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Frederik Hetmann

WOHIN DER WIND WEHT

Geschichten aus der Neuen Welt von Boston bis New Orleans

Mit Bildern von Günther Stiller

 

FUEGO

- Über dieses Buch -

 

Handfest, kauzig, schillernd, herzhaft, ursprünglich, umwerfend, versponnen, fantastisch, abenteuerlich sind diese Geschichten, Sagen, Märchen, Lieder und Anekdoten aus den Anfängen der amerikanischen Folklore. Aus allen Ecken der Alten Welt brachten die Einwanderer ihr Volksgut mit: englisches und französisches vermischte sich mit indianischem, ebenso holländisches, deutsches, irisches, norwegisches. Am Lagerfeuer, in den Hütten, auf langen Ritten durch neues Land wurden Geschichten erzählt, prahlte jemand mit seinen Taten, sang jemand ein Lied. Nur die eindruckvollsten Geschichten überlebten. Denn Bücher und Zeitungen gab es damals kaum im noch dünn besiedelten Osten und Süden. Erst später wurde aufgeschrieben, was von Interesse war. Daraus entstand die amerikanische Folklore, später der Blues, die Rockmusik, die Geschichten für Hollywood und vieles als Quelle der heutigen, amerikanische Popularkultur.

Frederik Hetman hat sich in fünfzehnjähriger Arbeit zu diesen Quellen vorgearbeitet. Er hat in Staatsbibliotheken und tief in der Provinz gesucht, hat aus Büchern herausgepickt, von Kalenderblättern, Postillen, Zeitungen abgeschrieben, fotokopiert, notiert, auf Tonband festgehalten, gesammelt, archiviert, gegliedert und übersetzt, um dieses zweibändige Werk vorlegen zu können. So reihen sich Geschichten, Schwänke, Sagen, Lieder, Märchen und Anekdoten von Yankees, Hinterwäldlern, Sklaven, Abenteurern, Indianern und Piraten aneinander und formen sich, ausgestattet mit Illustrationen des bekannten Buchkünstlers Günther Stiller, beim Lesen und Betrachten neu zu einer Landkarte der Fantasie der alten Neuen Welt.

 

 

Für Nor in Liebe

nach fünfzehn Jahren

abermals

Carl Sandburg – The People, Yes

 

Do tell!

I want to know!

You don't say so!

For the land's sake!

Gosh, all fish hooks!

Tell me some more.

I don't believe a word you say, but I love to listen …

 

Nun erzähle!

Ich will es wissen!

Was du nicht sagst!

Um des Landes Willen.

Herrje, all die alten Fischköder!

Erzähl mir noch weiter.

Ich glaube kein Wort von dem, was du sagst,

aber ich höre so gerne zu …

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Vorstrophe: Der Osten

»Ein Yankee wurde einmal gefragt, was er als die Grenzen der Vereinigten Staaten ansehe. ›Die Grenzen unseres Landes, Herr?‹, meinte er, ›nun, Herr, im Norden ist es das Nordlicht, im Osten ist es die aufgehende Sonne, im Süden ist es die Prozession der Wirbelstürme, und im Westen ist es der Tag des Jüngsten Gerichts‹.« (Folklore aus dem Osten)

Was ich mir vorstelle, ist dies: einen Flickenteppich aus Geschichten zu nähen, und schließlich wird daraus eine Landkarte der Phantasie.

Der Osten, das war und das ist das Land der Yankees. Jankins nannten die frühen holländischen Kolonisten an der Mündung des Hudson ihre englischen Nachbarn weiter oben im Norden.

Die Puritaner, die aus der Alten Welt nach Neu-England gekommen waren, griffen diesen Namen auf. Er wurde gewissermaßen zu einer Handelsmarke. Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg breitete sich dieser Name aus. Güter trugen ihn in alle Gegenden der Nation und in die weite Welt. 1825 drangen ganze Wellen auswandernder Yankees über den Erie-Barge-Kanal quer durch den nördlichen Teil des Staates New York in den Mittelwesten vor.

Mit dem Yankee-Pioneer, dem Yankee-Händler wanderten die Lebensgewohnheiten, die Sitten, die Wertmaßstäbe der Yankees … und ihre Geschichten und Lieder.

Die Yankee-Geschichtenerzähler ließen keinen Zweifel daran, dass sie einem schlauen, hart arbeitenden, zähen, gottesfürchtigen Menschenschlag angehörten. Ein echter scharfer Yankee nahm es mit dem Teufel selbst auf.

Das galt natürlich auch im übertragenen Sinn: keine Strapaze, keine Anstrengung, kein Abenteuer, dem ein Yankee nicht gewachsen gewesen wäre. Wer die Überfahrt aus der Alten in die Neue Welt heil überstanden hatte, wer in den ersten Wintern in den Kolonien nicht vor Hunger oder Erschöpfung gestorben war, der hatte eine Wasser- und Feuerprobe hinter sich, war nicht mehr so leicht unterzukriegen, hatte seinen Einfallsreichtum erwiesen und ein ausgeprägtes Selbstgefühl entwickelt. Er war zu einem Yankee geworden.

Und diese Männer und Frauen waren sehr unterschiedlicher nationaler Herkunft: Sie waren Bergleute aus Schottland und Wales, Deutsche aus der Pfalz und aus Hessen, irische Arbeiter, die den Eriekanal gebaut hatten und nun die Schienenstränge weiter nach Westen verlegten, es waren Frankokanadier, die in den Holzfällerlagern in den großen Wäldern an der Nordgrenze Neu-Englands arbeiteten, Seeleute aus Massachusetts, die mit den Klipperschiffen bis nach China gekommen waren oder auf einem Walfänger bis ins ewige Eis der Antarktis oder auf eine Südseeinsel.

Natürlich waren das Abenteuer der Überfahrt und die Naturwunder der Neuen Welt erster Anstoß zum Geschichtenerzählen. Aber bald stellte sich heraus: Geister, Gespenster, Dämonen, Teufel und Hexen – man könnte auch sagen: Schuldgefühle, Ängste, Todesfurcht, Neid und Herrschsucht – waren mit über das Meer gefahren.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts rief der puritanische Pfarrer und Geschichtsschreiber Cotton Mather in Neu-England aus: »Gehet hin und verkündet der Menschheit, dass da sind Teufel und Hexen.« Mit der Vorstellung, dass die Mächte des Bösen den Menschen ständig umschleichen und belauern, versuchen und verlocken, erzählten die Puritaner Neu-Englands ihre Geschichten.

Aber hie und da kam es auch vor, dass einer der frühen Kolonisten eine Geschichte der Indianer hörte und verstand. Hie und da wurde jenes seltsame Gefühl, aus Zeit und Raum gefallen zu sein, zum Gegenstand einer eigenen, einer amerikanischen Geschichte.

Und die Geschichte der Neuen Welt selbst begann nun, Vorlagen für Sagen und Legenden zu liefern: die Indianerkriege, Kriege zwischen Engländern und Franzosen, die Seeräuber vor den Küsten, was auf der Jagd geschah, wie es hinter dem nächsten Wald, dem nächsten hohen Berg aussah, Gedanken darüber, was das Recht jedes Menschen sei.

Die Yankees erzählten nüchtern, mit einem trockenen Humor. Sie waren aus auf Tatsachen. Für die lyrische Nuance, für ausschweifende Phantasie hatten sie wenig Sinn. Das tägliche Leben mit seinen Abenteuern und Anstrengungen war phantastisch genug. Was sie besonders gern hörten, waren Berichte von schweren Reisen, von harter Arbeit, mit der man endlich doch fertig geworden war. »So ist es tatsächlich gewesen« oder »dieses Lied ist gediegen wie Stahl«: das waren Komplimente, die man einer guten Geschichte, einer guten Ballade machte. Klar, deutlich, ohne zu stocken, ohne Schnörkel, so sollte eine Geschichte vorangehen.

Die Yankees brachten in die amerikanische Folklore die realistische Tradition ein. Der arbeitende Mensch war der Held dieser Geschichten. Sarkasmus ist die Tonart der Yankees. »Wenn sie die Wahl hatten«, schreibt Josh Billings, »dann zogen sie immer noch Terpentin dem Kölnisch Wasser vor.« Bezeichnend ist hier die Geschichte vom Captain Plowjigger aus Maine. Der alte Seebär hatte gerade seine vierte Frau zu Grabe tragen müssen, als ein Freund, der vom Hinscheiden der vierten noch nichts gehört hatte, sich bei ihm erkundigte, wie es denn seiner Frau gehe. »Nun«, sagte der Kapitän ungerührt, »im Augenblick sind mir die Frauen gewissermaßen ausgegangen.«

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Der Anfang der Welt

Eine Geschichte der Huronen und Irokesen

Diese Schöpfungsgeschichte der Indianer wurde 1874 nördlich des Erie-Sees von einem Unterhäuptling der Huronen, der zu dieser Zeit etwa fünfundsiebzig Jahre alt war, erzählt. Sie stellt wahrscheinlich die Niederschrift des ältesten Schöpfungsberichts von nordamerikanischen Indianern überhaupt dar.

Da der Erzähler die Geschichte selbst schon von den Alten seines Stammes in seiner Jugend gehört hatte, wird sie in dieser oder ähnlicher Form schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts, vielleicht sogar noch früher bei den Indianern erzählt worden sein.

Auf jeden Fall waren dies Zeiten, als die Zivilisation der Weißen die Sitten und Gebräuche und die Vorstellungen der Wendat noch nicht beeinflusst hatte. Wendat ist der indianische Name dieses Stammes, Huronen der Spitzname, den diese Indianer von den Franzosen erhielten. Im Englischen wurde aus dem indianischen Stammesnamen die Bezeichnung »Wyandot«.

Im Anfang war nichts als Wasser, nichts als eine weite, weite See. Die einzigen Wesen, die es damals schon auf der Welt gab, waren die Tiere. Sie lebten in oder auf dem Wasser.

Dann fiel eine Frau vom Himmel, eine heilige Person. Zwei Tauchervögel flogen über das Wasser hin, sahen sich um und bemerkten, wie sie herabfiel. Rasch schoben sie sich unter sie und bildeten mit ihren Leibern ein Kissen, auf dem sie ruhte. So retteten sie sie vor dem Ertrinken. Während sie sie so in der Schwebe hielten, riefen sie mit lauter Stimme die anderen Tiere um Hilfe. Nun kann man den Ruf der Taucher auf dem Wasser weithin hören, und so kamen die anderen Geschöpfe rasch herbei.

Als die Große Schildkröte hörte, was geschehen war, trat sie in der Ratsversammlung vor und sagte:

»Überlasst die Frau nur mir. Legt sie auf meinen Rücken. Mein Rücken ist breit.«

So wurden die Taucher ihre Last los.

Dann berieten die Tiere, was geschehen solle, um das Leben der Frau zu retten. Um zu leben, brauche sie eine Erde, meinten sie.

Die Große Schildkröte hieß die anderen Tiere eines nach dem anderen auf den Meeresboden hinabtauchen und etwas Erde heraufholen. Der Biber, die Bisamratte, die Wasservögel – sie alle halfen mit. Einige von ihnen blieben so lange unten, dass die anderen schon fürchteten, sie seien ertrunken.

Die Große Schildkröte sah allen ins Maul und konnte bei keinem auch nur eine Spur Erde finden. Zum Schluss tauchte die Kröte.

Nach langer Zeit und erschöpft vom langen Tauchen kam sie schließlich wieder herauf. In ihrem Maul nun fand die Große Schildkröte etwas Erde, und sie gab diese Erde der Frau.

Die Frau nahm sie und streute sie vorsichtig rings um den Panzer der Großen Schildkröte. So entstand das trockene Land. Nach allen Seiten hin wurde das Land größer und größer, und schließlich begannen auf dem Land auch Bäume und Pflanzen zu wachsen. All dies trug die Große Schildkröte auf ihrem Rücken, und so ist es auch noch heute.

Nach einiger Zeit brachte die Frau Zwillinge zur Welt. Die beiden Kinder waren sehr verschieden. Noch ehe sie geboren wurden, schlugen und stritten sie sich im Leib der Mutter. Die Mutter hörte den einen sagen, ihm sei es recht, wenn er auf die normale Art und Weise zur Welt komme, und so geschah es. Der andere aber brach aus der Seite der Frau hervor und tötete seine Mutter dabei.

Die Frau wurde in der Erde begraben, und aus ihrem Körper wuchsen Pflanzen, jene Pflanzen, die die Menschen auf der neu erschaffenen Erde zu ihrem Lebensunterhalt brauchen würden.

Aus dem Kopf der Frau wuchs eine Kürbisranke, aus ihren Brüsten der Mais und aus ihren Armen und Beinen die Bohne.

Die Zwillinge waren nicht etwa Menschen. Sie waren übernatürliche Wesen. Ihnen war aufgetragen, die Erde als Heimat der Menschen vorzubereiten.

Als sie aufwuchsen, stellte sich heraus, dass sie in allem sehr verschieden waren. Als sie nun merkten, dass sie zusammen nicht leben konnten, gingen sie ihrer Wege, und jeder von ihnen nahm einen Teil des Landes. Zuerst schufen sie die verschiedenen Arten von Tieren.

Der Böse Bruder, dessen Name soviel wie »Feuerstein« bedeutet, schuf die wilden Tiere, die die Menschen in Schrecken versetzen und sie verschlingen. Er schuf die Schlangen, die Panther, die Wölfe, die Bären und Moskitos, die so groß waren wie heutzutage die Truthühner. Und er schuf auch eine riesige Kröte, die alles Wasser auf der Erde aufleckte.

Der Gute Bruder schuf die nützlichen Tiere – den Hund, das Reh, den Elch, den Büffel und viele Vögel, darunter auch das Rebhuhn. Sehr zum Erstaunen des Guten Bruders flatterte das Rebhuhn auf und flog in das Land des Bösen. »Wo willst du denn hin?« fragte der Gute Bruder.

»Ich schaue mich nach Wasser um«, antwortete das Rebhuhn. »Im Land des Feuersteins soll es welches geben.«

Der Gute Bruder folgte dem Rebhuhn und erreichte bald das Land des Bösen. Hier stieß er auf die riesigen Schlangen, die wilden Tiere und die gewaltigen Insekten, die sein Bruder geschaffen hatte. Der Gute überwand sie. Er vermochte sie nicht zu vernichten, aber er machte sie kleiner, weniger wild, so dass die Menschen ihrer Herr werden konnten.

Dann kam er zu der riesigen Kröte. Er schnitt ihr den Bauch auf und ließ das Wasser auf das Land laufen. So bildeten sich die Flüsse.

Der Gute schlug vor, jeder Fluss solle zwei Strömungen haben, die eine flussauf, die andere flussab, damit die Menschen auch stromaufwärts fahren könnten. »Das ist nicht so gut für die Menschen«, sagte der Böse Bruder, »es wird ihnen nichts schaden, wenn sie sich etwas anstrengen müssen.«

Also machte er, dass die Flüsse nur in einer Richtung fließen. Und um das Paddeln in einem Kanu noch gefährlicher zu machen, schuf er die Wasserfälle und die Strudel.

In einem Traum erschien dem Guten der Geist seiner Mutter und warnte ihn vor dem Bösen.

Als die Zwillinge feststellten, dass sie sich wieder einmal nicht einigen konnten, beschlossen sie, ein Duell auszutragen. Der Sieger sollte der Herr der Welt sein. Sie kamen auch überein, dass jeder die Waffe bestimmen solle, die ihm selbst den Tod bringe.

»Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Gute Bruder, »wenn man mich mit einem Sack Bohnen oder Mais schlägt.«

»Ich kann nur vernichtet werden«, sagte der Böse, »wenn man mich mit dem Geweih eines Rehbocks oder dem Horn eines anderen Tieres tötet.«

Dann bestimmten sie einen Kampfplatz, und der Böse begann den Kampf. Er schlug auf den Bruder mit einem Sack Bohnen ein, jagte ihn umher, bis er endlich leblos zu Boden sank. Aber der Geist der Mutter hauchte ihm wieder Leben ein, und er gewann seine alte Stärke wieder.

Dann griff der Gute nach dem Rehbockgeweih, verfolgte seinen Bruder und tötete ihn.

Nach seinem Tod erschien der Böse seinem Bruder und sprach:

»Ich gehe jetzt weit in den Westen. Hernach werden alle Menschen nach ihrem Tod in den Westen gehen.« Und bis die christlichen Missionare kamen, flogen die Geister der toten Indianer in den fernen Westen und lebten dort.

Die Tuscaroras, einer der sechs Stämme aus der irokesischen Liga der Nationen, kennen eine interessante Erweiterung zu dieser Schöpfungsgeschichte, die unter den Indianern der Irokesenfamilie verbreitet ist. Die Tuscaroras lebten an den Ufern des Roanoke-River in North Carolina im Südosten der heutigen Vereinigten Staaten, als die ersten Kolonisten in diese Gegend kamen.

Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1783) schickte man diesen und andere irokesische Stämme, die zu den Engländern gehalten hatten, in eine Reservation am Grand-River in Ontario. Nach ihrer eigenen Überlieferung aber haben die Tuscaroras Jahrhunderte zuvor am St.-Lorenz-Strom gelebt, der in ihrer Sprache »Kanawage« heißt.

Nach der Erschaffung der Welt, der Pflanzen und der Tiere beschloss der Himmelshalter, Menschen zu schaffen, damit sie auf Erden leben und sich der Dinge erfreuen sollten, die er geschaffen hatte. Die Menschen sollten stärker, tapferer und schöner sein als alles, was er zuvor gemacht hatte.

Also brachte der Himmelshalter von der Großen Insel, wo sie sich von Maulwürfen ernährt hatten, sechs Paare mit. Und sie waren die Vorfahren aller Menschen. Das erste Paar blieb an einem großen Fluss. Seine Kinder und Kindeskinder wurden bekannt unter dem Namen Mohawks.

Das zweite Paar sollte neben einem großen Stein wohnen. Ihre Nachkommen waren die Oneidas. Das Wort Oneida bedeutet »aufrechter Stein«.

Das dritte Paar nahm seine Wohnung im Gebirge und hieß Onondaga, von ihm stammen die Onondagas ab.

Das vierte Paar wurde angewiesen, neben jenem See zu wohnen, aus dessen Wasser ein Gebirge aufsteigt. Ihr Familienname lautete »eine große Pfeife«. Später wurden sie als die Cayugas bekannt.

Das nächste Paar zog in die Nähe eines Hügels an einem anderen See. Sein indianischer Name besagte so viel wie: Jene, die die Tür besitzen. Das waren die Senecas.

Das sechste Paar schließlich waren die Vorfahren der Tuscaroras. Sie wurden vom Himmelshalter weiter nach Süden geführt, gegen den Mittagsstand der Sonne hin, bis sie an das Ufer eines großen Wassers kamen, an eine Flussmündung. Dort hieß sie der Himmelshalter sich niederlassen. Er blieb eine Weile bei ihnen. Er zeigte ihnen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. Er lehrte sie nützliche Fertigkeiten und Künste. Und darum sind die Tuscaroras die Auserwählten des Himmelshalters.

Die Onondagas meinten, sie seien das auserwählte Volk, weil ihnen das Ratsfeuer anvertraut worden war.

Jeder der vier anderen Nationen aber hatte auch einen Grund, sich für den Stamm zu halten, den der Himmelshalter besonders liebte.

Als die sechs Paare noch auf der Großen Insel lebten, redeten alle eine Sprache. Später, als sie sich trennten und diese oder jene Gegend ihre Heimat wurde, änderte jede Nation die irokesische Sprache ein wenig ab. Aber die Veränderungen waren nicht allzu groß, immer noch konnten Menschen aus den verschiedenen Nationen einander verstehen.

Jahre später, als die Nachfahren der sechs Paare verstreut wurden, gab es in der Gegend, in der einige von ihnen lebten, viele Bären. Also nannten diese sich »Bärenklan«. In der Heimat anderer gab es viele Biber, und diese Menschen nannten sich Angehörige des Biberklans. Nur die Geschichte des Schildkrötenklans ist nicht ganz so einfach.

Während eines besonders heißen Sommers trocknete der Teich, in dem die Schildkröten lebten, aus. Also mussten sich die Tiere nach einer neuen Heimat umsehen. Eine der Schildkröten, ein fettes Tier, war einen so weiten Weg nicht gewohnt. Um sich Erleichterung zu verschaffen, warf sie den Panzer ab. Mit der Zeit änderte sich ihr Aussehen, mehr und noch mehr, bis endlich aus der fetten, faulen Schildkröte ein Mensch geworden war, der Vorfahr des Schildkrötenklans.

Eine Reise nach Virginia im Jahre 1649

Viele jener Menschen, die in die Neue Welt fuhren, flohen vor der Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen. Insofern ist die Ausgangssituation bei Henry Norwood, dem Autor der folgenden Aufzeichnung, eigentlich beispielhaft für viele andere mehr, die Europa verließen und nach Amerika gingen. Norwood war überzeugter Royalist und unterstützte während des Bürgerkrieges in England zwischen dem König und der Parlamentspartei Charles I. Als der König besiegt wurde, ging Norwood in die Neue Welt. Später kehrte er nach England zurück und beteiligte sich dort an einer Verschwörung, die das Ziel hatte, den Sohn Charles I. auf den englischen Thron zu bringen. Das Unternehmen schlug fehl, und Norwood verbrachte die Jahre zwischen 1655 und 1659 als Staatsgefangener im Tower zu London. Mit der Wiederaufrichtung des Königtums durch Charles II. wendete sich für Norwood das Blatt. Für den Rest seines Lebens hatte er ausgesorgt.

 

Im August Anno 1649 traf ich mich mit zwei Kameraden, Major Francis Morrison und Major Richard Fox, in London, und wir überlegten uns, ob wir nicht nach Virginia reisen und dort unser Glück versuchen sollten.

In unseren Plänen wurden wir durch die Veränderungen, die im Staate vor sich gingen, nur noch bestärkt. Es wurde immer schlimmer. Waren wir schon über das ganz verzweifelt gewesen, was man der Person unseres Königs auf der Isle of Wight angetan hatte, so überkam uns nach der Nachricht von seiner Hinrichtung im Palast von Whitehall Angst und Schrecken …

Die traurigen Umstände entmutigten die Anhänger der Royalisten, die entschlossen gewesen waren, den Prinzipien, für die sie gekämpft hatten, treu zu bleiben, so sehr, dass eine beträchtliche Anzahl von Adligen, Geistlichen und Landadligen beschlossen, ihr Heimatland zu verlassen.

Es wollte ihnen vorkommen, als werde es ihnen überall sonst besser gehen als in England.

Doch nun zu meiner Geschichte:

Am 1. September Anno 1649 machten wir in der Königlichen Börse die Bekanntschaft von Kapitän John Locker, dessen Plakat an einem der Pfosten uns aufgefallen war. Er war Herr über ein gutes Schiff – dass es zu Unrecht so genannt wurde, stellte sich erst später heraus – die Virginia Merchant, die 300 Tonnen Fracht laden konnte und mit mehr als 30 Kanonen bestückt war. Es dauerte nicht lange, da waren wir uns mit dem Kapitän darüber handelseinig, dass er gegen die Zahlung von 6 Pfund pro Kopf uns und unsere Diener zur Mündung des James-River (in Virginia) bringen werde. Für unser Gepäck zahlten wir die übliche Rate.

Am 15. September sollten wir uns in Garvesend an Bord einfinden, wo der Kapitän mit den Kaufleuten abrechnete und wir auch unsere Passage bezahlen sollten. Nachdem das geschehen war, blieben wir aber nicht auf dem Schiff, sondern nahmen die Post bis Downs, wo wir mit einiger Ungeduld auf sein Kommen warteten. Endlich, am 16. dieses Monats, sahen wir die ganze Flotte unter Segel bei Südwestwind kommen. Aber dann ankerten die Schiffe wieder. Wir kamen und kamen nicht fort. Wir hatten schon fast all unser Geld ausgegeben.

Am 23. September schlug der Wind um und blies nun aus Osten. Durch Signale und Schüsse gab man uns zu verstehen, wir sollten an Bord kommen.

Die frische Brise hielt für drei Tage an, und wir fuhren durch den Kanal.

Nach diesem günstigen Anfang segelten wir für ungefähr zwanzig Tage mit dem Ziel, die Inseln im Westen (Madeira) zu erreichen. Um diese Zeit begann der Küfer zu klagen, die Wasservorräte gingen zur Neige. Wir hatten gerade noch so viel, um unsere große Familie – es waren an die 330 Seelen an Bord – für einen Monat zu versorgen.

dass das Wasser so rasch knapp wurde, machte unserem Kapitän Kummer, und er beriet sich mit den Offizieren, was dagegen zu unternehmen sei.

Wir befanden uns nun – nach Aussagen aller, die etwas davon verstanden, – sehr nahe der westlichen Inseln. Funchal würde wahrscheinlich als erstes in Sicht kommen, und der Kapitän beschloss, dort anzulegen, um unsere Wasservorräte zu ergänzen, zumal es dort einen für diesen Zweck gut geeigneten Hafen gab. Dies war eine gute Nachricht für die Passagiere, die sich immer freuen, wenn Land in Sicht kommt.

Bei Tagesanbruch des 14. Oktober zeigte sich uns die Bergspitze dieser Insel, der höchste ins Auge fallende Punkt unter den Landmarken, die ich je Matrosen habe erwähnen hören, vielleicht mit Ausnahme von Teneriffa.

Wir hielten direkt auf den Hafen zu und orientierten uns an dem Berg, der sich ungefähr eine Meile östlich der Stadt erhebt.

Wir grüßten zum schloss, und man antwortete uns, und Kapitän John Tatam, unser Landsmann, tat desgleichen an Bord seines guten Schiffes John. Er war eben aus Brasilien zurückgekehrt, stand im Dienst des Königs von Portugal und fuhr mit reicher Fracht nach Portugal zurück. Auf seinem Schiff befand sich als Passagier auch eine vornehme Dame.

Die englischen Kaufleute aus der Stadt kamen bald an Bord unseres Schiffes und hießen uns freundlich willkommen. Sie schenkten uns Früchte und Fleisch. Der Kapitän unseres Schiffes nahm an dem Essen teil, außerdem Kapitän Tatam, der dann so freundlich war, uns für den folgenden Tag auf sein Schiff zum Dinner zu bitten. Nach diesem Essen gingen wir in einen Obstgarten und pflückten uns Pfirsiche. Ich nahm doppelt soviel wie die anderen und kam im Verlauf der Nacht noch einmal dorthin zurück, so groß war mein Appetit auf diese Früchte.

Am nächsten Morgen besichtigten wir die Insel und fanden das schloss wohl befestigt, besonders auf der dem Meer zugewandten Seite. Der Gouverneur war äußerst entgegenkommend und erklärte, er habe kürzlich von Ihrer Majestät, dem König von Portugal, Befehl erhalten, alle Schiffe, die dem König von England gehörten, und Schiffsbesatzungen, die seiner Sache ergeben seien, mit besonderer Zuvorkommenheit zu behandeln. Wahrlich, wir konnten uns über den Empfang nicht beklagen …

Am 22. Oktober verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern und Funchal. Wir hatten einen Vorrat an schwarzen Schweinen für Frischfleisch und viele Pfirsiche mitgenommen. Wir fuhren aus bei östlichem Wind, der uns bald in eine Passatströmung brachte, in der wir fünfzig bis sechzig Meilen in 24 Stunden zurücklegten, bis wir auf der Höhe der Bermudas waren. Es ist eine allgemeine Feststellung unter Seeleuten, dass die See in diesen Breiten rau geht und stürmisches Wetter herrscht.

Es war mein Glück, dass ich mich immer neugierig umschaue. Der wachhabende Offizier zeigte mir, dass an einer bestimmten Stelle so etwas wie eine Fontäne höher als gewöhnlich aus den Gedärmen der See hervorzubrechen schien, und zwar mit einer Kraft und einer Gewalt, die unser Schiff ohne weiteres aus dem ihm angemessenen Element in die Luft schleudern und es Purzelbäume hätte machen lassen können. Durch Gottes Vorsehung entgingen wir dieser Gefahr.

Der Anblick der Insel war uns allen willkommen. Die Seeleute berechneten daraus unsere Entfernung von Kap Hatteras, und die Passagiere waren erleichtert, dass sie nun bald an Land kommen würden.

Der Wind hielt an bis zum 8. November. Dann merkten wir, wie sich das Wasser veränderte, und als wir das Blei auswarfen, zeigte das Lot 35 Faden. Eine frohe Nachricht, denn an allen Dingen, deren es zum täglichen Leben bedarf, herrschte schon Mangel.

In der Nacht hielt ich es nicht mehr in meiner Behausung aus. Also besuchte ich Maat Putts auf Wache. Ich wollte ihm Brandy einschenken, aber er weigerte sich, etwas zu trinken, sofern ich nicht auch Tabak für ihn hätte, was nicht der Fall war. Er sagte, es gehe gegen Tagesanbruch und er wolle nachsehen, welche Veränderung im Wasser zu bemerken sei.

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Kaum war er auf dem Deck, als er unter Stampfen und Lärmen seinen Kameraden zurief:

»Alle Mann nach oben. Brecher! Brecher von beiden Seiten!«

Die Matrosen waren nach diesem nach Unglück klingenden Ruf bald alle an Deck, aber statt sich daran zu machen, das Schiff zu sichern, fielen sie auf die Knie und taten so, als habe unweigerlich ihr letztes Stündlein geschlagen. Der Kapitän kam auf den Lärm hin auch, um zu sehen, was da los sei, aber als er sich davon überzeugt hatte, wie es stand, verließ auch ihn der Mut. Maat Putts aber, ein kräftiger Seemann, fasste sich wieder ein Herz.

»Ist denn da niemand, der sich ums Ruder kümmert und ein Segel losschlägt?« rief er.

Aber unter der gesamten Besatzung gab es nur zwei Vormastmänner, Thomas Reasin und John Smith, die – ob ihres Mutes bei verschiedener Gelegenheit – mir mit ihren Namen in Erinnerung bleiben sollten und auch jetzt diesem Befehl gehorchten.

Einer von ihnen kletterte hinauf und löste das Vortoppsegel, der andere stellte sich ans Ruder und korrigierte den Kurs, denn das Schiff stand im Begriff, in einen Brecher hineinzulaufen.

Und obwohl sonst immer während der Reise Klagen zu hören gewesen waren, das Schiff laufe aus dem Ruder, geschah in diesem entscheidenden Augenblick ein Wunder. Die Ruderbewegung machte sich sofort bemerkbar, und wir entkamen dieser Gefahr. Aber das bedeutete nicht, dass wir auch nur einen Augenblick hätten aufatmen können. Denn kaum waren wir den Brechern von Steuerbord entgangen, da kamen sie von Backbord her über das Schiff. Die Mannschaft, angespornt durch den Mut, den Reasin und Smith bewiesen hatten, war unterdessen an der Arbeit, und auf die Ruderbewegungen hin hielt das Schiff wieder aus den Brechern heraus.

Es wurde nun hell und wir sahen, dass unsere Situation kaum hätte gefährlicher sein können. Wir waren von Brechern umgeben, und nirgends zeigte sich so etwas wie eine Durchfahrt, um ihnen aus dem Weg zu gehen.

In dieser traurigen Situation schlug das Schiff auch noch auf Grund.

Kaskaden von Wasser und Sand brachen auf den Hauptanker nieder, so dass jede Hoffnung auf Rettung vergebens schien. Aber die Matrosen, die jetzt alle Beherrschung wiedergefunden hatten, taten alles, um das Fahrzeug wieder flottzumachen.

Tom Reasin steuerte dorthin, wo es am wahrscheinlichsten schien, dass wir wieder freies Wasser erreichen würden. Und nachdem wir auf diesem Kurs noch etwas vorangekommen waren, gab es unter uns, entgegen aller Erwartung, mehr Wasser, als das Schiff brauchte. Als das Lot wieder ausgeworfen wurde, zeigte es uns, dass wir 18 bis 20 Fuß Wassertiefe hatten. Wir hielten uns auf diesem Kurs, und es gelang den Steuermannsmaaten, im Licht des Morgens das Schiff wieder so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass wir dank der wunderbaren Gnade Gottes aus der Brandung bei Kap Hatteras freikamen und das offene Meer erreichten.

Kaum war das geschehen, als die Seeleute einander anschauten und sich wie Fremde die Hände schüttelten oder wie Männer, die, einer anderen Welt entstiegen, nun kaum glauben können, dass sie Wesen von Fleisch und Blut sind. Nachdem sie sich etwas erholt hatten, setzten sie alle verfügbaren Segel, um aufs Meer hinaus- und voranzukommen.

Der Wind kam frisch aus Nordwest, und bald entwickelte sich ein tosender Sturm und trennte uns vom Land mit einer Geschwindigkeit von acht Meilen pro Wache.

Der Kapitän meinte, wir müssten etwas dagegen unternehmen. Er befahl den Offizieren, das Schiff herumzunehmen, alle Segel zu bergen und nur das Besansegel stehenzulassen.

Die sich gebirgsartig auftürmenden Wellen, die der Nordweststurm aufwarf, machten es den Seeleuten unmöglich, das Schiff zu wenden. Wir waren jetzt schon eine beträchtliche Strecke vom Land entfernt und irgend etwas musste geschehen, um zu verhindern, dass wir zu weit hinaus gerieten. Zunächst wurde versucht, das Großsegel zu bergen und den Mast zu entlasten, indem man die Segelbahnen auf dem Schiffsdeck ablegte.

Unsere große Schwierigkeiten bestand darin, mit dem Vorsegel zurechtzukommen, damit das Schiff sicher oder wenigstens mit sowenig Risiko wie möglich Fahrt machte. Alle Hände reichten nicht hin, um das Tuch beizuholen und das Schiff zu wenden.

Von den großen Brechern traf einer zufällig mit solcher Gewalt das Heck, dass wenigstens eine Tonne Wasser sich unter die Persenning entleerte und uns allen, die wir in der Hütte waren, das Schwimmen lehrte. Dabei machte das einbrechende Wasser einen solchen Lärm, als sei eben ein großes Geschütz abgeschossen worden, und jagte uns allen einen solchen Schrecken ein, dass wir uns eine ganze Weile nicht davon erholten. Kaum war dieser Schock überstanden und das Vorsegel unter Kontrolle, da versuchten wir es mit dem Besan.

Ich kann die Unzahl von Tümmlern nicht vergessen, die an diesem Abend um das Schiff herum auftauchten. Selbst alte Seebären zeigten Erstaunen darüber. Die Tiere schienen die gesamte Oberfläche des Meeres, so weit das Auge reichte, zu bedecken. Hätte man wahllos einen Büchsenschuss abgegeben, so hätte man sicher mit jedem Schuss eines der Tiere getroffen. Die Matrosen nahmen das als schlechtes Omen und als Hinweis auf schlechtes Wetter. Da wir uns aber schon in einem Sturm befanden, war wohl das Ereignis dem Omen vorausgeeilt.

Bei tosender See und all der Gischt und weiter zunehmendem Wind kamen die Wachoffiziere häufig ins Rundhaus, um den Kapitän auf das Unglück vorzubereiten, das dieser mächtige Sturm mit sich bringen musste.

Und ihre Befürchtungen erwiesen sich als nur zu begründet, denn in der Stunde zwischen zehn und elf kündigten sich neue Schrecken durch ein fürchterliches Krachen auf Deck an. Alle Männer wurden aufgerufen. Der Vortoppmast war kurz unter der Kappe gebrochen. Das war eine traurige Sache und es bedurfte aller Geschicklichkeit, um da Abhilfe zu schaffen. Man konnte eigentlich nur weiterem Unheil vorbeugen. Die ganze Takelung eines Schiffes hängt zum größten Teil von den Befestigungen an diesem Mast ab.

Maat Putts hatte Wache und er wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen konnte und dann gewiss zu unserer völligen Vernichtung führen würde. Zwischen zwölf und eins bei Nacht hörten und spürten wir, wie ein mächtiger Brecher das Vorschiff traf. Das verursachte eine solche Überschwemmung auf dem Deck, wo der Maat ging, dass er sich mit aller Vorsicht eiligst zurückzog. Bis zu den Knien stand er im Wasser, murmelte Gebete, meinte, das Schiff sinke und sein letztes Stündlein habe geschlagen.

Allen Seeleuten kam das vor wie der Todesstreich. Das Schiff stand stockstill, den Bug unter Wasser. Es schien sich in die See bohren zu wollen. Meine zwei Kameraden und ich lagen auf unserer Plattform, bestürzt wie alle. Wir nahmen rasch Abschied voneinander. Ein Schreckensschrei lief durch das ganze Schiff, während Maat Putts, als er sah, dass das Wasser von Deck abfloss, alle Mann an die Pumpen rief. Dies schien uns wie ein Blitzschlag vor dem Sterben, aber es gab mir Gelegenheit, da ich mich noch am besten von uns allen auf den Beinen halten konnte, zu ergründen, was eigentlich vor sich gegangen war. Wir hatten unser Vorderdeck verloren, mit sechs Kanonen, unseren Ankern (allen außer einem, der an einer

Trosse festgemacht war), und auch unsere beiden Köche, von denen einer durch einen seltsamen Zufall wieder auftauchte.

Das große Loch, das so entstanden war, ließ einen Weg in den Laderaum frei, durch den Wasser eindringen musste, sobald der nächste Brecher kam. Es war ein günstiger Zufall, dass unter den Passagieren Zimmerleute waren, die sich bei diesem Unglück als sehr hilfreich erwiesen.

Sofort hatten sie eine leichte Plattform aus Bohlen angebracht, an der bei unserem augenblicklichen Kurs die Wellen abprallten. Jeden Moment aber konnte der zunehmende Sturm neue Arbeiten nötig werden lassen. Das Bugspriet war topplastig; da es keine Haltung und keine Takelage mehr hatte, die es gerade hielten, schwankte es hin und her und schlug so heftig gegen den Bug, dass gar nichts anderes übrigblieb, als es abzuhauen.

Alles war in fürchterlicher Unordnung und es war nur zu deutlich, dass die Gefahr noch zunahm. Die Verankerungen von allen Masten waren fort. Die Haltetaue, die noch geblieben waren, hingen locker und waren nutzlos. Es war leicht vorherzusehen, dass auch der Hauptmast bald herunterstürzen würde. Tom Reasin, immer bereit, sich der Gefahr auszusetzen, rannte mit einer Axt in der Hand hin, um den Hauptmast zu entlasten. Aber die Gefahr, in die er dabei geraten musste, war offensichtlich. Also rief man ihn wieder herunter. Kaum hatte er seinen Fuß wieder aufs Deck gesetzt, als das Unglück eintrat, Haupt- und Toppmast kamen zusammen herunter. Glücklicherweise fielen sie auf die dem Wind zugewandte Seite glatt in die See, ohne jemanden zu verletzen.

Unser Hauptmast, der breitseits gefallen war, bereitete uns im Wasser mehr Kummer als in seiner eigentlichen Lage. Die Verankerungen und die Takelage hatten sich nicht gelockert. Sie hielten, und so wurde der Mast zu einem Rammbock, der gegen die Schiffswand hämmerte und dort bestimmt ein Leck geschlagen hätte, wenn es nicht gelungen wäre, mit Äxten die Verbindung zu kappen.

Der wütenden See ausgesetzt, hin- und hergeworfen, da nun keine Takelage mehr das Schiff gerade hielt, fielen häufig Matrosen über Bord, ohne dass sich einer darum kümmern konnte, wenn er sah, wie der andere fortgerissen wurde … Nur der Besanmast stand noch, und damit hofften wir unser Schiff wieder auf den gewünschten Kurs zu bringen. Vorerst aber jagte es uns nach Osten. So verbrachten wir den 10. und 11. Dezember. Am Morgen des 12. begegneten wir einem englischen Kauffahrer, der seine Insignien zeigte und nicht mit uns sprechen wollte, obwohl der Sturm nachgelassen hatte und das Wetter für eine Verständigung längst nicht mehr so schwierig war. Wir sagten uns, der Grund liege wohl darin, dass er sich nicht zwingen lassen wollte. Er hielt unseren Zustand wohl für hoffnungslos, aber wir hatten mehr Kanonen, als ihm lieb sein konnte, und er fürchtete wohl, wir könnten uns einfach nehmen, was er nicht verkaufen oder geben wolle. Er schoss eine Kanone leeseits ab, blieb auf seinem Kurs, und bald verschwand sein Heck.

Der Sturm weht immer noch so schwer, die Seeleute sind immer noch so erschöpft, dass vorerst nicht daran zu denken ist, das Schiff wieder nach Westen zu wenden. Die Lebensmittel an Bord werden so knapp, dass die Passagiere und die Besatzung damit beginnen, die Ratten zu verspeisen, die mit an Bord sind. Mit der Zeit wird auf dem Schiff eine ausgewachsene Ratte mit 16 Schilling gehandelt. Eine hochschwangere Frau bietet für ein Tier sogar 20 Schilling, aber der glückliche Besitzer gibt sie nicht her, und die Frau stirbt.

Zurück konnten wir nicht. Vorwärts, wie wir es gewünscht hätten, ging es auch nicht. Infolgedessen mussten wir einen Mittelweg einschlagen. Wir mussten versuchen, Segel zu setzen und irgendwo die Küste von Neu-England zu erreichen. Die Fahrt mit dem schwer beschädigten Schiff dauerte bis zum 3. Januar. Am 4. kam Land in Sicht. Die genaue geographische Lage konnten wir nicht bestimmen, weil der Offizier, dem diese Aufgabe übertragen worden war, sich in den letzten Tagen dieser Mühe nicht mehr unterzogen hatte.

Der Abend war klar und ruhig, das Wasser unbewegt. Das Land mochte dort, wo es uns am nächsten war, sechs oder sieben Meilen entfernt sein. Das Lot zeigte 25 Faden. Ein guter Platz, um Anker zu werfen. Alles schien dazu einzuladen, an Land zu gehen. Aber ein alter Offizier, der die Proviantbestände verwaltete, sofern da überhaupt noch etwas zu verwalten war, wollte sich auf keinen Fall auf den einzigen Anker verlassen, von dem wir seiner Meinung nach für unsere Rettung abhängig waren. Sein Argument klang einleuchtend.

Kam ein Sturm auf und musste man die Ankerleinen kappen, dann war dieses wichtige Gerät verloren. Andererseits war das Kabel, das wir als einziges noch besaßen, zu kurz, um im Ozean zu ankern. Und schließlich war da auch an die erschöpfte Schiffsmannschaft zu denken, von der viele umgekommen oder über Bord gefallen waren, und an die Passagiere, die – durch Hunger geschwächt und dem Tod nahe – über Tage hin an Deck oder an den Pumpen ausgeharrt hatten. Sie waren zu schwerer Arbeit am Ankerspill kaum noch fähig.

Gegen die Argumente des alten Mannes sprach der zusammengeschmolzene Vorrat an Zwieback, der kaum noch eine Woche reichen würde, und die Gewissheit, dass wir vor Hunger umkommen würden, sollte uns ein Nordweststurm noch einmal auf den Ozean hinaustragen.

Außerdem war es sehr unwahrscheinlich, dass wir einen ordentlichen Hafen finden würden und dort mit unserem Schiff einlaufen konnten.

Diese Gründe gaben schließlich den Ausschlag. Und als der Anker ausgeworfen war, erhielt Maat Putts den Befehl zu einer ersten Erkundungsreise an Land. Er nahm zwölf kranke Passagiere mit, die hofften, mit festem Boden unter den Füßen werde sich ihr Zustand bessern. Auch Major Morris fuhr mit. Je nachdem, wie es an Land sein würde, wollten wir entweder in unserem traurigen Zustand die Seereise fortsetzen oder landen, unser Schiff entladen und unser Glück unter den Indianern versuchen.

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Nach vier oder fünf Stunden sahen wir, dass das Boot zurückkam, und zwar mit Maat Putts allein. Wir nahmen das als ein Zeichen dafür, dass er gute Nachricht bringen werde.

Als er an Bord kam, hatte er tatsächlich nur Gutes zu berichten, nämlich dass er eine Flussmündung entdeckt hatte, in der wir mit unserem Schiff würden ankern können, und dass das Wasser an der Barre tief genug sei, um mit dem Schiff durchzukommen, sobald man es etwas geleichtert habe.

Auch gab es ausgezeichnetes Trinkwasser, wovon mir Major Morris eine Flasche mitschickte. Und dann sollte es an der Küste nur so von Vögeln wimmeln. Morris war schon an Land geblieben und erwartete, dass die gesamte Schiffsbesatzung ihm folgen werde. Ich hatte meine Ohren weit aufgesperrt und setzte mich nun für den Plan, zu landen, mit aller Rednergabe ein, die mir zu Gebote stand.

Der Kapitän war auch dafür, hoffte er doch, so das Leben jener Passagiere, die bis dahin alles gut überstanden hatten, zu retten.

Da er sich aber in einer so wichtigen Sache nicht ganz allein auf Maat Putts' Urteil verlassen wollte, bestieg er zusammen mit einem Verwandten und mir und mit einigen anderen nun selbst die Jolle.

Die Seeleute waren froh, dass ich ihnen half, das Boot an die Küste zu rudern. Meine Hände hatten dicke Schwielen bekommen von der Arbeit an den Pumpen, wo ich jeden Tag drei Stunden mitgeholfen hatte.

Mein leidenschaftlicher Wunsch, an Land zu kommen und aus der Quelle trinken zu können, trieben mich an. Über die sieben Meilen hin zu rudern bereitete mir weiter gar keine Schwierigkeit. Es wurde mir leichter, als mir daheim manche Fahrt von einem Themseufer zum anderen geworden war.

Während unserer Überfahrt zur Küste waren wir froh, in der fallenden Dunkelheit die Feuer unserer Freunde an Land zu sehen. Sie dienten uns nicht nur als Leuchtturm, sondern gaben uns auch die Gewissheit, dass wir uns dort würden aufwärmen können, denn es war sehr kalt.

Sobald ich meinen Fuß an Land gesetzt hatte, dankte ich dem Allmächtigen, dass er uns diese Tür zur Rettung aufgetan hatte. Major Morrison führte mich sogleich zu dem fließenden Wasser, wo ich erst einmal nach Herzenslust trank. Ich warf mich einfach auf den Bauch, legte meinen Mund auf die Wasseroberfläche und ließ das köstliche Nass in meinen durstigen Leib rinnen. Es schien mir die größte Wohltat auf Erden. Nach dieser Erfrischung überquerten der Kapitän, sein Verwandter und ich in der Jolle den Fluss, angelockt von dem Geräusch wilder Hühner. Der Kapitän hatte eine Flinte bei sich, und da der Mond schien, gelang es uns, eine Ente zu erlegen, die wir an einem Stecken brieten, den einer der Matrosen über den Flammen drehte, während wir uns weiter am Flussufer umsahen.

Als wir an einer kleinen Wasserrinne vorbeikamen, entdeckten wir eine Austernbank und versahen uns mit einer guten Ergänzung zu unserem Wildhuhnbraten. Als die Köche ihre Arbeit getan hatten, warteten wir nicht erst, bis der Rest der Gruppe zu uns gestoßen war, sondern begannen zu essen. Für alle hätte der Braten ohnehin nicht ausgereicht. Also erinnerten wir uns des Sprichwortes: »Je weniger es sind, desto besser schmeckt es.«

Die Knochen, den Kopf und die Beine sowie die Innereien gaben wir dem Mann, der den Spieß gedreht hatte, und dann dankten wir Gott und kehrten zu unseren Freunden zurück, ohne uns vor ihnen unseres Glückes zu rühmen.

So gestärkt, überprüften wir die Wassertiefe an der Barre, mit der der Kapitän zufrieden zu sein schien. Er versicherte immer wieder, er wolle das Schiff um unserer Sicherheit willen aufgeben.

Gegen Tagesanbruch flüsterte er mir ins Ohr, ob ich mit ihm aufs Schiff zurückkommen wolle. Ich antwortete: »Nein.« Es schien mir unnötig mühsam, sofern er sich nur an seinen Entschluss hielt. Also fuhr er mit seinem Verwandten zurück, dem ich, zum Schutz vor der Kälte, einen großen, groben Mantel borgte. Der neue Tag ließ mich erkennen, welchen Fehler ich begangen hatte, indem ich seiner Aufforderung nicht gefolgt war. Das erste, was ich sah, war auf See das Schiff unter Segeln. Es lief mit allem Tuch, das noch brauchbar war, auf die Kaps zu.

Für uns, die wir zurückgelassen worden waren, war das ein furchtbarer Anblick. Man hatte uns aufgegeben, irgendwo an der Küste, entgegen den getroffenen Abmachungen.

In einer Verwirrung, die sich mit Worten nicht beschreiben lässt, klagten wir einander unser Leid. Wir stellten traurige Überlegungen darüber an, was wir nun machen sollten. Zunächst beteten wir. Dann bestimmte mich die Gruppe zum Vater der leidgeprüften Familie.

Einer, so kamen wir überein, musste die Befehlsgewalt haben, um Streitigkeiten zu vermeiden und bei widerstreitenden Ansichten unsere Rettung nicht noch mehr zu erschweren.

Sie hielten es für vernünftig, mir das Kommando zu übergeben, da ich noch gesund und stark war und deshalb unter meinen Gefährten für diese Aufgabe am besten geeignet schien.

Als ich vom Schiff ging, hatte mir mein Diener Thomas Harman, ein Holländer, zugeflüstert, er habe mir 30 Zwiebäcke in mein Bündel gesteckt, die er sich selbst vom Mund abgespart hatte.

Der Gedanke an diese Zwiebäcke kam mir ein, als man mir dieses Amt antrug. Ich sagte mir, es sei meine Christenpflicht, jeden an dem teilhaben zu lassen, was ich besaß, und also teilte ich den Zwieback in neunzehn Teile. Dies war die Zahl derer, die an Land zurückgeblieben waren.

Es war am fünften Tag des Januar, dass wir so zu leben oder besser, den Weg zu unseren Gräbern begannen, denn wir waren ziemlich sicher, dass wir alle umkommen würden.

Zunächst überlegte ich, wer in der Lage wäre, zu arbeiten und eine Waffe zu bedienen. Dann drückte ich einem jeden von diesen eine Vogelflinte in die Hand. Unter der Gruppe gab es einen jungen Gentleman, Mr. Francis Cary mit Namen, der mir sehr tatkräftig dabei half, unser Überleben zu organisieren. Er war mir von Sir Edward Thurian empfohlen worden und sich mir mit Worten vorgestellt, dass er besser damit fahren werde, als Kolonist in der Fremde zu leben, als in England zu bleiben. Nun bekam er das Kolonistenleben gleich von seiner dunkelsten Seite zu spüren.

Bis zum Abendessen waren tatsächlich ein paar wilde Gänse erlegt worden und wir beschlossen, eine weitere Nacht in diesem Lager zu verbringen.