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Frederik Hetmann

WOHIN DIE FLÜSSE FLIESSEN

Geschichten aus der Neuen Welt von St.Louis bis San Francisco

Mit Bildern von Günther Stiller

FUEGO

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- Über dieses Buch -

 

Das große Thema des amerikanischen Westens ist die Begegnung des Menschen mit einer ebenso grandiosen wie übermächtigen Natur und das aufeinander prallen zweier Kulturen: der naturverbundenden, magischen Welt der Indiander mit der durch Eroberungsdrang und missionarisches Sendungsbewusstsein geprägten Zivilisation der Weißen.
Frederik Hetmann erschließt mit dieser neuen, in sich vollständigen Geschichtensammlung, die inhaltlich an das Buch »Wohin der Wind weht« anknüft, ein weiteres unbekanntes Gebiet auf der Landkarte der Phantasie.

In Augenzeugenberichten, Lebensläufen, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen erzählt er von den ersten Europäern, die durch die Prärien, Wüsten und Felsengebirge nach Westen zogen, Leiden und Strapazen von Glücksrittern, Trappern, Scouts und Siedlern. Im Kontrast dazu stehen die seelenvollen Mythen, Märchen, Sagen und Lieder der Indianderstämme zwischen Missouri und Rio Grande, die der Autor in diesem Buch zusammengetragen hat. So entfaltet sich hier ein prächtiges Mosaik lebendigen Erzählgutes neben Geschichten und Liedern voller Empfindsamkeit und zeitloser Schönheit aus der amerikanischen Pionierzeit mit eindrucksvollen Grafiken von Günther Stiller.

 

Der vorangegangende Band mit dem Titel »Wohin der Wind weht« enthält die Folklore des Ostens uns Südens der USA: Lieder, Märchen, Legenden und Sagen, wie man sie zwischen Boston und New Orleans sang und erzählte; Hexen- und Teufelsgeschichten der Puritaner, Berichte und Familienfehden, Protestgeschichten und biblische Stoffe der Schwarzen in Amerika. Frederik Hetmann fügt das packende und handfeste Erzählgut der Pionierzeit hier zu einem lebendigen Hausbuch zusammen, das für jugendliche und erwachsene Leser interessant ist: eine poetische Collage der USA, eindrucksvoll illustriert von dem vielfach ausgezeichneten Buchgrafiker Günther Stiller.

In einer Höhle in einem engen Canyon nahe Tessajara

ist die Felskammer mit Händen bemalt,

eine Vielzahl von Händen im Zwielicht, eine Wolke

menschlicher Handflächen,

nichts mehr,

kein anderes Bild. Und keiner, der uns sagt,

ob die braunen, scheuen, stillen Menschen, die tot sind,

damit Religion oder Magie bezweckten

oder absichtslose Hervorbringungen von Kunst; aber

über den Abstand der Zeit hin

sind diese sorgfältig

gezeichneten Hände wie eine versiegelte Botschaft,

die besagt: Seht, wir waren auch

menschliche Wesen, wir hatten Hände, nicht

Pfoten. Glück auf den Weg,

ihr Volk mit geschickteren Händen,

ihr, die ihr uns ablöst in diesem Land,

erfreut euch seiner Jahreszeiten, seiner Schönheit,

bis ihr selbst abgelöst werdet durch andere,

denn ihr seid menschlich.

Robinson Jeffers

 

Für David con un abrazo

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Gebt mir Stille, Wasser, Hoffnung,

Gebt mir Kampf, Eisen, Vulkane ...

Pablo Neruda

 

Buffalo Bill ist hin

der zu reiten pflegte

auf einem wasserglatt-silbernen Hengst

und runterholte einzweidreivierfünf Taubenebenmalso

Herrje

wie gefällt dir dein blauäugiger Knabe, Mister Tod.

E. E. Cummings

 

Die Kaninchen sind hier so groß wie Hasen und haben die Ohren eines Esels, die Frösche haben den Körper einer Kröte und den Schwanz einer Eidechse. Die Bäume fallen bergauf, und der Blitz zuckt aus dem Erdboden hervor.

Socrates Hyacinth

 

Stimme oben,

Stimme des Donners,

spricht aus dem Dunkel

der Wolke;

Stimme unten,

Grashüpfers Stimme,

spricht von dem

Grün der Pflanzen.

So möge die Erde

schön sein für euch.

Scott Momaday

 

Lasst sehen, ist dies wirklich,

Lasst sehen, ist dies wirklich,

Lasst sehen, ist dies wirklich,

ist dieses Leben wirklich,

das ich lebe?

Ihr Götter, die ihr überall wohnt,

Lasst sehen, ist all dies wirklich.

Lied der Pawnee, Überprüfung einer Vision

 

 

Ein Buch zu zeigen, dass es einen anderen Westen gibt. Einen Westen, der anderes war als nur Spielwiese menschlicher Aggressionen, Platz für Ellbogenfreiheit, einen Westen, der anderes war als Kulisse für Männer überlebensgroß, schießwütig, blauäugig.

Ich will gern zugeben, dass ich selbst lange Zeit von dem Mythos, dessen Strahlkraft beträchtlich ist, getäuscht worden bin. Ich hatte mir eingebildet, man brauche der verfälschten, der auf Märchen geschminkten Wirklichkeit nur die tatsächliche Wirklichkeit entgegenzusetzen und alles sei wieder im Lot.

In dieser Vorstellung befangen, habe ich eine ganze Anzahl von Büchern über den Wilden Westen der USA geschrieben, von der guten alten unverwüstlichen Amerika Saga über Sheriffs, Räuber, Texas Rangers und Cowboys, Rinder, Schienenstrang bis hin zu einer Sammlung von Texten von und über Viehtreiber, Im Sattel der Cowboys. Diese Bücher haben bei aller thematischen Verschiedenheit doch eines gemeinsam: sie versuchen, den Westen authentisch zu präsentieren. Der Leser soll erfahren, »wie es wirklich war«, nachdem ihm hundertfach in der Trivialliteratur, im Film und im Fernsehen die Facetten der Illusion vorgeführt worden sind.

Ich halte heute diesen Ansatz für falsch.

Was ist damit gewonnen, dass der Leser erfährt, die Herren Revolverschützen seien nur noch etwas schmutziger, schießwütiger und im Aussehen unattraktiver gewesen, als sie uns im Film oder bei Karl May vorgestellt werden? Der Mythos bleibt, und letztlich trägt so auch ein Buch, das mit authentischem Material arbeitet, zur Konservierung und Verinnerlichung dieses Mythos bei.

Nun kann jemand aber auch fragen: Was ist schon dabei? Befriedigen Wildwestgeschichten letztlich nicht nur ein Bedürfnis nach Illusionen, das sich zwangsläufig in einer Umwelt monotoner Arbeitsabläufe und zu einem Höchstmaß gesteigerten zivilisatorischen Komforts ergibt, sind sie nicht für uns, was die Rittergeschichten für den armen Don Quijote waren?

Weil wir sozialversichert, air-conditioned und zentralgeheizt (wie lange noch?) leben, delektieren wir uns, im Sessel zurückgelehnt, an Strapazen, Gefahren und harten Lebensbedingungen, die nicht die unsrigen sind, und erleben bei allem Schauder über das Leben und Treiben damals auch noch die stolze Genugtuung, wie herrlich weit wir es doch gebracht haben.

Ganz ähnlich scheint mir die Wildwestgeschichte der Groschenromane und der durchschnittliche Wildwestfilm einen Spielraum zum Ausleben unserer sonst nicht abzuführenden Aggressionen zu bieten.

Nun sollten aber Kunstprodukte, wenn sie als solche ernst genommen werden wollen, nicht lediglich zur Ersatzbefriedigung dienen, sondern wenigstens versuchen, kritisch auf das bewusstsein ihrer Zeit zu reagieren und – sei es als Utopie – neue Möglichkeiten des Reagierens auf das jeweilige Thema vorzuweisen. In einer Zeit, die so sehr wie die unsrige von Aggressionen bedroht ist, lassen sich aggressive Methoden auch nicht länger als harmlos belächeln.

In einer Welt, in der der rücksichtslose Raubbau an Bodenschätzen und eine Hybris von der Allmacht der Technik und von der Verfügbarkeit der Natur die Menschheit an den Rand einer Katastrophe geführt haben, fällt es schwer, ungebrochen jenen Fortschrittstraum, als dessen erster Akt die Eroberung und Erschließung des Westens der USA ursprünglich verstanden wurde, zu glorifizieren oder auch nur unkritisch abzuspiegeln.

Dass der Mythos vom Westen, den es zum Wohl der Menschheit in Besitz zu nehmen und auszubeuten gelte, später in einen größeren Rahmen übertragen wurde, beweisen beispielsweise jene Antworten, die der damalige US-Außenminister Kissinger 1972 in einem Interview mit der italienischen Publizistin Oriana Fallaci gegeben hat:

 

»Dr. Kissinger, wie erklären Sie sich den unglaublichen Superstar-Status, wie erklären Sie sich die Tatsache, dass Sie fast berühmter und populärer geworden sind als der Präsident?« »Der Hauptgrund liegt wohl in der Tatsache, dass ich immer allein gehandelt habe. Amerikaner bewundern dies ungemein. Amerikaner bewundern den Cowboy, der allein eine Karawane über Land führt, den Cowboy, der ein Dorf oder eine Stadt zu Fuß allein betritt. Allein und ohne Pistole, weil er einmal nicht schießen will. Er handelt. Das ist alles. Er setzt den Hebel an der richtigen Stelle an, zur rechten Zeit. Eine Wildwestgeschichte, wenn Sie so wollen.« »Ich verstehe. Sie sind also so eine Art Henry Fonda, unbewaffnet und bereit, mit den bloßen Fäusten für ehrenhafte Ideale zu kämpfen. Auf sich allein gestellt, tapfer.« »Nicht unbedingt tapfer. Bei diesem Cowboy bedarf es keiner Tapferkeit. Es reicht eben hin, dass er allein ist, dass er anderen zeigt, wie man ein solches Dorf betritt, wie man eine Aufgabe auf eine bestimmte Art löst. Dieser romantische überraschende Charakter gefällt mir. Allein zu handeln war immer ein Teil meines Stils oder meiner Technik, wenn Sie so wollen. Auch Unabhängigkeit. Und endlich Überzeugtheit. Ich bin immer unbedingt von der Notwendigkeit dessen, was ich tue, überzeugt.«

 

Lassen wir einmal außer acht, welche – meiner Ansicht nach erschreckenden – Rückschlüsse auf den Zustand von Demokratie gegen Ende des 20. Jahrhunderts in den USA von diesem Text her möglich werden; konzentrieren wir uns allein auf die Verbindung dieser Äußerung zum Mythos, so wird klar, dass gewisse Projektionen und Illusionen von der ursprünglichen Szenerie auf einen gewissermaßen weltweiten »Wilden Westen«, der freilich auch im Nahen oder Fernen Osten liegen kann, übertragen worden sind.

Auch klar sein sollte, dass es somit beim Nachvollzug und bei der Verinnerlichung der Taten von Cowboys, Sheriffs und Indianern unter Umständen um mehr geht als um »Kinderspiele«.

Vergegenwärtigen wir uns auch noch einmal die politisch-ideologischen Züge, die dem Mythos von Anfang an innewohnten: Aus dem vollständigen Text von William Gilpins »Mission des Nordamerikanischen Volkes«, den der Leser in diesem Buches findet, lassen sich durch Isolation einiger Schlüsselworte die politischen Antriebskräfte bzw. die Ideologie der Interessengruppen, die den Mythos propagierten, klar erkennen.

Da heißt es unter anderem, es sei die »unerledigte Bestimmung des amerikanischen Volkes, den Kontinent zu unterwerfen«. Das im Englischen gebrauchte Verb ist »subdue«, und die Wortwahl ist hier bezeichnend. Dunkelheit soll in Licht verwandelt werden. Alte Nationen will man eine neue Zivilisation lehren, die Wissenschaft soll perfektioniert werden, um schließlich »to shed blessings round the world« (in etwa: solche Segnungen über die ganze Welt hinaus zu breiten). Bezeichnend ist schließlich, dass diese Aufgabe eine gottwohlgefällige, unsterbliche Mission genannt, also mit der Ausübung einer religiösen Pflicht in Zusammenhang gebracht, wird.

Es gibt hinreichend viele Zeugnisse dafür, dass jenes bewusstsein, das sich bei Gilpin so pompös-pathetisch ausdrückt, in banalerer Form in fast allen Gruppen der westwärts ziehenden Menschen (Entdecker, Trapper, Scouts, Siedler, Goldsucher, Rancher und Farmer) vorhanden gewesen ist. Bis heute hat es sich in etwas entlegeneren Gegenden der USA unverwandelt und ungebrochen erhalten. Wer auf die uns allen nur zu bekannten negativen Seiten dieses bewusstseins hinweist, darf nicht übersehen, dass die Erfüllung der damals als Mission verstandenen Aufgabe ohne eine solche Überhöhung, Stilisierung und Mythologisierung wahrscheinlich nie gelungen wäre.

Die Verklärung dessen, was einen unterwegs im Westen und am Ende des Trail erwartete, die Illusion von dem fernen Land als einem, in dem Milch und Honig fließen, waren nötig, damit sich Menschen trotz der Kunde über die schrecklichen Strapazen und Gefahren überhaupt auf den Weg machten.

Aus dieser Überhöhung und deren Zusammenstoß mit der Realität ergibt sich eine besondere Form der amerikanischen Folk-Erzählung: die Tall-Tale, die »Übertreibungsgeschichte«. Freilich hat sie auch noch einen anderen, psychologischen Antrieb, nämlich prahlerisch auftrumpfend den Schrecken aus sich herauszustellen, den einem die als übermächtig empfundenen Naturphänomene eingaben, und ihn so zu überwinden.

Nun ist zu Anfang von einem anderen Bild des amerikanischen Westens die Rede gewesen. Einem Gegenbild! Kann es das überhaupt geben?

War nicht der Westen allemal hart, grausam, primitiv, ellbogenstoßend gewalttätig? Gewiss war er das, wie auch viele Texte dieses Bandes belegen. Aber es gibt tatsächlich nicht nur andere Schattierungen in diesem bekannten Bild, sondern, wie ich meine, tatsächlich ein ganz anderes Bild, das verdrängt worden ist.

Um dieses andere Bild des amerikanischen Westens aufzufinden, müssen wir hinter das Bild des Westens vom Marlboro-Country, hinter das Bild des »Wilden Westens«, in dem Mr. Colt angeblich alle Menschen gleich machte, hinter das Bild vom »Gelobten Land«, ja selbst noch hinter das von den Spaniern geprägte Bild vom Westen als El Dorado zurückgehen.

Tun wir das, stoßen wir auf einen Westen, der höchstens an seinen Rändern vom Weißen Mann besetzt war, einem Westen, in dem Indianerstämme, die sich selbst nicht selten »das Volk« nannten, noch in einer sich selbsterhaltenden, magischen Welt lebten.

Nicht zuletzt deswegen sind in diesem Band zahlreiche Texte von Indianern aufgenommen worden, um dieses Bild vom amerikanischen Westen, um das Bild einer frühen Menschheit, wieder hervortreten zu lassen.

»Der wichtigste Impuls hinter den Geschichten, Gedichten, ja selbst hinter der Wirtschaftsführung der Indianer«, so haben Frank Bergon und Zeese Papanikolas festgestellt, liege in der Anstrengung, die Trennungslinie zwischen dem Mythischen und Realen aufzuheben.

Weiter heißt es bei den beiden Autoren:

 

»Der Kojote, die Eulenspiegel- und Sinnsuchergestalt in den indianischen Mythen, ist darauf bedacht, den ihm angemessenen Platz im Universum zu finden, und zwar so, dass dieses in seiner Ganzheit nicht verletzt wird. In einem Medizinlied der Yuma-Indianer heißt es: ,Der Wasserfloh zieht die Schatten des Abends durch das Wasser hin auf sich.' Im indianischen bewusstsein hat ein am Rand der Schöpfung stehendes Geschöpf ebensoviel Gewicht wie der ganze Aspekt des Abends. Andrew Garcia, ein junger mexikanischer Händler, der 1870 durch Montana reiste, fand neben der Wegspur überall an den Bäumen die Hufe von Rehen hängen. Die Indianer hatten sie dort aufgehängt, um, wie sie erzählten, dem Reh-Volk zu verstehen zu geben, dass sie von der erlegten Jagdbeute alles aufgebraucht hatten mit Ausnahme der unbrauchbaren Hufe. Noch sahen die Indianer keine Notwendigkeit, sich umweltschützend in dem uns bekannten Sinn zu verhalten. Sie fingen Lachse während der Laichzeit im Frühjahr oder trieben Büffel über eine Klippe, denn solange Achtung gegenüber der Natur lebendig war und man durch die entsprechenden Zeremonien die Leute aus dem Tiervolk beruhigte, bestand Harmonie und der Vorrat an Lachsen und Büffeln blieb unerschöpflich. Nur wenn Tiere sinnlos getötet wurden oder wenn, wie das der Stamm der Washos glaubte, Tierreste, besonders Knochen, verschwendet wurden, zogen die Tiere fort und erlaubten es dem Menschen nicht mehr, sie zu seinem Nutzen zu töten.«

 

Es liegt mir fern, die Indianer als edle Wilde zu stilisieren. Festgehalten werden soll im Hinblick auf das andere Bild: Das Verhältnis der Indianer zur Natur, zu dem Land, in dem sie als Jäger, Fischer, teilweise aber auch als Ackerbauern lebten, war grundlegend anders als das der eindringenden Weißen.

Wie sich diese Auffassungen voneinander unterschieden, wird in diesem Band durch die Gegenüberstellung von indianischen und angloamerikanischen Texten mit weltanschaulichen Aussagen klargestellt.

Als weitere Annäherung an das andere Bild mag zudem hier das Zitat aus einem Essay dienen, das N. Scott Momaday, Kiowa-Indianer von Herkommen und in der Welt des Weißen Mannes Universitätsprofessor in Stanford und Romanautor, unter dem Titel »A First American Views His Land« in einer Nummer des National Geographie Magazine veröffentlicht hat. Er schreibt:

 

»Der amerikanische Eingeborene der Gegenwart ist ein Mensch mit einem ausgeprägten ästhetischen Wahrnehmungsvermögen, das sich in seiner Kunst, seinem Handwerk, in seinen religiösen Zeremonien, in seinen Geschichten und seinen Liedern, in seiner reichen mündlichen Überlieferung, ausdrückt. Mein Großvater Mannedaty war in seinen reiferen Jahren ein Farmer geworden. Sein Großvater war noch ein Büffeljäger gewesen. Er war ein Kiowa, und bei den Kiowas gab es keine agrarische Tradition. Aber er musste seinen Lebensunterhalt verdienen, und das alte geliebte Dasein des Herumschweifens auf der Prärie und der Büffeljagd war für immer vorbei. Selbst unter diesen Umständen aber blieben sein bewusstsein, sein Wille und sein Geist dieser Landschaft verbunden. Es gab für ihn nichts anderes. Er hätte sich nicht vorstellen können, ohne dieses Land zu leben. In Der Weg in die Rainy-Mountains habe ich eine kleine Erzählung niedergeschrieben, die zur oralen Tradition meiner Familie gehört. Sie weist hin auf etwas Wesentliches in der Einstellung der amerikanischen Eingeborenen zur Landschaft. ,Im Osten des Hauses meiner Großmutter, südlich des Pecanwäldchens, liegt eine Frau in einem wunderbaren Kleid begraben. Die Mammedatys wussten einst, wo sie begraben lag, aber heute weiß es keiner mehr. Wenn man unter dem Vordach des Hauses steht und nach Osten in Richtung auf Carnegie schaut, weiß man, dass die Grabstätte der Frau irgendwo im Blickfeld sein muss. Aber ihr Grab ist nicht näher markiert. Sie wurde in einer Kiste beigesetzt, und sie trug ein sehr schönes Kleid. Wie schön es doch war. Es war eines dieser feinen Wildledergewänder und geschmückt mit Elchszähnen und Perlen. Das Kleid liegt immer noch dort unter der Erde.' Es scheint mir, dass diese Erzählung vor allem eine Erklärung der Liebe zum Land, zur Landschaft mit ihren verschiedenen Elementen darstellt - die Frau, das Kleid und diese Ebene werden am Ende eine Wirklichkeit, Ausdruck des Schönen in der Natur. Es scheint mir eine spezifische Haltung der eingeborenen Amerikaner, die Dinge so auszudrücken ... Sie werden nicht explizit erinnert – der Name der Frau, die genaue Lage des Grabes, all das ist für den Geschichtenerzähler nicht so wichtig. Wichtig ist die Verwandlung der Frau in die Landschaft, eine Verwandlung, die noch durch die Erwähnung dieses besonders schönen und einzigartigen Gewandes, eines indianischen Kleides, besonders akzentuiert wird.«

 

Wer den Westen heute bereist, sich abseits der großen Straßen und touristischen Trampelpfade bewegt, wird, auch wenn er kein Indianer ist, begreifen, was Momaday meint, wenn er sagt, Land und Landschaft hätten für die Indianer eine spirituelle Dimension.

 

»Daraus ergibt sich logisch»«, so fährt Momaday fort, »dass in einer solchen Auffassung ein ethischer Imperativ enthalten ist. Ich denke: Insofern ich das Land, die Landschaft bin, ist es angemessen, dass ich mich im Geist der Landschaft bestätigen lasse, mich in ihm meiner vergewissere. Ich werde mein Leben in der Welt feiern und in der Welt meinen Lebenssinn erkennen. In der natürlichen Ordnung bringt sich der Mensch in die Landschaft ein. Gleichzeitig stellt die Landschaft, das Land, für ihn eine fundamentale Erfahrung dar. Der Prozess der Einbringung und der Zustimmung ist vor allem eine Funktion der Einbildungskraft. Er kommt zustande durch einen Akt der Imagination, der eine besondere Ethik hat. Wir sind, was wir uns einbilden zu sein. Der amerikanische Eingeborene ist jemand, der sich selbst auf eine ganz bestimmte Art und Weise sieht. Durch seine Erfahrung schließt diese Vorstellung von sich selbst diese enge Beziehung mit der Landschaft mit ein.«

 

Hier wird das Gegenbild jener von Herrschaftsansprüchen, Aggression, Sendungsbewusstsein, Besitzgier und Materialismus geprägten Mythe sichtbar. Es wäre falsch, zu behaupten, dass dieses Bild nur von den Indianern gesehen worden wäre. Es hat in der Geschichte bis heute immer wieder auch Weiße gegeben, die sich dieses anderen Bildes in Augenblicken oder dauerhaft bewusst geworden sind, die es als sinnerfüllt und mit einer Ethik, also mit einer Anweisung zum richtigen Leben, ausgestattet erkannt haben.

Zugeben will ich gern, dass ich für diesen Band mit Vorliebe Texte ausgewählt habe, die das Bild der Naturschönheit und der magisch-spirituellen Naturverbundenheit des Menschen im Westen eindringlich hervortreten lassen.

Bedürfte es dazu einer Begründung, so ließe sich sagen, dass eben dieses Bild in der Tradition des Weißen Mannes über Jahrhunderte hin eher verschüttet fortlebt. Es ist ein Bild mit vielen Zwischentönen, ein Zen-Bild, das unter Pulverdampf, Yippie-Gekreisch und Messergeblitz zurücksank in einen Hintergrund von Stille.

Warum habe ich versucht, dieses Bild hervorzuheben, seine Details sichtbar werden zu lassen?

Es geht nicht – um Missverständnissen vorzubeugen – um ein »Zurück zur Natur«.

Es geht mir viel eher darum, aufzuzeigen, dass eine Einstellung des Menschen zur Natur, die vorwiegend unter dem Gesichtspunkt von Herrschaft und materieller Rücksichtslosigkeit vonstatten geht – abgesehen davon, dass sie die Menschheit durch die Auspowerung ihrer natürlichen Ressourcen in eine selbstmörderische Sackgasse führt –, ein fundamentales Bedürfnis des Menschen, nämlich das spirituelle, unberücksichtigt lässt.

Gewiss wird es kein Zurück mehr geben. Gewiss ist der Traum von einem solchen Zurück nur neue Illusion, die sehr bald zuschande gehen und jene, die diesen Traum träumen, in noch tieferer Enttäuschung zurücklassen wird.

Es wäre aber manches gewonnen, wenn unser Glaube an die Unabdingbarkeit immer rascheren und größeren Zuwachses an materiellen Gütern Zweifeln wiche. Zweifeln darüber, ob der Mensch ein Recht hat, Natur aus erster Hand völlig zu zerstören. Zweifel, ob die sich dabei ergebende Zuwachsrate an zivilisatorischem Komfort ungestraft weiter und weiter gesteigert werden kann. Zweifel an einem Glück, welches nur in einem Mehr und abermals Mehr an materiellem Besitz besteht.

Das große Thema der Folklore des amerikanischen Westens ist die Begegnung des Menschen mit einer ebenso grandiosen wie übermächtigen Natur. Diese Natur ist heilend und zerstörend, schön und schrecklich, aber an sich weder gut noch böse; doch allemal muss der Mensch auf sie reagieren. Er kann versuchen, sie zu beherrschen. Er kann versuchen, sich in ihr einen Platz zu bestimmen und in Balance mit den anderen ihr zugehörigen Kräften und Wesen zu leben. In diesem Spannungsfeld vollzieht sich das wahre Drama des amerikanischen Westens. Es interessiert mich nicht nur als historische Reminiszenz. Es interessiert mich als Vorgang, an dem sich für unsere Position hier und heute sinngebende Hinweise ablesen lassen.

Ganz bewusst habe ich bei der Auswahl der Texte zu diesem Band Augenzeugenberichte, Lebensläufe, Briefe, Tagebuchauszüge (die ja auch Formen des Volk-Erzählens darstellen) neben Mythen, Märchen, Sagen und Lieder gestellt. Wohin die Flüsse fliessen schließt sich als in sich abgeschlossener Band an das Buch Wohin der Wind weht an, der die Folklore des Ostens und des Südens der USA versammelte. Er wird sich mit einem bereits konzipierten Band Solange das Gras grün ist, der ausschließlich den amerikanischen Indianern gewidmet sein soll, zu einer Trilogie abrunden, in der dann sich hoffentlich jener traumhafte Entwurf einlöst, den ich am Anfang des ersten Buchs so umschrieben habe: Was ich mir vorstelle, ist dies: einen Flickenteppich aus Geschichten zu nähen, und schließlich wird daraus eine Landkarte der Fantasie.

 

Frederik Hetmann

Nomborn im Westerwald, Februar 1980

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Die Großen Ebenen und das Felsengebirge

Tja, das ist schon ein seltsames Land, Fremder, darauf können Sie wetten. Mit lauter seltsamen Dingen. Die Leute hacken hier Holz mit dem Vorschlaghammer und mähen das Gras mit der Hacke. Jeder Busch trägt Dornen und jedes Insekt einen Stachel. Die Flüsse führen kein Wasser, außer bei Überschwemmungen. Die Flüsse werden immer kleiner, je weiter man talwärts kommt, 's gibt kein Wild, außer Kaninchen, aber die sind so groß wie Schakale. Ein paar Wachteln, aber alle mit Federbüscheln auf dem Kopf und ebenfalls wild wie Schakale. Kein Frost, keinen Tau. Keiner kommt hierher, es sei denn, er musste von irgendwo fort. Keiner bleibt hier, außer er muss.

James F. Rusling

 

Wo immer man Ungezwungenheit, unkonventionelles Benehmen, einen festen Händedruck, eine offene Tür, eine geschliffene Redeweise und Unbekümmertheit fand, dort war der Westen.

Carey McWilliams

Die Flucht aus der Unterwelt

Immer haben sich die Menschen gefragt, wie die Welt begann, immer haben sie Geschichten darüber erzählt, wie die Welt geschaffen wurde. Die Indianer machen da keine Ausnahme. Sowohl die Stämme der Großen Ebenen wie auch die der Waldgebiete im Norden stellten sich den Himmel als den Ursprung alles Lebens vor. Aber die Stämme in den Wüsten und Steppen des Südwestens dachten an die Unterwelt, wenn sich ihre Gedanken mit der Frage des Anfangs beschäftigten, wahrscheinlich, weil aus der Erde das für sie lebenspendende Wasser hervorsprudelte. Dies ist eine Schöpfungsmythe aus dem Stamm der Hopi, die auf den Tafelbergen im heutigen Bundesstaat Arizona ihre Dörfer und Heiligtümer haben. Der Text enthält einen kuriosen Hinweis auf die von den Spaniern nach Nordamerika eingeführten Pferde.

 

In der Unterwelt gab es nichts als Wasser. Zwei Frauen – Huruing Wuhti im Osten und Huing Whuti im Westen – wohnten weit voneinander entfernt und die Sonne reiste zwischen ihren Wohnungen hin und her. Da beschlossen die Frauen, Land zu erschaffen. Sie teilten das Wasser, damit die Erde erscheine. Aus Lehm formten sie zuerst Vögel – die gehörten der Sonne, dann Tiere – die gehörten den beiden Frauen. Endlich formten sie auch menschliche Wesen und rieben sie zwischen ihren Handflächen, damit sie Verstand bekämen.

Aber die neuerschaffenen Menschen in dem unterirdischen Paradies waren töricht. Sie verstießen gegen die Gebote der beiden Frauen. Sie taten Böses, und ihr unglücklicher Häuptling teilte sie in zwei Gruppen. Allen Frauen, Mädchen und weiblichen Kindern befahl er, in ihren Dörfern zu bleiben. Alle Männer, Jünglinge und Knaben wies er an, den breiten Fluss zu überschreiten und sich am anderen Ufer Wohnung zu suchen. Vier Jahre blieben die Geschlechter voneinander geschieden. Nach dieser Zeit waren die Frauen nahezu verhungert, weil sie es nicht verstanden, den Boden zu bestellen. Sie gingen in Lumpen, weil die Männer für sie keine Kleider webten. Da hatte der Häuptling ein Einsehen und ließ die Männer zu den Frauen zurückkehren. Doch bald nahmen die Missetaten wieder zu und das Wasser des Meeres stieg und überschwemmte mehr und mehr Land.

Es gab vier Gebirge in der Unterwelt, und im Gebirge im Nordosten wohnte die Spinnenfrau. Der Häuptling ließ Gebetsstöcke herstellen und Gebetsfedern bemalen, und dann sandte er einen jungen Mann in dieses Gebirge. Die Spinnenfrau dankte dem Jüngling für diese Geschenke und fragte ihn, was er sich wünsche. Der junge Mann sprach:

»Um uns ist Wasser, es steigt und steigt und stiehlt uns mehr und mehr von unserem Land. Sag uns einen Ort, an dem das nicht so ist und wo wir wohnen können.

Die Spinnenfrau erwiderte: »Da weiß ich Rat. Über euch liegt ein solcher Ort. Sag deinem Volk, es soll eilig herkommen.«

Die Spinnenfrau führte die Menschen auf die Spitze ihres Berges und dort pflanzte sie zwei Arten von Fichten. Die Bäume wuchsen gen Himmel, ihre Astspitzen stießen an den Himmel, aber der Himmel war fest und hart, und die Bäume vermochten die Kuppel des Himmelsgewölbes nicht zu durchstoßen. Die Spinnenfrau überlegte, was da zu tun sei.

Nun pflanzte sie ein Schilfgras und eine Sonnenblume. Die Pflanzen wuchsen auf, fanden einen Spalt im Gewölbe des Himmels und durchstießen seine harte, feste Decke. Acht lange Tage kletterte das Volk aus der Unterwelt an den Pflanzen hinauf und als die Menschen endlich Sipapu, das heißt den Spalt, der die Welten scheidet, erreicht hatten, sagte der Spottvogel jedem von ihnen, zu welchem Stamm er in der neuen Welt gehöre. Aber der Spottvogel wurde heiser und jene, die später kamen, hörten keine Stimme mehr. Da stiegen sie traurig wieder zurück in die Unterwelt.

Der Zauberer des Volkes aber sprach: »So soll es von nun an bleiben in alle Ewigkeit. Wenn einer stirbt, soll er dort hinuntergebracht werden.«

Als die ersten Menschen die Erde betraten, war es dort dunkel; die Sonne schien noch nicht, und es gab in der oberen Welt nur ein einziges Wesen. Man nannte es das große Knochengerippe. Es war arm, hatte nur ein winziges Feuer und wenig Mais. Die Menschen aber beschlossen, eine Sonne und einen Mond zu machen wie in der Unterwelt. Und als sie beides geschaffen hatten, warfen sie die Gestirne hinauf an den Himmel. Dann brachen sie auf, um die Stelle zu suchen, an der in Zukunft die Sonne jeden Morgen aufgehen würde. Die weißen Menschen zogen nach Süden, die Indianer der Ebene nach Norden, und die Hopi blieben in der Mitte der oberen Welt. Ehe sie aber aufbrachen, kamen alle überein, dass jene, die zuerst die Gegend um Sonnenaufgang erreichten, den anderen befehlen durften, dort zu bleiben, wo sie gerade waren. Die weißen Menschen waren klug. Sie schufen sich das Pferd und kamen so zuerst in der Gegend des Sonnenaufgangs an, und als sie ihr Ziel erreicht hatten, stürzten viele Sterne zur Erde. Da wussten die Indianer, dass die Weißen Sieger geblieben waren im Wettlauf zum Ort des Sonnenaufgangs. Die Hopi aber und die anderen Stämme des Südwestens, die nicht fortgezogen waren, siedelten auf dem dürren Land, das sie noch heute bewohnen. Dort sind sie der Stelle nahe, an der alle Menschen durch den großen Spalt aus der Unterwelt in diese Welt heraufgestiegen sind.

Die ersten Europäer, die durch den Westen zogen

Juan Ponce de León, der Eroberer von Puerto Rico, war der erste Spanier, der in die Gegend der heutigen Vereinigten Staaten gelangte. Im März 1513 sichtete er einen Sandstrand, hinter dem dichter tropischer Urwald lag. Er nannte dieses Land »Florida«, nach Pascua Florida, dem spanischen Osterfest. Möglicherweise suchte er den Quell der Ewigen Jugend, aber er fand den Tod durch die Hand jener Indianer, die er als Sklaven fortzuschleppen versuchte. Auf seinen zwei Reisen war er sich darüber klargeworden, dass Florida eine Halbinsel sein müsse. Andere spanische Seekapitäne erkundeten den Golf von Mexiko und die Atlantikküste.

Die Nachricht von den Siegen des Cortés in Mexiko und von den Reichtümern, die er und Pizarro bei den Indianern erbeutet hatten, veranlassten andere Conquistadores (Eroberer), die nicht so erfolgreich gewesen waren, sich weiter im Norden nach Gold und Städten umzuschauen.

Narvaéz, einer von ihnen, wurde zum letzten Mal auf einem leckgeschlagenen Fahrzeug im Golf von Mexiko gesehen, aber einer seiner Männer, Cabeza de Vaca, überlebte die lange Wanderung quer durch Texas ins nordöstliche Mexiko. De Soto entdeckte den Mississippi und wurde an seinen Ufern begraben. Andere Spanier erreichten den Grand Canyon und die Mündung des Colorado. Sie segelten die Westküste hinauf, bis über den 42. Breitengrad, aber die Bucht von San Francisco entdeckten sie vorerst nicht. Hier folgen einige aufschlußreiche Auszüge aus den Schriften und Berichten der spanischen Eroberer und Entdecker:

 

Álvar Nuñez Cabeza de Vaca

Nackt unter Indianern

 

Ich musste bei den Capoques mehr als ein Jahr bleiben. Wegen der harten Arbeit, die sie mir aufluden, und der rüden Behandlung entschloss ich mich, zu dem Volk der Charruco in den Wäldern des Festlandes zu fliehen. Mein Leben war einfach unerträglich geworden. Zu aller anderen Arbeit musste ich mir aus dem Wasser oder aus dem Boden des Zuckerrohrfeldes Wurzeln ausgraben. Meine Finger waren so wund, dass sie zu bluten anfingen, wenn ich einen Strohhalm berührte. Die gebrochenen Zuckerrohrstengel schnitten in meine Haut, denn ich bewegte mich da ohne Kleider.

Also überlegte ich, wie ich bei den Waldbewohnern unterkommen könne, die mir etwas gnädiger zu sein schienen. Die einzige Möglichkeit war, es mit Handel zu versuchen. Meine hauptsächlichen Tauschwaren bestanden in Seeschnecken, Muscheln, die zum Schneiden benutzt werden, Seebohnen und in der Frucht des Mesquite-Baumes, die einer Bohne ähnlich ist. Die Indianer gebrauchen sie als Medizin und bereiten mit ihr Getränke für ihre Tänze und Feste.

All diese Dinge trug ich landeinwärts. Durch Tauschhandel brachte ich Häute, rote Farbe, mit denen sich die Indianer ihre Gesichter einreiben, hartes Rohr für Pfeile, Feuerstein für Pfeilspitzen, die man mit Sehnen und Harz befestigt, und Quasten aus Rehhaaren, die sie rot färben, zurück zur Küste.

Diese Beschäftigung gefiel mir. Ich konnte reisen, wohin ich wollte. Ich war nicht gezwungen zu arbeiten. Ich war kein Sklave mehr. Wo immer ich hinkam, behandelten mich die Indianer freundlich. Sie gaben mir zu essen, weil sie meine Waren schätzten. Sie freuten sich, wenn ich kam. Ich wurde bekannt. Jene, die mir persönlich noch nicht begegnet waren und nur auf Umwegen von mir gehört hatten, suchten meine Bekanntschaft.

Die Strapazen, die ich auf diesen Reisen ausstand, lassen sich gar nicht alle beschreiben. Ich hielt mich in dieser Gegend fast sechs Jahre auf, allein unter Indianern und nackt wie sie ...

 

Hinweise auf Schätze

 

Unter den Gegenständen, die die Leute uns gaben, befand sich auch eine große kupferne Rassel, die sie Andres Dorantes schenkten. Sie erzählten, sie hätten sie von ihren Nachbarn bekommen. Woher, wollten wir wissen? Sie sei aus dem Norden mitgebracht worden, dort gebe es viele davon, erwiderten die Eingeborenen, die Kupfer als sehr wertvoll ansehen. Wo immer es auch herkommen mochte, es musste dort eine Schmelze geben, in der man Kupfer in Hohlformen goss.

Sie brachten mir einen Mann, der, wie sie sagten, vor längerer Zeit in die Schulter getroffen worden war und dem noch eine Pfeilspitze im Herzen steckte. Er sagte, er habe große Schmerzen. Ich sah mir die Wunde an und stellte fest, dass der Pfeil den Knorpel durchschlagen hatte. Mit einem Steinmesser öffnete ich den Brustkasten des Mannes und stellte fest, dass die Spitze seitwärts steckte und schwer zu entfernen war. Aber ich schnitt weiter, und schließlich gelang es mir tatsächlich mit dem Messer, die Pfeilspitze zu entfernen. Sie war sehr groß. Mit einem Rehknochen, den ich als Nadel benutzte, bewies ich weiterhin mein chirurgisches Geschick. Ich nähte mit zwei Stichen, während mir das Blut entgegenspritzte, und dämpfte den Blutfluss mit Haaren eines Fells. Die Eingeborenen erbaten sich die Pfeilspitze. Ich gab sie ihnen. Die ganze Bevölkerung lief zusammen, um den Gegenstand anzustarren, und sie schickten ins Hinterland, damit auch die Leute von dort kämen.

Die Indianer feierten die Operation mit den üblichen Tänzen und Zeremonien.

Am nächsten Tag zog ich die Fäden. Dem Patienten ging es gut. Mein Schnitt erschien nur wie eine Linie in seiner Handfläche. Er sagte, er spüre keine Schmerzen.

Nun hatte diese Heilung so zu unserem Ruhm in der Gegend beigetragen, dass wir von den Leuten alles hätten haben können. Wir zeigten ihnen die Kupferrassel, die wir vor kurzem bekommen hatten, und sie erzählten, dass ganze Schichten dieses Materials an jenem Platz vergraben lägen, von dem auch dieser Gegenstand herkomme, und dass das Material sehr geschätzt sei. Die Leute, die es verarbeiteten, wohnten angeblich in festen Häusern.

Wir stellten uns vor, dass das Land, von dem sie sprachen, am südlichen Meer liegen müsse, wo es viel reichere Mineralvorkommen zu geben schien als im Norden ...

Die Leute gaben uns unzählige Rehfelle und Baumwolldecken, die letzteren von weit besserer Qualität als jene aus Neu-Spanien; Perlen, Ketten, hergestellt aus Korallen der südlichen See, schöne Schildkrötenpanzer aus dem Norden. Tatsächlich schenkten sie uns fast alles, was sie besaßen, einschließlich eines ganz besonderen Geschenks, nämlich fünf diamantenen Pfeilspitzen, wie sie sie bei ihren Zeremonien verwenden.

Ich fragte sie, wo diese herkämen. Sie erwiderten, aus einem hohen Gebirge im Norden, wo es Städte mit vielen Menschen gebe und große Häuser, und dass sie die Pfeilspitzen gegen Federbüschel und Papageienfedern eingetauscht hätten.

 

Rettung mit Schwierigkeiten

 

Wir dankten Gott, unserem Herrn. Wir hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, noch auf Christenmenschen zu stoßen, und konnten kaum unsere Erregung verbergen. Doch wir hatten zunächst die Befürchtung, dass diese Männer, von denen uns erzählt worden war, Entdecker sein könnten, die nur einen kurzen Besuch gemacht hatten. Aber wir liefen rascher und unterwegs hörten wir mehr und mehr von den Christen. Wir sagten den Eingeborenen, wir seien hinter diesen Männern her, um sie davon abzuhalten, zu töten, Sklaven zu rauben und den Indianern alles fortzunehmen. Darüber wurden unsere Freunde sehr froh. Wir durcheilten ein riesiges Gebiet, das wir völlig menschenleer fanden. Die Einwohner waren aus Furcht vor den Christenmenschen in die Gebirge geflohen.

Mit schwerem Herzen sahen wir hin über das bewässerte, fruchtbare und schöne Land, das nun verlassen war, verbrannt, die Leute dünn und schwach, zerstreut oder eingeschüchtert in Verstecken lebend.

Da sie nicht hatten säen können, mussten sie von Wurzeln und Rinde leben. Wir teilten ihren Hunger während des ganzen Weges. Jene, die uns aufnahmen, konnten uns kaum etwas geben. Sie sahen aus, als würden sie am liebsten sterben. Sie brachten uns Decken, die sie vor den anderen Christenmenschen versteckt hatten, und erzählten uns, wie diese die Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht und die Hälfte aller Männer, Frauen und Kinder davongetrieben hätten. Wer entkommen war, irrte als Flüchtling umher. Die Überlebenden waren zu verschreckt, um irgendwo länger zu bleiben, unfähig oder nicht mehr willens, die

Äcker zu bestellen, wollten sie lieber sterben als noch einmal so Fürchterliches erleben.

Während sie sich über unsere Gesellschaft zu freuen schienen, erfuhren wir, dass die Indianer, die näher zur Grenze hin lebten, sich vielleicht an uns rächen würden. Als wir aber dorthin kamen, empfingen diese uns mit derselben Achtung und Zuvorkommenheit wie die anderen auch, ja sie waren sogar noch freundlicher, was uns erstaunte. Es ist klar, wenn man diese Menschen für das Christentum gewinnen und sie dazu bringen will, unsere kaiserliche Majestät anzuerkennen, so kann dies gewiss nur durch Freundlichkeit geschehen ...

Am Tag darauf holten wir vier von ihnen (den Christen) ein, die zu Pferde waren. Sie waren völlig verblüfft, als sie mich sahen, ohne Kleider und in Gesellschaft von Indianern. Sie starrten mich lange Zeit an und dachten vorerst gar nicht daran, mich zu begrüßen, näher zu kommen oder Fragen zu stellen.

»Bringt mich zu eurem Kapitän«, sagte ich schließlich, und wir liefen zusammen eine halbe Meile zu einem Platz (nahe Ocoroni), wo wir ihren Kapitän, Diego de Alcarez, trafen. Als wir miteinander sprachen, gestand er mir ein, dass er überhaupt nicht wisse, wo er sei. Er habe keinen einzigen Indianer mehr einfangen können. Er wisse nicht, wohin die Indianer sich verkrochen hätten. Seine Männer seien hungrig und erschöpft.

Danach hatten wir eine heftige Auseinandersetzung mit ihm, denn er wollte die Indianer unseres Zuges als Sklaven nehmen. Wir wurden so zornig, dass wir uns fortmachten und uns nicht darum scherten, dass dabei viele Bogen türkischer Machart, Beutel und die fünf diamantenen Pfeilspitzen verlorengingen. Und sich dann auch noch vorzustellen, dass wir diesen Glaubensgenossen einen Vorrat an Kuhhäuten und anderen Dingen gegeben hatten, die unsere Träger so weit hatten schleppen müssen!

Alcarez hatte seinen Dolmetscher angewiesen, den Indianern klarzumachen, dass wir Angehörige einer vor langer Zeit untergegangenen Rasse seien, seine Gruppe aber die Herren des Landes, denen man gehorchen und dienen müsse, während man sich um uns nicht zu kümmern brauche.

Die Indianer achteten nicht darauf. Sie berieten sich und erwiderten dann, die Christenmenschen seien Lügner. Wir waren von Sonnenaufgang gekommen, die anderen von Sonnenuntergang. Wir hatten Kranke geheilt, sie Gesunde getötet. Wir seien nackt und barfuß gewesen, sie bekleidet, zu Pferde und mit Lanzen bewaffnet. Wir hätten nichts versteckt, sondern das geteilt, was man uns gegeben habe, während die anderen raubten und niemandem etwas schenkten.

Nur mit größter Überredungskunst gelang es mir, sie zu veranlassen in ihre Dörfer heimzukehren. Ich redete ihnen zu und sagte ihnen, sie sollten ihre Ortschaften wieder aufbauen und keine Furcht haben.

Obwohl man der Landschaft die Vernachlässigung schon anzumerken beginnt, ist dies ohne Zweifel eine der fruchtbarsten Gegenden in ganz Indien. Hier wachsen drei Ernten im Jahr. Die Bäume tragen viel Früchte. Schöne Flüsse und üppige Quellen gibt es überall. Es gibt auch gold- und silberhaltiges Erz. Die Menschen sind gutwillig und bereit, jenen Christen, die sich als ihre Freunde erweisen, zu helfen. In diesem Land mangelt es, kurz gesagt, an nichts. Man kann wahrlich sagen: Es ist gesegnet.

 

Fray Marcos de Niza

Die sieben Städte von Cibola

 

Bei der Expedition des Mönchs Marcos de Niza, die nach Norden zog, um nach Gold zu suchen, befand sich auch ein schwarzer Negersklave der Spanier aus Marokko. Esteban hatte die lange Wanderung de Vacas von Louisiana nach Mexiko mitgemacht. Von daher kannte er sich bei den Indianern gut aus. Das war auch der Grund, weshalb der spanische Vizekönig dem Mönch den schwarzen Sklaven mitgegeben hatte.

Aber Esteban entfernte sich vom Haupttrupp. Unter den Indianern trat er als Zauberer und Wundertäter auf. Er versammelte bald ein Gefolge von über hundert Männern und Frauen um sich. Erst in Cibola (Zuñi) endete sein Zug, als er nämlich von dem Kaziken oder Hohepriester der Ortschaft Unterwerfung forderte. Die Zuñi fielen auf den angeblichen Zauberer nicht herein. Sie setzten ihn gefangen. Seine Anhänger stoben davon. Nach sorgfältigem Verhör wurde er totgeschlagen und seine Leiche vor der Stadt den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen.

Mit dem nachfolgenden Mönch Marcos hatte Esteban eine Absprache getroffen. Gab es gute Nachricht, so würde er an Marcos einen Boten mit einem kleinen Kreuz schicken, bei besserer Nachricht würde das Kreuz etwas größer sein. Der indianische Bote, der bei Marcos erschien, schleppte schließlich ein Kreuz, das übermannsgroß war. Natürlich fühlte sich der Spanier durch diese Botschaft ermuntert und hoffte auf große Schätze. Was er mit seiner Expedition weiter erlebte, schildert er selbst in einem Bericht für den Vizekönig nach Rückkehr von seiner Reise so:

Es scheint mir wichtig, hier wiederzugeben, was dieser indianische Bote, den mir Esteban geschickt hat, über dieses Land erzählt. Er sagt und bleibt dabei, dass in dieser ersten Provinz sieben sehr große Städte liegen, alle unter einem Herrscher, mit großen Häusern aus Stein und Mörtel. Die kleineren Häuser sind ein Stockwerk hoch, mit Terrassen darüber, andere haben zwei oder drei Stockwerke. Das Haus des Herrschers soll gar vier Stockwerke hoch sein. Diese Häuser sind alle in ordentlicher Art miteinander verbunden. Er sagt auch, dass die Eingänge zu den besten Häusern viele Verzierungen aus Schildpatt haben, welches dort im Überfluss vorkommt, und dass die Leute in diesen Städten wohlgekleidet sind. Er erzählte mir viele andere Einzelheiten, sowohl über die sieben Städte wie auch über die weiter entfernt liegenden Provinzen, von denen er sogar behauptete, diese seien noch bedeutender als diese sieben Städte. Um herauszufinden, wie er denn zu diesem Wissen komme, haben wir ihn genau verhört, aber er wusste auf alle Fragen eine Antwort.

Begleitet von ihm und von meinen Indianern und den Dolmetschern setzte ich meine Reise fort, bis wir Cibola vor uns sahen. Es liegt in einer Ebene am Fuße eines runden Hügels.

Die Stadt hat ein hübsches Aussehen. Mit den Häusern verhält es sich so, wie es mir von den Indianern beschrieben worden ist: sie sind alle aus Stein mit Terrassen und flachen Dächern. Jedenfalls stellt es sich mir von einem Hügel aus so dar. Die Ortschaft ist weit größer als die Stadt Mexico. Manchmal war ich versucht, in den Ort hinabzusteigen. Ich wusste, dass ich dabei mein Leben aufs Spiel setzen würde, und ich hatte Gott mein Leben angeboten an dem Tag, an dem ich zu dieser Reise aufgebrochen war. Am Ende aber, da ich mir die Gefahren vorstellte, fürchtete ich, dass, sofern ich umkommen würde, die Nachricht über dieses Land mit mir untergehen werde, und das wäre doch schade, denn es ist bestimmt das größte und beste von allen Ländern, die wir bisher entdeckt haben.

Als ich dem Häuptling, der mit mir war, zu verstehen gab, wie sehr ich von Cibola beeindruckt sei, sagte er mir, dies sei die kleinste der sieben Städte und Totonteac sei viel größer und schöner als die sieben. Es habe dort so viele Häuser und so viele Menschen, dass gar kein Ende abzusehen sei.

Auf meinem Rückweg überlegte ich, ob ich nicht in jenes Tal eindringen solle, bei dem die Sierras enden.

Ohne Gefahr für mein Leben wäre das nicht möglich gewesen, und deshalb sagte ich mir, es sei besser, wenn die Spanier erst herkämen, sich hier niederließen und das Land mit den sieben Städten beherrschten. Danach werde man das Tal ohne Schwierigkeiten auskundschaften können. Ich sah vom Eingang des Tales her sieben ziemlich große Ortschaften in einiger Entfernung und ein Stück grünes Land mit gutem Boden. Rauch stieg dort auf. Man sagte mir, es gebe dort Gold, und die Eingeborenen verarbeiteten es zu Gefäßen und zu Ohrringen. Sie formten daraus aber auch dünne Blätter, mit denen sie sich den Schweiß fortwischten. Bei dem voranstehenden Bericht, muss man zwischen den Zeilen lesen. Marcos de Niza konnte unmöglich geradeheraus zugeben, dass seine Expedition ein Fehlschlag gewesen war. Also war er bestrebt, die Legende von den sieben Städten, Goldfunden und großen Schätzen weiter zu nähren. Als sich aber 1540 Coronado auf die Suche machte, kam der Schwindel heraus, jedenfalls was Cibola anging.

 

Pedro de Castañeda

Coronado in Cibola

 

Am nächsten Tag erreichten wir besiedeltes Land, und wir sahen die erste Ortschaft. Das war Cibola, und derart waren die Flüche, die man gegen den Mönch Marcos ausstieß, dass ich zu Gott betete, damit er ihn beschützen möge. Es handelt sich um ein kleines, unansehnliches Dorf, wie man es überall finden kann. Es gibt Landgüter in Neu-Spanien, die aus der Entfernung stattlicher aussehen. Es ist eine Ortschaft von etwa 200 Kriegern, die Häuser sind drei, manchmal vier Stockwerke hoch, aber die Gebäude sind klein und haben nur ein paar Räume ohne Innenhof. Ein Meter in der Tiefe misst jedes Zimmer. Die Leute aus dem ganzen Bezirk hatten sich dort versammelt. Es gibt in der Tat sieben Ortschaften in der Provinz, und einige sind größer und stärker als Cíbola.

Diese Leute warteten auf die Armee, die in Abteilungen vor dem Dorf Aufstellung genommen hatte.

Ais sie sich weigerten, Frieden zu halten gemäß den Bedingungen, die ihnen die Dolmetscher genannt hatten, und sich erdreisteten, eine feindselige Haltung einzunehmen, wurde Santiago (Kriegsruf der Spanier, nach dem heiligen Jakob) befohlen, und sie wurden in die Flucht geschlagen. Die Spanier griffen das Dorf an. Bei der Einnahme gab es gewisse Schwierigkeiten, weil der enge und winklige Zugang gut verteidigt wurde.

Während des Angriffs wurde der General (Coronado) mit einem großen Stein niedergeschlagen und wäre wohl gar noch getötet worden, hätten nicht Don Garcia Lopez de Cardenas und Hernando de Lavarado sich über ihn geworfen und ihn fortgezerrt, wobei sie selbst von nicht wenigen Steinen getroffen wurden. Aber dem Eifer der Spanier hielten die Eingeborenen schließlich doch nicht stand. Nach etwa einer Stunde drang man in die Ortschaft ein und besetzte sie. Man entdeckte Lebensmittelvorräte dort, und die hatte man am nötigsten. Danach war die ganze Provinz befriedet.

 

Weiter nach Norden

 

Aber auch Coronado war nur allzu gern bereit, Gerüchten von Goldfunden und großen reichen Städten im Norden Glauben zu schenken.

Die besten Geschichten von Gran Quiviria, wie die Indianer dieses Goldland bezeichneten, erfuhr Coronado von einem Sklaven der Pecos-Indianer, der weit draußen in den Ebenen nach Osten von den Komantschen gefangengenommen worden und in die Dörfer der Pecos verkauft worden war. Der Sklave behauptete, er sei in Gran Quiviria geboren. Er behauptete auch, dass der Herr dieses Landes seinen Mittagsschlaf unter einem großen Baum abhalte, an dessen Zweigen eine große Zahl kleiner goldener Glöckchen hingen, deren Geläut ihn einschläfere. Die ganz gewöhnlichen Teller seien dort aus Gold gemacht und die Krüge und Schalen auch.

Coronado hörte dem »Türken«, wie die Spanier den Sklaven getauft hatten, voller Begeisterung zu.