, die auftauchten und verschwanden.

Der Kopf der Schlange pendelte hin und her...

Der Mikrokosmos, dachte Morell benommen. Er war auf dem Weg in den Mikrokosmos.

Die Schlange schien höhnisch zu lachen.

Dann kam die Finsternis, und Frank Morells Gedanken versiegten...

 

*

 

Er öffnete langsam die Augen. Verwirrt betrachtete er einige Augenblicke die gewaltige, in einem seltsamen Rotton glühende Fläche des Himmels.

Keine Sonne, kein Mond, keine Sterne, nur das ewige blutige Wallen.

Der Mikrokosmos, durchzuckte ihn die Erinnerung. Übergangslos war er hellwach.

Die Dämonenschlange!

Instinktiv rollte Frank Morell zur Seite, kam mit einem Satz auf die Beine und blickte sich lauernd um. Langsam entspannte er sich wieder.

Die grüne Schlange war verschwunden...

Er war allein in der Stille der Mikrowelt.

Ein beklemmendes Gefühl beschlich Mirakel, als er seine Blicke über die bizarre Landschaft führte. Direkt vor ihm befand sich das Meer; eine graue Fläche, die wie geschmolzenes Blei träge gegen das felsige Ufer schwappte. Rings um die kleine Bucht, auf der er sich befand, reckten sich schroffe Steinnadeln in die Höhe und bildeten eine spitze Barriere zwischen ihm und dem Binnenland.

Kein Luftzug durchschnitt die drückende Schwüle.

Mirakel stand reglos da. In seinem Gesicht arbeitete es. Er musste der Realität ins Auge sehen.

Rha-Ta-N'my oder einer ihrer Helfer hatte nun endlich erreicht, was die Dämonen bislang vergeblich versucht hatten: Er war ausgeschaltet.

Ein Verbannter im Reich des Mikroskopischkleinen, vielleicht für alle Zeiten verloren, ohne die Chance, zur Erde zurückzukehren.

Dies hier war die Welt Shab-Sodds, des Dämonenzeugers. Vielleicht war auch dieses schlangenähnliche Wesen eines seiner Kreaturen... Die Schlange hatte ihn in den Mikrokosmos entführt, um zu verhindern, dass er auch weiterhin die Pläne der Dämonen durchkreuzte. Doch warum hatte man ihn dann nicht sofort getötet?

Bedeutete dies vielleicht, dass man ihn noch benötigte - wofür auch immer?