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Nr. 3013

 

Zielpunkt Ephelegon

 

Der Terraner trifft einen alten Freund – und erfährt mehr über die neue Liga

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Verdammt lang her, 15. Oktober 2045 NGZ

2. Ein Kilogramm Hyperkristalle

3. Der Weiße Raum

4. Budentoj

5. Unfreundliche Roboter

6. Netze

7. Dummes Geschwätz

8. In die Hose

9. Zu Hause

10. Tontaubenschießen

Leserkontaktseite

Glossar

Fanszene

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Was sich seitdem ereignet hat, ist Perry Rhodan bisher nahezu unbekannt, da es zu beinahe allem mehrere unterschiedliche Aussagen und Quellen gibt. Auskunft erhofft er sich von der Liga Freier Galaktiker unter Resident Reginald Bull. Daher setzt er den ZIELPUNKT EPHELEGON ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begegnet seinem Weggefährten der ersten Stunde.

Reginald Bull – Der Resident der Liga Freier Galaktiker macht mehr als einen Höflichkeitsbesuch.

Buatier Mulholland – Der Chef von Gongolis willigt in einen mutigen Handel ein.

Die Klugheit eines Menschen erkennt man an seinem Gesicht.

Terranisches Sprichwort aus präatomarer Zeit

 

1.

Verdammt lang her

15. Oktober 2045 NGZ

 

Ich hatte mich nicht unter Kontrolle und zitterte heftig.

Für mich sind es nur ein paar Wochen, für Bully aber fünfhundert Jahre!, dachte ich. Ich kann nicht ausdrücken, was ich empfinde. Wie soll es ihm da möglich sein? Da bleiben einem doch nur Worthülsen.

Schön, dich zu sehen.

Du warst eine verdammt lange Zeit weg.

Aber jetzt bin ich wieder da.

Vorsichtig befreite ich mich aus Reginald Bulls Umarmung, bevor er mich noch zerquetschen konnte. Oder aus der des Epsalers Himayatan, als der er sich getarnt hatte. Himayatan war mit fast 1,70 Meter ziemlich groß für einen Bewohner des Planeten Epsal, aber das hatte sich nicht vermeiden lassen. Bully hätte sich kaum ein paar Zentimeter seiner Beine kappen lassen wollen, auch wenn es bei den zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten kein Problem gewesen wäre, sie erneut einzufügen, nachdem er die Maske wieder abgelegt hatte. Aber er war in dieser Hinsicht genauso ein Kind des 20. Jahrhunderts alter Zeitrechnung wie ich.

Als Anpassung an die hohe Schwerkraft ihrer Heimatwelt hatten die Epsaler im Lauf der Jahrhunderte eine fast quadratische Gestalt entwickelt. Sie wurden durchschnittlich zwar nur etwa 1,60 Meter groß, waren aber in der Regel ebenso breit, was nicht nur für die Schulterbreite galt, sondern für den gesamten Körper. Überdies waren sie extrem muskulös und hatten kurze, säulenartige Beine mit einem enormen Umfang. Die Hände glichen mächtigen Schaufeln, der Brustkorb war stark gewölbt, der Kopf saß auf einem eher kurzen, oft sehr muskulösen Hals.

Das alles vollzog die Maske nach, und das alles kam dem untersetzten und korpulent wirkenden Bull sicherlich entgegen. Man schien aber auch Kraftverstärker in die Körpermaske eingebaut zu haben, was Bully in seiner Aufregung, mich nach fast fünfhundert Jahren wiederzusehen, vergessen zu haben schien. Deshalb diese ungewöhnlich kräftige Umarmung hier im Habitat Gongolis ...

Fünfhundert Jahre.

Das war zwar nicht so lange, wie ich einst Zeit zwischen der Wiedergeburt ESTARTUS und dem Sprung in die Dunklen Jahrhunderte mitgemacht hatte, aber das hieß nicht, dass ich mir diese Zeitspanne tatsächlich vorstellen konnte. Was bedeutete es, all die Jahre zu leben und auf etwas zu warten, von dem nicht feststand, dass es jemals eintreten würde?

Niemand hatte zu sagen vermocht, was aus mir und der RAS TSCHUBAI geworden war seit jenem schicksalhaften Tag, an dem wir nach Wanderer aufgebrochen waren, um den Weltenbrand zu löschen.

Ich hatte die vergangenen fünfhundert Jahre in einem tiefen, wohl traumlosen Schlaf verbracht, während er zwei, drei normale Menschenleben gelebt und Dinge beobachtet hatte, von denen ich mir nicht die geringste Vorstellung machen konnte. Terra war verschwunden, Maharani schien keine Rolle mehr zu spielen, die Liga residierte im schwer bewachten Ephelegonsystem, in der Milchstraße regierten die Cairaner mit ihrem Friedensbund zu einem Zweck und aus einer Motivation heraus, die ich nicht kannte. Ich brannte darauf, die Hintergründe von all dem zu erfahren, bedrängte ihn aber nicht, kostete den kurzen Augenblick einfach nur aus.

Ja, es war wirklich verdammt lange her. Und es war auch für mich nicht ganz einfach. Bully war mir nun an reiner Lebenszeit und praktischer Lebenserfahrung um eben diese fünfhundert Jahre voraus. Aber nicht deshalb hatte ich diese Schwierigkeiten. Für mich waren sie eben nicht vergangen. Ich konnte mich nur schlecht in ihn hineinversetzen, einfach nicht nachvollziehen, was das bedeutete. Ich verstand es auf intellektueller Ebene, aber nicht auf gefühlsmäßiger. In diesem Moment war Bully mir genauso fremd wie das Gesicht von Tuomistuins epsalischem Bodyguard Shijar Himayatan.

Langsam löste Reginald sich wieder von mir. Er war so ergriffen, dass er kaum sprechen konnte, und sah sich um, ohne unsere Umgebung wirklich wahrzunehmen.

Wir befanden uns in einer mobilen Einkehr. Es gab etwa einhundert von ihnen im Habitat. Das waren vor Überwachung abgeschottete Räume, die sich in bestimmten Grenzen durch Gongolis bewegen konnten. Sie wurden zu diversen Zwecken gebucht, etwa für Geschäftsabwicklungen oder amouröse Treffen. Absolute Diskretion war im Preis inbegriffen.

Die Einkehren kreuzten innerhalb des Habitats, aber auch an der Außenhülle. Sie konnten über Schleusen von innen nach außen und zurück wechseln, und es gab sie in diversen Größen und Formen, je nach Personenzahl und Anlass. Festliche Modelle waren genauso üblich wie einfache, phantasievoll gestaltete wie ganz profane.

Offenbar nur mühsam riss Bully sich zusammen. Ich vermutete, dass es ihm genauso erging wie mir. Am liebsten hätte er wahrscheinlich einfach drauflos gesprochen, mir berichtet, wie es ihm in diesen fünfhundert Jahren ergangen war, mich über die völlig veränderte Lage in der Milchstraße aufgeklärt ...

Ich hingegen hatte nicht viel zu berichten, dafür aber umso mehr Fragen. Ich hatte zusammen mit der RAS TSCHUBAI diese fünfhundert Jahre einfach verloren.

Bullys Gesicht verdüsterte sich. Die Freude über unser Wiedersehen nach dieser langen Zeit verschwand zwar nicht vollends, wurde aber von den Sorgen über den Alltag eingeholt. »Die Lage ist unsicher. Einige Augenraumer der Cairaner sind im Anflug. Die Zeit drängt. Außerdem nähert sich die THORA, mein Flaggschiff.«

»Ich weiß. Was schlägst du vor?«

»Ich möchte das Habitat möglichst verlassen haben, bevor die Cairaner eintreffen. Aber noch sind ihre Schiffe nicht da, und wir könnten die Zeit nutzen, die uns bleibt. Ich habe da ein Gespräch mit dem Hôte des Habitats im Sinn.«

Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu.

Er grinste. »In aller Freundschaft und Offenheit.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Du bist der Resident, und du kennst dich hier besser aus als ich.«

»So gut nun auch wieder nicht«, wehrte Bully ab. »Aber Buatier Mulholland ist ein interessanter Mann.«

»Das kann ich bestätigen. Und zumindest auf mich müsste er sehr gut zu sprechen sein. Wir können uns ihm ja ziemlich unauffällig nähern.« Damit spielte ich darauf an, dass wir beide noch unsere Masken trugen. Ich trat als der Terraner Leo Tibo auf, Sicherheitschef der TREU & GLAUBEN.

Zweifellos würde das Lüften des Inkognitos für Furore sorgen. Aber wem wäre damit gedient, es aufrechtzuerhalten?

»Ich will ihn schon seit Langem kennenlernen. Mulholland ist ein großer Autonomer.« Damit spielte Reginald darauf an, dass der Hôte sich nach dem zumindest zwischenzeitlichen Niedergang der galaktischen Staaten keiner Nation mehr angeschlossen hatte und auch zur selbst ernannten cairanischen Schutzmacht Abstand hielt.

»Du hättest ihn im Notfall gerne auf deiner Seite, nicht wahr?« Außerdem konnte Mulholland als Hôte des Habitats Gongolis helfen, die Attentäter Dancer und Schlafner auf Distanz zu halten. Ich musste also nicht lange nachdenken.

Bull lächelte schwach. »Auf der Seite der Liga.«

»Und wie willst du an ihn herankommen?«

»Als Leibwächter Himayatan müsste ich problemlos einen Termin bei ihm bekommen. Und wenn ich ihm mitteile, dass Leo Tibo mich begleitet, sowieso.«

»Ohne einen konkreten Grund?«

»Als reiner Freundschaftsbesuch.«

Ich grinste ebenfalls. »Worauf wartest du?«

Ich aktivierte mein Kom-Gerät, während Bully sein Gespräch führte. Ich informierte mein Team, das mit mir Gongolis betreten hatte, dass es die SCHOTE abholen und dann in die TREU & GLAUBEN zurückkehren sollte. Das Schiff sollte ohne Verzögerung starten können, bevor die Cairaner aktiv wurden. Ich teilte meinen Begleitern mit, dass Bully und ich auf der Gongolisstation bleiben und wir beide wahrscheinlich vom Hôte empfangen werden würden.

Reginalds Leibarzt Houzer wollte sich der Gruppe anschließen, während Tuomistuin auf Gongolis zurückblieb.

Schließlich beendete Bully sein Gespräch und nickte. »Es geht klar. Wir treffen uns mit Mulholland in Gongolis-3, der Komturei.«

»Haben wir bis dahin noch etwas Zeit?«

»Zeit genug.«

Mehr musste Bully nicht sagen. Er verzog das Gesicht, das mir aufgrund der Maske noch immer völlig fremdartig vorkam und das ich einfach nicht deuten konnte. »Wir suchen uns ein gemütliches Plätzchen in der Nähe der Komturei, und du kannst mir endlich die Fragen stellen, die dir auf der Seele brennen.«

 

*

 

»Fünfhundert Jahre«, sagte Bully so versonnen, wie ich ihn nur selten erlebt hatte. »Das ist eine schrecklich lange Zeit.«

»Für einen Normalsterblichen mit Sicherheit«, erwiderte ich.

»Für uns Unsterbliche auch, Alter. Fünfhundert Jahre sind fünfhundert Jahre. Wo soll ich anfangen?«

Ich lächelte schwach. »Wie wäre es mit dem Anfang?«

»Ja, sicher.« Er schloss die Augen. »Alles verschwimmt. Selbst ich kann mich nicht mehr einfach so an sämtliche Details erinnern. Ich gebe dir einen groben Überblick.«

Ich nickte. Allmählich verspürte ich eine ziemliche Ungeduld. Ich wollte endlich wissen, wieso die Milchstraße sich dermaßen stark verändert hatte, und welche Rolle die Terraner dabei gespielt hatten. Und ich wollte echte Fakten, nicht das derzeit übliche Chaos angeblicher Informationen.

»Nach deinem Vorstoß zu Wanderer«, begann Reginald, »wurde rasch klar, dass durch die Verteilung der neuen Eiris der Weltenbrand gelöscht werden würde. Aber die Symptome klangen nur langsam ab, und alles andere als gleichmäßig. An manchen Orten verschwanden sie schneller als an anderen. Teilweise traten sie noch mehrere Jahrhunderte lang auf, ehe sie sich vollends auflösten ...«

»Mehrere Jahrhunderte«, wiederholte ich ungläubig. Das hatte ich nicht erwartet.

Aber eigentlich war es nur schlüssig. Der Weltenbrand war ein so gravierendes Phänomen gewesen, dass alles andere reines Wunschdenken gewesen wäre. Er war kein unangenehmes Unwohlsein, das man mit einem Medikament beseitigen konnte.

Bully nickte. »Im Jahr 1614 NGZ kam es dann zum Raptus-Ereignis.«

Ich kniff die Augen zusammen. Diesen Begriff hatte ich zum ersten Mal kurz nach meinem Erwachen gehört. Damals war mir aber nicht ganz klar gewesen, was damit konkret gemeint war.

»Terra und Luna sind verschwunden?«

»Genau. Stattdessen erschien der Planet Iya mit dem Mond Vira.«

Ich war wie elektrisiert. »Warst du dabei? Was genau ist passiert?«

Bully zögerte.

Es war kein Zögern des Nichtwissens oder Verbergens, sondern eines der Erschütterung und Sprachlosigkeit. Mit welcher Wucht kehrten wohl gerade die Erinnerungen zurück?

Die geraubte Erde ... Wenn er zugegen gewesen war, würde er diesen Augenblick niemals vergessen und stets in allen Details präsent haben. Er schluckte schwer.

»Sind mitsamt Terra und Luna auch alle Menschen verschwunden?«, bedrängte ich ihn. »Gibt es eine Erklärung dafür? So wie damals für den Austausch von Mars und Trokan? Den Wissenschaftlern müssen doch die Köpfe geraucht haben. So etwas lässt niemand einfach auf sich beruhen!«

»Das kannst du laut sagen.« Reginald Bull sah mich hilflos an. »Die Quadratur der Tage, das Clausum ... sie haben sich die Köpfe darüber zerbrochen, aber man kann die Antworten nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Das weißt du ja selbst ...«

»Allerdings.« Ich nickte enttäuscht. Mehr würde ich aus Reginald nicht herausholen können, zumindest nicht in diesem Augenblick.

»Im 17. Jahrhundert NGZ tauchten dann die Ladhonischen Scharen und später die Cairaner auf«, fuhr Bull fort.

»Sie kamen nicht gleichzeitig in die Milchstraße?«

»Nein, das kann man nicht sagen. Außer, man misst in kosmischen Zeiträumen. Dann folgten sie ziemlich schnell aufeinander.«

»Seit dem Verschwinden der Erde sind nicht einmal fünfhundert Jahre vergangen«, kam ich noch einmal auf den Raptus zu sprechen. In diesem Zusammenhang brannte mir seit meinem Erwachen vor knapp sechs Wochen eine Frage auf der Seele. »Die Erde ist heute nichts weiter als ein Mythos. Die meisten Bewohner der Milchstraße bezweifeln, dass sie jemals existiert hat. Ein Zeitraum von fünfhundert Jahren ist aber viel zu knapp, um so etwas zu bewirken. Wie genau konnte es also geschehen?«

»Du weißt wahrscheinlich, dass es Ende des 18. Jahrhunderts zum Posizid und anschließend zur Datensintflut kam? Aber du kannst dir kaum vorstellen, was für ein durchschlagender Effekt das war. Wenn ich nicht selbst alles erlebt hätte ...«

Ich wusste, wovon er sprach. Vereinfacht gesagt hatte der Posizid alle Positroniken beschädigt, wobei sämtliche Daten verloren gingen. In der Datensintflut wurden dann alle Speichermedien mit einander widersprechenden Daten geflutet. Jede Datei, jeder Bauplan, schlicht alles, war plötzlich millionenfach verschieden vorhanden.

»Wie konnte es dazu kommen?«

»Tja ... Dank der Datensintflut widersprechen sich die Daten sogar in dieser Hinsicht, teilweise sogar diametral. Wir sind uns noch immer nicht über die genauen Hintergründe im Klaren. Hier trifft meines Wissens die Version zu, dass angeblich das Volk der Aarus daran schuld gewesen ist. Jedenfalls haben die Wurme der Aarus kurz danach die Milchstraße verlassen.«

Das hatte ich bereits von Amma Vargas erfahren, der Kommandantin des LFG-EXPLORERS NEY ELIAS. Die genauen Umstände schien auch Reginald nicht zu kennen oder in aller Kürze verraten zu wollen, doch zumindest erfuhr ich nun grobe Eckpunkte der Geschichte der verlorenen fünfhundert Jahre, die einigermaßen zuverlässig zu sein schienen.

Mir war klar, dass Bully mir notgedrungen nur einen ersten Überblick geben konnte. Das Gespräch mit dem Hôte stand an.

»So oder so, das Machtgefüge in der Milchstraße hat sich verändert.«

Bully nickte düster. »Über Terras Verschwinden herrscht nicht nur Bedauern, soweit man nicht sowieso anzweifelt, dass Terra jemals existiert hat. Mit Terra ist auch ein Unsicherheitsfaktor aus der Galaxis verschwunden, ein Magnet für Problemfälle.«

»Und eventuell ein wirtschaftlicher Konkurrent ...«

»Ganz genau.« Reginald erhob sich. »Und mit den Ladhonen ist eine aktuelle Gefahr aufgetaucht, gegen die aber die Cairaner antreten.« Er gab sich einen Ruck. »Gehen wir. Wir wollen Buatier Mulholland doch nicht warten lassen!«

Ohne Eltern ist man wie eine Gitarre, deren Saiten gerissen sind.

Terranisches Sprichwort aus präatomarer Zeit

 

2.

Ein Kilogramm Hyperkristalle

 

Wir treffen uns in der Komturei, hatte Bully leichthin gesagt, nachdem er das Meeting mit Buatier Mulholland perfekt gemacht hatte. Das hörte sich völlig unproblematisch an, war es aber nicht. Die Komturei war der Sitz des Hôte, in den wir nicht einfach so hinüberwechseln konnten.

Gongolis-3, wie die Komturei offiziell codiert war, beherbergte die Verwaltung des Habitats und bestand aus einer Schiffszelle der JUPITER-Klasse mit einem Durchmesser von zweitausendfünfhundert Meter; sie war damit einer von drei solcher Raumer, die gemeinsam mit einem GWALON-Kelch sowie den Verbindungsröhren das Habitat Gongolis bildeten. Außerdem befanden sich dort öffentlich unzugängliche, robotisierte Fabrikanlagen.

Wir benutzten die üblichen Transportmittel, um zum Hôte zu gelangen. Da er uns zu einem Gespräch erwartete, mussten wir jedoch nicht auf die üblichen Expressröhren, Schwebeplattformen oder Gleiterscheiben zurückgreifen. Vielmehr standen uns Interntransmitter zur Verfügung, die uns direkt zu unserem Ziel brachten.

Er empfing uns in einem seiner Konferenzräume, einem zweckmäßig mit Schreibtischen, Sesseln und Sitzlandschaften eingerichteten Gemach, das kaum einen Rückschluss auf seine eigentliche Bedeutung zuließ. Wie der Name verriet, war der Hôte der Hausherr oder Gastgeber, eine Mischung aus Inhaber, Besitzer und Regent von Gongolis. Er begrüßte mich wesentlich freundlicher als den epsalischen Bodyguard Shijar Himayatan, was kein Wunder war. Himayatan hatte das Gespräch zwar arrangiert, aber Leo Tibo hatte ihn praktisch bei einem Anschlag cairanischer Agenten gerettet.

Er nickte dem vermeintlichen Epsaler kurz zu, während er mir die rechte Hand mit den auffallend kurzen, dicken Fingern reichte und mir mit der linken auf die Schulter klopfte. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Leo. Shijar hat um dieses Gespräch gebeten. Was kann ich für euch tun?«

»Nun ja ...« Ich konnte kaum den Blick von dem ovalen Gesicht des Hôte mit der auffällig glatten, hellen Haut, dem schwarzen, mittig gescheitelten und welligen Haar und der hohen Stirn lösen. Schon bei der ersten Begegnung war er mir mit dem heftigen Kontrast von hellen Hauttönen und dunklem Haar wie ein stark geschminkter Stummfilmstar vorgekommen, wie ich sie aus meiner Kindheit kannte.

In seiner porzellanenen Blässe wirkte er ein wenig kränklich, geradezu hinfällig, ein Eindruck, der allerdings täuschen mochte.

Bully und ich hatten unser Vorgehen kurz besprochen. Es war an der Zeit, Farbe zu bekennen. »Shijar Himayatan hat dir vielleicht nicht die ganze Wahrheit gesagt.«

Mulholland runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

»Er ist kein Leibwächter.«

»Ach?« Misstrauen schwang im Blick des Hôte mit.

»Er ist nicht einmal ein Epsaler.«

»Muss ich meine Sicherheitskräfte alarmieren?«

»Nein.« Bully trat vor. »Ich musste aus bestimmten Gründen Maske anlegen. Ich bin Reginald Bull.«

Der Hôte trat einen Schritt zurück, ließ den Blick über Bully gleiten, sah dann zu mir.

Ich nickte. »Ich kann das bestätigen und verbürge mich dafür, dass er die Wahrheit sagt.«

Mulholland atmete tief ein und hatte sich dann wieder in der Gewalt. »Und weshalb deckst du dein Inkognito nun zu diesem Zeitpunkt auf?«

»Verzeih, dass ich die Maske nicht ablege«, überging Reginald geschickt die Frage. »Ich werde dir die Gründe dafür beizeiten erklären.«

Glaubte uns Mulholland unbesehen, oder spielte er erst einmal nur mit, um mehr über die Hintergründe zu erfahren? Er zeigte auf die Sitzlandschaft. »Bitte, nehmt beide Platz. Wann begrüße ich schon einmal den Residenten der Liga Freier Galaktiker höchstpersönlich?« Er pfiff leise und völlig ungebührlich durch die Zähne.

Wir setzten uns.

»Wer schützt denn nun das Ephelegonsystem?«, fuhr der Hôte im Plauderton fort. »Der Schwarze Gigant?«

War damit etwa der Gigant mit dem unzerstörbaren Leib gemeint, von dem Zemina Paath an Bord der RAS TSCHUBAI gesprochen hatte? Wenn dieser Gigant auch noch schwarz war, konnte es sich eigentlich nur um eine Person handeln ...

Ich ließ mir aber nichts anmerken und stellte keine Fragen.

»Ja, natürlich«, bestätigte Bully.