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Jack London

Martin Eden

Beide Bände

Jack London

Martin Eden

Beide Bände

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Erwin Magnus
EV: Universitas Deutsche Verlags-Aktiengesellschaft Berlin, 1927
1. Auflage, ISBN 978-3-962816-99-5

null-papier.de/675

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­ter Band

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

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20

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22

23

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Zwei­ter Band

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23

Dan­ke

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Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Erster Band

1

Der eine öff­ne­te die Tür mit ei­nem Drücker und trat ein. Ihm folg­te ein jun­ger Bur­sche, der lin­kisch die Müt­ze ab­nahm. Sei­ne Klei­dung war derb und er­in­ner­te an die See; of­fen­bar fühl­te er sich in der ge­räu­mi­gen Hal­le wie ein Fisch auf dem Tro­cke­nen. Er wuss­te nicht, was er mit sei­ner Müt­ze an­fan­gen soll­te und woll­te sie ge­ra­de in die Ho­sen­ta­sche stop­fen, als der an­de­re sie ihm ab­nahm. Es war eine ganz ru­hi­ge, na­tür­li­che Hand­lung, und der lin­ki­sche jun­ge Bur­sche wuss­te sie zu schät­zen. »Er hat Ver­ständ­nis da­für«, dach­te er. »Er wird mir schon wei­ter­hel­fen.«

Er folg­te dem an­de­ren auf den Fer­sen, in­dem er die Schul­tern vor und zu­rück schob und die Füße un­be­wusst weit aus­ein­an­der­setz­te, als höbe und senk­te sich der ebe­ne Bo­den wie Mee­res­wo­gen. Die großen Räu­me schie­nen ihm zu eng für sei­nen rol­len­den Gang, und er hat­te selbst eine furcht­ba­re Angst, dass sei­ne brei­ten Schul­tern mit den Tür­rah­men kol­li­die­ren oder die Kunst­ge­gen­stän­de von dem nied­ri­gen Ka­min fe­gen wür­den. Er prall­te zwi­schen den ver­schie­de­nen Din­gen hin und her und ver­viel­fäl­tig­te da­durch die Ge­fah­ren, die in Wirk­lich­keit nur in sei­ner Ein­bil­dung be­stan­den. Zwi­schen ei­nem Flü­gel und ei­nem bü­cher­be­la­de­nen Tisch in der Mit­te des Zim­mers wäre Platz ge­nug für ein hal­b­es Dut­zend Män­ner ne­ben­ein­an­der ge­we­sen, aber er wag­te den Weg nur mit Angst und Be­ben. Sei­ne schwe­ren Arme hin­gen schlaff an sei­nen Sei­ten her­ab. Er wuss­te nicht, was er mit die­sen Ar­men und Hän­den an­fan­gen soll­te, und als sei­ne ge­ängs­tig­te Fan­ta­sie ihm vor­spie­gel­te, dass er die Bü­cher auf dem Ti­sche be­rüh­ren könn­te, mach­te er wie ein scheu­es Pferd einen Satz nach der an­de­ren Sei­te und ent­ging mit Mühe und Not ei­nem Zu­sam­men­stoß mit dem Kla­vier­sche­mel. Er be­merk­te den leich­ten Gang des an­de­ren vor ihm, und zum ers­ten Mal wur­de ihm klar, dass sein Gang sich von dem an­de­rer Leu­te un­ter­schied. Plötz­lich über­kam ihn ein Ge­fühl der Scham über sei­ne ei­ge­ne Un­ge­schick­lich­keit. Der Schweiß brach in klei­nen Tröpf­chen auf sei­ner Stirn aus, er blieb ste­hen und wisch­te sich das son­nen­ver­brann­te Ge­sicht mit sei­nem Ta­schen­tuch.

»War­t’ ein biss­chen, Ar­thur, mein Jun­ge«, sag­te er, in­dem er sei­ne Angst hin­ter ei­nem scherz­haf­ten Auf­tre­ten zu ver­ber­gen such­te. »Das ist zu viel auf ein­mal für dei­nen er­ge­be­nen Die­ner. Du musst mir Zeit las­sen, mal Luft zu schöp­fen. Du weißt, dass ich nicht mit­kom­men woll­te, und ver­mut­lich wird dei­ne Fa­mi­lie sich auch nicht ge­ra­de so­viel dar­aus ma­chen, mich ken­nen­zu­ler­nen.«

»Lass nur«, lau­te­te die be­ru­hi­gen­de Ant­wort. »Du brauchst nicht ban­ge vor uns zu sein. Wir sind ganz ein­fa­che Men­schen. Hal­lo, da ist ja ein Brief für mich!« Er trat an den Tisch, riss einen Brief auf und be­gann zu le­sen, so­dass der Frem­de Ge­le­gen­heit hat­te, sich zu sam­meln. Und der Frem­de ver­stand ihn und war ihm dank­bar. Er hat­te selbst die Gabe des Ver­ste­hens, und auch jetzt ver­ließ sie ihn nicht trotz sei­ner Ängst­lich­keit. Er trock­ne­te sich die Stirn und sah sich ru­hi­ger um, wenn in sei­nen Au­gen auch der Aus­druck des wil­den Tie­res war, das die Fal­le fürch­tet. Er be­fand sich in ei­ner un­be­kann­ten Um­ge­bung, fürch­te­te sich vor dem, was da ge­sche­hen moch­te, und wuss­te nicht, wie er sich be­neh­men soll­te; aber er war sich sei­ner Un­ge­schick­lich­keit wohl be­wusst und fürch­te­te, dass sein Geist und sei­ne See­le eben­so ge­lähmt wa­ren wie sein Kör­per. Er war sehr emp­find­sam, hoff­nungs­los selbst­be­wusst, und der be­lus­tig­te Blick, den der an­de­re ihm heim­lich über den Rand des Brie­fes zu­warf, brann­te wie ein Dolch­stoß in ihm. Er ließ sich je­doch nichts mer­ken, denn un­ter den Din­gen, die er ge­lernt hat­te, be­fand sich auch Selbst­be­herr­schung. Aber der Dolch­stoß hat­te auch sei­nen Stolz ge­trof­fen. Er ver­wünsch­te sich, weil er ge­kom­men war, und be­schloss gleich­zei­tig, die nun ein­mal be­gon­ne­ne Sa­che auch durch­zu­füh­ren. Die Li­ni­en in sei­nem Ge­sicht wur­den schär­fer, und ein kampf­be­rei­ter Aus­druck trat in sei­ne Au­gen. Er sah sich mit grö­ße­rer Sorg­lo­sig­keit um und fühl­te mit sei­ner schnel­len Auf­fas­sungs­ga­be, wie jede Ein­zel­heit in dem schö­nen Raum sich sei­nem Be­wusst­sein ein­präg­te. Sei­ne Au­gen stan­den weit aus­ein­an­der; nichts in­ner­halb ih­res Ge­sichts­krei­ses ent­ging ihm; und wie sie die Schön­heit, die sie sa­hen, tran­ken, schwand der kampf­be­rei­te Aus­druck in ih­nen und wich ei­ner war­men Glut. Er war emp­fäng­lich für Schön­heit, und hier gab es ge­nug auf­zu­neh­men.

Ein Öl­ge­mäl­de fes­sel­te ihn. Schwe­re Bran­dung don­ner­te kra­chend ge­gen einen vor­sprin­gen­den Fel­sen; dro­hen­de Sturm­wol­ken be­deck­ten den Him­mel, und vor der Bran­dung lag ein Lot­sen­scho­ner mit gereff­ten Se­geln, hol­te ge­ra­de über, so­dass man jede Ein­zel­heit auf sei­nem Deck sah, und wur­de von den Wel­len in ein wol­ki­ges Aben­d­rot ge­ho­ben. Das war Schön­heit, und er fühl­te sich un­wi­der­steh­lich da­von an­ge­zo­gen. Er ver­gaß sei­nen lin­ki­schen Gang und trat ganz dicht an das Ge­mäl­de her­an. Da schwand die Schön­heit von der Lein­wand. Sein Ge­sicht drück­te Be­stür­zung aus. Er starr­te auf et­was, das schein­bar nichts als eine nach­läs­si­ge Schmie­re­rei war. Dann trat er wie­der zu­rück. So­fort kehr­te alle Schön­heit auf die Lein­wand zu­rück. »Ein Trick­bild«, dach­te er und wand­te sich ab, fand aber doch in­mit­ten der vie­len Ein­drücke, die auf ihn ein­stürm­ten, Zeit, sich dar­über zu är­gern, dass man so­viel Schön­heit auf ein Trick­bild ge­op­fert hat­te. Von Ma­le­rei ver­stand er nichts. Er war zwi­schen Öl­dru­cken und Li­tho­gra­fi­en auf­ge­wach­sen, die in der Nähe wie aus der Fer­ne im­mer gleich scharf und deut­lich wa­ren. Zwar hat­te er in Schau­fens­tern Ge­mäl­de ge­se­hen, aber die Schei­be hat­te ihn ver­hin­dert, dicht an sie her­an­zu­tre­ten.

Er blick­te sich nach sei­nem Freun­de um, der im­mer noch sei­nen Brief las, und sah die Bü­cher auf dem Ti­sche. In sei­ne Au­gen trat der träu­me­ri­sche, sehn­süch­ti­ge Aus­druck ei­nes Hung­ri­gen, der et­was Ess­ba­res sieht. Ei­ner Ein­ge­bung fol­gend, trat er mit ei­nem ein­zi­gen Schritt und ei­nem Ruck der Schul­tern von rechts nach links an den Tisch, wo er zärt­lich über die Bü­cher zu strei­chen be­gann. Er be­trach­te­te Ti­tel und Ver­fas­ser­na­men, las Bruch­stücke von ih­rem In­halt, lieb­kos­te die Bän­de im­mer wie­der mit Au­gen und Hän­den und er­kann­te ein Buch, das er ge­le­sen hat­te; die üb­ri­gen Bü­cher und Schrift­stel­ler wa­ren ihm fremd. Ein Buch von Swin­bur­ne fiel ihm plötz­lich in die Hand. Er be­gann dar­in zu le­sen, ver­gaß bald ganz, wo er sich be­fand, und sein Ge­sicht leuch­te­te. Zwei­mal blät­ter­te er zu­rück, um den Na­men des Ver­fas­sers zu se­hen. Swin­bur­ne! Den Na­men woll­te er sich mer­ken. Der Mann hat­te Au­gen im Kopf und hat­te wahr­haf­tig Far­ben und strah­len­des Licht ge­se­hen. Aber wer war Swin­bur­ne? War er seit hun­dert Jah­ren tot wie die meis­ten Dich­ter? Oder leb­te und schrieb er noch? Er blät­ter­te zur Ti­tel­sei­te zu­rück. Ja, er hat­te noch an­de­re Bü­cher ge­schrie­ben. Schön, das ers­te, was er mor­gen früh tun woll­te, war, dass er in die Volks­bü­che­rei ging und et­was von dem, was Swin­bur­ne ge­schrie­ben hat­te, zu be­kom­men such­te. Dann kehr­te er wie­der zu dem In­halt des Bu­ches zu­rück und ver­gaß al­les um sich her. Er be­merk­te nicht, dass eine jun­ge Dame ins Zim­mer trat. Das ers­te, des­sen er sich be­wusst wur­de, war die Stim­me Ar­thurs, die sag­te:

»Ruth, das ist Herr Eden.«

Das Buch wur­de über dem Zei­ge­fin­ger ge­schlos­sen, aber noch ehe er sich um­ge­dreht hat­te, fühl­te er sich schon von ei­nem neu­en Ein­druck durch­bebt, des­sen Ur­sa­che nicht das jun­ge Mäd­chen, son­dern die Äu­ße­rung ih­res Bru­ders war. Die­ser mus­ku­lö­se Kör­per barg näm­lich höchs­te Emp­find­sam­keit. Bei dem ge­rings­ten Ein­druck von der Au­ßen­welt lo­der­ten sei­ne Ge­dan­ken und Ge­füh­le in hel­len Flam­men auf. Er war un­ge­wöhn­lich emp­fäng­lich, und sei­ne Fan­ta­sie, die stets un­ter Hoch­druck ar­bei­te­te, be­müh­te sich im­mer, Gleich­hei­ten und Un­ter­schie­de fest­zu­stel­len. Was jetzt einen so star­ken Ein­druck auf ihn ge­macht hat­te, war, dass er »Herr Eden« ge­nannt wor­den war – er, der sein gan­zes Le­ben lang nur »Eden«, »Mar­tin Eden« oder ein­fach »Mar­tin« ge­hei­ßen hat­te. Und jetzt »Herr!« Das war wirk­lich ein wei­ter Schritt vor­wärts, sag­te er sich. Sein Kopf schi­en au­gen­blick­lich zu ei­ner un­ge­heu­ren Ca­me­ra obscu­ra zu wer­den, in der eine end­lo­se Rei­he von Bil­dern aus sei­nem Le­ben auf­tauch­te, Bil­der von Feue­rungs­räu­men und Mann­schafts­lo­gis, von La­gern und Küs­ten, Ge­fäng­nis­sen und Knei­pen, Fie­ber­hos­pi­tä­lern und Ar­men­häu­sern, de­ren ein­zi­ge Ähn­lich­keit in der Art be­stan­den hat­te, wie er in den ver­schie­de­nen Si­tua­tio­nen an­ge­re­det wor­den war.

Und dann dreh­te er sich um und sah das Mäd­chen an. Bei ih­rem An­blick ver­schwan­den die Schat­ten­bil­der in sei­nem Kop­fe mit ei­nem Schla­ge. Sie war ein blas­ses, äthe­ri­sches Ge­schöpf mit großen, träu­me­ri­schen, blau­en Au­gen und ei­ner Flut gol­de­nen Haa­res. Von ih­rer Klei­dung wuss­te er nichts, als dass sie wun­der­bar an­zu­se­hen war. Er ver­glich sie mit ei­ner blass­gol­de­nen Blu­me auf schlan­kem Stiel. Nein, sie war eine Elfe, eine Gott­heit; die­se er­ha­be­ne Schön­heit war nicht von die­ser Welt. Oder hat­ten viel­leicht die Bü­cher recht, und es gab vie­le ih­rer Art in den hö­he­ren Klas­sen? Sie hät­te gut von die­sem Swin­bur­ne be­sun­gen wer­den kön­nen. Vi­el­leicht hat­te er an eine wie sie ge­dacht, als er in dem Buch, das dort auf dem Ti­sche lag, die­ses Mäd­chen, die Iseult,1 schil­der­te. Dies gan­ze Über­maß an Sin­ne­sein­drücken und Ge­dan­ken be­stürm­te ihn in ei­nem Au­gen­blick. Die wirk­li­chen Din­ge, zwi­schen de­nen er sich be­weg­te, ge­bo­ten ih­nen kei­nen Halt. Er sah, wie sie die Hand aus­streck­te und ihm ge­ra­de in die Au­gen blick­te, wo­bei sie ihm die Hand so frei­mü­tig schüt­tel­te, als wäre sie ein Mann. Die Frau­en, die er bis­her ge­kannt hat­te, schüt­tel­ten die Hand nicht auf die­se Wei­se. Die meis­ten von ih­nen ga­ben über­haupt nicht die Hand. Eine Flut von Ge­dan­ken­ver­bin­dun­gen und Erin­ne­run­gen dar­an, wie er die Be­kannt­schaft von Frau­en ge­macht hat­te, schlug über sei­nem Be­wusst­sein zu­sam­men und droh­te es un­ter sich zu be­gra­ben. Aber er schüt­tel­te sie ab und be­trach­te­te das Mäd­chen. Noch nie hat­te er ein sol­ches weib­li­ches We­sen ge­se­hen. Die Frau­en, die er ge­kannt hat­te! So­fort stell­ten sich die Frau­en, die er ge­kannt hat­te, zu bei­den Sei­ten ne­ben ihr auf. Eine ewig wäh­ren­de Se­kun­de stand er mit­ten in ei­ner Bild­nis­ga­le­rie, de­ren Mit­tel­punkt sie bil­de­te, und um sie schar­ten sich vie­le Frau­en, die alle mit blitz­schnel­lem Blick ge­wo­gen und ge­mes­sen wer­den soll­ten, wäh­rend sie selbst die Ge­wichts- und Maß­ein­heit dar­stell­te. Er sah die blas­sen, kränk­li­chen Ge­sich­ter der Fa­brik­ar­bei­te­rin­nen und die al­ber­nen, lau­ten Mäd­chen süd­lich der Mar­ket Street, Mäd­chen aus den Vieh­dis­trik­ten und dun­kel­häu­ti­ge zi­ga­ret­ten­rau­chen­de Me­xi­ka­ne­rin­nen. Aber die wur­den wie­der ver­drängt von pup­pen­haf­ten Ja­pa­ne­rin­nen, die auf Holz­klöt­zen ein­her­trip­pel­ten, von Eu­ra­sie­rin­nen, de­ren fei­ne Züge vom Ver­fall der Ras­se ge­zeich­net wa­ren, von voll­blü­ti­gen blu­men­ge­schmück­ten, braun­häu­ti­gen Süd­seein­su­la­ne­rin­nen. Sie alle wur­den aus­ge­löscht durch eine lä­cher­li­che und doch furcht­ba­re Brut – tücki­sche, schmut­zi­ge Ge­schöp­fe aus den Stra­ßen Whi­techa­pels, brannt­wein­duf­ten­de He­xen der Gas­sen und der gan­ze große Höl­len­schwarm von Har­pyen, bös­mäu­lig und dre­ckig, Un­ge­heu­er in Wei­ber­ge­stalt, die auf See­leu­te lau­er­ten, der Ab­schaum der Hä­fen, der Bo­den­satz der Mensch­heit.

»Wol­len Sie nicht Platz neh­men, Herr Eden?« sag­te das Mäd­chen. »Seit Ar­thur uns von Ih­nen er­zähl­te, habe ich mich so dar­auf ge­freut, Sie ken­nen­zu­ler­nen. Es war tap­fer von Ih­nen –«

Er mach­te eine ab­weh­ren­de Hand­be­we­gung und mur­mel­te, das, was er ge­tan habe, sei nicht der Rede wert. Je­der an­de­re hät­te ge­nau so ge­han­delt. Sie be­merk­te, dass sei­ne Hand von fri­schen, in der Hei­lung be­grif­fe­nen Haut­ab­schür­fun­gen be­deckt war, und ein Blick auf die an­de­re Hand zeig­te ihr, dass sie sich in der­sel­ben Ver­fas­sung be­fand. Ihr schnel­ler prü­fen­der Blick ent­deck­te auch eine Nar­be an sei­nem Kinn, eine zwei­te un­ter den Haa­ren ver­schwin­den­de Nar­be auf sei­ner Stirn und eine drit­te am Hal­se, wo sie un­ter dem stei­fen Kra­gen ver­schwand. Sie un­ter­drück­te ein Lä­cheln beim An­blick des ro­ten Strichs, den der Kra­gen in die son­nen­ver­brann­te Haut ge­rie­ben hat­te. Er war of­fen­bar nicht ge­wohnt, stei­fe Kra­gen zu tra­gen. Ihr weib­li­cher Blick schweif­te auch über sei­ne Klei­dung und be­merk­te den schlech­ten, un­ge­schick­ten Schnitt, den Rock, der sich an den Schul­tern beu­tel­te, und die Fal­ten in den Är­meln, die sei­ne mäch­ti­gen Mus­keln ah­nen lie­ßen.

Wäh­rend er die Hand­be­we­gung mach­te und mur­mel­te, dass er nichts ge­tan hät­te, kam er ih­rer Auf­for­de­rung, sich zu set­zen, nach. Er hat­te ge­ra­de noch Zeit, die Leich­tig­keit zu be­wun­dern, mit der sie sich setz­te, dann tau­mel­te er nie­der auf einen Stuhl, der dem ih­ren ge­gen­über­stand, über­wäl­tigt von dem Be­wusst­sein sei­ner ei­ge­nen Un­ge­schick­lich­keit. Das war ihm et­was ganz Neu­es. Sein gan­zes Le­ben, bis zu die­sem Tage, hat­te er nicht dar­über nach­ge­dacht, ob er ge­wandt oder lin­kisch war. Er war gar nicht auf der­ar­ti­ge Ge­dan­ken ge­kom­men. Er setz­te sich vor­sich­tig auf die Stuhl­kan­te und wuss­te durch­aus nicht, wo er mit sei­nen Hän­den blei­ben soll­te. Wo­hin er sie auch steck­te, wa­ren sie im Wege. Ar­thur ver­ließ das Zim­mer, und Mar­tin Eden sah ihm mit sehn­süch­ti­gen Bli­cken nach. Wie er al­lein mit die­sem blas­sen Mäd­chen hier saß, kam er sich ganz ver­lo­ren vor. Hier gab es kei­nen Kell­ner, bei dem er sich et­was zu trin­ken be­stel­len, kei­nen Jun­gen, den er nach ei­ner Kan­ne Bier um die Ecke schi­cken konn­te, um mit Hil­fe ei­nes ge­mein­sa­men Trun­kes die Grund­la­ge für eine freund­schaft­li­che Ver­stän­di­gung zu schaf­fen.

»Sie ha­ben eine Nar­be am Hals, Herr Eden«, sag­te das Mäd­chen. »Wie ha­ben Sie die be­kom­men? Das ist si­cher ein gan­zes Aben­teu­er.«

»Ein me­xi­ka­ni­sches Mes­ser, Fräu­lein«, ant­wor­te­te er, in­dem er sich die tro­ckenen Lip­pen an­feuch­te­te und sich räus­per­te. »Es war nur eine Schlä­ge­rei. Als ich ihm das Mes­ser weg­ge­nom­men hat­te, ver­such­te er mir die Nase ab­zu­bei­ßen.«

So nüch­tern er das sag­te, stand doch vor sei­nem Auge das far­ben­präch­ti­ge Bild je­ner hei­ßen, ster­nen­kla­ren Nacht in Sa­li­na Cruz, der schma­le wei­ße Strand, die Lich­ter der Zucker­damp­fer im Ha­fen, die Stim­men der be­trun­ke­nen See­leu­te in der Fer­ne, die flei­ßi­gen Gü­ter­pa­cker, die flam­men­de Lei­den­schaft im Ge­sicht des Me­xi­ka­ners, das Fun­keln sei­ner Raub­tierau­gen im Ster­nen­licht, der Stich in den Hals, das her­vor­schie­ßen­de Blut, die schrei­en­de Men­ge, die bei­den Kör­per – sei­ner und der des Me­xi­ka­ners –, die, in­ein­an­der ver­schränkt, wü­tend über den Sand roll­ten, und weit in der Fer­ne das wei­che Klim­pern ei­ner Gi­tar­re. Das war das Bild, das er sah, und das ihn völ­lig in An­spruch nahm, wäh­rend er dar­über nach­dach­te, ob der Mann, der den Lot­sen­kut­ter an der Wand ge­malt hat­te, auch das wohl ma­len könn­te. Der wei­ße Strand, die Ster­ne, die Lich­ter auf dem Zucker­damp­fer müss­ten ein pracht­vol­les Bild er­ge­ben, dach­te er, und mit­ten auf dem Strand dazu die dunkle Grup­pe, die die Kämp­fen­den um­gab. Das Mes­ser wür­de auch sei­nen Platz auf dem Bil­de ha­ben, ent­schied er, und es wür­de groß­ar­tig aus­se­hen, wie es im Ster­nen­licht fun­kel­te. Aber von al­le­dem wur­de sei­ne Er­zäh­lung nicht be­rührt. »Er ver­such­te, mir die Nase ab­zu­bei­ßen«, schloss er.

»Oh!« sag­te das jun­ge Mäd­chen mit lei­ser, fer­ner Stim­me, und er be­merk­te den er­schro­cke­nen Aus­druck in ih­ren be­weg­li­chen Zü­gen.

Er er­schrak selbst, und eine schwa­che Röte der Ver­le­gen­heit stieg ihm in die son­nen­ver­brann­ten Wan­gen, aber er hat­te das Ge­fühl, dass sie eben­so stark brann­ten, wie wenn er vor der of­fe­nen Hei­zungs­tür im Feue­rungs­raum ge­stan­den hät­te. Der­ar­ti­ge schmut­zi­ge Din­ge wie Mes­ser­ste­che­rei­en wa­ren of­fen­bar kein Un­ter­hal­tungs­ge­gen­stand für eine Dame. In den Bü­chern spra­chen Men­schen ih­res Stan­des nicht über der­lei – wuss­ten viel­leicht gar nichts da­von.

Eine kur­ze Pau­se trat in dem Ge­spräch ein, das sie ge­ra­de in Gang zu set­zen ver­such­ten. Dann frag­te sie nach der Nar­be an sei­ner Wan­ge. Als sie frag­te, merk­te er, dass sie sich be­müh­te, so zu spre­chen, wie er zu spre­chen ge­wohnt war, und er be­schloss, in ih­rer Spra­che zu ant­wor­ten.

»Das war nur ein Un­fall«, sag­te er und leg­te die Hand an die Wan­ge. »Ei­nes Nachts, bei stil­lem Wet­ter und schwe­rer See, sprang die Groß­baum­to­pnant und gleich dar­auf die Tal­je. Die To­pnant war aus Stahl­draht und fuhr wie eine Schlan­ge hin und her. Die gan­ze Wa­che ver­such­te sie ein­zu­fan­gen, und ich krieg­te beim Zu­pa­cken mäch­tig eins in die Fres­se.«

»Oh!« sag­te sie, dies­mal in ei­nem Ton, als hät­te sie al­les ver­stan­den, ob­wohl sei­ne Spra­che das rei­ne Grie­chisch für sie ge­we­sen war und sie gern ge­wusst hät­te, was eine To­pnant war und was Fres­se be­deu­te­te.

»Die­ser Mann, der Swi­ne­bur­ne«, be­gann er mit ei­nem Ver­such, sei­nen Plan zur Aus­füh­rung zu brin­gen.

»Wer?«

»Swi­ne­bur­ne«, sag­te er mit der­sel­ben falschen Auss­pra­che, »der Dich­ter.«

»Swin­bur­ne«, be­rich­tig­te sie.

»Ja, das mei­ne ich auch«, stam­mel­te er wie­der mit hei­ßen Wan­gen. »Wann ist er ge­stor­ben?«

»Wie bit­te? Ich habe nie ge­hört, dass er tot ist!« Sie be­trach­te­te ihn neu­gie­rig. »Wo ha­ben Sie sei­ne Be­kannt­schaft ge­macht?«

»Ich habe ihn nie ge­se­hen«, lau­te­te die Ant­wort. »Aber ich habe ei­ni­ge von sei­nen Ge­dich­ten in dem Buch dort auf dem Tisch ge­le­sen, ehe Sie her­ein­ka­men. Wie fin­den Sie sei­ne Ge­dich­te?«

Und jetzt be­gann sie schnell und leicht über den Ge­gen­stand zu spre­chen, den er aufs Ta­pet ge­bracht hat­te. Er fühl­te sich woh­ler und setz­te sich et­was mehr auf den Stuhl, stütz­te sich aber im­mer noch fest mit den Ar­men auf die Leh­nen, als fürch­te­te er, dass er un­ter ihm hin­weg­schlüp­fen wür­de. Es war ihm ge­glückt, sie zum Spre­chen zu brin­gen. Und wäh­rend sie drauf­los re­de­te, streng­te er sich an, ihr zu fol­gen, ver­wun­dert über all das Wis­sen, das in dem rei­zen­den Köpf­chen steck­te, und freu­te sich über die blas­se Schön­heit ih­res Ge­sichts. Er folg­te ihr auch, ob­wohl ihn un­be­kann­te Wor­te, die leicht von ih­ren Lip­pen glit­ten, und kri­ti­sche Be­mer­kun­gen und Ge­dan­ken stör­ten, die ihm fremd wa­ren, die aber doch sei­nen Geist reiz­ten und ent­flamm­ten. Hier war geis­ti­ge Reg­sam­keit, dach­te er, und hier war Schön­heit, eine war­me, wun­der­ba­re Schön­heit, wie er sie sich nie hat­te träu­men las­sen. Er ver­gaß sich und starr­te sie mit gie­ri­gen Au­gen an. Hier war et­was, für das es sich lohn­te zu le­ben, vor­wärts­zu­kom­men, zu kämp­fen – ja, und zu ster­ben. Die Bü­cher spra­chen die Wahr­heit. Es gab sol­che Frau­en in der Welt. Sie war eine von ih­nen. Sie ver­lieh sei­ner Fan­ta­sie Schwin­gen, und große leuch­ten­de Bil­der er­schie­nen vor sei­nem Blick, un­deut­li­che, rie­si­ge Bil­der, die Lie­be, Ro­man­tik und Hel­den­tum um ei­ner Frau wil­len dar­stell­ten – um ei­ner blei­chen Frau, ei­ner gol­de­nen Blu­me wil­len. Und hin­ter der zit­tern­den schwin­gen­den Vi­si­on sah er wie hin­ter ei­ner Fata Mor­ga­na das le­ben­di­ge Weib, das hier saß und von Li­te­ra­tur und Kunst sprach. Er hör­te auch zu, aber er blick­te sie da­bei an, ohne sich be­wusst zu sein, wie starr sein Blick war, und dass al­les, was sei­ne Na­tur an Männ­lich­keit be­saß, ihm aus den Au­gen leuch­te­te. Sie aber, die we­nig von der Welt der Män­ner wuss­te, weil sie ein Weib war, sie fühl­te deut­lich sei­ne bren­nen­den Au­gen. Sie war noch nie auf die­se Wei­se an­ge­se­hen wor­den, und es mach­te sie ver­le­gen. Sie stock­te und such­te nach Wor­ten. Sie ver­lor den Fa­den ih­rer Er­klä­run­gen. Er er­schreck­te sie, und doch wur­de sie wie­der von ei­ner selt­sa­men Freu­de durch­bebt, dass je­mand sie auf die­se Wei­se an­sah. Ihre Er­zie­hung warn­te sie vor der Ge­fahr, die in die­ser ge­heim­nis­vol­len, selt­sa­men Lo­ckung lag; aber ihre In­stink­te klan­gen wie hel­le Fan­fa­ren durch ihr gan­zes We­sen und zwan­gen sie, die Hin­der­nis­se von Kas­te und Stand zu neh­men und zu ei­nem Wan­de­rer aus ei­ner an­de­ren Welt zu ge­lan­gen, die­sem lin­ki­schen jun­gen Bur­schen mit den zer­ris­se­nen Hän­den und dem ro­ten Strich am Hal­se von dem un­ge­wohn­ten Kra­gen, die­sem Men­schen, der, all­zu of­fen­kun­dig, von ei­nem har­ten, stren­gen Da­sein be­schmutzt und an­ge­steckt war. Sie war rein, und ihre Rein­heit em­pör­te sich da­ge­gen; aber sie war Weib, und sie hat­te ge­ra­de das Pa­ra­do­xe der weib­li­chen Na­tur ken­nen­ge­lernt.

»Wie ge­sagt – ja, was sag­te ich doch?« Sie un­ter­brach sich plötz­lich und lach­te hei­ter über ihre ei­ge­ne Ver­le­gen­heit.

»Sie sag­ten, dass die­ser Mann, der Swin­bur­ne, kein großer Dich­ter wur­de, weil … und wei­ter ka­men Sie nicht, Fräu­lein«, half er ihr, wäh­rend ihm schi­en, als ob er plötz­lich hung­rig wür­de und ein wun­der­vol­les lei­ses Zit­tern ihm bei ih­rem La­chen das Rück­grat ent­lang kroch. Wie Sil­ber, dach­te er, wie klin­gen­de, sil­ber­ne Glo­cken, und im sel­ben Au­gen­blick, aber nur eine Se­kun­de lang, fühl­te er sich in ein fer­nes Land ver­setzt, wo er un­ter rosa Kirsch­blü­ten saß, eine Zi­ga­ret­te rauch­te und auf die Glo­cken der spit­zen Pa­go­de lausch­te, die Gläu­bi­ge mit Stroh­san­da­len zur An­dacht rief.

»Ja, dan­ke«, sag­te sie. »Das Höchs­te er­reicht Swin­bur­ne nicht, weil er – nun ja, weil er unz­art ist. Vie­le sei­ner Ge­dich­te soll­te man gar nicht le­sen. Jede Zei­le der wirk­lich großen Dich­ter ist von Schön­heit er­füllt und wen­det sich an al­les, was er­ha­ben und edel im Men­schen ist. Von den Wer­ken der großen Dich­ter könn­te man nicht eine Zei­le ent­beh­ren, ohne dass die Welt da­durch är­mer wür­de.«

»Ich fand es groß­ar­tig«, sag­te er zö­gernd, »das biss­chen je­den­falls, das ich las. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, dass er so ein – ein Schur­ke war. Das wird wohl in sei­nen an­de­ren Bü­chern zum Vor­schein kom­men.«

»Vie­le Zei­len in dem Buch, das Sie ge­le­sen ha­ben, hät­te er sich spa­ren kön­nen«, sag­te sie, und ihre Stim­me klang streng und lehr­haft.

»Die muss ich über­se­hen ha­ben«, er­klär­te er. »Was ich las, war wirk­lich gut. Und es war so strah­lend und schim­mernd, es schi­en ge­ra­de in mich hin­ein und er­leuch­te­te mich in­wen­dig wie die Son­ne oder ein Schein­wer­fer. So wirk­te es je­den­falls auf mich, aber ich ver­ste­he ja nicht viel von Dicht­kunst, Fräu­lein.« Er hielt er­schro­cken inne. Er war ver­wirrt und hat­te ein pein­li­ches Ge­fühl von sei­ner ei­ge­nen Un­fä­hig­keit, sei­nen Ge­dan­ken Aus­druck zu ver­lei­hen. Er hat­te die große und le­ben­di­ge Glut in dem, was er las, ge­fühlt, aber sein Wort­schatz reich­te nicht hin. Er konn­te nicht aus­drücken, was er fühl­te, und er ver­glich sich selbst mit ei­nem See­mann, der sich in dunk­ler Nacht auf ei­nem frem­den Schif­fe be­fand und sich mit ei­ner Ta­ke­lung ab­quäl­te, mit der er nicht ver­traut war. Nun ja, sag­te er sich, ich muss eben se­hen, mich in die­ser neu­en Welt zu­recht­zu­fin­den. Er hat­te noch nie et­was ge­se­hen, hin­ter das er nicht ge­kom­men war, wenn er es ernst­lich dar­auf an­leg­te, und es war Zeit, dass er lern­te, sich über das, was in sei­nem In­nern vor­ging, ver­ständ­lich zu ma­chen. Sie er­wei­ter­te sei­nen Ho­ri­zont mäch­tig.

»Long­fel­low zum Bei­spiel –«, sag­te sie.

»Ja, den habe ich ge­le­sen«, un­ter­brach er sie, an­ge­spornt von dem Ehr­geiz, so­viel wie mög­lich von sei­nen Kennt­nis­sen zu zei­gen, und be­müht, ihr ver­ständ­lich zu ma­chen, dass er kein dum­mer Töl­pel war. »›Der Psalm des Le­bens‹, ›E­ly­si­um‹ und … ich glau­be, das ist al­les.«

Sie nick­te lä­chelnd, und er hat­te das Ge­fühl, dass ihr Lä­cheln ein we­nig nach­sich­tig war – mit­lei­dig nach­sich­tig. Er war ein Narr, dass er ver­such­te, sich auf die­se Wei­se auf­zu­spie­len. Die­ser Long­fel­low hat­te wahr­schein­lich zahl­lo­se Ge­dicht­bü­cher ge­schrie­ben. »Ent­schul­di­gen Sie, Fräu­lein, dass ich so drauf­los­schwat­ze. Ich weiß ja ei­gent­lich nicht viel von die­sen Sa­chen. Es ge­hört nicht zu mei­nem Be­ruf. Aber ich will es zu mei­nem Be­ruf ma­chen.«

Das klang wie eine Dro­hung. Sei­ne Stim­me war ent­schie­den, sei­ne Au­gen blitz­ten, die Li­ni­en in sei­nem Ge­sicht wur­den hart. Ihr schi­en, dass sein Kinn sich ver­än­dert hät­te; es wirk­te fast un­an­ge­nehm an­ma­ßend. Gleich­zei­tig aber war es, als ob ihr eine Woge star­ker Männ­lich­keit von ihm ent­ge­gen­schlug.

»Ich glau­be wirk­lich, Sie soll­ten es zu Ihrem … Be­ruf ma­chen«, schloss sie la­chend. »Sie sind sehr stark.«

Ihr Blick weil­te einen Au­gen­blick auf dem mus­ku­lö­sen, seh­ni­gen, fast stier­ar­ti­gen Na­cken, der von der Son­ne ge­bräunt war und von ro­her Kraft und Ge­sund­heit strotz­te. Und ob­wohl er rot und ver­le­gen da­saß, fühl­te sie sich doch von ihm an­ge­zo­gen. Zu ih­rer ei­ge­nen Über­ra­schung schoss ihr plötz­lich ein tol­ler Ge­dan­ke durchs Hirn. Ihr schi­en, sie müs­se ihre bei­den Hän­de um sei­nen Hals le­gen, und all sei­ne Stär­ke und Kraft wür­den auf sie über­strö­men. Ihr schi­en, dass sich ihr plötz­lich eine un­ge­ahn­te Ver­derb­nis ih­rer Na­tur of­fen­bar­te. Zu­dem war Stär­ke für sie et­was Gro­bes, Bru­ta­les. Ihr Ide­al männ­li­cher Schön­heit war im­mer schlan­ke An­mut ge­we­sen. Aber der Ge­dan­ke ver­ließ sie nicht. Es ver­wirr­te sie, dass sie wirk­lich den Wunsch ver­spü­ren soll­te, ihre Hän­de um die­sen son­nen­ver­brann­ten Hals zu le­gen. Tat­säch­lich war sie selbst zart, und das, was ihr Kör­per und ihre See­le brauch­ten, war eben Stär­ke. Aber das wuss­te sie nicht. Sie wuss­te nur, dass kein Mann je eine sol­che Wir­kung auf sie aus­ge­übt hat­te wie die­ser, der sie je­den Au­gen­blick durch sei­ne schreck­li­che Spra­che er­schreck­te.

»Nein, ein al­tes Weib bin ich nicht«, sag­te er. »Wenn es dar­auf an­kommt, kann ich al­tes Ei­sen ver­dau­en. Aber jetzt bin ich ge­ra­de ein biss­chen ver­stopft. Das meis­te von dem, was Sie ge­sagt ha­ben, kann ich nicht ver­dau­en. Ich habe mich nie mit dem Zeug ab­ge­ge­ben, wis­sen Sie. Ich habe Bü­cher und Poe­sie gern, und wenn ich mal Zeit hat­te, habe ich ge­le­sen, aber ich habe nie so drü­ber nach­ge­dacht wie Sie. Da­rum kann ich nicht drü­ber re­den. Mir geht es wie ei­nem See­mann, der ohne Kar­te und Kom­pass auf ei­nem frem­den Meer treibt. Jetzt möch­te ich gern pei­len. Vi­el­leicht kön­nen Sie mir da­bei hel­fen. Wie ha­ben Sie all das ge­lernt, was Sie da er­zäh­len?«

»In der Schu­le wohl und durch Stu­di­um«, ant­wor­te­te sie.

»Ich bin auch zur Schu­le ge­gan­gen, als ich klein war«, wand­te er ein.

»Ja; aber ich mei­ne das Gym­na­si­um und Kur­se und die Uni­ver­si­tät.«

»Sie sind auf der Uni­ver­si­tät ge­we­sen?« frag­te er ehr­lich er­staunt. Er fühl­te, dass sie einen Ab­grund von min­des­tens ei­ner Mil­li­on Mei­len zwi­schen sich und ihn ge­legt hat­te.

»Ich be­su­che jetzt noch die Uni­ver­si­tät. Ich höre Vor­le­sun­gen im Eng­li­schen.«

Er ver­stand nicht, was sie mit »Eng­lisch« mein­te, merk­te sich aber die­sen Man­gel in sei­nem Wis­sen und frag­te wei­ter:

»Wie lan­ge müss­te ich ler­nen, um auf die Uni­ver­si­tät kom­men zu kön­nen?«

Sie lä­chel­te er­mu­ti­gend über sei­nen Lernei­fer und sag­te: »Das hängt da­von ab, was Sie schon ge­lernt ha­ben. Sie ha­ben nie ein Gym­na­si­um be­sucht? Na­tür­lich nicht. Aber ha­ben Sie die Ge­mein­de­schu­le ganz durch­ge­macht?«

»Es fehl­ten zwei Jah­re, als ich ab­ging«, er­wi­der­te er. »Aber ich war im­mer sehr gut in der Schu­le.«

Im nächs­ten Au­gen­blick är­ger­te er sich so über sei­ne Prah­le­rei, dass er die Stuhl­leh­ne pack­te, bis die Fin­ger­spit­zen ihm förm­lich brann­ten. Da be­merk­te er, dass eine Frau ins Zim­mer trat. Er sah, wie das Mäd­chen vom Stuhl auf­stand und der Ein­tre­ten­den ent­ge­ge­neil­te. Sie küss­ten sich und ka­men dann Arm in Arm auf ihn zu. Das muss ihre Mut­ter sein, dach­te er. Sie war eine hoch­ge­wach­se­ne blon­de Frau, schlank, statt­lich und schön. Ihre Klei­dung war so, wie er sie in ei­nem sol­chen Hau­se er­war­tet hat­te. Sei­ne Au­gen hin­gen mit Ent­zücken an den an­mu­ti­gen Li­ni­en. In ih­rer Tracht er­in­ner­te sie ihn an Frau­en, die er auf der Büh­ne ge­se­hen hat­te. Dann er­in­ner­te er sich, dass er ähn­lich ge­klei­de­te Da­men in die Lon­do­ner Thea­ter hat­te hin­ein­ge­hen se­hen. Er hat­te ih­nen nach­ge­se­hen, bis der Schutz­mann ihn in den Sprüh­re­gen vor der Mar­ki­se ge­scho­ben hat­te. Gleich dar­auf mach­ten sei­ne Ge­dan­ken einen Sprung nach dem Grand Ho­tel in Yo­ko­ha­ma, wo er auch vom Bür­ger­steig aus große Da­men ge­se­hen hat­te. Dann be­gann Yo­ko­ha­ma selbst mit sei­nem Ha­fen in tau­send Bil­dern vor sei­nen Au­gen zu er­schei­nen. Aber er lös­te sich schnell von die­sem Ka­lei­do­skop der Erin­ne­rung, in dem Be­wusst­sein, dass er jetzt sei­ne gan­ze Geis­tes­ge­gen­wart nö­tig hat­te. Er wuss­te, dass er auf­ste­hen muss­te, um vor­ge­stellt zu wer­den, und so er­hob er sich denn be­schwer­lich und stand da, mit Ho­sen, die sich an den Kni­en beu­tel­ten, mit hän­gen­den Ar­men und zu­sam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen, be­reit, die be­vor­ste­hen­de Prü­fung über sich er­ge­hen zu las­sen.


  1. (Tris­tan und) Isol­de  <<<

2

Der Weg ins Spei­se­zim­mer war ein bö­ser Traum für ihn. Er stol­per­te und stieß sich, mach­te ent­schlos­sen einen Schritt vor­wärts und blieb wie­der ste­hen, und zu­wei­len schi­en ihm fast, als wür­de er nie hin­ein­ge­lan­gen. Schließ­lich aber war er drin­nen und wur­de ne­ben SIE ge­setzt. Der Über­fluss an Mes­sern und Ga­beln jag­te ihm Schre­cken ein. Sie droh­ten mit un­be­kann­ten Ge­fah­ren, und er starr­te sie be­nom­men an, bis ihr Glanz der Hin­ter­grund für eine Rei­he von Bil­dern aus der Back wur­de, wo er und sei­ne Ka­me­ra­den sa­ßen und Salz­fleisch mit dem Ta­schen­mes­ser und den Fin­gern aßen oder di­cke Erb­sen­sup­pe mit Blechlöf­feln in sich hin­ein­schau­fel­ten. Er konn­te ge­ra­de­zu den Ge­ruch von ver­dor­be­nem Fleisch spü­ren und das Schmat­zen der Es­sen­den zum Knar­ren der Höl­zer und Äch­zen der Schoo­te hö­ren. Er sah die Ka­me­ra­den es­sen und kam zu dem Er­geb­nis, dass sie wie Schwei­ne aßen. Nun, er woll­te sich hier schon zu­sam­men­neh­men. Er woll­te kein Geräusch ma­chen. Er woll­te un­un­ter­bro­chen auf sich ach­ten.

Er ließ sei­nen Blick über den Tisch schwei­fen. Ihm ge­gen­über sa­ßen Ar­thur und Ar­thurs Bru­der Nor­man. Er dach­te dar­an, dass es ihre Brü­der wa­ren, und fühl­te war­me Freund­schaft für sie. Wie alle in die­ser Fa­mi­lie sich lieb­ten! Er dach­te wie­der dar­an, wie SIE und ihre Mut­ter sich ge­küsst hat­ten und ihm Arm in Arm ent­ge­gen­ge­kom­men wa­ren. In sei­ner Welt zeig­ten El­tern und Kin­der ihre Ge­füh­le nicht so. Es war eine Of­fen­ba­rung von den Hö­hen des Le­bens, die man in die­ser hoch über der sei­nen lie­gen­den Welt er­rei­chen konn­te. Die­ser klei­ne Ein­blick in eine neue Welt hat­te ihm das Schöns­te ge­zeigt, das er je ge­se­hen. Es mach­te einen tie­fen Ein­druck auf ihn, und sein Herz ström­te über vor mit­füh­len­der Zärt­lich­keit. Sein gan­zes Le­ben hat­te ihn nach Lie­be ge­hun­gert. Sein We­sen brauch­te Lie­be. Sie war eine Le­bens­be­din­gung für sei­nen Or­ga­nis­mus. Und den­noch hat­te er sie ent­beh­ren müs­sen, aber er war hart da­bei ge­wor­den. Er hat­te selbst nicht ge­wusst, dass er Lie­be brauch­te, und auch jetzt wuss­te er es nicht. Er sah nur ihr Wir­ken, und das durch­schau­er­te ihn tief und er­schi­en ihm herr­lich und er­ha­ben.

Er freu­te sich, dass Herr Mor­se nicht an­we­send war. Es war schwer ge­nug, mit ihr, ih­rer Mut­ter und ih­rem Bru­der Nor­man be­kannt zu wer­den. Ar­thur kann­te er schon ein we­nig. Der Va­ter, das wuss­te er, hät­te dem Fass den Bo­den aus­ge­schla­gen. Ihm schi­en, dass er sich noch nie im Le­ben so ab­ge­müht hät­te. Die schwers­te Ar­beit war Kin­der­spiel da­ge­gen. Win­zi­ge Schweiß­trop­fen tra­ten ihm auf die Stirn, und sein Hemd war durch­nässt, weil er sich be­müh­te, so­viel Un­ge­wohn­tes auf ein­mal zu tun. Er muss­te es­sen, wie er noch nie ge­ges­sen hat­te, muss­te mit selt­sa­men Gerä­ten han­tie­ren und da­bei ver­stoh­le­ne Bli­cke auf die an­de­ren wer­fen, um zu se­hen, wie sie mit je­dem neu­en Din­ge um­gin­gen; er muss­te die Flut von Ein­drücken be­wäl­ti­gen, die über ihm zu­sam­menschlug und in sei­nem Be­wusst­sein ge­sich­tet und ge­klärt wer­den soll­te. Dazu fühl­te er eine hef­ti­ge Sehn­sucht nach ihr, eine Sehn­sucht, die die Form dumpf na­gen­der Rast­lo­sig­keit an­nahm, und spür­te einen hef­ti­gen Drang, sich em­por­zu­sch­win­gen zu der Höhe des Le­bens, auf der sie sich be­fand. Im­mer wie­der ver­irr­ten sich sei­ne Ge­dan­ken in un­kla­ren Plä­nen, wie er sich auf ihre Höhe schwin­gen könn­te. Wenn sein Blick heim­lich zu Nor­man, der ihm ge­ra­de ge­gen­über saß, oder zu den an­de­ren glitt, um her­aus­zu­be­kom­men, wel­ches Mes­ser oder wel­che Ga­bel bei ei­ner be­stimm­ten Ge­le­gen­heit zu ge­brau­chen war, so nahm das Ge­sicht des Be­tref­fen­den sei­ne Ge­dan­ken in An­spruch, und er ver­such­te me­cha­nisch zu er­ra­ten, was er – stets im Ver­hält­nis zu ihr – war.

Dann muss­te er wie­der spre­chen, hö­ren, was zu ihm ge­spro­chen wur­de, und was die an­de­ren un­ter sich spra­chen, und, wenn nö­tig, ant­wor­ten mit ei­ner Zun­ge, die die un­an­ge­neh­me Nei­gung hat­te, durch­zu­ge­hen, und stets ge­zü­gelt wer­den muss­te. Und um sei­ne Ver­wir­rung noch zu ver­meh­ren, war der Die­ner da, eine be­stän­di­ge Dro­hung, die sich laut­los hin­ter ihn schlich, ein un­heim­li­cher Spi­on, der ihm un­an­ge­neh­me Rät­sel auf­gab, die er stets so­fort lö­sen muss­te. Wäh­rend der gan­zen Mahl­zeit be­drück­te ihn der Ge­dan­ke an die Spül­kum­men. Im­mer wie­der, un­auf­hör­lich muss­te er dar­über nach­den­ken, wann sie in die Er­schei­nung tre­ten und wie sie aus­se­hen wür­den. Er hat­te von die­sen Din­gen ge­hört und wuss­te, dass er sie im Lau­fe we­ni­ger Mi­nu­ten se­hen soll­te, dass er mit hö­he­ren We­sen bei Ti­sche saß und sie wie die­se be­nut­zen soll­te. Und das Wich­tigs­te von al­lem: auf dem Grun­de sei­ner Ge­dan­ken und doch stets dicht an der Ober­flä­che lag die große Fra­ge, wie er sich die­sen Leu­ten ge­gen­über be­neh­men soll­te. Wel­che Hal­tung soll­te er ein­neh­men? Mit die­sem Pro­blem kämpf­te er an­dau­ernd und furcht­sam. Da wa­ren fei­ge Ein­wen­dun­gen, die ihn Ko­mö­die spie­len las­sen woll­ten, und noch fei­ge­re, die ihm sag­ten, dass ein sol­cher Ver­such miss­lin­gen muss­te, dass sei­ne Na­tur sich nicht dazu eig­ne­te, und dass er sich zum Nar­ren ma­chen wür­de. Wäh­rend des ers­ten Tei­les des Es­sens rang er mit sich, wie er sich ver­hal­ten soll­te, und war sehr still. Er wuss­te nicht, dass er durch sein Schwei­gen Ar­thur Lü­gen straf­te, der am Tage zu­vor ge­sagt hat­te, er wür­de einen Wil­den mit zu Tisch brin­gen, dass sie aber kei­ne Angst zu ha­ben brauch­ten, denn es sei ein in­ter­essan­ter Wil­der. Mar­tin Eden hät­te sich nicht vor­stel­len kön­nen, dass ihr Bru­der sich ei­nes sol­chen Ver­rats schul­dig mach­te, zu­mal er ja eben­die­sem Bru­der bei ei­ner schlim­men Prü­ge­lei ge­hol­fen hat­te. Und so saß er denn bei Ti­sche, be­drückt durch sei­ne ei­ge­ne Un­wür­dig­keit und doch zu­gleich von al­lem, was um ihn her vor­ging, be­zau­bert. Zum ers­ten Mal er­kann­te er, dass Es­sen et­was an­de­res als eine nütz­li­che Funk­ti­on war. Er hat­te kei­ne Ah­nung, was er aß. Es war eben Es­sen. Er still­te sei­nen Schön­heits­durst an die­sem Tisch, wo Es­sen eine äs­the­ti­sche Funk­ti­on war. Aber es war auch eine geis­ti­ge Funk­ti­on. Sein Geist war an­ge­sta­chelt. Er hör­te Wor­te, die kei­nen Sinn für ihn hat­ten, und an­de­re Wor­te, die er nur in Bü­chern ge­fun­den hat­te, und die kei­ner der Män­ner oder Frau­en sei­ner Be­kannt­schaft im­stan­de ge­we­sen wä­ren aus­zu­spre­chen. Wenn er die­se Wor­te von den Lip­pen die­ser wun­der­vol­len Fa­mi­lie – ih­rer Fa­mi­lie – aus­spre­chen hör­te, als ob es das Na­tür­lichs­te von der Welt wäre, wur­de er von Ent­zücken durch­bebt. Die Ro­man­tik und Schön­heit, das Er­ha­be­ne, von dem er in Bü­chern ge­le­sen hat­te, wur­de hier Wirk­lich­keit. Er be­fand sich in dem selt­sa­men, se­li­gen Zu­stand, in dem ein Mann sei­nen Traum aus den Win­keln der Fan­ta­sie her­aus­spa­zie­ren und Wirk­lich­keit wer­den sieht. Noch nie hat­te er auf sol­chen Hö­hen des Le­bens ge­stan­den, und er hielt sich selbst im Hin­ter­grund, lau­schend, be­ob­ach­tend und sich freu­end, wäh­rend er ein­sil­big Ja und Nein ant­wor­te­te. Er muss­te sich Mühe ge­ben, dass er ih­ren Brü­dern nicht die­sel­be Ehr­er­bie­tung wie ihr und ih­rer Mut­ter er­wies. Aber er sag­te sich, dass das un­mög­lich sei, wenn er je hof­fen woll­te, SIE zu ge­win­nen. Au­ßer­dem lehn­te sich sein Stolz da­ge­gen auf. »Weiß Gott!« sag­te er ein­mal bei sich, »ich bin ge­nau so gut wie sie, und wenn sie auch vie­les wis­sen, was ich nicht weiß, so könn­te ich sie doch auch ein ganz Teil leh­ren.« Als aber sie oder ihre Mut­ter ein paar Au­gen­bli­cke spä­ter ihn »Herr Eden« an­sprach, ver­gaß er sei­nen an­ma­ßen­den Stolz und wur­de von Freu­de ganz rot und warm. Er war ein zi­vi­li­sier­ter Mensch, ja­wohl, und er saß hier, Schul­ter an Schul­ter, bei Tisch mit Leu­ten gleich de­nen, über die er in Bü­chern ge­le­sen hat­te. Jetzt war er selbst mit im Bu­che, mit­ten in ei­nem Aben­teu­er, das die Druck­sei­ten ei­nes di­cken Ban­des füll­te.

Wäh­rend er aber Ar­thurs Be­schrei­bung auf die­se Art Lü­gen straf­te, und eher ein from­mes Lamm als ein Wil­der zu sein schi­en, zer­brach er sich die gan­ze Zeit den Kopf, wie er auf­tre­ten soll­te. Er war kein from­mes Lamm, und die zwei­te Gei­ge zu spie­len, pass­te sei­ner hoch­flie­gen­den Herr­scher­na­tur durch­aus nicht. Er sprach nur, wenn er muss­te, und sei­ne Rede war wie sein Gang, ab­ge­bro­chen und stol­pernd.

Er such­te in sei­nem Sprach­schatz, grü­bel­te, wel­che Wor­te wohl bei die­ser oder je­ner Ge­le­gen­heit pass­ten, fürch­te­te aber, dass er sie nicht aus­spre­chen könn­te, und ver­warf wie­der an­de­re Wor­te, von de­nen er wuss­te, dass sie sie nicht ver­stan­den, oder dass sie in ih­ren Ohren roh und ge­wöhn­lich klin­gen wür­den. Aber die gan­ze Zeit be­drück­te ihn das Be­wusst­sein, dass die­se Vor­sicht in der Wahl sei­ner Wor­te ihn dumm mach­te und ihn ver­hin­der­te, sei­nem In­nern Aus­druck zu ver­lei­hen.

Dazu em­pör­te sich sei­ne Frei­heits­lie­be ge­gen die­sen Zwang un­ge­fähr eben­so, wie sein Hals von dem stei­fen Kra­gen ir­ri­tiert wur­de, und end­lich wuss­te er, dass es auf die Dau­er doch nicht ge­hen wür­de. Er war ein Kraft­kerl, er konn­te den­ken, und der schöp­fe­ri­sche Geist in ihm hob das Haupt und woll­te sich gel­tend ma­chen. Er wur­de schnell über­mannt von dem Ge­fühl, das sich in ihm in Ge­burts­we­hen wand, um Aus­druck und Form zu fin­den, und dann ver­gaß er sich und sei­ne Um­ge­bung, und die al­ten Wor­te – die Werk­zeu­ge der Rede, die er kann­te – schlüpf­ten her­aus.

Als der Die­ner ihm ein­mal et­was an­bot, ihn da­bei un­ter­brach und an sei­ne Schul­ter stieß, lehn­te er mit ei­nem kur­z­en, ent­schie­de­nen »Pau!« ab.

So­fort rich­te­ten sich alle Au­gen bei Ti­sche er­war­tungs­voll auf ihn, der Die­ner war of­fen­bar be­lus­tigt, und Mar­tin Eden schäm­te sich sehr. Aber er ge­wann schnell sei­ne Selbst­be­herr­schung wie­der.

»Das ist ein Kana­ken­wort für ›fer­tig‹«, er­klär­te er. »Und es kam ganz von selbst!«

Er sah, wie ihre Bli­cke neu­gie­rig sei­ne Hän­de such­ten, und da er ein­mal Mut ge­fasst hat­te, re­de­te er wei­ter: »Ich kam auf ei­nem Schiff von der Pa­ci­fic-Post­li­nie die Küs­te her­un­ter. Wir wa­ren ver­spä­tet, und in al­len Hä­fen am Pu­get-Sund schuf­te­ten wir wie die Nig­ger, um die La­dung zu ver­stau­en – Stück­gut, wenn Sie wis­sen, was das heißt. Da­bei hab’ ich mir die Haut ab­ge­schrammt.«

»Ach, das mein­te ich nicht«, er­klär­te sie schnell. »Ihre Hän­de schei­nen zu klein für Ihren Kör­per.«

Er er­rö­te­te. Er dach­te, dass wie­der eine sei­ner Un­voll­kom­men­hei­ten ans Ta­ges­licht ge­bracht wor­den sei.

»Ja«, sag­te er är­ger­lich. »Sie sind nicht groß ge­nug, Arme und Schul­tern hab’ ich wie ein Maul­tier. Die sind zu stark, und wenn ich ei­nem Mann die Fres­se zer­haue, wer­den mir die Hän­de da­bei auch zer­hau­en.«

Was er ge­sagt hat­te, ge­fiel ihm nicht. Er war wü­tend auf sich. Er hat­te sei­ne Zun­ge ge­löst und Din­ge ge­sagt, die sich nicht schick­ten.

»Es war brav von Ih­nen, dass Sie Ar­thur auf die­se Wei­se zu Hil­fe ka­men – Sie, als Frem­der«, sag­te sie takt­voll, als sie sei­ne Ver­le­gen­heit sah, ob­wohl sie den Grund nicht kann­te.

Er hin­ge­gen ver­stand sehr gut, was sie ge­tan hat­te, eine war­me Wel­le der Dank­bar­keit über­spül­te ihn, und er ver­gaß sei­ne lose Zun­ge.

»Das war nicht der Rede wert«, sag­te er. »Je­der an­de­re hät­te ge­nau das­sel­be ge­tan. Die Row­dys woll­ten Spek­ta­kel ma­chen, und Ar­thur hat­te ih­nen nichts ge­tan. Sie gin­gen auf ihn los, und da ging ich wie­der auf sie los und ver­mö­bel­te ein paar von ih­nen. Bei der Ge­le­gen­heit ging wohl auch ein biss­chen Haut von mei­nen Hän­den, zu­gleich mit ein paar Zäh­nen von den Ker­len. Ich freue mich heut noch dar­über. Wenn ich sehe …«

Er hielt inne, mit of­fe­nem Mun­de, wie er­schro­cken über sei­ne ei­ge­ne Ver­derb­nis und sei­ne Un­wür­dig­keit, die­sel­be Luft wie sie zu at­men. Und wäh­rend Ar­thur zum zwan­zigs­ten Mal sein Aben­teu­er mit den be­trun­ke­nen Row­dys auf der Fäh­re be­rich­te­te und er­zähl­te, wie Mar­tin Eden sich auf sie ge­stürzt und ihm ge­hol­fen hat­te, saß die­ser Mar­tin Eden mit ge­run­zel­ter Stirn da, dach­te, dass er sich jetzt voll­kom­men lä­cher­lich ge­macht hät­te, und kämpf­te ver­bit­ter­ter als je mit der Fra­ge, wie er sich vor die­sen Leu­ten be­neh­men soll­te. Bis jetzt hat­te er wahr­haf­tig nicht viel Glück ge­habt. Er ge­hör­te nicht zu ih­rer Klas­se und sprach ihre Spra­che nicht, so er­klär­te er es sich selbst. Er könn­te nicht so tun, als ob er ih­res­glei­chen wäre. Eine sol­che Mas­ke­ra­de wür­de ihm miss­glücken, zu­mal jede Art Mas­ke­ra­de sei­nem We­sen fremd war. Ver­stel­lung oder List hat­ten kei­nen Teil an ihm. Was auch ge­sch­ah, er muss­te er selbst blei­ben. Er konn­te ihre Spra­che nicht spre­chen, aber das wür­de schon noch kom­men. Dazu war er fest ent­schlos­sen. In­zwi­schen aber muss­te er spre­chen, und zwar in sei­ner ei­ge­nen Spra­che, die er na­tür­lich dämp­fen muss­te, da­mit sie ih­nen ver­ständ­lich wur­de und sie nicht all­zu­sehr ver­letz­te. Fer­ner woll­te er nicht mehr durch schwei­gen­des Hin­neh­men so tun, als ken­ne er Din­ge, die er in Wirk­lich­keit nicht kann­te, und mehr­mals un­ter­brach er die bei­den Brü­der in ei­ner Un­ter­hal­tung, um zu er­fah­ren, was dies oder je­nes be­deu­te­te.

Er er­hielt einen Ein­blick in ein Wis­sen, das ihm un­be­grenzt zu sein schi­en. Was er sah, nahm greif­ba­re Ge­stalt an. Sei­ne un­er­hör­te Ein­bil­dungs­kraft half ihm da­bei. In der Werk­statt sei­ner Ge­dan­ken wur­den die ver­schie­de­nen Zwei­ge der Wis­sen­schaft, wur­de der Wald der Kennt­nis­se zu ei­ner gan­zen Land­schaft. Er sah die Wege mit grü­nen Blät­tern und Lich­tun­gen, über­flu­tet von ge­dämpf­tem Licht und hel­len Son­nen­fle­cken. Die Ein­zel­hei­ten in der Fer­ne wa­ren ver­schlei­ert und von ei­nem dun­kel­vio­let­ten Ne­bel ver­wischt, da­hin­ter aber lag der Zau­ber des Un­be­kann­ten, die zwin­gen­de Macht der Ro­man­tik. Es wirk­te auf ihn wie Wein. Hier gab es Aben­teu­er. Hier gab es et­was, das Kopf und Hän­de ver­rich­ten konn­ten, hier war eine Welt zu be­sie­gen, und so­gleich tauch­te vor dem Hin­ter­grund sei­nes Be­wusst­seins der Ge­dan­ke auf, dass er sie­gen woll­te, um sie zu ge­win­nen, die­se li­li­en­wei­ße Elfe, die ne­ben ihm saß.

Die leuch­ten­de Vi­si­on wur­de von Ar­thur zer­ris­sen, der den gan­zen Abend ver­sucht hat­te, den wil­den Mann zum Aus­bruch zu brin­gen. Mar­tin Eden er­in­ner­te sich sei­nes Ent­schlus­ses. Zum ers­ten Mal wur­de er der ech­te Mar­tin Eden, an­fangs be­wusst und mit vol­ler Über­le­gung; bald aber ver­gaß er al­les über der Freu­de, zu schaf­fen und das Le­ben, wie er es kann­te, vor den Au­gen der Zu­hö­rer er­ste­hen zu las­sen.

Er hat­te sich auf dem Schmugg­ler­scho­ner »Hal­cy­on« be­fun­den, der von ei­nem Zoll­kut­ter ge­fasst wur­de. Er sah mit of­fe­nen Au­gen und konn­te er­zäh­len, was er sah. Er ließ das wo­gen­de Meer und die Män­ner und Schif­fe des Mee­res vor ih­nen er­ste­hen. Er teil­te ih­nen von sei­ner Ein­bil­dungs­kraft mit, bis sie mit sei­nen Au­gen sa­hen, was er ge­se­hen hat­te. Aus der un­ge­heu­ren Men­ge von Ein­zel­hei­ten wähl­te er mit dem si­che­ren Griff des Künst­lers, zeich­ne­te Bil­der des Le­bens, die von Licht und Far­ben flamm­ten, und blies ih­nen Be­we­gung ein, so­dass sei­ne Zu­hö­rer von die­sem Strom ro­her Be­red­sam­keit, Be­geis­te­rung, Stär­ke und Macht ge­packt wur­den. Zeit­wei­lig er­schreck­te er sie durch die Le­ben­dig­keit der Er­zäh­lung und sei­ner Aus­drücke, aber auf Hef­tig­keit folg­te im­mer so­fort wie­der Schön­heit, und die Tra­gö­die wur­de be­lebt durch Hu­mor und den ei­gen­ar­ti­gen sprin­gen­den Ge­dan­ken­gang des See­manns.

Und wäh­rend er sprach, sah das jun­ge Mäd­chen ihn mit großen er­schro­cke­nen Au­gen an. Sein Feu­er durch­glüh­te sie. Sie dach­te, ob sie wohl ihr gan­zes Le­ben ge­fro­ren hät­te. Sie sehn­te sich da­nach, sich an die­sen bren­nen­den, flam­men­den Mann zu leh­nen, der wie ein Vul­kan Stär­ke und Ge­sund­heit aus­spie. Sie fühl­te, dass sie sich an ihn leh­nen muss­te, und wi­der­stand der Ver­su­chung nur mit Mühe. Aber sie hat­te auch eine ent­ge­gen­ge­setz­te Emp­fin­dung: sie schau­der­te vor ihm zu­rück. Sie wur­de ab­ge­sto­ßen von den zer­ris­se­nen Hän­den, die von Ar­beit be­su­delt wa­ren, als hät­te al­ler Schmutz des Le­bens das Fleisch ver­seucht, von dem ro­ten Strich vom Kra­gen und den schwel­len­den Mus­keln. Sei­ne Ro­heit er­schreck­te sie. Je­des rohe Wort ver­letz­te ihr Ohr, je­der der­be Satz war ein Hohn auf ihre See­le. Aber im­mer wie­der fühl­te sie, wie er sie an­zog, bis ihr schi­en, dass er schlecht sein müss­te, um eine sol­che Macht über sie aus­zuü­ben. Al­les, was am tiefs­ten in ihr wur­zel­te, droh­te zu­sam­men­zu­stür­zen. Der Schim­mer von Ro­man­tik und Aben­teu­ern, der über ihm lag, häm­mer­te ge­gen al­les Her­kömm­li­che. Sei­nen leicht be­sieg­ten Ge­fah­ren und sei­nem stets be­rei­ten La­chen ge­gen­über war das Le­ben nicht mehr et­was Erns­tes mit Mühe und Zwang, son­dern ein Spiel­zeug, das man nach Be­lie­ben dre­hen und wen­den, das man nach­läs­sig le­ben und nach­läs­sig bei­sei­te­wer­fen konn­te. »Des­halb spie­le!« rief es in ihr. »Leh­ne dich an ihn, wenn du Lust dazu hast, und lege ihm dei­ne Hän­de um den Hals!« Sie hät­te gern die­sen wil­den Ge­dan­ken ver­bannt, und sie such­te ver­ge­bens, ihre ei­ge­ne Rein­heit und Kul­tur, al­les, was sie war, in die Wag­scha­le zu wer­fen ge­gen das, was er nicht war. Sie sah auf die an­de­ren und be­merk­te, dass sie ihn auf­merk­sam und hin­ge­ris­sen an­blick­ten, und sie wür­de ganz den Mut ver­lo­ren ha­ben, hät­te sie nicht den Schre­cken in den Au­gen ih­rer Mut­ter ge­se­hen – einen Schre­cken, der halb Be­geis­te­rung, aber den­noch Schre­cken war. Die­ser Mann aus der äu­ßers­ten Fins­ter­nis war schlecht. Ihre Mut­ter sah es, und ihre Mut­ter hat­te recht. Sie woll­te sich in die­ser Sa­che wie im­mer auf das Ur­teil ih­rer Mut­ter ver­las­sen. Das Feu­er, das aus ihm lo­der­te, wärm­te nicht mehr, ihre Angst vor ihm war nicht mehr so über­wäl­ti­gend.

Spä­ter setz­te sie sich an den Flü­gel und spiel­te für ihn, nur für ihn, ag­gres­siv, mit dem un­kla­ren Ziel, den un­über­brück­ba­ren Sch­lund zwi­schen ih­nen zu be­to­nen. Ihre Mu­sik war eine Keu­le, die sie bru­tal über sei­nem Haup­te schwang, aber wenn sie ihn auch be­täub­te und in den Staub warf, so wirk­te sie doch an­spor­nend auf ihn. Er starr­te sie ehr­fürch­tig an. In sei­nem Ge­müt wie in dem ih­ren er­wei­ter­te sich der Sch­lund zwi­schen ih­nen; aber noch fes­ter wur­de sein ehr­gei­zi­ger Ent­schluss, die­sen Sch­lund zu über­brücken. Sei­ne Ge­füh­le wa­ren je­doch zu wirr, als dass er den gan­zen Abend hät­te ru­hig da­sit­zen und auf den klaf­fen­den Sch­lund star­ren kön­nen, na­ment­lich wenn mu­si­ziert wur­de. Er war merk­wür­dig emp­fäng­lich für Mu­sik. Sie war wie ein be­rau­schen­der Trank, der sei­ne Ge­füh­le zu un­ge­wohn­ter Kühn­heit an­sporn­te, wie ein Gift, das sich in sei­ne Fan­ta­sie schlich und sie bis in die Wol­ken hob. Mu­sik ver­jag­te die schmut­zi­ge Wirk­lich­keit, er­füll­te sein Ge­müt mit Schön­heit, ließ die Ro­man­tik los und be­schwing­te sie. Er ver­stand die Mu­sik, die sie spiel­te, nicht. Sie war ganz an­ders als die, die er kann­te: das häm­mern­de Kla­vier und der Lärm der Horn­blä­ser in den Tanz­lo­ka­len. Aber er hat­te durch die Bü­cher eine Vor­stel­lung von die­ser Mu­sik, und er nahm sie da­her fast wie eine Art Glau­bens­satz hin, war­te­te ge­dul­dig auf die takt­fes­ten Töne ei­nes be­stimm­ten Rhyth­mus und wur­de all­mäh­lich ganz ver­wirrt, weil die Mo­ti­ve so oft wech­sel­ten. So­bald er die Me­lo­die er­fasst hat­te und sei­ne Fan­ta­sie durch den Raum schwei­fen ließ, ver­schwan­den die Mo­ti­ve im­mer wie­der in ei­nem wir­ren Cha­os von Tö­nen, von de­nen er sich kei­ne Vor­stel­lung ma­chen konn­te, und sei­ne Fan­ta­sie stürz­te schwer zu Bo­den.

Ein­mal fiel ihm ein, dass dies ein be­wus­s­ter Ver­such sein moch­te, ihn zu­rück­zu­wei­sen. Er fühl­te ihre Ab­wehr und be­müh­te sich, die Bot­schaft zu er­ra­ten, die ihre Hän­de durch die Tas­ten aus­drück­ten. Dann aber schob er die­sen Ge­dan­ken als un­wür­dig und un­mög­lich von sich und über­ließ sich ganz der Mu­sik. Wie­der über­kam ihn das alte Ent­zücken. Sei­ne Füße wa­ren nicht mehr erd­ge­bun­den, sein Fleisch wur­de Geist. Vor und hin­ter sei­nem Blick ent­zün­de­te sich ein mäch­ti­ger Strah­len­kranz. Er ver­gaß sei­ne Um­ge­bung und hob sich im Flu­ge über eine Welt, die ihm so teu­er war. In dem Traum­bild, das vor sei­nen Au­gen auf­tauch­te, misch­te sich Be­kann­tes mit Un­be­kann­tem. Er er­reich­te frem­de Hä­fen in son­ni­gen Län­dern und be­trat Markt­plät­ze bar­ba­ri­scher Völ­ker, die kein Mensch je ge­se­hen hat­te. Er konn­te den Duft der Ge­wür­zin­seln spü­ren, wie er ihn in war­men stil­len Näch­ten auf See ge­spürt hat­te, er be­geg­ne­te dem Pas­sat der lan­gen Tro­pen­ta­ge, dem Pas­sat, der die Pal­men­we­del der Koral­len­in­seln in das tür­kis­blaue Meer hin­ter ihm ver­senk­te und die Pal­men­we­del der Koral­len­in­seln aus dem tür­kis­blau­en Meer vor ihm hob. Alle die­se Bil­der ka­men und schwan­den mit der Schnel­lig­keit des Ge­dan­kens. Im einen Au­gen­blick saß er ritt­lings auf ei­nem Prä­rie­hengst und flog durch das mäch­ti­ge Wüs­ten­land mit sei­nen Mär­chen­far­ben; im nächs­ten starr­te er durch flim­mern­den Dunst auf die Grä­ber des To­ten­tals oder ru­der­te über ein halb zu­ge­fro­re­nes Welt­meer, aus dem sich klei­ne Eis­in­seln ho­ben und in der Son­ne glit­zer­ten. Er lag am Ufer ei­ner Koral­len­in­sel, de­ren Ko­ko­spal­men dicht an der Bran­dung mit ih­ren Moll­tö­nen wuch­sen. Auf dem Rumpf ei­nes al­ten Wracks brann­ten blaue Flam­men, und in ih­rem Schim­mer tanz­ten die Hu­la­tän­zer zu bar­ba­ri­schen Lie­bes­lie­dern, klim­pern­den Uku­le­les und ras­seln­den Tom-Toms. Es war eine sin­nen­er­re­gen­de tro­pi­sche Nacht. Im Hin­ter­grund hob sich die dunkle Sil­hou­et­te ei­nes vul­ka­ni­schen Kra­ters vom Ster­nen­him­mel ab. Dar­über stand ein blas­ser Halb­mond, und ganz un­ten am Ho­ri­zont flamm­te das Kreuz des Sü­dens.

Er war wie eine Har­fe; sein gan­zes Le­ben, wie er es bis­her ge­kannt, und wie es sich in sei­nem Be­wusst­sein ab­ge­zeich­net hat­te, bil­de­te die Sai­ten der Har­fe, und die wo­gen­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­