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ISBN 978-3-86764-897-4 (Print)

ISBN 978-3-7398-0461-3 (EPUB)

ISBN 978-3-7398-0462-0 (EPDF)

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Vorwort

Wo fängt Digitalisierung an und wo hört Lean-Management auf? Eine Frage, die permanent aufgeworfen wird. Alle Entwicklungsstufen von Industrie 1.0 bis Industrie 4.0 gehen in die Digitalisierung ein, da alle aufeinander aufbauen und die technischen Entwicklungsstufen alle in Industrie 4.0 oder der Digitalisierung integriert werden. Dampfmaschinen trieben z.B. Webstühle in den ersten industriellen Produktionsanlagen an (Industrie 1.0). Bald darauf erfolgten die Elektrifizierung und das Fließband (Industrie 2.0). Die dritte Revolution (Industrie 3.0 oder Lean Management) begann vor vier Jahrzehnten mit elektronischen und programmierbaren Komponenten und den Just-in-Time-Konzept in der Automobilindustrie.

Bei Industrie 4.0 oder Digitalisierung verschmelzen künftig die reale und virtuelle Welt miteinander. Auf diese Weise sind viele innovative Produktionsmethoden und Produktionsprozesse denkbar. Funktionsübergreifende Wertschöpfungsketten einzelner Lean-Management-Prozesse können nun durch die Digitalisierung zusammenhängend geplant, gesteuert und kontrolliert werden und viele weitere Lösungen dazu sind denkbar.

Seit über 200 Jahren treiben diese technischen Entwicklungsstufen unsere Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität aller unserer Industriebranchen an und bescheren uns eine internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Zum Schluss möchten wir uns bei Herrn Dr. Jürgen Schechler bedanken, der uns eine 2. Auflage dieses Buches ermöglicht hat.

Berlin/ Nürnberg Die Verfasser

Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Lean
Management

1 Einleitung: Zum
Toyota-Produktionssystem (TPS)

Das Toyota-Produktionssystem, als „schlanke Produktion" beziehungsweise Lean Management bekannt, lässt sich auf die Ingenieure Eiji Toyoda und Taiichi Ohno aus den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zurückführen.

Sie selbst haben aus dem Produktionssystem von Ford/Taylor, dem amerikanischen Qualitätssystem (Total Quality Management) und nicht zuletzt aus der traditionellen Organisationslehre von Nordsieck und Kosiol viel übernommen,

und es mit japanischen und später amerikanischen Terminologien versehen.

Das Toyota-Produktionssystem (TPS-Verfahren) wurde dann wieder weltweit kopiert und unter verschiedenen Begriffen bekannt. Das TPS-Verfahren als Logistiksystem entstand in der japanischen Nachkriegszeit, aus der Not heraus. Aufgrund der damals vorherrschenden Situation in der japanischen Automobilindustrie wurde das TPS im Rahmen eines Programmes des MITI zur Steigerung der japanischen Wettbewerbsfähigkeit entwickelt. Gegenüber der Massenproduktion westlicher Unternehmen in den 1950er und 1960er Jahren lag der Fokus überwiegend darauf, die Fertigungsprozesse in viele kleine Arbeitsschritte zu zerlegen (Taylorismus), Wertschöpfungskettenabschnitte aus dem Unternehmen vorzuverlagern (Outsourcing) und in Fertigungsanlagen in möglichst großen Stückzahlen zu produzieren.

Ziel war es, das Gesetz der Massenproduktion und später die Gesetze der Erfahrungskurve durch Rationalisierung und Automation zu implementieren. Bei Toyota konzentrierte man sich deshalb von vornherein auf die Verbesserung der Arbeitsabläufe, da hier die größten Produktivitätssteigerungen zu erzielen waren, Materialkosten gesenkt und dadurch die Fertigungskosten reduziert werden konnten. Der Hintergrund war, dass es Toyota an Finanzmitteln für das Anlagevermögen fehlte, wegen geringen Grundstückflächen auch wenig Platz für neue Anlagen im Beschaffungs- und Produktionsbereich vorhanden waren, aber trotzdem die Wirtschaftlichkeit und die Rentabilität der Autoproduktion im Vordergrund standen. Daher musste Toyota die Kernfähigkeit der Automontage entwickeln, Abläufe zu synchronisieren und diese kontinuierlich hinsichtlich Zeit, Ressourcen und Fehler zu verbessern und zu reduzieren (Null-Fehler-Programm). Dadurch entstand über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren ein eigens von Toyota entwickeltes Produktions-Logistikverfahren für die Serienproduktion (Kanban-System, Just-in-Time-System). Dieses System verbindet die Produktivität der Massenproduktion mit der Qualität der Werkstattfertigung bei kleinen, kurzfristig abrufbaren Serien von gewünschten Automobilmodellen (vgl. Schmeisser/Andresen/Kaiser 2012, S. 1 ff., Schmeisser/Reiß/Rolf/ Popp 2014, Kapitel 2).

1.1 Ziel und Strategie des Toyota-Produktionssystems

Ziel des TPS-Verfahrens ist es, einmal höchstmögliche Qualität bei den herzustellenden Autos im Vergleich zum Konkurrenzauto, damals zum VW-Käfer, zu erzielen, innerhalb kürzester Produktionszeit mit zugleich niedrigsten Kosten einen anzustrebenden Verkaufspreis (Target Costing) zu erreichen, um wettbewerbsfähige Autos mittels Kostenführerschaft global anbieten zu können.

Dieses Produktionsziel hat Toyota zwischen 1965 und 1985 erreicht, und zwar durch eine konsequente Vermeidung von Muda (Verschwendung), Mura (Unregelmäßigkeit) sowie Muri (übermäßige Belastung) von Maschinenbelegung, Materialverschwendung und Leerzeiten bei Maschinen und Mitarbeitern.

Abbildung 1: Das Toyota-Haus

Quelle: Ursprung von Lean Manufacturing [Albat 2012]

In Abbildung 1 werden die Ziele grafisch als Produktionsphilosophie zusammengefasst.

Um die Ziele zu erreichen, entwickelte Toyota notwendige Kernelemente sowie Methoden, (Organisations-)Prinzipien und Konzepte in Anlehnung an Kosiols Ablauforganisation.

Als Basis zur Gewährleistung der Zielerreichung für die Produktion dient das Kaizen", d.h. das Training und die Qualifizierung der Mitarbeiter, eine kontinuierliche Verbesserung der Produktion durch Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter (Quality Circles) sowie der Entwicklung einer Führungs-, Unternehmens- als auch einer Lernkultur hin zum Total Quality-Management.

Ein weiteres Fundament, neben dem „Kaizen", bildet die Standardisierung von Arbeitsabläufen und -schritten innerhalb der Produktion, unterstützt durch Normung der Materialien und Hilfsstoffe sowie der Typenbildung bei den Zwischenprodukten. Ein zusätzlicher Schwerpunkt liegt in der Logistik, in Form einer Produktionsglättung („Heijunka"), so dass minimale Leerlaufzeiten bei den Maschinen und bei den Mitarbeitern während des Produktionsablaufs entstehen.

Im „Toyota-Haus" umfasst die Just-in-Time-Logistik die linke Säule des Hauses. Hierbei werden nur so viele Autos eines Modells hergestellt, wie durch Verkaufsaufträge in den Verkaufsniederlassungen geordert werden. In der linken Säule befindet sich dazu noch die Synchronisierung von Prozessketten im Material- und Fremdbauteilebeschaffungssystem durch ein „Pull-System".

Bauteile werden nur dann angefordert, wenn diese zur Fertigung von Autos benötigt werden. Die Taktzeit bedeutet in diesem Zusammenhang die Nachfragequote der Kundennachfrage. Somit wird nur das produziert, was der Markt auch tatsächlich nachfragt und fordert. Aufgrund der Taktzeit kann so die optimale Dauer der Arbeitszyklen erreicht werden, um so die Nachfrage der einzelnen Kunden rechtzeitig zu erfüllen, damit keine Kundenbeschwerden oder Konventionalstrafen drohen.

Die rechte Säule des Toyota-Hauses umfasst das „Jidoka", ein Total Quality Control-System, das ein automatisches Stoppen der Produktion bewirkt, wenn Fehler im Produktionsprozess auftauchen oder Abweichungen bei Bauteilen festgestellt werden. Dadurch werden kürzere Überarbeitungszeiten am Autoobjekt möglich und es gehen auch keine weiteren Materialien und Arbeitszeiten in das fehlerhafte Auto ein.

Heute gilt das Toyota-Produktionssystem weltweit im Benchmark als eines der effizientesten und qualitätsgetriebensten Produktionsverfahren.

1.2 Zur Produktion im Kundentakt

Oberstes Ziel des Toyota-Produktionssystems ist die Produktion im Kundentakt. Die Produktion orientiert sich am Kundenbedarf, wobei Mehrkosten aufgrund von zu hohen Lagerbeständen, aber auch Umsatzeinbußen wegen mangelnder Lieferbereitschaft, vermieden werden sollen.

In der Logistiksprache handelt es sich um eine Just-in-Time-Produktion. Dieses Organisationssystem hat sich in vielen Automobilbetrieben durchgesetzt, da Lagerplätze, Materiallagerhallen, Hochregalsysteme usw. und damit viel Kapital eingespart werden können, um den Return on Investment zu erhöhen. Für die Implementierung des Just-in-Time bedarf es jedoch eine große organisatorische Vorlaufzeit, da die Lieferanten, die Spediteure und das eigene Produktionsplanungssystem darauf abgestimmt werden müssen. Des Weiteren müssen die Mitarbeiter flexibel in das Logistik- und Produktionssystem eingesetzt werden können.

Der Grund hierfür sind die ständig schwankenden Kundenbestellungen. Dennoch lassen sich mit dieser Methode Lagerkosten sparen. Zudem wird einer Verschwendung von Materialien und Kapazitäten (Muda) entgegengewirkt, womit ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (Kaizen) erzielt wird.

1.3 Zur Eliminierung von Verschwendungen

Die Strategie sowie das zentrale Anliegen des Toyota-Produktionssystems sind die Verschwendungen und deren Reduzierungen in der Produktion. Die häufigsten Verschwendungsbereiche sind dabei zu hohe Lagerbestände, eine zu hohe und zudem nicht marktgerechte Produktion, unnötige Transportwege und Bewegungsabläufe, Stillstands,- Liege- und Wartezeiten sowie Fehler bei der Herstellung.

Um es kurz zu fassen: Eigentlich alle Tätigkeiten in der Produktion, die nur Kosten und keinen Mehrwert haben beziehungsweise keinen Mehrerlös in der Deckungsbeitragsrechnung und/oder dem Target Costing erbringen, d.h. unter Einbeziehung aller Kosten des zu produzierenden Produkts.

Abbildung 2: Typische Szenen in einer Fabrik

Quelle: Modernes Management im Produktionsbetrieb [Suzaki 1989, S. 8 f.]

In Abbildung 2 werden verschiedene situative Organisationsprobleme innerhalb einer Fabrikhalle karikativ vorgestellt.

Anhand von Abbildung 2 lassen sich sehr gut die verschiedenen Verschwendungsarten bei der Produktion in Fabrikhallen erkennen. Während beispielsweise ein Arbeiter hauptsächlich mit Warten auf Material beschäftigt ist, ist ein anderer Mitarbeiter auf der Suche nach seinem Werkzeug, oder aber es sind unnötig lange Transportwege zu laufen. Einige Mitarbeiter überwachen den Lauf der Maschinen oder notieren sich deren Stillstandzeiten. Betrachtet man diese Produktionsabläufe kritisch, erklärt es sich von selbst, dass diese Fertigungsprozesse nicht effektiv und effizient genug sind.

Allerdings stellt sich hier schnell die Frage, ob es wirklich an den einzelnen Arbeitsplätzen liegt und/oder an der Qualifizierung der Mitarbeiter, oder ob sich die Mitarbeiter lediglich an die vorgeschriebene Arbeitspläne halten und keiner den Arbeitsablauf in Frage stellt. Denn wenn nicht immer genug Materialien für den einzelnen und nächsten Arbeitsschritt im Fließprozess des Fertigungsvorganges vorhanden sind, dann liegen hier eindeutig ablauforganisatorische Probleme vor. [das Buch beruht maßgeblich auf Suzaki 1989].

1.4 Arten der Verschwendung

Unter „Verschwendung in Produktionsbetrieben" versteht man Arbeit ohne Wertschöpfung.

Hierbei gilt es allerdings zu unterscheiden, ob Arbeit, die verrichtet werden muss, wie beispielsweise Teile holen oder Schalter bedienen, oder aber ob die eigentliche Arbeit durch sinnlose Arbeitsgänge des Transports unterbrochen werden sollte. Beispiele hierfür sind unnötige Transportwege oder die Lagerung von Zwischenprodukten, die zu keiner Wertschöpfung beitragen, es sei denn man betrachtet sie als Erholungszeit für die Mitarbeiter, damit nicht bei ihnen Monotonie und psychische Sättigung auftreten. Denn wertschöpfend sind Prozesse nur, wenn der Wert eines Produktes bzw. Autos durch den nächsten Bearbeitungsgang erhöht wird, d.h. für dessen Wertsteigerung der Kunde später bereit ist, einen höheren Preis für das Auto zu bezahlen.

Das Toyota-Produktionssystem unterscheidet sieben Arten der Verschwendung die nur Kosten verursachen, aber keine Wertsteigerung des Produktes erbringen:

  1. Verschwendung durch Überproduktion
  2. Verschwendung durch Wartezeit
  3. Verschwendung durch Transport
  4. Verschwendung durch den organisatorischen Arbeitsprozess
  5. Verschwendung durch hohe Material-, Fremdbezugsteile- und Fertigproduktbestände
  6. Verschwendung durch nicht notwendige Transportbewegungen
  7. Verschwendung durch Produktionsfehler