Karl Marx/Friedrich Engels

Manifest der Kommunistischen Partei


Impressum

Covergestaltung: Stefan Berndt

ISBN 978-3-940621-18-4

© Vergangenheitsverlag, Berlin / 2009

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Vorwort: Ein Gespenst geht um in Europa? Wie man das Kommunistische Manifest heute verstehen kann…

Karl Marx ist zurück: Nach der Wende 1989/90 wurden in der DDR und dem „Ostblock“ allerorten die Engels- und Marx-Büsten abgebaut, vergraben und versteckt, heute lobt selbst die bildungsbürgerliche „Zeit“ das Erbe eines Geistestitanen – Karl Marx. In Zeiten von Turbokapitalismus und Finanzkrisen liest man sogar in Wirtschaftszeitungen, dass er Recht hatte, wenn er sich in seinen Schriften mit dem tieferen Zweck der politischen Ökonomie, ihren Entwicklungsperspektiven und ihren sozialen Konsequenzen beschäftigte. Es ist mittlerweile gesellschaftlicher Konsens, Marx als einen der einflussreichsten und streitbarsten Denker des 19. Jahrhunderts zu betrachten.

So viel Lob und Anerkennung hat Marx zu eigenen Lebzeiten nie erhalten. Er galt als persona non grata, war unerwünscht im eigenen Land und ständig auf der Flucht. Schließlich fand er ein Exil in London, wo er am 14. März 1883 auch starb.

Das Besondere an der Arbeit von Marx war, dass er bei der Analyse der Ökonomie die von ihr geschaffenen sozialen Verhältnisse berücksichtigte. Marx war ein moderner Denker. Für ihn waren es nicht – wie nach einem verbreiteten Diktum der Vormoderne – die metaphysischen Dinge, die die Gesellschaft antrieben, sondern das konkrete Handeln der Menschen. Nicht Gott und seine Vorsehung, Schicksal oder Zufall, sondern die Realität von Konflikten und Kämpfen bestimmten das irdische Sein. Damit rückten handfeste Phänomene wie Klassenkampf, soziale Ungleichheit, Geld, Kapital, Konkurrenz, Eigentum, Arbeit und Produktivkraft in den Blick von Marx, seinem Freund Engels und anderen Sozialisten.

Marx war einer der Ersten, die das revolutionäre Potential in der Herausbildung der modernen Welt des 19. Jahrhunderts erkannten. Die Moderne war für ihn – gemäß seiner historisch-materialistischen Perspektive – vor allem durch die allseitige Durchdringung der Welt mit dem System des Kapitalismus geprägt. Was für Auswirkungen dieses System hat, beschrieben Marx und Engels im Kommunistischen Manifest sehr genau. Bereits 1848, dem Jahr der Veröffentlichung dieser Schrift, erkannten beide ein Phänomen, das uns heute intensiver beschäftigt denn je: die Globalisierung, von Marx damals als „Weltmarkt“ bezeichnet.

Das Kommunistische Manifest beschreibt viele der Entwicklungen, die der Kapitalismus mit sich bringen würde. Geradezu prophetisch wirken die Prognosen der beiden Querdenker bezüglich der Urbanisierung, der Ausbreitung der Kinderarbeit, der permanenten Krisenanfälligkeit des Systems und der Erweckung immer neuer Bedürfnisse, „welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen.“ Sozialer Wandel ist das große Thema des Manifests, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die letzten Jahrhunderte von einem rapiden Entwicklungstempo getrieben waren. Damit war auch das Vergehen von Traditionen und altbekannten Gewohnheiten verbunden. Die Dynamik des Kapitalismus bedeutete immer auch die Vernichtung des Alten. Neue Formen der Kommunikation würden selbst „die barbarischsten Nationen“ an die kapitalistische Zivilisation anschließen – ein Gedanke, der die spätere Globalisierung vorwegnimmt. Die politischen Konsequenzen sahen Marx und Engels deutlich vor sich: den unvermeidlichen Machtverlust der nationalen Regierungen und die Verwandlung der modernen Staatsgewalt in einen „Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“.

Aber nicht alle Prognosen erwiesen sich als zutreffend: die Revolution des Proletariats blieb aus. Die später getroffene Prognose einer „sozialistischen Revolution“, die angeblich mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses eintreten sollte, fand gerade nicht in den Zentren des Kapitalismus statt, sondern lediglich an seiner Peripherie: in Russland, China, Kuba, Vietnam. In der von Marx und Engels beschriebenen Form fand sie aber weder 1917 in Russland noch im sich nach 1945 bildenden „Ostblock“ statt. Die Entfaltung des Kapitalismus brachte zwar deutliche Unterschiede zwischen Arm und Reich hervor, aber die "Klassengegensätze" verschärften sich nicht zum Klassenkampf, sondern verschwammen und fanden ihre Entsprechung in der Konfrontation des Kalten Krieges.

Man kann das Manifest heute ohne ideologischen Ballast lesen: als historische Quelle, als soziologische Beschreibung – und natürlich als Anregung, die Funktionsweise der Gesellschaft auch heute kritisch zu betrachten und darüber nachzudenken, wohin die Dynamik des Kapitalismus führt. Das Manifest ist ein Aufruf, Kritik am Bestehenden zu üben – ein Gedanke, der den meisten Menschen schwer fällt. Aber wie bemerkte der amerikanische Philosoph Richard Rorty einmal: „Die Unterscheidung zwischen Bourgeoisie und Proletariat mag heute so veraltet sein wie die zwischen Heiden und Christen, aber wenn man für ‚Bourgeoisie’ den Ausdruck ‚die reichsten 20 Prozent’ und für ‚Proletariat’ den Ausdruck ‚die übrigen 80 Prozent’ einsetzt, klingen die meisten Sätze des Manifests immer noch wahr.“ In diesem Sinne bleibt der Text aktuell und inspirierend.


Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei


Der vorliegende Text entspricht der letzten von Friedrich Engels besorgten Ausgabe von 1890. Geschrieben wurde „Das Manifest“ im Dezember 1847/Januar 1848. Gedruckt als Einzelbroschüre ist es im Februar/März 1848 in London erschienen.


Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.

Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte?

Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor.

Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt.

Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen.

Zu diesem Zweck haben sich Kommunisten der verschiedensten Nationalität in London versammelt und das folgende Manifest entworfen, das in englischer, französischer, deutscher, italienischer, flämischer und dänischer Sprache veröffentlicht wird.

I - Bourgeois und Proletarier

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.

Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.

In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen besondere Abstufungen.

Die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.

Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.

Aus den Leibeigenen des Mittelalters gingen die Pfahlbürger der ersten Städte hervor; aus dieser Pfahlbürgerschaft entwickelten sich die ersten Elemente der Bourgeoisie.

Die Entdeckung Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schiffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionären Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung.

Die bisherige feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den mit neuen Märkten anwachsenden Bedarf. Die Manufaktur trat an ihre Stelle. Die Zunftmeister wurden verdrängt durch den industriellen Mittelstand; die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Korporationen verschwand vor der Teilung der Arbeit in der einzelnen Werkstatt selbst.

Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion. An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen, die modernen Bourgeois.

Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete. Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schiffahrt, den Landkommunikationen eine unermeßliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, worin Industrie, Handel, Schiffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien, drängte sie alle vom Mittelalter her überlieferten Klassen in den Hintergrund.

Wir sehen also, wie die moderne Bourgeoisie selbst das Produkt eines langen Entwicklungsganges, einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise ist.

Jede dieser Entwicklungsstufen der Bourgeoisie war begleitet von einem entsprechenden politischen Fortschritt. Unterdrückter Stand unter der Herrschaft der Feudalherren, bewaffnete und sich selbst verwaltende Assoziation in der Kommune, hier unabhängige städtische Republik, dort dritter steuerpflichtiger Stand der Monarchie, dann zur Zeit der Manufaktur Gegengewicht gegen den Adel in der ständischen oder in der absoluten Monarchie, Hauptgrundlage der großen Monarchien überhaupt, erkämpfte sie sich endlich seit der Herstellung der großen Industrie und des Weltmarktes im modernen Repräsentativstaat die ausschließliche politische Herrschaft. Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.

Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt.