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MARTIN AMANSHAUSER

ES IST UNANGENEHM IM SONNENSYSTEM

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»Not that I had too much dignity left anyway«
Lloyd Cole

Inhalt

(1) Kein Roman vom armen M. A.

ich wollte nie eine kneipe eröffnen (2011)

diese nacht, in der das daylight saving endet (2010)

Kein Roman vom armen M. A. (2018)

Nebel (1983, 2018)

medical notes on climate, diseases, hospitals (2002, 2017, 2019)

paprika unwahrscheinlich (2005, 2013)

Weißbrot kürzer (2005)

schildkröte (2007, 2014, 2019)

du kennst meine meinung zu weltreligionen (2015)

rudi’s beisl (2014)

friedversuch (2003, 2018)

ich lieb dich schon (2005)

lennon/mccartney (2018)

fünfzig, sagt sie mir (2018)

cousin (2009)

szene im amt (2015)

Taschendieb am Yppenplatz (2012)

Zug in den Achtzigern, Flugzeug in den Nullern (2004, 2018)

Dottore (2011)

(2) Ich hätte meinen Schmerz am liebsten idiotisch

wenn der schmerz kommt (2005)

mit dem schmerz abendessen (2005)

am liebsten 1 (2005)

am liebsten 2 (2005)

44, falsch gebrochenes herz (2012)

affektive störung und schuppen (2007)

Der alte Mann äußert sich nicht (2006)

Die eigene Bestattung online planen (2018)

Kandisin fürs Volk (2018)

abholschein (2007)

Splatter (2019; Fußnote 2008)

(3) Heimische Investoren und Immo-Entwickler

die gedichte müssen kommen (2017)

letzte heidelbeere (2012)

täglich schlafen gehen (2011, 2012)

heimische investoren & immo-entwickler (2016)

Ein Cornflake lang (2009, 2018, 2019)

tasse ist hungrig, teller hat durst (2006)

Ich spreche Deutschland (2010)

»systematisch«(2009)

Neun Beobachtungen (2011, 2013, 2015, 2016)

wieso ich lieber lyrik als romane schreibe (2013)

in finsteren zeiten (2018)

hol bitte die autoreifen aus meinem kellerabteil (2017)

(4) Ich möchte niemals sterben, Gott behüte

der jambus (2013)

Protokoll eines Traums (2016)

schwarzfahr- und abneigungsblues (2015, 2019)

tsunami (2007, 2018)

Pfau der Pfaue (2018)

an der mauer (2005)

gingko biloba (2018)

Das elende wollende Möchten (2018)

kein wunder, dass mich daheim so friert (2004)

Sonett mit Zusatz (2018)

Auf der falschen Seite von Ikebukuro (2003, 2004)

die tage werden kürzer (2005)

Die Milch wird kalt im Kühlschrank (2004)

Zwillingsschwester (2018)

Was ich noch über Österreich und mich sagen wollte (2019)

Kafkas Callshop (2018)

Reise durch das Innere beim Einschlafen (2017)

(5) Das Mondkalb singt diesen traurigen Song

Scharpenack (2009)

egbert legensteiner ging um mitternacht (2019)

Alleiner Kaiser (2006)

cenavirk ave (2016)

Der Heimlich-Griff (2016)

Die Schreckenstätter-Brüder (2018)

weißes gold (2015)

east village (2018)

Mensch Müsli (2016)

Lachsalvendaisy (2017)

ringelnatz und morgenstern (2007, 2019)

palmström traf malmström (2018)

emco der preusse und leihbischof faun (2016)

frau schauer (2011)

High Noon Anna (2009, 2019)

der geflügelreferent (2002)

(6) Unterwegs zu sein reduziert das Risiko, keinen Lebenslauf zu haben

meine visitenkarte (2013, 2018)

Die Blumen wackeln (2006)

f-gates, schwechat (2014)

Sudoku in Warschau (2013)

london paris berlin (2010)

cable car gibraltar (2016)

ich würde gerne jemanden erschießen (2010)

Ovid im Exil (2017)

förderband hauptgewinn (2013)

5 cwmdonkin drive (2009)

nach charlie hebdo (2015)

Vier Sonnenfinsternisse meines Lebens (2017)

was du dir ersparst (2015)

Unterwegs sein (2017)

Inder verkaufen Bälle (2013)

Er hat gebrüllt (2017)

gruppenfoto dominica (2008)

Die Rückstände der Tacos (2017)

gefühle sind wie umsatzsteuer (2018)

Erste Windsurf-Stunde (2018)

schwingtüren backpacker hotel (2006)

Dekel Beach (2019)

(7) Die tiefsten Enttäuschungen sind mir zu heavy, zu arg

einfach bescheid (2011)

facebook gedichte, google tänze und whatsapp oden (2010, 2013)

Kein Blatt Papier (2016)

Zwei Croissants (2019)

rakete (2016)

der war serbisch (2012)

promilletheorie (2017)

sie schneiden die straße (2014)

Lidl-Sandler (2012)

Türkischer Frisör (2013)

Dichter sein (2018; Florbela Espanca, »Ser poeta«, Original publiziert 1931)

Lügen (2018; Florbela Espanca, »Mentiras«, Original publiziert 1931)

der sack kondome (2015)

(8) Letzte Lockerung

gondoliere (2018)

Hass auf die Katze der Zentrumspartei (2006, 2017)

jandlversuch (2017)

landesfeuerwehrkommando salzburg (2002, 2018)

4 SMS an die Spielerfreundin nach dem 0:5 in Rom (2015)

versuch, ob eine mail-botschaft im spam landet (2015)

Danke Internet (2018)

Für dich (2003, 2018)

Mülltonnen des Hasses (2002)

Alleinsein (2018)

weihnachtslied für hund und bürgermeister (1994, 2002)

zahnseidenpoesie (2012)

rösser oder ratten (2003, 2014)

wer ich in wirklichkeit bin (2006)

vittorio brambilla 1937-2001 (2003)

daniela sagt (2005)

hotel safety (2016, 2019)

die positive poetry slammerin namens ich (2019)

Lexikon für Reime, Wein und Sex (2019)

(9) Wieso ein Tierarzt selbstverständlich ein Tier sein muss

Dä Dä Dä Dä Dä (2012)

kann ich ein glas wasser? (2017)

Amelia Earhart Pancake (2016)

mehr meine wohnung als deine (2016)

Bei der Betrachtung des Flecks an der Decke (2019)

was ist eigentlich ein videorekorder (2017)

bevor die kinder erwachen (2017)

ich frage das kind, ob ihm kalt ist (2016)

torstraße, berlin mitte (2016)

Zehnter Geburtstag (2019)

Was neu ist (2013)

endlich heut ein gedicht geschrieben (2011)

(1) Kein Roman vom armen M. A.

ich wollte nie eine kneipe eröffnen

ich wollte nie eine kneipe eröffnen

kein restaurant kein lokal keine disko

keinen fahrradverleih an der kurischen nehrung

keinen waschsalon am prenzlauer berg.

kein riesenrad aus der arabischen wüste stampfen

keine sprungschanze in die alpen oder anden platzieren

ich wollte nie würstchen verkaufen in westafrika

keinen eiswagen durch den sommer bielefelds schieben.

ich wollte niemals ein kultcafé betreiben

keinen swinger-club in der innenstadt

möchte kein boutiquehotel auf den malediven führen

kein guesthouse auf trinidad und tobago, please.

nur eine lesung in hallein, straßwalchen, mattighofen,

hall in tirol, klagenfurt, beim alex in linz,

im bierstindl, in kremsmünster, mistelbach, scheibbs,

beim neumann, in kapfenberg, im literaturhaus salzburg

und mattersburg (wann laden die mich endlich ein)

in amstetten, saalfelden, in rauris eine lesung

in haugsdorf, schwaz, in krems und in tulln,

wollte immer dorthin und will, wenns mich wolln.

ottakring, 7. 1. 11

diese nacht, in der das daylight saving endet

hotel-klobrille: evtl genmanipuliert aufgequollene

tropfen, oder halt die rostige pisse eines vorgängers

alcatraz blickt hinter schokoladentafelhohen türmen hervor

eine sirene schlägt an, unglaubwürdig amerikanisch

ich frage mich, ob meine beiden mobilen geräte

die zeitzone fühlen, und ob sie unter zwei jetlagen leiden

möwen schlucken idylle, speichel und sourdough-brot

vom fenster aus beobachte ich eine robbe im wasser

die robbe wirkt krank, derartig müde, ich fasse zutrauen

sie entpuppt sich als längliche, graue plastikplane

gerade noch sonne, inzwischen knattern feuchte fahnen

durch den abend, durch die nacht, in der das daylight saving endet

ich maile mit einem müller, eigentlich unfassbarer name,

die ersten zwei silben von müllabfuhr, und plötzlich

scheint mir so ungewiss, unvorstellbar

dass mein vorname martin lauten soll

san francisco, 6. 11. 10

Kein Roman vom armen M. A.

Vergnügt euch bitte mit ein paar Gedanken an den M. A.,

der aufwuchs auf dem feuchten Waldabhang unter dem Bollwerk.

Ein Regenvorhang senkte sich aus tiefliegenden Wolken.

50 Groschen kostete (Konditorei Klug) ein Stollwerk.

Der Klug hatte im Sommer Kugeln aus Erdbeer, Zitrone

und für die Cremeeis-Schwächlinge Schokolade, Vanille.

Einmal sah ich über den Krauthügel ein Ziesel rennen.

Mein Vater trug trotz Kurzsicht nie (er hasste sowas) Brille.

Kurzsicht tat ich ihm später nach. Laut ihm war alles

ohnedies sinnlos. Ein Atomkrieg würde uns vernichten.

Die Kultur sei am Ende, dunkle Zeiten stünden bevor.

Dafür am Ungeeignetsten? Schriftsteller mit Geschichten

oder mit Lyrik. Ein derart sterbendes Fach!

Die übrigen Berufe? Verkommen, hoffnungslos.

Die Mehrheit der Tätigkeiten kunstlos getarnte Verbrechen.

Arzt? Mörder, Halsabschneider. Meist ahnungslos.

Beamten? Dumm und dümmer. Am dümmsten Lehrer.

Techniker? Bauten Bomben. Juristen? Verdrehten.

Butter und Milch ohnehin ein Abklatsch von früher.

Wein schmeckte sauer. Fisch bestand aus Gräten.

An manchen Tagen war er amüsant. Er zauberte.

Auf Autodächern stand er Kopf, nicht auf den Füßen.

An andern Tagen starrte er durchs Fenster, in die Sonne:

»Ein schöner, wolkenloser Tag. Das wer’ma büßen.«

Das Ärgste waren Kaufleute, Geschäftemacher.

Bardamen ließ er gelten, denn sie verabreichten Wein.

Für minderwertig hielt er Journalisten.

Drum wollte ich eines Tags einer sein.

Die große, die anachronistische Form, die sollte

laut meinem Vater niemand schreiben, da sie keiner kann.

Er hatte Sympathie für alle Texte, alle Formen,

für alle (sogar Novelle), sieht man ab vom Roman.

Während seiner Krankheit kam ich 66 Mal vorbei.

Sah, wie er Pudding aß. Er wurde süßer mit den Jahren.

War wunderlich, lachte und redete vor sich hin.

Halluzinationen, seine beängstigenden Barbaren.