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Nr. 3097

 

Der Golem

 

Die neue Supermacht der Milchstraße entsteht – und erreicht die Bleisphäre

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. NEIFE VARIDIS

2. Pseudo-THORA

3. KÜTZMYTÜ

4. Opt-THORA

5. KÜTZMYTÜ

6. Opt-THORA

7. NEIFE VARIDIS

8. Pseudo-THORA

9. NEIFE VARIDIS

10. Der Golem

11. RAS TSCHUBAI

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich den neuen Umwelten angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Nun steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, vorwärts durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen.

Mittlerweile hat er in einem Zwilling unseres Universums die beiden Himmelskörper wiederentdeckt und es mithilfe der Staubfürsten geschafft, sie in den Heimatzweig des »Dyoversums« zurückzubringen. Aus dem Mythos Terra ist wieder Realität geworden.

In der Milchstraße eskaliert derweil die Situation: Die Cairaner und andere Mitgliedsvölker eines fernen Sternenbundes, die derzeit in der Milchstraße den Ton angeben, versuchen ihrerseits in dieses Zwillingsuniversum zu gelangen. Für ihr Trajekt, wie sie es nennen, brauchen sie das Supramentum und den unsterblichen Arkoniden Atlan.

Um das Supramentum zu erschaffen, haben die Cairaner nicht nur den Raumer THORA nachbauen lassen, sondern auch biologische, optimierte Duplikate der Besatzung angefertigt, einschließlich Atlans. Mithilfe von Jasmyne da Ariga gelang es diesen, den echten Atlan in ihre Hand zu bringen. Nun entsteht DER GOLEM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Opt-Atlan – Der optimierte Atlan schafft einen Golem.

Jasmyne da Ariga – Atlans Begleiterin entwickelt einen Plan.

Mijyün Tüylüy – Der Raumschiffskommandant geht auf eine Mission.

Perry Rhodan – Der Terraner stellt die Vertrauensfrage.

1.

NEIFE VARIDIS

31. Juli 2046 NGZ

 

Das Raumschiff tauchte so überraschend in der Ortung auf, dass Kommandant Akandschi Harlund zweimal hinsah und sich unwillkürlich fragte, ob er einer Täuschung unterlegen war. Aber nein, da war es: fast genau in der Mitte zwischen der Bleisphäre und dem Sternenrad.

»Daten?«, fragte er barsch.

»Es handelt sich anscheinend um ein terranisches Raumschiff der PATOMAN-Klasse«, meldete Meineur Morray, der epsalische Chef der Abteilung Funk und Ortung des Schlachtkreuzers. »Die genaue Kennung steht noch aus.«

Anscheinend? Harlund kniff die Augen zusammen. Ging das nicht genauer?

Er schaute auf ein Ortungsholo.

Ein Großteil der versammelten Flotte aus Arkoniden, Liga-Angehörigen, Blues und Halutern war während der Invasion ins Sternenrad eingeflogen und hielt sich noch darin auf, darunter auch die Befehlshaber. Nur eine Handvoll anderer Schiffe war in der Nähe, sie waren fast allein auf weiter Flur.

In einiger Entfernung entdeckte Harlund ein paar Diskusraumer der Gataser. Einer davon, ein Schiff der ENNDYRT-Klasse mit einem Durchmesser von 800 Metern, schien den Neuankömmling ebenfalls entdeckt zu haben. Jedenfalls änderte er zögernd den Kurs und hielt auf das fremde Schiff zu.

»Weiterhin anfunken!«, befahl Harlund.

Das fremde Schiff war entgegengesetzt dem Standort der Liga-Einheiten im Normalraum erschienen. Die Galaktiker innerhalb des Sternenrads hatten es noch nicht bemerkt. War das Zufall oder genau geplant?

Der Kommandant sah Meineur fragend an, doch der Epsaler zuckte nur mit den gewaltigen Achseln. »Noch immer keine Antwort.«

Was ist da los?, fragte sich Harlund. Wieso identifiziert sich der Neuankömmling nicht?

Hing es mit den Ereignissen im Sternenrad zusammen? Die jüngsten Entwicklungen hatten dazu geführt, dass sich die Konfliktlage verschoben hatte. Perry Rhodan und den anderen war es zwar nicht gelungen, das Sternenrad auszuschalten, doch immerhin hatten sie es in eine Lage gebracht, die von den Cairanern Verhandlungsbereitschaft erzwang.

Der Kommandant begrüßte das zutiefst. Er bezweifelte zwar, dass damit alles gut geworden war, doch immerhin wurde nun nicht mehr geschossen, sondern miteinander gesprochen.

»Das gatasische Schiff funkt uns an«, sagte Meineur.

Harlund nickte kurz, und Sekunden später bildete sich ein Holo, das den Tellerkopf und die Schultern eines Gatasers zeigte.

Der Kommandant vermochte die Blues mit ihren einen halben Meter durchmessenden Tellerköpfen, den beiden Augenpaaren und dem langen, schmalen, aber sehr muskulösen Hals mit dem darin befindlichen Mund mehr schlecht als recht auseinanderzuhalten. Das sah er als Eigenart, vielleicht sogar als persönliche Schwäche.

Aber niemand war perfekt.

Er war ein Mensch, der sich optisch beträchtlich von den meisten anderen Terranern unterschied: Er war strahlend blond, enorm groß und muskulös, ohne dabei breit oder schmal zu wirken, und seine Stimme war laut wie die eines Ertrusers. Welche Gene auch zusammengekommen sein mochten, der Phänotyp stach ins Auge. Wenn er laut wurde oder sich schnell auf andere zubewegte, kam es nicht selten vor, dass diese sich unwillkürlich mit einem gewagten Sprung zur Seite in Sicherheit brachten, so furchterregend wirkte Harlunds Erscheinung auf manche.

Aber Menschen waren nun einmal vom Äußeren her enorm unterschiedlich, das war bereits auf Terra so gewesen, lange vor der Kolonisierung anderer Planeten. Sie waren hell- oder dunkelhäutig, klein oder groß, kräftig gebaut oder schmächtig, und ihre Frauen bekamen im Normalfall ein, in Ausnahmefällen gelegentlich auch zwei Babys.

Doch die Jülziish, wie sich die Blues selbst nannten? Ihre Frauen brachten jeweils sechs bis acht Nachkommen auf einen Schlag zur Welt, Geschwister, die sich zumindest in Harlunds Augen ähnelten wie ein Ei dem anderen. Zwar waren sie Individuen, die in den Augen ihrer Eltern wahrscheinlich nicht unterschiedlicher sein konnten, aber dem menschlichen Auge entgingen diese Feinheiten. Der blaue Pelzflaum verstärkte diese Ähnlichkeit zusätzlich.

»Ich bin Mijyün Tüylüy, Kommandant der KÜTZMYTÜ«, stellte der Gataser sich vor.

Harlund nannte ebenfalls seinen Namen und Rang. »Ich nehme an, du meldest dich wegen des Schiffes, das so überraschend aufgetaucht ist?«

Der Halsmund des Gatasers öffnete und schloss sich mehrmals. »Genau. Warum meldet das Schiff sich nicht auf unsere Rufe? Das entspricht nicht dem Liga-Protokoll.«

Harlund richtete den Blick wieder auf den Funker. Der schüttelte lediglich den Kopf.

»Auch wir haben noch immer keine Antwort erhalten«, wandte er sich wieder an Tüylüy. »Das ist in der Tat seltsam. Offensichtlich handelt es sich um einen terranischen Raumer der PATOMAN-Klasse. Das fällt also eher in unseren Verantwortungsbereich als in euren. Wir haken nach und versuchen, Kontakt mit dem Neuankömmling aufzunehmen.«

»Haltet uns bitte auf dem Laufenden! Wir bleiben zurück, überwachen euern Flug und geben euch für den Fall der Fälle Deckung. Angesichts der neuesten Entwicklungen können wir nicht vorsichtig genug sein.« Der Gataser richtete die beiden vorderen Augen zur Seite und stieß ein hohes Zirpen aus. Offensichtlich betrachtete er ein Holo, das das Sternenrad zeigte.

»Möge die Alabasterfarbene Kreatur des Sicherheitsdenkens euch auf eurem Weg begleiten«, beendete er das Gespräch. Das Holo erlosch.

Harlund nickte Jodan Soncha zu, dem rudynischen Piloten der NEIFE VARIDIS. »Bring uns näher zu dem unbekannten Schiff!«, befahl er. »Wir wollen unseren gatasischen Freunden zeigen, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen.«

 

*

 

Das fremde Schiff bewegte sich tangential zur Bleisphäre und berührte dabei auch die Bereiche, in denen die De-Realisation spürbar wurde. Harlund befahl, vorerst einen gebührenden Abstand zu halten. Dass das unbekannte Schiff nicht auf Funksprüche reagierte, rechtfertigte nicht, die NEIFE VARIDIS unnötig in Gefahr zu bringen.

Nach ein paar Minuten stellten sich bei dem Kommandanten erste Zweifel ein. War dieser Kurs ein gezielter Versuch, den Verfolger anzulocken und von seiner Einheit zu trennen? Oder war der Kommandant der verfolgten Einheit lediglich ein unglaublich sturer Hund, der sich nicht davon abbringen ließ, seinen Auftrag zu erledigen, wie auch immer der aussehen mochte?

Harlund schüttelte den Kopf. Nein, etwas stimmt da nicht. Es gab keine Erklärung dafür, dass das andere Schiff nicht auf Funksprüche reagierte.

»Kontakt hergestellt!«, meldete Morray in diesem Augenblick. »Das Schiff identifiziert sich als MUNISHO AERCE von Plophos.«

Tja, Terraner und ihre Abkömmlinge sind traditionsbewusste Völkchen, dachte Harlund. Die NEIFE VARIDIS war nach der einstigen Chefin des Geheimen Kalkulationskommandos der ZGU benannt, und wenn er sich nicht arg täuschte, war Munisho Aerce eine terranische Sozialpolitikerin gewesen und hatte zeitweilig als Obmann – oder besser: Obfrau – von Plophos gedient.

»Wo bleibt das Holo?«, fragte er Morray.

»Nur Funkverbindung, kein Bild«, antwortete der Epsaler. »Es handelt sich aber tatsächlich um einen Raumer der PATOMAN-Klasse. Das Schiff sendet einen Authentifizierungs-Code, der es als Einheit der Liga ausweist.«

»Wieso?«, fragte Harlund verblüfft. »Kein Bild, meine ich.«

Morray schaute hoch. »Angeblich atmosphärische Störungen, verursacht durch die Nähe zu den De-Realisations-Bereichen«, gab er weiter.

»Dann eben nur Funk«, sagte er.

Sein Misstrauen war geweckt. Etwas stimmt hier nicht. »Und überprüft, ob in der Datenbank Informationen über die MUNISHO AERCE enthalten sind.«

Der Funkchef gab die Anweisung weiter.

Übergangslos erklang eine dumpfe Stimme in der Zentrale der NEIFE VARIDIS. Harlund hatte sich anscheinend mitten in einen längeren Monolog eines der Offiziere der AERCE eingeloggt, wahrscheinlich des Kommandanten. »... sind die Vorhut einer kleinen plophosischen Flotte, die in den nächsten Tagen M 13 erreichen wird, um sich der Flotte der Galaktiker anzuschließen. Obmann Roberto Olivar da Petrou persönlich hat dieses kleine Kontingent zur Unterstützung der Galaktiker zum Sternenrad geschickt ...«

»Wir sind fündig geworden«, warf der Epsaler ein. Selbstredend hatte er die Verbindung blockiert; an Bord des anderen Schiffes konnte man ihn nicht hören. »Es gibt tatsächlich eine MUNISHO AERCE, aber diese Einheit ist schon vor Jahren von den plophosischen Behörden als verschollen gemeldet worden.«

»Merkwürdig«, murmelte Harlund. »Was für ein Spiel treibt der Plophoser?« Er gab Jodan Soncha ein Zeichen. »Versuch, näher ranzugehen! Ich will dieses Schiff mit eigenen Augen sehen.«

»Großwildjäger auf der Spur des Babyelefanten«, spottete der Pilot, befolgte die Anweisung aber umgehend.

Auf dem Ortungsschirm verfolgte Harlund, wie sich die NEIFE VARIDIS der angeblichen plophosischen Einheit langsam näherte. Noch waren die Ortungsbilder sehr verschwommen; die störenden Einflüsse der Bleisphäre waren in dieser Region besonders stark.

Das Misstrauen des Kommandanten wurde stärker. Hatte die angebliche MUNISHO AERCE diese Position eigens gewählt, um sich der optischen Wahrnehmung so lange wie möglich zu entziehen?

Unsinn!, sagte er sich. Was für einen Grund sollte ein Schiff, das immerhin eine plophosische Kennung aussendete, zu solch einer Scharade haben? Mittlerweile bedauerte er, keine Sonde zur genauen Sichterfassung ausgeschleust zu haben.

»Sichtkontakt!«, meldete der Funker und vergrößerte ein Holo, das sich mitten in der Zentrale gebildet hatte.

Harlund schluckte.

Das, was er dort sah, war alles Mögliche, aber auf keinen Fall ein Schiff der PATOMAN-Klasse.

Oder zumindest nicht nur ...

 

*

 

Unbehagen breitete sich in Harlund aus. Das fremde Schiff war schon auf den ersten Blick ein auf unbestimmte Art erschreckendes Gebilde. Der Kern, also die Schiffsmitte, mochte in der Tat aus der Kugelzelle eines PATOMAN-Raumers bestehen, 2200 Meter im Durchmesser. Doch in zwei gegenüberliegenden Buchten war, jeweils mit einer seiner Schmalseiten senkrecht zum Ringwulst, ein Augenraumer der Cairaner angedockt.

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Illustration: Dirk Schulz

Ein Zweifel war ausgeschlossen: Die Grundform der Schiffe war elliptisch mit einem Durchmesser von 2800 Metern in der langen und 1400 Meter in der kurzen Achse, und der Mittelbereich war ebenfalls elliptisch ausgespart. Allerdings reichten die Augenraumer nicht tief in die Mulden und waren durch eine Art flexible Schienenanordnung mit ihnen verbunden.

Die Ellipsen standen nicht in rechtem Winkel von den Hangarbuchten ab, sondern wiesen leicht nach oben. Dadurch wirkten die rötlich flammenden, 600 Meter durchmessenden Energiesphären nun tatsächlich wie die beiden Augen eines gigantischen Gesichts von 7800 Metern Breite.

Auch eine der beiden anderen Ringwulstbuchten war belegt. Aber nicht von einem 240 Meter durchmessenden Raumer der OLYMP-Klasse, für die sie eigentlich vorgesehen war, sondern von Dutzenden fremdartiger Gebilde, die weitgehend gleichmäßig in der Bucht verteilt waren. Auf ihren Sinn und Zweck konnte Kommandant Harlund sich nicht den geringsten Reim machen.

Er schüttelte sich. Er verspürte eine seltsame Benommenheit, eine Müdigkeit, für die er keinen Grund sah. Sie führten die NEIFE VARIDIS in einem Drei-Schichten-Dienst. Er hatte seine vollen acht Stunden Schlaf bekommen und sich danach weitere acht Stunden diversen Zerstreuungen hingeben können, bevor er pünktlich den Dienst angetreten hatte.

»Sichtverbindung!«, murmelte er.

»Weiterhin nicht möglich«, gab der Funkchef zurück. »Die Störungen sind zu stark.«

Mühsam versuchte er, sich auf die Stimme des plophosischen Kommandanten zu konzentrieren, die noch immer in der Zentrale hallte, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Wütend schüttelte er sich, doch sein Kopf wurde nicht klarer.

»... befinden uns auf einer Geheimmission ...«

Harlund versuchte, die Bedeutung der Worte einzuordnen. Ach ja, genau, er hatte sich nach den seltsamen Aufbauten erkundigt.

Das genügte ihm als Erklärung. Bei einer Geheimmission mussten manche Dinge geheim bleiben, sonst wäre es keine Geheimmission mehr, und sie wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Die Stimme des Sprechers klang sehr freundlich. Harlund fragte sich beiläufig, warum er sich noch immer nicht identifiziert hatte, maß dem aber keine große Bedeutung bei.

»Kommandant, sollten wir nicht die Schutzschirme aktivieren?«

Wer hatte da gesprochen? Er erkannte die Stimme nicht, es musste die eines Zentraleoffiziers sein. Kurz streifte ihn die Erinnerung an den gatasischen Kommandanten und seinen Hinweis auf die Alabasterfarbene Kreatur des Sicherheitsdenkens.

Aber warum sich die Mühe machen? Das unbekannte Schiff hatte keinen höherwertigen Schutzschirm aktiviert, und offenbar waren seine Waffensysteme nicht in Feuerbereitschaft. Warum also sollte Harlund auf so übertriebene Vorsicht Wert legen? Die NEIFE VARIDIS hatte zwar keine höherwertigen Schirme, aber einfache Prallfeldschirme aktiviert, und die genügten vollkommen.

Harlund sah wieder zu dem Holo und kniff die Augen zusammen. In der Bucht mit den seltsamen Gebilden tat sich etwas.

Aber was? Die Gegenstände schienen in Bewegung gekommen zu sein, ihre Position wie aus eigener Kraft zu verändern.

Was hatte das zu bedeuten?

Aber weshalb machte er sich überhaupt Gedanken darüber? Es konnte nicht besonders wichtig sein.

Harlunds merkwürdige Erschöpfung machte sich immer stärker bemerkbar. Die Ermattung schien bis in seine Zellkerne vorgedrungen zu sein und sich dort auszubreiten, den gesamten Körper zu beeinträchtigen. Der Kommandant fühlte sich schlapp und kraftlos. Er hätte gerne etwas unternommen, irgendetwas, jemandem Bescheid gesagt, jemanden alarmiert. Aber diese Müdigkeit ...

Er blickte sich um. Mühsam, weil sein Kopf so schwer war. Er konnte ihn kaum bewegen, kaum drehen.

Aber er war nicht der Einzige, der müde und erschöpft war.

Den anderen in der Zentrale erging es kaum besser als ihm. Er versuchte zu verstehen, was er sah, begriff es aber nicht.

Die meisten Mitglieder der Zentralebesatzung schliefen.

Oder war das gar kein Schlaf, sondern etwas völlig anderes ...?

2.

Pseudo-THORA

17. Juli 2046 NGZ

 

Freiheit.

Selbstverwirklichung.

Keine Marionette sein.

Das wollte ich für mich.

Das hatte ich eigentlich schon immer gewollt.

Mein Original hatte es sich erarbeitet, und ich war auf einem guten Weg, es ebenfalls zu bekommen. Obwohl ich noch den Drang verspürte, den man mir eingepflanzt hatte. Ich wollte mit der Pseudo-THORA durch die Bleisphäre in die Freiheit gehen, das Trajekt verwirklichen.

Ob ich in dieser Hinsicht ebenfalls auf einem guten Weg war, konnte ich nicht sagen.

Besorgt schaute ich auf Jasmyne da Ariga hinab, die bewusstlos auf dem Medotisch lag. Einer der Bordmediker, Dr. Hause Gregorius, war konzentriert an der Arbeit. Er hatte nicht nur ihr Haar, das sie gerne lang und kompliziert aufgesteckt trug, geöffnet und zur Seite geschoben, sondern auch ihre Schädeldecke. Es war eine Routineoperation, die auch ein Medoroboter hätte durchführen können, doch ich hatte darauf bestanden, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut sie vornahm.

Wie so oft, wenn ich Jasmyne ansah, musste ich an die andere, die eigentliche Jasmyne da Ariga denken, ihre genetische Mutter. Abgesehen von der Marotte mit dem Haar ähnelte sie ihr im Aussehen frappierend.

Starke Gene setzen sich eben durch, dachte ich mit beißender Ironie.

Die Jasmyne vor mir auf dem Operationstisch war allerdings ein Kunstgeschöpf der Cairaner, das durch eine Kombination von Gendaten des ehemaligen Imperators Bostich mit denen der historischen Jasmyne erzeugt worden war. Ihr Gehirn war komplex, ein hochsensibles Konglomerat aus arkonidischen, aber auch aus genetisch anderen Komponenten.

Ich hatte mich schon öfter gefragt, welcher Art diese Komponenten waren, war mir aber noch immer nicht sicher und enthielt mich jeglicher weiterer Spekulation. Diese Jasmyne war kein Bioplikat wie die anderen, aber sie verfügte über ein Organoid und eine Somnus-Persönlichkeit.

Die Mediker und Medoroboter hatten die Bioplikaten-Besatzung aus Opt-Varianten mittlerweile fast vollständig von den Somnus-Organoiden befreit. Dabei waren weitere etwa zwei Dutzend Opts ums Leben gekommen oder psychisch irreparabel geschädigt worden. Insgesamt waren nur etwa 3500 Personen biopliziert worden, von denen etwa 100 bei der Revolte umgekommen oder dauerhaft außer Gefecht gesetzt worden waren.

Fremdwesen wie etwa der Swoon Timberlan hatten nicht biopliziert werden können. Auch bei Besatzungsmitgliedern, die Kolonialvölkern entstammten, deren Körpergröße oder -statur allzu stark von der durchschnittlicher Terraner abwich, waren die Erfolge eher bescheiden gewesen.

Ich hatte eigentlich beabsichtigt, den Eingriff von Lorai Cimen durchführen zu lassen, dem Chefmediziner, oder zumindest von Ivo Remsch, dem Leiter der Medoabteilung, aber der hatte mir versichert, dass Gregorius der richtige Mann für die Operation war.

»Sei gescheit«, hatte Remsch gesagt. »Gregorius hat die größte Erfahrung. Er hat mehr Implantate entfernt als Lorai und ich zusammen.«

Offensichtlich hatte er die Wahrheit gesagt.

»Die direkte Kontaktschicht zwischen der Hirnmasse und dem Implantat habe ich bereits durch Bestrahlung verödet«, sagte Gregorius gelassen, während er mit geschickten Bewegungen seiner Finger die OP-Sonde dirigierte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er bei seinem konzentrierten Vorgehen ein fröhliches Liedchen gepfiffen oder gar vom Bordrechner Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie in d-Moll hätte einspielen lassen. »Nun entferne ich das Implantat.«

Aufmerksam beugte ich mich vor.

Benutzte Hause ein Laserskalpell, um das Implantat zu zerstören? Nein, er hatte angekündigt, es zu entfernen, zog es langsam mit einer kleinen Hochfrequenz-Zange heraus, während das kleine Beatmungsgerät mit Sauerstoff angereicherte Luft in Jasmynes Lungen pumpte.