THOMAS ZIEGLER

Zwischenwelt

und andere abgefahrene Geschichten

 

Zusammengestellt von RONALD M. HAHN

Erzählungen

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch  

Der Autor 

 

KONTAKTPLANET ERDE (mit Ronald M. Hahn) 

ABENDS KOMMT OMA 

STAR AMORE 

TERRA-TERROR-TOURS 

BEKENNTNISSE EINES ÖKOTERRORISTEN 

ZWISCHENWELT 

UNTER DEN STERNEN, IN DER NACHT 

WIE SCHREIBT MAN EINE SCIENCE-FICTION- KURZGESCHICHTE? 

LASS DIR MAL DIE HAARE SCHNEIDEN 

 

WIE WIR MAL HERRN SCHELWOKAT FOPPTEN  von Ronald M. Hahn 

 

Quellenangaben 

Das Buch

  Ich schreibe nieder, was geschehen ist, aber ich erinnere mich nicht an alles, und an manches nur schattenhaft.

  An die Flucht durch den Wald, an den Alptraum der Schüsse und Stimmen, an Morast, der mich verschlingen wollte und doch nur meinen Schuh verschlang, jenen Schuh, den Linda vor langer, langer Zeit hinaus in den Frühlingstag geschleudert hat.

  Es ist Winter, und die Kälte kriecht durch die Wand, und ich spüre die Kälte nicht.

  Es ist Winter, und es ist ein neues Jahr, und ich erinnere mich.

 

  Die Sammlung Zwischenwelt enthält neben der meisterhaften Titel-Erzählung acht weitere Texte aus dem literarischen Nachlass von Science-Fiction-Legende Thomas Ziegler: darunter den gemeinsam mit Ronald M. Hahn verfassten Roman Kontaktplanet Erde sowie zwei (durchaus augenzwinkernde) Essays.  

  Ergänzt wird Zwischenwelt durch einen Blick hinter die Kulissen aus der Feder von Ronald M. Hahn. 

 

  »Ziegler beweist..., dass er nicht nur originelle Einfälle hat, sondern auch zu schreiben versteht, den Anglo-Amerikanern in jeder Hinsicht gewachsen ist.«  

(Hannoversche Allgemeine Zeitung)

 

  »Zieglers Texte zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Atmosphäre, einen ökonomischen Stil und beklemmenden Realismus aus.« 

(Heyne Science-Fiction-Lexikon)

Der Autor

Thomas Ziegler.

(* 18. Dezember 1956, + 11. September 2004).

Thomas Ziegler war das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Drehbuch-Autors Rainer Friedhelm Zubeil. Im Jahr 1977 debütierte er mit dem Dämonenkiller-Roman Eisvampire, welchen er unter dem Pseudonym Henry Quinn verfasste; dies Pseudonym nutzte er später auch für gemeinschaftliche Werke mit Uwe Anton und Ronald M. Hahn.  

Mit Die Stimmen der Nacht gelang ihm ein einmaliges Kunststück: gleich zweimal erhielt er dafür den Kurd-Laßwitz-Preis - 1984 für die ursprüngliche Erzählung und 1994 für den daraus entstandenen Roman mit demselben Titel. Er schrieb in den 80er-Jahren für die Science-Fiction-Serien Die Terranauten (wiederum unter dem Pseudonym Robert Quint) und Perry Rhodan; bei beiden Serien war er zeitweise auch als Exposé-Autor verantwortlich und prägte diese nachhaltig. Darüber hinaus schuf er die Science-Fiction-Taschenbuchreihe Flaming Bess (neun Bände) sowie die mit zwei Bänden unvollständig gebliebene Fantasy-Serie Sardor. Der als Abschluss vorgesehene dritte Teil wurde als Fragment in Zieglers Nachlass gefunden. Die fehlenden Kapitel wurden von Markolf Hoffmann ergänzt und schließlich 2013 veröffentlicht.  

Als herausragend gelten überdies seine SF-Story-Sammlungen Unter Tage (1982), Nur keine Angst vor der Zukunft (1985), Lichtjahreweit (1986), Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten (1998).  

Neben Science Fiction schrieb er skurrile, vorwiegend im Kölner Raum angesiedelte Kriminalromane wie beispielsweise Überdosis (1988), Koks und Karneval (1990) und Tod im Dom (1991).  

Als Übersetzer lag sein Schwerpunkt bei Science Fiction-Romanen sowie bei Kompendien und Sachbüchern zu Star Wars. Von besonderer Bedeutung sind seine zahlreichen Übersetzungen der Werke von Philip K. Dick: u.a. die Valis-Trilogie (bestehend aus Valis, Die Göttliche Invasion und Die Wiedergeburt des Timothy Archer), Eine Handvoll Dunkelheit, Planet für Durchgangsreisende, Die Konservierungsmaschine, Die Kriecher, Androiden und Menschen, Kosmische Puppen und andere Lebensformen, Warte auf das letzte Jahr.  

Rainer Zubeil verstarb im September 2004 . Seinen literarischen Nachlass verwaltet der Schriftsteller Ronald M. Hahn. 

  KONTAKTPLANET ERDE

  (mit Ronald M. Hahn)

 

 

Der Wolfshund war durch das hohe, daumendicke Gras, das den kleinen Hügel krebsartig überwuchert hatte, kaum zu erkennen. Nur ab und zu schimmerte zwischen den grünblauen Halmen das feuchte Schwarz seiner Schnauze hervor.

Ryder rührte sich nicht.

Er hockte zusammengekauert in der flachen Bodenmulde und wartete. Noch hatte der Wolfshund ihn nicht gewittert. Der Wind stand günstig, und das harzige Fett, mit dem sich Ryder zu Beginn der Jagd eingerieben hatte, verbarg den verräterischen Menschengeruch.

Ryder war ein großer, schlanker Mann von knapp zwanzig Jahren. Sein schmales Gesicht wies die Farbe rötlichen Lehms auf. Bläulich schimmerte das Haar, die Nase war energisch, der Mund dünn.

Ryder war kurz nach der Großen Katastrophe geboren worden. Wenige Monate, nachdem die nuklearen Feuerbälle die Ostküste der USA zerschmolzen hatten und kurz vor dem Versinken Südkaliforniens, über dessen Erde jetzt die Wellen des Pazifischen Ozeans rollten.

Seine Eltern waren schon früh aus den New Yorker Slums in den Westen geflüchtet, so dass der radioaktive Tod sie verschont hatte. Dann jedoch war St. Louis von einer bakteriologischen Bombe getroffen worden, und die Sporen des Hautschimmels hatten die ganze Stadt entvölkert. Zu den Opfern gehörten auch Ryders Eltern.

Ein junger Soldat - einer der letzten Überlebenden einer sowjetischen Fallschirmspringerdivision - hatte Ryder gefunden und mitgenommen. Der Soldat besaß ein Serum gegen den Hautschimmel, und Ryder war im letzten Moment gerettet worden.

Noch jetzt zeugten die rissigen Narben unter Ryders Augen und auf der Brust von der Krankheit.

Später dann war der Soldat verschwunden.

Ryder wusste nicht, ob man ihn getötet hatte oder er es einfach überdrüssig geworden war, für ein hilfloses dreijähriges Kind zu sorgen.

Ryder war allein.

Die folgenden Jahre bildeten in Ryders Erinnerung ein buntes Kaleidoskop bedrohlicher Ereignisse.

Der Krieg war beendet, natürlich, aber die Radioaktivität, die künstlich hervorgerufenen und die natürlich entstandenen Seuchen, das

Chaos, Hunger und Unruhen rafften die Bevölkerung dahin.

Während Ryders zielloser Wanderschaft durch das verwüstete Land zerfiel die Welt in Scherben.

Irgendwann zu dieser Zeit - Ryder war gerade zwölf oder dreizehn Jahre geworden - landeten die Fremden.

Wie Sternschnuppen fielen ihre leuchtenden Raumschiffe vom Himmel. Hunderte, Tausende funkelnder Lichtbälle, jeder so groß wie ein Flugzeugträger. Die Fremden landeten auf den Trümmern der zerstörten Großstädte, ignorierten das wütende Prasseln der Gammastrahlen, die Hitze der nuklearen Bombenkrater und zerschmolzenen Atomkraftwerke und das Flüstern der Viren, Bakterien und Sporen.

Seitdem flackerten über diesen Orten magnesiumhelle, undurchdringliche Schutzkuppeln aus reiner Energie.

Niemand konnte diese Barrieren überwinden.

Und doch lebten neben den Fremden Menschen hinter den Lichtdomen.

Ryder verzog das Gesicht.

Sklaven. Und Verräter. Sklaven von außerirdischen Wesen, mit denen jede Verständigung unmöglich schien. Die Fremden sprachen nicht. Sie waren stumm. Und zweifellos planten sie, ihre Herrschaft allmählich über die gesamte Erde auszudehnen. Unterstützt von ihren menschlichen Haustieren...

Der Wolfshund bewegte sich.

Ryder untere drückte den Hass, der ihn jedes Mal überkam, wenn er an die Fremden und die Verräter dachte. Vorsichtig blickte er über den Rand der Mulde. Der Wolfshund musste etwas gewittert haben. Misstrauisch und mit geblähten Nüstern stand er auf dem Hügelkämm und äugte sprungbereit nach Norden.

Ryder unterdrückte einen Fluch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Seit zwei Tagen war er ohne Nahrung, und jetzt, wo das schmackhafte Fleisch greifbar vor ihm lag, tauchten andere Menschen in dieser einsamen Gegend auf.

Natürlich hatte der Wolfshund Menschen gewittert.

Sein Fell war gesträubt, die Lefzen hochgezogen, und aus seinem Rachen drang ein leises, halb furchtsames, halb zorniges Knurren. Bei einem Tier hätte der Wolfshund anders reagiert.

Der Hund wich langsam zurück. Er wollte fliehen. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen mit den Zweibeinern gemacht.

Entschlossen hob Ryder das zerschrammte Jagdgewehr, zielte sorgfältig - und der Wolfshund verschwand mit langen Sätzen im Dickicht.

Die Leere in seinem Magen machte sich schmerzhaft bemerkbar. Hungrig kaute Ryder eine Handvoll bitterer Wurzeln, von denen er wusste, dass sie unschädlich waren und das Hungergefühl vertrieben.

Wovor war das Tier geflohen? Wer trieb sich in dieser gottverlassenen Einöde herum?

Ganz in der Nähe lagen die Ruinen von Kansas City. In der Nacht, selbst bei hellem Mondschein, glühte die Energiekuppel der Fremden wie eine überdimensionale Laterne.

Wer also wagte es, sich in dem Niemandsland zwischen Raumschiff und Wildnis aufzuhalten?

Fremde?

Unwillkürlich presste Ryder das Gewehr an sich. Heiß und ungestüm erfüllte ihn der Hass.

Ryder hasste die Fremden. Schon von Kindheit an hatte er gelernt, sie zu hassen. Ryder erinnerte sich an die erschöpften Gesichter der Männer und Frauen, denen er auf seiner langen Wanderschaft begegnet war. Jeder von ihnen hasste die-Fremden, sie und ihre Sklaven, und allmählich hatte ihr Hass auch Ryder durchdrungen.

»Die Fremden rauben uns unser Land«, hieß es. »Sie haben gewartet, bis wir waffenlos waren und nur noch wenige Köpfe zählten. Hilflos, geschwächt und tödlich verwundet von dem Großen Krieg waren wir eine leichte Beute. Und sie kamen. Kosmische Heuschrecken. Planetare Leichenfledderer. Tötet sie!«

Vorsichtig, geschmeidig wie eine Schlange, robbte Ryder den Hügel hinauf und bog das blaugrüne, mutierte Gras auseinander.

Von dem Wolfshund war nichts mehr zu sehen. Aber da! Ryder kniff die Augen zusammen und hielt den Atem an.

Nördlich des Hügels erstreckte sich kahles, unfruchtbares Ödland, das schwarz war wie ein Kohlenflöz. In dem Großen Krieg hatten alle Parteien auch chemische Kampfstoffe eingesetzt, die die Pflanzen absterben ließen, den Boden unfruchtbar machten und so die Nahrungsmittelproduktion des Feindes lahmlegen sollten.

Ryder erinnerte dieser Anblick an ein halbversengtes Satellitenfoto, das ihm vor Jahren von einem Überlebenden einer MX-Raketenbasis gezeigt worden war. Auf dem Foto war das südliche Sibirien zu sehen: eine einzige graue Ebene, hier und da von matt glühenden Kratern durchbrochen. Nicht einmal der Mond konnte jetzt unwirtlicher sein als dieses zerstörte Land.

Weiter im Hintergrund erhoben sich die verkrüppelten Ausläufer eines mutierten Waldes. Die radioaktive Strahlung eines nahegelegenen Atomkraftwerks, das durch eine Interkontinentalrakete gleich zu Beginn des Krieges vernichtet worden war, hatte die Erbmasse der wenigen überlebenden Pflanzen und Bäume geschädigt und riesige, skurrile und mörderische Gewächse erzeugt.

Die Wälder waren das Gebiet der Freien Menschen. Nur selten wagten sich die Fremden in diese Dschungel hinein; und wenn, dann im Schutz ihrer gepanzerten Robotwagen. Raupenartige Ungetüme, in deren Bäuchen Tonnen von Lebensmitteln transportiert wurden und die deshalb eine begehrte Beute der Freien darstellten.

Durch das Ödland rauschte ein schmaler, gewundener Wildwasserbach.

Ryder runzelte die Stirn.

Das Gelände war völlig flach und hätte nur eine ruhige Strömung hervorrufen dürfen. Warum war der Bach dennoch so aufgewühlt?

Ryder sah genauer hin. Und ihm wurde kalt.

Früher musste der Bach leicht versumpft gewesen sein; ein idealer Lebensraum für Frösche. Die Frösche hatten den Krieg zwar überlebt, aber Erbschäden davongetragen.

Hier und da lugte ein monströser Schädel aus den Gischtspritzern; groß wie ein Kinderball, mit hervorquellenden Augen und einem zähnestarrenden Maul. Zwei rivalisierende Froschschwärme trugen dort ihre Paarungskämpfe aus und verwandelten das Gewässer in einen brausenden Strudel.

Die drei Männer in den zerfetzten U.S.-Army-Uniformen, die sich hinter einer flachen Erhebung verborgen hielten, schienen sich an den Kämpfen nicht zu stören. Neben ihnen erblickte Ryder eine verschmutzte Panzerfaust und mehrere Projektile, die in graue, feuchtigkeitsabweisende Plastikhüllen eingewickelt waren.

Ryder sah nach rechts. Er stöhnte auf.

Darum also versteckten sich die zerlumpten Soldaten!

Von dem Energiedom, der sich wie eine Käseglocke über die Ruinen von Kansas City wölbte, näherte sich eine silberne Flugscheibe. Sie durchmaß knapp zwei Meter und besaß ein filigranartiges Geländer, an das sich drei Gestalten festklammerten.

Obwohl sich die Fremden äußerlich nur sehr wenig von den Menschen unterschieden, erkannte Ryder sie sofort.

Zwei der Gestalten auf der Flugscheibe hatten keine Ohren. Dort, wo sich ansonsten die Ohrmuscheln befanden, glänzte nackte Haut.

Und die dritte Gestalt... eine Frau!

Eine Menschenfrau mit kastanienbraunen, ungekämmten Haaren, bekleidet mit der gleichen gummiähnlichen Montur wie die Fremden.

Was hatte sie bei den Fremden zu suchen?, fragte sich Ryder. War sie eine Sklavin? Oder eine Verräterin?

Die drei uniformierten Unbekannten wurden bei Erscheinen des Fluggeräts lebendig. Einer von ihnen packte die Panzerfaust, lud sie mit einem der Geschosse und legte auf die Fremden an.

Ryder wartete ab.

Arglos näherten sich die Extraterrestrier und ihre Sklavin dem Bachlauf. Sie schienen von der Gefahr, in der sie schwebten, nichts zu ahnen.

Als die Panzerfaust feuerte, waren sie schon so gut wie tot. Das Projektil traf die Scheibe, und es gab eine dumpfe Explosion. Alles versank in Feuer, Rauch und Splitterregen.

Ryder schauderte.

Die Trümmer versanken im aufgewühlten Bachwasser, und dem Grollen der Detonation folgte kurze, gespenstische Stille.

Die Uniformierten lachten und klopften sich begeistert auf die Schultern. Plötzlich legte sich ihr Übermut, und sie griffen nach ihren Maschinenpistolen'.

Unruhe erfasste Ryder.

Die Frösche! Die fast einen Meter großen Bestien waren von dem Lärm aufgeschreckt worden. Neugierig reckten sich die feuchten, grün und gelb gezeichneten Köpfe aus dem Wasser und glotzten zu den Soldaten hinüber. Mit grotesken Sätzen hüpften dann die ersten Frösche ans Ufer und nahmen hektisch quakend Kurs auf die drei zerlumpten Gestalten.

Ryder entschied, in das Geschehen einzugreifen.

Er zielte, schoss und traf eines der Ungeheuer, über das sofort seine Artgenossen herfielen.

Präzis und gelassen dezimierte Ryder den ersten Schwarm. Die Uniformierten eröffneten ebenfalls das Feuer mit ihren Maschinenpistolen.

Das Quaken der Frösche echote in den Ohren. Ein lähmender Lärm, der Furcht in Ryders Herz blies.

Ihm schienen Stunden vergangen zu sein, ehe die mutierten Tiere ihren Angriff einstellten und zurück in das rötlich verfärbte Wasser flohen.

Das Quaken verstummte.

Leise und kühl pfiff der Wind über die Einöde.

 

*

 

E Tel-Satar verließ die metallene Plattform des Transmissionsgeräts und eilte ungeachtet der bohrenden Kopfschmerzen dem Verwalter entgegen, der ihn bereits ungeduldig erwartete.

»Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, entschuldigte sich Satar höflich, »aber im Planungskomitee gab es einige Unstimmigkeiten, die zuerst geklärt werden mussten. Ich hoffe, Sie haben nicht zu lange gewartet.«

Der Verwalter winkte ab.

Seine telepathische Antwort erreichte Satar nur undeutlich, aber dies war auf die Transmission zurückzuführen, die seinen Schädel mit dem Geraune unzähliger Geschöpfe erfüllt hatte.

Satar machte eine bittende Geste. »Ich habe leider nicht verstanden...«

Der Verwalter berührte seinen Arm. Der körperliche Kontakt erleichterte die Verständigung.

»Warum haben Sie das Transmissionsgerät benutzt?« wiederholte der Verwalter. »Ein Kurierschiff hätte Sie ebenfalls in einer vertretbaren Zeitspanne von Ochtomon in dieses System bringen können. Ihre Wahl hat hier für ziemliches Aufsehen gesorgt.«

Satar lächelte. »Diese Unannehmlichkeit ließ sich, leider nicht umgehen. Außerdem ist die Transmission nur halb so schlimm wie immer kolportiert wird.«

Der Verwalter - ein knochiger Hüne mit dicker, runzliger Haut und humorvollen Augen - seufzte. »Stimmt es«, forschte er, »dass man während der Transmission geistigen Kontakt mit anderen Intelligenzen erhält?«

Satar näherte sich mit dem Verwalter langsam dem Ausgang der Transhalle.

»Ich weiß es nicht. Die Transmission bedeutet die völlige materielle Auflösung des Körpers. Sämtliche Atome existieren dann nur noch als kodiertes Impulsbündel, das von der Sendestation per Nullraumkanal dem Lichtjahre entfernten Empfänger übermittelt wird.

Glauben Sie, dass man in diesem Zustand noch bewusste Überlegungen anstellen kann?«

Der Verwalter lachte lautlos.

»Dann der Moment der Wiederkehr«, fuhr Satar fort, »der Verstofflichung. Der Impuls wird dekodiert und umgewandelt, die Atome und Moleküle entstehen und formen sich nach dem übermittelten Muster.

In diesem Moment hat man den Eindruck, zahllose Stimmen zu hören. Ein aufgeregtes Gemurmel und Gewisper. Man meint, verrückt zu werden, aber dann ist es auch schon vorbei. Man sieht sich um und hat als letzte Erinnerung an die Stimmen nur bohrende Kopfschmerzen.« Satar lächelte. »Das ist alles.«

»Aber...« Der Verwalter wirkte irritiert.

»Ob es fremde Lebewesen sind, die man während der Transmission hört?« Satar strich über seine Stirn. »Vielleicht. Doch ich bin der Ansicht, dass man sich selbst hört. Die Gedanken, die einem während der Entstofflichung gekommen sind. Die Reise durch den Nullraumkanal hat diese Gedanken nicht ausgelöscht. Sofort bei Beginn der Verstofflichung sind sie wieder gegenwärtig.

Aber da man noch benommen ist und sich erst orientieren muss, meint man, fremde Stimmen zu vernehmen.«

Der Verwalter nickte. »Das klingt logisch.«

Lautlos öffnete sich die Pforte vor den beiden Männern und gab den Weg zu den Schwebern frei.

Die langen, mit mehreren Sitzen versehenen und an Besenstiele erinnernden Stangen befanden sich in der Subzone, wo sie mit dem Gleichmut empfindungsloser Automaten auf Passagiere warteten.

Der Verwalter konzentrierte sich. Lautlos löste sich eine zweisitzige Stange aus der Reihe und glitt gemächlich heran, Satar und der Verwalter nahmen Platz.

»Wohin?«, erkundigte sich das nur daumengroße Biotronikgehirn, das an der Spitze der schlanken Stange angebracht war und alle Flugmanöver fehlerlos ausführen konnte.

»Zur Zentrale.«

Ein blasser Lichtschimmer umgab den Schweber; der sichtbare Teil des Subfeldes, das die ungeheure Gravitation dieses Planeten absorbierte. Sanft setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, gewann an Höhe und fädelte sich in die Flugschneise ein.

Weder Schwerkraft hoch Fahrtwind waren im Innern des Subfeldes zu spüren.

E Tel-Satar entspannte sich allmählich.

Obwohl alle Gebäude des Stützpunkts und vor allem auch das Raumschiff durch einander überlappende Subfelder verbunden waren und man praktisch keinen Schritt unter dem Einfluss der mörderisch hohen Erdschwerkraft machen musste, fühlte Satar beinahe körperlich den zermürbenden Druck, dem sie nur dank ihrer fortgeschrittenen Technik widerstehen konnten.

Draußen in der Wildnis war jeder Ashai rettungslos verloren, der keinen tragbaren Subfeldgenerator mit sich führte.

»Gibt es Neuigkeiten in der Liga?«, fragte der Verwalter. »Hier ist man ja von allen Informationen abgeschnitten - zehntausend Lichtjahre von Asha entfernt.«

Satar registrierte befriedigt, dass seine Kopfschmerzen verschwunden waren und er den Verwalter störungsfrei verstehen konnte.

»Vor wenigen Tagen ist die Siebte Expedition gestartet«, berichtete er. »Man rechnet in ungefähr einem Jahr mit den ersten Ergebnissen.«

Der Verwalter verzog das Gesicht. »Hat man es immer noch nicht auf-. gegeben?«

»Der Oberste Rat hat keine andere Wahl.«  .

»Aber es sind doch bereits über hundert Raumschiffe verschollen...«

Satar musterte den Verwalter. »Biotronik-Schiffe besitzen den Vorteil, dass sich in ihnen keine Ashai aufhalten müssen. Sie sind autark.« »Ich kenne die Argumente«, versicherte der Verwalter. »Aber ist man auf Asha wirklich der Überzeugung, dass man das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis allein mit Robotern erforschen kann?«

»Auch Ashai hätten den Verlust der Schiffe kaum verhindern können«, wandte Satar ein.

»Vielleicht doch?«

»Nein«, entgegnete Satar ernst. »Die Rechner haben grundsätzlich vor einer Expedition bemannter Raumschiffe gewarnt. Die Verhältnisse im galaktischen Kern sind unvorstellbar. Keine Panzerung und kein Schutzschild können den harten Strahlungen und Schwerkraftstürmen widerstehen.«

Der Verwalter machte eine resignierende Geste.

»Es ist zum Verzweifeln. Da werden pro Sekunde Hunderte von Sonnen von dem Schwarzen Loch verschlungen, und wir sind nicht einmal in der Lage, die Ursache für die schleichende Auflösung der Milchstraße zu ermitteln.«

»Wir haben noch Zeit«, beruhigte Satar.

»Wie lange noch?«

»Die Rechner schätzen, dass es noch rund zwanzigtausend .Jahre dauern wird, bis der Kollaps irreparabel ist.« »Zwanzig Jahrtausende sind nicht viel.«

»Nein«, bestätigte Satar.

Die Zahl der Schweber hatte inzwischen zugenommen. Der gesamte Stützpunkt wirkte wie ein Ameisenhaufen, den ein Fußtritt aufgewirbelt hatte.

E Tel-Satar und der Verwalter landeten auf dem Flachdach eines weitläufigen Gebäudes. Der Schweber gesellte sich zu den wartenden Flugkörpern in der Subzone, und die beiden Ashai betraten den großen Liftschacht.

»Und wie sieht es hier aus?« erkundigte sich Satar, während er von unsichtbaren Händen sanft in die Tiefe getragen wurde.

»Wir haben Rückschläge erlitten«, gestand der Verwalter. »Die Eingeborenen sind bereits für den Tod von über achtzig Ashai verantwortlich.« Satar hob den Kopf. »Haben Sie Gegenmaßnahmen eingeleitet?«

Der Verwalter verneinte.

»Das erschien uns zu gefährlich. Wir wollten zuerst die Stellungnahme des Zentralen Komitees abwarten. Immerhin steht sehr viel auf dem Spiel. Wir sind auf diesen Planeten angewiesen.«

Entsetzen erfüllte Satar.

»Achtzig Ashai«, wiederholte er wie betäubt. »Wir müssen sofort eine Vollversammlung einberufen.«

»Ich habe bereits alles Notwendige

veranlasst«, informierte ihn der Verwalter.

»Sehr umsichtig«, lobte Satar.

Ein schriller Ton schnitt mit einem Mal in ihre Gedanken, Satar krümmte sich zusammen, das Gesicht qualvoll verzerrt, die Hände gegen die Stirn gepresst. Der Verwalter war leichenblass. Schwitzend rotierte er im Subfeld des Liftes um seine eigene Achse, die Glieder in stummer Agonie verkrampft.

Erst nach einer Weile endete der klagende Laut.

Satar atmete tief durch und suchte in den Taschen seiner Montur nach einem Stabilikum. Hastig schob er die Pille in den zungenlosen Mund.

»Wer... wer ist gestorben?«, fragte er.

»I Lon-hadis und I Dorn-vaan«, antwortete der Verwalter undeutlich. »Sie befanden sich mit einer Eingeborenen auf dem Weg zu einem havarierten Transporter. Man muss ihnen auf gelauert haben.«

Satar ballte unwillkürlich die Fäuste.

»Es wird höchste Zeit, dass wir handeln«, erklärte er grimmig.

 

*

 

Die drei zerlumpten Soldaten starrten Ryder finster an.

»Ryder heißt du also«, sagte der grauhaarige Mann, dessen Haut die Narben einer Säureverletzung aufwies. »Nun, mein Name ist Buff Edwards. Sergeant Buff Edwards.«

Er deutete auf den untersetzten Alten, dessen Haupt völlig kahl war und der jetzt Ryder freundlich angrinste. »Das ist Abe Milton. Und das Stephen Wilburs.«

Wilburs war der kräftigste der drei Männer. Und offenbar auch der misstrauischste. Er musterte Ryder mit unverhohlenem Argwohn.

»Wir sind Soldaten der Nationalen Befreiungsarmee.«

Ryder wölbte die Brauen.

»Es ist das erste Mal, dass ich von dieser Armee höre«, sagte der Jäger nachdenklich. »Wie groß ist sie?« Wilburs spuckte auf den Boden. »Da haben wir's«, knurrte er angriffslustig. »Ein gottverdammter Spion!«

»Halt's Maul, Stephen«, wies ihn Edwards grob zurecht. Er maß Ryder mit einem forschenden Blick. »Die Befreiungsarmee wird die Erde von den fremden Invasoren erlösen«, verkündete er pathetisch. »Als sie von Oberst Kelly gegründet wurde, zählte sie nur eine Handvoll Männer, aber inzwischen sind Hunderte tapferer Kämpfer hinzugekommen.

Aber wir brauchen noch mehr Leute. Wir sind zu schwach, um uns offen gegen die Außerirdischen zu erheben.

Wie ist es mit dir, Ryder? Bist du ein Patriot? Machst du mit?«

Ryder dachte einen Moment nach. Obwohl die drei Soldaten keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck machten, klang ihr Angebot verlockend. Zumindest würde er als Mitglied dieser Armee etwas Warmes zu essen erhalten. Und vielleicht bot sich so tatsächlich die Chance, die Fremden zu vertreiben...

»In Ordnung«, stimmte Ryder zu. »Führt mich zu diesem Oberst Kelly.« Wilburs grinste wölfisch.

»Nicht so eilig, Ryder«, brummte er. »Zuerst musst du beweisen, dass du ein Mann und keine Memme bist.« »Eine Mutprobe?« Ryder war amüsiert.

»So ist es«, bestätigte Sergeant Edwards.

 

*

 

Das Sonnenlicht, das müde durch die Staubwolken in den oberen Atmosphäreschichten funkelte, wurde von den dicht belaubten Baumwipfeln noch mehr gedämpft. Halbdunkel herrschte im Wald.

Ryder und die drei Soldaten folgten den verschlungenen Biegungen des Trampelpfades.

»Es ist nicht mehr weit«, erklärte Edwards. Seine Stimme klang erschöpft. Auch den anderen machte die feuchte Luft zu schaffen. »Der Robotwagen muss sich hier ganz in der Nähe befinden.«

»Wisst ihr, warum die Fremden diese Transporter in die Wälder schicken?« Ryder strich den Schweiß von der Stirn. »Das ergibt doch keinen Sinn...«

»Oberst Kelly sagt, dass sie die Verbindung zwischen den einzelnen Raumschiffen aufrechterhalten,«

»Und die Lebensmittel?«

»Futter für die Sklaven. Vielleicht gibt es nicht in jedem Schiff ausreichend Nahrung, die für Menschen verträglich ist.«

Ryder lauschte. Alles war still.

»Ich habe sehr lange allein in der Wildnis gelebt«, murmelte er. »Was weiß man inzwischen über die Fremden?«

Edwards fluchte wütend, als er in eine Schlammpfütze trat.

»Viel Neues ist nicht bekannt. Die Fremden verstecken sich meistens hinter ihren Energiemauern und richten sich dort häuslich ein. Immer mehr Gebäude entstehen auf den Trümmern unserer Städte.«

»Und die Radioaktivität?«, fragte Ryder erstaunt.

Edwards lachte grimmig.

»Die Städte sind sauber. Die Fremden haben sie entseucht. Kein einziges Millirem wird von den Geigerzählern registriert.«

Ryder begriff.

»Dann können sie die Erde wieder bewohnbar machen«, rief er aus. »Wenn wir nur ihre Geräte in die Finger bekommen könnten...«

»Wir haben es versucht«, sagte Edwards. »Von Zeit zu Zeit verlässt eine Gruppe der Ohrenlosen Kansas City. Ihr Ziel ist immer das Gebiet westlich von St. Louis, wo damals die ersten Raketen niedergingen. Sie führen Messungen durch und bedecken den Boden mit einer Art Schaumteppich. Die Maschine, die den Schaum erzeugt, ist nicht größer als eines von den Vorkriegsautos. Und danach sinkt die Radioaktivität immer um einige hundert Millirem.«

»Habt ihr versucht, an die Maschine heranzukommen?«

Edwards schnitt eine Grimasse. »Natürlich. Wir griffen die Ohrenlosen mit über fünfzig Mann an. Sie reagierten nicht. Begreifen Sie das, Ryder? Sie machten keinen Versuch, sich zu verteidigen.

Und die Maschine... Nun, irgendein Idiot feuerte wild mit einer Panzerfaust um sich. Unglücklicherweise traf er den Entseuchungsapparat.«

»Still!«, zischte Abe Milton plötzlich.

Eine kleine Lichtung war vor ihnen aufgetaucht.

Neugierig blickte Ryder dem Alten über die Schulter. Er entdeckte einen raupenähnlichen Metallzylinder von gut ein Dutzend Meter Länge. Bewegungslos stand er auf der Lichtung.

Das Fahrzeug war mit Schlingpflanzen und Laub bedeckt. Eine Art Netz lag über der stumpfen Schnauze.

Milton zwinkerte Ryder zu.

»Der Transporter ist in das Netz einer Baumspinne geraten.« Er kicherte. »Das ist weder dem Tier noch dem Fahrzeug bekommen.«

»Wo ist die Spinne?«, fragte Ryder. Sein Mund war trocken.

»Keine Gefahr«, sagte Milton und winkte ab. »Sie hängt dort oben. Der Robotwagen hat sie mit einem Laserstrahl zerschnitten.«

Als Ryder den Kadaver des mutierten Insekts oben in den Ästen kleben sah, atmete er erleichtert auf.

Die Spinnen gehörten zu den gefährlichsten Feinden der Freien Menschen. Der nukleare Krieg hatte sie nicht ausgerottet, sondern nur verändert und Arten hervorgebracht, deren Größe und Intelligenz sie zu einem ernsthaften Rivalen der Menschen machten.

»Warum fährt der Wagen nicht weiter?«

Milton kicherte erneut.

»Das Spinnennetz blockiert die Ketten. Es ist so zäh, dass der Roboter wohl verrosten wird, wenn niemand eingreift.«

»Was hast du vor, Buff?« Ryder sah Edwards an.

Edwards nahm die Panzerfaust von der Schulter und überprüfte sie.

»Wir müssen die Strahlkanone ausschalten«, erläuterte er. »Danach haben wir leichtes Spiel.«

»Ist das nicht gefährlich? Wenn das Ding explodiert..

Edwards lachte.

»Keine Angst, Ryder. Das ist nicht der erste Transporter, den wir knacken. Wir müssen nur genau zielen, um nicht das Antriebssystem und den Generator zu treffen.«

Ryder sagte nichts.

»Hinlegen«, befahl Edwards. »Sonst reißt euch die Granate noch die Köpfe ab.«

Ryder duckte sich. Die Dämmerung des Waldes verwischte alle Konturen, so dass man nach einigen Metern kaum noch Details erkennen konnte. Nirgendwo eine Bewegung.

Der stechende Geruch des Spinnenkadavers schien alle anderen Tiere vertrieben zu haben.

Plötzlich raschelte es über Ryder.

Er reagierte sofort. Geschmeidig wirbelte er herum, riss das Gewehr hoch und feuerte auf die ungeheure Spinne, die sich an einem klebrigen Tau herunterließ.

Das mutierte Insekt gab einen zischenden Laut von sich und stürzte haltlos in die Tiefe.

Im gleichen Moment schoss Edwards die Panzerfaust ab. Aber das Geschehen hinter seinem Rücken musste ihn für eine Sekunde abgelenkt haben. Die Granate traf das Antriebssystem des Robotwagens.

Das Fahrzeug explodierte wie eine Bombe.

Ryder wurde hochgewirbelt und prallte gegen einen Baumstamm. Um ihn herum wurde es dunkel.

 

*

 

Ladia hastete unter das schmale Vordach des alten Schuppens, als das Fluggerät der Fremden am Himmel auftauchte. Sie verwünschte ihre Leichtsinnigkeit, die sie so weit vom Lager fortgeführt hatte, und die alte Armeepistole in ihrer Hand schien ihr nicht mehr wert zu sein als ein Spielzeug.

Völlig lautlos schwebte der Metalldiskus über der Wiese.

Ladia fragte sich, wann die Fremden ihre Aufmerksamkeit dem Schuppen zuwenden würden. Sie fühlte sich hilflos. Bis zum Waldrand waren es fünf Minuten, selbst wenn sie so schnell wie möglich lief.

Ladia wusste, dass die Fremden sie suchten.

Die Fremden, die Ohrenlosen, waren Menschenräuber. Unvermittelt tauchten sie irgendwann auf. Sie wussten offenbar genau, wo sich ihr jeweiliges Opfer befand. Es war sinnlos, sich zu verstecken.

Letztes Jahr hatten sie zwei Frauen und einen jungen Mann aus dem Hempstead-Lager geraubt. Davor mehrere Kinder vom Flusscamp, davor die gesamte Familie Rooster, davor...

Bald, dachte Ladia, wird es keine Freien Menschen, sondern nur noch Sklaven geben.

Der Diskus sank.

Panische Angst erfüllte das junge Mädchen. Hastig entsicherte sie die Pistole und drückte sich an die faulige Holzwand des Schuppens.

Der Schuppen stammte aus der Vorkriegszeit. Man vermutete landwirtschaftliche Geräte in ihm, und Ladia war aufgebrochen, um diese für ihr Lager zu bergen. Aber alles, was sie gefunden hatte, waren ein paar verrostete Heugabeln.

Der strahlende Diskus war gelandet Eine Luke öffnete sich, und zwei hochgeschossene Gestalten erschienen.

Ladia staunte, als sie die dünnen, schwächlichen, feingliedrigen Körper der Fremden sah. Waren das tatsächlich die blutrünstigen Eroberer von den Sternen, vor denen sich die Freien so fürchteten?

Und die Fremden waren waffenlos!

Ladias Atem ging schneller. Sie hatte noch eine Chance. Wenn es ihr gelang, die beiden Fremden zu überlisten...

Ungeduldig wartete sie darauf, dass die Fremden sich dem Schuppen näherten. Seltsamerweise machten sie keine Anstalten dazu. Sie standen einfach da und .blickten zu Ladia herüber.

Das Mädchen fasste einen Entschluss. Soweit erkennbar, verfügten die Ohrenlosen über keine Körperschilde. Zwei rasche Schüsse würden genügen.

Ladia hob die Armeepistole und zielte.

Da vernahm sie die Stimme in ihrem Kopf.

Das Mädchen taumelte, stöhnte vor Verwirrung und Furcht. Klar und deutlich verstand sie jedes Wort, das die Stimme sagte. 

Als sie verstummte, warf Ladia die Pistole achtlos in das niedrige, gelbliche Gras und ging furchtlos den Fremden entgegen. Sie wurde mit einem freundlichen Nicken begrüßt und in das Innere des Diskus geführt.

Lautlos schloss sich die Luke.

Der Diskus stieg in die Höhe und war bald darauf in der Ferne verschwunden.

 

*

 

Der Schmerz beendete die tiefe Betäubung, die Ryder gefangen hielt.

Er ächzte und tastete über seinen Kopf. Eine Platzwunde. Das Blut war bereits getrocknet und verklebte seine Haare.

Die Spinne!, durchfuhr es ihn plötzlich. War sie tot? Oder trieb sie sich noch irgendwo hier herum? 

Hastig sah er sich um. Rechts gloste das feuchte Unterholz, aber die Nässe sorgte dafür, dass kein Waldbrand ausbrach.

Die Explosion hatte den Robottransporter zerfetzt. Überall lagen verschmorte Kisten, scharfkantige Metalltrümmer und angekohltes Laub und Geäst.

Ryder richtete sich mühsam auf. Sein Gewehr lag zum Glück ganz in seiner Nähe.

Dann stockte sein Schritt.

Dort vor ihm lag die zweite Spinne. Das ins Gigantische vergrößerte Insekt hatte die Beine von sich gestreckt. Zwischen den tödlichen Zangen klaffte eine Wunde. Dort musste die Kugel die Spinne getroffen haben, und die Explosion hatte dann ihr übriges getan.

»Edwards«, rief Ryder. »Buff Edwards! Melde dich!«

Keine Antwort. Ryder ging weiter. Er fand Wilburs, und Wilbur war tot. Ein paar Meter weiter stieß er auf den Sergeanten. Auch er war der Detonation zum Opfer gefallen.

Ryder biss die Zähne zusammen.

Wo steckte der Alte?

Im Unterholz stöhnte jemand. Ryder lief auf die Quelle des Geräusches zu. Milton! Er lebte noch, doch über seiner Brust lag ein schenkeldicker Ast. Mühsam zerrte Ryder ihn beiseite. Der Alte stöhnte erneut. Aus einer Wunde am Kinn tropfte Blut.

»Danke, Ryder«, flüsterte der Alte. »Was ist mit den anderen?«

Ryder zuckte die Schultern. »Tot«, antwortete er lakonisch.

»Verdammt!« Milton setzte sich vorsichtig auf und tastete über seine Brust. Er grinste schief. »Ich habe mir bestimmt ein paar Rippen angebrochen. Verstehst du etwas von Medizin?«

Ryder untersuchte ihn. »Ich kann nichts feststellen. Vermutlich nur Prellungen.«

»Hoffentlich«, brummte der Alte. »Dieses verfluchte Spinnenmonstrum. Man ist in den Wäldern vor diesem Ungeziefer kaum noch sicher.«

»Ist es wirklich so schlimm?«

»Schlimm? Pah!« Milton bleckte die gelblichen Zähne. »Schlimm ist noch untertrieben. Von Jahr zu Jahr werden sie mehr. Und größer, schneller, gefährlicher. Ich würde jedem davon abraten, allein den Wald zu durchqueren.«

»Warum rottet ihr sie nicht aus?«, fragte Ryder. »Ihr verfügt doch über Panzerfäuste, mit denen es relativ leicht sein dürfte, die Netze und Brutstöcke zu zerstören.«

Milton wischte sich das Blut vom Kinn. »Oberst Kelly hat befohlen, alle Kräfte für den Kampf gegen die Fremden einzusetzen. Für die Offensive, die irgendwann stattfinden soll. Das Lagerleben besteht aus Drill, Wachdienst, Nahrungsbeschaffung. Hin und wieder unternehmen wir eine kleine Operation gegen vereinzelte Trupps der Invasoren. Ansonsten heißt es warten und hassen.«

Ryder nagte an seiner Unterlippe. »Wie groß ist die Armee?«

»Wir sind rund zweihundert Mann«, erwiderte der Alte. »Hinzu kommen noch ein Haufen Flüchtlinge; Frauen, Kinder und Kranke. Kelly hat zwar versucht, die anderen Lager der Freien zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, aber das ist schiefgegangen.«

»Warum?«

Der Alte lachte spöttisch.

»Die meisten Lagerkommandanten sind ehemalige Soldaten. Und jeder steht auf dem Standpunkt, dass gerade er auserkoren ist, die Erde zu befreien.«

Ryder schnitt eine Grimasse.

Offenbar schienen sich die Freien Menschen auf dem direkten Weg zurück zur Stammeskultur zu befinden. Gehörte das auch zum Plan der Fremden? Entsandten sie die gepanzerten Raupen mit den Lebensmitteln in den Dschungel, um die Widerstandskämpfer in ihren Siegeshoffnungen zu bestärken?

Denn wer verzichtete schon auf seinen Posten als Kommandant, wenn die Befreiung der Erde greifbar nahe war?

Irgendwo im Unterholz ertönte ein Rascheln; vielleicht der bleiche Schlangenleib eines Blindwurms, der über den feuchten Boden kroch.

Ryder musste sich entscheiden.

Nahezu zwanzig Jahre lang war er allein durch das Land gezogen, frei von den Zwängen der Menschenlager, hatte sich im Hintergrund gehalten, wenn eine Konfrontation mit den Fremden drohte, aber nun gewann er die Überzeugung, dass das falsch gewesen war.

Über ein Jahrzehnt hielten sich die Fremden schon auf der Erde auf, aber die Menschen wussten von ihnen kaum mehr als am Tag nach der Invasion. Es wurde Zeit, diesen Rückstand aufzuholen, denn nur eine genaue Kenntnis des Feindes ermöglichte ein erfolgversprechendes Vorgehen.

»Abe Milton«, sagte Ryder langsam, »ich möchte diesen Oberst Kelly kennenlernen. Sofort.«

Der Alte kicherte hohl.

»Das hat mir gerade noch gefehlt«, giftete er. »Mein letztes Stündlein hat geschlagen und diese Abziehbild-Rothaut verlangt einen Gewaltmarsch durch die Wildnis. Wahnsinn beherrscht die Welt.«

Ryder lächelte. »Dann passen wir ja wunderbar hinein.«

,,Ironische Bemerkungen«, krächzte der Alte und richtete sich stöhnend auf, »konnte ich schon als Kind nicht vertragen.«

 

*

 

Ladia erwachte.

Und Panik erfasste sie. Mit aller Gewalt zwang sie sich zur Ruhe und sah sich um.

Der Raum, in dem sie sich befand, war größer als das Haus des Lagerkommandanten - und das war das größte Haus, das Ladia kannte. Sie lag auf einem Bett - das heißt, sie vermutete, dass es sich bei dieser mehr als zwei Meter durchmessenden Scheibe aus einem schaumstoffähnlichen Material um ein Bett handelte.

Gegenüber dem Bett befand sich eine Art Fenster, obwohl es im Grunde kein Fenster, sondern ein Bildschirm war. Unablässig wechselte die Szenerie; zerklüftete Gebirgslandschaften machten sonnenüberfluteten Ebenen Platz, Meeresstrände und Brandungswellen dem eisigen Schwarz des Weltraums.

Wie gebannt starrte Ladia auf den Monitor.

Trotz ihrer Unkenntnis, was die Geografie oder Zoologie betraf, erkannte sie, dass viele dieser Orte von einer fremden Sonne beschienen wurden. Manchmal zeigte der Monitor kurz die Gestalt eines Tieres - oder vielleicht war es gar kein Tier, sondern nur eine Art Tier oder vielleicht sogar...

Ladia fror trotz der Wärme, die das Schaumbett ausstrahlte.

Wo war sie?

Die Fremden! Was war geschehen, nachdem... Hatte man sie hypnotisiert? Konnte sie sich deshalb nicht erinnern?

Was wollten die Fremden von ihr?

Eine kalte, berechnende Wut erfasste das Mädchen. Sie befand sich also in der Gewalt der verhassten Invasoren, nun gut! Sie würde das Beste daraus machen. Zwar war sie unbewaffnet, aber vielleicht würde es ihr doch gelingen, den Fremden zu schaden.

Und wenn das ihren Tod bedeuten sollte...

Ladia erhob sich und schlich zu dem absurden Fenster. Ihr Herz klopfte heftig. Zweifel beschlichen sie mit einem Mal, als sie nach »draußen« blickte. Sie konnte jetzt auch erkennen, was sich weiter rechts und links befand.

Konnte ein Film oder ein Bild eine derart perfekte Illusion bewirken?

Ärgerlich schüttelte sie den Kopf.

Es half nichts, dazustehen und zu grübeln. Sie musste einen Ausgang finden. Sie musste erfahren, was sich hinter den Wänden verbarg.

Methodisch suchte sie das ganze Zimmer ab. Nichts. Kein Hohlraum, keine Ritze, keine Tür. Lückenlose, massive Mauern. Sie war gefangen.

Niedergeschlagen kehrte sie zum Bett zurück und wartete voller Ungeduld darauf, dass einer der Fremden erscheinen würde.

Nach einer Weile schlief sie ein.

 

*

 

Die schwüle Dschungelluft nagte an Ryders Kräften. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und der mutierte Wald schien sich endlos zu erstrecken. Es war heiß und drückend.

Die von den Atomexplosionen aufgewirbelten Staubmassen befanden sich zum größten Teil noch immer in den oberen Atmosphäreschichten und erzeugten einen mörderischen Treibhauseffekt.

Ryder lächelte bitter.

»Wie ein Brathähnchen, das man in Alufolie wickelte, damit die Hitze nicht abstrahlt«, erinnerte er sich an Miltons Worte kurz nach ihrem Aufbruch. Genauso erging es der Erde. Die Staubhülle verhinderte, dass die überschüssige Wärme an den Weltraum abgegeben wurde und heizte so die Atmosphäre immer mehr auf.

Dunkel entsann sich Ryder an den Mann von der Westküste, den er vor ein paar Jahren getroffen hatte. Ein kleiner, zerknautscht wirkender Endvierziger in einem schäbigen Maßanzug, der auf rätselhafte Weise seinen Träger noch kleiner und mickriger erscheinen ließ, als er es in Wirklichkeit war.

»Alles überschwemmt«, tönte seihe Stimme in Ryders Erinnerung. »Nur wenn du verdammtes Glück hast, siehst du bei Ebbe hier und da die obersten Stockwerke eines Wolkenkratzers aus dem Meer ragen. Es ist nicht schade um dieses Dreckloch, diese Kloake aus Menschen und Autos, Gewalt und verpesteter Luft, aber sei ehrlich, hättest du jemals geglaubt, dass ganz Los Angeles ersaufen würde?«

»Ryder!«

Der Alte versetzte ihm einen derben Stoß.

»He, Ryder, träumst du? Tz - kaum zu glauben!«

»Ich habe nachgedacht«, erklärte Ryder. »Über die Hitze, die Schwüle.« »Ich freue mich immer«, spottete Milton und bahnte sich einen Weg durch die grünblauen Lianenvorhänge, »jemanden zu treffen, der noch denken kann.«

Ryder antwortete nicht. Ihm war übel vor Hunger, und er taumelte;

Der Alte verengte misstrauisch die Augen.

»Was ist mit dir los? Bist du krank?« Unwillkürlich wich er zurück. »Wenn du eine Seuche hast, Indianer, irgendetwas Ansteckendes wie Nervenstarre oder Cholera, dann verschwinde. Das ist ein guter Rat. Im letzten Winter hatten wir vierzig Tote, weil sich so ein verfluchter Narr auf der Jagd die Schmarotzerpest zuzog. Ehe wir merkten, was los war, besaßen die Pilze schon die Größe von Hühnereiern und hatten ihre Sporen abgesprengt. Vierzig Tote, Indianer! Seitdem herrschen strenge Bräuche bei uns.

Warum wankst du? Rede schon!« Miltons Finger krümmte sich um den Abzug seiner Maschinenpistole.

»Hunger«, murmelte Ryder. »Ich bin nicht krank. Ich habe nur seit Tagen nichts mehr gegessen.« Zögernd senkte Milton die Waffe. »Tut mir leid«, sagte er, »aber wir leben in einer gefährlichen Zeit. Eine Seuche können wir uns nicht leisten.«

Ryder winkte ab. Er musste würgen und sich an einem schleimüberzogenen Baumstamm festhalten. »Schon vergessen, Abe. Wie weit ist es noch bis zum Lager?«

»Nicht mehr weit«, sagte der Alte. Entschlossen ergriff er Ryders

rechten Arm und legte ihn über seine Schulter. Gemeinsam stolperten die beiden Männer durch den Schlamm.

Durch das Abschmelzen der Polkappen war es nicht nur zu einer Überflutung der Küsten und der niedriger gelegenen Landesteile, sondern auch zu wochenlang andauernden Wolkenbrüchen und ausgedehnten Nebelbänken gekommen. Ryder schätzte, dass inzwischen der gesamte Mittlere Westen zu einem riesigen Sumpfgebiet geworden war.

Allmählich wich der Wald einer unfruchtbaren Einöde. Der Boden war schwarz, staubig und verbrannt, und hier und da bedeckte ihn stahlharte Glasur. Vereinzelt wuchsen graue Sträucher mit dornigen Ranken, die beim Nahen der Männer drohend raschelten.

Milton wich ihnen aus.

»Giftig«, brummte er. »Saugen einem das Blut aus dem Leib.«

Rechts und links zog sich der morastige Dschungel dahin. Vor ihnen breiteten sich sanft geschwungene Hügel aus.

Wie kariöse Zahnstummel hockten auf den Anhöhen die zerschmolzenen Ruinen von einstmals prächtigen Landhäusern.

»Im Süden ist eine H-Bombe explodiert«, erklärte der Alte. »Der Feuersturm hat alles vernichtet, aber allmählich gewinnt der Dschungel an Boden. Erstaunlich, wie schnell die Pflanzen und Bäume wachsen.«

Ryder stützte sich auf sein Gewehr.

»Die Feuchtigkeit und die Wärme sind dafür verantwortlich«, meinte er. »Außerdem haben nur die kräftigsten Arten das Feuer und die Radioaktivität überlebt.«

Milton lachte plötzlich.

»Deine Worte erinnern mich an etwas, Indianer. Als ich in deinem Alter war, in der Vorkriegszeit, da gab es Leute, die meinten, dass ein nuklearer Schlagabtausch die menschliche Rasse reinigen und nur die lebenstüchtigsten Exemplare übriglassen würde.«

Ryder zog die Augenbrauen hoch. »Und? Stimmt es?«

Das Gelächter des Alten nahm zu.

»Du wirst es gleich herausfinden, Indianer. Unser Lager befindet sich hinter diesem Hügel dort auf dem die Ruine steht, die wie eine Kirche aussieht.«

Sie schritten schneller aus und erklommen die Anhöhe. Dahinter lag ein kleines, fast rundes und knappe hundert Meter durchmessendes Tal. Am tiefsten Punkt des Tales erhob sich ein massives Steinhaus. Darum gruppierten sich mehrere Dutzend Hütten, Zelte und Blechbaracken. Ein Graben und ein Erdwall umgaben die armselige Siedlung.

»Das, Indianer«, erklärte Milton und machte eine weit ausholende Handbewegung, »das ist Camp Big Kelly, die größte und einzige Bastion der Nationalen Befreiungsarmee.«

Ryder konnte die Bitterkeit aus Miltons Worten heraushören.

»Oberst Kelly wohnt wohl in dem Steinhaus?«

Milton betrachtete versonnen das Gebäude, vor dem Sandsäcke aufgestapelt waren. Einige uniformierte Männer hockten daneben und spielten Karten.

»Ja, dort residiert er, unser Kaiser Kelly der Erste.« Er spuckte aus.

»Denken alle Lagerbewohner so über euren Kommandanten?«, erkundigte sich Ryder belustigt.

Milton seufzte.

»Leider nicht. Eine Menge Idioten sind auf sein dramatisches Geschwätz hereingefallen. Vermutlich, weil Kelly für ihre Mahlzeiten sorgt. Wenn die Leute zu hungern beginnen, werden sie ihn schnell zum Teufel jagen.«

Ryder runzelte die Stirn.

Offenbar, dachte er sorgenvoll, musste er seine Ansichten über die Nationale Befreiungsarmee revidieren.

Fast widerwillig stieg er hinter Milton die Böschung hinunter.

 

*

 

Die Versammlungshalle lag tief unter der Erde, war hineingeschmolzen in das feste Felsgestein und mit einem dicken Mantel aus Stahl und gewissen anderen Materialien isoliert.

Bereits mehrere Etagen vor dem Ziel spürte E Tel-Satar den Druck in seinem Schädel.

»Es scheint«, übermittelte Satar dem Verwalter seine Vermutung, »als ob der Tod der beiden Ashai für erhebliche Aufregung gesorgt hat.«

Der Verwalter war blass. Ihm fiel es schwerer als dem auf diese Dinge trainierten Satar, den psychischen Druck abzublocken.

»Ja, im Stützpunkt herrscht Empörung«, bestätigte er. »Die Leute beginnen zu zweifeln, ob dieses Volk die Opfer lohnt, ob wir nicht einen zu hohen Preis zahlen müssen, um...«

»Ich verstehe die Bedenken sehr wohl«, unterbrach Satar. »Es ist auch nicht meine Aufgabe als Abgesandter des Zentralen Planungskomitees, die hier eingesetzten Ashai mit Durchhalteparolen aufzumuntern. Im Gegenteil. Wir müssen gemeinsam eine Entscheidung treffen, um die verfahrene Situation zu bereinigen.«

Der Verwalter wirkte überrascht.

»Aber das Zentrale Komitee hat bei Beginn des Unternehmens eindeutig erklärt, dass dieser Planet und seine Bewohner...«

»Ich weiß«, unterbrach Satar erneut. »Aber die Situation hat sich inzwischen gravierend geändert. Allein die Tatsache, dass es bislang noch zu keinem positiven Kontakt gekommen ist, beweist, dass die bisherige Strategie falsch war.

Natürlich, die Liga braucht die Erde, ihre Bewohner, und jeder weiß, warum. Aber wenn es nicht gelingt, weitere Opfer zu vermeiden, wird das Projekt eingestellt.«

Der Verwalter sah auf.

»Wieso dieser plötzliche Umschwung? Können wir es uns denn leisten, eine ganze Welt samt der herrschenden, erfolgversprechenden Spezies abzuschreiben? Hat man woanders Erfolg gehabt, so dass man nicht mehr auf die Erde angewiesen ist? Auf Oykrya vielleicht? Ich habe gehört...«

Satar wusste, dass er unhöflich handelte, wenn er den Redefluss des Verwalters ständig unterbrach, aber der Druck hinter seiner Stirn und die noch von der Transmission herrührende Erschöpfung ließen ihn unduldsam werden.

»Oykrya kommt nicht mehr in Betracht«, telepathierte er. »Die Expedition hat den Planeten verlassen.«

Der Verwalter wurde noch um eine Spur blasser. »Verlassen? Aber warum?«

»Eine Verständigung mit den Eingeborenen war nicht möglich. Ihr Denksystem, ihre Moralgesetze, ihre ganze gesellschaftliche Struktur... Früher oder später wäre es zu einer Katastrophe gekommen.«

»Also wieder ein Fehlschlag«, seufzte der Verwalter. »Bei Asha! Warum existierte unser Volk nicht schon vor einer Million Jahren, als die Milchstraße noch überquoll von Leben und Intelligenz? All die verlassenen, stillen Planeten mit ihren Ruinenstädten...«

»Das Gesetz der Wahrscheinlichkeit«, zitierte E Tel-Satar, »ist auf unserer Seite. Wir werden Erfolg haben.«

»Aber wann? Nicht einmal zwanzigtausend Jahre haben wir noch Zeit. Und nirgendwo gibt es Anzeichen, die uns ermutigen könnten.«

»Meinen Sie?«, fragte Satar. »Und die Fühlenden, die Sie in Ihren Berichten erwähnt haben?«