cover
Hrsg. Gitta Rübsaat

Storys, die das Jahr so schrieb

Teil 2


Dank an alle Autoren, die sich an dieser Anthologie beteiligt haben und mit ihren Geschichten dazu beitragen, wieder einen Spendenbeitrag für die 'Arca Tierrettung e.V.' zu ermöglichen. Angelika Ammann, Angela Ewert, Hellmut Ewert, Jasmin Frei, Doris Frese, Faunia Greiner-Pett, Ulf Heimann, Phil Humor, Esra Kurt, Sophie Lange, Carmen Liebing, Angel of Love, Matthias März, Klaus-Rainer Martin, Dörte Müller, Gitta Rübsaat, Manuela Schauten, Roland Schilling, Rebekka Weber, Margo Wolf.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Zum Buch

 *Storys, die das Jahr so schrieb*

Erinnerungen

Teil 2

 

Die Genehmigung der Autoren zur Verwendung ihrer Werke für diese gemeinnützige Anthologie liegt vor!

 

Gemeinsam für caritative Projekte

Die Autoren verzichten auf jegliches Honorar, der

Nettoerlös geht also vollständig an 

„Arca Fabiana – Tierrettung Azoren e.V.“

Allen BookRix Autoren ein herzliches Dankeschön

und unser besonderer Dank gilt Heike Helfen, die

uns das von ihr entworfene und gemalte Coverbild

ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellt hat.

 

Die Originalausgabe erschien im Dez. 2018

bei BookRix GmbH & Co.KG als e-book

www.bookrix.de

und das Taschenbuch über Print on Demand

by Amazon

Herstellung: Amazon Distribution GmbH Leipzig

Copyright © 2018 Gitta Rübsaat (Hrsg. und Mitautor)

Alle Rechte liegen bei den Autoren

Cover Illustration: ©Heike Helfen

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung der Autoren zulässig.

Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen,

so wie das Speichern und Verarbeiten in elektronischen Systemen.

Inhaltsverzeichnis

Beteiligte Autoren auf einen Blick:

 

Angelika Ammann, Angela Ewert. Hellmut Ewert, Jasmin Frei, Doris Frese, Faunia Greiner-Pett, Ulf Heimann, Phil Humor, Esra Kurt, Sophie Lange, Carmen Liebing, Angel of Love, Matthias März, Klaus-Rainer Martin, Dörte Müller, Gitta Rübsaat, Manuela Schauten, Roland Schilling, Rebekka Weber, Margo Wolf.

 

Juli

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

Deutschland ist Weltmeister - Matthias März 

Venedig sehen und ... - Margo Wolf

Ich singe, weil ich ein Lied hab - Angela Ewert

Ein verlockendes Angebot - Gitta Rübsaat

Opernfestival in der Arena di Verona - Doris Frese

Der Todeshauch - Rebekka Weber

Wir sind Meister der Welt - Roland Schilling

 

August

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

Damals in Prag - Ulf Heimann

1961- ein heißer August - Gitta Rübsaat

Schuld war der Orangensaft - Dörte Müller

Lehrjahre - Matthias März

Sie haben ihr Ziel erreicht - das Ziel liegt links - 

Klaus-Rainer Martin

Der 13. August 1961 - Doris Frese

Granada im August - Hellmut Ewert

Angekettet - Rebekka Weber

 

September

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

Der 1. September - Manuela Schauten

Sandwich-Fahrt mit Hindernissen - Jasmin Frei

Nine Eleven - Gitta Rübsaat

Ein turbulenter Tag! - Doris Frese

Autofahren - leicht gemacht - Faunia Greiner-Pett

Schulanfang -Angel of Love

Im Bahnhof - Matthias März

Reise nach Leningrad - Angela Ewert

Das richtige Werkzeug - Margo Wolf

Ist das noch meine Heimat - Klaus-Rainer Martin

Pilze sammeln - Phil Humor

 

Oktober

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

Wenn es dunkel wird - Dörte Müller

Entlassung aus der Staatsbürgerschaft - Angela Ewert

Endlos - Angelika Ammann

Oktobergold - Esra Kurt

Die verkaufte Braut - Gitta Rübsaat

Der Duft der Äpfel - Sophie Lange

Doppelter Familienzuwachs - Margo Wolf

Endlich fünf! - Matthias März

Bayrischer Abend -Manuela Schauten

Ein Promi hält Wort - Doris Frese

 

November

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

November - Blues - Gitta Rübsaat

Öffnung nach 28 Jahren - Manuela Schauten

Schicksalsmonat November - Esra Kurt

Novemberdepressionen - Matthias März

Der 9. November 1989 - Doris Frese

Der November 1989 … - Angela Ewert

Die Mauer fällt - und ein Freund geht - Rebekka Weber

Nix gesehen! - Carmen Liebing

Durchhaltevermögen - Margo Wolf

 

Dezember

Alte Sprüche und Bauernregeln

 

Der Ochse, der da drischt - Klaus.Rainer Martin

Aufbruch in ein anderes Leben - Gitta Rübsaat

Die Flüchtlingswelle - Manuela Schauten

Weihnachten ist überall – Margo Wolf

Ich als Weihnachtsmann - Matthias März

Der Tsunami 2004 - Rebekka Weber

Mein Jahreswechsel 2012 - Doris Frese

Aufregender Jahreswechsel - Angela Ewert 

Weihnachten 1992 - Carmen Liebing

Alte Sprüche - Juli

Es war einmal im Juli: 

 

Bringt der Juli heiße Glut,

gerät auch der September gut. 

 

 

Im Juli will der Bauer schwitzen,

als untätig hinterm Ofen sitzen. 

 

 

Im Juli muss vor Hitze braten,

was im September soll geraten.

 

 

Juli schön und klar,

gibt es ein gutes Bauernjahr.

Deutschland ist Weltmeister - Matthias März

Meine Großtante Olga aus Magdeburg ...

besuchte uns im Jahre 1974. Es war zu der Zeit des berühmten und einzigen Fußballspiels der beiden deutschen Staaten während der WM in der Bundesrepublik! Was keiner erwarten konnte trat ein. Die DDR gewann mit 1:0. Der Kleine besiegte den Großen. Olga war außer sich vor Freude und konnte ihre Häme nicht unterdrücken.

 Es wird heutzutage noch darüber spekuliert, ob der damalige Bundestrainer, Helmut Schön, seine Elf absichtlich verlieren ließ, um in der nächsten Runde Brasilien aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls entging Hannover dadurch das Spiel der BRD gegen die Südamerikaner. Stattdessen sahen wir hier die DDR gegen Brasilien, die Bundesrepublik spielte unter anderem in Hamburg.

 

Wie auch immer: dadurch waren Brasilien, Argentinien, die DDR und die Niederlande in der einen Gruppe der Zwischenrunde, die Bundesrepublik Deutschland, Polen, Schweden und Jugoslawien in der anderen. Bei dieser WM gab es keine Achtel-, Viertel- und Halbfinalspiele sondern eben diese seltsame Zwischenrunde. Die beiden Gruppensieger kamen direkt ins Endspiel. Es setzten sich Deutschland und die Niederlande durch. Von dem System mit der Zwischenrunde kam man später wieder ab.

Es war der 7. Juli 1974, ein Sonntag. Gespannt saßen meine Eltern und ich vor dem Fernseher, meine Geschwister wohnten zu dieser Zeit schon nicht mehr bei uns. Mein Vater hatte sich eigentlich nie für Fußball interessiert, ganz anders meine Mutter. Einen Fernseher hatten wir uns übrigens eher angeschafft als eine Waschmaschine. Man muss eben Prioritäten setzen.

 

Bedingt dadurch, dass mein Vater kein Fußballfan war, hatte er auch keine Ahnung von den Regeln. Die Spieler kannte er aber schon, wahrscheinlich weil ja jeden Tag davon etwas in der Zeitung stand. Ich kann sie heute noch alle aufzählen:

Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Berti Vogts, Paul Breitner, Rainer Bonhof, Uli Hoeneß, Wolfgang Overath, Jürgen Grabowski, Gerd Müller und Bernd Hölzenbein. Das war unsere Startelf. Wer hier Günter Netzer vermisst: er war einfach nicht gut genug, wie er selbst von sich sagte, wenn ihn Gerhard Delling darauf ansprach.

 

München, 16:00 Uhr Ortszeit. Der Anstoß erfolgte. Deutschland hatte sicherlich nicht erwartet, dass es schon nach 53 Sekunden einen Elfmeter für die Niederländer geben würde, den Uli Hoeneß verursacht hatte. Johan Neeskens lief an und Sepp Maier sprang nach rechts, der Holländer hatte sich jedoch die Mitte ausgesucht, was Elfmeterschützen eigentlich nur selten machen. In diesem Fall war es die richtige Entscheidung, die Niederländer führten mit 1:0.

Das hatte zur Folge, dass mein Vater schon frühzeitig sein erstes Bier während des Spiels bekam, denn meine Mutter hatte verfügt, dass es Biere nur bei Toren geben würde.

Sie wollte wohl damit den Konsum meines Vaters bändigen.

Am Abend diesen Tages war nämlich unsere Urlaubsreise nach Österreich geplant, es sollte mit dem Alpen-Express nach Kärnten gehen. Ziel war erneut Seeboden am Millstätter See, wo wir schon vier Jahre zuvor schon einmal waren.

Da mein Vater – wie bereits erwähnt – von Fußball wenig Ahnung hatte, wusste er auch nicht, dass dort im Allgemeinen relativ wenig Tore fallen und sich auf diesen Deal eingelassen.

 

Mutti und ich waren natürlich von der Führung der Holländer weniger begeistert. Deren Trikotfarbe glich übrigens der des damals hochmodernen Plastik-Rauchertisch meines Vaters. Orange war in den Siebzigern chic.

Doch zurück zum Spiel. Der Gegner hatte (leider) mehr vom Spiel. Dann passierte es: unser Stürmer-Star Gerd Müller wurde in der 23. Minute durch den Niederländer van Hanegem umgestoßen. Der englische Schiedsrichter John Taylor entschied erneut auf Strafstoß,

Paul Breitner verwandelte diesen eiskalt, Deutschland glich aus und Vati bekam sein zweites Bier. Jetzt war Deutschland überlegen, auch wenn Beckenbauer, Vogts und Grabowski reihenweise Chancen vergaben.

 

Kurz vor dem Halbzeitpfiff gelang dem besagten Gerd Müller nach einer Vorlage von Rainer Bonhof doch noch der Führungstreffer. Alle jubelten, auch mein Vater.

In der zweiten Halbzeit bestimmte Holland dann das Spiel, Deutschland schaltete in den Verteidigungsmodus. Eine Stunde war gespielt, als Gerd Müller erneut ins niederländische Tor traf, jedoch wurde der Treffer wegen angeblichen Abseits fälschlicherweise nicht gegeben.

 

Fünf Minuten waren noch zu spielen. Es hätte nochmals Elfmeter geben müssen, weil Hölzenbein gefoult wurde, aber Schiri Taylor sah das anders. Es blieb folglich beim 2:1, auch als Neeskens kurz vor Schluss unser Tor knapp verfehlte.

 

So wurde Deutschland zum zweiten Mal nach 1954 Weltmeister und Vati bekam noch ein Extra-Bier, nachdem die zweite Halbzeit für ihn ja trocken verlief. 

 

Für mich war das die erste Fußballweltmeisterschaft, die ich bewusst miterleben durfte. 1966 hatten wir noch keinen Fernseher und 1970 war es, bedingt durch die Zeitverschiebung (die WM war in Mexiko) für mich zu spät zum Zugucken.

 

Der Urlaub wurde dann – mit dem Gefühl, Weltmeister zu sein – wunderschön!

Venedig sehen und… - Margo Wolf

Eine Reise mit Hindernissen ...

Wir waren jung und unser Campingbus war alt, also, um genau zu sein, waren mein Mann und ich sehr jung und unser Bus sehr alt, es war ein Citroen HY, einer dieser Wellblech Kastenwagen, die man in alten französischen schwarz/weiß Filmen oft als Polizeieinsatzwagen sieht. Wir hatten uns für dieses Auto und gegen die damals allseits so beliebten VW Busse entschieden, weil er größer und vor allem so breit war, dass man bequem quer im Inneren schlafen konnte. Außerdem war der Motor vorne in seiner kurzen Stummelschnauze, so dass der gesamte hintere Laderaum zur Verfügung stand.

Wir hatten ihn selbst in ein Wohnmobil umgebaut, wobei wir vieles im Jachthandel kaufen mussten, da es Zubehörgeschäfte für Camping noch nicht gab.

Aber dann war er endlich fertig und wir konnten losfahren.

Auf jeden Fall war unsere Laune bestens, als wir im Juli 1972 in einen dreiwöchigen Urlaub aufbrachen. Zwar war nach dem Kauf des Busses und dem Umbau unser Konto ziemlich leer, aber das dämpfte unsere gute Laune nicht.

 

Wozu hatten wir einen Campingbus? Wir brauchten kein Geld für Übernachtungen ausgeben und kochen konnten wir auch selbst.

So düsten wir mit 34PS und der sagenhaften Endgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometer in Richtung Italien.

Dass wir nicht schneller unterwegs sein konnten, machte uns nichts aus, da es damals bei uns kaum Autobahnen gab und wir uns durch unzählige Ortschaften quälen mussten.

Da wir spät nachts an der damals noch vorhandenen Grenze zwischen Österreich und Italien ankamen, kamen wir ohne längere Wartezeit durch.

Wir übernachteten auf dem Parkplatz eines Supermarktes in der Nähe von Udine und nachdem wir uns am nächsten Morgen mit italienischen Leckereien versorgt hatten, ging es weiter in Richtung Venedig.

Ich war ziemlich aufgeregt, war es doch mein erster Urlaub in Italien und ich war ein großer Verehrer von Tizian, Michelangelo und Leonarde da Vinci, um nur die bekanntesten zu nennen. Ich freute mich schon sehr auf die Städte in der Toskana, Florenz, Siena, Pisa, San Gimignano, Volterra und noch viele andere…

Mein Mann bremste meine Euphorie, denn er meinte, bei meinem Besichtigungsdrang würden wir höchstens zwei dieser herrlichen Städte schaffen!

Mir war das egal, jetzt ging es erst mal nach Venedig und ich hatte vor, die Stadt bis in den letzten Winkel zu erkunden.

Wir waren gerade in Mestre angekommen, der vor Venedig auf dem Festland gelegenen Stadt, als unser Bus plötzlich zu stottern anfing, mit einem Plop noch eine kleine blaue Rauchwolke ausstieß, um danach keinen Mucks mehr von sich zu geben.

Wir standen auf einer Brücke, die Teil von einem Gewirr von Straßen nach, durch und weg von Mestre war, kaum zweispurig, begrenzt von schwarzen Gittern.

Von den heute großzügigen Autobahnumfahrungen war damals noch keine Spur, der gesamte Verkehr lief noch mitten durch die Stadt.

Trotz mehrmaliger Startversuche weigerte sich unser Bus beharrlich, irgendeinen Laut von sich geben.

Also, was tun?

Als erstes mussten wir von der Brücke runter, in ein verkehrsruhigeres Gebiet. Zum Glück ging es leicht bergab und das Anschieben war kein großes Problem, überhaupt für mich, da ich ja als leichtere Person im Wagen saß, um zu lenken.

Da sah ich etwas, was mein Herz erfreut aufjubeln ließ.

„Da drüben ist eine Citroen Werkstätte!“ rief ich meinem Mann zu.

Die großen gelben Buchstaben und das Markenzeichen waren unverkennbar.

Aber…, es waren wahrscheinlich einige Kilometer bis dahin, ein bisschen viel, um einen doch immerhin ca. 1500 Kilo schweren Wagen durch die Gegend zu schieben.

Ich blieb im Auto, während sich mein Mann auf den Weg machte, das konnte allerdings dauern, denn wir wussten ja nur ungefähr, wo diese Werkstätte war. Ob es überhaupt eine war oder nur ein Autohandel und ob sie überhaupt geöffnet hatte, es war schließlich Samstag, wussten wir nicht.

Nach gefühlten fünf Ewigkeiten tauchte ein Auto auf, aus dem mein Mann und zwei Italiener ausstiegen. Mit lautem Diskutieren und noch mehr gestikulieren, schafften es die Männer, an unserem Bus das Abschleppseil zu festigen.

Dann ging es im Schritttempo zur Werkstatt. Schritttempo war nötig, da der kleine Fiat vor uns nicht dazu gebaut worden war, um ein Auto abzuschleppen, das um vieles schwerer war, als das Eigengewicht. Auf meine Frage, was denn nun pasieren würde, winkte mein Mann nur ab und murmelte ein: „später“.

Super, nun wusste ich genauestens Bescheid!

An der Werkstätte angekommen erwartete mich die erste Enttäuschung, es war zwar eine Werkstätte, aber sie war bereits geschlossen und die beiden Männer, die uns so freundlich geholfen hatten, gehörten gar nicht dahin, sondern mein Mann hatte sie angesprochen, um sie nach dem Weg zu fragen und sie hatten spontan angeboten, uns zu helfen.

So, da standen wir nun, gestrandet in einem, naja, nicht gerade vornehmen Vorort von Mestre, direkt neben den Bahngleisen, wo die Fernzüge nach Venedig fuhren, und wussten nicht weiter. Wir beschlossen, ganz einfach auf den Montag zu warten, wenn die Werkstatt wieder offen war, um dann weiter zu sehen.

Aber wir hatten beide keine Lust, das Wochenende hier im Nichts zu verbringen, so machten wir uns nach einer Stärkung zu Fuß auf den Weg zurück in die Zivilisation. Wir fanden eine Busstation und schon der dritte Bus fuhr nach Venedig.

 

Schon die Anfahrt über die lange Brücke ist ein Erlebnis und dann der Piazzale Roma, die Endstelle für alle Autos und auch Linienbusse, damals ein kleiner Platz mit Kopfsteinpflaster und viel Lärm, Gehupe und Gestank.

Durch einen kleinen Park ging es dann in die autolose Stadt.

Venedig!

Schon der Name ruft einen Sturm der Gefühle hervor und ich glaube, es gibt kaum jemand, der sich dabei nicht spontan denkt:

Venedig sehen und sterben!

Nun, ganz so trüb waren meine Gedanken nicht, im Gegenteil, ich war vom ersten Augenblick an begeistert. Das Blubbern des Wassers, die Boote, die durch die Kanäle fuhren, Lastkähne, elegante Taxis aus hochpoliertem Holz und die unzähligen Vaporettos, die Wasserbusse Venedigs. Es ist ganz einfach eine ganz andere Welt als in einer normalen Stadt, auch der Geruch ist anders. Was vielen die Nase rümpfen lässt und es als stinkende Brühe abtut, gehört ganz einfach zu Venedig, wie eben das Wasser selbst, es ist ein ganz eigener Geruch, der ebenso einmalig ist wie die Stadt selbst.

 

Wir schlenderten am Bahnhof vorbei, tauchten in das enge Gassengewirr ein, damals noch mit einer erträglicheren Menge an Touristen. Wir erkundeten den Markt am Fuß der Rialto Brücke, sahen von dieser einer ganzen Weile dem Treiben auf dem Canal Grande zu und ließen uns immer weitertreiben, liefen über unzählige kleine Brücken, bis wir am Markusplatz ankamen.

Welch eine Pracht nach den engen Gassen, der Markusdom mit den vier Cavalli auf der Brüstung, die aussehen, als würden sie jeden Augenblick lospreschen wollen, gegenüber der Campanile, das weithin sichtbare Wahrzeichen Venedigs und am Ufer die schwarz glänzenden Gondeln, die sich sanft auf den Wellen wiegen, bereit, Touristen oder Liebespärchen aufzunehmen.

Wir genossen zwar den Tag, aber ganz ungetrübt war er nicht, stand doch immer im Hintergrund die Frage, was war mit unserem Auto los.

 

Am Montag war es endlich soweit und die Werkstätte hatte offen. Mit Englisch, ein paar Brocken Deutsch von seitens der italienischen Mechaniker und noch weniger Italienisch unsererseits verständigten wir uns. Schließlich schleppten sie unseren Bus in die Halle und machten sich darüber her. Es dauerte nicht lange und schon hatten sie den Grund für unsere Panne gefunden. Die Ölwanne hatte ein Loch, wir hatten nach und nach Öl verloren, bis der Motor trocken lief, die Kolben sich festgefressen hatten und nun ein Totalschaden war. Ein Ölstandanzeiger war damals leider nur Luxusautos vorbehalten,

Einer der Mechaniker, sichtlich der Chef dort, oder zumindest der Werkstättenleiter, hob nur bedauernd die Schultern und meinte, da wäre nichts zu machen, der Motor wäre hin.

Mir wurde flau im Magen und meine Knie wurden weich und auch mein Mann schluckte, das war ja eine schöne Schocknachricht, wir hatten den Bus doch erst ein paar Monate!

Wahrscheinlich taten wir dem Mann leid, denn er wandte sich ab und redete mit Händen und Füßen auf seine Kollegen ein, einige runzelten die Stirn, andere nickten.

Er kam wieder zu uns und versuchte uns das Ergebnis seines Diskurses mit seinen Mitarbeitern zu erklären.

 

Eigentlich bräuchten wir einen Tauschmotor, leider hatte er keinen, aber er könnte den Motor zerlegen und die Kolben abdrehen, damit sie wieder lauffähig sein würden. Er nannte auch einen ungefähren Preis, aber der ist mir im Laufe der Jahrzehnte entfallen.

Wir sahen uns an, was tun? Eigentlich hatten wir ja gar keine andere Wahl, als zuzustimmen, also nickten wir zustimmend. Nun kam aber das große ABER…

Der Mechaniker erklärte uns, dass er den Motor sehr wohl wieder reparieren könnte, aber er bräuchte dazu Ersatzteile, die er nicht lagernd hatte und erst in Frankreich bestellen müsste, schließlich waren wir im Land der Fiats und Citroens waren ohnehin schon eher selten und unser Bus ein absoluter Exote in diesem Land.

 

„Wie lange wird dann das ganze ungefähr dauern?“ fragte mein Mann vorsichtig.

Der Mann kratzte sich hinter dem Ohr, überschlug in Gedanken alles.

„Zwei Wochen“, kam es dann ruhig.

????!!!!

Zwei Wochen hier festsitzen? Ade schöne Toskana!

Was sollten wir tun? Inzwischen nach Hause fahren? Eigentlich wollten wir das nicht, aber zwei Wochen in einem Hotel?

 

Es war gerade Urlaubszeit und sicherlich alles voll, außerdem waren schon damals die Preise im Raum Venedig ziemlich hoch, eigentlich in dieser Situation zu teuer für uns, da wir ja für die sicherlich teure Reparatur auch aufkommen mussten, aber wieder kam uns der Mann zu Hilfe…

Da bei diesem Auto der Motor und das Getriebe ein zusammenhängender Block war, konnte man den ganzen Teil durch die große Motorhaube nach vorne rausschieben. Das hieß aber, es blieb dadurch eine Öffnung, groß genug, dass ein Erwachsener bequem von vorne in den Wagen gelangen konnte, ohne sich auch nur viel zu bücken. Die Mechaniker würden nun den Block rausholen und das Auto wieder vor die Halle für uns auf die Straße stellen und wir könnten so lange drinnen weiter wohnen, bis sie fertig wären, aber…, und nun wurde der gute Mann etwas verlegen. Die Gegend war nicht die beste und wir hätten in der Nacht kaum Ruhe, vor allem streunende Hunde gäbe es genug in der Gegend, die dann womöglich im Bus nach etwas Essbarem suchen würden und dann auch Liebespärchen mit ihren Autos, die diese entlegene Gegend gerne nutzten.

Nun bot uns der gute, nein, der liebste aller Mechaniker an, seine Leute würden unseren Bus in der Halle stehen lassen und wir könnten, wenn wir wollten, darin weiter wohnen, wenn uns der Betriebslärm nicht stören würde.

Und ob wir das wollten!

Natürlich sagten wir ja und waren glücklich, in einer solchen Situationen freut man sich auch über solche Angebote! Der Mechaniker bat uns nur, in der Halle unseren Gaskocher nicht in Betrieb zu nehmen und das Abwasser in einem Kübel, den sie uns brachten, zu sammeln.

Es wurde uns noch die Toilette gezeigt und auch der Wasserhahn, dieser sogar mit Warmwasser, wo wir uns jederzeit Wasser nehmen könnten.

Nachdem wir noch das Finanzielle geklärt hatten, wir hatten die damals so üblichen Reiseschecks mit, machten sich die Leute an die Arbeit und bald darauf klaffte ein mannsgroßes Loch vorne im Fahrerhaus.

Ich war nach diesen ganzen Nachrichten ziemlich geschafft und so war es mir ganz recht, dass mein Mann, Technikfreak, wie er nun mal ist, den Mechanikern ganz genau auf die Hände sah und ich mich ins Auto auf unser Bett zurückziehen konnte. Mein Mann gab es nicht zu, aber ich wusste, dass es ihn ziemlich ärgerte, dass er das Loch in der Ölwanne übersehen hatte, sichtlich waren wir da ganz übel vom Autoverkäufer reingelegt worden, aber nun wars mal so und jetzt mussten wir das Beste daraus machen.

 

Am Nachmittag machten wir uns wieder auf den Weg nach Venedig, um die Männer ungestört arbeiten zu lassen. Der Werkstättenleiter gab uns noch einen Schlüssel für eine kleine Seitentür, falls wir erst spät zurückkommen würden. Dann wollten wir losmarschieren, um die drei Kilometer zur nächsten Busstation in Angriff zu nehmen, als uns einer der Mechaniker nachlief.

Er erklärte uns, dass wir uns den langen Marsch ersparen könnten und zeigte uns ein ziemlich großes Loch im Zaun, der die Bahngleise abgrenzte. Da durch, über die Gleise, durch den nächsten Zaun, dann nur mehr über die Straße und da wäre direkt die Busstation nach Venedig.

 

Wir sahen ihn zweifelnd an, aber er meinte, dass würden alle so machen, also wagten wir es auch.

 

Es war wirklich nicht nur ein Loch, sondern ein richtiger Durchgang, ein plattgetretener Weg durchs Gelände. Beim Überqueren der Gleise war mir etwas mulmig, denn schließlich waren das keine Nebengleise, sondern da brausten die Fernzüge aus ganz Europa in Richtung Venedig.

Zumindest hatte der Mann recht gehabt, die Busstation befand sich direkt vor dem Loch des zweiten Zaunes, allerdings mussten wir dazu noch eine große Straße überqueren und wer den italienischen Autoverkehr kennt, weiß, dass auch das nur etwas für mutige Leute war!

Doch dann hatten wir es geschafft und waren wieder auf dem Weg nach Venedig.

 

In den nächsten Tagen wurde es für uns eine Selbstverständlichkeit, da durchzuschlüpfen, noch dazu, da sich am Abend oft eine ganze Menge Leute auf den gleichen Weg zurück machten, um zu ihren Wohnungen zu kommen.

Wir lernten Venedig sehr gut kennen, es gab kaum ein Gässchen oder eine Brücke, über die wir nicht mehrmals gingen, wir fanden sogar Gegenden, die von dem Tourismus noch fast unberührt waren, mit kleinen Lokalen zu einheimischen Preisen, wir fühlten uns gar nicht mehr als Touristen, sondern bald als fast Bewohner dieser einmaligen Stadt. Da wir sparen mussten, kauften wir uns oft in einem kleinen Supermarkt ein paar Brötchen und Getränke und aßen sie entweder in einem Park oder fuhren auf den Lido, um dort den Tag am öffentlichen Strand zu verbringen.

Eine tolle Stadt, ein weiter Sandstrand, blaues Meer, Herz, was willst du mehr?!

Davor verblasste sogar unsere momentane Misere!

 

Nach fast zwei Wochen, das Wochenende stand wieder bevor, erlebten wir beim zurück kommen in die Werkshalle eine große Überraschung. Statt des großen Loches in unserem Fahrerhaus, prangte der reparierte Motor neu poliert an seinem angestammten Platz. Es hatte zwischendurch immer wieder Arbeitspausen an unserem Motor gegeben, da die Ersatzteile nicht immer gleich greifbar waren, aber nun sahen uns die Mechaniker erwartungsvoll an.

„Starten Sie mal“, verlangte der Werkstättenleiter.

Mein Mann drehte den Zündschlüssel um, ich hielt den Atem an…

Der Motor sprang an und lief mit einem satten zufriedenen Schnurren weiter!

Es kann mir wohl niemand verdenken, dass ich den Männern am liebsten um den Hals gefallen wäre!

Ja, sie hatten nur ihre Arbeit gemacht, aber sie hätten es auch ganz einfach ablehnen können und auf einem Tauschmotor beharren können, statt den Motor Schraube für Schraube zu zerlegen und wieder neu zusammenzubauen.

Und ihre Gastfreundschaft uns gegenüber war ganz einfach unübertroffen! Sie hatten sich zu Recht ein großes Trinkgeld verdient und nachdem wir noch mit einem Glas Spumante angestoßen und alle Formalitäten erledigt hatten, fuhren wir auf eigenen Füßen, äh…, ich meinte, auf eigenen Rädern, aus der Halle wieder in die weite Welt.

Nun hatten wir noch eine ganze Woche Urlaub, die Welt stand uns wieder offen, zumindest die Toskana, aber…

Ohne uns weiter abzusprechen, wussten wir beide, dass wir eigentlich gar nicht weg wollten, sondern die restlichen Tage noch in Venedig genießen wollten.

Wir fuhren auf den Tronchetto, ein großer Platz am Ende der Brücke in Venedig, heute mit einem riesigen Parkhaus bestückt, damals nicht viel mehr als ein geschotteter Platz, wo die Campingbusse stehen durften.

Wir genossen diese letzten Tage mit frohem Herzen, nun frei von der Sorge um unseren geliebten Bus.

 

Wir machten mit diesem alten Bus noch viele schöne Urlaube, der Motor hatte weit mehr als 350 000 km auf dem Buckel, als wir uns von ihm trennten und auch wenn es immer wieder kleinere Reparaturen in anderen Bereichen gab, der Motor hielt unbeirrt bis zum Schluss.

Wir haben in den folgenden Jahren die Toskana mit ihren wundervollen Städten des Öfteren besucht, Italien bis in die Ferse mehrmals abgeklappert und Venedig seit damals gefühlte hunderte Male besucht, aber wenn ich so zurückdenke…

Dieser besondere „Urlaub“, der mit einem Schreck angefangen hatte, war einer der schönsten gewesen, den wir je hatten!

Ich singe, weil ich ein Lied hab ... - Angela Ewert

Völlig unerwartet kam eine WhatsApp-Nachricht ...

von meiner Freundin Irene, ich solle mir den vierten Juli abends frei halten - Überraschung! Für Näheres solle ich meinen Mann fragen.

Dieser erzählte mir dann, Irene wolle mich zu einem Konstantin Wecker-Konzert einladen. Toll! Ich war noch nie in einem Konzert von ihm. Aber ich mag den Kerl und seine Lieder!

Das Konzert sollte in der Posthalle stattfinden, wo wir beide noch nie waren. Normalerweise finden dort Heavy Metal-Konzerte und ähnliches statt und man muss stehen. Davor hatte ich ein bisschen Angst. Zwei Stunden stehen, geht gar nicht. Mussten wir dann aber auch nicht.

 

Als ich gerade das Auto auf einem „geheimen“ Parkplatz abgestellt hatte – mein Mann hat dafür von den Ärzten, für die er arbeitet, eine Sondergenehmigung, die er mir für den Abend überlassen hatte – sah ich meine Freundin dort herumirren. Sie suchte den Eingang zur Posthalle. Den konnte ich ihr zeigen, weil ich ihn erst kürzlich vom Busbahnhof aus entdeckt hatte.

 

Einlass war eine Stunde vor Beginn und wir hatten freie Platzwahl. Deswegen waren wir sehr pünktlich und eroberten mühelos zwei Plätze in der ersten Reihe.

Während wir warteten, dass es losging, schlichen ein Mann und eine Frau mit Klemmbrett und Unterschriftenliste herum und erklärten, sie wollten eine neue Partei gründen und bräuchten dafür über zweihunderttausend Unterschriften. Unsere bekamen sie nicht! Ich habe ihnen gesagt, dass ich der Meinung bin, Deutschland braucht nicht noch eine Partei.

An einem Tresen konnte man sich mit Getränken und Brezeln versorgen.

Wir saßen schon auf unseren Plätzen, da sprang Irene plötzlich auf und rannte nach vorn. Sie hatte gesehen, wie der Star des Abends vor die Bühne und unters Volk getreten war und wollte sich mit ihm fotografieren lassen. Ich ging ihr nach und fotografierte die beiden.

Danach erzählte sie mir, sie hätte ihm gesagt, dass sie seit vierzig Jahren sein Fan wäre. Seine freche Antwort: „Das sieht man!“ Ja, der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund.

Dann ging es los mit seinem ersten Lied: „Weil ich ein Lied hab“. Klasse!

Danach erklärte er uns, was ich aber auch schon aus meiner Internetrecherche wusste, es sei heute nicht sein Abend, sondern der seiner Studenten. Er erzählte ein bisschen von seiner Arbeit mit den jungen Leuten und wie er sie dazu angehalten hätte, eigene Texte – und zwar ausschließlich auf Deutsch! Englisch könne er nicht so gut – zu schreiben und Lieder zu singen. Dabei sind erstaunlich gute Sachen heraus gekommen!

Dann verließ Konstantin Wecker die Bühne und setzte sich irgendwo hinten in den Saal und überließ sie ganz den jungen Leuten. Ein blondes Mädchen moderierte mit ganz vielen selbst geschriebenen Karteikärtchen und aufgeregten Versprechern. Aber sie machte das schon ganz gut. Später sang sie auch ein eigenes Lied.

Die jungen Männer und Frauen hatten durchweg sehr gute und kräftige Stimmen und gute Texte. Das hat uns alles sehr gut gefallen. Als ich abends im Internet noch einmal nachhören wollte, klang das nicht halb so gut wie live – irgendwie dünn. Aber man kann sich für ein paar Euro das ganze Album herunterladen.

Man konnte deutlich spüren, dass sie für ihre Musik brennen und das nicht aus Kommerzgründen tun. Das betonte auch Konstantin Wecker in seiner abschließenden Lobrede. Er war richtig begeistert von seinen Schülern und Schülerinnen.

Nach der Pause kam er noch einmal auf die Bühne und trug sein Lied „Gestern ham sie den Willi erschlagn und heid wird er begrabn...“ mit neuem, sehr aktuellem Text, viel Herz und viel Wut vor, wofür er standing ovationes bekam. Ein sehr deutlicher Text, in dem er alles und jeden beim Namen nannte. Aber nicht alle älteren Leute standen auf...

Die Einnahmen des Abends sollten für eine besondere Musikschule für Unterprivilegierte gespendet werden.

Ein verlockendes Angebot - Gitta Rübsaat

Bereits im Februar1980 ...

bekamen mein Partner und ich in der Pause einer Theateraufführung ein interessantes und sehr verlockendes Angebot. Wir saßen wie immer auf unseren Stammplätzen in der fünften Reihe Mitte und neben uns - auch wie immer - ein Arztehepaar aus Aidlingen. Wir kannten uns nun schon eine ganze Weile, zumal er mit B. ein gemeinsames Hobby hatte: Geschichten und Gedichte schreiben. Zusammen waren wir schon einige Male im Verband Deutscher Schriftsteller-Ärzte zu Gast und besuchten auch einmal einen Kongress in Bad Mergentheim, das später unsere neue Heimat werden sollte.

 

Das Angebot hörte sich wirklich recht verlockend an: In Bad Mergentheim sollte auf Beschluss der Bundesärztekammer Baden-Württemberg ein „Institut für Gesundheitsbildung“ geschaffen werden – also praxisorientierte Gesundheitsbildung in einem Kurort. Theoretische Unterstützung, inklusive vieler praktischer Kursangebote sowie diverser Vorträge im Kursaal. Die würden dann von den Ärzten der medizinischen Fakultät der Uni Heidelberg gehalten. Und bei diesem neuen Projekt hätte man - neben einem Allgemeinpraktiker der Medizin - gerne zwei Psychologen dabei. Und da hatte man doch gleich mal an uns gedacht.

 

Wow – das klang aber wirklich sehr gut! Über einen Tapetenwechsel hatte ich schon einige Male nachgedacht, nur was würden meine Kinder dazu sagen? B. war dagegen völlig unabhängig, die Arbeit in seiner Alki-Klinik in Horb im Schwarzwald ging ihm schon eine Weile auf den Keks und so war er sofort Feuer und Flamme. Die Vorarbeit sollte im September beginnen – doch das war für mich entschieden zu früh. Denn wenn überhaupt, sollte meine Tochter ihre Grundschulzeit vor Ort beenden. Dann wäre 1981 ohnehin ein Wechsel zum Gymnasium fällig.

Und Sohnemann? Der schob gleich mal Panik und fragte meinen Ex, ob er nicht zu ihm ziehen könne. Doch der verweigerte sich und meinte, er könne sich ja ein Zimmer in der Nähe seiner Wohnung suchen und bei Bedarf mal zu ihm kommen. Mir standen die Haare zu Berge! Ein völlig unmögliches Angebot - denn noch war der Junge keine 18 Jahre alt, noch war er also nicht volljährig. Also: abgelehnt! Es blieb ihm nichts anderes übrig, als uns zu folgen.

 

Die Sekretärin im „Institut für Gesundheitsbildung“ hatte für uns in der Nähe der Schulen im Mai 1981 ein passendes Domizil mit Garten in Bad Mergentheim gefunden. Die Planung begann, denn es gab einiges an Renovierungsarbeiten zu stemmen. Es war wunderbar, soviel Zeit für alles zu haben, denn den Umzug hatten wir erst für Anfang Juli des Jahres 81 geplant. So hatten wir genügend Zeit, das Haus für unsere Bedürfnisse und nach unserem Geschmack zu gestalten.

Das Haus war ideal für uns alle: ganz wichtig - viel Platz, alle hatten ein eigenes Reich ganz für sich … eine ruhige Lage, ein großer Garten mit Obstbäumen und -sträuchern und - das war die Hauptsache: nur kurze Wege zur Schule.

Nachdem Ende Juni alle Renovierungsarbeiten am und im Haus erledigt waren, begann gleich am ersten Tag der Sommerferien Anfang Juli der Umzug.

 

Die Umzugsfirma hatte schon am Vortag meine alte Wohnung ziemlich ausgeräumt, nun wurden nur noch die allerletzten Reste eingesammelt.

Plötzlich hörte ich ganz kurz und sehr leise ein klägliches Miauen - 'ach, du meine Güte!'- wo ist meine Katze? Aber ich sah den Transportkorb nicht. Ich guckte in alle Ecken, nichts. Einer der Möbelpacker fragte: "Was suchen Sie denn?"

"Stiefelchen!"

"Oh, die ganzen Schuhe haben wir samt Schrank schon lange im Wagen, brauchen Sie da noch was?"

Leicht grinsend gab ich Antwort: "Stiefelchen ist unsere Katze - kein Schuhwerk! Einer Ihrer Leute hat sie offensichtlich samt Korb gerade rausgetragen."

Der Möbelpacker lachte laut los, ging auf den Balkon und brüllte: "Hans, komm mit dem Stiefel im Katzenkorb zurück, der fährt nicht mit uns!"

Da hatte sich doch tatsächlich einer der Möbelpacker die Katze geschnappt und wollte sie wohl auch in einen der Umzugswagen stecken.

Leider konnte ich nicht sehen, was denn dieser Hans für ein Gesicht zog, auf jeden Fall kam er sehr bald mit meiner Katze zurück und überreichte mir den Katzenkorb mit einer gelungenen Verbeugung.

Natürlich hatte ich unsere Mieze schon mal zur Vorsicht gleich am frühen Morgen eingesammelt, denn sie wäre garantiert abgehauen, wenn ich sie hätte frei laufen lassen. Also Stiefelchen war zurück, sie fuhr dann später in meinem Auto mit und unterhielt mich während der ganzen Fahrt mit ihrem lautstarken Protestgemaunze.

 

Gegen halbzehn am Vormittag hieß es endlich: 'Alles sauber verpackt, alles drin!'

Wunderbar - nun hatte ich freie Fahrt!

Schon kam meine liebe Putzfee um die Ecke, bewaffnet mit allem, was so zur Ausübung ihrer Tätigkeit und unserem Vorhaben vonnöten war. Zwei Stunden später blitzte und blinkte alles und ich verabschiedete mich von ihr und gut zehn Jahren Wohn- und Lebenszeit in Sindelfingen.

Meine Schritte hallten auf dem nackten Parkett und die Wohnung kam mir plötzlich riesengroß vor. Ein Abschied mit gemischten Gefühlen. Automatisch zogen die Jahre wie ein Film an meinen Augen vorbei: Zehn Jahre mit all seinen Höhen und Tiefen, der Freude und Wut, der Hoffnungen und Enttäuschungen.

Aber zu einem langen Resumée war jetzt keine Zeit. Ich schnappte mir den Korb mit meiner meuternden Katze und ab ins Auto.

In MGH staunte ich nicht schlecht, denn die Umzugsleute hatten schon fast alles ausgepackt und auf Anweisungen in den Räumen verteilt. Mein Sohn zog unten in die Einliegerwohnung, Katja und ich ins Hochparterre. B. hatte den ersten Stock für sich und das Dachgeschoß war den Hobbies und Gästen vorbehalten.

Auch wenn noch lange nicht alles an seinem Platz oder gar eingeräumt war - wir hatten Hunger und überlegten gerade, ob wir nicht mal alles stehen und liegen lassen sollten, um irgendwo essen zu gehen - da standen plötzlich unsere Nachbarn mit einem großen Korb auf der Terrasse. Vorgestellt hatten wir uns schon vor längerer Zeit - aber das hätte ich nun nicht erwartet: sie hatten an alles gedacht: eine große Schüssel Kartoffelsalat, einen Topf mit heißen Bockwürstchen, Gurken, Tomaten, gekochte Eier, einen Pott Senf, Besteck und da sie keine Servietten hatten, legten sie eine Packung Tempotaschentücher auch noch dazu.

 

Ja, das war ein Einstand, den keiner von uns erwartet hatte, umso lockerer und fröhlicher gestaltete sich draußen auf der Terrasse unser erstes Mahl im neuen Haus. Und damit nicht genug. Wir lehnten uns gerade satt und zufrieden in unseren Gartenstühlen zurück, da winkte die Nachbarin von gegenüber, die durch die Bäume und Sträucher kaum zu sehen war. Bevor ich überhaupt richtig kapierte, wieso und weshalb, war die Nachbarin von nebenan schon auf dem Weg zu ihr. Die hatten sich natürlich abgesprochen!

Ich traute meinen Augen nicht! Wieder ein großer Korb, dieses Mal mit Kaffeegeschirr, einer Warmhaltekanne, Sahne, Milch und Zucker und einem Obstkuchen. Da fehlte doch nur noch eine Flasche Prickelwasser ... aber so eine richtige! Und die zauberte dann B. herbei – denn die hatte er vorsorglich im Keller gelagert. Na ja, so ganz kalt war der Champus nicht mehr, aber das spielte nun wahrlich keine Rolle.

 

Sohnemann steckte mitten in der Pubertät und war persé gegen alles, was von uns und anderen Erwachsenen kam. Seinen neuen Wohnort konnte er schon mal gar nicht ab, den empfand er sofort als elendes Kaff und Katja, für die der große Bruder, wenn er sie mal gerade nicht ärgerte, natürlich immer Recht hatte, schloss sich dieser Meinung ebenfalls an.

Und es gab noch ein Problem: in ihrem vorherigen Umkreis war Katjas Kleinwuchs bekannt und längst akzeptiert. Sie hatte es nun wahrlich nicht leicht, denn sie musste erst mal wieder viele Blicke und noch mehr dumme Bemerkungen über sich ergehen lassen, bevor sie sich ihren Platz und ihre Freunde erobert hatte. Aber es klappte erstaunlich schnell.

 

 

Den Grund verriet mir mal ein älterer Kurgast: 'Zuhause würde ich mich nie trauen, in so eine Psychopraxis oder eine Gruppe zu gehen, da könnte mich ja jemand sehen! Aber hier? Kein Problem... '

Inzwischen ist Bad Mergentheim der Ort, in dem ich weit über dreißig Jahre wohne - die längste Zeit überhaupt an einem Ort; und das, obwohl ich eigentlich eher ein Zugvogel bin, der es bisher nie lange an einem Platz ausgehalten hat.