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Wie aus dem Ei gepellt

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Osterzeit

Band 2

Sandy Penner (Hrsg.)

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2012 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover gestaltet mit Bildern von © Jan Engel / Fotolia lizenziert

ISBN: 978-3-86196-122-2 (2012 - Taschenbuch)

ISBN: 978-3-86196-967-9 (2019 - E-Book)

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

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Inhalt

Henne Henni streikt

Das schönste Osterei

Der Hasenaufstand

Die Osterhasenversammlung

Ostern mit Tante Almuth

Osterhäschens Heimweg

Wölkchen

Oster-Evolution

Osternacht

Hoppelchen und Moppelchen

Dorle und Morle

Windige Rache

Das Osterkonzert

Der geheime Osterplan

Keiner spielt mit mir

Das Osterschaf

Opa und die Osterglocken

Ostern im Schloss

Begegnungen am Osterbrunnen

Auf der Waldlichtung

Hasen hassen

Gibt es Osterhasen wirklich?

Hilfe, die Hühner haben die Grippe

Wie Pia Ostern rettete

Ostergeschenke

Das etwas andere Osterei

Oma ist die Beste

Der Zauberosterhase

Kiki sucht den Osterhasen

Hase und Henne

Oskar

Wie die Osterglocken ihren Klöppel verloren

Das kugelrunde Wunschei

Vom lachenden Hans, mutigen Bienchen und Ostern

Das Ostermädchen

Oma Herta und das Osterei

Osterhasenverstärkung

Das Osterkrokodil

Der Eierdieb

Hast du schon mal ein Ei versucht?

Michael von Marmeladenbrot

Osterzeit

Hilfe, die Hexe!

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Die Autorinnen dieser Ausgabe

Ann-Kathrin Walz

Nadine Schiek

Charlie Hagist

Marena Stumpf

Jana Engels

Duglore Döbler

Britta Voß#

Boris Schneider

Antonia Kraus

Stefanie Schmidt

Elfriede Ewering

Gerda Winter

Nadine Messerschmidt

Sandy Mercier

Volker Liebelt

Ansgar Pfeiffer

Antje Steffen

Lore Buschjohann

Norbert Scheitacker

Heidemarie Opfinger

Regina Schleheck

Stephanie Polák

Sue Hiegemann

Vroni Kübelböck

Norbert J. Wiegelmann

Käthi Schneider

Cindy Paver

Dörte Müller

Jana Schmidt

Irmgard Mizani

Maren Grenner

Simon Käßheimer

Kathrin Hertle

Katarzyna Boy

Sandra Melcher

Doris Fürk-Hochradl

Silke Tappen

Susanne Böckle

Karin Hedig

Wilfried G. Beschorner

Schemajah Schuppmann

Johannes Hülstrung

Sandy Penner

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Henne Henni streikt

Irgendwo, verborgen hinter Hügeln und Wäldern, umrahmt von Bächen und Feldern, lag ein Bauernhof. Von außen sah er ganz gewöhnlich aus. Kühe muhten auf der Wiese, Pferde galoppierten um die Wette und Schafe fraßen saftiges Gras. Was niemand wusste, war die Tatsache, dass es sich überhaupt nicht um einen normalen Bauernhof handelte. Es war nämlich der Osterhof. Es gab keinen Bauern, denn die Tiere versorgten und organisierten sich selbst. Und in den großen Scheunen standen keine Traktoren oder Anhänger, sondern aufwendige Maschinen, die zu einer Minifabrik gehörten.

Einen Monat vor dem Osterfest ging es hoch her. Die Hennen legten Eier, welche die Katzen bemalten. Die Kühe gaben Milch, aus der die Schafe und Lämmer Schokoladeneier herstellten. Damit die Überraschungen auch versteckt werden konnten, bauten die Vögel viele kleine Osternester. Überwacht wurde alles von Hahn Harald. Er thronte jeden Tag auf dem Misthaufen, hatte die Augen überall und stand zudem in engem Kontakt mit dem Osterhasen persönlich. Wenn alle Osternester fertig verpackt waren, spannten sich zwei Haflinger vor die Kutsche und brachten die Lieferung zu einer geheimen Höhle. Nur die beiden Pferde wussten, wo diese Höhle war, aber sie mussten stets sofort umkehren, nachdem sie abgeladen hatten. Denn den Osterhasen durfte niemand sehen.

Auch dieses Jahr war wieder viel los auf dem Hof. Kater Kimi, oberster Farbenmeister, maunzte schon das dritte Mal darüber, dass zu wenig rote Farbe im Lager sei.

„Dann müsst ihr eben neue herstellen!“, krähte Hahn Harald ungnädig. „Ich kann mich darum gerade nicht kümmern.“ Hektisch hüpfte er auf dem Misthaufen auf und ab.

Die Schlange hinter Kimi war lang. Es schien, als hätte jede Abteilung auf dem Hof ein Tier geschickt, das Harald ein Problem mitteilte. Beleidigt und mit hocherhobenem Schwanz verschwand der graugestreifte Kater wieder in der Farbwerkstatt.

Als Nächstes war Lamm Leander an der Reihe. „Alarmstufe eidottergelb!“, blökte es mit heller Stimme. „Eine Maschine in der Schokoladenmanufaktur ist kaputt!“

Harald vergrub stöhnend den Kopf unter den braun gefiederten Flügeln. „Frag mal Schäferhund Schorsch, der hat immer das passende Werkzeug parat“, schlug Harald vor. „Der kann fast alles reparieren.“

Das Lamm nickte dankbar und sprang flink davon.

„Der Nächste, bitte!“, rief Harald erschöpft. So ging das schon den ganzen Tag. Seine Stimme wurde langsam heiser.

Henne Huberta trat vor. Sie flatterte ganz aufgeregt mit den Flügeln. „Harald!“, rief sie ganz außer Atem. „Es ist etwas ganz Furchtbares passiert! Henne Henni streikt!“

Harald blieb vor Überraschung der Schnabel offen stehen. „Was meinst du damit?“, wollte er wissen.

„Stell dir vor, sie will keine Eier mehr legen!“, gackerte Huberta. Ei, Ei, Ei! Das war eine Katastrophe! Henne Henni war das Superhuhn im Hühnerstall. Sie legte die schönsten und die weißesten Eier weit und breit. Wenn sie ausfiel … nicht auszudenken!

Unter lautstarkem Protest von Ziegen, Enten und Gänsen, die ebenfalls zu Harald wollten, sprang der Hahn auf die Erde und folge Huberta in die Eierlegezentrale. Die schneeweiße Henne saß in ihrer mit Stroh gepolsterten Holzbox und döste. Harald plusterte sich vor ihr auf. „Was geht hier vor?“, rief er streng. Doch Henni sah nicht einmal auf. „Huberta hat erzählt, dass du streikst!“

Nun sah die Henne den Hahn doch an und nickte. „Ja, ich streike. Ich habe keine Lust mehr“, meinte sie hochnäsig.

„Aber warum nicht?“, schrie Harald heiser.

„Weil wir ausgenutzt werden!“ Henni sprang auf die Füße. Mit erhobenem Haupt stakste sie an Harald vorbei und verließ den Stall. Ein paar andere Hennen folgten ihrer Anführerin. Leichtfüßig erklomm diese den Misthaufen: Haralds unangefochtenes Revier.

Auch er eilte ihr nach, aber was folgte, konnte er nicht verhindern. Henni räusperte sich, warf den roten Kamm in Position und rief: „Hört alle her! Es wird Zeit, dass sich etwas ändert auf dem Osterhof!“

Neugierig näherten sich allerlei Zwei- und Vierbeiner. Schweine grunzten in der ersten Reihe, flauschige Küken hüpften in die Höhe, um auch etwas zu sehen.

„Wir schuften und schuften, aber der ganze Ruhm von Ostern wird vom Osterhasen eingeheimst!“, setzte Henni ihre Rede fort.

Zustimmendes Gemurmel kam von allen Seiten.

„Jedes Kind kennt den Osterhasen, aber niemand kennt uns!“, quakte Frosch Fenja.

Henni nickte anerkennend. „Richtig. Ich frage euch also: Wollt ihr weiter einem Phantom dienen? Wer sagt uns denn, dass es den Osterhasen überhaupt gibt? Niemand hat ihn je gesehen!“

Vogel Valentin landete auf dem Kopf von Schorsch. „Sie hat recht!“, piepste er. „Harald ist der Einzige, der ihn kennt!“ Alle drehten sich zu dem Hahn um.

Der begann, unruhig mit dem Fuß zu scharren. „Zweifelt ihr etwa an mir?“

Plötzlich brach ein kleiner Tumult los. Alle Tiere wieherten, meckerten und mähten durcheinander. Jeder wollte etwas sagen. Irgendwann ergriff Henne Henni wieder das Wort. „Freunde!“, gackerte sie und hob die Flügel. „Ich bin dafür, dass wir alle solange streiken, bis wir endlich mehr Beachtung für unsere harte Arbeit bekommen. Ostern ist nichts ohne uns. Jawohl, es ist Zeit für eine Revolte!“

Das Huhn erntete von allen Seiten lauten Beifall. Nur Harald schüttelte entgeistert den Kopf. Was setzte Henni den anderen bloß für Flausen in den Kopf? Doch ihre Rede hatte Anhänger gefunden. Bereits am nächsten Tag malten die Katzen Protestschilder. Die Schafe und ihre Lämmer lagen auf der Wiese und zählten Schäfchenwolken, die Kühe und Kälbchen tranken Milchshakes im Schatten, die Hühner badeten vergnügt im Teich und die Vögel komponierten ein Protestlied: „Wir wollen keinen Hohn, wir wollen einen Lohn! Will der Has uns nicht aufregen, soll er selber Eier legen!“

Hahn Harald hatte längst die Kontrolle über den Hof verloren. Mit gesenktem Kopf saß er auf dem Misthaufen und dachte an all die Kinder, die in diesem Jahr kein gefülltes Osternest finden würden. Dieser Gedanke machte ihn furchtbar traurig. In seiner Verzweiflung rupfte er sich eine Schanzfeder aus und schrieb einen Brief an den Osterhasen.

Henni schien das nicht zu interessieren. Sie lag am Teich und tratschte in aller Seelenruhe mit Henne Helga. Sie bereute ihre Entscheidung keine Minute.

Drei Tage später, der Streik war noch immer in vollem Gange, sorgte etwas anderes für Aufregung. Zwei Störche landeten mitten auf dem Hof. Und aus dem Korb, der an ihren langen Beinen hing, hoppelte ein Hase heraus. Er hatte dunkelbraunes Fell und trug einen goldenen Orden mit der Aufschrift „Osterhase“.

Lamm Leander sah ihn zuerst. „Der Osterhase, der Osterhase!“, blökte es ehrfürchtig.

Rasch hatten sich die Tiere um den Gast versammelt. Doch der Hase suchte ein ganz bestimmtes Tier. Er sprach kurz mit Harald und wurde dann zu Henni gebracht. Die war sehr überrascht und errötete. Der Osterhase sprach in aller Ruhe mit ihr.

Und nach dem Gespräch mit ihr hielt der Osterhase eine Ansprache auf Haralds Misthaufen: „Liebe Freude! Es tut mir leid, dass eure Verdienste bisher nicht richtig gewürdigt wurden. Das wird sich ab jetzt ändern. Ich werde euch lobend in einem Zeitungsartikel erwähnen und dafür sorgen, dass die Kinder über euch Bescheid wissen. Außerdem ernenne ich euch zu offiziellen Helfern des Osterhasen. Jedes Jahr darf eine Tiergruppe beim Verstecken mithelfen!“

Die Tiere jubelten.

„Aber wir Hennen dürfen anfangen!“, rief Henni laut.

Der Osterhase war einverstanden. Damit war der Streik beendet und Ostern gerettet.

Ann-Kathrin Walz wurde im Januar 1992 geboren und lebt in der Rhododendronstadt Westerstede. Seit sie schreiben kann, denkt sie sich eigene Geschichten aus. Zu ihren Hobbys zählen Musik hören und machen, Disneyfilme, tanzen gehen und amerikanische Serien. „Henne Henni streikt“ ist ihren Cousins Valentin, Kimi und Leander und ihrer Cousine Fenja gewidmet.

*

Das schönste Osterei

Da steht Anna mit strahlenden Augen vor ihren bunt bemalten, ausgepusteten Ostereiern.

„Puh! Geschafft!“, denkt sie stolz und nimmt einen Riesenschluck Apfelsaftschorle.

Dieses Jahr sind ihre Kunstwerke besonders gut gelungen. Vor allem das rote Ei mit den lilafarbenen Streifen und den gelben Punkten. Ja, das ist ihr Lieblingsei!

Vorsichtig befestigt Mama die glitzernden Schnüre, die Anna zum Aufhängen ausgesucht hat. Und obwohl sie dabei wirklich gut aufpasst, fällt ein Ei mit einem unüberhörbaren Knacks auf den Küchenboden.

„Oh nein!“, schreit Anna. „Das war mein schönstes Osterei. Du hast es kaputt gemacht!“ Anna ist wütend und traurig. Sie rennt in ihr Zimmer und lässt die Tür mit Schwung zu knallen. RUMPS!

Mama steht nun allein in der Küche und fühlt sich gar nicht wohl. Sie hat sogar ein wenig Bauchweh, weil sie Anna etwas zerbrochen hat. Das tut ihr leid. Jetzt überlegt sie, wie sie dieses Missgeschick wieder gut machen kann.

„Hmmm“, murmelt Mama leise und hebt die Bruchstücke vom Boden auf. In fast zwei gleichgroße Teile ist das Ei zersprungen. Sie dreht und wendet die Schalen in ihrer Hand und runzelt die Stirn. Dann hat sie plötzlich eine Idee! Eine wirklich gute Idee!

Sie fädelt die beiden Eierhälften nacheinander auf. In die untere Schale setzt sie ein winziges gelbes Küken aus der Osterbastelkiste. Wirklich putzig schaut das kleine Kuschelküken aus dem zackigen Spalt heraus.

„Puh!“, stöhnt Mama. „Geschafft!“ Sie ist sehr zufrieden mit ihrer Bastelei. Fröhlich und ohne Bauchweh läuft sie zu Annas Zimmer. Die Türe ist immer noch fest verschlossen.

Mama klopft sachte an: „Anna, komm mal bitte. Ich möchte dir etwas zeigen.“

Und tatsächlich tippelt Anna mit kleinen Schritten zu ihrer Türe und öffnet sie einen klitzekleinen Spalt. Gerade nur so weit, dass ihr brauner Lockenkopf hindurchpasst. Zuerst schaut sie Mama an und danach das Kunstwerk in Mamas Hand. Nach einer langen, sehr langen Pause sagt Anna: „Das ist nicht mein schönstes Osterei.“

Mama guckt enttäuscht. Sie hat sich doch solche Mühe gegeben.

Eine Sekunde später muss Anna lachen. „Mama, weißt du was? Das ist unser schönstes Osterei!“, prustet sie glücklich heraus und fällt ihr dabei um den Hals.

Endlich kann Mama auch wieder lachen und gibt Anna einen dicken Schmatzer. Und dann suchen sie gemeinsam einen Platz für das tolle Anna-Mama-Kükenei mit den lilafarbenen Streifen und den gelben Punkten.

Nadine Schiek wurde 1976 in Mainz geboren. Seit 2004 lebt sie in Korb im Remstal. In ihrem Kopf stecken viele kleine und große Geschichten, die sie mit ihren beiden Kindern tagtäglich erlebt, aber auch Erinnerungen an ihre eigene kunterbunte Kindheit. Und wenn sie neben ihrer großen Leidenschaft, der Acrylmalerei, noch etwas Zeit findet, schreibt sie die schönsten Erlebnisse und Träumereien einfach auf.

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Der Hasenaufstand

In der Osterzeit ist es seit ein paar Jahren schon wie in der Weihnachtszeit. Die Leute kaufen ein wie verrückt. In den Geschäften und auf den Straßen schieben sich die Menschen und hetzen umher, als wenn es gelte, alles, was noch verfügbar ist, zu kaufen. Da ist besonders in den Lebensmittelabteilungen der Kaufhäuser kaum noch Platz.

Melanie, von ihrem Bruder Alexander nur kurz Melli genannt, und Alexander, von Melli einfach nur Alex genannt, gingen am Samstag mit ihren Eltern auch in ein Geschäft, in dem auf zwei Etagen Lebensmittel, Obst und Gemüse verkauft wurden. Mama schob den Einkaufswagen, Papa hatte Alex an der Hand, Melli lief allein. Mama packte Zeitungen und Brot in den Wagen. Dann stellte sich die Familie an der Käsetheke an.

„Ich geh mal eben zu den Süßigkeiten“, sagte Melli, und ehe Mama oder Papa etwas sagen konnten, war sie auch schon um die Ecke gehuscht.

Doch was war das? Plötzlich hörte Melli ein eigenartiges Klopfen. Oder war es ein Stampfen? Sie blieb stehen und lauschte. Da: klopf, klopf, klopf. Pause. Und dann wieder: klopf, klopf, klopf. Als wenn irgendjemand mit kleinen Füßchen auf einen Pappdeckel klopft.

Melli schob sich bis an das Regal heran, das links vom Gang aufgebaut war. Melli sah Osterhasen, unheimlich viele Osterhasen. In Goldpapier, in lilafarbener Folie, in allen möglichen und unmöglichen Farben eingewickelte Hasen, und alle stampften im Takt mit ihren kleinen Hinterfüßchen auf ihre Pappunterlage!

Melli riss ihre Augen weit auf und auch ihr Mund stand offen. Dann drehte sie sich um und bahnte sich einen Weg zurück zur Käsetheke, wo Mama, Papa und Alex immer noch in der Schlange standen.

„Alex, komm mal mit, das musst du sehen!”, sagte sie zu ihrem Bruder und zupfte aufgeregt an seiner Jacke. Dann winkte sie Papa, dass er sich zu ihr herunterbeugen sollte. Papa hielt seinen Kopf dicht vor den Mund von Melli. „Papa, wir gehen nur mal vor zu den Osterhasen”, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Da warten wir auf euch.“

Papa nickte und die beiden liefen los.

Bei den Osterhasen hatten sich mittlerweile so viele Menschen versammelt, dass es für Alex und Melli schwierig war, sich in die erste Reihe zu drängeln. Als sie dort endlich ankamen, trommelten die Osterhasen noch immer im Takt.

„Was ist denn hier los?”, fragte Alex erstaunt und riss die Augen auf, gerade so, wie Melli es zuvor getan hatte.

„Ich glaube, die Hasen proben den Aufstand”, sagte Papa, der inzwischen auch gekommen war.

In der Tat: Die Hasen wurden immer munterer. Einige – ich glaube, es begann in der Kiste der Goldhasen – sprangen plötzlich aus dem Karton! Sie hoppelten auf dem Regal ein paar Hasenhüpfer zurück, nahmen Anlauf und ... sprangen mit einem gewaltigen Satz auf die andere Seite des schmalen Ganges. Direkt auf die Kisten, die mit Schokoladentafeln gefüllt waren, nur eine Etage tiefer im Regal.

Dort gut gelandet, nahmen sie erneut Anlauf, hüpften wieder auf die andere Seite zurück und landeten wieder eine Etage tiefer im Regal. Das sah vielleicht komisch aus! Im Zickzack sprangen die Hasen umher, von einer Regalseite zur anderen. Nach viermaligem Hin und Her waren sie auf dem Supermarktboden angekommen. Die kleinen Hasen aber standen oben am Rand und trauten sich nicht zu springen. Das war wohl auch gut so: Sie hätten bestimmt nicht die andere Seite erreicht, wären fürchterlich in die Tiefe gestürzt und dort dann womöglich in tausend kleine Schokokrümel zerbröselt.

„Wartet da oben!“, rief einer der Hasen vom Supermarktboden hinauf. „Ich helfe euch gleich!“ Mit wenigen Sätzen sprang er davon in Richtung der Drogerieabteilung. Und was hat er da geholt? Na, fällt euch etwas ein?

Der Hase, er hieß übrigens Herbert, schnappte sich eine Rolle reißfestes, dickes, weiches Toilettenpapier, hielt es mit seinen beiden vorderen Zähnen fest und eilte zurück zu den anderen. Dort sprang er im Zickzack die Regale wieder hoch.

„Setzt euch bitte mal auf das erste Blatt der Rolle“, bat er drei kleine Hasen. Dann kullerte er die Rolle bis an die Kante und ließ sie herunterplumpsen. „Hallo, liebe Freunde da unten“, rief er dann. „Ihr müsst nun die Bahn lang ziehen und das Papier straff halten!“

Die Hasen am Boden hatten sofort begriffen, was zu tun war. Sie hielten die Toilettenpapierbahn fest.

„So, und nun könnt ihr hinunterrutschen!“, sagte der Hase Herbert.

Das ließen sich die kleinen Hasen nicht zweimal sagen. Einer nach dem anderen rutschten sie wie auf einer Rutschbahn auf dem Klopapier hinunter und kreischten dabei vor Freude.

Hase Herbert hüpfte vom Regal und hoppelte eilig ins Erdgeschoss, dorthin, von wo aus immer die Ansagen durchgegeben werden. Ihr kennt es doch: Wenn es Sonderangebote gibt oder jemand von den Verkäufern ans Telefon kommen soll, dann wird das im Supermarkt oder im Kaufhaus immer durchgesagt. Das wollte Hase Herbert jetzt auch tun.

Er hüpfte auf den Tisch, schob die Ansagerin beiseite, setzte sich direkt vor das Mikrofon, drückte auf einen Knopf, damit die rote kleine Lampe aufleuchtete, und sprach noch ganz außer Atem: „Meine Damen und Herren, liebe Kunden, hier spricht der Osterhase!“

Die Menschen blieben wie angewurzelt zwischen den Regalen stehen und blickten verwundert an die Decke zu den Lautsprechern. „Wir bitten um Ihr Verständnis für die folgende Durchsage“, hörten sie zu ihrer Überraschung. „Wie Sie wissen, ist in wenigen Tagen Ostern. Diese Osterfeste werden für uns Osterhasen immer schlimmer. Früher wurden Geschenke nur zum Geburtstag und zum Weihnachtsfest gemacht. Zu Ostern gab es ein paar bunte Eier und vielleicht ein Paar Söckchen oder Buntstifte zum Malen. Heutzutage aber ist es ja mit der Schenkerei zu Ostern schon fast schlimmer als zu Weihnachten! Das Schlimme ist, dass wir das nicht mehr alles tragen und verstecken können. Der Weihnachtsmann hat seine Helfer, aber wir haben nichts.“ Der Hase Herbert holte Luft.

„In unseren kleinen Korb auf dem Rücken passt nicht viel rein, also müssen wir uns zu manchen Erwachsenen und Kindern mehrmals auf den Weg machen“, fuhr er dann fort. „Wir können es nicht mehr schaffen! Bitte helfen Sie uns! Wir kommen nun zu Ihnen, und wenn Sie einen Vorschlag haben, wie und wo sie uns helfen können, dann legen Sie uns bitte einen Zettel in unseren Korb oder sagen Sie es uns einfach. Wir danken Ihnen ganz herzlich!“

Nachdem die Stimme von Hase Herbert im Lautsprecher verstummt war, machten sich die vielen, vielen Hasen auf den Weg. In alle Gänge verteilten sie sich. Viele der Leute bückten sich zu ihnen herunter, legten einen Zettel ins Körbchen auf dem Rücken der kleinen Häschen und bedankten sich für die Mühe, die sich die kleinen Osterhasen jedes Jahr erneut gemacht hatten. „Ich hab ja gar nicht geahnt, dass die Hasen derartig belastet waren“, sagten einige. Andere tuschelten den Hasen einen Vorschlag ins Ohr. Die Hasen hörten aufmerksam zu, bedankten sich dann und hoppelten weiter zum Nächsten.

Auch Melli und Alex beugten sich zu den kleinen Kerlen herunter. Sie hoben jeder einen Hasen auf und streichelten ihn.

„Wenn ihr nach Ostern fertig seid, könnt ihr bei uns im Regal wohnen und euch ausruhen“, sagte Melli.

Die Hasen drückten ihre kleinen Köpfchen an die Jacken der Kinder. Dann blickten sie sie kurz und dankbar an und sprangen mit einem gewagten Satz von den Handflächen herunter.

„Mama, Papa, habt ihr das gesehen? Die kleinen Hasen auf unseren Händen?“, fragte Melli aufgeregt.

„Ja, ja“, sagte Mama und versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. „Also, darüber habe ich mir ja überhaupt noch keine Gedanken gemacht ... die Osterhasen überlastet“, murmelte sie vor sich hin.

Mittlerweile waren die Hasen außer Rand und Band, so als wollten sie vor der harten Osterarbeit noch mal so richtig die Freiheit genießen. Sie sprangen zwischen den Regalen hin und her. Sie flitzten zwischen den Beinen der Leute hindurch. Manche wagten sich sogar auf die Rolltreppe zum Erdgeschoss. Und ganz Übermütige setzten sich auf das schwarze Gummigeländer der Rolltreppe und rutschten wie wild herunter. Dann fuhren sie auf der anderen Seite wieder nach oben, sprangen mit wenigen Sätzen wieder herüber auf die andere Rolltreppe und – hui! – gingʼs wieder abwärts. Das war für sie, als wenn ihr im Winter mit dem Schlitten rodeln geht. Da könnt ihr ja auch nicht genug davon bekommen.

Plötzlich ertönte die Stimme des Filialleiters aus den Lautsprechern an der Decke. „Liebe Osterhasen, wir garantieren euch Hilfe beim Austragen und Verstecken der Geschenke. Macht euch keine Sorgen. Und bitte versammelt euch jetzt wieder auf den Pappen im Regal, dort, wo ihr losgelaufen seid. Vielen Dank!“

Die Osterhasen waren gehorsam und machten sich hoppelnd wieder auf den Weg zurück zu ihren Pappen. Vor den Regalen bückten sich die Menschen, hoben die kleinen Osterhasen hoch und stellten sie zurück auf ihren Platz. Manche nahmen die Osterhasen auch gleich mit nach Hause.

Melli und Alex wollen ihre Osterhasen zu Ostern im Garten im Gras und unter den Büschen suchen. Vorher aber müssen die armen Kerle erst noch kleine Geschenke hinter den Bäumen ablegen. Dann, so der Plan, wollen sie sich selbst verstecken. Ob Melli und Alex sie finden werden? Die Hasen würden sich jedenfalls sehr freuen.

Und worauf freut ihr euch zu Ostern?

Charlie Hagist ist inzwischen 64 Jahre alt und Rentner. Zusammen mit seiner Frau wohnt er in Dallgow-Döberitz (das liegt vor den Toren Berlins im sog. Speckgürtel). Seine Hobbys sind seine Familie und das Schreiben von Geschichten.

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Die Osterhasenversammlung

Viele Osterhasen hatten sich auf der Waldlichtung versammelt und wunderten sich, was so wichtig sein könnte, dass man sie kurz vor dem Fest von der Arbeit abhielt.

Der Vorsitzende, Meister Lampe, begrüßte die Anwesenden und kam gleich zur Sache: „Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich einige Kinder neuerdings teure Geschenke zum Osterfest wünschen. Wer hat noch so ein oder ein ähnliches Problem?“

Kurtchen Klopfer stellte sich auf die Hinterbeine und beantwortet die Frage des Vorsitzenden: „Das stimmt und wir kommen überhaupt nicht mehr mit dem Eierbemalen hinterher. Unsere Kiepen sind ohnehin schon schwer beladen und dann noch zusätzlich diese Sonderwünsche. Wäre es nicht möglich, dass die Eltern selbst die Geschenke übernehmen?“

Fanzi Schnüffel aus Bayern stand auf und sagte: „In meiner Heimat sollten uns eigentlich die Hühner beim Verstecken helfen, doch die streikten, weil sie so viel Arbeit mit dem Eierlegen hatten. So schoben sie die Verteilung auf ihre Hähne ab. Und was machen diese? Sie krähen morgens lediglich vom Misthaufen und stolzieren den lieben langen Tag über den Hof.“

„Tolle Idee“, meinte Rolf Rabbit. „Federvieh, das euch helfen soll! Bei uns in Hessen müssen wir die Eier in viel zu kleine Ostergärtchen legen!“

„Das hört sich ja lustig an, was ist ein Ostergärtchen? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Kannst du das bitte erklären?“, bat Hoppel.

„Ei guude, ihr liebe Haas, ihr kennt wirklich kein Ostergärtchen? Die Eltern rammen kleine Stückchen Brennholz in den Erdboden, bis es die Form eines Kreises oder Vierecks ergibt. Vorne lassen sie einen winzigen Eingang für uns, damit wir hinein hoppeln können und dort unsere bemalten Eier hinterlassen. Manchmal ist das ziemlich eng und wir müssen dann die Eier über den kleinen Zaun werfen. Dabei geht ab und zu ein Ei zu Bruch.“

„Echt?“, sagte Osterium aus Thüringen. „Bei uns waren vor vielen Jahren die Störche für die Verteilung der Ostereier zuständig. Doch wenn sie im Frühjahr aus dem Süden zurückkehrten, dann waren sie mit ihrem Nestbau so beschäftigt, dass wir freiwillig ihre Aufgabe übernahmen.“

Hoppeline meldete sich zu Wort. „Wir könnten ja ein Oster-Postamt einrichten, wo die Kinder ihre Wünsche hinschicken.“

Alle Hasen redeten aufgeregt durcheinander.

„Schluss jetzt!“, rief der Vorsitzende Lampe. „Das fehlte gerade noch ... ein Oster-Postamt. Wo kämen wir da hin, wir haben vor dem Fest genug zu tun!“

Der pummlige Mümmelmann berichtete Folgendes: „In Westfalen halfen einst die Füchse, die Ostereier zu verstecken. Wir könnten ja mal anfragen, ob sie uns unterstützen würden.“

„Auf keinen Fall!“, protestierte Hoppeline. „Mit den Füchsen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Sie sind hinterlistig und verfressen. Womöglich fallen sie uns hinterrücks an.“ Dabei hielt sie ihre Pfote an die Narbe ihres Rückens, die sie noch immer an die unliebsame Begegnung mit dem Fuchs erinnerte.

Hinter ihnen im Gebüsch raschelte es. Erschreckt stellten sich die Hasen auf ihre Hinterläufe, um zu sehen, wer sich da anschlich.

„Pardon“, sagte der französische Hase. „Wir wollten euch nicht erschrecken. Wir sind etwas spät dran. Ich habe die Kollegen aus England, Spanien und Italien mitgebracht.“

Etwas befangen hoppelten die Gasthasen hinter Monsieur Lapin her. „Der Vorsitzende Lampe war so freundlich und hat uns zu dieser äußerst wichtigen Besprechung eingeladen. Worum handelt es sich?“

wurde 1949 in Marburg/Lahn geboren. 39 Jahre lebte sie in Berlin und zog mit ihrem Mann drei Kinder groß. Berufliche Gründe führten sie 1991 nach Hessen zurück. 2003 belegte sie ein Fernstudium für Literarisches Schreiben und entdeckte ihr Herz für Kindergeschichten, die sie anfangs nur für ihre Enkel schrieb. Einige ihrer Texte wurden bereits in Anthologien veröffentlicht und es folgte das Buch „Das kleine Schäfchenwölkchen“.