cover
Elsa Bein, Cora N. Lee

Abgetaucht mit Herz


Danke schön für die Zusammenarbeit des Teams LIEBESGEFLÜSTER im Wortschatz – Berliner Autorenzirkel.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Prolog

 
Die Welt hatte den Schock durch den Mord an Präsident Kennedy noch nicht überwunden. Es gab keine Handys. Nicht nur die älteren Herrschaften schrieben Briefe und Postkarten, sondern auch Schüler und Studenten.  

Das Erobern einer Frau erforderte in dieser Zeit für junge Männer viel Mut und man begegnete der Angebeteten mit Respekt und Hochachtung. Fairness und Aufrichtigkeit waren Tugenden, die hoch geachtet wurden.

Kapitel 1


Andreas und Christian schlenderten in der Abendsonne am Uferweg des Flusses entlang. Es war ihr erster gemeinsamer Spaziergang.

»Ich brauche jemanden, mit dem ich über meine Gefühle für ein Mädchen reden kann«, hatte Christian gebeten.

Andreas hatte sich dazu bereit erklärt, wobei er gar keine Vorstellung hatte, über welche Mitschülerin sein Kumpel mit ihm sprechen wollte.

Beide lebten in einer Wohngemeinschaft mit zwei weiteren Schülern, die bis dahin aber eher eine Zweckgemeinschaft als von Freundschaft geprägt gewesen war.
Christian war ein Intellektueller, interessierte sich besonders für Musik, Astronomie, Philosophie und Schachspielen und so waren sie bald bei dem Thema Reisen zu fremden Sonnensystemen, was nach Ansicht von Christian gar nicht machbar war.

»Wieso ist so etwas nicht möglich?«, fragte Andreas.

»Die Lichtgeschwindigkeit ist in unserer Welt die höchste, die theoretisch erreicht werden kann. Schneller geht nicht.«

»Wieso nicht?«
»Das ergibt sich aus der Einstein’schen Relativitätstheorie. Das hat er berechnet, ist jedoch bisher reine Theorie. Darüber weiß man so gut wie gar nichts. Aber ich möchte mit dir über etwas anderes reden. Ich habe ein Problem, ich weiß nicht, wie ich das lösen soll.«

»Dann erzähl mal, was dich bedrückt.«
»Sag, bist du verliebt?« Mit allem hatte Andreas gerechnet, aber nicht mit dieser Frage. Deswegen entstand zunächst eine Pause, weil er nicht wusste, ob er überhaupt drauf antworten will.

»Wieso interessiert dich das?«
»Komm, sag schon – bist du es oder nicht?«

»Und du, bist du verliebt?«

»Ja!«

»Und in wen bist du verliebt?«

»In Nele.«

»Wie, in die kleine Dunkelhaarige aus der Klasse 11 B?«

»Ja.«

Die Antwort traf Andreas wie ein Stich in sein Herz, der ihm die Sprache verschlug. Er kämpfte heftig mit seinen Gefühlen und bemühte sich, das nicht zu zeigen. Um sich zu sammeln, schwieg er und dachte nach.

Nele war die Frau seiner Träume und seiner Sehnsüchte. Sie war zartgebaut aber sportlich. Sie besaß brünette, halblange Haare, tiefbraune, große Augen, betonte Wangenknochen, eine Stupsnase und einen angedeuteten Schmollmund. Tag für Tag freute er sich auf die Pausen, in denen er Nele bewunderte. Bei jeder Gelegenheit schaute er zu ihr rüber und beobachtete sie, aber immer so, dass es niemand merkte. Da er schüchtern war, hatte er es nicht gewagt, sie anzusprechen. Dabei wusste er nicht mal, ob sie einen Freund hatte oder nicht. Und jetzt tauchte Christian als Nebenbuhler auf. Er war zwar davon ausgegangen, dass Nele etliche Verehrer hat. Dass aber ausgerechnet Christian, der Schwarm aller Schülerinnen, ein Konkurrent war, damit hatte er nicht gerechnet. Christian war gescheit, belesen, ein ausgezeichneter Geigenspieler und ebensolcher Schachspieler. Er hatte eine Menge zu bieten. Dass er egozentrisch und unsportlich war, schien die Mädchen nicht zu stören.

»Ach du Scheiße, dann haben wir uns ja in die gleiche Frau verliebt.«

»Wie, du auch?«

»Ja.«

Andreas fragte: »Hast du schon mal versucht, sie anzusprechen?«

»Angesprochen habe ich sie nicht. Aber ich habe ihr einen Liebesbrief geschrieben und geschickt«.

»Und hat sie reagiert?«

»Nein, ich glaube nicht. Manchmal habe ich zwar den Eindruck, dass sie meine Blicke erwidert, aber ich sehe dabei kein Interesse in ihrem Gesicht.« Christian wirkte unsicher.

»Schaust du denn hin, um sicher zu sein?« Andreas hoffte, dass sie kein Auge auf seinen Mitschüler geworfen hatte, deshalb fragte er so genau.

»Nein, wenn sie mich anschaut, werde ich unsicher und gucke immer gleich weg. Ich habe mir schon tausend Mal vorgenommen, den Blick auszuhalten, aber das gelingt mir nicht.« Christian wurde auf einmal eifrig. »Wenn wir gleich wieder in der Wohngemeinschaft sind, gebe ich dir den Brief zum Lesen. Sagst du mir ganz ehrlich, wie du ihn findest?«

»Ok, ich lese ihn. Hast du mal daran gedacht, dass wir jetzt Konkurrenten sind? Solange keiner von uns beiden ihr Herz erobert hat, mag das ja gehen. Aber wenn einer von uns bei ihr erfolgreich ist, dann wird unser Zusammenleben auf so engem Raum schwierig werden.«

»Das könnte möglich sein.«

»Wir müssen uns gegenseitig versprechen, dass wir ihre Entscheidung akzeptieren und die Kränkung den anderen nicht spüren lassen.«

»Das können wir versuchen.«

Das war eine vage Aussage von Christian. Aber Andreas akzeptierte sie, die Halbherzigkeit war ihm im Augenblick egal. Dass sein Wohngenosse so offen mit ihm über seine Gefühle sprach, empfand er als das Angebot einer Freundschaft, und er war ein bisschen stolz darauf.

Zu Hause bot sich bald die Gelegenheit, den Brief zu übergeben, ohne dass die anderen Mitbewohner neugierig wurden. Andreas las ihn, als er in seinem Zimmer war. Er war liebevoll und voller Gefühle, sodass ihm klar wurde, dass er ihm nicht gelungen wäre, schon allein deswegen, weil er sich nicht getraut hätte, seine Gefühle so offen preiszugeben:

»Liebe Nele!


Zurück in Christians Zimmer, gestand er ihm, was er dabei empfunden hatte: »Der Brief ist schön und gefühlvoll. Ich verstehe nicht, dass sie darauf nicht reagiert hat.«

»Der ist sehr gut.« Andreas glaubte jetzt, dass er wegen des Briefes gegen Christian keine Chance haben würde. Es wäre ratsam, auf Nele zu verzichten. Aber das war gar nicht leicht, zumal er dieses schöne Mädchen Pause für Pause über den Schulhof wandern sah.