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Siglinde Bickl

Du wurdest gerufen

und Du folgtest





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Du wurdest gerufen und Du folgtest

 

Diese Geschichte ist wahr

 

Ich schrieb sie, um allen Menschen Mut zu machen, die sich in einer solchen Situation befinden. Dass ich meine innersten Gefühle Preis gebe, damit muss ich leben. Es gibt immer einen Weg, seine Trauer zu verarbeiten. Der wichtigste ist, der Glaube an GOTT. IHM kann ich alle meine Nöte anvertrauen und ich weiß, dass ER mir hilft. Ganz bestimmt. Oft auf eine Art, die ich so nicht vermutet habe. Ich will nicht weinen, weil mich mein Liebster verlassen hat. Seine Zeit hier war vorbei. Er ist leise heimgefahren. Ich will ihm sein Glück gönnen, das er dort oben findet. Gerne wären wir noch ein Weilchen zusammengeblieben, aber in der Gewissheit, dass wir uns dort wieder sehen, verlebe ich ganz bewusst den Rest meines Lebens.

 

Danke

Dieses Datum ist für immer in meiner Seele eingebrannt Unauslöschlich! Du wurdest gerufen und Du folgtest Du hattest keine Wahl. Nur drei Monate wussten wir, wie krank Du warst. Du wolltest gesund werden und tatest alles dafür.

 

Magenspiegelung

 

Heliobacter machten Dir zu schaffen. Die Medikamente wirkten nicht.

 

Rückenschmerzen

Du konntest nicht liegen. Die ganze Nacht liefst Du in der Wohnung umher. Wir dachten an einen Bandscheibenvorfall

 

Röntgen

 

Die Bilder zeigten keinen Befund. Darmspiegelung: Auf der linken Seite oben war ein Fleck. Ich war dabei als es gemacht wurde. Der Arzt meinte, keine große Sache, damit werden wir leicht fertig. Aber er sprach auch von der Bauchspeicheldrüse. Wir nahmen das kaum zur Kenntnis. Du nahmst jeden Tag ab. Zuerst waren es 100 gr. und Du freutest Dich, weil Du mich langsam überholt hattest. Als aber die Gewichtsabnahme immer größer wurde und Du dadurch bedingt, auch schlechter aussahst, hast Du eine Blutanalyse machen lassen.

 

Diabetes

 

Wir stellten die Mahlzeiten um, aber Du hattest keinen Appetit. Das freute Dich, weil Dein Blutzucker dadurch immer schön konstant blieb.

 

Mitte Oktober Krankenhausaufenthalt

 

Nach endlos langen Untersuchungen stand der OP Termin fest. Du gingst ohne Angst und kamst mit viel Hoffnung zurück. Anfang März wollten wir unsere goldene Hochzeit feiern. Das Lokal war schon ausgesucht, die Gästeliste geschrieben. Du hattest eine Kreuzfahrt gebucht.

 

Nach Hause

 

„Übermorgen dürfen Sie nach Hause“, sagte der Arzt. Am nächsten Tag wurde Dir noch einmal Blut abgenommen. Wir dachten, sie wollten auf Nummer sicher gehen. Am Entlassungstag: Es wurde immer später bis der Doktor kam. 15 Uhr 10: Die Erde tat sich auf und verschlang uns.

 

Bauchspeicheldrüsenkrebs

 

Den Schlimmsten den es gibt. „Wie hoch sind meine Chancen“, fragtest Du. „30 %" war die Antwort. „Das reicht mir“, Du darauf. Ich wollte wissen, wie viel Zeit Dir bliebe, ohne OP. „Schwer zu sagen“, meinte der Arzt. „Würden Sie es machen lassen, wenn Sie diese Krankheit hätten?" „Ja, unbedingt." Diese Erwiderung hatte Dir gereicht. Der Arzt erklärte uns, dass es drei Teile von diesem Organ gibt, Kopf, Rumpf und Schwanz. Ist der Krebs im ersteren oder letzteren, ist er gut zu operieren. Im Rumpf ist es mit großen Schwierigkeiten verbunden.
„Bitte lass Dich nicht operieren, wir haben dann vielleicht eine geringe Chance, dass in der Forschung etwas Neues entdeckt wird." Aber Du sagtest: „So kann ich nicht weiterleben." Denn Deine Schmerzen im Rücken waren stärker geworden. Mittlerweile bekamst Du schon Morphium. Jede Woche 25 Einheiten mehr. Du warst schon bei 100 angelangt und hattest große Angst. Du hast gewartet und gewusst, dass am nächsten Morgen wieder eine Erhöhung sein musste. Angst, dass irgendwann die Möglichkeiten erschöpft waren. Morphium wird auf Pflaster verabreicht. Die Dosen werden jeweils in die 25 Einheiten Rhythmus erhöht. In schlimmen Fällen muss man andere Medikamente ausprobieren. Wer Dich vor zwei Monaten sah, wäre nicht auf den Gedanken gekommen, dass Du es bist. Du hattest vor nichts Angst, weder vor dem Zahnarzt, noch vor Deinen Augenoperationen. Du kanntest das Gefühl nicht, aber wenn doch, konntest Du es gut verbergen. Jedenfalls hast Du es nicht gezeigt. „Sie können morgen nach hause gehen, machen Sie sich noch ein paar schöne Tage". Das wurde uns gesagt. Unerhört. Einem Todkranken solch einen Rat zu geben, heißt so viel wie: Sie haben eh keine lange Zeit mehr. Ich hätte ihm am liebste eine Ohrfeige gegeben. Sollte man dem anderen die Hoffnung nehmen, sollte man ehrlich zueinander sein?

22.12.2004 Du durftest nach Hause

 

Das Essen war schon vorgekocht, Du konntest den Duft nicht riechen. Dir wurde übel davon. Die erste Nacht seit sechs Wochen wieder in Deinem eigenen Bett. Wir erzählten ein bisschen und dann hast Du die ganze Nacht durchgeschlafen. Beim Frühstück hatte ich einen Fehler gemacht, ich wollte Dir gut, hatte Orangen ausgepresst und ein Ei gekocht. Du konntest nichts essen und sagtest zornig: „Immer musst Du mir alles aufzwingen." Ich wollte Dir doch nur gut, Dich ein bisschen aufpäppeln. Du warst ja nur noch ein Schatten Deines Selbst. Es tat so weh, Dich leiden sehen und nicht helfen können. Ich durfte Dir meine Angst nicht zeigen, machte immer ein fröhliches Gesicht. Ich wusste, Du fühlst genau wie ich. Wir kannten uns schon 55 Jahre, da weiß man um jede Regung.

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