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Jean Qui Rit

Märchen für Erwachsene

Ein illustriertes Geschichtenbuch

Jean Qui Rit

Märchen für Erwachsene

Ein illustriertes Geschichtenbuch

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Illustrationen: Artuš Scheiner
1. Auflage, ISBN 978-3-962816-88-9

null-papier.de/672

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die drei Schlüs­sel.

Die Glas­prin­zes­sin.

Spiel­kar­ten.

Auf Flü­geln.

Das blaue Kö­nig­reich.

Die Wün­schel­ru­te.

Das Glück liegt in der Mit­te.

Das Mys­te­ri­um des Le­bens.

Das Kreuz des Ori­on.

Die Plat­ten­see-Nixe.

Der dank­ba­re Hirsch.

Der Astro­nom.

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Die drei Schlüssel.

Es war ein­mal ein Schlos­ser­ge­sel­le, der war so hübsch, dass alle Frau­en sich in ihn ver­lieb­ten. Auch war er so ge­schickt in sei­nem Hand­werk, dass es kei­nen Schlüs­sel gab, den er nicht nach­zu­bil­den, kein Schloss, das er nicht zu öff­nen ver­moch­te. Nach­dem er sein Meis­ter­stück ge­macht, be­gab er sich auf die Wan­der­schaft. Ei­nes Abends kam er in eine große Stadt am Meer, die von ei­nem düs­tern Ge­bäu­de über­ragt war. Es glich mehr ei­nem Klos­ter als ei­nem Palast. Mit ei­nem Kru­zi­fix wur­de die Glo­cke ge­zo­gen, ein großes Kreuz hing an der Schloss­mau­er, Bil­der von Hei­li­gen und Mär­ty­rern wa­ren in die Wän­de ein­ge­mei­ßelt.

In der Her­ber­ge, wo er über­nach­te­te, er­kun­dig­te sich der Schlos­ser­ge­sel­le, ob er in der Stadt oder im Schlos­se Ar­beit fin­den wür­de.

»Für Schlos­ser gibt es kei­ne Ar­beit,« war die Ant­wort des Wir­tes. »Macht, dass ihr fort­kommt, es könn­te sein, dass der Kö­nig euch selbst schlie­ßen lie­ße, näm­lich krumm­schlie­ßen und in das Ge­fäng­nis wer­fen.«

»Sagt ein­mal,« er­wi­der­te der Ge­sel­le, in­dem er nach der Stirn deu­te­te, »euer Kö­nig ist wohl hier nicht ganz rich­tig?«

Der Wirt zuck­te mit den Ach­seln. Er rück­te dem Gast et­was nä­her.

»Je­den­falls ist er sehr fromm,« sag­te er ge­heim­nis­voll, »und hat nur einen Wunsch, den, in den Him­mel zu kom­men. Und weil er ein­mal ge­hört hat, dass ge­schrie­ben steht, es gehe eher ein Ka­mel durch ein Na­delöhr, als dass ein Rei­cher in den Him­mel kom­me, so be­schloss er, sich sei­nes Reich­tums ein für al­le­mal zu ent­äu­ßern und sei­ne Schät­ze und Kost­bar­kei­ten in das Meer zu ver­sen­ken, wo es am tiefs­ten ist. Aber die Kö­ni­gin war da­mit nicht ein­ver­stan­den, und als sie sah, dass sie den Ent­schluss ih­res Ge­mahls, in Ar­mut dem Herrn zu die­nen, nicht zu er­schüt­tern ver­möch­te, so fleh­te sie ihn auf den Kni­en an, alle die Kost­bar­kei­ten nicht ent­gül­tig von sich zu wer­fen, son­dern sie in eine ei­ser­ne Tru­he zu ver­schlie­ßen und den Schlüs­sel ab­zu­zie­hen. Da ließ der Kö­nig von dem tüch­tigs­ten Schlos­ser­meis­ter des Lan­des ein Schloss von so kunst­vol­ler Mecha­nik her­stel­len und einen so selt­sa­men ver­schnör­kel­ten Schlüs­sel, dass nie­mand ihn nach­zu­bil­den ver­moch­te. Die­sen Schlüs­sel aber warf er in das Meer.«

»Und was wur­de aus dem Schlos­ser?« frag­te der Jüng­ling.

»Ver­rückt wur­de er über sei­ne Er­fin­dung. Er hat näm­lich nach die­sem Schloss noch ein an­de­res an­fer­ti­gen müs­sen, das ist aber so ge­heim­nis­voll, dass man über­haupt nicht da­von re­den darf. Und als der Kö­nig auch den Schlüs­sel zu die­sem Schloss ins Meer warf, wo es am tiefs­ten ist, da sprang der Schlos­ser nach und er­trank.«

Die drei Schlüssel

»Ich wäre ein trau­ri­ger Schlos­ser­ge­sel­le,« rief der Jüng­ling, »wenn ich mich für die­se Wun­der­wer­ke mei­ner Zunft nicht in­ter­es­sier­te! Ich muss sie se­hen und wärs mit Ge­fahr mei­nes Le­bens.«

Am nächs­ten Mor­gen be­gab er sich in den Palast. Keck, wie er war, frag­te er den nächs­ten bes­ten, ob es für einen Schlos­ser Ar­beit gebe. Der nächs­te bes­te aber war der Kö­nig selbst.

»Aus den Au­gen!« herrsch­te der Kö­nig ihn an. »Wenn ich nicht ein Hei­li­ger wäre, wür­de ich dir den Kopf ab­schla­gen las­sen.«

»Ein son­der­ba­rer Hei­li­ger,« dach­te der Ge­sel­le und drück­te sich. »Aber den Kopf kos­tets nicht, wie es scheint, und ich darf mich wohl ein we­nig um­schau­en.«

Und wäh­rend er St. Pe­trus mit dem Him­mel­schlüs­sel be­trach­te­te, des­sen Por­trät die Wand des Kor­ri­dors zier­te, fühl­te er die Berüh­rung ei­ner sanf­ten Frau­en­hand. Als er sich um­wand­te, stand die Kö­ni­gin vor ihm. Er er­kann­te sie so­gleich an der klei­nen Kro­ne auf ih­ren Sil­ber­lo­cken. Die Lo­cken wa­ren auch das ein­zi­ge an ihr, das wie Edel­me­tall aus­sah, denn die Kro­ne selbst war von Mes­sing.

»Wenn es wahr ist,« sag­te die hohe Frau, »dass ihr ein Schlos­ser seid, wie ich höre, so kommt ihr mir wie ge­ru­fen. Ist es nicht eine Schan­de für eine Kö­ni­gin, einen ge­flick­ten Rock zu tra­gen, da mein Ge­mahl doch reich ge­nug wäre, mich in Samt und Sei­de, Zo­bel und Her­me­lin zu klei­den!«

Mit die­sen Wor­ten er­griff sie die Hand des Jüng­lings und führ­te ihn, vor­sich­tig um sich bli­ckend, auf ei­ner Hin­ter­trep­pe in ein un­ter­ir­di­sches Ge­mach, in des­sen Mit­te eine ei­ser­ne Tru­he stand, die ei­nem großen Sar­ko­phag ähn­lich war.

»Die Tru­he ent­hält un­sern Reich­tum,« er­klär­te die Kö­ni­gin: »Das größ­te Stück Gol­des, das sich dar­in fin­det, soll euer sein, wenn es euch ge­lingt, sie zu öff­nen.«

Der Ge­sel­le un­ter­such­te das Schloss auf das ge­naues­te.

»Das ist ein selt­sa­mes Mach­werk,« sag­te er dann. Er nahm aus sei­nem Fell­ei­sen ein Stück Wachs, er­wärm­te es zwi­schen den Fin­gern und drück­te es in das Schlüs­sel­loch. »Ein ver­zwick­tes Schloss,« fuhr er fort, in­dem er den Ab­druck sin­nend be­trach­te­te. »Es ist nur mit ei­nem Schlüs­sel aus Sil­ber zu öff­nen.«

»Wel­ches Glück!« rief die Kö­ni­gin und warf dem Ge­sel­len ihre letz­te Sil­ber­mün­ze zu. »Wäre Gold zu dem Schlüs­sel er­for­der­lich, so müss­te ich auf mein neu­es Kleid ver­zich­ten.«

Der Ge­sel­le nahm die Mün­ze und ließ sich von der ho­hen Frau durch eine Rei­he dunk­ler Kor­ri­do­re in die ver­bor­gens­te Kam­mer des Palas­tes füh­ren, in ein un­ter­ir­di­sches Ge­mach, zu des­sen ver­git­ter­tem Fens­ter die Mee­res­bran­dung schäu­mend und to­send em­por­schlug. Bald hat­te der Ge­sel­le den Raum in eine Schlos­ser­werk­stät­te um­ge­wan­delt. Hier schmolz er das Sil­ber, goss es, bohr­te, schmie­de­te und feil­te, bis ein sil­ber­ner Schlüs­sel zu­stan­de kam, so selt­sam ver­schnör­kelt, wie ihn noch kein mensch­li­ches Auge ge­schaut.

Ein Freu­den­schrei ent­rang sich den Lip­pen der Kö­ni­gin, als sie sah, dass auf eine ein­zi­ge Um­dre­hung des Schlüs­sels die Tru­he auf­sprang und de­ren Schät­ze im Lich­te fun­kel­ten.

»Gebt mir den Schlüs­sel!« rief sie be­bend, »und nehmt da­für Gold, so viel ihr zu tra­gen ver­mögt.«

Das ließ sich der Ge­sel­le nicht zwei­mal sa­gen. Er er­griff einen Bar­ren, so groß wie eine Nu­del­wal­ze, dann eil­te er in sei­ne un­ter­ir­di­sche Werk­stät­te, um sein Fell­ei­sen zu ho­len und sich so rasch wie mög­lich aus dem Stau­be zu ma­chen.

Aber der Duft ei­nes Atems, so süß wie der Hauch des Ze­phirs, der über Ro­sen weht, hat­te in­zwi­schen die Mo­der­luft die­ses Kel­ler­rau­mes ver­drängt und das Knis­tern ei­nes Frau­en­klei­des strich (ähn­lich dem Flü­gel­schla­ge Ku­pi­dos und der Gra­zi­en) über die feuch­ten, stei­ner­nen Flie­sen. Und ein Flüs­tern kam aus dem Halb­dun­kel wie das Zwit­schern ei­ner Schwal­be aus blu­me­num­rank­ten Rui­nen. Schön wie ein En­gel, aber bleich wie eine Mär­ty­rin stand die ju­gend­li­che Prin­zes­sin des kö­nig­li­chen Hau­ses vor dem er­staun­ten Ge­sel­len und bat ihn um sei­ne Diens­te. Da­bei flog eine dunkle Röte über ihr sanf­tes Ge­sicht und eine Trä­ne blitz­te auf in dem ent­zücken­den Schat­ten ih­rer lan­gen Wim­pern.

In se­li­gem Be­trach­ten stand der Jüng­ling vor ihr, den Gold­bar­ren in der Hand, der durch den Glanz ih­res lan­gen gol­de­nen Haa­res über­strahlt wur­de. Er zer­mar­ter­te sich den Kopf, wel­cher Art die Diens­te sein könn­ten, die sie von ihm be­gehr­te. Und er dach­te an das Schloss, das so ge­heim­nis­voll ist, dass man über­haupt nicht da­von spre­chen dür­fe …

Mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen, glü­hend vor Scham, tat sie ihm kund, dass ihr Va­ter, der Kö­nig, von ihr er­war­te, dass sie ihm den Him­mel ver­die­nen hel­fe, in­dem sie ihr Fleisch ab­tö­te. In sei­nem from­men Wahn habe er sie zu ewi­ger Keusch­heit ver­ur­teilt.

Da­bei warf sie ihr Ge­wand ab und ent­hüll­te vor den ge­blen­de­ten Au­gen des Jüng­lings einen jung­fräu­li­chen Kör­per von vollen­de­ten For­men, schnee­weiß wie ein Staub­bach.

Aber ein Staub­bach, über den eine gol­de­ne Brücke führt! Sie trug einen Keusch­heits­gür­tel!

Ein Band aus Gold­ge­flecht, ge­die­gen wie Stahl und bieg­sam wie eine Schlan­ge um­schloss ihre schlan­ke Tail­le. Un­ter der ro­si­gen Pa­pil­la­zee des perl­mut­ter­wei­ßen Bau­ches war eine brei­te Schär­pe an­ge­schmie­det, ähn­lich ei­ner me­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­