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Rike Thome

Bleib in meinen Armen

Liebesroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1. Kapitel

 

Laura parkte ihren Wagen in der Garage ihres Elternhauses und blickte auf ihre Armbanduhr. Es war später geworden, als beabsichtigt und sie musste sich beeilen. Ausgerechnet heute hatte sie in der Kanzlei 'CL Firm' viel zu tun gehabt, in der sie seit ihrer Ausbildung zur Anwaltsgehilfin für ihren Chef Cogan Law arbeitete. Ihre Freundin Sandra würde gleich eintreffen, um zu sehen, wie weit sie mit ihren Recherchen war.

Rasch lief sie durch den Seiteneingang ins Innere des Hauses und eilte die Treppe nach oben in ihr Reich. Im Flur ließ sie ihre Handtasche und den Wagenschlüssel auf der antiken Kommode zurück und begab sich sogleich ins Wohnzimmer. Auf dem kleinen Tischchen stand wie immer ihr Laptop. Trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre fühlte Laura sich im Haus ihrer Eltern wohl und finanziell kam es ihr sogar zugute. Denn nur so konnte sie den größten Teil ihres Geldes für ihren Traum zurücklegen. Und dieser sollte sich nun bald erfüllen. Vier lange Jahre hatten Sandra und sie darauf sparen müssen. Doch jetzt dauerte es nur noch zwei Wochen, bis zu ihrem gemeinsamen, vierwöchigen Trip nach Texas.

Sie ließ den Laptop hochfahren und schlüpfte währenddessen in bequeme Kleidung. Danach rief sie die Datei unter dem Namen ´Traumland´ auf und überprüfte noch schnell die letzten Eintragungen, wobei sie dachte: Ja, so müsste es gehen.

 

Laura war schon sehr gespannt, was ihre Freundin dazu sagen würde. Vorsichtshalber machte sie noch einmal einen Kostencheck, um später keine bösen Überraschungen zu erleben. Sandra verdiente schon recht gut als Fotografin im 'Woodsid´s Photographie Studio'. Doch wenn man ein Faible für Calvin Klein, Viktorias und Udo sonst wer Modemarken hatte, konnte es schon mal knapp werden. Weil sie aber wie Geschwister zusammen aufgewachsen waren, verstanden sie sich trotz der unterschiedlichen Einstellungen bestens. Wie sollte es auch anders sein, bei Eltern, die selbst seit Jahrzehnten befreundet waren? Nur eben mit dem Unterschied, dass diese Spring Hill niemals verlassen würden. Dort waren sie geboren und würden auch sterben, wie ihre Mutter sich einmal ausgedrückt hatte. Die Freundinnen aber waren abenteuerlustiger.

Doch nicht nur die Abenteuerlust trieb Laura an. Mit dieser Reise wollte sie sich einen langersehnten Traum erfüllen und ein weiteres Buch schreiben. Sie beabsichtigte, sich nun an eine Wild-West Geschichte zu wagen. Diese Reise sollte ihr dafür als Recherche dienen.

Dieser Wunsch hatte seine Wurzeln in ihrer Kinderzeit. Als ihre Großeltern noch lebten, verbrachte Laura all ihre Ferien auf deren Rinderfarm. Dort hatte sie ein Pony besessen und zusammen mit anderen Kindern aus der Umgebung Cowboy und Indianer gespielt und hin und wieder aus Spaß die Kühe zusammengetrieben. Und ihre Großmutter hatte ihr auch immer wieder mit ihrer wundervollen, warmen Stimme, ihre geliebten Bücher vorgelesen.

Bis ins Teenager-Alter liebte Laura Kinderbücher jeder Art und hatte diese geradezu verschlungen. Vor einigen Jahren hatte sie daher den Entschluss gefasst, selbst ein Kinderbuch zu schreiben. Aber niemals hatte sie damit gerechnet, dass ihr Buch; 'Mr. Hase und Miss Igel', gleich so ein Erfolg werden würde. Das hatte sie im wahrsten Sinne umgeworfen. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich jetzt an ein größeres und anspruchsvolleres Buch wagen wollte.

 

Durch das Klingeln an der Haustür wurde sie aus ihren Gedanken gerissen und rief erfreut aus: „Das muss Sandra sein! Pünktlich auf die Minute.“

„Komm nach oben! Ich bin dort“, ließ sie ihre Freundin durch die Sprechanlage wissen.

„Okay!“, vernahm sie Sandras Antwort.

Als sie oben ankam, begrüßten sie sich wie immer mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange.

„Na, Süße? Wie war dein Tag?“, erkundigte sich Sandra.

„Anstrengend! Und deiner?“

Ihre Freundin antwortete mit einem Schmunzeln: „Oh, wunderbar! Du glaubst nicht, wen ich heute vor die Linse bekommen habe.“

Laura grinste und ließ es sich nicht nehmen, zu sagen: „Lass mich raten! John Wayne?”

Sandra fuhr auf diesen Westernhelden total ab. Und weil Laura das wusste, zog sie sie gerne mal damit auf. Sie interessierten sich jedoch beide für Western, deshalb sollte ihr Buch in Texas, dem typischen Westerngebiet spielen.

Schon kam es mit einem Seufzen: „Schön wär´s!“, bevor Sandra weiter erzählte: „Ich war heute im Central Park, um ein paar Aufnahmen von der neu gestalteten Anlage zu machen. Und wer läuft mir über den Weg? Charly! Und zwar nicht alleine. Ein Blondinchen war bei ihm und sie hielten Händchen.“

Sie grinste vor Schadenfreude, aber Laura meinte: „Oh je! Arme Antonia! Hat sie doch schon wieder Pech mit einem Mann.“

Sie hatte wirklich Mitleid mit ihr. Auch wenn Antonia, die mit Charly zusammen war, hochnäsig und arrogant war.

„Ist sie doch selbst schuld! So egozentrisch, wie sie ist“, meinte Sandra erbost. Sie konnte Antonia nicht leiden.

„Sei nicht so hart mit ihr, Sandra. Sie klammert halt ein bisschen.“

„Ein bisschen? Na ja! Wie dem auch sei. Mir passiert so etwas nicht. So, nun lass mich mal sehen, welche Ziele du dir in Texas ausgesucht hast.“

Laura schüttelte lächelnd den Kopf und konterte: „Wie sollte dir das auch passieren, wenn du nur mit den Männern spielst?“

Dafür hatte ihre Freundin allerdings nur ein Grinsen übrig.

 

Während Sandra sich neben ihr auf der Couch niederließ, begann Laura schon, ihr die Fotos über die drei Städte zu zeigen, die sie für ihren Trip ausgewählt hatte. Da ihre Freundin den Grund der Reise kannte, hatte sie Laura die Route aussuchen lassen. Dafür war Laura ihr sehr dankbar. Trotzdem wollte sie damit auch ihr einen unvergesslichen Urlaub bescheren.

Oh, Mann, dachte sie in dem Moment. Wenn Sandra wüsste, dass sie in meiner Geschichte der Protagonist sein wird, in der … Keine Ahnung, was sie davon halten würde.

Jedoch wollte Laura ihr unbedingt diese Geschichte aus Dank für ihre jahrelange und bedingungslose Freundschaft widmen. Denn Sandra war es gewesen, bei der sie stets eine Schulter zum Ausweinen gefunden hatte. Sei es wegen einer missglückten Arbeit in der Schule, ihre Zweifel, was ihr Aussehen betraf, oder ihrer Unsicherheit bei den Jungs. Stets war ihre Freundin für sie da gewesen. Sie hatte sie getröstet, wenn eine Verabredung geplatzt war, und sie bei Allem wieder aufgebaut.

Als Laura ihr nun die Fotos der Hotels in San Antonio und El Paso zeigte, die sich zentrumsnah befanden, war Sandra davon sehr angetan. Dann zeigte sie ihr auch noch Bilder von der Umgebung. Ihre Freundin seufzte verzückt auf, da wusste Laura, dass sie damit auch ihren Geschmack getroffen hatte. Das machte sie natürlich mächtig stolz.

Ihr eigentliches Begehren, warum Laura gerade Texas ausgewählt hatte, folgte nun in Form der nächsten Fotos. Das Faszinierendste erwartete sie in Amarillo. Dort würden sie auf einer Ranch verweilen. Laura war schon jetzt verliebt in sie.

Wie sich schnell herausstellte, schienen die Fotos nicht nur ihr, sondern auch Sandra unheimlich gut zu gefallen. Innerlich triumphierte Laura vor Freude.

„Laura, du bist echt klasse! Ich hätte es nicht besser machen können. Es ist einfach perfekt!“

„Findest du? Weißt du … Ich dachte mir, wenn wir nur vier Wochen Zeit haben, sollten es Städte sein, die von der Entfernung her nicht allzu weit auseinander liegen.“

„Richtig! Denn ich bin der Meinung, dass wir mindestens sieben Tage pro Stadt benötigen werden, um genügend zu erleben“, zwinkerte ihr Sandra darauf zu.

Laura verdrehte die Augen. Sie konnte sich denken, worauf ihre Freundin anspielte.

„Wie dem auch sei. Hier noch der Kostencheck! Wir können es uns einigermaßen gutgehen lassen. Unser Budget ist gar nicht so mickrig“, meinte sie daraufhin aber nur. Was ihre Freundin zum Schmunzeln brachte.

„Das wäre tragisch! Warum sollen wir knausern, wenn es uns gefällt? Wir haben beide seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht.“

Wo sie recht hat, hat sie recht, dachte Laura. Und diese Reise sollte für sie beide die Schönste ihres Lebens werden. Daher nickte sie bestätigend.

Sie besprachen, was sie noch für die Reise benötigen würden. Sandra wollte natürlich, wie sollte es auch anders sein, genug Schuhe mitnehmen. Man könne ja nie wissen, was einen dort erwarten würde, argumentierte sie.

Darauf antwortete Laura nur: „Wie du meinst! Ich für meinen Teil denke vielmehr an ausreichende Kleidung. Und vor allem Sonnencreme und Insektenschutz.“

„Das natürlich auch! Doch einen Haufen Kleider? Süße, dort kann man sich sicher schöne und günstige Kleidung kaufen. Wohingegen Schuhe ein Fall für sich sind.“

Wieder einmal hatte Sandra darin nicht unrecht. Als es für ihre Freundin Zeit zum Aufbruch wurde, verabschiedeten sie sich nach ihrem Ritual und Laura begleitete sie nach unten. Sie würde ihren Eltern dann gleich die genauen Reiseziele präsentieren, damit diese aufhören konnten, sich unnötige Sorgen zu machen.

 

„Hallo Mom, hey Dad”, begrüßte Laura unten ihre Eltern, als sie zu ihnen auf die Terrasse trat.

„Hallo Liebes! War das nicht Sandra, die ich gerade gehört habe?“

Laura gab beiden einen Kuss auf die Wange, ehe sie ihrer Mutter antwortete: „Ja! Wir haben unsere Reise besprochen und nun festgelegt. Sandra muss morgen sehr früh raus. Sie hat einen Termin zum Fotoshooting und lässt sich daher entschuldigen.“

Ihre Mutter nickte und bat sie, sich zu ihnen zu setzen.

„Weißt du, mein Schatz? Ich weiß zwar, dass du erwachsen bist, dennoch mache ich mir Sorgen. Texas ist so weit weg!“

Nicht schon wieder, dachte Laura und seufzte innerlich auf. Ihr Vater stoppte ihre Mutter.

„Luna, lass gut sein! Unsere Tochter ist mittlerweile sechsundzwanzig Jahre alt und könnte längst verheiratet und Mutter vieler Kinder sein. Du musst endlich lernen, sie loszulassen.“

Laura war ihrem Vater dankbar für seine Unterstützung, auch wenn sie bei seiner Begründung wieder einmal errötete. Sie wusste aber, dass die Eltern nur ihr Glück wollten. Gerade weil sie ein Einzelkind war.

Schon seit einiger Zeit versuchten ihre Eltern, sie mit allen ledigen Männern hier in Spring Hill zu verkuppeln. Dabei gingen sie allerdings nicht besonders geschickt vor. Denn fast in jedem zweiten Monat veranstalteten ihre und Sandras Eltern gemeinsam ein Grillfest. Und immer war ein anderer Junggeselle da und musste hoffen, dass Laura Interesse an ihm zeigte. Worauf die Eltern nur zu lauern schienen, damit sie endlich Großeltern werden konnten. Doch Laura hatte derzeit absolut keine Lust mehr auf eine Beziehung.

Laura umarmte ihre Mutter und lächelte ihren Vater dankbar an.

„Das ist schon in Ordnung, Mom. Aber Dad hat recht. Ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen. Was soll mir auch schon geschehen? Ich habe doch Sandra dabei.“

Das würde helfen, ihre Mutter zu beruhigen. Und in der Tat nickte diese zufrieden.

Prompt erzählte sie die alte Kamelle: „Auch wahr! Als Sandra geboren wurde und heranwuchs, habe ich Mona gefragt, ob sie sich sicher sei, dass sie ein Mädchen ist.“

Ihre Mutter kicherte und ihr Vater schüttelte schmunzelnd den Kopf. Diese Geschichten kannten alle nur zu Genüge. Angeblich war Sandra damals wild und unbändig wie ein Junge gewesen. Was Laura nie so gesehen hatte. Zumindest nicht immer. Doch manchmal, wenn ein Junge sie oder Sandra gehänselt hatte, fing er sich von ihrer Freundin halt Prügel ein. Dieser hatte es dann auch verdient. In Lauras Augen war ihre Freundin einfach eine Frau, die sich behaupten konnte. Ganz anders als sie selbst. Sie war eher die Unsichere, Zurückhaltende und die Ängstlichere von ihnen. Dass ihre Freundin sie stets in Schutz genommen hatte, würde Laura ihr niemals vergessen. Selbst ihre Mutter nicht, weil sie so auf dem Laufenden blieb. Denn Luna – Lauras Mutter - wusste dadurch immer über alles Bescheid. Das war definitiv ein Nachteil, wenn beide Elternpaare gut miteinander befreundet waren. Dies begriffen Sandra und sie aber erst, als sie alt genug waren. Oder vielmehr, als sie mit ihren Flausen anfingen.

Laura berichtete ihren Eltern nun in allen Einzelheiten ihre Reiseroute. Während ihrer Abwesenheit wollten diese, zusammen mit Sandras Eltern, eine Kreuzfahrt machen. Damit wären sie, nach Aussage von Lauras Vater, von ihren Sorgen um die Töchter abgelenkt. Was die Freundinnen auch gut hießen. Noch bis Mitternacht saß sie mit ihren Eltern zusammen und zeigte auch ihnen die Fotos. Ihre detaillierte Schilderung der Reise, die selbst ihre Garderobe mit einschloss, beruhigte ihre Mutter sehr, genau wie Laura es gehofft hatte. Als sie gähnen musste, wünschte sie ihren Eltern mit einem Kuss auf die Wange eine gute Nacht und begab sich nach oben in ihre Wohnung. Mit einem wohligen Seufzen kuschelte sie sich kurz darauf in die Kissen. Noch zwei Wochen, dachte sie und fiel in einen tiefen Schlaf.

 

***

Thomas Cedros wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Er und sein engster Vertrauter, Lanz Willer, verbrachten schon den ganzen Morgen auf der westlichen Seite des Weidelandes, die zu seiner Ranch gehörte. Dort musste die Einzäunung repariert werden. Santos, dieser verfluchte Bulle, hatte es mal wieder geschafft, einige Zäune niederzureißen, nur um die Kühe aufzumischen.

Seit nunmehr sechs Jahren leitete Thomas die 'Cedros Ranch'. Genauer gesagt, seit dem Tod seiner Eltern. Auch wenn Tom, wie er von allen seit Kindesbeinen an genannt wurde, die Ranch liebte … An solchen Tagen fragte er sich, warum er das alles mit seinen zweiunddreißig Jahren auf sich nahm.

„Das dürfte reichen! So schnell gelingt es Santos nicht mehr, hier auszubrechen. Dieser verflixte Bulle …“, wetterte Lanz neben ihm.

Tom verstand ihn. Trotzdem wussten beide, dass Santos durch seine Gene und hohe Fruchtbarkeit unverzichtbar für die Rinderranch war.

Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte er einen anderen Bullen besessen, den Tom trotz seiner guten Erbanlagen in einer schrecklichen Nacht erschossen hatte. Bei dieser Erinnerung spürte er wieder diesen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Nicht viele wussten alle Einzelheiten der Tragödie.

Er verdrängte den Gedanken daran und wandte sich Lanz zu. In dessen Gesicht konnte er erkennen, dass auch er sich gerade an dieses Geschehen erinnerte.

„So ist es!“, stimmte Tom ihm zu. „Diese Verstärkung wird ihn aufhalten. Ansonsten bekommt er, bei den Ampere, die durch den Stromdraht fließen, so eine gehuscht, dass ihm Hören und Sehen vergeht.“ Danach meinte er: „Lass uns jetzt erst zurück reiten. Wilma hat sicher schon das Essen fertig. Ich habe einen Bärenhunger. Später können wir dann noch an der südlichen Seite die Pferde zusammentreiben.“

„Da sage ich nicht nein!“ Lanz lachte und schon machten sie sich auf den Rückweg zur Ranch.

 

Nachdem die Pferde versorgt waren, gingen sie ins Haus. Tom wollte sich bei dieser Hitze aber erst noch eine erfrischende Dusche gönnen.

„Lass dir nicht zu viel Zeit. Das Essen ist in zehn Minuten fertig!“, rief Wilma ihm hinterher.

Er schmunzelte und rief zurück: „Zu Befehl, du Sklaventreiberin.“

Er mochte Wilmas etwas herrische Art. Im Grunde war sie aber herzallerliebst. Nur sollte das keiner bemerken. Ihrer Meinung nach würden ihr sonst die Cowboys, die für Cedros arbeiten, auf der Nase herumtanzen.

Tom musste grinsen. Dieser Frau würde man nie ihre sechzig Jahre geben, geschweige denn ansehen. Auch Lanz nicht seine dreiundsechzig. Schon mehr als dreißig Jahre lebten und arbeiteten sie für seine Familie. Seine Eltern hatten sie damals eingestellt, als Lanz seinen Job verloren hatte, und sie mit nichts auf der Straße landeten. Die beiden waren für Tom und seine Geschwister zu einer Art Ersatzeltern geworden. Seine unverzichtbare und gute Perle Wilma war zudem eine Meisterköchin.

Unter der Dusche musste er wieder an den Unfall seiner Eltern denken. Trotz der vergangenen Jahre schmerzte Tom ihr Tod immer noch sehr. Sie hatten sich spätabends auf dem Heimweg von einer Viehauktion befunden. Ein betrunkener Autofahrer hatte sie frontal erfasst. Der Wagen war mit der Beifahrerseite gegen einen Baum geprallt und dann in die steile Schlucht neben der Straße gestürzt. Beide waren sofort tot gewesen. Sie wurden erst am nächsten Tag gefunden. Zwei Tage später fasste man den Unfallverursacher. Bei der Vernehmung hatte dieser angegeben, er könne sich an nichts erinnern. Er war auf dem Geburtstag eines Kumpels gewesen und habe wohl zu viel getrunken.

Wegen dieser Geschichte hatte man ihn wegen verminderter Schuldfähigkeit nur für ein paar Jahre aus dem Verkehr gezogen. Für Tom, seine Geschwister, Wilma und Lanz, und alle Freunde und Bekannte seiner Eltern nicht lange genug. Aber selbst, wenn der Kerl lebenslänglich bekommen hätte ... Nichts könnte ihnen ihre Eltern wieder zurückbringen. Viel zu früh waren diese von ihnen gegangen.

Zum Glück hatte sein Vater ihn schon längst in die Leitung der Ranch mit eingebunden. Obwohl er nicht der Älteste der Geschwister war, stand schon früh fest, dass Tom einmal sein Nachfolger sein würde. Alle drei Kinder liebten die Ranch, doch Tom war als einziger an der Bewirtschaftung interessiert. Der ältere, Paul, war ein sehr erfolgreicher Architekt in San Antonio geworden. Dort hatte er auch seine große Liebe Diane kennengelernt. Sie war seine Sekretärin gewesen und hatte sich schnell in ihn verliebt. Vor zwei Jahren hatten die beiden geheiratet. Und Toms jüngere Schwester Maya war schon jetzt, mit siebenundzwanzig Jahren, eine gefragte Modedesignerin. Seit Neuestem war sie mit Rolf, dem Einkäufer des Warenhauses Billing verlobt. Er vergötterte Maya, was die beiden Brüder genau wussten.

 

Als Tom sich dem Esszimmer näherte, hörte er schon das angeregte Geplauder seiner Männer. Er nahm wie immer an der Stirnseite des großen Tisches Platz. Wilma hatte sich heute wieder selbst übertroffen. Es gab Schmorbraten mit Klößen und Rotkraut. Das Mittagessen nahmen sie stets gemeinsam mit seinen Leuten ein, um ihr die Arbeit zu erleichtern.

„Hallo, Leute!“, begrüßte er seine vier Männer Nick OMally, Owen Kingston, Kiran Mallon und den jüngsten, Jerry Porter. Alle waren gute Cowboys und für ihn unverzichtbar.

„Hallo, Boss!“, antwortete Owen ihm, der älteste der Truppe. Die anderen nickten ihm mit vollen Mündern zu.

„Wir sind mit der Ostseite fertig. Koppeln sind in Ordnung, die Wassertränken gefüllt und Heuraufen erneuert. Nach dem Essen werden Nick und Kiran sich noch die Nordseite ansehen, wenn es dir recht ist.“

Tom bedankte sich und meinte jedoch: „Mir wäre die Südseite heute lieber. Dafür bräuchte ich euch alle. Das andere kann auch noch bis morgen warten. Wir sollten anfangen, die Fohlen von den Stuten zu trennen, damit wir schnellstmöglich mit dem Brandmarken anfangen können.“

Owen stimmte ihm zu. Dann besprachen sie die restlichen Arbeiten für die Woche. Lanz wollte auch noch die Hengste auf eine andere Weide umstellen lassen. Mittlerweile war es März und bis Mai mussten sie mit dem Großteil der Frühjahrsarbeiten durch sein. Denn dann begann wieder der Betrieb mit den Feriengästen. Wilma hatte ihm dies empfohlen, nachdem seine Eltern schon damit beginnen wollten. Der zusätzliche Verdienst würde der Ranch guttun und in Amarillo gab es ohnehin zu wenige Pensionen für die Touristen.

Sie hatte Recht behalten, trotz Toms anfänglicher Skepsis. Schon im ersten Jahr waren die Unterkünfte komplett ausgebucht gewesen, so dass sie die Ranch um einige Quartiere erweitern ließen. Für die kommenden Jahre wollten sie zusätzlich auch ein anspruchsvolles Unterhaltungsprogramm anbieten. Und im September kam auch noch die Heuernte hinzu, was den Arbeitsaufwand ebenfalls erhöhen würde.

Tom gab seiner guten Perle einen Wangenkuss und bedankte sich für ihr vorzügliches Mahl. Wie immer, wenn er ihr schmeichelte, bekam sie rosige Wangen, knuffte ihn in die Rippen und meinte: „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Spare dir dein Süßholzgeraspel für eine passende Frau auf, du Schwerenöter!“

Er zwinkerte ihr zu und sagte, dass er niemals so eine treue Seele, wie sie es sei, finden würde. Was ihm ein nicht allzu damenhaftes Schnauben von ihr einbrachte, und von den Anderen ein unterdrücktes Lachen.

 

In den nächsten Tagen kamen sie mit der Arbeit gut voran. Abends machte Tom dann die Büroarbeit. Seine Männer amüsierten sich entweder in der nahen Stadt oder pokerten zusammen. Und Lanz und Wilma genossen die Ruhe in ihrer Blockhütte.

Tom verabscheute diese leeren Abende, an denen er alleine war.

Allein! Wie er das Wort hasste. Alles war in ihm gestorben. Er hatte sich eine Familie gewünscht, so wie er es von seinen Eltern her kannte. Doch dieser Traum war auf schreckliche Weise zerstört worden. Es war ja nicht seine Schuld gewesen. Oder doch?

Trotz seiner Vorsätze hatte er sich mit einer Urlauberin eingelassen. Er hatte sich sogar ernsthaft in sie verliebt. Doch es hatte ein bitteres Ende genommen an diesem Tag, an dem er seinen Bullen erschießen musste.

„Schluss jetzt“, rief er sich zur Ordnung. „Du wirst auch damit fertig werden.“

Er erhob sich von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch, löschte beim Hinausgehen das Licht und ging ins Bett.