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Wie aus dem Ei gepellt
Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Osterzeit
Band 5
Martina Meier (Hrsg.)
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2019 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
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Erstauflage 2019
Coverillustration: © sidliks - Adobe Stock lizensiert
Illustration S. 66 - David Lederer (8 Jahre)
ISBN: 978-3-86196-835-1 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-86196-405-6 - E-Book
Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM
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Der schöne Erwin
Harry Hase und der Kuchen
Dichterische Pause
Die rettende Geschäftsidee
Rituale zur Osterzeit - weltweit
Ein falscher Hase
Stallgeflüster
Das Fliegenpilzhaus im Osterhasenwald
Warten auf Ostern
Kleiner Vogel
Die allererste Blume
Rot
Auch Osterhasen müssen manches lernen!
Den Osterhasen gibt es nicht
Osterkleckserei
Flipps neue Freunde
Helfer für den Osterhasen
Frühlingsfeuer
Osterhasi Weißpuschel
Gibt es den Osterhasen doch?
Ostersonntag, ganz früh am Morgen
Ein Geschenk namens Sonne
Bald ist Ostern
Mathilda und der Osterhase
Eine Überraschung zum Osterfest
Der Kuckuck und das Osterei
Meister Lampe in der Stadt
Das Wunder an Ostern
Osterhase
Das neue Ostertier
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Susanne Karrer
Dörte Müller
Sieglinde Seiler
Ingrid Baumgart-Fütterer
Susann Scherschel-Peters
Julia Elflein
Monika Arend
Barbara Acksteiner
Bettina Schneider
Regina Berger
Carina Isabel Menzel
Carola Marion Menzel
Eva Prinz
Luna Day
Renate Irina Eidenhardt-Ach
Angele Finck
Wolfgang Rödig
Ingeborg Henrichs
Anja Zachrau
Isabel Lederer
Yasmin Mai-Schoger
Jerusha Präpst
Antje Steffen
Oliver Bruskolini
Lore Buschjohann
Gerhard P. Steil
Maren Rehder
Jürgen Heider
Susanne Weinsanto
Maike Ruprecht
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Der schöne Erwin strich sich genüsslich das Kopffell glatt. Er wusste mit absoluter Gewissheit, dass er der schönste Hase weit und breit war. Seine Schwestern versicherten ihm das immer wieder und auch die Nachbarhäsinnen lächelten ihn jedes Mal an, wenn er sie auf der Wiese traf.
„Guten Morgen, mein Schönster!“, begrüßte ihn seine Mutter, als er an diesem Morgen aus dem Bau gehoppelt kam. Sie kaute bereits an einem Löwenzahn, der sich über den Winter gerettet hatte.
„Morgen, Mama“, begrüßte Erwin sie und streckte sich gähnend. Noch einmal strich er sich das Kopffell zurecht, dann stellte er sich in Position, um von den Nachbarn bewundert zu werden. Es war sein morgendliches Ritual. Dass er damit eitel wirken könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn – er war immerhin der Schönste, und das musste auch gewürdigt werden, oder?
Tatsächlich hoben sich aus den umliegenden Wiesen zahlreiche braune Köpfe und sahen zum Neuankömmling hinüber. Die Hasenmädchen hielten in ihren Kaubewegungen inne, schluckten, und lächelten ihn an. Eine warme Woge des Selbstbewusstseins breitete sich in Erwins Bauch aus – und er wusste, dass die Welt in Ordnung war. Gerne hätte er sich einmal selbst gesehen, hätte sich einen spiegelnden See gewünscht. Doch in der näheren Umgebung gab es nur einen Bach, in dessen plätscherndem Wasser man sich nicht betrachten konnte. Erwin wusste dank der verzerrten und sich ständig verändernden Reflektion nur, dass er ein heller Hase war, heller als die anderen Hasen auf dem Hügel.
„Etwas Besonderes“, hatte seine Mutter gesagt, als er sie darauf angesprochen hatte. Beruhigt war Erwin anschließend seinem Tagwerk nachgegangen.
Als der Frühling endlich kam, zog auch eine weitere, schöne Überraschung in den Hasenhügel ein: Die hübsche, junge Häsin hieß Belle und hatte im harten Winter ihre Eltern verloren. Erwins Nachbarn nahmen die entfernte Verwandte bei sich auf.
Die ersten Tage über bekam niemand das verschreckte Häschen zu Gesicht. „Sie weint sich die Augen aus, das arme Ding“, berichtete die Nachbarin Erwins Mutter beim morgendlichen Klatsch und Tratsch. Doch als die wärmeren Temperaturen die Blumen und Bäume sprießen ließen, blühte auch die traurige, kleine Häsin auf und wagte sich endlich aus dem Bau.
Man hatte sie allerorts sehnsüchtig erwartet, und so wurden ihre ersten Hüpfer in der neuen Umgebung von zahlreichen neugierigen Blicken verfolgt. Ganz besonders von Erwin, dem die Hasendame ausnehmend gut gefiel. Ihre weichen Ohren und ihr helles Fell, das so anders war als das der langweilig braunen Nachbarsmädchen, hatten es ihm gleich angetan. Sie entsprach seiner Sehnsucht nach dem Schönen und Außergewöhnlichen. Sie war wie er selbst: etwas Besonderes.
„Die würde zu mir passen“, dachte Erwin stolz und malte sich schon ihr Leben als hübschestes Paar des ganzen Hasenhügels, ja der gesamten Gegend aus. Und wie unfassbar niedlich erst ihre Hasenkinder aussehen würden! Vor lauter Niedlichkeit geriet Erwin völlig in Verzückung und verpasste an diesem Tag seine Chance, Belle anzusprechen.
Am nächsten Morgen stand er früh auf und begab sich zu dem Wiesenstück, das sich Belle gestern ausgesucht hatte. Erwin baute darauf, dass sie ein Gewohnheitstier war und auch heute hierher kommen würde, um die ersten, zarten Gräser zu knabbern, die sich aus dem Boden wagten.
Immer wieder überprüfte er den Sitz seines Kopffells, das die Tendenz hatte, sich leicht aufzustellen. Schließlich aber gab er sich zufrieden und wartete geduldig auf die Ankunft seiner Auserwählten.
„Hallo Erwin!“, riefen die anderen Häsinnen kichernd und tuschelnd, als sie aus dem Bau kamen, doch er winkte ihnen nur kurz zu. Seine Aufmerksamkeit war auf ein bestimmtes Erdloch gerichtet. Sein Herz begann zu klopfen, als sich ein schnupperndes Näschen darin zeigte. Doch es war nur die Nachbarin, die ihm freundlich zulächelte.
Wieder wartete Erwin. Der Morgen war schon halb vorbei, als Belle sich endlich aus dem Bau wagte. Ihr helles Fell war schon von Weitem zu erkennen und Erwin warf sich siegessicher in Position.
„Guten Morgen, meine Schöne, ich bin …“
„Kein Interesse“, schnitt ihm Belle das Wort ab und hoppelte ohne einen weiteren Blick an ihm vorbei.
Erwin fiel der Kiefer herab. So etwas war ihm noch nie passiert! Hatte Belle ihn etwa nicht gesehen? Konnte es sein, dass ihr seine Schönheit entgangen war?!
Am nächsten Tag versuchte er sein Glück erneut. Doch Belle zeigte auch diesmal keinerlei Reaktion. Sie musterte ihn kurz – kein Lächeln – und ging dann ihrer Wege. Erwin verstand nicht, was hier geschah. Gefiel er ihr etwa nicht?
Verunsichert suchte er sich eines der Nachbarhäschen und fragte sie verwirrt: „Sag mal, hab ich Schmutz im Gesicht?“
„Nein, alles sauber“, sagte die Häsin schüchtern und wagte es kaum, Erwin anzublicken.
„Ist sonst etwas nicht in Ordnung mit mir?“, traute sich Erwin endlich zu fragen.
„Wie meinst du?“ Hilfesuchend blickte sich die Häsin um.
„Ich bin doch schön, oder?“, fragte Erwin.
„Oh ja, sehr! Du bist der Schönste weit und breit“, sagte die Häsin schnell und hoppelte eilig davon.
Erwin war beruhigt. Vielleicht sah Belle ja nur schlecht.
Er machte der hellen Hasendame weiterhin jeden Tag den Hof, folgte ihr auf die Wiese, versuchte, sie in Gespräche zu verwickeln und herauszufinden, ob sie vielleicht kurzsichtig war.
Belle wirkte stets leicht genervt, ließ ihn nach einer Weile aber gewähren, weil er sich ohnehin nicht abschütteln ließ.
Sie gab einsilbige Antworten und wandte ihm demonstrativ ihre Kehrseite zu, wenn sie Gras mümmelte und Erwin ihr stundenlang erzählte, wer sich schon alles über sein gutes Aussehen geäußert habe. Erwin störte sich nicht daran. Er betrachtete entzückt ihr flauschiges Schwänzchen und malte sich ihre hübschen, hellen Hasenkinder aus.
Eines Nachmittags, als Erwin sich wieder einmal in Fahrt geredet hatte, versuchte er Belle dazu zu bringen, sein Kopffell anzufassen: „Nur zu, es ist total weich und flauschig. Fass mal an!“
„Ich will aber nicht“, sagte Belle, der es langsam wirklich reichte.
„Wieso denn nicht? Bist du zu schüchtern?“, neckte Erwin sie.
„Nein, ich bin schlichtweg nicht interessiert.“
Erwin lachte. Er hatte sein Selbstbewusstsein zurückgewonnen und war überzeugt, dass Belle schon über beide Hasenohren in ihn verliebt sein musste und es einfach nicht zugeben wollte.
„Bin ich dir nicht hübsch genug?“, fragte er immer noch lachend. Nie im Leben hätte er sich vorstellen können, dass diese absurde Vorstellung tatsächlich der Wahrheit entsprechen könnte, und setzte noch hinzu: „Sehe ich nicht immer aus wie aus dem Ei gepellt?“
Belle stampfte erbost mit dem Fuß auf und schrie ihm ins verdutzte Gesicht: „Du BIST aus dem Ei gepellt, Erwin! Du bist eine Ente!“
Das war der Tag, als Erwin herausfand, dass er adoptiert war.
Susanne Karrer, geb. 1982, hat nach ihrem Germanistik-Studium als Journalistin gearbeitet und ist heute in Zürich als Bibliothekarin in einer Bibliothek für blinde und sehbehinderte Menschen tätig. Erst 2018 hat sie begonnen, die Geschichten in ihrem Kopf unter dem Pseudonym Susan Tumbrel zu Papier zu bringen und kann seither nicht mehr aufhören, zu tippen. Wenn sie tatsächlich einmal nicht schreibt, findet man sie mit einem Roman vor der Nase, beim Geige spielen, durch den Wald rennen oder freundliche Monster zeichnen.
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