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ÜBER DIE GRENZEN

Wien, Damaskus, Kabul:
Drei wahre Geschichten von Reise und Flucht

FRANZ PAUL HORN

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Eine Reise ist kein Spaß, sonst wär’s ein Urlaub.

Wien – Teheran in 70 Tagen

Die drei Musketiere

Damaskus

Le Debut

Das schöne Dorf

Diese ungarische Tiefebene

Dschihad: Mein Leben als Taliban

Ein Fest in Budapest

Ein Anschlag, der Koch und meine Schlapfen

Im Schatten vom Wind

Der leichteste Teil meiner Reise

Von Zigeunerkönigen und anderen Fabelwesen

Der gar nicht so unsympathische Schlepper

Die Zeit war schön

Die iranische Polizei

Belgrad & Dschingis Khans schönste Tochter

In der Früh fahre ich übers Meer

Von Wachhunden und anderen Formen der Willkommenskultur

Morgengrauen am Mittelmeer

Der natürliche Feind des Radfahreers ist der gemeine Lastkraftwagen

Türkische Berge und kurdische Milizen

Dass das so eine Fahrerei wird...

Mazedonien, mein erster Versuch

OXI – Nein zu Deutschland

Meine erste Busfahrt

Ziemlich cool nach Istanbul

Kidnapping in Istanbul

Istanbul

Spazieren durch Mazedonien

Weit, weit in den Osten

Goldene Morgenröte in Griechenland

Bagdad-Boys in Kappadokien

Die Wagenburg in Serbien

Aus dem Alltag einer dörrenden Marille

LKW-Nächte, ein Speedboat und ein griechisches Gefängnis

Weil der Mensch zählt

Durch den Schlamm nach Belgrad

The Van-City-Boys

Brautschau in Belgrad

Von Hundeattacken und anderen Gangstereien

Diese scheiß Theiss

Welcome to Aserbaidschan

Szeged oder: Die Angst vor offenen Feldern

Iran statt Daham

Mein Kleintransporter als Baumschmuck

Wütend in Tabriz

Fußfrei nach Österreich

Tabriz Boys

Filip: Mein zweites Leben

An Teheran Heheran

Malek: Mein ganzes Leben ist Laufen

Am Ziel

Zuhause, ein Gast und ein fremder Bruder

Epilog

Danke

DIE DREI MUSKETIERE

Sebastian will mit dem Rad fahren. Eine Studienabschlussreise. Ursprünglich wollte er allein ans Nordkap, aber vielleicht wäre es doch cooler, in den Iran zu fahren? Ja, durch Südosteuropa, wie die Landstreicher, nur mit Zelt und Schlafsack, und dann nach Teheran. Das wäre sicher lustig, und so weit wäre es dann auch wieder nicht. Ein paar tausend Kilometer nur. „Scheiße“, denke ich mir, „der macht das wirklich. Verdammt, da muss ich mitfahren, sonst bin ich nicht dabei.“

Sebastian ist von allen Uni-Weggefährten mein Lieblingsmensch. Warum? Weil er gerne lacht, gern Nonsens redet, trotzdem der Schlauste im ganzen Jahrgang ist und ständig furchtbar interessante Dinge zu erzählen hat. Ein treuer Freund, offen, ehrlich und nebenbei der Grund für meinen Studienerfolg. Irgendwann im zweiten Semester kreuzen sich unsere Wege. Seitdem marschieren wir im Gleichschritt durch Vorlesungen, Exkursionen und Prüfungen. Sebastian ist Vorzeigebiologe, die coole, zurückgelehnt-freundliche Art. Pünktlich ist er und sitzt immer bereits im Hörsaal, wenn es mich mit einer ordentlichen Verspätung reinspült. Er zieht die Jacke vom Sessel neben sich, den er mir verlässlich reserviert hat. „Hab ich was verpasst?“, frage ich ihn dann.

„Iwo. Überhaupt nichts versäumt.“

Sebastian ist mein Exkursionspartner, er findet die spannendsten Veranstaltungen, brieft mich und ich fahre überallhin mit. Wir nennen es unser Reisestudium, obwohl es offiziell schon Biologie heißt. Gemeinsam überqueren wir die Alpen, reisen nach Kasachstan, quer durch Österreich und Europa. Unsere Studienromanze, wie wir es scherzhaft nennen, bringt uns bis Costa Rica, in die Tieflandregenwälder und Mangrovensümpfe Mittelamerikas.

Mit Sebastian bilde ich ein Dschungel-Projektteam. Wir machen Wiederbewaldung für die Uni, endlich mal die Welt retten. Ein Projekt zur Wiederherstellung gerodeten Regenwalds. Das heißt für uns: Urwaldbäume zählen, bestimmen und vermessen, Bodenmineralien checken, pH-Wert und Konduktivität an unzähligen Standorten ermitteln und mit GPS verorten. Wir arbeiten in brütender Urwaldhitze, den Hügel rauf, den Hügel runter. Schlangen, Spinnen und viel Regenwaldschweiß. Danach nackt unter den Urwaldwasserfall und selbstgepflückte Bananen im Naturpool versnacken. Am Abend trinken wir, flirten mit den Mädels, braten ein Schwein über dem Lagerfeuer und tanzen Samba (neben-, nicht miteinander). Sebastian borgt mir sein T-Shirt, wenn meine schon alle stinken. Ich könne mich ruhig bedienen, das frische nehmen, meint er, das brauche er sowieso nicht: „Da, Paul, nimm!“, sagt er. Er würde mir wahrscheinlich auch eine Niere borgen, wenn ich ihn frage. Sebastian trinkt ein Glas Rum, wenn ich eine halbe Flasche davon saufe. Er lacht zwar, aber er schaut immer vorwurfsvoll, wenn ich ihn auf die augenscheinliche Schönheit weiblicher Körper aufmerksam mache. Ein moralisches Gewissen, ein Humanist, kein Sauprolet.

Sebastian, der Weltgewandte. Er weiß, wo der spitzeste Kirchturm der Welt steht, in St. Peter, nahe Ried im Innkreis, Oberösterreich. Sebastian kennt die Kiebitze der Innviertler Getreidefelder und die Wapiti-Hirsche des Yellowstone Nationalparks. Sebastian sagt: „Ja, stimmt, da war ich schon mal“, ganz egal, um welchen Ort der Welt es sich handelt.

Sebastian läuft den Marathon unter drei Stunden und den halben unter 1:25. Ein Sportler eben, Alpinist nebenbei. Sebastian ist kein überragender Fußballspieler, aber das liegt eher an seiner Brille, die dick und schwer ist und die er sich nur sehr ungern von der Nase schießen lässt. Sebastian schwimmt drei Kilometer durch den Lunzer See und kämpft sich durchs Schilf zurück, wenn er mit seinen sieben Dioptrien den Steg nicht mehr findet. Sebastian läuft mit mir kilometerweit zum Obersee, wo wir uns beide vor Anstrengung fast anspeiben. Am folgenden Tag, weil es so lustig war, machen wir denselben Lauf nochmal.

Sebastian hatte eine Freundin. Dann keine. Dann eine. Dann wieder keine. Furchtbar kompliziert. Zu guten Ideen sagt Sebastian: „Ja. Ja. Und nochmal Ja.“ Und wenn keiner mit guten Ideen daherkommt, dann bringt er sie eben selbst. Iran also. Wir legen unsere Abschlussprüfung am selben Tag hin, beantragen ein Visum in der iranischen Botschaft. Sebastian holt rechtzeitig, Monate zuvor, noch einen dritten Mitstreiter ins Boot, Thomas, und macht uns so zu einer schlagkräftigen Dreiergruppe.

Thommy-Boy ist Vorarlberger und liebt Agamen. Das ist die interessanteste Familie unter den Schuppenkriechtieren, seiner Meinung nach. Für den Laien kann man Agamen mit Eidechsen vergleichen, nur ungemein spannender. Flugdrachen, Segelechsen, Dornteufel, das sind alles Agamen. Exotische Tiere aus einer anderen Welt. Große Augen, kunterbunte Zeichnung, ein Jacobson-Organ, aufregend. Thomas fängt Schlangen mit der bloßen Hand. Die ungiftigen. Bei den giftigen müsse man ein wenig vorsichtiger sein, sagt er, da nehme er sich gern ein Buch oder ein Stöckchen zur Hilfe, um der Schlange erst den Kopf auf den Boden zu drücken. Thomas ist Taxonom, ein Systematiker also, der Getier in definierte wissenschaftliche Schubladen steckt. Er liebt Ordnungen, Gruppen, Familien, Gattungen und deren wissenschaftlich korrekte Logik. Thomas stellt sehr gerne Fragen und hört sich die dazugehörigen Antworten an. Egal, wie lange diese dauern mögen. Thomas und Mädchen? Ich weiß es nicht. Aber er macht einen Rückwärtssalto aus dem Stand.

Thomas liebt Wasser, Schwimmen, Tauchen, Schnorcheln, Fischfangen und Fischfressen. Ein Gewässerökologe eben. Thomas läuft genauso gerne nackt herum wie ich, er ist schwer schokoladesüchtig, hat eine militärische Ausbildung und war in jungen Jahren als KFOR-Soldat in Bosnien. Langweilig war es dort, meint er, aber er habe gut verdient und viel trainiert. Thomas ist ein super Klippenspringer, ein Turner und Leichtathlet und trotz seiner militärischen Vergangenheit kein Berufstrinker.

Thommy-Boy weiß mit seinen 23 Jahren, dass man im Schlaf nicht erfriert. Wichtig, wenn man bei minus 15 Grad Celsius in einem Zelt neben ihm liegt und sowohl der eigenen Angst als auch dem Kältetod ins Auge blickt. Denn auch mit Thomas verbindet mich eine Reisevergangenheit. Ein Freestyle-Zeltausflug in Kirgistan, bei dem wir ordentlich in Bedrängnis kommen. Thomas weiß so wie ich, dass man, wenn man zu zweit sieben Tage in einem abgeschiedenen kirgisischen Gebirgstal an einem forellenreichen Strom verbringen möchte, gut vorbereitet sein sollte. Das sind wir nicht. Wir fahren trotzdem in den verschneiten Nationalpark. Wir bringen nur Angelhaken und ein paar Beilagen für unsere Survival-Operation mit, sonst wäre es ja zu einfach, die Rucksäcke zu schwer und das ganze Unternehmen uninteressant. Thomas ist ein guter Fischer. Aber das hilft eben auch nichts, wenn im gesamten, angeblich forellenreichen Strom tatsächlich kein einziger Fisch lebt. Thomas und ich entscheiden uns, die Nahrungsmittelvorräte ab Tag eins zu rationieren. Wir kuscheln uns nachts aneinander, um nicht zu erfrieren, da die Nächte auf 2.600 Metern Seehöhe überraschend kalt werden. In der ersten Nacht frieren unsere Trinkwasserflaschen, die Bergschuhe und Socken, die vom nachmittäglichen Sturz in den forellenreichen Strom noch nass sind. Und wir frieren um unser Leben. Wir packen unsere Füße in Pullover, damit uns die Zehen nicht abfrieren. Wir liegen mit Handschuhen und Haube im Schlafsack, nur die Nasenspitze lugt in die Kälte. Wir bleiben die ganzen sieben Tage im Nationalpark, wie geplant, und kommen hungrig, durchgefroren und von der Frühlingssonne verbrannt zurück. Das war nicht geplant. Wir haben was erlebt.

Thomas ist organisiert, er kennt Fahrradtouren von wochenlangen Ausflügen durchs verregnete Polen. Er weiß als Einziger, was auf uns zukommt und übt zuhause das Flicken seiner Fahrradschläuche, das Reparieren der Bremsen und das Tauschen der Schalt- und Bremsseile. Er übt das Einstellen der Schaltung und den Wechsel der Tretlager. Er montiert zwei Gepäckträger und fünf Packtaschen an seinem 20 Jahre alten Waffenrad. Das Gewicht der Taschen ist austariert und jede Einzelheit wasserdicht verpackt. Thomas ist vorbereitet und fährt nicht faul mit dem Zug nach Wien. Nein, er fährt mit dem Fahrrad ab Bregenz, denn Thomas trainiert schon vorsorglich. Er plant, es in sieben Tagen zu meiner Wiener Wohnung zu schaffen und wird die Nacht vor der Abreise bei mir schlafen.

Und ich? Ich bin der dritte Musketier! Mich selbst zu beschreiben fällt schwer, denke ich. Ich bin ein 28-jähriger Mann. Noch ein Junge? Hochgewachsen, mit sonnengebleichten Haaren und sportlicher Statur. Am Papier und im echten Leben habe ich Studien abgeschlossen: Biologie, Publizistik, Medienmanagement. In meinem Lebenslauf behaupte ich, teamfähig, kreativ, aufgeschlossen, projektfähig und weltoffen zu sein. Vier Sprachen und viele Soft-Skills, Auslandspraktika und Berufserfahrung in London und Paris. Ich arbeite an der Universität, bin gut vernetzt, jung und dynamisch. Daneben wird, zu großem eigenen Vergnügen und auch aus Gründen der Selbstdarstellung, gesurft, Ski gefahren, Beachvolleyball und Eishockey gespielt. Im Lebenslauf steht, dass auch Klettern mein Hobby sei. Das stimmt so nicht. Ich hätte gerne, dass Klettern mein Hobby wäre, dass ich gut wäre, so wie ich in allem gern gut wäre und sowieso am liebsten im Dunkeln leuchten würde. Und wenn wir schon dabei sind, ich würde auch gerne am Tag funkeln.

Ich liebe die verkaterten Samstage am Naschmarkt-Parkplatz, der gleich ums Eck meiner Wiener WG liegt. In dieser Melange unterschiedlichster Menschen fühle ich mich wohl: Arme, Reiche, Hippe und Langweilige, Erfolgreiche und Gescheiterte, Junge, Alte, Schöne und vom Leben gezeichnete Gestalten, alle sind hier am Flohmarkt beisammen und ich bin mittendrin.

Ich lade, das ist schon Monate her, den jungen Roma, den ich eines Wintertages bei minus fünf Grad ohne Schuhe, ohne T-Shirt, nur in einem Bademantel bettelnd an der Wienzeile auflese, in meine Wohnung ein, damit er sich aufwärmen kann. Seine Füße sind blau und erfroren. Da kann ich nicht vorbeigehen. Ich lade ihn in mein Wohnzimmer zum Frühstücken ein. Ich schenke ihm Schuhe, Socken, eine Hose, ein Shirt und eine Jacke. Mache für uns beide ein paar Frühstückstoasts und bin glücklich, dass sich mein Barfuß-Gast so über die Einladung freut. Mich kostet es nichts. Mir wärmt es das Herz, ihm den Körper. Als mir der junge Mann seinen Ausweis zeigt, er will beweisen, dass er aus Rumänien kommt, stellt sich heraus, dass er gleich alt ist wie ich. Nur eben schlechter dran. Das beschäftigt mich lange, dass es mir so unglaublich viel besser geht, dass ich alle Chancen der Welt habe und ich trotzdem so wenig dafür mache, dass es auch anderen besser geht. Ich gebe ihm aus meiner dürftigen Studentengeldtasche zehn Euro mit auf den Weg und weiß, dass ich sein Leben nicht verändert habe. Aber es fühlt sich gut an, Mitgefühl zu zeigen und zumindest hin und wieder ein bisschen zu teilen.

Ich kann auch anders. Das finde ich gut und gleichzeitig schlecht. Auf Partys und bei jeder Gelegenheit messe ich mich mit meinen Salzburger Freunden. Raufereien, Exzesse, Mädchen, Sport und ständiger Wettkampf. Viel Spaß und trotzdem immer ein bisschen die Frage, wer der größere Gorilla ist, wer sich lauter auf die Brust trommelt. Immer lustig und doch nur: reiner Schwanzvergleich. Sonst nichts.

Früher war ich ein echter Sportler. Handball. Das war jahrelang mein Leben. Eine Mannschaft, 30 Typen, fünf Trainings pro Woche und an jedem Wochenende ein Match. Trainieren bis man umfällt, kotzt oder sonst nicht mehr kann. Dann ein, zwei, drei Bier und groß Schmähführen. 30 junge Männer auf einem Haufen und ein rauer Umgangston. Ein Leben im Wolfsrudel, in dem man alles tut, um nicht unter die Räder zu kommen.

Nach vielen Jahren hänge ich das Handballerleben an den Nagel, um Zeit fürs Studium, für Beziehung, Freunde, fürs Reisen und für mich zu haben. Studienreisen durch die ganze Welt. Ich lerne Pflanzen, Tiere, Pilze kennen. Kurse finden draußen in der Sonne statt. Genau so habe ich mir ein Biologiestudium immer vorgestellt und genauso ist es. Aber auch das schönste Studium muss ich irgendwann abschließen.

Was die Zukunft angeht, habe ich ein etwas flaues Gefühl in der Magengrube. Was soll ich mit diesen brillanten Voraussetzungen anfangen, jetzt, da ich sie habe? Ein langweiliger Bürojob übt auf mich die gleiche Anziehungskraft aus wie Weihwasser auf den Teufel.

Was ich will? Ich will der Sonne jeden Tag beim Untergehen zusehen. Draußen unter freiem Himmel schlafen, im Schlafsack, auf einer Matte oder im weichen Gras liegen. Ich will kein Geld ausgeben und darum auch keines verdienen müssen. Ich will mein Herz und mein Hirn vollstopfen mit Eindrücken. Ich will mit offenen Augen durch die Welt fahren. Alles festhalten, mitnehmen, einsammeln, was es am Weg zu finden gibt. Ich will unter dem Radar fliegen, so dass niemand weiß, wo genau ich mich aufhalte, was ich mache, keine Reportpflicht, keine Verantwortlichkeiten. Ein Leben wie ein Landstreicher. Herrlich. Reifes Obst von Bäumen klauen und schwarz fischen. Wenn es regnet, werde ich nass. Wenn die Sonne scheint, werde ich braun. Wenn ich eingeladen werde, esse und trinke ich. Ich will unerwartete Feste feiern und mich an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. An einem neuen Fahrradreifen, einem guten Sattel, einem iranischen Visum im Pass. An einem kalten Fluss, einem guten Schlafplatz oder an einem schützenden Gelsenspray. An einer schönen Gesprächspartnerin, an fröhlichen Menschen. An Körpern und roten Lippen. An dem Gefühl frisch gewaschener, sonnengetrockneter Haut, an kühlen, nassen Haaren und dem Frösteln, wenn man triefend nass aus einem See steigt. An Dingen, die den Moment adeln.

Wir planen diesen Trip aus Jux und Tollerei. Weil uns keiner glaubt, dass wir das wirklich machen werden. Weil Radfahren und Wildcampen nichts kostet und weil wir alle viel Zeit und wenig Geld haben. Wir wollen Südosteuropa und die Seidenstraße entdecken. Die letzte halbwegs sichere Route, die noch weit in den Osten führt. Ich will dorthin, wo noch keiner meiner Freunde je war. Wir wollen rausfinden, wie weit wir kommen und Abenteuer erleben. Das ist Leben. Das ist die verlockende Reise, das ist die Aussicht, mit der mir Sebastian und Thomas seit Wochen den Mund wässrig machen. Ein Radausflug bis nach Teheran, wenn wir es schaffen, nur mit Zelt, Schlafsack und Matte. Das ist meine Motivation, um alle Studienabschlusspflichten zu erledigen, um fertig zu sein, wenn es soweit ist. Und als es soweit ist, bin ich fertig.

Damaskus

Ich bin alleine gereist, sagt Filip. Ich musste allein reisen. Man kann nur alleine reisen.

Ich muss Syrien verlassen. Mein Zwillingsbruder kämpft in Aleppo im Straßenkampf gegen den Islamischen Staat. Er wird angeschossen, schwer verwundet. Sie bringen ihn mit einem Flugzeug nach Damaskus und dort am Rollfeld wartet die ganze Familie auf ihn. Die Soldaten tragen einen halbtoten Bruder aus dem Flugzeug. Wallah – bei Gott. Er liegt blutüberströmt auf einer Bahre. Die Uniform ist nass, ein dicker Verband um den Bauch völlig durchgeblutet. Es ist ein Bauchdurchschuss, die Kugel sei knapp an der Wirbelsäule vorbei gegangen, sagt ein Soldat. Überall ist Blut. Blut und Scheiße und sein Darm hängt unter dem dunkelroten Verband heraus. Wallah. „Er wird sterben!“, schreit die Mutter. Der Bruder stinkt und stöhnt und es ist nicht mehr viel Leben in ihm. Ich merke, wie meine Hände zittern. Ich bin mir sicher, dass er sterben wird. Mein Vater bestellt ein Taxi und ruft im Krankenhaus an, um dort ein Bett zu reservieren. Krankenhausbetten sind knapp im Krieg. Mein Vater bezahlt die Ärzte. Zwei lange Operationen, sie stecken ihm die Gedärme zurück in den Bauchraum, nähen alles zu. Wir bringen ihm täglich Essen ins Krankenhaus, meine Mutter und Schwestern waschen ihn, pflegen ihn. Wechseln und waschen alle paar Tage seine Kleidung und die Bettwäsche. Irgendwie überlebt er ohne Sepsis, aber er ist ein Krüppel, er kann nicht mehr so schnell laufen, hat Schmerzen. Trotzdem muss er nach drei Monaten zurück zur Armee, nicht mehr nach Aleppo, nicht zurück in den Straßenkampf. Er wird nach Damaskus verlegt und im Umkreis der Hauptstadt eingesetzt. Er bewacht Checkpoints und patrouilliert durch die Stadt. Er ist nun zu 30 Prozent invalide. Ihm bleibt eine dicke Narbe über den ganzen Bauch und er ist einfach nicht mehr derselbe. Der Krieg hat ihn verändert. Er ist hart geworden. Bitter. Zynisch. Mein Zwillingsbruder, der Erstgeborene. Von zwei Söhnen wird zuerst immer der ältere eingezogen, so sind die Regeln in Syrien. Wenn der seinen siebenjährigen Dienst abgeleistet hat, muss der nächste Sohn kämpfen. Dann wäre ich dran. Mein Bruder ist im vierten Jahr.

Mein Onkel wird von Kämpfern der Freien Syrischen Armee entführt und gefoltert. Die FSA. Sie kämpfen für die Freiheit. Welche Freiheit? Er wird eingesperrt, ausgehungert, wird mit Kabeln und den nackten Fäusten geschlagen. Elektroschocks an allen Stellen des Körpers. Drei Monate lang. Irgendwann schafft es die Familie, ihn für zwei Millionen syrische Lira freizukaufen. Das ist nichts. Das sind nur 2000 Euro – für ein Leben. Kann die Familie nicht bezahlen, werden die Gefangenen getötet. Das ist Krieg. Kidnapping ist eine Einnahmequelle, mit dem Geld kaufen sie neue Waffen, Munition und bezahlen ihre Soldaten.

Zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges arbeite ich als DJ und im Elektrogeschäft meines Vaters. Wir fahren täglich mit dem Auto zum Geschäft, vorbei an Regierungscheckpoints, vorbei an Rebellencheckpoints. Eines Abends, der Krieg dauert mittlerweile schon über drei Jahre, werden wir von den Rebellen aufgehalten. Mit der AK im Anschlag zwingen sie uns, aus dem Auto auszusteigen. Sie fragen uns tausend Fragen, schlagen mich, sagen, ich kämpfe für die Regierung und bin ein Verräter. Mein Vater schafft es, mich zu retten, ich würde nicht kämpfen, sagt er, ich sei noch ein Junge, sie sollten mich gehen lassen. Nach wenigen Kilometern halten uns Soldaten der syrischen Armee an ihrem Checkpoint auf. Sie zwingen uns, auszusteigen, kontrollieren den Kofferraum, sie glauben, wir schmuggeln Waffen oder Sprengstoff für die FSA. Sie sagen, ich kämpfte für die FSA. Sie schlagen mich und wollen ein Geständnis. Mein Vater sagt: „Mein zweiter Sohn kämpft für Bashar al Assad, den Präsidenten, er wurde verwundet, wir kämpfen alle für Bashar.“ Er zeigt ein Handyfoto vom Soldatenausweis meines Bruders. Sie lassen mich gehen. Zuhause nimmt mich mein Vater beiseite: „Du darfst das Haus nicht mehr verlassen, Filip. Hier ist es zu gefährlich für dich. Für alle jungen Männer. Geh nach Deutschland“, sagt er, „hier in Syrien wirst du sterben.“

Ich verlasse in meiner letzten Woche in Syrien unser Haus nicht mehr. Mein Onkel hat Kontakte in Izmir, einige meiner Freunde leben bereits in Istanbul und arbeiten dort illegal, um sich eine Flucht nach Europa finanzieren zu können. Mein Vater borgt Geld bei Verwandten, er gibt mir 900 Dollar in bar für den Flug in die Türkei, er sagt: „Wenn du in Istanbul bist, schicke ich dir mehr Geld.“ Über eine syrische Reiseagentur buche ich online einen Bus nach Beirut. Der Agent im Büro sagt, ich müsse auch unbedingt ein Hotel im Libanon reservieren, sonst könne ich nicht ausreisen, und ich bräuchte die Bestätigung der Armee, dass ich kein Soldat bin. Sie suchen überall nach Deserteuren.

Die Autobahn in den Westen ist unter Regierungskontrolle, aber manchmal gibt es Anschläge und Attentate – hoffentlich trifft es nicht unseren Bus. Der Bus fährt im Zentrum Damaskus’ ab, eine halbe Stunde entfernt von meinem Elternhaus. Ich esse mein letztes Abendessen, ich verabschiede mich von meiner Mutter, die weint, von meinem Vater, der sagt, ich solle gut auf mich aufpassen, und von meinem Bruder, der mir eine Flasche Arak mitgibt, ein Lachen und einen Schlag auf den Rücken. „Mach’s gut“, sagt er. „Achie. Mein Bruder.“

In meinem Rucksack steckt mein iPad. Mit den Fotos meiner Familie, vielen Fotos von meinem Bruder und mir, als noch Frieden war, vom DJ-Leben und von Damaskus. Ein Ladekabel, ein Pullover, ein T-Shirt, eine Hose, mein Reisepass und das Dokument, das besagt, dass ich gerade nicht der Armee angehöre und ausreisen darf. Das Geld stecke ich in meine Unterhose, wenn es die Soldaten finden, nehmen sie mir alles weg. Die Soldaten stehlen, was sie kriegen können, das weiß jeder. Ich darf nicht wie jemand aussehen, der flüchtet, ich fahre in den Libanon, um meinen Onkel zu besuchen. Das muss ich sagen. An jedem Checkpoint werden wir angehalten und kontrolliert. Die Soldaten stehen mit Waffen vor dem Bus und jeder muss aussteigen, an zwei der Checkpoints kommen sie in den Bus und kontrollieren auch das Gepäck. Vor allem die jungen Männer bekommen eine Extrabehandlung. „Wo fährst du hin? Warum willst du in den Libanon? Bist du in der Armee? Wo ist dein Reisepass? Wo ist deine Armeebescheinigung? Was machst du im Libanon? Wie viel Bargeld trägst du bei dir? Willst du das Land verlassen? Bist du ein Verräter?“

Sie finden mein Geld nicht, weil sie meine Hose nicht durchsuchen. Amateure. Die Busfahrt nach Beirut dauert nur vier Stunden und nach dem letzten Checkpoint, als wir endlich im Libanon sind, beginne ich zu weinen. Ich habe jetzt alles verloren. Meine Familie, meine Arbeit, meine Freunde – alles. Alles, was ich in Syrien je hatte, ist weg.

LE DEBUT

Am Donnerstag, den 4. Juni 2015, kurz vor Mittag kommt unser Vorzeigevorarlberger recht abgekämpft und ein wenig krank in Wien an. Verkühlt, dank der kalten Nächte unter freiem Himmel. Die verbrachte er nämlich alle aus Heimlichkeits-, Abenteuer- und Kostensenkungsgründen im Schlafsack an der Donau. Dafür hat er ein 1a-Video von einem deutschen Biber mit im Gepäck. Meine Begeisterung ob der erstklassigen Biberdokumentation kennt keine Grenzen. Schnell noch sein schmutziges Gewand in die Waschmaschine – zu diesem Zeitpunkt verstehe ich noch nicht, warum ihn frische Wäsche und ein Bett so glücklich machen. Beim Mittagessen verschlingt er drei Portionen Nudeln und schaut mich danach immer noch hungrig an. Kohlenhydratspeicher auffüllen.

Am Vorabend der Reise mache ich endlich Nägel mit Köpfen. Ich teste, ob der geborgte Gepäckträger auf meinen Fahrradrahmen passt. Antwort: nein. Die Lösung ist rohe Gewalt. Wir biegen die Sache hin. Buchstäblich.

Ich packe endlich meine Taschen für die dreimonatige Reise, so wenig wie irgendwie möglich. Die letzte Woche habe ich damit verbracht, Dinge auf meiner Couch anzuhäufen und in komplizierten Überlegungen abzuwägen, was hierbleibt und was mitkommt. Ich präsentiere das Ergebnis:

image 2 Boxershorts (eine für Europa, eine für Asien)

image 2 Paar Socken (1 Paar Sportsocken, 1 Paar für gesellschaftliche Anlässe)

image 3 T-Shirts (ja, ich weiß, warum so viele??)

image 1 Radlerhose (neu, gepolstert, shiny like a fish)

image 1 Badehose und 1 Handtuch

image 1 kurze Hose

image 1 leichte, lange Hose

image 1 Pulli

image 1 Kopfkondom (ein Tuch für Hals, Kopf, Ohren – gegen Kälte)

image richtige Kondome (grenzenlos optimistisch bis weltfremd)

image Sportschuhe, Sandalen, Flip Flops

image Regenjacke & Regenhose

image Zahnbürste, Paste, Zahnseide

image Helm (neu)

image Sonnenbrille

image Kindle mit 9 Büchern von Hermann Hesse und dem Hobbit von Tolkien (Thema: Reise)

image Tagebuch & Stift

image Straßenkarten von Rumänien, Bulgarien, Türkei und Iran

image Smartphone & Headphones

image 1 Schlafsack, 1 Unterlagsmatte (einen Polster vergesse ich leider)

image Kamera und Reserve-Akkus (Reservespeicherkarten vergesse ich leider auch)

image Ladegeräte für alle erwähnten Elektrogeräte

image Parkemed 500 mg (gegen Schmerzen) und Kohletabletten (gegen Durchfall)

image 1 Lacrosse-Ball (Behandlung von Verspannungen und Problemen mit dem Iliosakralgelenk)

image Reste einer „Teufelssalbe“ gegen Muskelverspannungen

image Panzertape

image Müllsäcke (man braucht immer Müllsäcke)

image 1 Fernglas (wegen der Ornithologie)

image 1 iPod (ohne ausreichend Musik)

image Nippelspanner (fürs Fahrrad) und keinen Kettennieter (großer Fehler)

image Bremsbeläge für meine hübschen Scheibenbremsen

image Pass, Passkopie, Visum, 300 Euro in bar

image Ach ja: ein nigelnagelneuer Ledersattel, der sich perfekt an das Gesäß anpassen soll, wenn man ihn erst mal 300 Kilometer eingefahren hat, angeblich.

Das alles kommt in zwei geborgte Packtaschen, die wackelig links und rechts am Gepäckträger sitzen. Kamera, Pass, Geld, Smartphone und Sonnenbrille verstaue ich in meiner abnehmbaren Lenkertasche. Zwei volle Trinkflaschen stecken in den Flaschenträgern am Rahmen, der Schlafsack und meine Matte sind wasserdicht verpackt auf dem Gepäckträger verzurrt. Das Rad wiegt jetzt gute 40 Kilogramm.

Dann am frühen Abend noch ein letztes Bier mit Freunden und die letzten Telefonate. Keine Abschiedsparty, weil Organisation und Zeitdruck und, und, und. Thomas schläft derweil in der Wohnung, er ist erschöpft. Ich freue mich über all die guten Wünsche, die ich noch kurz vor der Abreise und in den Tagen zuvor bekomme. Ich freue mich, dass sich Familie und Freunde ein wenig sorgen, es ist ihnen also nicht gleichgültig, wie es um mich steht.

Einige Freunde gehen davon aus, dass mir der IS den Kopf abschneiden wird. Wobei sie bei jeder Gelegenheit betonen, dass sie auch das ganz witzig finden würden. Ich trage einen Zopf, ganz im Einklang mit modernen Frisur-Vorschriften. Daran könnte man, meinen die geschmacklosen Kumpanen, das abgetrennte Haupt recht gut in die Kamera halten. Ich nehme das als Kompliment, einerseits für meine gewagte Frisur, andererseits für meine Abenteuerpläne. Ich lache über die Geschmacklosigkeit und hoffe, dass wir nicht annähernd in die Nähe solcher IS-Aktionen kommen.

Meine Großmutter, Bäuerin aus dem steirischen Rantental, fragt, nachdem ich ihr von meinen Plänen erzähle, nur resigniert: „Muss denn das WIRKLICH sein? Warum unbedingt in den Iran?“

„Weil ich es will.“

Meiner Mutter werfe ich vor, keine Ahnung davon zu haben, was ich machen möchte und generell meinem Projekt uninteressiert und feindselig gegenüberzustehen. Kurz vor der Abfahrt gesteht sie unter Tränen, dass ich ja so wenig erzähle, sie sich Sorgen mache und doch einfach nur eingebunden werden wolle. Ich erzähle ihr, lang und ausführlich, von all unseren Sicherheitsvorkehrungen (es gibt nicht viele). Meine Großmutter mütterlicherseits, eine weitgereiste Frau im 85. Lebensjahr, meine Lieblingsoma, meint: „Großartig, was ihr heute alles machen könnt, ich hab mir als Mädel die Welt mit dem Finger auf der Landkarte angesehen. Dieses Persien würde mich auch interessieren. Ich war ja seinerzeit in Israel, da haben wir auf der Erd’ geschlafen, schön war das … (und so weiter).“ Dieser Optimismus ist für mich eine Unterstützung.

Thomas erzählte seiner Mutter vor einigen Monaten: „Mama, ich fahre in den Iran!“ Ihre Reaktion: „Nein!!“

Sebastians Eltern, vor allem sein Vater, sind generell davon überzeugt, dass ihren Sohn ein früher und tragischer Tod ereilen wird. Als gewiefter Stratege und Mann des Understatements wendet er also die altbewährte Salamitaktik an. Spricht zuerst nur von Istanbul, dann ein wenig vom Iran. Kurz vor der Abreise packt er dann aus, dass er bis Indien fahren werde, eine wirkliche Weltreise eben. Sein Vater verabschiedet sich von ihm unter Tränen wie von einem Todgeweihten.

Kurz vor dem Schlafengehen regen sich eigene Sorgen. Mich plagt der Gedanke, ob in all den Warnungen, mit denen mich meine Liebsten überschütten, nicht doch auch ein Körnchen Wahrheit stecken könnte. Ich beruhige mich fürs Erste: In Europa entlang der Donau ist kaum mit Gefahren zu rechnen. Außer wir stellen uns wirklich blöd an, treten beim Pinkeln auf eine Mine, lassen uns irgendwo dort am Balkan niederführen oder von einem Bären fressen. Erst ab der Türkei rechne ich mit Problemen. Einerseits vielleicht durch den Islamischen Staat, der die Türkei als Transit- und Rückzugsland nützt, um von dort aus Syrien und den Irak aufzumischen. Andererseits durch die Kurden oder wahlweise die türkische Armee. Denn wenn es darum geht, zu klären, ob Kurdistan nun türkisch oder doch kurdisch ist, ziehen ja beide Seiten die Samthandschuhe aus. Zu diesem Zeitpunkt sind aber Geiselnahmen und Anschläge in der Türkei noch kein Thema, und der Kurdenkonflikt hat durch einen Waffenstillstand an Dynamik verloren. Das Außenministerium schätzt die Situation in der Türkei im Moment als sicher ein, wir werden die weitere Entwicklung der Lage beobachten. Ansonsten plane ich, mich an den Empfehlungen der örtlichen Bevölkerung zu orientieren.

Meine Hauptsorge gilt dem eigenen Körper. Ich hatte vor Kurzem einen Bandscheibenvorfall, musste meinen Rücken in den vergangenen Monaten immer wieder mit Spritzen und osteopathischen Manipulationen behandeln lassen. Die Wochen vor der Reise verbringe ich mit beinahe täglichem Kraft- und Rückentraining. Ich tue, was ich kann, um wirklich fit und schmerzfrei zu werden. Mein absoluter Albtraum ist es, unterwegs, fernab medizinischer Hilfe, wieder plötzlich einschießende Rückenschmerzen zu bekommen, mich dann nicht bewegen zu können und nicht zu wissen, wer mir wie helfen könnte. Ich verlasse mich aber auf meinen Lacrosse-Ball, mit dem sich so ziemlich jede Muskelverspannung ausbügeln lässt und habe sicherheitshalber starke Schmerzmittel mit. Ich schwöre mir selbst hoch und heilig, täglich zu dehnen. Ich habe auch alles Menschenmögliche getan, um mein Rad rückengerecht zu adaptieren. Lenkstange rauf, Körperhaltung aufrecht und gerade dasitzen wie der reinste Maibaum. Ein aerodynamischer Albtraum, alles nur für die Bandscheiben. Ich weiß, ich bin von uns dreien sicherlich der beste Schnapstrinker, der leidenschaftlichste Raucher und der, der sich wünscht, unser Weg in den Osten sei mit lieblichen Schönheiten gepflastert. Meine technischen Kenntnisse sind überschaubar, ich habe in meinem 28 Jahre dauernden Aufenthalt auf diesem Planeten bereits einen Fahrradreifen gewechselt, einen Platten repariert und einmal sehr erfolglos versucht, an einem alten Rennrad die Bremsen einzustellen. Zum Glück hat mein Tourenrad Scheibenbremsen, von denen ich auch wenig Ahnung habe. Zumindest weiß ich, es sind hydraulische Bremsen, das hat sehr viel mit Druck zu tun. Ich bin aber gut darin, gute Laune zu verbreiten und das Positive zu sehen. Meine Kondition ist ausbaufähig und ich kenne die anspruchslose Härte Sebastians. Ich freue mich auf die flache Strecke entlang der Donau und fürchte mich vor den Bergen, vor der Hitze Anatoliens und der des Iran.

Die letzte Nacht in meinem Bett ist von vielem geprägt, nur nicht von Schlaf. Da hilft kein frühes Zubettgehen, kein Meditieren, kein Garnichts. Natürlich will man ausgeruht in so ein Abenteuer starten, aber diesen Traum muss ich auf das nächste Abenteuer verschieben.

Und dann beginnt es, recht unspektakulär eigentlich. Im feinsten Radfahrer-Zwirn hinaus bei der Tür, hinauf aufs Fahrrad, raus in die Welt. 20 Meter von meiner Haustüre entfernt, an der ersten Temposchwelle zwischen Wien und Teheran, räumt es mir mit einem Holperer mein gesamtes Gepäck vom Rad. Man könnte souveräner in eine Reise starten. Man könnte auch Freunde haben, die einem helfen und nicht alle Hände voll zu tun haben mit Foto-Schießen und Bauch-vor-Lachen-Halten. Diese schadenfrohen Bastarde, meine beiden Mitbewohner, geben mir aber auf ihren Stadträdern das letzte Geleit. Gemeinsam mit Thomas fahren wir über den Ring zum Praterstern. Dort treffen wir auf Sebastian, der zur Wahrung des gruppeninternen Gleichgewichtes mit der mit Abstand schlechtesten Ausrüstung antritt. Seine Satteltaschen sind alt, angeschlagen und nicht das, was man sich für eine anstehende 5000-Kilometer-Tour in ferne Länder wünscht. Der Sattel wird hauptsächlich von einem Gewebeband zusammengehalten, so wie auch andere Teile des Rades auf einer dubiosen Basis stehen. Sicherheitshalber führt er bereits einen neuen Mantel am Gepäckträger mit. Er weigert sich aber, den alten Reifen durch den neuen zu ersetzen, solange ersterer noch nicht völlig zerstört ist. Da braucht man gar keine Diskussion zu beginnen. Seine Vorderbremse funktioniert eher sporadisch. Ein neuer Seilzug und Bremsbacken sind auch Teil seines Gepäcks. Die Pedale, vor allem die Pedallager, könnten auch am Ende ihrer Lebensdauer angelangt sein, meint er mit einem Lachen. Sebastian bringt seinerseits für die ersten Kilometer auch drei Freunde als Begleiter mit. Kurzes Palavern und schon geht es weiter über die Reichsbrücke, die Donauinsel hinunter, Öl-Hafen, Lobau, gemütlich bis Hainburg und dann ein bisschen baden. Alle schwimmen in der kalten Donau, dann Sonne, Käsebrote und Landjäger. Irgendwann eisen wir uns los, die treuen Freunde radeln zurück zum Bahnhof Hainburg und wir nach Osten über die Grenze in die Slowakei. Danke fürs Geleit.

Kurz nach Bratislava begegnen wir dem ersten navigatorischen Engpass und fahren gleich einen ordentlichen Umweg. Wir befinden uns ab jetzt auf unbekanntem Terrain, hier waren wir noch nie, und es geht weiter. Weiter auf romantisch verlassenen, überdimensionalen Donauuferstraßen, hinein in den Sonnenuntergang. Wir machen also tatsächlich diese Reise, wir fahren also wirklich in den Iran. Heute zum ersten Mal ausgiebiges Zeltplatzsuchen und, was viel besser ist: auch vollumfängliches Zeltplatzfinden. Eine kleine Seitenstraße an der Donau, ganz verlassen und genau neben dem schönen Fluss. Hier wird uns hoffentlich niemand vertreiben, wir legen uns in eine frisch gemähte Wiese, gleich am Waldrand, ein wenig versteckt, die Räder rund um uns wie die reinste Wagenburg, damit uns nachts kein Traktor über den Haufen fährt, man weiß ja nie. Ein 91-Kilometer-Tag heute. Ein guter Anfang. Wir packen unseren Gaskocher aus, unseren einzigen und wirklich miesen Kochtopf, jeder hat einen Napf und Besteck. Heute: fröhliches Nudelkochen und dann gleich noch viel fröhlicheres Nudel-ins-Wasser-Halten, sprich: nackt schwimmen. Donaudippen sagen wir dazu. Wir waschen uns und zelebrieren die Outdoor-Körperhygiene. Schießen Nacktfotos und feiern aufs Allerfröhlichste unser neu erworbenes Landstreicherleben. Die erste Nacht unter freiem Himmel in meinem kirgisienfesten Premiumschlafsack, darauf habe ich mich seit Wochen gefreut. Das Gras wird langsam feuchter, die Luft wird kälter, der Himmel verdunkelt sich, in wenigen Metern Entfernung rauscht die Donau. Immer wieder hört man die Spechte im Auwald, die Möwen, einen Kuckuck, allerlei Geflügel ist da ständig unterwegs. Die Sterne, so viele, wie ich sie aus dem Fenster meines Wiener Zimmers nie sehe. Hin und wieder lassen uns die Scheinwerfer eines Autos aufschrecken, aber niemand behelligt uns.

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Erster Tag im Outback: Stolz, Freude und gefühlter Großartigkeitsfaktor sind kaum zu übersehen.

Das schöne Dorf

In Afghanistan gibt es viel mehr Sterne, sagt Malek. In der Nacht ist dort der ganze Himmel voller Sterne, hier in Österreich nicht. In Afghanistan gibt es kein Licht auf den Straßen, meistens gibt es überhaupt keine echten Straßen, nur Schotterwege, steinige Pfade oder staubige Pisten. Zumindest in meinem Dorf ist das so. Und auch in den vielen kleinen Dörfern in der Umgebung ist das so, die sehen alle so aus wie meines. Niedrige, einstöckige Häuser mit flachen Dächern aus Stroh oder Lehm. Ein staubiger, steiniger, tief ausgewaschener Weg führt zum Dorf und im Hintergrund thronen die mächtigen Gipfel des Hindukusch, die bis in den Sommer mit Schnee bedeckt sind. Jedes Haus ist braun, wie die Erde in Afghanistan, und von einer hohen Mauer umgeben. An vielen Häusern sind kleine, blätterbedeckte Veranden angebaut, wo man in den heißen Sommern gemütlich im Schatten sitzen kann. Rund um das Dorf erstreckt sich Grün. Karge, kleine Felder, die von schlammigen Bewässerungsgräben durchzogen und mit Steinmauern umgeben sind. Meist wächst Gemüse, Getreide oder Mohn auf den Familienäckern. Zwischen den Feldern liegen große Obstgärten mit Aprikosen-, Maulbeer-, Walnuss-, Kirsch-, Birnen- und Apfelbäumen. Bei uns wachsen die besten Früchte. An den Rändern der Bewässerungsgräben wachsen Pappeln und Weiden, das wertvolle Holz verwenden wir zum Bauen und wir heizen damit in den kalten Wintern. Bunte Blumen wachsen an den Feldrändern, an den niedrigen Mauern und zwischen all dem Getreide und dem Mohn. Vor den Häusern stehen Kühe, Pferde, Esel und Ziegen, die meist an einem Pfosten angebunden sind, damit sie nicht Getreide und Gemüse auffressen. Die Kühe sind klein und haben kurze Hörner. Wenn es ihnen gut geht, dann glänzt ihr Fell richtig. Hühner, Puten und Gänse laufen durch die Hinterhöfe und an jeder der hohen Lehmmauern hängt Wäsche zum Trocknen. Auf den flachen Dächern dörren Früchte in der Sonne. Afghanistan ist sehr schön.

Damals, als ich noch dort lebte, damals war das so. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, wie es aussieht. Mein Vater sagt, die Häuser seien zerstört. Das Schöne, das Grün im Flusstal, die Bäume wurden von Flugzeugen vernichtet. Die US-Amerikaner kommen mit Flugzeugen, es gibt immer Krieg und jetzt ist das Grün weg, die Bäume und Obstgärten sind verschwunden. Es gibt nur noch Steine. Die USA verwenden chemische Bomben, ich kenne den Waffennamen nicht, aber sie zerstören alle Pflanzen. Sie benutzen diese Waffen, um die Verstecke der Taliban zu zerstören, danach kann dort niemand mehr leben. Sie zerstören auch die Häuser, die viel leichter einstürzen als die in der Stadt. Dort gibt es Häuser aus Beton, gute Wohnungen, in meinem Dorf ist alles aus Erde gebaut.

Ohne Waffe bist du niemand. In Afghanistan musst du immer eine Waffe bei dir tragen. Wenn du ohne Waffe außer Haus gehst, kann dich jeder auf der Straße bedrohen, dich schlagen, dir deine Frau wegnehmen. Du brauchst eine Waffe, um dich behaupten zu können, denn es gibt niemanden, der für Ordnung und Gerechtigkeit sorgt, das muss man selbst machen.

Die Afghanen haben schon gekämpft, als noch die Russen im Land waren. Wir haben die Russen vertrieben, das hat mir mein Vater erzählt. Alle haben noch Waffen aus dieser Zeit. Alte AKs, Repetier- und halbautomatische Gewehre, Maschinengewehre. Zuhause haben wir sieben russische AK-47. Nach dem Abzug der Russen begann der afghanische Bruderkrieg. Die Mudschaheddin kämpften gegeneinander, dann kamen die Taliban, dann die USA und jetzt sind die Taliban wieder zurück. Alle sind Banditen. Alle stehlen, rauben, morden, vergewaltigen. Es ist immer Krieg in Afghanistan.

Unser Dorf verteidigen wir selbst. Es ist so, dass du dich immer vor Dieben schützen musst. Du weißt nie, wann sie aus den Bergen kommen. Das sind Gruppen, die gehen in Wohnungen und nehmen alles mit. Wenn jemand Geld hat, nehmen sie das Geld. Einmal sind Diebe in das Haus eines armen Mannes im Dorf gekommen. Er hat überhaupt nichts besessen und die Diebe haben daraufhin die ganze Familie erschossen. Wir haben danach nicht mal gewusst, wer sie gewesen sind, ob es gewöhnliche Diebe waren oder die Taliban. So ist das Leben in meinem Land. Wir sind immer bereit und immer bewaffnet.

Es gibt nur einen sicheren Ort in Afghanistan, das ist das Panjshir-Tal, 50 Kilometer nördlich von Kabul. Ein langes Tal, das nur durch eine einzige schmale Straße erschlossen ist, die durch eine Schlucht führt. Ein weites Tal, das auf allen Seiten von Bergen geschützt ist. Im Panjshir leben Tadschiken, sie lassen nur selten Fremde in ihre Festung. Wenn ein Auto mit Kabuler Kennzeichen in das Tal kommt, muss man das Auto am Taleingang stehen lassen und zu Fuß ins Panjshir-Tal wandern. Ich wohne leider nicht in diesem sicheren Tal, ich wohne in Debagal, in der Provinz Kunar, ganz im Nordosten des Landes, an der pakistanischen Grenze. Die Leute sagen, auch Herat sei sicher. Ja, das stimmt, wenn gerade nichts explodiert.

Kabul ist nicht sicher. Die Hauptstadt der meisten Länder ist sicher, aber nicht so bei uns. In Kabul sitzt die Regierung, dort liegt das Hauptquartier der Amerikaner und dort gibt es ständig Anschläge verschiedener Gruppen. Es gibt so viele verschiedene Gruppen, die alle gegeneinander, gegen die Regierung und gegen die USA kämpfen. Die einen haben eine weiße Flagge, die anderen eine schwarze Flagge. Alle kämpfen für irgendetwas, aber allen ist es egal, wenn Unschuldige sterben.

Man kann nicht sagen, dass wir ein schönes Leben hatten, aber wir hatten ein mittelgutes Leben in Afghanistan. Wir hatten keinen Luxus, keinen Strom, kein elektrisches Licht, keinen Kühlschrank. Aber wir konnten leben. Wir bauen Getreide an, Gemüse und Mohn. Den Mohn erntet man im Herbst, da werden die grünen Kapseln über Wochen jeden Tag angeritzt. Es fließt dicke, weißliche Milch aus den Kapseln, die man zweimal am Tag abkratzt. Den Saft trocknet man im Schatten und es entsteht eine Mohnpaste – Opium, das man verkaufen kann. In Afghanistan rauchen alle Opium, das ist ganz normal. Wenn man es nicht gewohnt ist, wird einem ein bisschen schwindelig, aber die meisten sind es gewohnt. Auch Kinder bekommen bei uns manchmal ein wenig Opium. Wenn sie nachts nicht schlafen können, wenn sie unruhig sind, gibt man ihnen ein kleines bisschen Opium zum Kauen, das beruhigt. Mit den Einnahmen aus dem Opiumanbau kaufen wir uns Waffen, Munition, Raketen. Am Dach unseres Hauses ist ein kleiner Stützpunkt eingerichtet. Dort oben haben wir Sandsäcke aufgeschlichtet und an der Mauer steht ein schweres Maschinengewehr, das immer bereit ist.

Wir haben Ziegen, zwei Kühe, einen Esel und viele Hühner, aber Fleisch essen wir nur selten. Wenn wir eine Ziege schlachten, müssen wir das Fleisch räuchern und den Rest teilen wir in der großen Familie auf, alle Verwandten bekommen ein Stück. Sonst würde das Fleisch verderben. Es gibt keinen Luxus. Untertags arbeiten die Menschen auf den Feldern, die älteren Kinder helfen mit und abends kommen alle zurück nach Hause. Mein Vater, meine Mutter, meine zwei Schwestern, mein jüngerer Bruder und ich, wir leben gemeinsam in einem Haus. Mein Vater ist ein angesehener Mann im Dorf.

In unserem Dorf gibt es viele Kinder, viel Platz zum Spielen. In Afghanistan laufen Kinder meist barfuß oder mit Plastikschlapfen herum. Wir spielen gerne Kricket oder Fußball. Wenn ein Kind einen Fußball besitzt, ist es der Chef. Aber niemand besitzt hier einen Fußball. Wir stopfen einfach einen Sack voll, solange bis er schwer genug zum Spielen ist, dann wird der Sack mit Stoffbändern umwickelt. Unser Fußball ist ein Lumpenball.

Viele Kinder lassen auch Drachen steigen, aber mein Vater meint, das wäre Zeitverschwendung, ich solle die hellen Stunden lieber zum Lernen nutzen. Wenn man kein elektrisches Licht hat, kann man nur untertags lernen – am Abend haben wir nur Petroleumlampen, die geben zwar Licht, aber das reicht nicht mehr zum Lesen.

Ich war noch ein Kind, als die Taliban das Land eroberten und dann regierten, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, aber mein Vater erzählt mir manchmal davon. Er erzählt auch von seinen Zeiten als Mudschaheddin, als er im Dschihad gegen die sowjetischen Invasoren kämpfte. Es folgte ein langer Bruderkrieg, den schließlich die Taliban beendeten. Dann kamen die Amerikaner, schlugen die Taliban und Präsident Karzai wurde von der Loja Dschirga, dem afghanischen Ältestenrat, zum Präsidenten gewählt. Die geschlagenen Taliban zogen sich in die Berge zurück – die Provinz Kunar besteht nur aus Bergen und aus steilen unzugänglichen Tälern. Mit den Amerikanern kamen die Schulen. Unter den Taliban gab es nur Madrasas, Koranschulen. In diesen Schulen lernen Jungen den Koran auswendig, sie rezitieren arabische Suren und wiederholen den ganzen Tag die Worte des Mullahs. Sie lernen den Koran in einer Sprache, die sie selbst nicht verstehen und müssen den Interpretationen des Mullahs glauben. Mit sechs Jahren schickt mich mein Vater in die Schule. „Es gibt jetzt keinen Dschihad mehr“, sagt er, „du musst keinen Krieg kämpfen. Gegen wen willst du kämpfen? Die Taliban wollen unschuldige Leute umbringen, das ist kein Dschihad. Sie kämpfen gegen Afghanen.“

Zuerst haben wir einen Lehrer im Dorf. Wir lernen den Koran, wir lernen lesen und schreiben. Als der Lehrer, ein alter Mann, aufhört, müssen wir eine neue Schule suchen. Mein Vater schickt mich in die amerikanische Schule in Kunar, nicht in die Madrasa. Wir verwenden dort die alten afghanischen Lehrbücher, Koranbücher, aber es gibt auch englische Bücher. Ich gehe sehr gerne in diese Schule, ich lerne viel und bin ein fleißiger Schüler. Die Schule liegt in der Stadt, zwei Stunden entfernt von unserem Dorf. Wir gehen jeden Tag zu Fuß dorthin und am Nachmittag wieder nach Hause zurück. Nur wenn es stark regnet, wenn die Wildbäche Hochwasser führen und unpassierbar werden oder wenn gerade gekämpft wird, dürfen wir nicht in die Schule gehen, sagt der Lehrer. Wir sind sechs Kinder, die aus unserem Dorf täglich in die Schule gehen. Eines Tages wird die Schule bei einem Angriff zerstört, jetzt fehlt das Dach, wir gehen trotzdem weiterhin und sitzen jetzt eben in einem Haus ohne Dach am Boden, während der Lehrer vorträgt und wir wiederholen.

Wenn man älter ist, beginnt man zu verstehen. Wenn man kein Kind mehr ist, wenn man ein Mann wird, versteht man, dass man in der Welt ist. Ich gehöre jetzt auch zur Welt. Zu meiner Sicherheit bekomme ich eine Waffe, ich bin ungefähr elf Jahre alt, weil jeder Mann in Afghanistan eine Waffe trägt. Mein Vater sagt, ich dürfe das Gewehr nicht in die Schule mitnehmen. „Aber zuhause, wenn du auf die Felder oder in die Berge gehst, dann darfst du sie mitnehmen.“

Ich kann mit Waffen umgehen, in Afghanistan kann das jeder. Im Sommer schlafe ich jeden Tag unter dem freien Himmel, auf dem Dach unseres Hauses. Ich schlafe in dem kleinen Stützpunkt am Dach, das schwere MG steht gegen die niedrige Mauer des Flachdaches gelehnt und ich habe meine AK neben mir liegen. Ich bewache in der Nacht von dort oben aus unser Haus und das Dorf. Ich kann die nahen Felder überblicken, vertreibe wilde Tiere, die unser Getreide und den Mohn fressen wollen. Ich jage Vögel, am liebsten die großen Tauben, die schmecken am besten. Es sind wunderschöne kühle Sommernächte am Dach. Der Himmel ist sternenklar, weit und breit brennt nirgendwo ein Licht.