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Erik Bertram

Die letzten Geheimnisse
des Universums

Erik Bertram

Die letzten Geheimnisse
des Universums

Den drängenden Fragen der
Menschheit auf der Spur

Tectum Verlag

Erik Bertram

Die letzten Geheimnisse des Universums

Den drängenden Fragen der Menschheit auf der Spur

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019

 

E-Pub 978-3-8288-7329-2

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4265-6 im Tectum Verlag erschienen.)

 

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung
des Bildes #1221181900 von FlashMovie
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Angaben sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Sylvia, Mama, Papa und Mark

 

 

Dr. Erik Bertram, Jahrgang 1987, studierte von der 11. bis zur 13. Klasse Physik und Mathematik als Juniorstudent an der Universität des Saarlandes. Nach seinem Abitur wechselte er an die Universität Heidelberg, wo er als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Physik mit dem Schwerpunkt „Theoretische Astrophysik“ studierte. Nach Forschungsaufenthalten an der Universität Cambridge sowie an der Universität Harvard promovierte Bertram am Institut für Theoretische Astrophysik. Seitdem arbeitet er als Software-Entwickler bei der SAP SE.

Darüber hinaus hat der Autor zahlreiche wissenschaftliche Publikationen in renommierten internationalen Fachzeitschriften (bspw. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society) veröffentlicht, über die er gelegentlich populärwissenschaftliche Beiträge schreibt, etwa in Sterne und Weltraum (Spektrum der Wissenschaft).

Inhalt

Prolog

Kapitel 1:

Können wir die Grundkräfte der Natur vereinigen?

Die Stunde null

Wie funktioniert Licht?

Was hält die Welt im Innersten zusammen?

Warum leuchten die Sterne?

Eine kurze Geschichte der Gravitation

Gravitationsgesetz für Anfänger

Einstein und die verrückteste Physik der Welt

Der Schwerkraft auf der Spur – mit Fahrstühlen

Der heilige Gral der Physik

Quantenmechanik in a nutshell

Magische Postteilchen

Auf dem Weg zur »Weltformel«

Kapitel 2:

Aus welchem Stoff besteht die Welt?

Tanzende Welteninseln

Wasserstoff auf Speed

Der Stoff, der die Welt zusammenhält

Physik für Andersdenkende

Einsteins großer Irrtum

Laternen im Kosmos

Wehret den Anfängen

Der schlechteste Vorschlag in der Physik

Der Bauplan des Universums

Kapitel 3:

Wo ist unser Platz in Raum und Zeit?

Runde Erde 1.0

Eine einzigartige Welt

Das geometrische Universum

Das Selfie des Urknalls

Das flache Universum

Kapitel 4:

Was passierte kurz nach dem Urknall?

Das Universum und das Meer

Probleme mit dem Horizont

Das Universum explodiert

Unerklärliche Flachheit

Eine Anleitung zum Reichwerden

Das magnetische Universum

Spurensuche am Anfang von Raum und Zeit

Kapitel 5:

Warum gibt es etwas und nicht nichts?

Welten und Antiwelten

Antimaterie zum Anfassen

Die Welt im Ungleichgewicht

Gibt es »Anti-Galaxien«?

War die Physik beim Urknall kaputt?

Kapitel 6:

Sind wir allein im All?

Was ist Leben?

Intergalaktische Wohnungsanzeige

Zivilisation sucht neue Immobilie

Auf der Suche nach neuen Welten

Alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit

Wenn es sie gibt, wo sind sie dann?

Sind Aliens wirklich kleine grüne Marsmännchen?

Der unbändige Durst nach Energie

Aufstieg zu höheren Entwicklungsformen

Einfach mal die Klappe halten

Kapitel 7:

Wie ist unsere Realität beschaffen?

Bloß nicht hinsehen

Lebt Schrödingers Katze noch?

Die Viele-Welten-Interpretation

Kann man unsterblich werden?

Spukhafte Fernwirkungen

Beam me up, Scotty?

Kapitel 8:

Was versteckt sich hinter Raum und Zeit?

Der Lauf des Lebens

Friedhof der toten Riesensterne

Ungeheuer des Universums

Verschlafenes Riesenmonster

Was haben Schwarze Löcher mit Spaghettiwasser gemein?

Die Thermodynamik frisch gewaschener Socken

Verschwundene Bibeltexte

Die Welt als Hologramm

Kapitel 9:

Können wir die Rätsel der Materie lüften?

Die drei Musketiere der Teilchenphysik

Große Theorien auf dem Prüfstand

Wundersames Chamäleonteilchen

Das »Gottesteilchen« betritt die Bühne

Rendezvous mit Susy

Kapitel 10:

Welches Schicksal wird unsere Welt ereilen?

Das Universum schläft ein

Globaler Knockout

Bedrohungen aus dem All

Kann das Universum auseinanderreißen?

Dem Vakuum ist nicht zu trauen

Der Letzte macht das Licht aus

Anhang

Danksagung

Weiterführende Literatur

Bildnachweis

Register

Prolog

Ich kenne Sie nicht. Und Sie kennen mich nicht. Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir beide große Fragen haben. Fragen, die über unseren Alltag hinausgehen und die Sie sich oder anderen möglicherweise noch nie zu stellen getraut haben, weil es schwierig scheint, eine Antwort darauf zu finden. Grundlegend, wie sie sind, lauten sie vielleicht so: Wo ist unser Platz in Raum und Zeit? Sind wir allein im All? Was verbirgt sich hinter den Dingen? Und werden wir – wir Menschen, oder zumindest die Erde, unsere Welt, in der wir leben – für immer und ewig existieren?

In meinem letzten Buch Gottes großer Plan – Eine Reise durch die Geschichte des Universums habe ich die Vergangenheit und Gegenwart erkundet. Ausgangspunkt war die Frage, wie vor 13,8 Milliarden Jahren ein Universum wie dieses entstehen konnte. Wie Raum und Zeit ihren Anfang nahmen und wie letztendlich auch die Milchstraße, das Sonnensystem und unsere Erde quasi aus dem Nichts hervorgehen konnten. In diesem Buch möchte ich einen Schritt weiter gehen. Die folgenden Kapitel handeln von der Zukunft des Universums. Sie ist mindestens genauso faszinierend wie die erstaunliche Vergangenheit. Begleiten Sie mich auf eine Reise ins Unbekannte und Ungewisse, bei der es um nichts weniger als die letzten großen Fragen der Menschheit geht.

Nun lassen sich auf die meisten der Geheimnisse unseres Universums – der vergangenen und der zukünftigen – keine schnellen und einfachen Antworten finden. Gäbe es sie, wären es keine Geheimnisse mehr. Für die Lösung all der Probleme, die mit den eingangs genannten Fragen zusammenhängen, wäre mit Sicherheit ein Nobelpreis fällig. Ob wir sie demnächst werden beantworten können, steht jedoch in den Sternen. Die Annäherung, die dieses Buch vornimmt, kann natürlich bei Weitem nicht vollständig sein. Bei seinen Ausführungen handelt es sich bloß um eine kleine Auswahl wissenschaftlicher Themen. Gewiss gibt es noch weitere große Herausforderungen, die darauf warten, angegangen zu werden. Andere Physiker würden womöglich andere Themen bevorzugen – und sich damit doch immer noch im Rahmen der großen Fragen bewegen.

Die auf den folgenden Seiten behandelten Probleme sind nicht nach ihrer Wichtigkeit geordnet. Ich habe vielmehr versucht, einen sinnvollen Erzählstrang zu knüpfen, der es ermöglicht, die einzelnen Aspekte in einer Reihenfolge zu betrachten, die für das Verständnis hilfreich ist. Daher dürfte es sinnvoll sein, die Kapitel aufeinanderfolgend zu lesen, da in ihnen stets wichtige Grundlagen für spätere Abschnitte dargebracht werden. Im Anhang findet sich zudem eine umfangreiche Literaturliste, die Ihnen die Möglichkeit gibt, über das hier Geschriebene hinaus weitere Informationen zu den jeweiligen Fragen zu erhalten. Es handelt sich sowohl um wissenschaftliche als auch um populärwissenschaftliche Literatur; auf individuelle Verweise im Text wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit bewusst verzichtet.

»Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle«, sagte einst Albert Einstein. Das Universum ist ein einziges Mysterium. Es ist die Aufgabe des Menschen, seine Geheimnisse zu lüften, die Rätsel des Lebens zu entwirren. Dabei sind wir nicht vor Rückschlägen gefeit. Der Weg zur allumfassenden Macht über Raum und Zeit ist steinig. Doch mit Mut und Entschlossenheit werden wir es schaffen, der Natur auch ihre letzten Geheimnisse zu entlocken.

Erik Bertram
Heidelberg, im Jahr 2019

Kapitel 1:

Problemkind Schwerkraft

Können wir die Grundkräfte
der Natur vereinigen?

Der Legende zufolge traf der Apfel zielgenau sein Haupt. Die Rede ist von Sir Isaac Newton (1642–1726), einem der brillantesten, wenn nicht sogar dem brillantesten Physiker der Menschheitsgeschichte. Das Obststück soll ihm eines Tages auf den Kopf geplumpst sein, als er sich gerade Gedanken über die Natur der Schwerkraft machte. Warum aber fiel der Apfel senkrecht auf den Erdboden? Warum nicht etwa aufwärts in den Himmel? Oder auf einer Zickzackkurve quer durch den Raum? Diese Fragen hatte sich Newton damals mit Sicherheit auch gestellt – falls die Apfelanekdote wahr ist; darüber streiten sich die Historiker noch gelegentlich. Falls nicht, erwog er sie ganz ohne den hilfreichen Schlag auf den Kopf.

Die Schwerkraft – auch Gravitation genannt – ist eine wirklich mysteriöse Kraft. Sie begegnet uns praktisch überall. Auf der Erdoberfläche fallen alle Gegenstände immer nach unten, zum Erdboden. Der Mond umkreist unseren Planeten, weil sich Gravitationskraft und Fliehkraft die Waage halten. Die Sterne und Galaxien existieren, weil die Schwerkraft es so befohlen hat. Doch es scheint ein unbändiger Fluch seit Anbeginn von Raum und Zeit auf ihr zu ruhen … Sind Sie bereit für eine Zeitreise in die dunkelsten Ecken der Physik?

Alles begann mit der Entstehung des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren. Damals gab es einen kräftigen Knall, und schwupp, war das Universum da. Es entstand quasi aus dem Nichts. Zumindest glauben wir das heute. Wir können uns nicht vorstellen, was davor gewesen war. Gab es vielleicht ein anderes Universum? Zumindest etwas Ähnliches? Gab es überhaupt etwas? Dem britischen Astronomen Fred Hoyle (1915–2001) behagte die Idee, dass unsere Welt aus dem Nichts entstanden sein soll, nicht sonderlich. Damals gingen viele Wissenschaftler davon aus, unsere Welt habe es schon immer gegeben. Spöttisch sprach er vom »Big Bang« und hoffte, die Theorie damit in Verruf zu bringen. Allerdings hatte er sich kräftig verrechnet: Die Big Bang Theory erfreut sich mittlerweile großer Beliebtheit unter den Physikern und vielen Sitcom-Zuschauern.

Kurz nach dem Urknall entstanden insgesamt vier Grundkräfte der Natur: die Schwerkraft, die elektromagnetische sowie die starke und schwache Wechselwirkung. Es sind diese vier Grundkräfte, die seit Anbeginn das Weltgeschehen bestimmen. Auf keine von ihnen könnten wir verzichten. Und doch stellen sie die gesamte Physik vor verdammt große Schwierigkeiten.

Die Stunde null

Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass alle Grundkräfte kurz nach dem Urknall zunächst in einer einzigen »Urkraft« vereint waren. Damals war das Universum wahnsinnig klein, es hätte locker in jede Hosentasche gepasst. Und es war heiß, so heiß, dass wir es uns heute kaum vorstellen können. Rund 100.000.000.000.000.000.000.000. 000.000.000 Grad Celsius betrug seine Temperatur. Im Inneren unserer Sonne herrschen gerade einmal 15.000.000.000 Grad Celsius – im Vergleich zu damals die reinste Eiszeit.

Dann geschah etwas sehr Merkwürdiges. Schon einen winzigen Augenblick nach dem Urknall trennte sich die Schwerkraft von allen übrigen Naturkräften. Warum sie das tat, ist uns völlig schleierhaft. Anschließend blieb den anderen drei Kräften – der elektromagnetischen Kraft sowie der starken und schwachen Wechselwirkung – nichts anderes übrig, als sich zusammenzutun und eine mächtige Dreierkraft zu bilden. Diese Dreierkraft wird mutmaßlich durch die sogenannte »Große Vereinheitlichte Theorie« (Grand Unified Theory, GUT) beschrieben. Schon seit langer Zeit suchen Physiker ergebnislos nach solch einer theoretischen Beschreibung des Universums, und möglicherweise wäre sie der Schlüssel für unser gesamtes Verständnis von Raum und Zeit. Könnte eine vereinheitlichte Theorie uns sogar dabei behilflich sein herauszufinden, was vor dem Urknall geschah? Oder was jenseits von Raum und Zeit liegt?

Schließlich passierte das Unvorstellbare: Selbst die GUT-Kraft zerbrach in ihre drei Einzelteile. Übrig blieben die vier uns bekannten Grundkräfte, von denen sich jede einzelne auf den Weg machte, das Universum auf ihre Art und Weise zu verändern. Doch wieso zerfiel die einst so stolze Urkraft in so viele Einzelkräfte? Und können Physiker diese Kräfte heute erneut zusammenfügen? Diese Frage liegt dem ersten Kapitel zugrunde.

Die Gravitation wird durch eine Theorie beschrieben, die wir Allgemeine Relativitätstheorie nennen. Alle anderen Grundkräfte gehorchen, soweit wir wissen, der Quantenmechanik. Das Problem jedoch ist, dass diese beiden großen physikalischen Theorien nicht miteinander vereinbar sind. Entsprechend lässt sich die Gravitation nicht in die bestehende Quantentheorie eingliedern. Dem fundamentalen Problem der modernen Physik, das sich daraus ergibt, wollen wir uns auf den nächsten Seiten schrittweise nähern. Zuerst verschaffen wir uns dazu einen Überblick über die einzelnen Grundkräfte und beleuchten insbesondere die Rolle der Schwerkraft. Anschließend wenden wir uns der Quantenmechanik zu. Am Ende geht es um Ansätze einer Weltformel, doch genau dafür brauchen wir erst etwas Vorwissen.

Wie funktioniert Licht?

Nach der Trennung der Grundkräfte nahm die Entwicklung des Universums ihren Lauf. Es bildeten sich die ersten Elementarteilchen, gefolgt von den Protonen und Neutronen. Bereits eine Sekunde nach dem Urknall war der Kosmos auf 10.000.000.000 Grad Celsius abgekühlt. Daraufhin setzte die Kernfusion ein. Das erste Helium entstand, ebenso winzige Mengen Lithium. Doch schon drei Sekunden nach dem Urknall waren die Fusionsreaktionen wieder beendet. Das All bestand nun fast ausschließlich aus Wasserstoff und Helium. Deren Spuren können wir noch heute in ganz alten Gaswolken nachweisen. Anschließend dauerte es noch einige Millionen Jahre, bis die ersten Sterne das Licht der Welt erblicken und den dunklen Kosmos erhellen sollten. Allerdings war das allererste Licht, das durch das Universum waberte, im Grunde gar kein richtiges Licht – zumindest nicht etwas, was wir Menschen gemeinhin unter Licht verstehen. Das Licht der ersten Sterne war mutmaßlich ein sehr energiereiches Licht. Das liegt daran, dass die ersten Sterne sehr massereich und heiß waren. Doch was ist Licht eigentlich? Und wie funktioniert es genau?

Die Grundkraft, die das Wesen von Licht beschreibt, ist die elektromagnetische Wechselwirkung. Sie wurde im 19. Jahrhundert von dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell (1831–1879) entdeckt. Maxwell erarbeitete eine Theorie, die das Wesen elektrischer und magnetischer Felder beschreibt. Jede elektrische Ladung erzeugt ein elektrisches Feld. Nehmen Sie ein Elektron, ein negativ geladenes Teilchen. Würde man eine entgegengesetzte positive Ladung, etwa ein Proton, dem Elektron annähern, würden sich beide Teilchen aufgrund ihrer Felder gegenseitig anziehen. Ganz ähnlich verhalten sich Magnete. Sobald man den Nordpol eines Magneten einem Südpol nähert, spürt man die Kraft, mit der sie sich gegenseitig anziehen. Beides sind typische Beispiele für statische Felder. Sie werden durch eine Theorie beschrieben, die man Magnetostatik und Elektrostatik nennt. Als statisch gelten sie, weil sie nicht von der Zeit abhängen. Das unterscheidet sie grundsätzlich von dynamischen Theorien, bei denen immer etwas in Bewegung ist.

Maxwell war ein cleverer Wissenschaftler, denn er erkannte, dass sich die Natur tatsächlich anders verhält, wenn man nicht statische, sondern bewegte Ladungen untersucht. Bewegte Ladungen sind nichts anderes als elektrische Ströme. Doch elektrische Ströme selbst erzeugen wiederum ein magnetisches Feld. Und umgekehrt können Magnetfelder auch elektrische Ströme generieren.

Tatsächlich war damals nicht jeder Physiker sonderlich begeistert von der Idee, dass Magnetismus und Elektrizität so dicke Freunde werden könnten. Heute jedoch wissen wir, dass sich elektrische und magnetische Phänomene nicht völlig getrennt voneinander betrachten lassen – die einen können ohne die anderen nicht existieren. Schon der Quantenphysiker Niels Bohr (1885–1962) behauptete zu Lebzeiten: »Aufgabe der Naturwissenschaft ist es nicht nur, die Erfahrung zu erweitern, sondern auch, in diese Erfahrung eine Ordnung zu bringen.« Maxwell, der lange vor Bohr lebte, schien das damals schon gewusst zu haben. Deshalb behauptete er, dass sowohl die Elektro- als auch die Magnetostatik Spezialfälle einer großen vereinheitlichten Theorie namens Elektrodynamik darstellten. Ich persönlich halte Maxwells Theorie für eine unglaubliche Errungenschaft der menschlichen Vernunft. Sie war der größte Coup seines Lebens.

Dank der Elektrodynamik können wir heute sämtliche elektromagnetischen Vorgänge im Universum zweifelsfrei erklären. So zum Beispiel auch das Wesen des Lichts. Nach den Erkenntnissen von Maxwell ist ein Lichtstrahl nichts anderes als eine elektromagnetische Welle mit einer bestimmten Wellenlänge. Diese breitet sich (im Vakuum) stets mit derselben Geschwindigkeit aus. Das sind immerhin knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde. Das Besondere dabei ist, dass Licht – beispielsweise das der Sonne – niemals aus nur einer einzigen Welle besteht. Stattdessen überlagern sich mehrere Wellen, von denen jede eine eigene Wellenlänge besitzt. Denken Sie etwa an einen Regenbogen. Der Regenbogen entsteht, weil die Wassertropfen in der Luft als eine Art Prisma fungieren und die Lichtwellen aufspalten. Dadurch sehen wir rotes, blaues und grünes Licht. Dank dem Sonnenlicht können außerdem die vielfältigsten Pflanzen auf unserem Planeten gedeihen. Und wir können das Universum erforschen, indem wir das Licht ferner Galaxien beobachten.

Allerdings würde unsere Welt niemals funktionieren, wenn es nicht auch noch die anderen Grundkräfte gäbe. Lassen Sie uns zunächst einen Blick in das Reich der allerkleinsten Skalen werfen. Dort werden wir auf ganz merkwürdige Dinge stoßen.

Was hält die Welt im Innersten zusammen?

Schon Goethes »Faust« scheiterte bekanntlich an dieser Frage. Bevor wir uns jedoch des Pudels Kern nähern, müssen wir noch eine ganz andere Sache klären: Was ist überhaupt mit »das Innerste der Welt« gemeint? Was ist innen, und wo ist außen?

Wie Sie sicher wissen, besteht unsere Materie aus sogenannten Atomen1. Das sind die kleinsten Bausteine der Materie. Fast alles auf dieser Welt besteht aus Atomen: Sie selbst, Ihr Hund, Newtons Apfel, das Meer, die Kinder des Nachbarn. Die Atome selbst wiederum bestehen aus viel kleineren Teilchen, den Protonen, Elektronen und Neutronen. Ein Proton ist ein positiv geladenes Teilchen, das jedoch viel massereicher als ein Elektron ist, ca. 1.836 Mal. Neutronen sind, wie der Name schon sagt, neutrale Teilchen, deren Masse mit der der Protonen vergleichbar ist. Protonen und Neutronen sind in Wahrheit keine Elementarteilchen, weil sie selbst nochmal aus kleineren Teilchen bestehen, die man Quarks nennt. Insgesamt gibt es sechs verschiedene Quarks. Sie heißen Up, Down, Strange, Charme, Bottom und Top und besitzen jeweils eine eigene Masse und Ladung. Ein Proton besteht beispielsweise aus zwei Up- und einem Down-Quark, das Neutron wiederum aus einem Up- und zwei Down-Quarks.

Sowohl Protonen als auch Neutronen bilden den Atomkern. Darum herum befindet sich eine sogenannte Elektronenhülle, in der sich die Elektronen wie die Wespen im Sommer um eine Mousse au Chocolat bewegen. Die Atome selbst sind wirklich winzig klein und nur ca. 0,0000000001 Meter groß; ihr Kern ist sogar noch 100.000 Mal kleiner. Trotzdem haben Physiker herausgefunden, dass sich in ihm mehr als 99 Prozent der gesamten Masse konzentrieren. Die Frage ist, wie mehrere Protonen überhaupt in einem einzigen Kern koexistieren können. Protonen sind positiv geladene Teilchen und stoßen sich gegenseitig ab. Nehmen wir als Beispiel das Element Kohlenstoff, auf dem alles Leben basiert. Ein Kohlenstoffkern besteht aus sechs Protonen und sechs Neutronen. Somit wären alle Kohlenstoffatome eigentlich vollkommen instabil. Es scheint ein Wunder zu sein, dass wir überhaupt existieren. Warum fliegt unsere Materie nicht einfach auseinander?

Die Antwort auf die große Frage von Faust gibt die starke Wechselwirkung – häufig auch starke Kernkraft genannt. Sie ist die zweite der vier fundamentalen Grundkräfte der Natur. Verglichen mit den anderen Kräften ist sie bei Weitem die stärkste, obwohl sie nur im Innern der Atomkerne wirkt. Das ist zugleich das Besondere an ihr. Sie ist ca. hundert Mal stärker als die elektromagnetischen Kräfte, mit denen sich die Protonen gegenseitig abstoßen. Die starke Kernkraft ist der Kleber der Materie, der Stoff, der die Welt im Innersten zusammenhält. Nur wegen ihr können die Atome in der uns bekannten Form existieren. Ich glaube, Faust wäre sicher stolz auf die heutige Physikergeneration gewesen.

Warum leuchten die Sterne?

Diese Frage führt uns zur nächsten Grundkraft, der schwachen Wechselwirkung. Dank unserer Sonne ist es jeden Tag schön warm auf unserem Planeten. Ohne eine funktionierende Sonne gäbe es keine Erde und auch keine Lebewesen wie uns Menschen. Der Sonne verdanken wir im Grunde unsere Existenz – ohne Sonne kein Leben auf Erden. Lange Zeit jedoch war den Physikern unklar, woher ein Stern seine Energie bezieht. Dann entdeckte der junge Albert Einstein (1879–1955) seine Spezielle Relativitätstheorie und mit ihr seine berühmte Formel E = mc². Sie besagt, dass Energie E und Masse m äquivalent sind. Zwischen ihnen steht nur ein Faktor (Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat). Die Lichtgeschwindigkeit ist eigentlich schon eine verdammt große Zahl. Wir sprechen von 300.000 Kilometer pro Sekunde. Zum Vergleich: Auf deutschen Autobahnen sind an manchen Stellen nur 120 Kilometer erlaubt – pro Stunde! Das sind lächerliche 0,033 Kilometer in der Sekunde. Multiplizieren Sie die Lichtgeschwindigkeit mit sich selbst, kommt eine noch viel größere Zahl heraus. Das bedeutet: Selbst kleinste Massen – auch die von der Größe einzelner Atome – sind wahnsinnig große Energiespeicher.

Und genau da sind wir auch schon beim Thema. Die Energie der Sterne steckt nämlich in den Atomkernen selbst. Im Innern unserer Sonne wird bei der Kernfusion in diesem Moment tonnenweise Wasserstoff zu Helium umgewandelt. Zuerst treffen dabei zwei Wasserstoffkerne aufeinander und verschmelzen zu einem sogenannten Deuteriumkern – dem »schweren Wasserstoff«. Er besteht aus einem Proton und einem Neutron. Dabei geschieht etwas äußerst Erstaunliches: Die schwache Wechselwirkung wandelt bei der Kernfusion ein Proton in ein Neutron um. Wie das genau funktioniert, ist ein großes Geheimnis der Natur. Allerdings wäre die Kernfusion ohne die schwache Wechselwirkung völlig machtlos. Erst danach verschmilzt das Deuteriumteilchen zusammen mit einem weiteren Proton zu Helium. Bei dem gesamten Vorgang wird extrem viel Energie freigesetzt, die die Sterne letztendlich zum Leuchten bringt. Wir können heilfroh sein, dass die schwache Wechselwirkung unsere Sonne bei ihrer Energieproduktion unterstützt. Darüber hinaus spielt sie auch beim radioaktiven Zerfall eine ganz zentrale Rolle. Bei diesem Vorgang wandelt sie instabile Atomkerne unter der Abgabe von Energie in andere Kerne um. Ein prominentes Beispiel etwa ist der Zerfall des Elements Radium in Thorium. Jedes Atomkraftwerk macht sich die schwache Kernkraft zunutze. Über die genauen Hintergründe des radioaktiven Zerfalls werden wir später noch sprechen.

Eine kurze Geschichte der Gravitation

Diese drei Grundkräfte – die starke, die schwache und die elektromagnetische Wechselwirkung – treiben seit Anbeginn der Zeit ihr Unwesen. Doch was ist mit der Gravitation? Die Gravitationswechselwirkung spielt eine ganz besondere Rolle. Jahrhundertelang hat sie für ordentlich Diskussions(spreng)stoff gesorgt. Aufgrund ihrer großen Bedeutung für die gesamte Physik möchte ich im Folgenden näher auf ihre Entdeckung und ihre Geschichte eingehen.

Der griechische Philosoph Aristoteles war einer der ersten Naturphilosophen, der sich über die Eigenheit unserer Welt, insbesondere die Gravitation, den Kopf zerbrochen hat. Schon er erkannte damals, dass es offenbar eine universelle Eigenschaft von Gegenständen ist, dass sie zum Mittelpunkt der Erde gezogen werden. Daraus entwickelte sich später das geozentrische Weltbild. Während sich die Gestirne um uns herumdrehen, blicken die allmächtigen Götter außerhalb des Firmaments auf uns Menschen herab – zumindest, wenn man den griechischen Mythen und Sagen glaubt.

Auch für die Kirche war die Philosophie des Aristoteles von besonderer Bedeutung. Wer hat Raum und Zeit erschaffen? War es Gott? Oder doch Newton in seinem ungestümen Wissensdrang? Das erste Buch Mose berichtet von Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde, der den Menschen als sein Abbild in den Mittelpunkt der Welt stellte. Wehe, man zweifelte das an; nicht selten drohte dann die Todesstrafe. Dieses Schicksal ereilte etwa den italienischen Astronomen Giordano Bruno (1548–1600), der eine Philosophie des »unendlichen Weltalls« vertrat. Bruno behauptete stur, dass es noch zahlreiche andere Welten neben der Erde im Universum geben müsse. Am 17. Februar 1600 wurde er nach langer Arrestzeit auf einem Scheiterhaufen unter dem Beifall der Kurie hingerichtet. Erst 400 Jahre später sollten wir tatsächlich die ersten Exoplaneten im Weltall entdecken. Aber bereits als Nikolaus Kopernikus (1473–1543), damals Domherr des Fürstbistums Ermland im ehemaligen Preußen, seine Lehre verbreitete, dass die Erde nicht der einzige Planet im Sonnensystem sei, war der Geist endgültig aus der Flasche. Sein revolutionärer Gedanke führte später zur Entwicklung des heliozentrischen Weltbildes, demgemäß die Sonne (und nicht mehr die Erde) im Mittelpunkt des Alls steht.

Inspiriert von der Schönheit des Kosmos, machte sich der deutsche Astronom und Physiker Johannes Kepler (1571–1630), der damals als kaiserlicher Hofmathematiker in Prag arbeitete, ans Werk, eine Neuinterpretation von Kopernikus’ Thesen zu liefern. Seine berühmte Hauptarbeit von 1609 trägt den Titel Astronomia nova2. Darin beschreibt er erstmals die uns unter seinem Namen bekannten Keplerschen Gesetze, obwohl er das Wort »Gesetz« dabei gar nicht verwendete. Seiner Entdeckung schrieb er allgemeine Gültigkeit zu. Warum sonst sollte Gott eine derart perfekte Welt erschaffen haben? Kepler nach zu urteilen ist es die Aufgabe des Menschen, die Wunder des Universums zu entzaubern, nicht in Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren. Heute gehören seine Gesetze zum festen Lehrplan jedes Physikstudenten und sorgen damit gerade in den ersten Semestern für Angst und Schrecken.

Keplers Forschungen waren damals mehr als bahnbrechend. Nach jahrzehntelanger Arbeit erkannte er, dass die Erde sich nicht auf einer vollkommenen Kreisbahn, sondern auf einer Ellipse um die Sonne bewegt. Jede Ellipse – das wissen Sie vielleicht noch aus dem Schulunterricht – besitzt genau zwei Brennpunkte in ihrem Inneren. Diese Punkte haben eine ganz besondere Eigenschaft: Verbindet man einen beliebigen Punkt auf der Ellipse mit den beiden Brennpunkten, ist die Summe der beiden Abstände für alle Punkte auf der Ellipse immer gleich. Das ist die Mathematik des Kosmos. Die Sonne befindet sich dabei in einem der Brennpunkte, während die Erde wie ein Profischwimmer munter ihre Ellipsenbahnen zieht. Die Auswertung der Daten stellte zur damaligen Zeit eine wahre Sisyphusarbeit dar, weil es noch keine Weltraumteleskope oder vergleichbare Instrumente gab. Damit gilt Kepler als einer der Mitbegründer der modernen Naturwissenschaften; zahlreiche öffentliche Einrichtungen auf der Welt tragen heute seinen Namen, angefangen vom Johannes-Kepler-Gymnasium bis hin zu den unzähligen Johannes-Kepler-Straßen in den europäischen Großstädten.

Schließlich vertrat der italienische Universalgelehrte Galileo Galilei (1564–1642) Anfang des 17. Jahrhunderts eine noch wahnwitzigere Meinung. Ihm zufolge sollte die Beschleunigung von Körpern beim freien Fall unabhängig von deren Masse sein. Wie bitte? Unabhängig von der Masse? Auch wenn das viele Leute damals nicht glauben wollten, sollte Galilei letztlich recht behalten. Einer Legende zufolge hat er sogar tollkühne Fallexperimente am schiefen Turm von Pisa durchgeführt. Ob die Geschichte wahr ist oder nicht, lässt sich heute nicht mehr überprüfen, hingegen schon seine mehr als gewagte, weil kontraintuitive Hypothese, dass die Fallzeit nicht von der Masse des Körpers abhängt. Wenn Sie eine massive Bowling-Kugel (fünf Kilogramm) und ein altes iPhone (200 Gramm) aus derselben Höhe fallen lassen, werden beide Körper exakt dieselbe Zeit brauchen, bis sie am Boden ankommen – zumindest dann, wenn man den Luftwiderstand vernachlässigt. Das Gleiche lässt sich übrigens auch bei einer Feder beobachten: Im völlig luftleeren Raum wird sie dieselbe Fallzeit aufweisen wie eine Bowling-Kugel. Der US-amerikanische Astronaut Neil Armstrong trieb dies bei seinem Mondaufenthalt 1969 auf die Spitze, als er einen Hammer und eine Feder gleichzeitig auf die Mondoberfläche fallen ließ. Ein Millionenpublikum konnte sich damals davon überzeugen, dass die Annahmen von Galilei richtig waren. Ein wichtiger Schritt zur Erforschung der Gravitation.

Gravitationsgesetz für Anfänger

Die erste konsistente Beschreibung der Gravitation verdanken wir dem Physiker Sir Isaac Newton. Newton war ein neurotischer Typ, egozentrisch und selbstverliebt, ein schwieriger Charakter eben. Trotzdem war er ein herausragender Wissenschaftler, der auf zahlreichen Gebieten brillierte. Beispielsweise erfand er die Differentialrechnung, die aus der Mathematik nicht mehr wegzudenken ist. Daneben verdanken wir ihm zahlreiche Leistungen auf dem Gebiet der Optik, so zum Beispiel die Annahme, dass Licht aus kleinsten Teilchen – Newton nannte sie »Korpuskel« – besteht. Damals hatte man noch eine sehr primitive Vorstellung von der Natur des Lichts. Newton selbst hatte sich Aufzeichnungen zufolge sogar Nadeln in den Augapfel gesteckt, um herauszufinden, ob das menschliche Auge Licht aufnimmt oder es erzeugt.

Sein bekanntestes Werk jedoch ist und bleibt das Gravitationsgesetz. Es besagt, dass die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern von den zwei Massen und dem Abstand der beiden zueinander abhängt. Je größer beide Massen, desto größer auch die Kraft, mit der sie sich anziehen. Das Gravitationsgesetz hat eine einfache Konsequenz: Alle Massen ziehen sich gegenseitig an. Das spüren wir im Alltag nur nicht, die Kräfte sind dafür viel zu klein. Dennoch sind sie da. Beschrieben werden sie durch einen einfachen mathematischen Zusammenhang: Sie verhalten sich umgekehrt proportional zum Quadrat der Abstände. Wenn Sie zwei Massen doppelt so weit voneinander entfernen, wird die Kraft nur noch ein Viertel so groß sein, und bei der dreifachen Entfernung entspricht sie nur noch einem Faktor von eins zu neun. Dieselbe Gesetzmäßigkeit gilt übrigens auch für elektrische Felder von Elektronen: Sobald man zwei Elektronen einander nähert, werden sie sich gegenseitig abstoßen. Wie stark, das beschreibt das Gesetz des französischen Physikers Charles Augustin de Coulomb (1736–1806). Es sieht fast genauso aus wie das Gravitationsgesetz von Newton, lässt sich aber nur auf elektrische Ladungen anwenden. Stecken Coulomb und Newton etwa unter einer Decke?

Damit ist das Gravitationsgesetz aber noch nicht vollständig. Es gibt noch eine weitere Zahl, die man mit allen anderen Größen multiplizieren muss. Physiker nennen sie die Gravitationskonstante. Erst mit ihr kommt am Ende das gewünschte Ergebnis (eine Kraft) heraus. Die Gravitationskonstante ist eine sehr kleine und verwunschene Zahl. Sie gibt die Kopplungsstärke zwischen zwei Massen an. Von allen Naturkonstanten ist sie seltsamerweise diejenige, die am wenigsten genau bekannt ist. Bereits bei der vierten Stelle hinter dem Komma scheiden sich die Geister. Eigentlich ist das für die Physik eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass unser Universum seit Jahrmilliarden von dieser Konstanten bestimmt wird. Nur mal zum Vergleich: Das Plancksche Wirkungsquantum aus der Quantenmechanik weist eine tausendfach höhere Genauigkeit auf. Hier müssen die Physiker nochmal nachsitzen.

Der Erste, der den Wert der Gravitationskonstanten mit einfachsten Mitteln bestimmen konnte, war der britische Naturforscher Henry Cavendish (1731–1810). Dazu verwendete er eine Drehwaage, an der er zwei Massen befestigte. Außerdem montierte er eine Kerze samt Blende an der Apparatur, die einen Lichtfleck an der Wand hinterließ. Sobald sich die Massen anzogen, verschob sich der Fleck um wenige Grad. Aus dieser Verschiebung konnte Cavendish vor etwas mehr als 200 Jahren den Wert der Gravitationskonstanten relativ gut abschätzen – er lag nur ca. 1,2 Prozent von dem heute bekannten Wert entfernt.

Newtons Gravitationsgesetz ist zweifellos eine große Erfolgsstory. Es hat uns etliche Erkenntnisse in der Astronomie beschert. Dank ihm wissen wir, wie Galaxien und Planeten entstehen. Wir wissen, wie sich die Gestirne – Sonne, Mond und Sterne – bewegen und können somit auch Sonnen- und Mondfinsternisse erklären. Wir verstehen, wie unser Sonnensystem als solches funktioniert. Selbst die moderne Astrophysik nutzt noch heute Newtons Mechanik, um das Wesen unseres Universums im Computer nachzustellen. Abbildung 1 zeigt die Porträts der vier weltbekannten Physiker Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton, die einen erheblichen Beitrag zur Entdeckung und Entschlüsselung der Gravitationskraft leisteten.

Doch auch das Newtonsche Gravitationsgesetz stößt zuweilen an seine Grenzen. In manchen Punkten vermag das Gesetz die Entstehung und Entwicklung des Universums nicht zu erklären. Auf ganz großen Skalen versagt es kläglich. Inwieweit können wir daher Newtons Gesetz der Gravitation überhaupt zu Rate ziehen, wenn wir neue Erkenntnisse über den Kosmos gewinnen wollen?

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Abbildung 1: Portraits von vier bedeutenden Wissenschaftlern der Menschheitsgeschichte (von links nach rechts): Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Galileo Galilei und Isaac Newton.

So viel sei verraten: Die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Doch bevor wir uns weiter dem Wesen der Schwerkraft zuwenden, müssen wir zunächst einen kleinen Ausflug in die Physik des 20. Jahrhunderts machen. Dort warten noch jede Menge Überraschungen auf uns.

Einstein und die verrückteste Physik der Welt

Im Jahr 1905 formulierte der talentierte Patentamtsangestellte Albert Einstein eine neue Theorie, die man »Spezielle Relativitätstheorie« nennt. Einstein studierte zunächst Physik in Zürich und bewarb sich anschließend auf mehrere Stellen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Überall wurde er abgelehnt. Anschließend trat er eine Stelle als Mitarbeiter des Patentamts in Berlin an. Dort scheint er genügend Zeit gehabt zu haben, um sich über andere Dinge Gedanken zu machen, zum Beispiel über das, was später seine Spezielle Relativitätstheorie werden sollte. Mit der konnte er physikalische Phänomene bei sehr hohen Geschwindigkeiten – vergleichbar mit der des Lichts – erklären. Wie kam er darauf? Einstein postulierte zwei wichtige Dinge: erstens die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und zweitens das Relativitätsprinzip.

Punkt eins besagt, dass die Lichtgeschwindigkeit immer und überall dieselbe ist, egal, ob Sie sich als Beobachter bewegen oder ob Sie – jetzt verwende ich eine gewagte Formulierung – »stillstehen«. In jedem sogenannten Inertialsystem misst man stets dieselbe Lichtgeschwindigkeit.

Ein Inertialsystem ist ein Bezugssystem, zu dem ein Körper, auf den keine Kräfte wirken, relativ in Ruhe verharrt oder sich gleichförmig geradlinig bewegt. Betrachten wir ein Beispiel. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem komfortablen ICE-Zug der neusten Generation, der sich schnurstracks geradeaus bewegt. Der Zug bildet in diesem Fall ein Inertialsystem. Ein Körper – etwa ein Tennisball – würde sich in dem Zug nicht von allein von der Stelle bewegen, zumindest nicht, solange er keine Kurven fährt.

Einstein behauptete, dass die Lichtgeschwindigkeit in eben diesen Inertialsystemen immer gleich sei. Ein Beobachter innerhalb des fahrenden ICEs und ein Beobachter außerhalb des Zuges – beispielsweise ein Freund am Bahnsteig – würden immer ein und dieselbe Lichtgeschwindigkeit messen. Das ist insofern eigenartig, als die klassische (Newtonsche) Mechanik solche Gesetzmäßigkeiten nicht kennt. Klassisch gesehen müsste man Geschwindigkeiten – etwa die des Lichts und die des fahrenden Zuges – immer addieren, wenn man die Relativgeschwindigkeit zu einem ruhenden Beobachter herausfinden will. Newton hätte beispielsweise auf die Frage, wie schnell sich zwei Beobachter voneinander entfernen, wenn sie sich jeweils mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde wegbewegen, gesagt: »Ist doch logisch, 100 Kilometer pro Stunde!«

Was aber, wenn Sie zwei hochrelativistische Teilchen betrachten, die sich jeweils mit einer Geschwindigkeit von dem 0,8-Fachen der Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen? Wie hoch wäre deren Relativgeschwindigkeit? Der menschliche Verstand würde vorschnell antworten: 1,6-mal Lichtgeschwindigkeit. Das ist aber unmöglich, denn nach Einstein kann es keine Geschwindigkeiten größer als die des Lichts selbst geben. Die Natur verlangt in dieser Situation andere Gesetzmäßigkeiten.

Punkt zwei beschreibt das Relativitätsprinzip. Es besagt, dass die physikalischen Gesetze in allen Inertialsystemen dieselbe Form haben. Oder anders ausgedrückt: Es gibt kein Inertialsystem, das sich irgendwie von einem anderen unterscheidet. Stattdessen sind alle Inertialsysteme gleichberechtigt. Sie können den Tennisball auch in einem erstklassigen Porsche oder in einem teuren Ferrari auf den Boden legen. Die beiden können sonst wohin fahren, ich verspreche Ihnen, der Ball wird nicht wegrollen, zumindest solange keines der beiden Autos eine Kurve fährt oder beschleunigt. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass das eine System sich nicht von dem anderen unterscheiden lässt. Mit diesen einfachen Annahmen konnte Einstein einige bahnbrechende Erkenntnisse gewinnen.

Bevor ich jedoch näher auf sie eingehe, möchte ich zuerst noch auf etwas Wichtiges hinweisen. Die Spezielle Relativitätstheorie ist eine Theorie, die sich auf die eben erwähnten Inertialsysteme beschränkt. Nicht mehr und nicht weniger. Daraus folgt auch, dass sie keine Effekte der Schwerkraft zu erklären vermag, weil deren Anziehungskräfte immer Beschleunigungen zur Folge haben. Dann aber handelt es sich um kein Inertialsystem mehr. Das unterscheidet die Spezielle Relativitätstheorie im Kern von der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist unsere neuste Theorie der Gravitation. Sie ist eine mächtige und einzigartige Theorie, eine, die unser Verständnis von Raum und Zeit grundlegend revolutioniert hat. Auch für die Allgemeine Relativitätstheorie spielen Phänomene der Speziellen Relativitätstheorie eine wichtige Rolle. Sie betreffen unser Verständnis von Zeit, Raum, Energie und Gleichzeitigkeit. Wann immer Sie auf den folgenden Seiten von diesen Begriffen lesen, sollten wir sie also stets im Sinne von Einsteins Theorie verstehen. Nur so ist garantiert, dass wir die Natur in ihrer enormen Komplexität nicht missverstehen und viele Phänomene richtig deuten können.

a)  Zeitdilatation

Die Zeitdilatation ist mitunter einer der seltsamsten Effekte in der Physik. Sie besagt, dass die Uhren bewegter Beobachter langsamer gehen. Zeit ist fortan nicht mehr absolut. Stattdessen passt sie sich dem Bewegungszustand an und besitzt dynamische Eigenschaften. Am besten illustriert dies das sogenannte Zwillingsparadoxon. Das Zwillingsparadoxon handelt von zwei eineiigen Zwillingen. Der eine Zwilling verbleibt auf der Erde, während der andere in einer Superrakete jahrelang durchs Weltall reist. Nach einiger Zeit treffen sich beide wieder. Sie stellen fest, dass der Raketenzwilling wesentlich langsamer gealtert ist als sein Bruder auf der Erde. Die Zeit ist für ihn tatsächlich langsamer vergangen. Besonders anschaulich wird dieser Effekt in dem Film Interstellar von Star-Regisseur Christopher Nolan illustriert. Die Menschheit steht darin kurz vor dem Kollaps. Der Protagonist soll das verhindern und begibt sich auf eine waghalsige Tour quer durch die Galaxis, um einen fernen Zweitplaneten auszukundschaften. Am Ende des Films folgt ein Wiedersehen mit seiner mittlerweile hochbetagten Tochter, die – Achtung, Spoiler! – bereits als alte Frau auf dem Sterbebett liegt. Aufgrund der hohen Reisegeschwindigkeit sind für den Hauptdarsteller lediglich einige Tage vergangen.

b)  Längenkontraktion

Bei der Längenkontraktion erscheinen bewegte Objekte verkürzt. Hier unterscheidet sich die Spezielle Relativitätstheorie grundlegend von der klassischen Mechanik. Dort ist die Situation eindeutig: Wenn Sie zwei Punkte miteinander verbinden, können Sie die Länge dazwischen einfach mit einem Lineal bestimmen. Der Abstand wird immer derselbe sein, egal wann und wo sie die Messung durchführen. In der Speziellen Relativitätstheorie ist das nicht mehr so. Hier zeigt sich plötzlich etwas ganz Verrücktes: Die Länge eines Körpers ist vom Bezugssystem abhängig.

Nun besitzt sogar der Raum dynamische Eigenschaften. Auch hier gilt wieder: Je schneller sich das System bewegt – genauer gesagt: je mehr sich die Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit nähert –, desto kürzer erscheint es einem relativ dazu ruhenden Beobachter. Die Physiker erzählen sich übrigens gerne folgenden Witz: Wie bekommt man ein drei Meter langes Auto in eine zwei Meter lange Garage? Richtig, man muss es nur schnell genug einparken. Zugegeben, den Humor muss man nicht zwangsweise teilen, aber immerhin er trifft den Kern der Sache.

c)  Raumzeit

Sowohl Zeitdilatation als auch Längenkontraktion zeigen, dass Zeit und Raum nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden können. Ereignisse sind immer relativ. Zeit und Ort bedingen sich gegenseitig. Das mussten damals auch die Physiker erst einmal schlucken. Bis dahin galt nämlich noch die alte Vorstellung des Aristoteles, gemäß derer Raum und Zeit etwas sind, was unabhängig voneinander existiert und einfach »da ist«. Dieser Gedanke hatte auch Newton bei der Formulierung seiner klassischen Mechanik maßgeblich inspiriert. In seiner Hauptarbeit von 1687, der Philosophiae Naturalis Principia Mathematica3, schreibt er (ursprünglich in Latein):

Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. […] Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich.